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Entstehungsgeschichte des Roten Kreuzes und der Genfer ...

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Müller, Rudolf<br />

Dunant, Henry. -<br />

<strong>Entstehungsgeschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Roten</strong><br />

<strong>Kreuzes</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention / mit<br />

Unterstützung ihres Begrün<strong>der</strong>s J. H. Dunant<br />

von Rudolf Müller.<br />

Stuttgart : Greiner & Pfeiffer<br />

1897


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Bibliothèque nationale suisse


JOHANNES HEINRICH DUNANT<br />

DER SAMARITER VON SOLFERINO<br />

BEGRÜNDER DES ROTEN KREUZES UND URHEBER DER<br />

GENFER KONVENTION.


E otstehu iti§s£eschichfe<br />

<strong>des</strong><br />

ROTEN KREUZES<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Konvention.


<strong>Entstehungsgeschichte</strong><br />

<strong>des</strong><br />

<strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Konvention<br />

mit Unterstützung ihres Begrün<strong>der</strong>s J. H. Dun&nt<br />

von<br />

Rudolf Müller,<br />

Professor am Kg], Realgymnasium in Stuttgart.<br />

Im Ansehluss an<br />

Eine Erinnerung an Solferino<br />

von<br />

J. Henry Dunant,<br />

Begrün<strong>der</strong> <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> <strong>und</strong> Urheber <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention,<br />

<strong>und</strong><br />

mit Abschnitten aus <strong>des</strong>sen Denkwürdigkeiten.<br />

VBiji<br />

Stuttgart 1897.<br />

Druck <strong>und</strong> Verlag von Greiner & Pfeiffer.


Inhaltsverzeichnis.<br />

Seite<br />

I. Eine Erinnerung an Solferino, von J. Henry Dnnant,<br />

nach <strong>der</strong> 7. (ungedruckten) französischen Ausgabe übersetzt von<br />

R. Müller 1<br />

EL Henry Dunant <strong>und</strong> <strong>der</strong> erste Erfolg seines Buchs „Eine Erinnerung<br />

an Solferino" 64<br />

III. Die <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige Gesellschaft <strong>und</strong> ihr Vorsitzen<strong>der</strong><br />

Gustave Moynier. — General Guillaume Henri Dufour. —<br />

Dunants fernere Wirksamkeit 84<br />

IV. Der Statistische Kongress in Berlin (1863). — Seine Majestät<br />

König Johann von Sachsen 98<br />

V. Die erste internationale Konferenz in Genf vom 26.-29.<br />

Oktober 1863 114<br />

VI. Der Schweizer Bun<strong>des</strong>rat <strong>und</strong> die <strong>Genfer</strong> Konvention (1864) 183<br />

VII. Die Anfänge <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> in Frankreich <strong>und</strong> sonstige<br />

noch nicht veröffentlichte Mitteilungen.<br />

Aus J. Henry Dunants Denkwürdigkeiten, übersetzt von H. Müller 232<br />

VIII. Die Anfänge <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> in Frankreich. (Fortsetzung) 278<br />

IX. Der preussische Hof <strong>und</strong> seine Sympathien für das internationale<br />

Humanitätswerk. — Aufgabe <strong>der</strong> Frauen in Kriegs<strong>und</strong><br />

Friedenszeiten.<br />

Aus J. Henry Dunants Denkwürdigkeiten, übersetzt von E. M&ller 332<br />

X. Anhang:<br />

Bemerkungen 381<br />

Belege, sowie sonstige Citate 389<br />

Bemerkung: Die „Erinnerung an Solferino" glaubten wir billiger Weise<br />

voranstellen zu müssen, da sie den Anstoss zu dem ganzen Werke<br />

gegeben hat.


I.<br />

Eine Erinnerung an Solferino.<br />

Der blutige Sieg von Magenta hatte dem französischen<br />

Heere die Thore Mailands geöffnet, <strong>und</strong> begeistert wurde es<br />

in Pavia, Lodi <strong>und</strong> Cremona aufgenommen. Die Oestreicher<br />

gaben die Linien <strong>der</strong> Adda, <strong>des</strong> Oglio <strong>und</strong> <strong>der</strong> Chiese auf<br />

<strong>und</strong> zogen am Mincio beträchtliche Streitkräfte zusammen, an<br />

<strong>der</strong>en Spitze sich entschlossenen Sinnes <strong>der</strong> junge <strong>und</strong> ritterliche<br />

Kaiser von Oestreich, Franz Joseph II., stellte.<br />

Am 15. Juni 1850 langte <strong>der</strong> König von Sardinien, Viktor<br />

Emanuel, in Brescia an, umjubelt von <strong>der</strong> Bevölkerung, die<br />

in dem Sohne Karl Alberts den Retter <strong>und</strong> Helden zugleich<br />

erblickte. In <strong>der</strong>selben Stadt hielt am folgenden Tag Kaiser<br />

Napoleon seinen Einzug, unter den begeisterten Huldigungen<br />

eines Volkes, welches sich glücklich schätzte, dem Herrscher,<br />

<strong>der</strong> ihm wie<strong>der</strong> zu seiner Unabhängigkeit verhelfen wollte,<br />

seinen Dank zu bezeugen.<br />

Am 21. Juni verliessen Napoleon <strong>und</strong> Viktor Emanuel die<br />

Stadt, nachdem ihre Heere schon am Tage zuvor abgezogen<br />

waren. Am 23. abends gab Napoleon als Oberfeldherr dem<br />

bei Desenzano lagernden Heere Viktor Emanuels, welches<br />

den linken Flügel <strong>der</strong> Verbündeten bildete, den bestimmten<br />

Befehl am nächsten Morsen in aller Frühe gegen Pozzolengo<br />

Berichtigung: ^<br />

ile 7 lies: Franz Joseph I. statt II.


— 2 —<br />

aufzubrechen. Der Marschall Baraguey-d'Hilliers sollte auf<br />

Solferino zu marschieren, während <strong>der</strong> Marschall Mac-Malion,<br />

Herzog von Magenta, nach Cavriana, General Niel nach<br />

Guidizzolo, Marschall Canrobert nach Medole <strong>und</strong> Marschall<br />

Regnaud-de Saint Jean d'Angely mit <strong>der</strong> kaiserlichen Garde<br />

nach Castiglione sich verfügen sollte.<br />

Die verbündete Streitmacht zählte h<strong>und</strong>ertfünfzigtausend<br />

Mann mit vierh<strong>und</strong>ert Geschützen.<br />

Dem östreichischen Kaiser standen im lombardisch-venezianischen<br />

Königreich neun Armeecorps zur Verfügung, die<br />

sich einschliesslich <strong>der</strong> Besatzungen von Verona <strong>und</strong> Mantua<br />

insgesamt auf zweih<strong>und</strong>ertfiinfzigtausend Mann beliefen. Sieben<br />

von diesen Armeecorps in <strong>der</strong> Stärke von h<strong>und</strong>ertsiebzigtausend<br />

Mann <strong>und</strong> fünfh<strong>und</strong>ert Geschützen sollten in die<br />

•Schlachtlinie einrücken.<br />

Das Hauptquartier <strong>des</strong> Kaisers Franz Joseph war von<br />

Verona nach Villafranca <strong>und</strong> von da nach Valeggio verlegt<br />

worden. Am 23. abends erhielten die östreichischen Truppen<br />

den Befehl, während <strong>der</strong> Nacht bei Peschiera, Salionze, Valeggio,<br />

Ferri, Goito <strong>und</strong> Mantua wie<strong>der</strong> über den Miucio<br />

vorzurücken. Die Hauptmacht nahm ihre Quartiere zwischen<br />

Pozzolengo <strong>und</strong> Guidizzolo, um den Feind zwischen dem<br />

Mincio <strong>und</strong> <strong>der</strong> Chiese anzugreifen.<br />

Die östreichischen Streitkräfte bildeten zwei Hauptheere.<br />

Das erste hatte an seiner Spitze den Feldzeugmeister Graf<br />

Wimpffen; unter ihm standen die Armeecorps <strong>der</strong> Feldmarschälle<br />

Fürst Edm<strong>und</strong> von Schwarzenberg, Graf Scliaffgotsch<br />

<strong>und</strong> Baron Veigl, sowie die Reiterdivision <strong>des</strong> Grafen<br />

Zedwitz. Es bildete den linken Flügel <strong>und</strong> hatte in <strong>der</strong><br />

Umgegend von Volta, Guidizzolo, Medole <strong>und</strong> Castel-Goffredo<br />

Stellung genommen.<br />

Das zweite stand unter dem Oberbefehl <strong>des</strong> Grafen<br />

Schlick, welchem die Feldmarschälle Graf Clam-Gallas, Graf<br />

Stadion, Baron Zobel <strong>und</strong> Ritter von Benedek, sowie die<br />

Reiterdivision <strong>des</strong> Grafen Meusdorf unterstellt waren. Dieses


— 3 —<br />

bildete den rechten Fitigel <strong>und</strong> hielt Cavriana, Solferino,<br />

Pozzolengo <strong>und</strong> San Martino besetzt.<br />

Am Morgen <strong>des</strong> 24. waren also alle Anhöhen zwischen<br />

Pozzolengo, Solferino, Cavriana <strong>und</strong> Guidizzolo in den Händen<br />

<strong>der</strong> Oestreicher. Ihre Artillerie hatten sie auf einer Hügelreihe<br />

inmitten einer Angriffslinie aufgepflanzt, die ihrem rechten<br />

wie ihrem linken Flügel gestattete, sich unter den Schutz<br />

dieser als uneinnehmbar angesehenen befestigten Höhen zurückzuziehen.<br />

Obgleich die beiden feindlichen Heere sich gegen einan<strong>der</strong><br />

bewegten, so waren sie doch nicht auf einen so plötzlichen<br />

Zusammenstoss gefasst. Die mangelhaft unterrichteten Oestreicher<br />

vermuteten, die Cliiese wäre nur von einem Teil <strong>des</strong><br />

verbündeten Heeres überschritten worden. Die Verbündeten<br />

ihrerseits hatten keine Ahnung von dieser neuen Angriffsbewegung<br />

<strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> <strong>und</strong> glaubten nicht so schnell auf das<br />

.Heer <strong>des</strong> Kaisers von Oestreicli zu stossen. Die Rekognoscierungen,<br />

die Beobachtungen, die Berichte <strong>der</strong> Patrouillen,<br />

sowie die im Laufe <strong>des</strong> 2.'i. vorgenommenen Aufstiege in<br />

Luftballonen hatten keinerlei Anzeichen eines unmittelbar<br />

bevorstehenden Zusammentreffens erkennen lassen.<br />

So war also, obgleich man bei<strong>der</strong>seits auf eine grosse<br />

<strong>und</strong> nahe Schlacht gefasst war, <strong>der</strong> Zusammenstoss <strong>des</strong> östreichischen<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> französisch-sardinischen Heeres ani Freitag,<br />

dem 24. Juni 1859, ein völlig unerwarteter.<br />

Schon mit <strong>der</strong> Dämmerung <strong>des</strong> grossen Tages hatte das<br />

durch den anstrengenden Nachtmarsch vom 23. auf den 24.<br />

ermüdete östreichische Heer den Anprall <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> auszuhalten<br />

; zudem litt es unter einer glühenden Hitze <strong>und</strong> war<br />

von Hunger <strong>und</strong> Durst gequält, denn mit Ausnahme einer<br />

doppelten Branntweinration hatten die meisten Oestreicher<br />

nichts zu sich nehmen können. Auch die französischen Truppen,<br />

die sich schon mit Tagesanbruch in Bewegung gesetzt<br />

hatten, hatten nichts bekommen als ihren Morgenkaffee, so<br />

dass gegen das Ende dieser blutigen, mehr als fünfzehn-


— 4 —<br />

stündigen Schlacht die Erschöpfung <strong>der</strong> Streiter <strong>und</strong> vor allem<br />

<strong>der</strong> unglücklichen Verw<strong>und</strong>eten aufs höchste stieg.<br />

Die beiden Heere, zusammen etwa dreimalh<strong>und</strong>erttausend<br />

Mann, stehen einan<strong>der</strong> schlagfertig gegenüber. Fünf St<strong>und</strong>en<br />

weit erstreckt sich die Schlachtlinie.<br />

Schon um drei Uhr morgens setzen sich die Heeresabteilungen<br />

<strong>der</strong> Marschälle Baraguey d'Hilliers <strong>und</strong> Mac-<br />

Malion in <strong>der</strong> Richtung gegen Solferino <strong>und</strong> Cavriana in Bewegung.<br />

Kaum haben ihre Spitzen Castiglione hinter sich,<br />

so befinden sie sich den östreichischen Vorposten gegenüber,<br />

welche ihnen Schritt für Schritt das Feld streitig machen.<br />

Auf allen Seiten ertönen die Trompeten zum Angriff <strong>und</strong><br />

wirbeln die Trommeln.<br />

Kaiser Napoleon, welcher die Nacht in Montechiaro zugebracht<br />

hat, bricht in aller Eile nach Castiglione auf.<br />

Um sechs Uhr hat sich schon lebhaftes Feuer entsponnen.<br />

In geschlossenen Massen <strong>und</strong> in vollkommener Ordnung sieht<br />

man die Oestreicher auf den Landstrassen vorrücken <strong>und</strong><br />

ihre schwarz-gelben Fahnen mit dem alten kaiserlichen Adler<br />

im Morgenwinde flattern.<br />

Blendend hell scheint die strahlende Sonne Italiens <strong>und</strong><br />

spiegelt sich in den glänzenden Rüstungen <strong>der</strong> französischen<br />

Dragoner, <strong>der</strong> Guiden, <strong>der</strong> Lanzenreiter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gardekürassiere.<br />

Gleich zu Beginn <strong>des</strong> Kampfes verlässt <strong>der</strong> Kaiser Franz<br />

Joseph mit seinem ganzen Generalstab sein Hauptquartier,<br />

um sich nach Volta zu begeben. In seiner Begleitung befinden<br />

sich die Erzherzoge <strong>des</strong> Hauses Lothringen, unter ihnen<br />

<strong>der</strong> Grossherzog von Toscana <strong>und</strong> <strong>der</strong> Herzog von Modena.<br />

Der erste Zusamnienstoss findet inmitten eines schwierigen,<br />

dem französischen Heere völlig unbekannten Gelän<strong>des</strong><br />

statt. Dnrcli ein Wirrsal von dicht mit Reben verschlungenen<br />

Maulbeerpflanzungen muss sich dieses einen "Weg bahnen.<br />

Der Boden ist allenthalben von grossen ausgetrockneten Grä-


— ;:> —<br />

ben <strong>und</strong> von niedrigen, aber breiten Mauern durchzogen, über<br />

welche die Pferde setzen <strong>und</strong> klettern müssen.<br />

Yon den Hügeln, die sie besetzt halten, überschütten<br />

die Oestreicher die feindlichen Heere mit einem Hagel von<br />

Granaten, Bomben <strong>und</strong> Kanonenkugeln. Mit dem Pulverdampf<br />

<strong>der</strong> Geschütze mengt sich <strong>der</strong> Staub <strong>und</strong> die Erde,<br />

Avelche die Tausende von einschlagenden Geschossen aufwirbeln.<br />

Unter dem Feuer <strong>der</strong> immer heftiger spielenden<br />

Batterien stürmen die Franzosen gegen die schwierigsten<br />

Stellungen an.<br />

Während <strong>der</strong> glühenden Mittagshitze wird <strong>der</strong> Kampf<br />

auf <strong>der</strong> ganzen Linie immer erbitterter. Mit dem Ungestüm<br />

verheeren<strong>der</strong> Bergströme stürzen sich geschlossene Heeressäulen<br />

aufeinan<strong>der</strong>. Zahlreiche in Schützenketten aufgelöste<br />

französische Begimenter schliessen die östreichischen Massen<br />

ein; aber eisernen Mauern gleich halten diese zuerst unerschütterlich<br />

Stand.<br />

Ganze Divisionen legen die Tornister ab, um mit dem<br />

Bajonett auf den Feind loszustürmen. Ist ein Bataillon zmüickgeschlagen,<br />

so rückt ein an<strong>der</strong>es an seine Stelle. Je<strong>der</strong> Hügel,<br />

jede Anhöhe, je<strong>der</strong> Felsvorsprung wird <strong>der</strong> Schauplatz hartnäckiger<br />

Kämpfe. Auf den Hügeln wie in den Hohlwegen<br />

liegen die Toten haufenweise. Oestreicher <strong>und</strong> Verbündete<br />

treten einan<strong>der</strong> zu Boden, töten einan<strong>der</strong> auf blutigen Leichnamen,<br />

morden sich mit Kolbenschlägen, schlagen sich die<br />

.Schädel ein, schlitzen einan<strong>der</strong> mit dem Säbel o<strong>der</strong> Bajonett<br />

den Leib auf. Bastlos tobt die Schlacht, Pardon wird keiner<br />

gegeben. Sogar die Verw<strong>und</strong>eten verteidigen sich bis aufs<br />

äusserste. Es ist ein Kämpfen, ein Würgen rasen<strong>der</strong>, blutgieriger<br />

Männer.<br />

Zuweilen wird <strong>der</strong> Kampf noch schrecklicher durch das<br />

Nahen einer herangaloppierenden Beiterschwadron. Vergebens<br />

suchen die Pferde, menschlicher als ihre Beiter, die auf dem<br />

Boden liegenden Opfer <strong>des</strong> Gemetzels zu schonen: unter ihren<br />

eisenbewehrten Hufen zerstampfen sie die Toten <strong>und</strong> die


— 0 —<br />

Sterbenden. In das Wiehern <strong>der</strong> Pferde mischen sich Flüche,<br />

Wutgeschrei <strong>und</strong> verzweifeltes Schmerzgeheul.<br />

Hinter <strong>der</strong> Reiterei kommt die Artillerie einhergesaust<br />

<strong>und</strong> bahnt sich einen Weg mitten durch Leichen <strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>ete.<br />

Hier wird einem dieser Armen die Kinnlade weggerissen,<br />

dort einem an<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Kopf zermalmt, einem dritten<br />

die Brust eingedrückt. Die Fel<strong>der</strong> sind mit zerschmetterten<br />

menschlichen Gliedmassen besät, die Erde mit Blut getränkt.<br />

Mit wütendem Ungestüm erklimmen die französischen<br />

Truppen unter dem Gewehrfeuer <strong>der</strong> Feinde <strong>und</strong> unter einem<br />

Hagel von Bomben <strong>und</strong> Kartätschen die steilen Hügel. Kaum<br />

ist eine Anhöhe genommen, • kaum haben einige auserlesene<br />

Compagnieen, ermattet <strong>und</strong> schweisstriefend, den Gipfel eines<br />

Hügels erstiegen, so stürzen sie sieh lawinenartig auf die<br />

Oestreicher, werfen sie über den Haufen, treiben sie zurück<br />

<strong>und</strong> verfolgen sie bis in die Hohlwege hinein.<br />

Aber die Oestreicher kommen wie<strong>der</strong> in Vorteil. Hinter<br />

den Häusern, den Kirchen, den Mauern Medoles, Solferinos<br />

<strong>und</strong> Cavrianas verschanzt, kämpfen sie heldenmütig, <strong>und</strong> nicht<br />

viel fehlt, so erringen sie den Sieg.<br />

Unaufhörlich erneuern sich die Kämpfe, <strong>und</strong> überall mit<br />

gleicher Wut. Nichts hält das Gemetzel auf, durch nichts<br />

wird es unterbrochen. Man tötet sich im grossen <strong>und</strong> im<br />

kleinen. Jede Bodenanschwellung wird mit dem Bajonette<br />

erstürmt, jede Stellung Schritt um Schritt streitig gemacht.<br />

Haus um Haus, Hof um Hof, entreisst man sich gegenseitigdie<br />

Dörfer. Je<strong>des</strong> einzelne Haus erfor<strong>der</strong>t eine Belagerung,<br />

die Thore, die Fenster, die Hofräume werden zu Schauplätzen<br />

wilden Mordens.<br />

Die Kartätschen verbreiten Tod <strong>und</strong> Ver<strong>der</strong>ben sogar in<br />

den weitabstehenden Reserven <strong>der</strong> Oestreicher. Wenn diese<br />

weichen, so thun sie es nur Schritt für Schritt, um alsbald<br />

wie<strong>der</strong> zum Angriff überzugehen. Immer wie<strong>der</strong> bilden sich<br />

ihre Reihen von neuem.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene wirbelt <strong>der</strong> Wind den massenhaft auf den


Strassen liegenden Staub in (lichten Wolken auf, welche die<br />

Luft verdunkeln <strong>und</strong> die Kämpfer blenden.<br />

Die französische Eeiterei stürzt .sich auf die üstreichische;<br />

Ulanen <strong>und</strong> Husaren hauen wütend mit ihren Säbeln aufeinan<strong>der</strong><br />

ein. An einigen Punkten erreicht die Kampfwut<br />

einen solchen Grad, dass die Kämpfer, nachdem die Schiessvorräte<br />

erschöpft <strong>und</strong> die Waffen zerschlagen sind, einan<strong>der</strong> um<br />

den Leib fassen <strong>und</strong> mit Feldsteinen aufeinan<strong>der</strong> losschlagen.<br />

Die stärksten Stellungen werden genommen, verloren,<br />

wie<strong>der</strong> zurückgewonnen, um von neuem verloren <strong>und</strong> erobert<br />

zu werden. Ueberall fallen die Leute von Kugelu durchbohrt,<br />

durchlöchert <strong>und</strong> verstümmelt. Inmitten dieser sich<br />

unaufhörlich erneuernden Kämpfe <strong>und</strong> Mordscenen hört man<br />

Verwünschungen in den verschiedensten Sprachen, ausgestossen<br />

von Angehörigen <strong>der</strong> verschiedensten Völkerschaften, von<br />

denen viele gezwungen sind, schon mit zwanzig Jahren Totschläger<br />

zu werden!<br />

Die Truppen <strong>des</strong> Königs von Sardinien verteidigen <strong>und</strong><br />

stürmen abwechselnd seit dem Morgen die Hügel von San<br />

Martino, Roccolo, <strong>der</strong> Madonna della Scoperta, welche fünf,<br />

sechsmal hintereinan<strong>der</strong> genommen werden. Ihre Generale<br />

Mollard, La Marmora, Della Rocca, Durando, Fanti, Cialdini,<br />

Cucchiari, de Sonnaz mit den Offizieren aller Waffengattungen<br />

<strong>und</strong> aller Grade unterstützen die Anstrengungen ihres Königs,<br />

unter <strong>des</strong>sen Augen die Generale Cerale, Perrier <strong>und</strong> Arnoldi<br />

verw<strong>und</strong>et werden.<br />

Der französische Kaiser befiehlt den Abteilungen Baraguey<br />

d'Hilliers <strong>und</strong> Mac-Mahons <strong>und</strong> <strong>der</strong> kaiserlichen Garde,<br />

sich gleichzeitig auf die Verschanzungen von San Cassiano<br />

zu werfen <strong>und</strong> sich Solferinos zu bemächtigen. l )<br />

*) Die folgenden 13—14 Seiten <strong>der</strong> früheren Ausgaben, welche einzelne<br />

Umstände <strong>der</strong> Schlacht erzählen, sind hier ausgelassen, da sie jetzt<br />

nicht mehr dasselbe Interesse bieten wie zur Zeit <strong>der</strong> erstmaligen Veröffentlichung<br />

<strong>des</strong> Buchs.


