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Vom <strong>Chaos</strong> zum Antichaos<br />
Gerhard Rath<br />
Ursprünglich stammt das Wort CHAOS aus dem Griechischen und bedeutet: Gähnender Schlund, Abgrund,<br />
klaffende Leere. Bereits in der Antike erfuhr der Begriff jedoch eine (philosophische) Umdeutung, etwa unter<br />
Anaxagoras und Plato: Urstoff, gestaltlos, ungeformt.<br />
Im heutigen Alltag bedeutet <strong>Chaos</strong> in etwa: Durcheinander, Wirrwarr, Unordung; oft ist der Begriff negativ<br />
besetzt. "Chaot" ist wohl meist als Schimpfwort gemeint - wenn auch einige (sogar aus <strong>IAAC</strong>-Kreisen) stolz<br />
darauf sein sollen, so genannt zu werden.<br />
Verwandte Worte: "Gas" geht auf J.v.Helmont zurück (ca. 1600). Tatsächlich führte er dieses Wort als Überbegriff<br />
für luftartige Stoffe ein, in direkter und berechtigter Anlehnung an <strong>Chaos</strong>.<br />
Vom griechischen chaskein leitet sich unser Wort Gähnen ab, ein Verweis auf die ursprüngliche Bedeutung<br />
des Wortes.<br />
<strong>Chaos</strong> als wissenschaftlicher Begriff<br />
Eher zufällig und nicht ganz ernst gemeint wurde das Wort zuerst in der Mathematik eingeführt. J. Yorke<br />
veröffentlichte 1975 einen Artikel: "Periode Three implies <strong>Chaos</strong>". Dort untersuchte er Eigenschaften von<br />
Abbildungen eines Intervalls auf sich selbst, wobei nichtperiodisches Verhalten entstand (bei ganz bestimmten<br />
Anfangswerten). Eben diese starke Abhängigkeit mathematischer (und später auch physikalischer) Systeme<br />
von ihren Anfangswerten wurde ab dieser Zeit als "chaotisch" bezeichnet.<br />
Abhängigkeit von Randbedingungen<br />
Ein Charakteristikum chaotischer Systeme ist also ihre Empfindlichkeit gegen Veränderung der Anfangs-<br />
oder Randbedingungen; oft schlägt regelmäßiges Verhalten plötzlich in unregelmäßiges um. Bereits 1963<br />
hatte E. Lorenz dieses Verhalten am Beispiel mathematischer Klimamodelle gefunden: Der Flügelschlag<br />
eines Schmetterlings im Golf von Mexiko könnte das Wetter in Europa beeinflussen, meinte er, um diese<br />
Abhängigkeit einprägsam darzustellen ("Schmetterlings-Effekt"). Wir fragen uns heute: Könnte ein griffiger<br />
Jodler in Gmunden dann nicht auch ein Sturmtief vor Amerika verursachen? Hat dies noch etwas mit dem<br />
Ur-<strong>Chaos</strong> als Abgrund, Leere zu tun? Ja, dieses entstand und entseht in den Köpfen der Wissenschaftler,<br />
denn lange als sicher geltende Phänomene wurden plötzlich unsicher, nicht mehr vorhersagbar!<br />
H. Poincare hatte 1889 die langfristige Stabilität der Planetenbahnen untersucht. Er fand heraus, dass sich<br />
winzige gegenseitige Bahnstörungen aufschaukeln und zu drastischen Veränderungen führen könnten. Obwohl<br />
er diese Angelegenheit dann nicht weiterverfolgte, da er vor den Konsequenzen zurückschreckte,<br />
spricht man heute von Poincare-Szenarien: Die Entwicklung eines Systems vom geordneten zum chaotischen<br />
Verhalten.<br />
Noch einfacher als unser Sonnensystem ist das Doppelpendel: Am Ende eines Pendels hängt ein zweites.<br />
Wird es nur leicht gestoßen, schwingt es regelmäßig. Mit stärkerer Anregung werden die Schwingungen<br />
unregelmäßiger, es beginnt wild herumzuschwingen. Trotz einfacher Gesetze, die ja nach wie vor gelten, ist<br />
dieses Verhalten nicht mehr berechenbar.<br />
Man spricht vom "deterministischen" <strong>Chaos</strong>: Die Naturgesetze gelten, trotzdem ist die Entwicklung des<br />
Systems nicht mehr vorhersagbar. Minimalste Unterschiede in den Startbedingungen schaukeln sich nach<br />
wenigen Schwingungen auf.<br />
Vorhersagbarkeit<br />
Gerade diese Eigenschaft zeichnet die Naturwissenschaften aus, insbesondere die Physik. Ein Flugzeug<br />
fliegt, ein Auto fährt, eine gestoßene Billardkugel trifft ihr Ziel (meistens). Wiederholt man einen Vorgang<br />
unter gleichen Bedingungen, so erhält man ein gleiches Ergebnis.<br />
Kausalitätsprinzip: Aus gleichen Ursachen entstehen gleiche Wirkungen.<br />
Genaugenommen kann man niemals exakt die gleichen Bedingungen wiederherstellen, aber ähnliche.<br />
Doch auch hier soll gelten:<br />
Ähnliche Ursachen ergeben ähnliche Wirkungen. Dies wird als "starke" Kausalität bezeichnet, von der<br />
die "schwache" (gleich -> gleich, siehe oben) einen idealen Spezialfall darstellt.<br />
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