— 8 —<br />

.... Aber das tapfere östreicliische Heer lässt die Verbündeten<br />

ibre Erfolge teuer erkaufen.... Einer seiner<br />

Helden, Fürst Alexan<strong>der</strong> von Hessen, verteidigt nach kühnem<br />

Kampfe bei San Cassiano die drei Hügel <strong>des</strong> Monte Fontana<br />

gegen die immer wie<strong>der</strong> anstürmenden Feinde.... Bei<br />

Guidizzolo trotzt Fürst Karl von Windischgrätz einem sicheren<br />

Tode, indem er unter einem Hagel von Kugeln die Stellung<br />

von Casa Nova wie<strong>der</strong> zu nehmen sucht. Zum Tod verw<strong>und</strong>et<br />

kommandiert er noch, gestützt <strong>und</strong> getragen von seinen<br />

wackern Soldaten, die ihn mit ihren Leibern zu decken suchen<br />

.... Dem Marschall Baraguey d'Hilliers gelingt es<br />

endlich, in das vom Grafen Stadion tapfer verteidigte Solferino<br />

einzudringen ....<br />

Inzwischen hat sich <strong>der</strong> Himmel verfinstert, <strong>und</strong> dichte<br />

Wolken bedecken den Horizont. Ein wüten<strong>der</strong> Sturm bricht<br />

los, zersaust die Bäume <strong>und</strong> entführt ihre Aeste. Ein kalter<br />

vom Orkan gepeitschter Regen, eine wahre Wasserhose, überflutet<br />

die von Hunger <strong>und</strong> Müdigkeit schon erschöpften Krieger,<br />

während Staubwirbel, Hagel <strong>und</strong> Blitze sie blenden <strong>und</strong><br />

so zum doppelten Kampf, gegen die Feinde <strong>und</strong> gegen die<br />

Elemente, zwingen ....<br />

Die Heere <strong>des</strong> Kaisers Franz Joseph haben sich zurückgezogen<br />

.... Während <strong>der</strong> ganzen Schlacht zeigt das Oberhaupt<br />

<strong>des</strong> Hauses Habsburg eine bew<strong>und</strong>erungswürdige Ruhe<br />

<strong>und</strong> Kaltblütigkeit. Im Augenblick <strong>der</strong> Einnahme Cavrianas<br />

befindet sich <strong>der</strong> östreicliische Kaiser mit dem Grafen Schlick<br />

<strong>und</strong> dem Prinzen von Nassau auf einer benachbarten Anhöhe,<br />

<strong>der</strong> Madonna della Pieve, bei einer von Cypressen umgebenen<br />

Kirche. Nachdem aber gegen Abend das östreichische Gentrum<br />

gewichen ist <strong>und</strong> dem linken Flügel keine Hoffnung<br />

mehr bleibt, die Verbündeten aus ihren Stellungen zu verdrängen,<br />

wird <strong>der</strong> allgemeine Rückzug beschlossen. In diesem<br />

feierlichen Augenblick wendet sich Kaiser Franz Joseph, <strong>der</strong><br />

den ganzen Tag mitten im Kugelregen zugebracht hat, mit<br />

einem Teil seines Generalstabs nach Volta, während die Erz-


— —<br />

herzöge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erbgrossherzog von Toscana sicli nach<br />

Valeggio zurückziehen.<br />

Die östreichischen Offiziere haben sich löwenmütig geschlagen.<br />

Verschiedene haben in <strong>der</strong> Verzweiflung den Tod<br />

gesucht, aber nicht ohne ihr Leben teuer zu verkaufen. Die<br />

meisten sind bei ihrer Rückkehr zum Regiment mit ihrem<br />

eigenen Blut o<strong>der</strong> dem <strong>der</strong> Feinde bedeckt. Es ist eine wohlverdiente<br />

Huldigung, die wir ihrer Tapferkeit erweisen.<br />

.... Guidizzolo wird bis 10 Uhr abends von den Oestreichern<br />

besetzt gehalten .... Die Strassen sind mit Gepäckstücken<br />

<strong>und</strong> Wagen je<strong>der</strong> Art bedeckt. Das Trainmaterial<br />

wird über schnell geschlagene fliegende Brücken in Sicherheit<br />

gebracht. Die ersten Züge leicht verw<strong>und</strong>eter Oestreiclier<br />

langen in Villafranca "an, die schwerer Verw<strong>und</strong>eten<br />

folgen ihnen. Die östreichischen Aerzte <strong>und</strong> ihre Gehilfen<br />

legen Notverbände an, verabreichen den Verw<strong>und</strong>eten einige<br />

Lebensmittel <strong>und</strong> schaifen sie dann mit <strong>der</strong> Bahn nach Verona,<br />

welches in erschrecken<strong>der</strong> "Weise von ihnen überfüllt wird.<br />

Das üstreichische Heer sucht zwar seine Verw<strong>und</strong>eten,<br />

soweit möglich, mit sich zu nehmen, aber trotzdem liegen<br />

noch Tausende von ihnen hilflos <strong>und</strong> verlassen auf dem mit<br />

ihrem Blut getränkten Felde!<br />

Das verbündete Heer hat sich auf den eroberten Stellungen<br />

gelagert.... Da irrt nun gegen Ende <strong>des</strong> Tags so<br />

mancher französische Offizier <strong>und</strong> Soldat auf dem ungeheuren<br />

Blutfeld umher, auf welches die ersten Schatten <strong>der</strong> Dämmerung<br />

sich nie<strong>der</strong>senken, um einen Kameraden, einen Landsmann,<br />

einen Fre<strong>und</strong> zu suchen. Und findet er unter den<br />

Verw<strong>und</strong>eten einen solchen, so kniet er bei ihm nie<strong>der</strong>, bemüht<br />

sich, ihn ins Leben zurückzurufen, stillt sein Blut,<br />

verbindet die W<strong>und</strong>e so gut er kann, umwickelt das zerschmetterte<br />

Glied mit einem Taschentuch, aber nur selten gelingt<br />

es ihm, Wasser für den armen Leidenden zu bekommen.<br />

Wie manche stille Thräne mag an jenem traurigen Abend


— 10 —<br />

geflossen sein, wo jede falsche Eigenliebe geschw<strong>und</strong>en, je<strong>der</strong><br />

Stan<strong>des</strong>unterschied vergessen war!<br />

Während <strong>der</strong> Schlacht werden die verw<strong>und</strong>eten Offiziere<br />

<strong>und</strong> Unteroffiziere nach den in den benachbarten Höfen,<br />

Kirchen <strong>und</strong> Klöstern o<strong>der</strong> auch unter freiem Himmel im<br />

Schatten einiger Bäume eingerichteten fliegenden Feldlazaretten<br />

geschafft <strong>und</strong> erhalten dort den ersten Notverband;<br />

nach ihnen kommt, soweit dies möglich ist, die Reihe an die<br />

Soldaten. Wer noch dazu im standeist, geht selbst hin; die<br />

übrigen, erschöpft durch Blutverlust, Schmerz, Entbehrung<br />

<strong>und</strong> innere Aufregung, werden in Sänften o<strong>der</strong> auf Tragbahren<br />

hingetragen.<br />

Während <strong>des</strong> Kampfes bezeichnet eine auf einer Anhöhe<br />

aufgepflanzte Feldflagge den Verbandsplatz für die Verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> die Feldlazarette <strong>der</strong> im Kampfe stehenden<br />

Regimenter. Aber da die Farben dieser Flaggen je nach<br />

<strong>der</strong> Nationalität wechseln, so sind sie den Truppen meist<br />

unbekannt, <strong>und</strong> die einschlagenden Bomben verschonen we<strong>der</strong><br />

Aerzte noch Krankenpfleger, noch die Wagen mit ihren Vorräten<br />

an Brot, Fleisch, Wein <strong>und</strong> Scharpie.<br />

Auf den Höhen zwischen Castiglione <strong>und</strong> Volta glänzen<br />

im Dunkel <strong>der</strong> Nacht Tausende von Feuern, welche mit den<br />

zertrümmerten östreichischen Munitionswagen <strong>und</strong> den vom<br />

Sturme o<strong>der</strong> von den Kugeln abgerissenen Baumästen unterhalten<br />

werden. Die Soldaten trocknen ihre durchnässten<br />

Klei<strong>der</strong> <strong>und</strong> schlafen dann, matt <strong>und</strong> erschöpft, auf dem harten<br />

Gestein o<strong>der</strong> <strong>der</strong> blossen Erde ein.<br />

Wieviel herzzerreissende Vorfälle, wieviel rührende Scenen,<br />

wie viele Enttäuschungen aller Art! Hier sind ganze<br />

Bataillone ohne Lebensmittel, dort Compagnieen, denen es<br />

nach Verlust ihrer Tornister am allernotwendigsten' gebricht!<br />

An an<strong>der</strong>n Orten fehlt es an Wasser, <strong>und</strong> doch ist <strong>der</strong> Durst<br />

so gross, dass Offiziere <strong>und</strong> Soldaten zu schmutzigen, zuweilen<br />

mit Blut gemengten Pfützen ihre Zuflucht nehmen. Ueberall<br />

rufen die Verw<strong>und</strong>eten nach Wasser!


Aechzen <strong>und</strong> Stülmen, lialberstickte Seufzer voll Schmerz<br />

<strong>und</strong> To<strong>des</strong>angst <strong>und</strong> herzzerreissende Hilferufe durchdringen<br />

die Stille <strong>der</strong> Nacht.<br />

Wer vermöchte jemals alle die To<strong>des</strong>qualen jener entsetzlichen<br />

Nacht zu schil<strong>der</strong>n!<br />

Die aufgehende Sonne <strong>des</strong> 25. Juni 1859 bescliien eines<br />

<strong>der</strong> furchtbarsten Schauspiele, welche die Phantasie sich ausmalen<br />

kann.<br />

Das Schlachtfeld ist besät mit Menschen- <strong>und</strong> Pferdeleichen<br />

: überall, beson<strong>der</strong>s aber an den Zugängen <strong>des</strong> Dorfes<br />

Solferino, sind Strassen, Gräben <strong>und</strong> Hohlwege, Büsche <strong>und</strong><br />

Wiesen mit ihnen bedeckt. Die Ernten sind vernichtet, die<br />

Getreidefel<strong>der</strong> zerstampft, -tlie Hecken eingerissen, die Obstgärten<br />

zerstört. Da <strong>und</strong> dort stösst man auf Blutlachen.<br />

Die Dörfer sind verödet <strong>und</strong> zeigen die Spuren von<br />

Flintenkugeln, Bomben, Granaten <strong>und</strong> Kartätschen. Die<br />

Häuser, in <strong>der</strong>en Mauern die Kugeln weitklaffende Lücken<br />

gerissen haben, sind in ihren Gr<strong>und</strong>festen erschüttert <strong>und</strong> in<br />

Trümmer gelegt. Die Bewohner fangen an die Keller zu<br />

verlassen, wohin die meisten von ihnen sich geflüchtet <strong>und</strong><br />

wo sie ohne Licht <strong>und</strong> Nahrung fast zwanzig St<strong>und</strong>en zugebracht<br />

hatten. Ihr verstörtes Aussehen zeugt von dem<br />

langen Schrecken, den sie ausgestanden haben.<br />

Der Boden ist mit Trümmern aller Art, zerbrochenen<br />

W äffen, Ausriistnngsgegenständen <strong>und</strong> blutgetränkten Klei<strong>der</strong>n<br />

bedeckt.<br />

Die unglücklichen Verw<strong>und</strong>eten, die im Laufe <strong>des</strong> Tages<br />

aulgelesen werden, sind bleich, fahl <strong>und</strong> ganz entkräftet.<br />

Die einen, beson<strong>der</strong>s die Schwerverw<strong>und</strong>eten, schauen stumpfsinnig<br />

drein; sie scheinen nicht zu verstehen, was man zu<br />

ihnen sagt, <strong>und</strong> sehen ihre Better mit verstörten Blicken an.<br />

An<strong>der</strong>e sind infolge <strong>der</strong> schweren Nervenerschütterung von<br />

krampfhaftem Zittern befallen. Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e mit klaffenden<br />

W<strong>und</strong>en, die sich schon zu entzünden begonnen haben, sind


fast wahnsinnig vor Schmerz: sie bitten, man solle ihnen den<br />

Gnadenstoss geben <strong>und</strong> "winden sich mit verzerrtem Antlitz<br />

in den letzten Zuckungen <strong>des</strong> To<strong>des</strong>kampfes.<br />

An<strong>der</strong>swo wie<strong>der</strong> sind es Unglückliche, welche durch<br />

Kugeln <strong>und</strong> Granatsplitter zu Boden gestreckt, <strong>und</strong> welchen<br />

durch die über sie wegfahrenden Geschütze Arme <strong>und</strong> Beine<br />

zermalmt wurden.<br />

Der Anprall <strong>der</strong> cylindrischen Kugeln jagt die Knochensplitter<br />

nach allen Richtungen, so dass die dadurch erzeugte<br />

W<strong>und</strong>e immer sehr gefährlich ist. Die zerplatzenden Granaten,<br />

sowie die konischen Kugeln verursachen äusserst schmerzhafte<br />

Knochenbrüche <strong>und</strong> furchtbare innere Verletzungen. Splitter<br />

aller Art, Knochenteile, Erde, Bleistücke, Fetzen von Klei<strong>der</strong>n,<br />

Ausrüstungsgegenständen <strong>und</strong> Schuhzeug reizen <strong>und</strong> verschlimmern<br />

die W<strong>und</strong>en <strong>des</strong> Leidenden <strong>und</strong> verdoppeln seine Qualen.<br />

Wer diesen ungeheuren Schauplatz durchwan<strong>der</strong>t, auf<br />

dem sich die Kämpfe vom vorhergehenden Tag abgespielt<br />

haben, stösst auf Schritt <strong>und</strong> Tritt, inmitten einer Verwirrung<br />

ohnegleichen, auf Scenen unaussprechlicher Verzweiflung,<br />

auf Leiden aller Art.<br />

Einige <strong>der</strong> Bataillone, welche während <strong>des</strong> Kampfes ihre<br />

Tornister abgelegt hatten, finden sie endlich wie<strong>der</strong>, aber<br />

ihr Inhalt ist verschw<strong>und</strong>en. Alles ist während <strong>der</strong> Nacht<br />

von Plün<strong>der</strong>ern ansgeraubt worden: ein schwerer Verlust<br />

für diese armen Leute, <strong>der</strong>en Wäsche <strong>und</strong> Uniformstücke<br />

beschmutzt <strong>und</strong> zerrissen sind. Nicht nur ihrer Kleidung<br />

sehen sie sich beraubt, son<strong>der</strong>n auch ihrer bescheidenen Ersparnisse,<br />

ihres ganzen Vermögens <strong>und</strong> <strong>der</strong> teuren Andenken<br />

an Vaterland <strong>und</strong> Familie, die ihnen ihre Mütter, Schwestern<br />

<strong>und</strong> Bräute beim Abschied mitgegeben hatten.<br />

Vielfach werden die Toten von Dieben ausgeplün<strong>der</strong>t,<br />

<strong>und</strong> nicht einmal die noch lebenden Verw<strong>und</strong>eten sind vor<br />

ihnen sicher.<br />

Neben diesen schmerzlichen Auftritten ereignen sich noch<br />

an<strong>der</strong>e geradezu dramatische Scenen.


— 13 —<br />

Hier irrt <strong>der</strong> alte zur Ruhe gesetzte General Le Breton<br />

umher; er hat seine Tochter mitten im Kriegsgetiimmel <strong>und</strong><br />

in <strong>der</strong> grausamsten Ungewissheit zurückgelassen, um seinen<br />

Schwiegersohn, den verw<strong>und</strong>eten General Douay, aufzusuchen.<br />

Dort liegt <strong>der</strong> bei Casa Nova verw<strong>und</strong>ete Oberst von ilaleville<br />

im Sterben. Hier wie<strong>der</strong> liegt <strong>der</strong> Oberst de Genlis<br />

in hitzigem W<strong>und</strong>fieber. Dort wird dem Artillerielieutenant<br />

de Selve, <strong>der</strong> erst vor wenigen Wochen die Kriegsschule in<br />

Saint-Cyr verlassen hat, noch auf dem Schlachtfeld <strong>der</strong> rechte<br />

Arm abgenommen.<br />

Ich helfe einen armen Feldwebel <strong>der</strong> Vincenner Jäger<br />

verpflegen, dem beide Beine durchschossen wurden. Später<br />

begegnete ich ihm wie<strong>der</strong> in einem Spital in Brescia, aber<br />

er starb auf dem Rückweg über den Mont-Cenis.<br />

Der Lieutenant de Guiseul, den man schon tot glaubte,<br />

wird noch lebend auf <strong>der</strong>selben Stelle gef<strong>und</strong>en, wo er mit<br />

einer Fahne gefallen <strong>und</strong> bewusstlos liegengeblieben war.<br />

Der mutige, am Tag zuvor schwer verw<strong>und</strong>ete Unterlieutenant<br />

Fournier von den Gardefüsilieren beschliesst, erst 20 Jahre<br />

alt, seine militärische Laufbahn, die er als zehnjähriger Junge<br />

als Freiwilliger <strong>der</strong> Fremdenlegion begonnen hatte. Dort<br />

begräbt man den Kommandanten de Pontgibaud, welcher<br />

während <strong>der</strong> Nacht seinen W<strong>und</strong>en erlegen ist, sowie den<br />

vor kaum acht Tagen zum Bataillonskommandeur beför<strong>der</strong>ten<br />

jungen Grafen Saint-Paer. Der Artilleriegeneral Auger wird<br />

in das Feldlazarett von Casa Jtforino getragen. Ein Sechsplün<strong>der</strong><br />

hat ihm die linke Schulter zerschmettert itnd seit<br />

24 St<strong>und</strong>en sitzt die Kugel tief in den Achselmuskeln fest.<br />

In Castiglione, wohin er verbracht wird, tritt <strong>der</strong> Brand<br />

hinzu, <strong>der</strong> Arm fallt ab <strong>und</strong> <strong>der</strong> General erliegt seinen Qualen.<br />

Die Generale Ladmirault <strong>und</strong> Dieu kommen gleichfalls schwerverw<strong>und</strong>et<br />

in Castiglione an.<br />

Der Wassermangel macht sich immer fühlbarer. Glühend<br />

brennt die Sonne, die Gräben sind ausgetrocknet, die Soldaten<br />

haben nur abgestandenes <strong>und</strong> ungesun<strong>des</strong> Wasser, um


— 14 —<br />

ihren Durst zu löschen. An den Stellen, wo <strong>der</strong> geringste<br />

Wasserfaden o<strong>der</strong> ein tröpfeln<strong>der</strong> Brunnen sich findet, stehen<br />

Schildwachen mit geladenem Gewehr <strong>und</strong> haben alle Mühe,<br />

um das kostbare Wasser für die allerdringendsten Bedürfnisse<br />

zu retten.<br />

Eeiterlose, verw<strong>und</strong>ete Pferde, welche die ganze Naclit<br />

umhergestreift sind, schleppen sich zu ihren Kameraden, als<br />

ob sie Hilfe bei ihnen suchten; eine mitleidige Kugel erlöst<br />

sie von ihren Leiden.<br />

Einer dieser edeln Benner kommt allein inmitten einer<br />

französischen Truppenabteilung an. Aus dem am Sattel angeschnallten<br />

prächtigen Mantelsack erkennt man, dass er dem<br />

Prinzen von Isenburg gehört. Später entdeckt man den<br />

Prinzen selbst verw<strong>und</strong>et; aber eine sorgsame Pflege erlaubt<br />

ihm später die Rückkehr nach Deutschland, wo ihn seine<br />

Familie, da sie ohne Nachricht von ihm geblieben war, schon<br />

als tot betrauerte.<br />

Unter den toten Soldaten tragen einige den Ausdruck<br />

<strong>der</strong> Ruhe auf dem Antlitz; es sind diejenigen, welche plötzlich<br />

getroffen, auf <strong>der</strong> Stelle tot nie<strong>der</strong>sanken. Die aber,<br />

bei welchen <strong>der</strong> Tod nicht sofort eintrat, haben starre, vom<br />

To<strong>des</strong>kampf verzerrte Glie<strong>der</strong>; <strong>der</strong> Körper ist mit Flecken<br />

bedeckt, die Hände sind in die Erde eingekrallt, die Augen<br />

stier <strong>und</strong> Aveit geöffnet; durch den krampfhaft geöffneten<br />

M<strong>und</strong> schauen ihre zusammengepressten Zähne.<br />

Drei Tage <strong>und</strong> drei Nächte braucht man, um die auf<br />

dem Schlachtfeld liegenden Leichen zu bestatten. Bei <strong>der</strong><br />

grossen Ausdehnung <strong>des</strong>selben werden jedoch viele Leichname,<br />

die in Gräben versteckt liegen o<strong>der</strong> durch Büsche <strong>und</strong> Unebenheiten<br />

<strong>des</strong> Bodens verdeckt sind, erst sehr spät bemerkt:<br />

sie, sowie die toten Pferde, verpesten die Luft mit ihrem<br />

Geruch.<br />

Im französischen Heere wird von je<strong>der</strong> Compagnie eine<br />

Anzahl Soldaten bezeichnet, um die Namen <strong>der</strong> Gefallenen<br />

festzustellen <strong>und</strong> diese zu begraben. Soweit es angeht, thun


— lf> —<br />

dies Leute <strong>der</strong>selben Heeresabteilung für ihre Waffengefährten.<br />

Sie schreiben die Nummer <strong>der</strong> Ausrüstungsgegenstände <strong>des</strong><br />

Gefallenen auf <strong>und</strong> legen dann den Leichnam in die gemeinsame<br />

Grube. Unterstützt werden sie in dieser traurigen<br />

Aufgabe von bezahlten lombardischen Bauern. Aber lei<strong>der</strong><br />

müssen wir allem nach annehmen, dass bei <strong>der</strong> Hast, mit<br />

welcher ein so peinlicher Dienst notwendig verrichtet wird,<br />

durch die Achtlosigkeit <strong>und</strong> Nachlässigkeit <strong>der</strong> Mietlinge mehr<br />

als ein Leben<strong>der</strong> mit den Toten begraben wurde.<br />

Die bei den Offizieren vorgef<strong>und</strong>enen Briefe, Papiere<br />

<strong>und</strong> Orden, ihre Barschaft <strong>und</strong> Uhr werden ihren Familien<br />

zugeschickt. Aber bei <strong>der</strong> Menge von Leichen, die begraben<br />

werden müssen, ist es unmöglich, diese Aufgabe getreulich<br />

zu erfüllen.<br />

Ein von seinen Eltern vergötterter Sohn, den eine zärtliche<br />

Mutter viele Jahre lang aufgezogen <strong>und</strong> gepflegt, über<br />

<strong>des</strong>sen geringstes Unwohlsein sie sich geängstigt hatte; ein<br />

schmucker, von seiner Familie geliebter Offizier, <strong>der</strong> Frau<br />

<strong>und</strong> Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Heimat zurückgelassen hat; ein junger<br />

Soldat, <strong>der</strong> eben erst vielleicht von seiner Braut, fast immer<br />

aber von seiner Mutter, seinen Schwestern, seinem alten<br />

Vater hat scheiden müssen, — da liegt er nun im Schmutz<br />

<strong>und</strong> Staub in seinem Blute. Die W<strong>und</strong>e im Kopf hat sein<br />

Gesicht unkenntlich gemacht. Er liegt im To<strong>des</strong>kampf <strong>und</strong><br />

stirbt unter entsetzlichen Qualen; sein schwarzer, geschwollener<br />

<strong>und</strong> entstellter Leichnam wird in eine notdürftig ausgehobene<br />

Grube geworfen <strong>und</strong> mit etwas Kalk <strong>und</strong> Erde<br />

zugedeckt, <strong>und</strong> Raubvögel weiden sich an seinen Händen<br />

<strong>und</strong> Füssen, die aus dem aufgeweichten Boden o<strong>der</strong> aus <strong>der</strong><br />

Böschung herausragen, die ihm als Grab dient. Später wird<br />

man wohl wie<strong>der</strong>kommen, um etwas neue Erde aufzuschütten,<br />

vielleicht auch ein hölzernes Kreuz über seiner Ruhestatt<br />

aufzurichten, aber das wird auch alles sein.<br />

Die Leichen <strong>der</strong> Oestreieher liegen zu Tausenden auf<br />

den Hügeln <strong>und</strong> Ebenen von Medole mit ihren schmutz-


— IG —<br />

bedeckten Mänteln, zerrissenen Drillichwämsern <strong>und</strong> von Blut<br />

getränkten weissen Waffenröcken. Schwärme von Raben<br />

umkreisen sie, in <strong>der</strong> Hoffnung, sich an ihnen zu sättigen.<br />

H<strong>und</strong>ertweise werden die Leichen in den grossen Massengräbern<br />

aufeinan<strong>der</strong>gehäuft.<br />

Leicht verw<strong>und</strong>ete Oestreicher, junge frisch ausgehobene<br />

Mannschaften haben sich aus Müdigkeit <strong>und</strong> Entkräftung<br />

nie<strong>der</strong>geworfen, sobald sie ausser Schussweite waren, sind<br />

dann durch den Blutverlust geschwächt liegen geblieben <strong>und</strong><br />

vor Hunger <strong>und</strong> Erschöpfung elend zu Gr<strong>und</strong>e gegangen.<br />

Wie gross wird euer Schmerz sein, ihr armen Mütter in Oestreich,<br />

Ungarn <strong>und</strong> Böhmen, wenn ihr hört, dass eure Söhne<br />

ohne Pflege, Hilfe <strong>und</strong> Trost im Fein<strong>des</strong>land gestorben sind!<br />

Eecht traurig ist auch das Los <strong>der</strong> östreichischen Gefangenen.<br />

Wie gemeines Vieh führt man sie unter guter<br />

Bedeckung nach Brescia, wo sie zwar kein Wohlwollen, aber<br />

doch Ruhe finden.<br />

Einige französische Soldaten wollen sich an ungarischen<br />

Gefangenen vergreifen, welche sie für Kroaten halten, „diesen<br />

Enghosen", welche, wie sie erbittert ausrufen, die Verw<strong>und</strong>eten<br />

immer nie<strong>der</strong>machen. Mit Mühe gelingt es mir, diese armen<br />

zitternden Gefangenen zu retten.<br />

Mehrere östreichische Offiziere erhalten auf dem Schlachtfeld<br />

die Vergünstigung, ihren Degen zu behalten, <strong>und</strong> bekommen<br />

dieselbe Kost wie die französischen Offiziere. Manche<br />

Soldaten <strong>des</strong> verbündeten Heeres teilen mit den halbverhungerten<br />

Gefangenen brü<strong>der</strong>lich ihren Zwieback. Verschiedene<br />

von ihnen nehmen sogar die Verw<strong>und</strong>eten auf den Rücken,<br />

um sie auf die Verbandplätze zu tragen. In meiner Nähe<br />

umwickelt ein Lieutenant <strong>der</strong> Garde mit seinem weissen<br />

Taschentuch einem Tyroler die klaffende Kopfw<strong>und</strong>e, die<br />

zuvor kaum mit einem schmutzigen Leinwandfetzen bedeckt<br />

war.<br />

Am Tag zuvor, im stärksten Kampfgewühl, hatte sich<br />

<strong>der</strong> Kommandant de la Rochefoucauld-Liancourt , ein ver-


— 17 —<br />

wegener afrikanischer Jäger, auf die ungarischen Vierecke<br />

geworfen; aber sein Pferd wurde von einer Menge Kugeln<br />

durchbohrt, <strong>und</strong> er selbst fiel, von zwei Schüssen getroffen,<br />

in die Hände <strong>der</strong> Ungarn. Als <strong>der</strong> östreiehische Kaiser<br />

erfuhr, dass ein la Rochefoucauld verw<strong>und</strong>et von seinen<br />

Truppen gefangen genommen worden sei, befahl er, ihm die<br />

rücksichtsvollste Behandlung <strong>und</strong> die beste Pflege angedeihen<br />

zu lassen.<br />

Die Militärverwaltung lässt fortwährend, so gut es eben<br />

geht, die Verw<strong>und</strong>eten auflesen. Ob verb<strong>und</strong>en o<strong>der</strong> nicht,<br />

werden diese auf Maultieren o<strong>der</strong> Tragstühlen in die Feldlazarette<br />

<strong>der</strong> zunächst liegenden Dörfer <strong>und</strong> Flecken verbracht.<br />

In diesen Ortschaften werden Kirchen, Klöster,<br />

Häuser, öffentliche Plätze, Strassen <strong>und</strong> Spaziergänge, kurzum<br />

alles zu vorläufigen Spitälern hergerichtet.<br />

In Carpendolo, Castel-Goffredo, Medole, Guidizzolo, Volta<br />

<strong>und</strong> den umliegenden Oertlichkeiten kommt eine ansehnliche<br />

Menge von Verw<strong>und</strong>eten an; die meisten kommen jedoch nach<br />

Castiglione, wohin die weniger Verstümmelten sich schon<br />

selbst hatten schleppen können.<br />

Da naht eben <strong>der</strong> lange Zug von Wagen, auf ihnen<br />

Soldaten, Unteroffiziere <strong>und</strong> Offiziere aller Grade, alles bunt<br />

durcheinan<strong>der</strong>: Reiter, Fussvolk <strong>und</strong> Kanoniere, blutig, erschöpft,<br />

zerlumpt <strong>und</strong> staubbedeckt. Je<strong>der</strong> Stoss <strong>des</strong> Karrens,<br />

auf dem sie liegen, verursacht ihnen neue Qualen. Nach<br />

ihnen kommen Maultiere angetrabt , <strong>der</strong>en Gangart den unglücklichen<br />

Verw<strong>und</strong>eten bei jedem Tritt Schmerzensrufe<br />

auspresst. Manche sterben unterwegs. Ihre Leichen werden<br />

am Strassenrand nie<strong>der</strong>gelegt; für die Bestattung sollen<br />

an<strong>der</strong>e sorgen! Diese Toten werden als „verschw<strong>und</strong>en" eingetragen.<br />

Von Castiglione aus, wohin es zunächst geht, sollen die<br />

Verw<strong>und</strong>eten in die Spitäler von Brescia, Cremona, Bergamo,<br />

Mailand <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en lombardischen Städten geführt werden,<br />

um alsdann eine regelrechte Pflege zu erhalten <strong>und</strong> sich den<br />

2


— 18 —<br />

nötigen Amputationen zu unterziehen. Aber da es an Beför<strong>der</strong>ungsmitteln<br />

fehlt, so muss man sie mehrere Tage in<br />

Castiglione warten lassen.<br />

Von <strong>der</strong> Ueberfüllung, die in dieser Stadt herrscht, kann<br />

man sich keine Vorstellung machen. Bald wird sie für Franzosen<br />

wie Oestreicher zu einem in <strong>der</strong> Eile errichteten ungeheuren<br />

Spital. Schon am Tag <strong>der</strong> Schlacht war hier das<br />

Feldlazarett für das grosse Hauptquartier eingerichtet worden.<br />

Kisten mit Scharpie, chirurgischen Werkzeugen <strong>und</strong> Arzneimitteln<br />

sind ausgepackt worden, <strong>und</strong> die Einwohner haben<br />

alles hergegeben, was sie an Decken, Leinwand, Strohsäcken<br />

<strong>und</strong> Matratzen entbehren konnten.<br />

Das Spital von Castiglione, das Kloster, die Ludwigskaserne,<br />

die Kapuzinerkirche, die Feldjägerkaserne, die<br />

Kirchen Maggiore, San Giuseppe <strong>und</strong> Santa Eosalia, alle sind<br />

sie mit Verw<strong>und</strong>eten angefüllt, die haufenweise auf Stroh<br />

gebettet liegen. Auch in den Hofräumen <strong>und</strong> auf den öffentlichen<br />

Plätzen wird Stroh für sie gestreut. Bretterdächer<br />

werden in <strong>der</strong> Eile aufgeschlagen <strong>und</strong> Leinwand ausgespannt,<br />

um sie gegen die sengenden Sonnenstrahlen zu schützen.<br />

Die Privathäuser werden alsbald in Lazarette verwandelt<br />

<strong>und</strong> Offiziere <strong>und</strong> Soldaten von den Bewohnern aufgenommen.<br />

Einige von diesen eilen verstört durch die Strassen <strong>und</strong><br />

suchen nach einem Arzt für ihre Pfleglinge; an<strong>der</strong>e wan<strong>der</strong>n<br />

trostlos in <strong>der</strong> Stadt umher <strong>und</strong> bitten flehentlich, man möge<br />

doch die Leichen, mit denen sie nichts anzufangen wissen,<br />

aus ihren Wohnungen fortschaffen.<br />

Mehrere französische W<strong>und</strong>ärzte, die in Castiglione geblieben<br />

sind <strong>und</strong> die durch junge italienische Aerzte, sowie<br />

durch Lazarettgehilfen unterstützt werden, arbeiten mit ihren<br />

Instrumenten <strong>und</strong> legen Verbände an.<br />

Aber all dies ist ganz ungenügend!<br />

Im Laufe <strong>des</strong> Samstags werden die Verw<strong>und</strong>etenzüge<br />

so zahlreich, dass die Verwaltung, die Einwohner <strong>und</strong> die


— 19 —<br />

kleine in Castiglione zurückgelassene Truppenabteilung ausser<br />

Stand sind, all dem Elend entgegenzutreten.<br />

Jetzt beginnen jammervolle Auftritte! Es fehlt we<strong>der</strong><br />

an Wasser noch an Lebensmitteln, <strong>und</strong> doch verhungern <strong>und</strong><br />

verdursten die Verw<strong>und</strong>eten! Scharpie ist in Hülle <strong>und</strong><br />

Fülle vorhanden, aber es fehlt an Händen, um sie auf die<br />

W<strong>und</strong>en zu legen. Die meisten Militärärzte sind nach Cavriana<br />

berufen worden, <strong>und</strong> so fehlt es in diesem entscheidenden<br />

Augenblick an Krankenwärtern <strong>und</strong> hilfreichen Armen.<br />

Und doch muss man, wie es eben geht, einen freiwilligen<br />

Krankendienst einrichten, so schwer dies auch inmitten einer<br />

<strong>der</strong>artigen Unordnung hält. Zu allem Unheil wird die unglückliche<br />

Lage <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten noch durch eine Panik<br />

erschwert, welche, durch einen geringfügigen Umstand hervorgerufen,<br />

die Bewohner von Castiglione befällt.<br />

Nachdem die einzelnen französischen Heeresabteilungen<br />

sich wie<strong>der</strong> zusammengef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Stellung genommen hatten,<br />

hatte man am Tag nach <strong>der</strong> Schlacht Züge von Gefangenen<br />

zusammengestellt, die nun über Castiglione <strong>und</strong> Montechiaro<br />

nach Brescia geleitet wurden. Eine dieser Abteilungen nun,<br />

die unter einer Deckung von Husaren von Cavriana heranzog,<br />

hielten die Bewohner von Castiglione für das in Masse zurückkehrende<br />

östreichische Heer. Entsetzte Bauern, die Hilfsfuhrleute<br />

<strong>der</strong> Gepäckwagen <strong>und</strong> Marketen<strong>der</strong> hatten Lärm<br />

geschlagen.<br />

Sogleich werden die Häuser geschlossen <strong>und</strong> von den<br />

Einwohnern verrammelt; die dreifarbigen Fahnen, mit denen<br />

sie zuvor ihre Fenster geschmückt hatten, werden verbrannt<br />

<strong>und</strong> die Leute selbst verbergen sich in ihren Kellern o<strong>der</strong><br />

auf ihren Speichern. Einige retten sich unter Mitnahme ihrer<br />

kostbarsten Habseligkeiten mit Weib <strong>und</strong> Kind auf die Fel<strong>der</strong>;<br />

an<strong>der</strong>e, weniger furchtsam <strong>und</strong> berechnen<strong>der</strong>, bleiben in ihren<br />

Wohnungen, nehmen die ersten besten östreichischen Verw<strong>und</strong>eten,<br />

die ihnen in die Hände fallen, in ihre Häuser,<br />

auf <strong>und</strong> überhäufen sie mit Aufmerksamkeiten.


— 20 —<br />

In den Strassen, auf den Wegen, welche mit Verw<strong>und</strong>etentransporten<br />

<strong>und</strong> Proviantzügen ganz angefüllt sind, jagen<br />

Munitionswagen davon, fliehen Pferde nach allen Eichtungen,<br />

ertönen Angst- <strong>und</strong> Zornesrufe <strong>und</strong> Schmerzensschreie. Gepäckwagen<br />

werden umgeworfen, Brot <strong>und</strong> Zwieback in<br />

die Strassengräben geschleu<strong>der</strong>t. Die gemieteten Fuhrleute<br />

spannen die Pferde aus, jagen in gestrecktem Lauf Brescia<br />

zu <strong>und</strong> verbreiten auf ihrem ganzen Wege Furcht <strong>und</strong> Entsetzen.<br />

Sie stossen an die Proviantwagen an <strong>und</strong> reiten über<br />

Verw<strong>und</strong>ete weg, welche, wahnsinnig vor Schrecken, flehen,<br />

dass man sie beiseite schaffe. In <strong>der</strong> Stadt reissen viele <strong>der</strong><br />

Kranken, taub gegen alle Vorstellungen, ihren Verband ab<br />

<strong>und</strong> schwanken aus den Kirchen hinaus auf die Strassen, um<br />

dort bald gestossen <strong>und</strong> gequetscht zu werden <strong>und</strong> vor Erschöpfung<br />

<strong>und</strong> Schmerz nie<strong>der</strong>zusinken.<br />

Von Avieviel To<strong>des</strong>kämpfen <strong>und</strong> Leiden vermöchten die<br />

drei Tage vom 25. bis 27. Juni zu erzählen!<br />

Durch die Hitze, den Staub <strong>und</strong> den Mangel an Wasser<br />

<strong>und</strong> an Pflege sind die W<strong>und</strong>en bösartig <strong>und</strong> recht schmerzhaft<br />

geworden. Ekelhafte Dünste verpesten die Luft, trotz<br />

aller Anstrengungen, die man macht, um die als Lazarette<br />

dienenden Räumlichkeiten in gutem Stande zu erhalten.<br />

Da unaufhörlich mit je<strong>der</strong> Viertelst<strong>und</strong>e neue Züge von<br />

Verw<strong>und</strong>eten in Castiglione eintreffen, so macht sich <strong>der</strong><br />

Mangel an Hilfsärzten, Krankenpflegern <strong>und</strong> Dienern immer<br />

schmerzlicher fühlbar. Trotz <strong>der</strong> rastlosen Thätigkeit <strong>der</strong><br />

Verwaltung, welche vermittelst Ochsenkarren Verw<strong>und</strong>etenzüge<br />

nach Brescia zusammenstellt, trotz <strong>des</strong> eifrigen Entgegenkommens<br />

<strong>der</strong> Einwohnerschaft von Castiglione, welche<br />

die Kranken beför<strong>der</strong>n hilft, gehen immer noch viel mehr<br />

Verw<strong>und</strong>ete zu als ab, <strong>und</strong> die Ueberfüllung wird immer<br />

grösser.<br />

Auf den Steinplatten <strong>der</strong> Kirchen von Castiglione liegen,


— 21 —<br />

Seite an Seite gedrängt, Verw<strong>und</strong>ete je<strong>der</strong> Herkunft; Franzosen<br />

<strong>und</strong> Deutsche, Slaven <strong>und</strong> Araber sind dort vorläufig<br />

untergebracht <strong>und</strong> füllen sie bis in ihre hintersten Winkel.<br />

Viele haben nicht mehr die Kraft sich zu bewegen <strong>und</strong> können<br />

sich in dem engen Eaum nicht drehen <strong>und</strong> rühren. Flüche,<br />

Lästerungen <strong>und</strong> lautes Geschrei, das sich nicht wie<strong>der</strong>geben<br />

lässt, hallen in den heiligen Bäumen, wie<strong>der</strong>.<br />

„Ach, Herr! wie ich leide!" sagen zu mir einige dieser<br />

Unglücklichen, „niemand nimmt sich unser an, man lässt.uns<br />

elend sterben, <strong>und</strong> doch haben wir uns wacker geschlagen."<br />

— Trotz <strong>der</strong> schlaflos zugebrachten Nächte, trotz <strong>der</strong> durchgemachten<br />

Anstrengungen finden sie keine Ruhe. In ihrer<br />

Herzensangst flehen sie um Hilfe <strong>und</strong> finden keine. Einige<br />

wälzen sich in <strong>der</strong> Verzweiflung krampfhaft hin <strong>und</strong> her, bis<br />

<strong>der</strong> Starrkrampf <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tod sie erlöst. An<strong>der</strong>e weigern<br />

sich ihre Binden anfeuchten zu lassen, weil sie glauben, die<br />

vielen Würmer die sich in ihren eitrigen W<strong>und</strong>en zeigen,<br />

rühren von dem darauf gegossenen kalten Wasser her.<br />

An<strong>der</strong>en wie<strong>der</strong>um, die das Glück gehabt haben, schon auf<br />

dem Schlachtfeld in den dort vorübergehend errichteten Feldlazaretten<br />

verb<strong>und</strong>en zu werden, wird ihr Verband während<br />

ihres unfreiwilligen Aufenthalts in Castiglione nicht mehr<br />

erneuert, <strong>und</strong> die mit Eücksicht auf die Stösse während <strong>der</strong><br />

Fahrt aussei ordentlich eng angelegten Binden verursachen<br />

ihnen jetzt wahre Folterqualen.<br />

Hier schauen sich Verw<strong>und</strong>ete nach allen Seiten hilfesuchend<br />

um, denn ihr Gesicht ist ganz schwarz mit Fliegen<br />

besetzt, die in Menge umherschwärmen <strong>und</strong> sich auf ihre<br />

W<strong>und</strong>en nie<strong>der</strong>lassen. Aber niemand antwortet ihnen. Bei<br />

diesen dort bilden Mantel, Hemd, Fleisch <strong>und</strong> Blut eine feste<br />

unlösliche Masse.<br />

Hier liegt ein ganz entstellter Soldat, <strong>des</strong>sen Zunge unverhältnismässig<br />

lang aus seinen zerschmetterten Kinnladen<br />

heraushängt. Er macht verzweifelte Anstrengungen, um aufzustehen:<br />

ich benetze seinen ausgetrockneten Gaumen <strong>und</strong>


— 22 —<br />

seine hartgewordene Zange, tauche eine Handvoll Scharpie<br />

in den Eimer, den man mir nachträgt, <strong>und</strong> drücke das Wasser<br />

aus diesem künstlichen Schwamm in die unförmliche Oeffnung,<br />

die hei ihm den M<strong>und</strong> ersetzt.<br />

Dort ist ein Unglücklicher, <strong>der</strong> durch einen Säbelhieb<br />

einen Teil <strong>des</strong> Gesichts, Nase, Lippen <strong>und</strong> Kinn verloren<br />

hat; ausser Stand zu sprechen <strong>und</strong> halb blind, giebt er<br />

Zeichen mit <strong>der</strong> Hand <strong>und</strong> zieht durch diese herzzerreissenden,<br />

von röchelnden Lauten begleiteten Gebärden die Aufmerksamkeit<br />

auf sich. Ich gebe ihm zu trinken, indem ich<br />

auf sein blutiges Gesicht sachte ein wenig reines Wasser<br />

träufle.<br />

Ein dritter mit gespaltenem Schädel liegt im Sterben,<br />

Avährend sein Blut über die Steinplatten <strong>der</strong> Kirche rinnt.<br />

Es ist ein schrecklicher Anblick; seine Unglücksgefährten<br />

stossen ihn mit dem Fusse auf die Seite, weil er ihnen den<br />

Weg versperrt. Ich schütze ihn während <strong>der</strong> letzten Augenblicke<br />

seines Lebens <strong>und</strong> bedecke sein armes Haupt, das er<br />

noch schwach hin <strong>und</strong> her bewegt, mit einem Tuche.<br />

Obschon je<strong>des</strong> Gebäude sich in ein Krankenhaus verwandelt<br />

hat, <strong>und</strong> jede Familie sich <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> aufgenommenen<br />

verw<strong>und</strong>eten Offiziere widmet, glückt es mir<br />

dennoch schon Sonntag früh, eine Anzahl Frauen aus dem<br />

Volk zusammenzubringen, welche nach Kräften mitwirken,<br />

um den vielen Tausenden von hilflosen Verw<strong>und</strong>eten Beistand<br />

zu leisten. Hier gilt es, Leute welche buchstäblich vor<br />

Hunger <strong>und</strong> Durst sterben, zu speisen <strong>und</strong> vor allem zu<br />

tränken, ihre W<strong>und</strong>en zu verbinden, diese blutigen, mit<br />

Schmutz <strong>und</strong> Würmern bedeckten Körper zu waschen, <strong>und</strong><br />

dies alles in einer glühend lieissen Luft, inmitten übelriechen<strong>der</strong>,<br />

ekelerregen<strong>der</strong> Ausdünstungen <strong>und</strong> umtönt von Klagen<br />

<strong>und</strong> Schmerzgeheul.<br />

Ein erster Kern von Freiwilligen ist jetzt wenigstens<br />

gebildet. So gut es geht, ordne ich die Hilfeleistungen in<br />

dem Stadtviertel an, welches ihrer am meisten zu bedürfen


— 23 —<br />

scheint, <strong>und</strong> ich wähle eine <strong>der</strong> Kirchen Castigliones, die<br />

Chiesa Maggiore. '<br />

An fünfh<strong>und</strong>ert Soldaten liegen dort auf Stroh zusammengedrängt;<br />

h<strong>und</strong>ert an<strong>der</strong>e leiden <strong>und</strong> stöhnen auf dem Platz<br />

vor <strong>der</strong> Kirche.<br />

In den Kirchen gehen die lombardischen Frauen mit<br />

Krügen <strong>und</strong> Eimern voll klaren Wassers von einem zum an<strong>der</strong>n,<br />

um ihren Durst zu löschen <strong>und</strong> ihre W<strong>und</strong>en zu befeuchten.<br />

Einige von diesen improvisierten Krankenwärterinnen sind<br />

fre<strong>und</strong>liche alte Frauen, an<strong>der</strong>e anmutige junge Mädchen;<br />

ihre Sanftmut <strong>und</strong> Güte, ihr Mitleid <strong>und</strong> ihre aufmerksame<br />

Pflege flössen den Kranken wie<strong>der</strong> einigen Mut ein. Knaben<br />

aus dem Ort gehen mit Eimern, Kübeln o<strong>der</strong> Giesskannen<br />

zwischen den Kirchen <strong>und</strong> den nächsten Brunnen ab <strong>und</strong> zu.<br />

Nach dem Wasser wird Fleischbrühe <strong>und</strong> Suppe ausgeteilt<br />

, die in ganz ausserordentlicher Menge vom Verpflegungsamt<br />

hergestellt werden müssen.<br />

Ungeheure Ballen Scharpie liegen da :<strong>und</strong> dort. Je<strong>der</strong>mann<br />

kann ausgiebigen Gebrauch davon machen, aber es<br />

fehlt an Binden, Leinwand <strong>und</strong> Hemden, <strong>und</strong> es kostet grosse<br />

Mühe, sich die allernotwendigsten Gegenstände zu verschaffen.<br />

Trotzdem gelingt es mir durch Vermittlung dieser wackeren<br />

Frauen, die schon all ihr altes Leinenzeug hergegeben haben,<br />

neue Hemden zu kaufen, <strong>und</strong> am Montag in aller Frühe<br />

schicke ich meinen Kutscher nach Brescia, um dort Vorräte<br />

zu holen. Einige St<strong>und</strong>en später kommt er zurück, seinen<br />

Einspänner mit Schwämmen, leinenen Binden, Stecknadeln,<br />

Cigarren, Tabak, Kamillen, Malven, Hol<strong>und</strong>er, Orangen,<br />

Zucker <strong>und</strong> Zitronen beladen. Jetzt ist es wenigstens möglich,<br />

eine erfrischende Limonade zu reichen, die W<strong>und</strong>en mit<br />

einem Malvenabsud zu waschen, laue Umschläge zu machen<br />

<strong>und</strong> frische Binden anzulegen.<br />

Inzwischen haben wir neue Hilfsmannschaft gewonnen:<br />

zuerst einen alten Seeoffizier, sodann zwei englische Touristen,<br />

welche ihre Neugierde in die Kirche geführt hat <strong>und</strong> die wir


— 24 —<br />

fast mit Gewalt zurückhalten. Zwei an<strong>der</strong>e Englän<strong>der</strong> zeigen<br />

dagegen grosse Bereitwilligkeit uns zu helfen, <strong>und</strong> verteilen<br />

Cigarren unter die Oestreicher. Ein italienischer Abate, drei<br />

bis vier Eeisende <strong>und</strong> Neugierige, ein Schweizer Kaufmann<br />

aus Neuenbürg, ein Zeitungsberichterstatter aus Paris, <strong>der</strong><br />

später die Leitung <strong>der</strong> Hilfeleistungen in einer Nachbarkirche<br />

übernimmt, <strong>und</strong> einige Offiziere <strong>der</strong> in Castiglione stehenden<br />

Truppenabteilung gewähren uns ihren Beistand.<br />

Aber bald ziehen sich mehrere dieser freiwilligen Kr ankenpfleger<br />

zurück, da sie den Anblick all dieser Leiden nicht<br />

auf die Dauer ertragen können. Der Abate folgt ihrem Beispiel,<br />

kommt aber wie<strong>der</strong> zurück, um uns mit zarter Aufmerksamkeit<br />

an wohlriechenden Kräutern <strong>und</strong> flüchtigen Salzen<br />

riechen zu lassen. Ein Tourist, den <strong>der</strong> Anblick dieser<br />

lebenden Menschentrümmer übermannt, wird krank vor Gemütserregung.<br />

Der Neuenburger Kaufmann fährt zwei Tage<br />

lang ausdauernd fort, die W<strong>und</strong>en zu verbinden <strong>und</strong> für die<br />

Sterbenden Abschiedsbriefe an ihre Familien zu schreiben.<br />

Ein Belgier ist so sehr von mitleidiger Aufregung ergriffen,<br />

dass man ein hitziges Fieber für ihn befürchtet <strong>und</strong> Mühe<br />

hat, ihn zu beschwichtigen.<br />

Einige Leute von <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Stadt zurückgelassenen Besatzung<br />

versuchen ihren Kameraden beizustehen, aber sie<br />

vermögen nicht einen Anblick auszuhalten, <strong>der</strong> ihre Einbildungskraft<br />

allzu lebhaft beeinflusst <strong>und</strong> sie so mutlos macht.<br />

In<strong>des</strong>sen hilft uns ein bei Magenta verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> notdürftig<br />

wie<strong>der</strong>hergestellter Geniekorpora], <strong>der</strong> auf dem Rückweg<br />

zu seinem Bataillon begriffen ist <strong>und</strong> dem sein Eeiseschein<br />

einige Tage Aufenthalt gestattet, mit Mut <strong>und</strong> Ausdauer.<br />

Der in Castiglione zurückgebliebene französische Intendant<br />

gestattet endlich auf meine dringenden Bitten, einige<br />

ges<strong>und</strong>e Gefangene, sowie drei bis vier östreichische Aerzte<br />

zur Unterstützung <strong>der</strong> allzu spärlichen französischen W<strong>und</strong>ärzte<br />

<strong>und</strong> zum Dienst in den Spitälern zu verwenden.<br />

Ein deutscher Arzt, <strong>der</strong> freiwillig auf dem Schlachtfeld


— 25 —<br />

zurückgeblieben ist, um die Verw<strong>und</strong>eten zu verbinden, widmet<br />

seine Dienste den Verw<strong>und</strong>eten bei<strong>der</strong> Heere, <strong>und</strong> erhält<br />

dafür vom Intendanten nach drei Tagen die Erlaubnis, wie<strong>der</strong><br />

zu seinen Landsleuten nach Mantua zu gehen.<br />

„Lassen Sie mich nicht sterben," riefen in ihrer Verzweiflung<br />

einige <strong>der</strong> mit dem Tod ringenden Verw<strong>und</strong>eten,<br />

indem sie mich bei <strong>der</strong> Hand fassten; aber gleich darauf<br />

hauchten sie ihr Leben aus.<br />

„Ach, Herr! wenn Sie doch meinem Vater schreiben<br />

könnten, er möchte meine arme Mutter trösten!" sagte zu<br />

mir mit thränenerfüllten Augen ein kaum zwanzigjähriger<br />

Gefreiter Namens Mazuet. Ich liess mir die Adresse seiner<br />

Eltern geben, <strong>und</strong> wenige Augenblicke nachher war er gestorben.<br />

— Die einzige Nachricht, welche die Eltern, die in<br />

Lyon, rue d'Alger Nr. 3 wohnten, von diesem ihrem einzigen<br />

Sohne erhielten, war die, welche ich ihnen zukommen liess:<br />

vermutlich ist er, wie so viele an<strong>der</strong>e, als „verschw<strong>und</strong>en"<br />

eingetragen worden.<br />

Ein alter Sergeant mit mehreren Schnüren am Aermel<br />

sagte wie<strong>der</strong>holt mit tiefer Trauer <strong>und</strong> bitterer Ueberzeugung:<br />

„hätte man mich früher gepflegt, so hätte ich am Leben bleiben<br />

können, so aber'werde ich heute abend tot sein." — Am<br />

Abend war er wirklich tot.<br />

„Ich will nicht sterben! ich will nicht sterben!" tobte<br />

in wildem Trotz ein Grenadier <strong>der</strong> Garde, <strong>der</strong>, noch vor<br />

drei Tagen ein Bild von Kraft <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, jetzt aber<br />

zum Tode verw<strong>und</strong>et <strong>und</strong> sich wohl bewusst, dass seine<br />

Augenblicke unwi<strong>der</strong>ruflich gezählt sind, sich gegen diese<br />

düstere Gewissheit sträubte. Ich spreche mit ihm, er hört<br />

mich an, <strong>und</strong> zuletzt besänftigt, beruhigt <strong>und</strong> getröstet,<br />

schickt sich <strong>der</strong> Mann darein, mit <strong>der</strong> Einfalt eines Kin<strong>des</strong><br />

zu sterben.<br />

Im Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kirche, in einer Altarnische, liegt<br />

auf Stroh gebettet ein afrikanischer Jäger. Drei Kugeln


— 26 —<br />

haben ihn getroffen, eine in die rechte Seite, eine an<strong>der</strong>e in<br />

die linke Schulter; die dritte ist im rechten Bein stecken geblieben.<br />

Es ist Sonntag, <strong>und</strong> er versichert mir, dass er seit<br />

Freitag nichts, gegessen habe. Ueber <strong>und</strong> über ist er mit<br />

getrocknetem Schmutz <strong>und</strong> geronnenem Blut bedeckt; seine<br />

Klei<strong>der</strong> sind zerrissen, sein Hemd zerfetzt. Nachdem ich ihm<br />

seine W<strong>und</strong>en ausgewaschen, ihm etwas Fleischbrühe eingegossen<br />

<strong>und</strong> ihn in einen Teppich eingewickelt habe, führt<br />

er mit einem Ausdruck unaussprechlicher Dankbarkeit meine<br />

Hand an seine Lippen; — Später konnte man ihn nach einem<br />

besseren Lazarett verbringen lassen.<br />

Beim Eingang in die Kirche liegt ein Ungar, <strong>der</strong> mit<br />

herzzerreissen<strong>der</strong> Stimme unablässig nach einem Arzte ruft.<br />

Sein Rücken <strong>und</strong> seine Schultern sind von Kartätschenstücken<br />

zerschossen: sie sehen aus, als wären sie von eisernen Hacken<br />

zerrissen worden <strong>und</strong> zeigen das rote zuckende Fleisch. Der<br />

übrige Teil <strong>des</strong> Körpers ist geschwollen, grünlichschwarz <strong>und</strong><br />

schrecklich anzusehen. Er kann we<strong>der</strong> liegen noch sitzen.<br />

Ich tauche einige Scharpiebüschel in frisches Wasser <strong>und</strong><br />

versuche, ihm daraus eine Lagerstätte zu bereiten, aber <strong>der</strong><br />

Brand wird ihn wohl bald hinwegraffen.<br />

Etwas weiter weg liegt ein sterben<strong>der</strong> Zuave, <strong>der</strong> heisse<br />

Thränen weint <strong>und</strong> den man wie ein kleines Kind trösten<br />

muss. Die vorangegangenen Anstrengungen, <strong>der</strong> Mangel an<br />

Nahrung <strong>und</strong> Ruhe, die Heftigkeit <strong>des</strong> Schmerzes <strong>und</strong> die<br />

Furcht, so hilflos sterben zu müssen, haben selbst bei unerschrockenen<br />

Soldaten eine nervöse Empfindlichkeit zur Folge,<br />

welche sich durch Schluchzen verrät. Einer von den Gedanken,<br />

die die Leute am meisten beschäftigen, wenn sie<br />

nicht gar zu schrecklich leiden, ist die Erinnerung an ihre<br />

Mutter <strong>und</strong> die Furcht vor dem Kummer, den sie empfinden<br />

wird, wenn sie ihr Schicksal erfährt. Auf einem Toten fanden<br />

wir ein Medaillon mit dem Bildnis einer bejahrten Frau,<br />

ohne Zweifel seiner Mutter, welches <strong>der</strong> Gefallene um den<br />

Hals trag <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> linken Hand ans Herz drückte.


— 27 —<br />

In dem Teil <strong>der</strong> Chiesa Maggiore, welcher dem Hauptthore<br />

zunächst liegt, sind jetzt etwa h<strong>und</strong>ert französische<br />

Soldaten <strong>und</strong> Unteroffiziere auf Stroh gebettet <strong>und</strong> je<strong>der</strong> in<br />

eine Decke gehüllt. Sie bilden zwei gleichlaufende Reihen,<br />

zwischen denen man hindurchgehen kann. Sie sind alle verb<strong>und</strong>en,<br />

<strong>und</strong> die Verteilung <strong>der</strong> Suppe ist vorüber, Sie liegen<br />

ruhig da <strong>und</strong> sehen mir nach: alle Köpfe wenden sich nach<br />

rechts, wenn ich nach rechts gehe, nach links, wenn ich nach<br />

links gehe, <strong>und</strong> aufrichtige Dankbarkeit drückt sich in ihren<br />

erstaunten Mienen aus. „Man merkt wohl, dass das ein<br />

Pariser ist," sagen die einen. — „Nein," erwi<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>e,<br />

„er sieht aus als wäre er aus dem Süden." — „Nicht wahr,<br />

mein Herr, Sie sind aus Bordeaux?" fragt mich ein dritter;<br />

kurz je<strong>der</strong> meint, ich müsse aus seiner Provinz o<strong>der</strong> Stadt<br />

sein. — Später begegnete ich wie<strong>der</strong> einigen dieser Verw<strong>und</strong>eten,<br />

jetzt, amputierten Invaliden: sobald sie mich erkannten,<br />

hielten sie mich an, um ihre Dankbarkeit für die in<br />

Oastiglione genossene Pflege zu bezeugen. „Wir nannten<br />

Sie den weissen Herrn", sagte mir einer von ihnen in<br />

seiner malerischen Sprache, „weil Sie ganz in weiss gekleidet<br />

waren; es war aber auch nicht übel lieiss."<br />

Die Ergebung dieser armen Soldaten in ihr Schicksal<br />

war oft rührend; sie duldeten, ohne sich zu beklagen, sie<br />

starben anspruchslos <strong>und</strong> still.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite <strong>der</strong> Kirche scheuen sich einige verw<strong>und</strong>ete<br />

gefangene Oestreicher, eine Pflege anzunehmen, <strong>der</strong><br />

sie nicht trauen. Zornig reissen sie ihren Verband weg <strong>und</strong><br />

lassen ihre W<strong>und</strong>en bluten. An<strong>der</strong>e bleiben still, finster <strong>und</strong><br />

teilnahmlos. Aber die meisten sind weit davon entfernt, sich<br />

gefühllos gegen die gute Behandlung zu zeigen, <strong>und</strong> ihr<br />

Gesicht drückt ihre Dankbarkeit aus. Einer von ihnen,<br />

ungefähr 19 Jahre alt, <strong>der</strong> mit etwa vierzig seiner Landsleute<br />

in den entferntesten Winkel <strong>der</strong> Kirche verwiesen<br />

worden ist, hat seit zwei Tagen nichts genossen. Er hat<br />

ein Auge verloren <strong>und</strong> liegt in Fieberschauern; kaum noch


- 28 —<br />

hat er die Kraft zu sprechen <strong>und</strong> etwas Fleischbrühe zu sich<br />

zu nehmen. Unter unserer Pflege lebt er wie<strong>der</strong> auf, <strong>und</strong><br />

24 St<strong>und</strong>en später, als man ihn nach Brescia schicken konnte,<br />

verliess er uns mit Bedauern <strong>und</strong> fast in Verzweiflung, indem<br />

er die Hände <strong>der</strong> barmherzigen Frauen von Castiglione an<br />

seine Lippen presste <strong>und</strong> sie anflehte, ihn nicht zu verlassen.<br />

Ein an<strong>der</strong>er fieberglühen<strong>der</strong> Gefangener zieht unsere<br />

Aufmerksamkeit auf sich; er ist noch keine 20 Jahre alt <strong>und</strong><br />

seine Haare sind schneeweiss: am Tag <strong>der</strong> Schlacht hatten<br />

sie sich gebleicht, wie mir seine verw<strong>und</strong>eten Kameraden<br />

neben ihm versicherten.<br />

Da die Frauen von Castiglione sehen, dass ich keinen<br />

Unterschied zwischen den Angehörigen <strong>der</strong> einzelnen Völker<br />

mache, so folgen sie meinem Beispiel <strong>und</strong> behandeln mit dem<br />

gleichen Wohlwollen alle diese Leute, die von so verschiedener<br />

Herkunft <strong>und</strong> ihnen alle gleich fremd sind. „Tutti fratelli",<br />

wie<strong>der</strong>holen sie mitleidig.<br />

Ehre diesen mitleidigen Frauen, diesen jungen Mädchen<br />

von Castiglione! Ebenso aufopfernd wie bescheiden, haben<br />

sie Anstrengungen, Ekel <strong>und</strong> die schwersten Opfer für nichts<br />

geachtet; nichts hat sie zurückgeschreckt, ermüdet o<strong>der</strong> entmutigt.<br />

Wenn für den Soldaten nach den Anstrengungen <strong>und</strong><br />

Aufregungen einer Schlacht wie <strong>der</strong> von Solferino Avie<strong>der</strong><br />

das alltägliche Feldleben begonnen hat, so erwacht in ihm<br />

die Erinnerung an seine Familie wie<strong>der</strong> lebhafter als je.<br />

Eine sprechende Schil<strong>der</strong>ung von diesem Gemütszustand geben<br />

ims die folgenden Zeilen, die ein Offizier von Volta aus an<br />

seinen in Frankreich zurückgebliebenen Bru<strong>der</strong> richtete:<br />

„Du kannst Dir nicht denken, wie dem Soldaten das<br />

Herz klopft, wenn er den mit <strong>der</strong> Briefausgabe betrauteiv<br />

Wagenmeister erscheinen sieht; er bringt uns aber auch<br />

Neues aus Frankreich, aus <strong>der</strong> Heimat, von unsern Eltern<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en! Alles ist ganz Auge <strong>und</strong> Ohr <strong>und</strong> streckt


— 29 —<br />

ihm gierig die Hände entgegen. Die Glücklichen, das heisst<br />

die, welche einen Brief erhalten haben, öffnen ihn eiligst <strong>und</strong><br />

verschlingen seinen Inhalt: die an<strong>der</strong>n, die leer ausgingen,<br />

entfernen sich mit gepresstem Herzen <strong>und</strong> suchen ein abgelegenes<br />

Plätzchen auf, um an die zu denken, die noch in<br />

<strong>der</strong> Heimat weilen.<br />

„Zuweilen wird ein Name gerufen, ohne dass jemand<br />

antwortet. Man schaut sich mit fragenden Blicken an <strong>und</strong><br />

wartet. Endlich murmelt eine Stimme ,tot', <strong>der</strong> Wagenmeister<br />

steckt den Brief wie<strong>der</strong> ein <strong>und</strong> uneröffnet wan<strong>der</strong>t<br />

dieser an die Absen<strong>der</strong> zurück. Beim Abschicken waren<br />

diese noch frohgemut. ,Wie glücklich', dachten sie wohl,<br />

,wird er sein, wenn er ihn bekommt!' Und wenn sie ihn<br />

nun zurückkommen sehen, so wird ihnen <strong>der</strong> Jammer das<br />

Herz brechen."<br />

Die Strassen von Castiglione sind jetzt ruhiger geworden;<br />

denn da viele <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten gestorben, viele weiterbeför<strong>der</strong>t<br />

worden sind, so giebt es wie<strong>der</strong> mehr Platz. Trotz <strong>der</strong><br />

Ankunft neuer Wagen mit Verw<strong>und</strong>eten wird nach <strong>und</strong> nach<br />

Ordnung hergestellt <strong>und</strong> die Krankenpflege geregelter.<br />

Die Transportzüge von Castiglione nach Brescia werden<br />

häufiger; sie bestehen hauptsächlich aus Ambulanzwagen<br />

<strong>und</strong> plumpen Fuhrwerken, welche dem französischen Heere<br />

fortwährend Sehiessbedarf <strong>und</strong> Lebensmittel aller Art zuführen<br />

<strong>und</strong> leer nach Brescia zurückkehren. Die davor gespannten<br />

Ochsen kommen nur langsam vom Fleck, denn es<br />

herrscht eine glühende Hitze <strong>und</strong> <strong>der</strong> Staub liegt so tief auf<br />

den Strassen, dass die Fussgänger bis über die Knöchel einsinken.<br />

Diese unbequemen Fahrzeuge sind mit Baumzweigen<br />

besteckt, die jedoch den beinahe aufeinan<strong>der</strong> geschichteten<br />

Verw<strong>und</strong>eten nur einen höchst unvollkommenen Schutz gegen<br />

die glühende Sonnenhitze gewähren. Es hält schwer sich<br />

eine Vorstellung von den Qualen dieser langen Fahrt zu<br />

machen! Die einen stöhnen, an<strong>der</strong>e rufen nach ihrer Mutter


— 30 —<br />

o<strong>der</strong> liegen in Fieberträumen; dazwischen ertönen Verwünschungen<br />

<strong>und</strong> Flüche.<br />

Das geringste Zeichen <strong>des</strong> Mitgefühls, ein wohlwollen<strong>der</strong><br />

Gruss, <strong>der</strong> diesen Unglücklichen geboten wird, scheint ihnen<br />

Vergnügen zu machen, <strong>und</strong> sie erwi<strong>der</strong>n ihn mit dem Ausdruck<br />

<strong>der</strong> Dankbarkeit.<br />

In allen Ortschaften, über welche die Strasse nach Brescia<br />

führt, sitzen die Frauen vor <strong>der</strong> Hausthüre <strong>und</strong> zupfen stillschweigend<br />

Charpie. Die Gemeindebehörden haben für Getränke,<br />

Brot <strong>und</strong> Nahrungsmittel gesorgt. Wenn nun ein<br />

Zug Verw<strong>und</strong>eter ankommt, so steigen die Bäurinnen auf die<br />

Wagen, waschen die W<strong>und</strong>en aus, <strong>und</strong> legen neue Charpie<br />

<strong>und</strong> mit frischem Wasser getränkte Verbandstücke auf.<br />

Solchen, welche zu schwach sind, um den Kopf zu heben <strong>und</strong><br />

die Arme zu strecken, giessen sie in Löffeln Fleischbrühe<br />

o<strong>der</strong> Limonade ein.<br />

In Montechiaro werden drei kleine Spitäler von Frauen<br />

aus dem Volk bedient, welche ihrer Aufgabe mit ebensoviel<br />

Verständnis als Herzensgüte obliegen. In Guidizzolo sind<br />

etwa tausend Kranke in einem geräumigen Schlosse untergebracht.<br />

In Volta beherbergt ein altes zur Kaserne umgewandeltes<br />

Kloster verschiedene h<strong>und</strong>ert Oestreicher. In<br />

Cavriana liegen in <strong>der</strong> Kirche eine Menge Ungarn, die<br />

48 St<strong>und</strong>en lang keinerlei Hilfe genossen hatten. In dem<br />

Lazarette <strong>des</strong> grossen Hauptquartiers werden Operationen<br />

vorgenommen; das hiebei verwandte Chloroform bewirkt bei<br />

den Oestreichern eine fast augenblickliche Unempfindlichkeit,<br />

während diese bei den Franzosen erst nach nervösen Zuckungen<br />

<strong>und</strong> grosser Erregung eintritt.<br />

Die Bewohner von Cavriana sind von Lebensmitteln ganz<br />

entblösst, <strong>und</strong> die Soldaten <strong>der</strong> Garde ernähren sie, indem<br />

sie ihre Kost brü<strong>der</strong>lich mit ihnen teilen. Die Fel<strong>der</strong> sind<br />

verheert <strong>und</strong> so ziemlich alles Vieh <strong>und</strong> alle geniessbaren<br />

Bodenerzeugnisse an die östreichisclien Truppen verkauft<br />

worden. Das französische Heer besitzt zwar Proviant in


— 31 —<br />

Fülle, aber es hat Mühe, sich die zur Herstellung <strong>der</strong><br />

gewöhnlichen Soldatenkost bestimmten Vorräte an Butter,<br />

Schmalz <strong>und</strong> Gemüse zu verschaffen.<br />

Die Verw<strong>und</strong>eten <strong>des</strong> sardinischen Heeres, welche nach<br />

Desenzanö, Rivoltella, Lonato <strong>und</strong> Pozzolengo verbracht<br />

worden waren, befinden sich in weniger ungünstigen Verhältnissen<br />

als die in Castiglione liegenden Franzosen <strong>und</strong><br />

Oestreicher. Da Desenzanö <strong>und</strong> Rivoltella nicht, wie <strong>der</strong><br />

letztgenannte Ort, innerhalb weniger Tage von zwei verschiedenen<br />

Heeren besetzt worden waren, so finden sich hier<br />

noch Lebensmittel, die Lazarette sind besser unterhalten,<br />

<strong>und</strong> die weniger aus <strong>der</strong> Fassung gebrachten Einwohner<br />

nehmen thätigen Anteil an <strong>der</strong> Krankenpflege. Die Kranken<br />

werden auf guten, dick mit Heu gepolsterten Wagen nach<br />

Brescia geführt, <strong>und</strong> ein dichtes Bogenflecht aus belaubten<br />

Zweigen mit darübergespannter starker-Leinwand schützt sie<br />

gegen die Sonne.<br />

Was man im Bewusstsein seiner Unzulänglichkeit unter<br />

so feierlichen Umständen empfindet, ist das Gefühl eines unbeschreiblichen<br />

Wehs. Ueberaus schmerzlich ist <strong>der</strong> Gedanke,<br />

dass man wegen ihrer Menge nicht allen zu Hilfe<br />

kommen, nicht zu denen gelangen kann, die einen so flehentlich<br />

rufen. Lange St<strong>und</strong>en verfliessen, - bis man zu den Unglücklichsten<br />

vordringt, denn hier wird man durch die einen<br />

angehalten, dort von an<strong>der</strong>en angefleht, die alle gleich bedauernswürdig<br />

sind. Auf Schritt nnd Tritt ist man gehemmt<br />

durch Unglückliche, die sich um einen drängen, einen umringen,<br />

um Beistand <strong>und</strong> Hilfe bitten.<br />

Warum soll 1 man sich auch links wenden, während rechts<br />

so viele liegen, die stumm <strong>und</strong> ohne ein Trosteswort, sogar<br />

ohne ein Glas Wasser sterben, das ihren glühenden Durst<br />

löschte! Der Gedanke an die Wichtigkeit eines Menschenlebens,<br />

das man vielleicht retten könnte, <strong>der</strong> Wunsch, die


— 32 —<br />

Qualen so vieler Unglücklicher zu lin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> ihren Mut<br />

aufzurichten, die rastlose Thätigkeit, die man sich in <strong>der</strong>artigen<br />

Augenblicken notgedrungen auferlegt, geben einem<br />

eine übermenschliche Willenskraft, einen unwi<strong>der</strong>stehlichen<br />

Drang, möglichst vielen Hilfe zu bringen. Man wird von<br />

den tausen<strong>der</strong>lei Bil<strong>der</strong>n dieser furchtbaren Tragödie nicht<br />

mehr ergriffen; gleichgültig geht man an Leichen vorbei, wenn<br />

sie auch noch so greulich verstümmelt sind; Scenen, welche<br />

die Fe<strong>der</strong> sich zu schil<strong>der</strong>n sträubt <strong>und</strong> die noch schrecklicher<br />

sind, als die oben beschriebenen, sieht man beinahe<br />

mit kaltem Blute an. Aber manchmal ereignet es sich, dass<br />

das Herz, plötzlich von tiefer Trauer ergriffen, mit einem<br />

Schlag zusammenknickt beim Anblick eines geringfügigen<br />

Vorfalls, einer vereinzelten Thatsache, einer unerwarteten<br />

Einzelheit, die einem unvermittelter zu Herzen geht, unser<br />

Mitgefühl fesselt, die zartesten Fibern unserer Seele erschüttert<br />

<strong>und</strong> diese Tragödie in ihrer ganzen Schrecklichkeit<br />

uns vor Augen ruft.<br />

Da ich, von Müdigkeit erschöpft, keinen Schlaf mehr<br />

finden konnte, so liess ich am Nachmittag <strong>des</strong> 27., eines<br />

Montags, einspannen <strong>und</strong> fuhr gegen sechs Uhr aus, um im<br />

Freien die frische Abendluft einzuatmen <strong>und</strong> etwas Ruhe zu<br />

finden, indem ich mich auf einen Augenblick den Jammerscenen<br />

entzog, die mir in Castiglione bei jedem Schritt entgegentraten.<br />

Die Zeit war insofern günstig gewählt, als für den<br />

betreffenden Tag keine Truppenbewegungen angeordnet waren.<br />

Auf die furchtbare Aufregung <strong>der</strong> vorangehenden Tage<br />

war nun Ruhe gefolgt. Da <strong>und</strong> dort waren noch ausgetrocknete<br />

Blutlachen zu sehen, die den Boden <strong>des</strong> Schlachtfelds<br />

röteten, <strong>und</strong> frisch aufgeworfene, mit weissem Kalk bestreute<br />

Stellen, unter welchen die Opfer <strong>des</strong> 24. ruhten. In Solferino,<br />

<strong>des</strong>sen viereckiger Turm seit Jahrh<strong>und</strong>erten stolz auf das<br />

Land herunterschaut, wo jetzt schon zum drittenmale zwei<br />

<strong>der</strong> grössten Mächte <strong>der</strong> neueren Zeit sich in blutigem Kampfe


— 33 —<br />

massen, las man noch immer zahlreiche Trümmer auf, welche<br />

sogar im Kirchhof die Kreuze <strong>und</strong> die blutbefleckten Grabmäler<br />

bedeckten. Der Boden war mit grösstenteils verbogenen<br />

o<strong>der</strong> zertrümmerten Säbeln, Gewehren, Tornistern,<br />

Patrontaschen, Schakos, Helmen <strong>und</strong> Gürteln besät.<br />

Gegen neun Uhr abends kam ich in Cavriana an; einen<br />

grossartigen Anblick bot das Feldzeug, welches das Hauptquartier<br />

<strong>des</strong> französischen Kaisers umgab. Ich suchte den<br />

Marschall, Herzog von Magenta, den ich persönlich kannte.<br />

Da ich aber nicht genau wusste, wo sein Heer lagerte, so<br />

liess ich mein. Gefährt auf einem kleinen Platz gegenüber<br />

dem seit Freitagabend vom Kaiser Napoleon bewohnten Hause<br />

Halt machen. So befand ich -mich plötzlich inmitten einer<br />

Gruppe von Generalen, welche auf Strohstühlen <strong>und</strong> Holzschemeln<br />

vor dem. Notpalast ihres Gebieters sassen <strong>und</strong> in<br />

<strong>der</strong> erfrischenden Abendluft, ihre Cigarre rauchten.<br />

Während ich mich nach <strong>der</strong> Richtung erk<strong>und</strong>igte, in<br />

welcher <strong>der</strong> Marschall Mac-Mahon zu finden war, fragten<br />

mehrere Generale, <strong>der</strong>en Neugierde durch mein Erscheinen<br />

höchlich erregt worden war, den Korporal aus, <strong>der</strong> neben<br />

dem Kutscher auf dem Bocke sass <strong>und</strong> mir gewissermassen<br />

einen offiziellen Anstrich gab. Dieser war bei Magenta verw<strong>und</strong>et<br />

worden <strong>und</strong> hatte mich gebeten, mich auf dieser<br />

Fahrt begleiten zu dürfen, wo er mir in seiner Eigenschaft<br />

als angehen<strong>der</strong> Unteroffizier als Geleitschein dienen konnte.<br />

Die Generale hätten gerne gewusst, wer ich wäre, <strong>und</strong> den<br />

Zweck <strong>der</strong> Sendung erfahren, mit <strong>der</strong> sie mich betraut glaubten.<br />

Sie konnten doch nicht wohl annehmen, dass ein einfacher<br />

Tourist in einem <strong>der</strong>artigen Augenblick sich mitten in die<br />

Lager wagte.<br />

Der Korporal beantwortete ehrerbietig ihre Fragen; aber<br />

da er selbst nichts wusste, so war natürlich nichts aus ihm<br />

herauszubringen. Ihre Neugierde wuchs noch beträchtlich,<br />

als sie mich nach Borglietto, dem Quartier <strong>des</strong> Herzogs von<br />

Magenta, aufbrechen sahen.<br />

3


— 34 —<br />

Das dem Marschall unterstellte zweite Corps war von<br />

Cavriana nach dem fünf Kilometer entfernten Castellaro verlegt<br />

worden; seine Abteilungen lagerten rechts <strong>und</strong> links<br />

von <strong>der</strong> Strasse, die von Castellaro nach Monzambano führt.<br />

Der Marschall selbst mit seinem Generalstab lag in Borghetto.<br />

Trotzdem es inzwischen Nacht geworden war, fuhren<br />

wir weiter. Die mit ganzen Bäumen unterhaltenen Feuer<br />

<strong>der</strong> Feldlager <strong>und</strong> die beleuchteten Zelte <strong>der</strong> Offiziere boten<br />

einen malerischen Anblick. Bei dem letzten Murmeln eines<br />

halb wachen, halb schon einschlummernden Lagers fand unsere<br />

überreizte Einbildungskraft wie<strong>der</strong> einige Ruhe. Unter diesem<br />

schönen Sternenhimmel hatte endlich das Getöse <strong>und</strong> die Aufregung<br />

<strong>der</strong> letztvergangenen Tage einer feierlichen Stille<br />

Platz gemacht, <strong>und</strong> mit Wonne sog ich die reine milde Luft<br />

einer prachtvollen italienischen Nacht ein.<br />

Infolge mangelhafter Auskunft verfehlten wir den Weg<br />

<strong>und</strong> kamen auf die Strasse nach Yolta. So gerieten wir in<br />

das Armeecorps <strong>des</strong> Generals Niel, <strong>der</strong> drei Tage zuvor zum<br />

Marschall ernannt worden war <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Umgebung dieses<br />

Städtchens lagerte.<br />

Der Gedanke, sich so nahe bei den östreichischen Linien<br />

zu befinden, erfüllte meinen italienischen Kutscher mit solchem<br />

Entsetzen, dass ich ihm mehreremale das Leitseil abnehmen<br />

<strong>und</strong> dem neben ihm sitzenden Korporal einhändigen musste.<br />

Der Arme war, um sich dem östreichischen Kriegsdienste zu<br />

entziehen, etwa zehn Tage zuvor aus Mantua entflohen <strong>und</strong><br />

in Brescia bei einem Kutscher in Dienst getreten. Sein<br />

Schrecken wuchs noch, als er einen Schuss hörte, den jemand<br />

aus <strong>der</strong> Ferne abgegeben hatte, um dann im Gebüsch zu<br />

verschwinden. Beim Bückzug <strong>des</strong> östreichischen Heeres hatten<br />

sich nämlich viele Flüchtlinge in den von ihren Bewohnern<br />

verlassenen <strong>und</strong> halb ausgeplün<strong>der</strong>ten kleinen Weilern in den<br />

Kellern versteckt, <strong>und</strong>, um nicht gefangen genommen zu<br />

werden, in diesen unterirdischen Gelassen, so gut es ging,<br />

ihr Leben gefristet. Als dann ihre Vorräte zu Ende gingen,


streiften sie, vom Hunger getrieben, aber wohl bewaffnet,<br />

aufs Geratewohl während <strong>der</strong> Nacht umlier.<br />

Der unglückliche Mantuaner war in seiner Angst bald<br />

nicht mehr im stände, sein Pferd geradeaus zu führen; beständig<br />

drehte er den Kopf hin <strong>und</strong> her, musterte mit verstörter<br />

Miene jeden Busch, jede Hecke, je<strong>des</strong> Mauerwerk am<br />

Wege, in <strong>der</strong> Erwartung, irgend einen dahinter lauernden<br />

Oestreicher auftauchen zu sehen. Bei je<strong>der</strong> Windung <strong>der</strong><br />

Strasse verdoppelte sich seine Angst, <strong>und</strong> einmal wäre er<br />

fast in Ohnmacht gesunken, als wir in <strong>der</strong> Stille <strong>der</strong> Nacht<br />

durch den Schuss eines Eeiterpostens aufgeschreckt wurden,<br />

welchen wir in <strong>der</strong> Dunkelheit nicht bemerkt hatten. Grenzenlos<br />

war sein Entsetzen beim Anblick eines grossen aufgespannten<br />

Regenschirms, <strong>der</strong> dicht neben <strong>der</strong> Strasse in <strong>der</strong><br />

Nähe eines nach Yolta führenden Fusswegs lag. Der arme<br />

Schirm war von Kugeln ganz durchlöchert; ohne Zweifel<br />

hatte er zur Ausstattung einer Marketen<strong>der</strong>in gehört <strong>und</strong><br />

war dieser von dem am 24. wütenden Sturm entführt worden.<br />

Wir waren nun wie<strong>der</strong> zurückgefahren, um in die Strasse<br />

nach Borghetto einzulenken. Es war elf Uhr vorbei; wir<br />

liessen unser Pferd galoppieren, <strong>und</strong> fast geräuschlos flog<br />

unser bescheidenes Gefährt auf <strong>der</strong> Strada Cavallara dahin,<br />

als uns aus dem M<strong>und</strong>e eines unsichtbaren berittenen Postens<br />

die in einem Atemzug gerufenen Worte: „Halt! wer da?<br />

wer da? o<strong>der</strong> ich schiesse!" entgegenschallten. — „Frankreich!"<br />

rief ihm mein Begleiter sofort entgegen, indem er<br />

seinen Grad hersagte: „Korporal im ersten Genieregiment,<br />

7. Compagnie." — „Passiert!" lautete die Antwort. — Ohne<br />

diese Geistesgegenwart <strong>des</strong> Korporals wäre fast aus unmittelbarer<br />

Nähe auf uns geschossen worden.<br />

Um 3 /412 Uhr langten wir endlich ohne weiteres Begegnis<br />

bei den ersten Häusern Borghettos an. Alles war<br />

dunkel <strong>und</strong> still; in einem Erdgeschoss <strong>der</strong> Hauptstrasse<br />

jedoch brannte noch ein Licht in einem niedrigen Zimmer,<br />

in welchem Zahlmeister beschäftigt waren. Obgleich in ihrer


— 36 —<br />

Arbeit gestört, <strong>und</strong> über unser Erscheinen zu solcher St<strong>und</strong>e<br />

höchst erstaunt, empfingen sie nns aufs höflichste. Ein Zahlmeister,<br />

Herr Outrey, bot uns seine Gastfre<strong>und</strong>schaft an;<br />

sein Bursche schleppte eine Matratze herbei, auf welche ich<br />

mich, angekleidet wie ich war, nie<strong>der</strong>warf, um einige St<strong>und</strong>en<br />

auszuruhen, nachdem ich noch zuvor eine vortreffliche Fleischbrühe<br />

zu mir genommen hatte, die mir um so besser m<strong>und</strong>ete,<br />

als ich hungrig war <strong>und</strong> seit vielen Tagen nichts Anständiges<br />

zu essen bekommen hatte. Jetzt konnte ich wie<strong>der</strong> einmal<br />

ruhig schlafen, ohne, wie in Castiglione, von verpesteten<br />

Ausdünstungen beinahe erstickt <strong>und</strong> von den Mücken belästigt<br />

zu werden, die, nicht zufrieden mit den Leichen, an denen<br />

sie sich gesättigt hatten, sich auch noch an die Lebenden<br />

machten. Der Korporal <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kutscher hatten sich's in<br />

dem auf <strong>der</strong> Strasse stehengebliebenen Wagen bequem gemacht;<br />

aber <strong>der</strong> unglückselige Mantuaner konnte in seiner<br />

fortwährenden To<strong>des</strong>angst die ganze Nacht kein Auge schliessen<br />

<strong>und</strong> war am an<strong>der</strong>n Morgen mehr tot als lebendig.<br />

Dienstag den 28., früh um 6 Uhr, wurde ich vom Marschall<br />

Mac-Mahon aufs liebenswürdigste empfangen. Um<br />

10 Uhr war ich schon wie<strong>der</strong> zurück in Cavriana <strong>und</strong> betrat<br />

kurz darauf das bescheidene, nunmehr geschichtlich gewordene<br />

Haus, in welchem <strong>der</strong> Kaiser Napoleon immer noch<br />

wohnte. Um 3 Uhr nachmittags befand ich mich wie<strong>der</strong> in<br />

Castiglione inmitten meiner Verw<strong>und</strong>eten, die hocherfreut<br />

waren, mich wie<strong>der</strong> zu sehen.<br />

Am 30. Juni war ich in Brescia.<br />

Diese anmutige <strong>und</strong> malerische Stadt hatte sich nicht,<br />

•nie Castiglione, bloss in ein grosses vorübergehen<strong>des</strong> Feldlazarett,<br />

son<strong>der</strong>n geradezu in ein einziges ungeheures Spital<br />

verwandelt. Ihre beiden Kathedralen, ihre Kirchen, Paläste,<br />

Klöster, Schulen <strong>und</strong> Kasernen, kurz alle grösseren Gebäude<br />

<strong>der</strong> Stadt füllten sich mit den Schlachtopfern von Solferino.<br />

15000 Betten waren gleichsam über Nacht aufgeschlagen


— 37 —<br />

worden; die Einwohner hatten mehr 'gethan, als jemals unter<br />

<strong>der</strong>artigen Umständen geschehen war. Die im Mittelpunkt<br />

<strong>der</strong> Stadt gelegene alte Basilika, <strong>der</strong> Duomovecchio, beherbergte<br />

etwa 1000 Verw<strong>und</strong>ete. Massenhaft strömte die<br />

Bevölkerung herbei: Frauen jeden Stan<strong>des</strong> brachten Orangen,<br />

Früchtensaft, Biskuit, Zuckerwerk <strong>und</strong> Leckerbissen in Fülle.<br />

Die geringste Witwe, das ärmste alte Weibchen hielt es für<br />

seine Pflicht, sein Scherflein an Mitgefühl <strong>und</strong> seine bescheidene<br />

Gabe anzubieten.<br />

Aehnliche Vorgänge spielten sich in <strong>der</strong> neuen Käthe- .<br />

drale ab, einem prächtigen Gotteshaus aus weissem Marmor,<br />

in welchem H<strong>und</strong>erte von Verw<strong>und</strong>eten zusammengedrängt<br />

lagen, <strong>und</strong> ebenso sah es in vierzig an<strong>der</strong>en Gebäuden,<br />

Kirchen o<strong>der</strong> Spitälern aus, welche zusammen an 20000 Verw<strong>und</strong>ete<br />

enthielten.<br />

Die Gemeindeverwaltung von Brescia war sich <strong>der</strong> ausserordentlichen<br />

Pflichten wohl bewusst, welche so ernste Umstände<br />

ihr auferlegten. Sie erklärte sich für ständig <strong>und</strong><br />

zog die einsichtsvollsten <strong>und</strong> angesehensten Männer <strong>der</strong> Stadt<br />

bei, welche sie kräftigst unterstützten. Durch Oeffnung eines<br />

Klosters, einer Schule, einer Kirche, zauberte die städtische<br />

Verwaltung in wenigen St<strong>und</strong>en Spitäler hervor, die mit<br />

H<strong>und</strong>erten von Betten, mit geräumigen Küchen, Waschräumen,<br />

Vorräten an Leinzeug <strong>und</strong> allen sonstigen Erfor<strong>der</strong>nissen<br />

ausgestattet waren.<br />

Diese Massregeln wurden mit so viel Liebe <strong>und</strong> Pflichteifer<br />

ausgeführt, dass man schon nach wenigen Tagen die<br />

gute Ordnung <strong>und</strong> den regelmässigen Gang dieser in <strong>der</strong> Eile<br />

errichteten Spitäler bew<strong>und</strong>ern konnte. Die sonst 40000<br />

Köpfe zählende Bevölkerung von Brescia sah sich durch die<br />

Menge <strong>der</strong> Kranken <strong>und</strong>-Verw<strong>und</strong>eten fast mit einem Schlage<br />

verdoppelt. Die Aerzte, 140 an <strong>der</strong> Zahl, legten während<br />

<strong>der</strong> ganzen Dauer ihrer mühevollen Thätigkeit grosse Hingebung<br />

an den Tag. Sie wurden darin durch Studierende<br />

<strong>der</strong> Medizin <strong>und</strong> einige sonstige opferwillige Personen unter-


— 38 —<br />

stützt. Nachdem sicli Hilfsausschüsse gebildet hatten, wurde<br />

noch ein beson<strong>der</strong>er Ausschuss ernannt, um Geschenke an<br />

Bettzeug, Wäsche <strong>und</strong> Vorräten aller Art entgegenzunehmen;<br />

ein weiterer Ausschuss wurde mit <strong>der</strong> Leitung <strong>des</strong> Centraimagazins<br />

betraut.<br />

In den grossen Sälen <strong>der</strong> Hospitäler sind die Offiziere<br />

gewöhnlich geson<strong>der</strong>t von den Soldaten untergebracht; ebenso<br />

liegen die Oestreicher nicht mit den Verbündeten zusammen.<br />

Die Bettreihen gleichen einan<strong>der</strong> alle: auf einem über dem<br />

Bett eines jeden Soldaten angebrachten Wandstän<strong>der</strong> liegt<br />

seine Uniform <strong>und</strong> seine Mütze <strong>und</strong> zeigt an, zu welcher<br />

Waffe er gehört.<br />

Allmählich beginnt man <strong>der</strong> Menge den Eintritt zu<br />

wehren, da sie den Dienst hin<strong>der</strong>t <strong>und</strong> erschwert.<br />

Neben Kriegern mit dem Ausdruck <strong>der</strong> Ergebung auf<br />

dem Gesicht liegen an<strong>der</strong>e, welche murren. Den französischen<br />

Soldaten mit seinem sorglosen Sinn ängstigt <strong>der</strong> Gedanke<br />

an eine Amputation kaum, aber er wird leicht ungeduldig<br />

<strong>und</strong> reizbar. Die weniger leichtlebigen Oestreicher<br />

dagegen sind in ihrer Verlassenheit eher zur Schwermut<br />

geneigt.<br />

In diesen Krankensälen finde ich einige unserer Verw<strong>und</strong>eten<br />

von Castiglione wie<strong>der</strong>. Sie gemessen jetzt eine<br />

bessere Pflege, aber ihre Prüfungen sind noch nicht zu Ende.<br />

So liegt hier auf seinem Schmerzenslager einer von den<br />

heldenmütigen Gardefüsilieren, welcher beim Sturm auf Solferino<br />

einen Schuss durchs Bein erhalten <strong>und</strong> dem ich in<br />

Castiglione den ersten Verband angelegt hatte. Der Ausdruck<br />

seines Gesichts lässt auf schweres Leiden schliessen.<br />

Seine fahle Gesichtsfarbe, seine hohlen glühenden Augen<br />

zeigen, dass das W<strong>und</strong>fieber dazugetreten ist <strong>und</strong> seinen Zustand<br />

verschlimmert hat; seine Lippen sind trocken, seine<br />

Stimme bebt; die frühere Kühnheit <strong>des</strong> Wackeren ist geschw<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> einem Gefühl <strong>der</strong> Furcht <strong>und</strong> ängstlicher<br />

Unentschlossenheit gewichen. Selbst die ihm erwiesene Pflege


— 39 —<br />

regt ihn auf, denn er fürchtet, man könnte seinem Bein zu<br />

nahe kommen, das schon vom Brand ergriffen ist.<br />

Ein französischer W<strong>und</strong>arzt, <strong>der</strong> die Amputationen vornimmt,<br />

tritt vor sein Bett; <strong>der</strong> Kranke fasst seine Hand <strong>und</strong><br />

umklammert sie mit den seinigen, die sich wie glühende Eisen<br />

anfühlen. „Thun Sie mir nicht Aveh!" ruft er, „ich leide<br />

fürchterlich." Aber es gilt zu handeln, <strong>und</strong> zwar ohne Verzug.<br />

Zwanzig an<strong>der</strong>e Verw<strong>und</strong>ete sind noch an demselben<br />

Morgen zu operieren <strong>und</strong> h<strong>und</strong>ert<strong>und</strong>fünfzig warten auf ihren<br />

Verband. Man hat keine Zeit, einem einzelnen sein Mitleid<br />

zu bezeugen <strong>und</strong> sich durch seine Unentschlossenheit hinhalten<br />

zu lassen. Der Arzt antwortet kalt <strong>und</strong> bestimmt:<br />

„Lassen Sie mich machen!" Dann hebt er schnell die Decke<br />

auf: das zerschmetterte Glied ist zu seinem doppelten Umfang<br />

aufgeschwollen; aus drei Stellen fliesst eine Menge<br />

stinkenden Eiters; bläuliche Flecken beweisen, dass eine<br />

Schlaga<strong>der</strong> zerrissen <strong>und</strong> höchstens von einer Amputation<br />

noch Eettung zu hoffen ist.<br />

Amputation! ein schreckliches Wort für diesen jungen<br />

Mann, welcher jetzt keine an<strong>der</strong>e Wahl mehr vor sich sieht,<br />

als entwe<strong>der</strong> einen baldigen Tod o<strong>der</strong> das elende Dasein<br />

eines Krüppels. Er hat keine Zeit mehr, sich auf seine letzte<br />

Entscheidung zu besinnen, <strong>und</strong> bebend vor To<strong>des</strong>angst ruft<br />

er in seiner Verzweiflung aus: „0, was wollen Sie thun?"<br />

Der Arzt giebt ihm keine Antwort. — „Krankenwärter,<br />

tragen Sie ihn weg, schnell!" Ein markerschüttern<strong>der</strong> Schrei<br />

entringt sich <strong>der</strong> keuchenden Brust <strong>des</strong> jungen Mannes; <strong>der</strong><br />

ungeschickte Gehilfe hat sein unbewegliches <strong>und</strong> doch so<br />

empfindliches Bein viel zu nahe bei <strong>der</strong> W<strong>und</strong>e gefasst: die<br />

Knochensplitter sind ins Fleisch eingedrungen <strong>und</strong> haben dem<br />

Soldaten neue Qualen verursacht. Dazu wird beim Verbringen<br />

in den Operationssaal sein herabhängen<strong>des</strong> Bein durch<br />

die stossende Bewegung fortwährend hin- <strong>und</strong> hergeschüttelt.<br />

Welch schrecklicher Zug! es ist, als führte man ein Schlachtopfer<br />

zum Tode.


— 40 —<br />

Endlich ruht er auf dem Operationstisch; auf einem<br />

an<strong>der</strong>n Tische nebenan liegen, mit einem Handtuch zugedeckt,<br />

die Instrumente. Der Arzt, ganz in seine Aufgabe vertieft,<br />

hat für nichts Auge <strong>und</strong> Ohr, als für seine Operation. Ein<br />

Hilfsarzt hält dem Verw<strong>und</strong>eten die Arme, während <strong>der</strong> Lazarettgehilfe<br />

ihn an seinem ges<strong>und</strong>en Bein fasst <strong>und</strong> nach<br />

dem Eand <strong>des</strong> Tisches zieht. „Lassen Sie mich nicht fallen,"<br />

ruft <strong>der</strong> Kranke entsetzt aus <strong>und</strong> umklammert mit seinen<br />

Armen den jungen Arzt, welcher, bleich vor Aufregung, kaum<br />

noch im stände ist, sich zu beherrschen. Mit einem Knie<br />

auf den Steinboden <strong>des</strong> Saales gestützt <strong>und</strong> die Hand mit<br />

dem schrecklichen Messer bewaffnet, umschlingt <strong>der</strong> die Operation<br />

ausführende Arzt mit seinem Arme das brandige Glied<br />

<strong>des</strong> Soldaten <strong>und</strong> macht ringsum einen tiefen Schnitt in die<br />

Haut. Ein durchdringen<strong>der</strong> Schrei hallt im Saale wie<strong>der</strong>.<br />

Der junge Arzt, <strong>der</strong> sich dem Dul<strong>der</strong> gerade gegenüber be- -<br />

findet, kann auf seinem verzerrten Gesicht seine grausige<br />

To<strong>des</strong>qual bis ins einzelnste verfolgen. Er fühlt wie die<br />

Hände <strong>des</strong> Unglücklichen sich auf seinem Bücken zusammenkrallen<br />

<strong>und</strong> spricht ihm leise Mut zu. „Noch zwei Minuten,"<br />

tröstet er ihn, „<strong>und</strong> Sie sind erlöst."<br />

Der Arzt ist wie<strong>der</strong> aufgestanden; er löst nun die Muskeln<br />

von <strong>der</strong> sie bedeckenden Haut <strong>und</strong> durchschneidet sie<br />

dann alle mit kräftigem Kreisschnitt bis auf die Knochen.<br />

In Strömen spritzt das Blut aus den durchschnittenen Schlaga<strong>der</strong>n,<br />

überflutet den Arzt <strong>und</strong> rieselt auf den Boden. Buhig<br />

<strong>und</strong> gelassen spricht <strong>der</strong> erfahrene Arzt kein Wort, aber<br />

plötzlich, inmitten <strong>der</strong> im Saale herrschenden Stille, wendet<br />

er sich zornig nach dem ungeschickten Gehilfen <strong>und</strong> schilt<br />

ihn, dass er nicht einmal die Schlaga<strong>der</strong>n zuhalten könne.<br />

Da dieser noch wenig Uebung hatte, hatte er es nicht verstanden,<br />

durch richtiges Aufdrücken <strong>des</strong> Daumens auf die<br />

Blutgefässe den Bluterguss zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Im Uebermass <strong>des</strong> Schmerzes stammelt <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ete<br />

mit schwacher Stimme: „0, es ist genug, lasst mich sterben!"


— 41 —<br />

<strong>und</strong> eiskalter Schweiss rinnt von seinem Gesicht. Aber noch<br />

handelt es sich um eine Minute, eine Minute, die für ihn<br />

eine Ewigkeit bedeutet. Der Hilfsarzt, immer voll Mitleid,<br />

zählt die Sek<strong>und</strong>en. „Nur noch eine Minute," sagt er, den<br />

Blick bald auf den operierenden Arzt, bald auf den Leidenden<br />

gerichtet, dem er Mut zu machen sucht.<br />

In <strong>der</strong> That ist jetzt <strong>der</strong> Augenblick für die Säge gekommen,<br />

<strong>und</strong> schon hört man die kreischenden Töne <strong>des</strong><br />

Stahls, wie er tiefer <strong>und</strong> tiefer in den Knochen eindringt<br />

<strong>und</strong> das halbverfaulte Glied vom Körper trennt. Aber <strong>der</strong><br />

Schmerz war zu stark für diesen geschwächten <strong>und</strong> erschöpften<br />

Körper: das Stöhnen hat aufgehört, denn <strong>der</strong> Kranke<br />

ist ohnmächtig geworden. Schon fürchtet <strong>der</strong> Arzt, wie er<br />

keine Rufe nnd Klagen mehr hört, es sei dies die Stille <strong>des</strong><br />

To<strong>des</strong> <strong>und</strong> betrachtet ihn unruhig, bis er sich überzeugt hat,<br />

dass er noch lebt. Nur mit Mühe gelingt es, durch bereitgehaltene<br />

Stärkungsmittel seine matten, halb geschlossenen<br />

<strong>und</strong> fast erloschenen Augen wie<strong>der</strong> zu beleben. Doch scheint<br />

<strong>der</strong> Sterbende wie<strong>der</strong> zum Leben zu erwachen; er ist zwar<br />

ganz zerschlagen <strong>und</strong> erschöpft, aber seine grössten Schmerzen<br />

sind vorbei. 1 )<br />

Man denke sich jetzt eine solche Operation an einem<br />

Oestreicher vorgenommen, <strong>der</strong> we<strong>der</strong> italienisch noch französich<br />

versteht <strong>und</strong> sich wie ein Schaf zur Schlachtbank<br />

führen lässt, ohne mit seinen mildthätigen Peinigern ein<br />

Wort wechseln zu können! Die Franzosen finden überall<br />

Teilnahme: man schmeichelt ihnen, überhäuft sie mit Aufmerksamkeiten<br />

<strong>und</strong> spricht ihnen Mut ein. Wenn man mit<br />

ihnen von <strong>der</strong> Schlacht bei Solferino redet, so leben sie auf<br />

<strong>und</strong> werden gesprächig. Diese ruhmreiche Erinnerung, die<br />

*) Herr Dr. Louis Appia hatte die Güte, die Erinnerung an einige<br />

Einzelheiten dieser Operation <strong>und</strong> an die technischen Ausdrücke wie<strong>der</strong><br />

bei mir aufzufrischen; aber we<strong>der</strong> dieser hervorragende Arzt, noch sonst<br />

irgend jemand hat an diesem Buche irgendwie mitgearbeitet, wie gewisse<br />

Personen in böswilliger Absicht zu unterstellen beliebten. J. H. D.


— 42 —<br />

ihre Gedanken von ihrem eigenen Zustand ablenkt, bietet<br />

ihnen einigen Trost in ihrem Unglück.<br />

Den Oestreichern dagegen ist dieser Trost versagt. In<br />

den Spitälern, wo sie zusammengepfercht liegen, bestehe ich<br />

darauf sie zu sehen, <strong>und</strong> beinahe mit Gewalt muss ich milden<br />

Eintritt in ihre Stuben erzwingen. Wie erkenntlich<br />

zeigen sich diese wackern Leute für meine Trostworte <strong>und</strong><br />

das bisschen Tabak, das ich ihnen schenke! In ihren ergebenen<br />

Zügen malt sich ihre tiefgefühlte Dankbarkeit, die<br />

sie nicht in Worte kleiden können, <strong>und</strong> ihre Blicke sagen<br />

mehr als alle möglichen Dankesworte.<br />

Verschiedene Tage hintereinan<strong>der</strong> verteilte ich ohne<br />

Unterschied <strong>der</strong> Volksangehörigkeit Tabak, Pfeifen <strong>und</strong> Cigarren<br />

in den Kirchen <strong>und</strong> Spitälern, wo <strong>der</strong> Tabaksgeruch<br />

die verpestenden Ausdünstungen, die von <strong>der</strong> Anhäufung so<br />

vieler Leute in erstickenden Eäumen herrührten, ein wenig<br />

abschwächte. Ausserdem diente <strong>der</strong> Tabaksgenuss den Verw<strong>und</strong>eten<br />

als Zerstreuung <strong>und</strong> Ableitungsmittel für ihre Angst,<br />

ehe man zur Abnahme eines Glie<strong>des</strong> schritt: mehrere wurden<br />

mit <strong>der</strong> Pfeife im M<strong>und</strong> operiert UDd einige starben sogar<br />

rauchend.<br />

Schliesslich aber ging <strong>der</strong> in Brescia vorhandene Tabak<br />

auf die Neige, <strong>und</strong> man musste welchen aus Mailand kommen<br />

lassen. Ein angesehener Einwohner von Brescia, Herr Carlo<br />

Borghetti, führte mich in seinem Wagen von einem Spital<br />

zum an<strong>der</strong>n <strong>und</strong> half mir meine bescheidene Gaben an Tabak<br />

austeilen, die von den Kaufleuten in Tausende von kleinen<br />

Düten gefüllt worden waren <strong>und</strong> uns von Soldaten, die sich<br />

freiwillig dazu hergaben, in ungeheuren Körben nachgetragen<br />

wurden. Ueberall fand ich gute Aufnahme. Nur ein einziger<br />

lombardischer Arzt namens Calini wollte mich nicht zur Verteilung<br />

von Cigarren in dem seiner Leitung anvertrauten<br />

Spital San Luca ermächtigen, während an allen an<strong>der</strong>en<br />

Orten die Aerzte sich fast ebenso dankbar zeigten, wie ihre


— 43 —<br />

Kranken. Da ich aber in San Luca das letzte Wort reden<br />

wollte, so machte ich diesem Spital einen neuen Besuch <strong>und</strong><br />

es gelang mir zur grossen Freude <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten, denen<br />

ich ganz unschuldigerweise Tantalusqualen verursacht hatte,<br />

eine Menge Cigarren zu verteilen.<br />

Im Verlauf meiner Wan<strong>der</strong>ungen drang ich in eine Flucht<br />

von Zimmern ein, welche das zweite Stockwerk eines weitläufigen<br />

Klosters bildete, einer Art Labyrinth, <strong>des</strong>sen Erdgeschoss<br />

<strong>und</strong> erstes Stockwerk mit Kranken angefüllt war.<br />

Hier fand ich in einem <strong>der</strong> hohen Zimmer vier bis fünf fiebernde<br />

Verw<strong>und</strong>ete, in einem an<strong>der</strong>en zehn bis fünfzehn, in einem<br />

dritten etwa zwanzig, alle ganz hilflos <strong>und</strong> verlassen. x ) Sie<br />

beklagten sich bitterlich, sie hätten seit mehreren St<strong>und</strong>en<br />

keinen Wärter gesehen, <strong>und</strong> baten inständig, man möchte<br />

ihnen statt <strong>des</strong> kalten Wassers, das bisher ihr einziges Getränke<br />

bildete, etwas Fleischbrühe verabreichen. Am äussersten<br />

Ende eines fast endlosen Ganges, in einem kleinen Saal, starb,<br />

ganz allein <strong>und</strong> unbeweglich auf seinem Lager ausgestreckt,<br />

ein junger Bersagliere, den schon <strong>der</strong> Starrkrampf ergriffen<br />

hatte. Obgleich er scheinbar voller Leben <strong>und</strong> seine Augen<br />

weit geöffnet waren, hörte <strong>und</strong> verstand er nichts mehr <strong>und</strong><br />

blieb verlassen.<br />

Viele Soldaten baten mich, ihren Eltern zu schreiben,<br />

o<strong>der</strong> auch ihrem Hauptmann, <strong>der</strong> in ihren Augen ihre abwesende<br />

Familie ersetzte.<br />

Im Sankt Clemens-Spital widmete sich eine Dame aus<br />

Brescia, die Gräfin Bronna, mit <strong>der</strong> Selbstverleugnung einer<br />

Heiligen <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Amputierten. Die französischen Soldaten<br />

redeten begeistert von dieser Frau, die sich durch die<br />

wi<strong>der</strong>lichsten Umstände nicht irre machen <strong>und</strong> abschrecken<br />

liess. „Sono madre, ich bin Mutter!" lautete ihre schlichte<br />

Erklärung, in welcher sich ihre ebenso vollständige als mütterliche<br />

Hingebung ausdrückte.<br />

l ) Was bei <strong>der</strong> Menge von Verw<strong>und</strong>eten, die es allenthalben gab,<br />

wohl zn entschuldigen war.


— 44 —<br />

Im Spital San Gaetano zeichnete sich ein Franziskanermonch,<br />

Bru<strong>der</strong> Luigi, durch seinen Eifer <strong>und</strong> seine Güte<br />

gegen die Verw<strong>und</strong>eten aus. Ein Piemontese, <strong>der</strong> französisch<br />

<strong>und</strong> italienisch sprach, übersetzte den lombardischen Aerzten<br />

die Bitten <strong>der</strong> französischen Soldaten <strong>und</strong> wurde <strong>des</strong>halb als<br />

Dolmetscher beibehalten.<br />

Im Spital nebenan wurde Chloroform angewandt: einige<br />

Kranke waren schwer zu betäuben; zuweilen lief die Sache<br />

auch schlimm ab, <strong>und</strong> vergebens versuchte man den Mann,<br />

<strong>der</strong> wenige Augenblicke zuvor noch mit einem sprach, ins<br />

Leben zurückzurufen.<br />

Wie<strong>der</strong>holt wurde ich auf <strong>der</strong> Strasse von guten Bürgersleuten<br />

angehalten, welche mich flehentlich baten, auf einen<br />

Augenblick in ihre Wohnung zu kommen <strong>und</strong> den dort lintergebrachten<br />

französischen Offizieren, die sie zwar aufs beste<br />

verpflegten, <strong>der</strong>en Sprache sie aber nicht verstanden, als<br />

Dolmetscher zu dienen. Die Kranken regten sich auf, wurden<br />

unruhig <strong>und</strong> ärgerlich darüber, dass man sie nicht verstand,<br />

zum grossen Leidwesen <strong>der</strong> Familie, <strong>der</strong>en bestgemeinte<br />

Aufmerksamkeiten mit <strong>der</strong> schlechten Laune aufgenommen<br />

wurden, in welche Fieber <strong>und</strong> Leiden einen so<br />

leicht versetzen. Einer von ihnen, dem ein italienischer Arzt<br />

zur A<strong>der</strong> lassen wollte, bildete sich ein, man wolle ihn amputieren,<br />

wi<strong>der</strong>setzte sich aus Leibeskräften <strong>und</strong> that sich<br />

durch die Aufregung furchtbar weh. Inmitten so beklagenswerter<br />

Missverständnisse bedurfte es nur einiger Worte in<br />

ihrer Muttersprache, um diese Invaliden von Solferino zu beschwichtigen<br />

<strong>und</strong> zu beruhigen.<br />

Mit welcher Geduld widmeten sich die Bewohner von<br />

Brescia den Männern, die sich selbst aufgeopfert hatten, um<br />

sie vom fremden Joche zu befreien! Sie waren aufrichtig<br />

betrübt, wenn ihr Pflegling starb; als ob es einem verstorbenen<br />

Familienmitglied gälte, folgten sie dem Sarge <strong>des</strong><br />

französischen Offiziers zu seiner letzten Ruhestatt auf dem<br />

Campo Santo, <strong>und</strong> obgleich er nur wenige Tage ihr Gast war,


— 45 —<br />

<strong>und</strong> sie vielleicht nicht einmal seinen Namen kannten, beweinten<br />

sie ihn wie einen Fre<strong>und</strong>, einen Verwandten, einen Sohn.<br />

Die im Spital verstorbenen Soldaten wurden zur Nachtzeit<br />

begraben <strong>und</strong> ihre Namen <strong>und</strong> Erkennungsnummern aufgeschrieben,<br />

was in Castiglione fast nie geschehen war.<br />

Alle Städte <strong>der</strong> Lombardei rechneten es sich zur Ehre<br />

an, ihre Rechte bei <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten geltend<br />

zu machen. In Bergamo <strong>und</strong> Cremona wurden die in aller<br />

Eile gebildeten beson<strong>der</strong>en Ausschüsse durch Hilfsausschüsse<br />

aufopfern<strong>der</strong> Damen unterstützt. Als in einem <strong>der</strong> Spitäler<br />

Cremonas ein italienischer Arzt bemerkte: „Die guten Sachen<br />

heben wir für unsere Fre<strong>und</strong>e aus dem verbündeten Heere<br />

auf; unsern Feinden geben wir eben nur, was sie brauchen;<br />

um so schlimmer, wenn sie sterben!" beeilte sich eine Dame,<br />

welche eines <strong>der</strong> Spitäler dieser Stadt leitete, ihre Missbilligung<br />

dieser barbarischen Aeusserung auszusprechen <strong>und</strong><br />

zu erklären, sie werde keinen Unterschied zwischen Fre<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Feind machen <strong>und</strong> Oestreichern, Franzosen <strong>und</strong> Sarden<br />

die gleiche Pflege angedeihen lassen. „Denn," fügte sie hinzu,<br />

„unser Herr Jesus Christus hat keine solchen Unterschiede<br />

zwischen den Menschen geboten, wenn es sich darum handelt,<br />

ihnen Gutes zu tliun."<br />

In Cremona, wie überall, seufzten die französischen<br />

Aerzte über ihre Unzulänglichkeit. „Nicht ohne tiefe Bekümmernis,"<br />

ruft Dr. Sonrier aus, „kann ich an einen kleinen<br />

Saal in Cremona mit 25 Betten denken, die - für die am<br />

schwersten verw<strong>und</strong>eten Oestreicher aufgehoben worden waren.<br />

Vor meinem Auge tauchen alsdann jene abgezehrten, leichenblassen<br />

Gestalten wie<strong>der</strong> auf, wie sie, das Gesicht welk vor<br />

Erschöpfung <strong>und</strong> langdauern<strong>der</strong> eiteriger Blutvergiftung, mit<br />

herzzerreissenden Gebärden <strong>und</strong> Rufen als letzte Gnade die<br />

Abnahme eines Glie<strong>des</strong> erflehen, das man hatte erhalten<br />

wollen, um sie einem jämmerlichen To<strong>des</strong>kampfe zu überliefern,<br />

bei dem wir ohnmächtige Zuschauer bleiben mussten!"


— 46 —<br />

Ausser einer Schar mutiger <strong>und</strong> unermüdlicher Aerzte,<br />

<strong>der</strong>en Namen ich gerne anzuführen in <strong>der</strong> Lage wäre (denn<br />

wenn das Töten von Menschen Anspruch auf Ruhm gewährt,<br />

so verdienen doch sicherlich die Männer, welche sie oft mit<br />

eigener Lebensgefahr heilen, unsre volle Achtung <strong>und</strong> Dankbarkeit),<br />

eilten Studierende <strong>der</strong> Medizin aus Bologna, Pisa<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Städten Italiens herbei. Ein kanadischer Arzt,<br />

Dr. Norman Bettun, Professor <strong>der</strong> Anatomie in Toronto, lieh<br />

diesen aufopfernden Männern seine Unterstützung. Ausser<br />

den Bewohnern <strong>der</strong> Lombardei suchten durchreisende Franzosen,<br />

Schweizer, Belgier sich nützlich zu machen, aber ihre<br />

Bemühungen mussten sich auf die Verteilung von Orangen,<br />

Gefrorenem, Kaifee, Limonade <strong>und</strong> Tabak beschränken.<br />

In Piacenza, <strong>des</strong>sen drei Spitäler von Privatpersonen<br />

<strong>und</strong> von Damen besorgt wurden, die sich <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

widmeten, setzte eine dieser letzteren, ein junges<br />

Fräulein, obwohl ihre Familie sie inständig bat, ihre Tliätigkeit<br />

im Spital wegen <strong>der</strong> dort herrschenden ansteckenden<br />

Fieber aufzugeben, ihr Werk mit solcher Hingebung <strong>und</strong><br />

mit so liebenswürdigem Eifer fort, dass sie von allen Soldaten<br />

verehrt war. Ueberall, sagten sie, verbreite sie Freude<br />

im Spital.<br />

Wie wertvoll wären in den lombardischen Städten einige<br />

h<strong>und</strong>ert hingebende, erfahrene <strong>und</strong> vor allem vorgeschulte<br />

freiwillige Krankenpfleger gewesen! In ihnen hätten dann<br />

die vereinzelten Hilfeleistungen <strong>und</strong> die zersplitterten Kräfte<br />

einen Mittelpunkt gef<strong>und</strong>en. So aber fehlte es denen, die<br />

im stände gewesen wären, zu raten <strong>und</strong> zu leiten, an Zeit,<br />

<strong>und</strong> den meisten an<strong>der</strong>en, die nur ihre ungenügende <strong>und</strong> oft<br />

unfruchtbare persönliche Hingabe mitbrachten, an Kenntnissen<br />

nnd Uebung. Was vermochte auch in <strong>der</strong> That, trotz<br />

allen guten Willens, eine Handvoll vereinzelter Personen angesichts<br />

eines so dringenden Werkes? Nach einigen Wochen<br />

kühlte sich die mildthätige Begeisterung ab, <strong>und</strong> da zudem


— 47 —<br />

manche ebenso unerfahrene, wie in ihrer Woliltliätigkeit. unvernünftige<br />

Bürgersleute zuweilen eine für die Verw<strong>und</strong>eten<br />

unzuträgliche Nahrung herbeibrachten, so sah man sich schliesslich<br />

genötigt, ihnen den Eintritt in die Kirchen <strong>und</strong> Spitäler<br />

zu untersagen.<br />

Verschiedene Personen, die gerne ein bis zwei St<strong>und</strong>en<br />

täglich bei den Kranken zugebracht hätten, verzichteten<br />

darauf, sobald es hiezu einer Erlaubnis bedurfte, <strong>der</strong>en Einholung<br />

beson<strong>der</strong>e Schritte nötig machte. Die Fremden, welche<br />

in sich die Neigung verspürten, Dienste zu leisten, stiessen<br />

auf unvorhergesehene <strong>und</strong> entmutigende Hin<strong>der</strong>nisse aller Art.<br />

Aber freiwillige, auserlesene <strong>und</strong> tüchtige, von Vereinen mit<br />

Genehmigung <strong>der</strong> Regierungen ausgeschickte <strong>und</strong> durch eine<br />

zwischen den kriegführenden Mächten getroffene Abmachung<br />

geschützte Krankenpfleger wären über diese Schwierigkeiten<br />

Herr geworden <strong>und</strong> hätten unvergleichlich mehr Gutes gestiftet.<br />

Während <strong>der</strong> ersten acht Tage nach <strong>der</strong> Schlacht erhielten<br />

die Verw<strong>und</strong>eten, von welchen die Aerzte im Vorübergehen<br />

halblaut <strong>und</strong> kopfschüttelnd sagten, „es sei nichts<br />

mehr zu machen", kaum mehr irgend welche Pflege <strong>und</strong><br />

starben hilflos. Und war dies angesichts <strong>der</strong> wenigen Krankenpfleger<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> ungeheuren Menge von Verw<strong>und</strong>eten nicht<br />

ganz natürlich! Eine unerbittliche <strong>und</strong> grausame Logik gebot,<br />

diese Unglücklichen sterben zu lassen, ohne dass man<br />

sich weiter um sie bekümmerte nnd ihnen eine kostbare Zeit<br />

opferte, die man für die noch einer Heilung fähigen Soldaten<br />

aufsparen musste. Und solcher Unglücklicher, über welche<br />

dieses unerbittliche Urteil gefällt wurde, gab es eine Menge;<br />

auch waren sie nicht taub! Ihre Verlassenheit blieb ihnen<br />

nicht lange verborgen, <strong>und</strong> mit w<strong>und</strong>em, tief gekränktem<br />

Herzen hauchten sie unbeachtet den letzten Seufzer aus.<br />

Manchem unter ihnen wird sein Ende dadurch noch trauriger<br />

gemacht <strong>und</strong> verbittert, dass in seiner Nähe, auf dem<br />

Lager nebenan, ein leichtverw<strong>und</strong>eter junger Soldat liegt,


— 48 —<br />

<strong>des</strong>sen dumme Witze ihm we<strong>der</strong> Rast noch Ruhe lassen. Auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite ist vielleicht soeben einer seiner Unglücksgefahrten<br />

gestorben, <strong>und</strong> er, <strong>der</strong> selbst im Sterben liegt, ist<br />

nun gezwungen, die nur zu hastig betriebene Bestattung mit<br />

anzusehen, welche ihm seine eigene im voraus vor Augen<br />

rückt. Endlich, im Begriff das Leben auszuhauchen, muss<br />

er es noch mit ansehen, wie gewisse Leute seinen Schwächezustand<br />

benützen, um seinen Tornister zu durchstöbern <strong>und</strong><br />

fortzuschleppen, was ihnen von seinem Inhalt zusagt.<br />

Für diesen Sterbenden liegen schon seit acht Tagen<br />

Briefe auf <strong>der</strong> Post: würden sie ihm eingehändigt, so wäre dies<br />

ein erhabener Trost für ihn. Flehentlich hatte er die Wächter<br />

gebeten, sie ihm zu holen, damit er sie noch vor seiner letzten<br />

St<strong>und</strong>e lesen könne, aber von ihnen die harte Antwort erhalten,<br />

sie hätten keine Zeit, sie hätten an<strong>der</strong>es zu thun.<br />

Besser wäre es für dich gewesen, du armer Dul<strong>der</strong>,<br />

wärest du zum Tod getroffen auf dem Blutfeld nie<strong>der</strong>gesunr<br />

ken, inmitten jener glänzenden Greuelscenen, die man Ruhm<br />

nennt! Dein Name wäre wenigstens nicht vergessen worden,<br />

wenn du als tapferer Verteidiger <strong>der</strong> Regimentsfahne neben<br />

deinem Oberst gefallen wärest. Fast wäre es noch besser<br />

für dich gewesen, wenn dich die rohen Bauersleute, welchen<br />

das Geschäft, die Toten zu bestatten, zugefallen war, lebendig<br />

begraben hätten, als sie dich bewusstlos auf dem Cypressenhiigel<br />

am Fuss <strong>des</strong> Turmes von Solferino o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Ebene<br />

von Medole aufhoben! Dein To<strong>des</strong>kampf hätte wenigstens<br />

nicht lange gedauert. Jetzt wartet deiner eine Reihe von<br />

To<strong>des</strong>qualen; dir winkt nicht mehr das Feld <strong>der</strong> Ehre, vor<br />

dir siehst du nur noch den kalten Tod mit all seinen Schrecken,<br />

<strong>und</strong> als ganze Leichenrede das eine Wort: „vermisst"!<br />

Was ist aus <strong>der</strong> Ruhmesliebe geworden, die bei Beginn<br />

<strong>des</strong> Feldzugs <strong>und</strong> an jenem Tag von Solferino diesen tapferen<br />

Krieger durchglühte, damals, als er, sein eigenes Leben in<br />

die Schanze schlagend, so heldenmütig nach dem seiner Nebenmenschen<br />

trachtete, <strong>der</strong>en Blut er so leichten Fusses zu ver-


— 49 —<br />

giessen eilte? "Wo ist <strong>der</strong> Mut <strong>der</strong> ersten Kämpfe geblieben?<br />

wo jenes unwi<strong>der</strong>stehliche Feuer? wo die ansteckende Begeisterung,<br />

die durch den Pulvergeruch, das Schmettern <strong>der</strong><br />

Trompeten <strong>und</strong> die Klänge <strong>der</strong> Kriegsmusiken, durch das<br />

Donnern <strong>der</strong> Kanonen <strong>und</strong> das Pfeifen <strong>der</strong> Kugeln noch erhöht,<br />

Gefahr, Leiden <strong>und</strong> Tod vergessen liess?<br />

In den vielen Spitälern <strong>der</strong> Lombardei konnte man sehen,<br />

um welchen Preis das erkauft wird, was die Menschen mit<br />

dem stolzen Worte „Ruhm" benennen <strong>und</strong> wie teuer dieser<br />

Ruhm zu stehen kommt!<br />

Die Schlacht bei Solferino ist die einzige in unserem<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, welche hinsichtlich <strong>der</strong> Grösse <strong>der</strong> Verluste mit<br />

<strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Moskwa, mit <strong>der</strong> bei Leipzig <strong>und</strong> bei<br />

Waterloo einen Vergleich aushält. Als Ergebnis <strong>der</strong> Schlacht<br />

vom 24. Juni 1859 zählte man an Toten <strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

im östreichischen <strong>und</strong> französisch-sardinischen Heer 3 Feldmarschälle,<br />

9 Generale, 1566 Offiziere jeden Rangs, darunter<br />

630 Oestreicher <strong>und</strong> 936 Verbündete, <strong>und</strong> ungefähr 40000<br />

Soldaten <strong>und</strong> Unteroffiziere. Ausserdem lagen vom 15. Juni<br />

bis zum 31. August in den Spitälern von Brescia nach amtlicher<br />

Zählung 19665 an Fiebern o<strong>der</strong> sonstwie Erkrankte, wovon<br />

mehr als 19000 dem französisch-sardinischen Heere angehörten.<br />

Die Oestreicher hatten ihrerseits min<strong>des</strong>tens 20000 kranke<br />

Soldaten in Venetien, dazu 10000 Verw<strong>und</strong>ete, die nach <strong>der</strong><br />

Schlacht bei Solferino nach Verona übergeführt wurden, in<br />

<strong>des</strong>sen überfüllten Spitälern schliesslich das Spitalfieber <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Typhus ausbrach. So sind also zu den 40 000 Toten<br />

<strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>eten vom 24. Juni noch mehr als 40000 hinzuzurechnen,<br />

die infolge <strong>der</strong> Ueberanstrengung am Schlachttag<br />

selbst <strong>und</strong> an den vorangehenden <strong>und</strong> nachfolgenden Tagen,<br />

o<strong>der</strong> durch den ver<strong>der</strong>blichen Einfluss <strong>der</strong> tropischen Hitze<br />

in den lombardischen Ebenen, o<strong>der</strong> endlich durch eigene Unvorsichtigkeit<br />

am Fieber erkrankt o<strong>der</strong> gestorben waren.<br />

Vom militärischen Standpunkte abgesehen, ist also die<br />

Schlacht bei Solferino vom Standpunkt <strong>der</strong> Mensch-<br />

4


— 50 —<br />

lichkeit aus gewissermassen ein europäisches Unglück<br />

gewesen.<br />

Die Verbringung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten von Brescia nach Mailand,<br />

die wegen <strong>der</strong> bei Tag herrschenden sengenden Hitze<br />

zur Nachtzeit stattfand, beson<strong>der</strong>s die Ankunft <strong>der</strong> mit verstümmelten<br />

Soldaten beladenen Eisenbahnzüge an dem von<br />

einer dichtgedrängten Menschenmasse belagerten Bahnhof bot<br />

ein ergreifen<strong>des</strong> Schauspiel. Von dem bleichen Schimmer <strong>der</strong><br />

Harzfackeln beleuchtet, schien die Menge den Atem anzuhalten,<br />

um auf die bis zu ihr dringenden Seufzer <strong>und</strong> erstickten<br />

Klagelaute zu lauschen.<br />

Die Bahnlinie von Mailand nach' Brescia, welche die<br />

Oestreicher auf ihrem Rückzug an verschiedenen Punkten<br />

zerstört hatten, wurde in den ersten Tagen <strong>des</strong> Juli wie<strong>der</strong><br />

für die Beför<strong>der</strong>ung von Schiessbedarf, Kriegsgeräte <strong>und</strong><br />

Lebensmitteln eröffnet <strong>und</strong> so die Räumung <strong>der</strong> Spitäler von<br />

Brescia erleichtert. Auf je<strong>der</strong> Station waren lange, schmale<br />

Nothütten für die Aufnahme <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten errichtet worden.<br />

Beim Verlassen <strong>der</strong> Eisenbahnwagen wurden diese auf<br />

Matratzen nie<strong>der</strong>gelegt, die in langer Linie sich aneinan<strong>der</strong><br />

reihten. Unter den Schuppen hatte man Tische aufgestellt,<br />

die mit Brot, Fleischbrühe, Limonade, Wein, Wasser, Charpie,<br />

Leinwand <strong>und</strong> Binden beladen waren. Fackeln, die von<br />

jungen Leuten aus dem betreffenden Ort, wo <strong>der</strong> Zug hielt,<br />

getragen wurden, erhellten die Finsternis. Die lombardischen<br />

Bürger eilten herbei, um den Siegern von Solferino ihren<br />

Tribut an Dankbarkeit darzubringen: inmitten einer andächtigen<br />

Stille verbanden sie die Verw<strong>und</strong>eten, nachdem sie<br />

diese unter allerlei Vorsichtsmassregeln aus den Wagen herausgeschafft<br />

hatten, um sie alsdann auf den für sie hergerichteten<br />

Betten nie<strong>der</strong>zulegen. Die Damen boten erfrischende<br />

Getränke <strong>und</strong> allerlei Esswaren an <strong>und</strong> verteilten<br />

sie in den Eisenbahnwagen an solche, die noch bis Mailand<br />

weiterfahren mussten.


— 51 -<br />

In dieser Stadt, wo mehrere Nächte hintereinan<strong>der</strong> je<br />

etwa tausend Verw<strong>und</strong>ete ankamen, wurden die Opfer von<br />

Solferino aufs zuvorkommendste aufgenommen. Diesmal regnete<br />

es keine Bosen aus den Händen anmutiger Patrizierinnen,<br />

die in ihrer begeisterten Erregung doppelt schön erschienen,<br />

von den festlich geschmückten Baikonen <strong>der</strong> prunkvollen<br />

Paläste <strong>des</strong> mailändischen Adels hinunter auf glänzende<br />

Achselstücke <strong>und</strong> goldene Ehrenkreuze. Heute vergossen<br />

diese Frauen mit dankerfülltem Herzen Thränen <strong>des</strong> Mitleids,<br />

das sie alsbald durch ihre selbstverleugnende Hingebung<br />

bethätigten.<br />

Alle Familien, die einen Wagen zur Verfügung hatten,<br />

holten Verw<strong>und</strong>ete am Bahnhof ab. Die Anzahl <strong>der</strong> von<br />

den Mailän<strong>der</strong>n gestellten Wagen überstieg vielleicht fünfh<strong>und</strong>ert.<br />

Die schönsten Herrschaftswagen wie die allerbescheidensten<br />

Gefährte fuhren jeden Abend <strong>der</strong> Porta Tosa<br />

zu, wo <strong>der</strong> Bahnhof von Mailand sich befindet. Die italienischen<br />

Damen rechneten es sich zur Ehre an, die ihnen zugewiesenen<br />

Gäste selbst in ihre prächtigen, mit Matratzen,<br />

Teppichen <strong>und</strong> Kopfkissen ausgestatteten Wagen zu betten;<br />

die vornehmen Lombarden verbrachten sie selbst dorthin,<br />

<strong>und</strong> ihre nicht weniger diensteifrigen Diener unterstützten<br />

sie bei dieser Aufgabe.<br />

Mit wohlwollenden Zurufen <strong>und</strong> entblössten Hauptes begrüsste<br />

die Menge die Dul<strong>der</strong> auf ihrer Fahrt; sie geleitete<br />

den langsam sich bewegenden Zug mit Fackeln, welche die<br />

schwermütigen Gesichter <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten beleuchteten, die<br />

zu lächeln versuchten, <strong>und</strong> folgte ihnen bis zur Schwelle <strong>der</strong><br />

gastfre<strong>und</strong>lichen Paläste, wo die aufmerksamste Pflege ihrer<br />

wartete.<br />

Jede Familie wollte französische Verw<strong>und</strong>ete haben <strong>und</strong><br />

suchte ihnen durch jede Art von Zuvorkommenheit die Entbehrung<br />

von Vaterland, Verwandten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en weniger<br />

fühlbar zu machen. Aber schon nach wenigen Tagen sahen<br />

sich die meisten Bewohner Mailands genötigt, ihre Pfleglinge.


— 52 —<br />

an die Spitäler abzugeben, da die Militärverwaltung einer<br />

allzugrossen Zersplitterung <strong>der</strong> Hilfskräfte <strong>und</strong> <strong>der</strong> üeberanstrengung<br />

<strong>der</strong> Aerzte vorbeugen wollte; denn schon vor<br />

Solferino beherbergten die mailändischen Spitäler ungefähr<br />

9000 Verw<strong>und</strong>ete aus den vorhergehenden Kämpfen.<br />

Die vornehmen Mailän<strong>der</strong>innen wachten am Kopfkissen<br />

<strong>des</strong> gewöhnlichen Soldaten, <strong>des</strong>sen Schutzengel sie wurden:<br />

die Gräfin Verri, geb. Borromeo, Frau Uboldi de Capei, Frau<br />

Boselli, Frau Sala-Taverna, die Gräfin Taverna lind viele<br />

an<strong>der</strong>e vergassen ihre bisherigen vornehmen Lebensgewohnheiten,<br />

um ganze Monate an diesen Schmerzenslagern zuzubringen.<br />

Einige dieser Damen waren Mütter, <strong>der</strong>en Trauergewän<strong>der</strong><br />

auf jüngst erlittene schmerzliche Verluste schliessen<br />

Hessen. Eine von diesen erzählte: „Der Krieg hat mir den<br />

ältesten meiner Söhne geraubt; er starb vor acht Monaten<br />

an den Folgen einer Kugel, die er vor Sebastopol erhielt,<br />

wo er zusammen mit dem französischen Heere kämpfte.<br />

Als ich von <strong>der</strong> Ankunft französischer Verw<strong>und</strong>eter in Mailand<br />

hörte <strong>und</strong> erfuhr, dass ich sie würde pflegen können,<br />

hatte ich das Gefühl, als schickte mir Gott seinen ersten<br />

Trost."<br />

Die Gräfin Verri-Borromeo, Vorsitzende <strong>des</strong> Centralhilfsausschusses,<br />

leitete das grosse Weisszeug- <strong>und</strong> Charpielager<br />

<strong>und</strong> brachte trotz ihres hohen Alters mehrere St<strong>und</strong>en<br />

täglich damit zu, dass sie den Kranken vorlas.<br />

Alle Paläste beherbergten Verw<strong>und</strong>ete; <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong><br />

Familie Borromeo allein dreih<strong>und</strong>ert. Die Oberin <strong>der</strong> Ursulinerinnen,<br />

die Schwester Marina Videmari, hatte ihr Kloster<br />

in ein Spital verwandelt <strong>und</strong> verrichtete mit ihren Ordensschwestern<br />

den Dienst in demselben: dieses klösterliche Spital<br />

war ein Muster von Ordnung <strong>und</strong> Reinlichkeit. Die Marchesa<br />

Pallavicini-Trivulzio, welche den grossen Turiner Ausschuss<br />

mit bew<strong>und</strong>ernswerter Hingebung <strong>und</strong> Selbstverleugnung leitete,<br />

errichtete eine Centralempfangsstelle für die Gaben verschiedener<br />

Städte <strong>und</strong> Län<strong>der</strong>; ihrer Thätigkeit war es zu


— 53 —<br />

verdanken, wenn die in <strong>der</strong> Contrada San Paolo in Mailand<br />

gelegenen Vorratshäuser immer gut ausgestattet blieben.<br />

Nach Verlauf einiger Wochen konnte man durch die<br />

Strassen Mailands kleine Abteilungen in <strong>der</strong> Genesung begriffener<br />

französischer Soldaten ziehen sehen, welche traurig<br />

den Rückweg nach Frankreich einschlugen: die einen trugen<br />

den Arm in <strong>der</strong> Schlinge, an<strong>der</strong>e gingen an Krücken o<strong>der</strong><br />

trugen sonstige Spuren von Verw<strong>und</strong>ungen. Ihre Uniformen<br />

waren abgetragen <strong>und</strong> zerrissen; dafür trugen sie prächtige<br />

Leibwäsche, mit welcher reiche Lombarden sie an Stelle<br />

ihrer blutgetränkten Hemden freigebig versehen hatten. „Euer<br />

Blut," meinten diese, „ist für die Verteidigung unseres Lan<strong>des</strong><br />

geflossen, <strong>und</strong> wir wollen ein Andenken daran behalten."<br />

Ergeben trugen die noch vor kurzem starken <strong>und</strong> kräftigen<br />

Leute, die jetzt mit einem Arm, mit einem Bein o<strong>der</strong> mit<br />

verb<strong>und</strong>enem Kopf einherzogen, ihre Leiden. Aber zu fernerem<br />

Waffendienst <strong>und</strong> zur Ernährung ihrer Familien untauglich,<br />

sahen sie jetzt schon mit Bitterkeit im Geiste voraus, wie<br />

sie nach ihrer Rückkehr ins Vaterland ein Gegenstand <strong>des</strong><br />

Bedauerns <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mitleids sein würden, sich selbst <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>n eine Last.<br />

In einem <strong>der</strong> Spitäler von Mailand wurde ein entschlossen<br />

<strong>und</strong> stolz dareinblicken<strong>der</strong> Sergeant <strong>der</strong> Gardezuaven, <strong>der</strong><br />

sich ein Bein hatte abnehmen lassen, ohne auch nur einen<br />

Klagelaut auszustossen, kurz nachher von tiefer Trauer befallen,<br />

obwohl sein Zustand sich besserte <strong>und</strong> seine Genesung<br />

rasche Fortschritte machte. Man konnte sich diese von Tag<br />

zu Tag wachsende Traurigkeit nicht erklären; endlich drang<br />

eine barmherzige Schwester, welche ihn mit Thränen in den<br />

Augen überrascht hatte, so lange mit Fragen in ihn, bis er<br />

schliesslich gestand, er sei die einzige Stütze seiner alten<br />

gebrechlichen Mutter, welcher er bisher jeden Monat fünf<br />

Franken von seiner Löhnung geschickt habe. Da es ihm<br />

jetzt unmöglich sei, sie zu unterstützen, so müsse die araie


— 54 —<br />

Frau in äusserster Geldnot sein. Von Mitleid gerührt, schenkte<br />

ihm die barmherzige Schwester fünf Franken, die sogleich<br />

nach Frankreich abgeschickt wurden. Als ihm die Leiterin<br />

<strong>des</strong> Spitals ein neues Geschenk aufnötigen wollte, wies er<br />

es dankend zurück: „Heben Sie dieses Geld für an<strong>der</strong>e auf,<br />

welche es nötiger brauchen als ich; was meine Mutter betrifft,<br />

so hoffe ich ihr im nächsten Monat ihr Gehalt schicken<br />

zu können, denn ich werde wohl bald wie<strong>der</strong> arbeitsfähig<br />

sein."<br />

Eine Dame von Mailand, die Trägerin eines berühmten<br />

Namens, hatte einen ihrer Paläste mit h<strong>und</strong>ertfiinfzig Betten<br />

den Verw<strong>und</strong>eten zur Verfügung gestellt. Unter den in diesem<br />

prächtigen Gebäude untergebrachten Soldaten befand sich ein<br />

Grenadier <strong>des</strong> 70. französischen Linienreginients, welcher infolge<br />

einer Gliedabnahme in To<strong>des</strong>gefahr schwebte. Die Dame<br />

suchte den Verw<strong>und</strong>eten zu trösten <strong>und</strong> redete mit ihm von<br />

seiner Familie. Da erzählte ihr dieser, er sei <strong>der</strong> einzige<br />

Sohn armer Bauersleute aus dem Departement du Gers, <strong>und</strong><br />

es bekümmere ihn, seine Eltern im Elend zurücklassen zu<br />

müssen, da er allein für ihren Unterhalt gesorgt habe. Sein<br />

grösster Trost vor seinem Tod, fügte er hinzu, wäre es gewesen,<br />

wenn er seine Mutter noch einmal hätte umarmen können. Ohne<br />

ihm von ihrem Plane etwas zu sagen, entschloss sich die vornehme<br />

Mailän<strong>der</strong>in plötzlich, Mailand zu verlassen, setzte sich<br />

in die Bahn, reiste ins Departement du Gers zu <strong>der</strong> Familie<br />

<strong>des</strong> Soldaten, <strong>der</strong>en Adresse sie sich verschafft hatte, nahm<br />

die Mutter <strong>des</strong> Verw<strong>und</strong>eten, nachdem sie dem alten gebrechlichen<br />

Vater eine bedeutende Geldsumme zurückgelassen hatte,<br />

mit sich nach Mailand, <strong>und</strong> sechs Tage nach dem Geständnis<br />

umarmte <strong>der</strong> Sohn seine Mutter unter Thränen <strong>und</strong> Segenswünschen<br />

für seine Wolilthäterin.<br />

Aber was nützt es, die Erinnerung an so viele Schmerzens<strong>und</strong><br />

Jammerscenen aufzufrischen <strong>und</strong> so peinliche Gefühle


— 55 —<br />

wachzurufen? Welchen Zweck hat es, jammervolle Einzelheiten<br />

so wohlgefällig zu schil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verzweiflung<br />

vor dem Leser aufzurollen?<br />

Auf diese ganz natürliche Frage möchten wir mit einer<br />

an<strong>der</strong>n Frage antworten.<br />

Sollte es nicht möglich sein, in allen europäischen Län<strong>der</strong>n<br />

Hilfsgesellschaften zu gründen zu dem Zweck, die Verw<strong>und</strong>eten<br />

in Kriegszeiten ohne Unterschied <strong>der</strong> Volksangehörigkeit<br />

durch Freiwillige pflegen zu lassen? Da wir doch einmal<br />

auf die Wünsche <strong>und</strong> Hoffnungen <strong>der</strong> Vereine <strong>der</strong> Friedensfre<strong>und</strong>e,<br />

auf die schönen Träume eines Abbe de Saint-Pierre<br />

<strong>und</strong> eines Grafen Sellon verzichten müssen; da die Menschen<br />

auch fernerhin sich gegenseitig töten werden, ohne sich zu<br />

hassen, <strong>und</strong> da <strong>der</strong> höchste Kriegsruhm darin gesehen wird,<br />

so viel Menschenleben als möglich zu vernichten; da man<br />

immer noch mit Joseph de Maistre zu behaupten wagt, es<br />

sei etwas Göttliches um den Krieg, da man jeden Tag mit<br />

einer Ausdauer, die einer besseren Sache würdig wäre, immer<br />

furchtbarere Zerstörungsmittel ersinnt <strong>und</strong> die Erfin<strong>der</strong> dieser<br />

Mordwerkzeuge durch die um die Wette rüstenden Staaten<br />

Europas noch aufgemuntert werden — warum sollte man da<br />

nicht eine Zeit verhältnismässiger Ruhe <strong>und</strong> Stille benützen,<br />

um die von uns gestellte, vom Standpunkt <strong>der</strong> Menschlichkeit<br />

wie <strong>des</strong> Christentums gleich hochbedeutende Frage zu lösen?<br />

Wenn einmal dieser Gegenstand dem Nachdenken je<strong>der</strong>manns<br />

zugänglich gemacht ist, so wird er auch ohne Zweifel<br />

Betrachtungen <strong>und</strong> Schriften von massgeben<strong>der</strong>en Personen<br />

hervorrufen; aber zunächst handelt es sich doclt wohl darum,<br />

den verschiedenen Zweigen <strong>der</strong> grossen europäischen Völkerfamilie<br />

diesen Gedanken zu übermitteln, die Aufmerksamkeit<br />

<strong>und</strong> das Mitgefühl aller <strong>der</strong>er zu gewinnen, die hochgesinnt<br />

<strong>und</strong> zartfühlend genug sind, um an den Leiden ihrer Mitmenschen<br />

innigen Anteil zu nehmen.<br />

Dies ist <strong>der</strong> Zweck dieses Buches.<br />

Gesellschaften dieser Art würden, wenn sie einmal dauernd


— 56 —<br />

gebildet wären, im Augenblick eines Kriegs vollständig eingerichtet<br />

dastehen. Sie miissten in den Län<strong>der</strong>n, wo sie sich<br />

gebildet haben, das Wohlwollen <strong>der</strong> Behörden zu erlangen<br />

suchen <strong>und</strong> im Kriegsfall bei den Beherrschern <strong>der</strong> kriegführenden<br />

Mächte um die Vollmachten <strong>und</strong> Vergünstigungen<br />

nachsuchen, welche eine erfolgreiche Lösung ihrer Aufgabe<br />

ermöglichen. Diese Gesellschaften müssten also in jedem<br />

Lande die ehrenwertesten <strong>und</strong> angesehensten Männer als Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> leitenden Oberausschusses zu den ihrigen zählen.<br />

Beim Beginn <strong>des</strong> Feldzugs würden sie einen Aufruf an alle<br />

die Personen ergehen lassen, die gewillt sind, sich augenblicklich<br />

diesem Werke zu widmen, das heisst <strong>der</strong> Aufgabe,<br />

unter <strong>der</strong> Leitung erfahrener Aerzte auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n,<br />

<strong>und</strong> sodann in den Feldlazaretten <strong>und</strong> Spitälern den Verw<strong>und</strong>eten<br />

Hilfe zu leisten <strong>und</strong> sie zu pflegen.<br />

Die freiwillige Hingebung ist nicht so selten, wie man<br />

etwa denken könnte. Sicherlich würden viele Personen, <strong>und</strong><br />

manche wohl auch auf eigene Kosten, sich einer so ungemein<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Aufgabe unterziehen, wenn sie auf die<br />

Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung <strong>der</strong> obersten Verwaltung rechnen<br />

dürften <strong>und</strong> so die Gewissheit bekämen, Avirklich etwas Gutes<br />

zu thun. Welchen Reiz hätte es in unserem selbstsüchtigen<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert für edle Herzen, für ritterliche Naturen, denselben<br />

Gefahren wie <strong>der</strong> Kriegsmann zu trotzen <strong>und</strong> dabei<br />

eine ganz freiwillige Sendung <strong>des</strong> Friedens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Trostes<br />

zu erfüllen!<br />

Die Geschichte beweist, dass es durchaus keine Hirngespinste<br />

sind, wenn wir auf solche Beispiele <strong>der</strong> Hingebung<br />

zählen. Eine ganz beson<strong>der</strong>e Bestätigung findet unsere Ansicht<br />

in zwei Thatsachen aus unseren Tagen, die im Krimkrieg<br />

Aufsehen gemacht haben <strong>und</strong> in enger Beziehung zu<br />

unserem Gegenstand stehen.<br />

Während barmherzige Schwestern die Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong><br />

Kranken <strong>des</strong> französischen Heeres in <strong>der</strong> Krim pflegten, sahen<br />

die Heere <strong>der</strong> Russen <strong>und</strong> Englän<strong>der</strong> zwei Scharen hoch-


— 57 —<br />

herziger Krankenpflegerinnen von Norden <strong>und</strong> von Westen<br />

her nahen. Die Grossfürstin Paulowna von Russland, geb.<br />

Prinzessin Charlotte von Württemberg, die Witwe <strong>des</strong> Grossfiirsten<br />

Michael, hatte an 300 Damen aus Petersburg <strong>und</strong><br />

Moskau gewonnen, um in den russischen Spitälern <strong>der</strong> Krim<br />

den Dienst von Krankenpflegerinnen zu versehen, <strong>und</strong> sie<br />

mit allem Nötigen ausgestattet: Tausende von Soldaten<br />

segneten diese edeln Frauen.<br />

In England an<strong>der</strong>erseits hatte Miss Florence Nightingale<br />

von Lord Sidney Herbert, Kriegsminister <strong>des</strong> britischen Beichs,<br />

eine dringende Einladung erhalten, den englischen Soldaten<br />

im Orient Hilfe zu bringen <strong>und</strong> ohne Zau<strong>der</strong>n diese aufopferungsvolle<br />

Sendung übernommen. Sie reiste im November<br />

1854 nach Konstantinopel <strong>und</strong> Skutari in Begleitung von<br />

37 englischen Damen, die sogleich nach ihrer Ankunft die<br />

Pflege <strong>der</strong> vielen Verw<strong>und</strong>eten von Inkerman übernahmen.<br />

1855 traf Miss Stanley mit 50 weiteren Genossinnen zu ihrer<br />

Unterstützung ein; dieser Umstand ermöglichte es <strong>der</strong> Miss<br />

Nightingale nach Balaklava zu gehen, um die dortigen Spitäler<br />

zu besichtigen. Das Bild <strong>der</strong> Miss Florence Nightingale,<br />

wie sie zur Nachtzeit mit einer kleinen Lampe in <strong>der</strong> Hand<br />

die weiten Schlafsäle <strong>der</strong> Militärspitäler durchwan<strong>der</strong>t <strong>und</strong><br />

sich vom Zustand eines jeden Kranken überzeugt, wird den<br />

Männern, die Gegenstand o<strong>der</strong> Zeugen ihrer bew<strong>und</strong>erungswürdigen<br />

Barmherzigkeit waren, unvergesslich bleiben, <strong>und</strong><br />

die Erinnerung daran wird für immer <strong>der</strong> Geschichte angehören.<br />

Wie viele von den zahlreichen Beispielen eiijer ähnlichen<br />

Hingebung aus alter <strong>und</strong> neuer Zeit, die grösstenteils im<br />

Dunkeln <strong>und</strong> ungekannt geblieben sind, haben bloss darum<br />

keine Früchte getragen, weil sie vereinzelt blieben, <strong>und</strong> weil<br />

es an einer verständigen Zusammenfassung <strong>der</strong> einzelnen<br />

K<strong>und</strong>gebungen <strong>des</strong> Mitgefühls zu einem gemeinsamen Zwecke<br />

fehlte!<br />

Wären am 24., 25. <strong>und</strong> 26. Juni in Castiglione, sowie


— 58 —<br />

in Brescia, Mantua <strong>und</strong> Verona freiwillige Krankenpfleger<br />

gewesen, wieviel Gutes hätten diese wirken können! Wie<br />

viele Mitmenschen hätten sie in jener unglückseligen Nacht<br />

vom Freitag vom Tode errettet, wo herzzerreissende Seufzer<br />

<strong>und</strong> Bitten sich <strong>der</strong> Brust von Tausenden von Verw<strong>und</strong>eten<br />

entrangen, die von den bittersten Schmerzen <strong>und</strong> unsäglichem<br />

Durst gefoltert dalagen!<br />

Wäre <strong>der</strong> Prinz von Isenburg früher durch mitleidige<br />

Hände von dem blutgetränkten Boden, auf dem er ohnmächtig<br />

lag, aufgehoben worden, so hätte er nicht mehrere Jahre<br />

an den infolge seiner langen Verlassenheit verschlimmerten<br />

W<strong>und</strong>en zu leiden gehabt; <strong>und</strong> hätte nicht sein Pferd zu<br />

seiner Auffindung mitten unter den Leichen geführt, so wäre<br />

er, wie so viele an<strong>der</strong>e Verw<strong>und</strong>ete, die doch auch Geschöpfe<br />

Gottes waren, <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Tod für ihre Familien ebenso<br />

schmerzlich sein mochte, aus Mangel an Hilfe elend zu Gr<strong>und</strong><br />

gegangen!<br />

Die wackern alten Frauen <strong>und</strong> schönen Jungfrauen Castigliones<br />

konnten vielen ihrer Pfleglinge das Leben nicht erhalten;<br />

denn ausser ihnen hätte es noch erfahrener, fähiger,<br />

entschlossener <strong>und</strong> im voraus zu ordnungsmässigem Zusammenwirken<br />

geschulter Männer bedurft, — die einzige Möglichkeit,<br />

um Fehler zu verhin<strong>der</strong>n, welche die W<strong>und</strong>en verschlimmern<br />

<strong>und</strong> tödlich machen. Hätte man eine genügende<br />

Anzahl von Helfern gehabt, um die Verw<strong>und</strong>eten in den<br />

Ebenen Medoles, in den Schluchten von San Martino, auf<br />

den steilen Böschungen <strong>des</strong> Monte Fontana <strong>und</strong> den Hügeln<br />

von Solferinp aufzulesen, so hätte dieser arme Bersagliere,<br />

dieser Ulane o<strong>der</strong> Zuave, <strong>der</strong> trotz seiner rasenden Schmerzen<br />

sich aufzurichten bemühte <strong>und</strong> vergeblich Zeichen gab, man<br />

solle mit einer Tragbahre zu ihm kommen, nicht st<strong>und</strong>enlang<br />

in qualvoller To<strong>des</strong>angst daliegen müssen! Endlich wäre<br />

man nicht Gefatir gelaufen, mit den Toten Lebende zu begraben!<br />

Besser vervollkommnete Beför<strong>der</strong>ungsmittel hätten jenem


— 59 —<br />

Gardefüsilier die schreckliche Amputation erspart, die in<br />

Brescia an ihm vorgenommen wurde <strong>und</strong> die nur durch den<br />

beklagenswerten Mangel an jeglicher Pflege während <strong>der</strong><br />

Verbringung vom Schlachtfeld nach Castiglione nötig geworden<br />

war.<br />

Muss man sich nicht beim Anblick <strong>der</strong> jungen Invaliden,<br />

wie sie als Krüppel mit einem Arm o<strong>der</strong> Bein traurig in die<br />

Heimat zurückkehren, Gewissensbisse machen, weil man sich<br />

nicht mehr Mühe gegeben hat, den traurigen Folgen von<br />

Verw<strong>und</strong>ungen vorzubeugen, die oft durch rechtzeitige Hilfeleistungen<br />

hätten geheilt werden können?<br />

Und hätten wohl jene Sterbenden, die man in den Feldlazaretten<br />

von Castiglione <strong>und</strong> in den Spitälern von Brescia<br />

hilflos liegen liess, <strong>und</strong> die sich vielfach nicht in ihrer Muttersprache<br />

verständlich machen konnten, unter Flüchen <strong>und</strong><br />

Gotteslästerungen ihren letzten Seufzer ausgehaucht, wenn<br />

ein barmherziges Wesen an ihrer Seite gewacht hätte, um<br />

sie anzuhören <strong>und</strong> zu trösten?<br />

Trotz <strong>der</strong> Hilfeleistungen von seiten <strong>der</strong> Behörden, trotz<br />

<strong>des</strong> Eifers <strong>der</strong> lombardischen Städte ist noch unermesslich<br />

viel zu thun übrig geblieben, obgleich noch bei keinem Krieg<br />

so viel Barmherzigkeit an den Tag gelegt worden war. Diese<br />

stand eben immer noch ausser allem Verhältnis zu <strong>der</strong> Grösse<br />

<strong>des</strong> Elends, welches es zu lin<strong>der</strong>n galt.<br />

Zur Erfüllung einer so edeln Aufgabe taugen eben keine<br />

Mietlinge, die sich bald angeekelt fühlen <strong>und</strong> durch die Ermüdung<br />

gefühllos, hartherzig <strong>und</strong> träge werden. Hier ist<br />

sofortige Hilfe nötig, denn was heute noch den Verw<strong>und</strong>eten<br />

retten kann, rettet ihn morgen nicht mehr; beim geringsten<br />

Zeitverlust kann <strong>der</strong> Brand eintreten, <strong>der</strong> den Verw<strong>und</strong>eten<br />

dem sichern Tode entgegenführt. Darum brauchen wir freiwillige<br />

Krankenpfleger, die im voraus geschult <strong>und</strong> mit ihrer<br />

Aufgabe vertraut sind, <strong>und</strong> die von den Befehlshabern <strong>der</strong><br />

kriegführenden Heere öffentlich anerkannt <strong>und</strong> auf jede Weise<br />

in ihrer Aufgabe unterstützt werden.


— 60 —<br />

Diese Krankenpfleger finden ihren Platz nicht nur auf<br />

den Schlachtfel<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n ebenso in den Spitälern, wo für<br />

die ihrer Familie <strong>und</strong> ihrer Fre<strong>und</strong>e beraubten Verw<strong>und</strong>eten<br />

die Wochen so langsam <strong>und</strong> schmerzvoll dahinfliessen. Während<br />

dieses kurzen italienischen Kriegs kam es vor, dass<br />

Soldaten von so heftigem Heimweh befallen wurden, dass sie<br />

ohne irgend eine sonstige Krankheit o<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ung daran<br />

starben. An<strong>der</strong>erseits kam die Teilnahme <strong>der</strong> Italiener, wie<br />

sich wohl begreifen lässt, fast nur den Verw<strong>und</strong>eten <strong>des</strong> verbündeten<br />

Heeres zu gute, während die leidenden Oestreicher<br />

sehr wenig davon verspürten. Wohl gab es in Italien mutige<br />

Frauen, <strong>der</strong>en Geduld <strong>und</strong> Ausdauer nicht ermüdete; aber<br />

ach! zuletzt konnte man sie zählen: die ansteckenden Fieber<br />

hielten viele fern, <strong>und</strong> nicht alle Krankenwärter <strong>und</strong> Diener<br />

entsprachen lange den auf sie gesetzten Erwartungen. Das<br />

Personal <strong>der</strong> Militärlazarette ist stets ungenügend, <strong>und</strong> wird<br />

es bleiben, auch wenn es verdoppelt <strong>und</strong> verdreifacht würde.<br />

Man ist durchaus auf die Mitwirkung <strong>des</strong> Publikums angewiesen,<br />

<strong>und</strong> so wird es immer sein. Nur so kann man<br />

hoffen, die Leiden <strong>des</strong> Kriegs zu mil<strong>der</strong>n.<br />

Es gilt also, einen Aufruf, eine Bitte an Angehörige<br />

aller Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> aller Stände, an die Mächtigen dieser Welt,<br />

wie an die bescheidensten Arbeiter zu richten, denn alle<br />

können auf die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Weise, je<strong>der</strong> in seinem<br />

Kreis <strong>und</strong> nach seinen Kräften, ihren Teil zu diesem guten<br />

Werke beitragen. Dieser Aufruf wendet sich an Frauen<br />

wie an Männer, an die Fürstin <strong>und</strong> die auf den Stufen eines<br />

Thrones sitzende Prinzessin, wie an die demütige <strong>und</strong> hingebende<br />

verwaiste Magd o<strong>der</strong> an die allein in <strong>der</strong> Welt<br />

stehende Witwe, die gerne ihre letzten Kräfte dem Wohle<br />

<strong>der</strong> Nebenmensehen widmen möchte. Er wendet sich an den<br />

General, den Feldmarschall, den Kriegsminister, wie an den<br />

Schriftsteller <strong>und</strong> den Mann <strong>der</strong> Wissenschaft, <strong>der</strong> durch<br />

seine Veröffentlichungen mit Geschick für eine Sache eintreten


— 61 —<br />

kann, welche die ganze Menschheit, je<strong>des</strong> Volk, jede Landschaft,<br />

sogar jede Familie angeht; kann doch niemand sich<br />

gegen die Wechselfälle <strong>des</strong> Krieges geschützt nennen!<br />

"Wenn ein östreichischer <strong>und</strong> ein französischer General,<br />

die bei Solferino gegeneinan<strong>der</strong> gekämpft hatten, kurz nachher<br />

nebeneinan<strong>der</strong> an <strong>der</strong> gastlichen Tafel <strong>des</strong> Königs von<br />

Preussen sitzen <strong>und</strong> sich fre<strong>und</strong>schaftlich unterhalten konnten,<br />

wer konnte sie daran hin<strong>der</strong>n, eine ihrer Teilnahme <strong>und</strong><br />

Aufmerksamkeit so würdige Frage zu prüfen <strong>und</strong> zu besprechen?<br />

Während <strong>der</strong> grossen Manöver bei Köln im Jahre<br />

1861 liess König Wilhelm von Preussen die von ihren Kegierungen<br />

abgeordneten Offiziere verschiedener Nationen in<br />

das Schloss Benrath bei Düsseldorf zu Tisch laden. Ehe<br />

man sich setzte, fasste <strong>der</strong> König den General Forey <strong>und</strong><br />

den General Paumgarten bei <strong>der</strong> Hand <strong>und</strong> sagte lächelnd<br />

zu ihnen: „Jetzt, da Sie Fre<strong>und</strong>e sind, setzen Sie sich nur<br />

hier zusammen <strong>und</strong> plau<strong>der</strong>n Sie." Forey war <strong>der</strong> Sieger<br />

von Montebello <strong>und</strong> Paumgarten sein Gegner.<br />

Wäre es nicht wünschenswert, dass bei solch ausserordentlichen<br />

Anlässen wie denjenigen, welche in Köln, Ckälons<br />

o<strong>der</strong> sonst wo Meister <strong>der</strong> Kriegskunst von verschiedenen<br />

Völkern zusammenführen, diese Männer eine solche Art von<br />

Kongress benützten, um irgend einen internationalen, vertragsmässigen<br />

<strong>und</strong> geheiligten Gr<strong>und</strong>satz aufzustellen, <strong>der</strong> einmal<br />

angenommen <strong>und</strong> bestätigt, den Vereinen zur Hilfeleistung<br />

für die Verw<strong>und</strong>eten in den verschiedenen Län<strong>der</strong>n Europas<br />

als Gr<strong>und</strong>lage dienen könnte? Es ist um so wichtiger, sich<br />

zum voraus über die zu ergreifenden Massregeln ins Einvernehmen<br />

zu setzen, als beim Ausbruch von Feindseligkeiten<br />

die Kriegführenden schon schlecht aufeinan<strong>der</strong> zu sprechen<br />

sind <strong>und</strong> solche Fragen nur noch von dem Standpunkt, ihrer<br />

eigenen Angehörigen aus behandeln.<br />

Man beruft doch auch kleinere gelehrte, juristische,<br />

medizinische, landwirtschaftliche, statistische <strong>und</strong> volkswirtschaftliche<br />

Versammlungen, die in <strong>der</strong> ausgesprochenen Ab-


— 62 —<br />

sieht zusammenkommen, um Fragen von weit geringerer Tragweite<br />

zu verhandeln! Giebt es doch auch internationale gemeinnützige<br />

<strong>und</strong> Wolilthätigkeitsgesellschaften! Sollte man<br />

da nicht ebensogut zusammenkommen können, um eine so<br />

hochwichtige Frage wie die einer besseren Fürsorge für die<br />

Opfer <strong>des</strong> Kriegs zu lösen?<br />

Menschlichkeit <strong>und</strong> Gesittung verlangen gebieterisch ein<br />

Werk wie das hier angedeutete; es ist dies eine Pflicht, zu<br />

<strong>der</strong>en Erfüllung je<strong>der</strong> Ehrenmann, je<strong>der</strong> Mann von Einfluss<br />

für seinen Teil beizutragen schuldig ist.<br />

Welcher Fürst, welcher Herrscher, würde diesen Vereinen<br />

seine Unterstützung versagen <strong>und</strong> sich nicht vielmehr glücklich<br />

schätzen, den Kriegern seines Heeres die volle Gewissheit<br />

zu verschaffen, dass sie im Falle <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ung auf<br />

sofortige <strong>und</strong> angemessene Pflege rechnen dürfen?<br />

Durch ständige Vereine, wie ich sie hier vorschlage,<br />

wird man ferner oftmals dem Uebelstand vorbeugen, dass die<br />

übersandten Gel<strong>der</strong> <strong>und</strong> sonstigen Hilfsmittel verschleu<strong>der</strong>t<br />

o<strong>der</strong> unverständig verteilt werden. Im Orientkrieg gingen<br />

beträchtliche Sendungen Charpie, welche die russischen Damen<br />

aufgebracht hatten, von Petersburg nach <strong>der</strong> Krim ab; aber<br />

anstatt in die Spitäler, für die sie bestimmt waren, wan<strong>der</strong>ten<br />

die Ballen in Papiermühlen, die sich ihrer für ihre Industrie<br />

bemächtigten.<br />

Durch Vervollkommnung <strong>der</strong> Beför<strong>der</strong>ungsmittel, durch<br />

Verhin<strong>der</strong>ung von Unfällen auf dem Weg vom Schlachtfeld<br />

zum Feldlazarett wird man viele Amputationen vermeiden<br />

<strong>und</strong> dadurch auch die Lasten <strong>der</strong> Regierungen vermin<strong>der</strong>n,<br />

welche ihren Invaliden einen Gnadengehalt gewähren. Diese<br />

Vereine könnten auch, wenn sie dauernden Bestand hätten,<br />

bei Seuchen, Ueberschwemmungen, grossen Feuersbrünsten<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en unvorhergesehenen grossen Unglücksfallen, wertvolle<br />

Dienste leisten. Die Triebfe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nächstenliebe, die zu<br />

ihrer Bildung den Anstoss gegeben hätte, würde sie auch sonst<br />

überall leiten, wo sich ein Feld für ihre Thätigkeit findet.


— 63 —<br />

Dieses Werk hat die Hingebung einer gewissen Anzahl<br />

von Personen zur Voraussetzung, an Geld dagegen wird es<br />

ihm in Kriegszeiten nie fehlen. AVenn die Vereine ihre Aufrufe<br />

erlassen, so wird wohl ein je<strong>der</strong> seine Gabe o<strong>der</strong> sein<br />

Scherflein beisteuern. Ein Land sieht nicht gleichgültig zu,<br />

wenn seine Söhne sich zu seiner Verteidigung schlagen!<br />

Nicht darin liegt die Schwierigkeit: alles kommt vielmehr<br />

darauf an, dass in allen Län<strong>der</strong>n ernstliche Vorbereitungen<br />

zu einem Werk dieser Art getroffen, dass ebensolche Vereine<br />

ins Leben gerufen werden.<br />

Zur Gründung <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Spitze dieser Vereine stehenden<br />

Ausschüsse genügt in jedem Lande <strong>der</strong> gute Wille einiger<br />

ehrenwerter Personen, welche die hiezu nötige Ausdauer besitzen.<br />

Solche von dem Geist einer alle Völker gleichmässig<br />

umfassenden Nächstenliebe beseelte Ausschüsse würden dann<br />

gewissermassen in schlummerndem Zustand die Rahmen für<br />

die spätere Einreihung von Krankenpflegern, eine Art von<br />

Generalstab bilden. Die Ausschüsse <strong>der</strong> verschiedenen Völker<br />

könnten sich, obwohl voneinan<strong>der</strong> unabhängig, verständigen<br />

<strong>und</strong> sich untereinan<strong>der</strong> in Verkehr setzen, zu einem Kongress<br />

zusammentreten <strong>und</strong> im Falle eines Krieges zum Wohle aller<br />

wirken.<br />

Wenn auch die furchtbaren Zerstörungsmittel, die den<br />

Völkern gegenwärtig zu Gebot stehen, allem Anschein nach<br />

die Dauer <strong>der</strong> Kriege für die Zukunft abkürzen werden, so<br />

werden dafiir die Schlachten wohl um so mör<strong>der</strong>ischer sein;<br />

<strong>und</strong> können in unserem Jahrh<strong>und</strong>ert, in welchem das Unvorhergesehene<br />

eine so grosse Rolle spielt, nicht da o<strong>der</strong> dort<br />

ganz plötzlich uiul unerwartet solche Kriege ausbrechen?<br />

Liegen in diesen Erwägungeu allein nicht schon mehr<br />

Gründe als genug, um sich nicht von den Ereignissen überraschen<br />

zu lassen?


IL<br />

Henry Dunant <strong>und</strong> <strong>der</strong> erste Erfolg seines Buchs<br />

„Eine Erinnerung an Solferino".<br />

Jean Henry Dunant, am 8. Mai 1828 in Genf geboren,<br />

gehört einer alten <strong>und</strong> höchst angesehenen <strong>Genfer</strong><br />

Patrizierfamilie an. 1 ) Sein Yater Jean Jacques Dunant<br />

war Mitglied <strong>des</strong> Conseil Representatif <strong>der</strong> Republik , <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Kantons Genf bis zu den politischen Ereignissen <strong>des</strong> Jahres<br />

1842, wo diese altaristokratische Einrichtung einer neuen<br />

demokratischen Verfassung weichen musste <strong>und</strong> durch einen<br />

Grossen Eat ersetzt wurde. Lange Jahre hindurch widmete<br />

er seine aufopfernde Thätigkeit <strong>der</strong> Pflegschaftskammer<br />

(Chambre <strong>des</strong> Tutelles et Curatelles), einer <strong>der</strong> edelsten wohltliätigen<br />

Einrichtungen <strong>des</strong> alten Genf, welche eine für die<br />

Min<strong>der</strong>jährigen <strong>und</strong> ihre Familien höchst segensreiche Thätigkeit<br />

entfaltete, im Jahre 1847 jedoch aufgehoben wurde.<br />

Bis zum Jahre 1842 war <strong>der</strong>selbe auch unbezahlter Beamter<br />

<strong>des</strong> Petit Saconnex, eines an die Stadt Genf stossenden<br />

Bezirks.<br />

i) Die Hanptquellen, auf die im Folgenden öfter Bezog genommen<br />

wird, sind neben H. Dnnants noch ungedruckten Denkwürdigkeiten <strong>und</strong><br />

persönlichen Mitteilungen: Dr. C. Lue <strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Convention, Erlangen<br />

1876; Leonce de Cazenove, La Guerre et l'Humanite au<br />

XIX> siMe, Paris; Dr. Colleville, Historique de la Croix-Rouge, Reims.


— 65 —<br />

Der Pate <strong>und</strong> .zugleich nahe Verwandte dieses Wackeren,<br />

Noble Jean Jacques Dunant, erster Syndicus, d. h. erster<br />

Beamter '<strong>des</strong> Staats in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>des</strong> vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

gehörte zu den „magnifiques et tres honores seigneurs"<br />

<strong>der</strong> Republik Genf.<br />

Die Mutter Dunants, eine geborene Anne Antoinette<br />

Colladon, gehörte gleichfalls einer sehr alten Patrizierfamilie<br />

an, welche schon zur Zeit <strong>der</strong> Reformation zu den<br />

hervorragendsten <strong>der</strong> kleinen Republik zählte. Sie war eine<br />

Tochter <strong>des</strong> Ratsherrn H. Colladon, Leiters <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Spitals<br />

<strong>und</strong> Bürgermeisters von Avully bei Genf, <strong>und</strong> die Schwester<br />

<strong>des</strong> berühmten Ingenieurs <strong>und</strong> Professors <strong>der</strong> Mechanik<br />

M. J. Daniel Colladon, <strong>des</strong>sen zahlreiche wissenschaftliche<br />

Entdeckungen in <strong>der</strong> Gelehrtenwelt wohl bekannt sind,<br />

wie z. B. die <strong>der</strong> Fortpflanzung <strong>des</strong> Schalls im Wasser, <strong>der</strong><br />

Verwendung komprimierter Luft zu Tunnelbolirungen, <strong>der</strong><br />

leuchtenden Springbrunnen u. s. w. Diese Familie Colladon<br />

stammt in gera<strong>der</strong> Linie von dem Gouverneur <strong>der</strong> Stadt<br />

La Cliätre in Berry (Departement de l'Indre), dem edeln<br />

Herrn Germain de Colladon ab, <strong>des</strong>sen Söhne Germain <strong>und</strong><br />

Leon sich zur Zeit <strong>der</strong> Reformation in Genf nie<strong>der</strong>liessen <strong>und</strong><br />

dort, am selben Tag wie <strong>der</strong> gleichfalls aus Berry stammende<br />

Ahnherr Jean Jacques Rousseaus, als Bürger aufgenommen<br />

wurden. Der jüngere, Germain, trug den Beinamen „le Legiste"<br />

(= <strong>der</strong> Rechtsgelehrte), weil er im Einverständnis mit<br />

den Reformatoren das <strong>Genfer</strong> Gesetzbuch ausarbeitete.<br />

Die Familie Dunant (in ganz alter Zeit du Nant geschrieben)<br />

ist in den Staatsregistern aus <strong>der</strong> Reformationszeit<br />

als die vierte <strong>Genfer</strong> Familie eingetragen. Diese alteingesessene<br />

konservative Familie war eine <strong>der</strong> letzten, die<br />

sich vom Katholizismus lossagten. Schon im 14. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

finden wir Beamte dieses Namens in Genf.<br />

Der ehemalige Professor für Hygiene an <strong>der</strong> Universität<br />

Genf, Dr. P. L. Dunant, ist <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>des</strong> Begrün<strong>der</strong>s<br />

<strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>. Nach Lue<strong>der</strong> hat er sich mittelbar grosse<br />

5


— 66 —<br />

Verdienste um die Konvention erworben. Er ist als Verfasser<br />

verschiedener medizinischer Werke bekannt, <strong>und</strong>, von<br />

ähnlichen menschenfre<strong>und</strong>lichen Gesinnungen beseelt, wie sein<br />

Bru<strong>der</strong>, ist er diesem als hingeben<strong>der</strong> Mitarbeiter bei dem<br />

grossen Werk zur Seite gestanden, „aber in so bescheidener<br />

Stille, dass seiner Mitthätigkeit <strong>und</strong> seines Verdienstes um die<br />

grosse Sache kaum von irgend einer Seite gedacht worden<br />

ist." 1 ) Er war <strong>der</strong> Ordner <strong>und</strong> Generalsekretär <strong>des</strong> im<br />

Jahre 1882 in Genf abgehaltenen internationalen hygienischen<br />

Kongresses <strong>und</strong> ist Vicepräsident <strong>des</strong> Grossen Ausschusses<br />

vom Eoten Kreuz, sein ältester Sohn Moriz Dunant <strong>des</strong>sen<br />

Schriftführer.<br />

Wir sehen also, dass das Wohlthun gewissermassen ein<br />

Erbstück in dieser Familie war. Die Mutter unseres Menschenfreun<strong>des</strong>,<br />

eine Frau von hervorragendem Geist <strong>und</strong> ausgezeichnetem,<br />

aufopferndem Herzen, übte den glücklichsten Einfluss<br />

auf ihre Kin<strong>der</strong> aus, <strong>der</strong>en ältestes <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> wurde. Dieser „lebte in Genf als einfacher<br />

Privatmann. Sein gutes Herz drängte ihn zu Werken <strong>der</strong><br />

Wohlthätigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Nächstenliebe. So schrieb er 1857<br />

eine Broschüre gegen die amerikanische Sklaverei; ausserdem<br />

gab er einige litterarische <strong>und</strong> ethnographische Arbeiten heraus,<br />

unter an<strong>der</strong>em eine Monographie über die damals noch<br />

sehr wenig bekannte <strong>und</strong> von ihm bereiste Regentschaft<br />

Tunis, welche ihm die Mitgliedschaft verschiedener gelehrter<br />

Gesellschaften Frankreichs <strong>und</strong> <strong>des</strong> Auslan<strong>des</strong> eintrug. Sein<br />

Meisterwerk jedoch war die Erinnerung an Solferino." 8 )<br />

Ueber die Entstehung dieses Buchs sprach sich Dunant selbst<br />

in einem am 6. August 1872 in London unter Vorsitz von<br />

Lord Elcho gehaltenen Vortrag nach Dr. Colleville folgen<strong>der</strong>massen<br />

aus:<br />

„Schon vor dem italienischen Feldzug hatte ich mich<br />

viel mit <strong>der</strong> Frage menschenfre<strong>und</strong>licher Einrichtungen zu<br />

J ) Lue<strong>der</strong>, die <strong>Genfer</strong> Konvention u, s. w. S. 70.<br />

8 ) Colleville, Historique de la Croix-Rouge. S. 3.


— 67 —<br />

Gunsten <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten gemeinen Soldaten beschäftigt, <strong>der</strong>en<br />

bitteres Los in <strong>und</strong> nach den Kämpfen ich schmerzlich beklagte.<br />

Zur Zeit <strong>des</strong> Krimkriegs hatte die bew<strong>und</strong>erungswürdige<br />

Thätigkeit <strong>der</strong> Miss Nightingale ganz beson<strong>der</strong>s<br />

meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. So kam es, dass<br />

ich mich im Jahre 1859 gleich mit Eröffnung <strong>der</strong> Feindseligkeiten<br />

nach Italien begab. Yon Parma ging ich über<br />

den Apennin, wo ich meine Absicht erreichte, das fünfte<br />

französische Armeecorps anzutreffen, <strong>des</strong>sen General, <strong>der</strong><br />

Marquis de Beaufort-d'Hautpoul, Chef <strong>des</strong> Generalstabs war.<br />

Der General, dem ich persönlich bekannt war, hatte die<br />

Fre<strong>und</strong>lichkeit, mir einen Empfehlungsbrief an den General<br />

Mac-Mahon, den nachmaligen Marschall <strong>und</strong> Herzog von Magenta<br />

einzuhändigen (die Schlacht bei Magenta war damals<br />

noch nicht geschlagen). Ich war schon persönlich mit diesem<br />

berühmten <strong>und</strong> wackeren Kriegsmann bekannt, <strong>der</strong> mir einige<br />

Jahre zuvor Beweise seines Wohlwollens gegeben hatte. Sofort<br />

begab ich mich nach Brescia <strong>und</strong> von da auf eigene Gefahr<br />

nach Castiglione, indem ich ein kleines Gefährt mietete,<br />

<strong>des</strong>sen Lenker eben aus Mantua entflohen war <strong>und</strong> das Land<br />

mit seinen Seitenstrassen von Gr<strong>und</strong> aus kannte. Castiglione<br />

wurde mein Hauptquartier <strong>und</strong> von hier aus wurde ich Zeuge<br />

<strong>des</strong> jammervollsten Schauspiels, das man sich ausmalen kann.<br />

Das Dorf Solferino befindet sich bekanntlich in nächster Nähe.<br />

„Ich war we<strong>der</strong> Gelehrter noch Arzt, son<strong>der</strong>n einfacher<br />

<strong>und</strong> bescheidener Privatmann, <strong>und</strong> habe die Leiden geschil<strong>der</strong>t,<br />

<strong>der</strong>en Zeuge ich gewesen bin. Der Anblick <strong>der</strong> Greuelscenen<br />

dieses ungeheuren Schlachtfelds, auf welchem ich bis<br />

zum 30. Juni blieb (die Schlacht hatte am 24. stattgef<strong>und</strong>en),<br />

erfüllte mich mit dem glühenden Wunsch, es so weit zu<br />

bringen, dass die Opfer <strong>des</strong> Kriegs, ohne Unterschied <strong>des</strong><br />

Rangs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Volksangehörigkeit, als unverletzlich anerkannt<br />

würden. Ueber das „wie" machte ich mir in jenem Augenblick<br />

noch keine Gedanken. Ich hatte wahrlich an<strong>der</strong>es z«<br />

thun! Das schreckliche Schauspiel <strong>der</strong> zahllosen Verw<strong>und</strong>eten,


— 68 —<br />

die hilflos ihrem Ende entgegensiechten, machte einen tiefen<br />

Eindruck auf mich; die Unzulänglichkeit <strong>des</strong> Sanitätsdienstes<br />

schien mir gar zu trostlos <strong>und</strong> wurde später selbst von solchen<br />

anerkannt, die sie zuerst geleugnet hatten. Eines <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Ergebnisse, die ich durch die Veröffentlichung meiner<br />

Erinnerung an Solferino <strong>und</strong> die dadurch ins Leben<br />

gerufene Bewegung erreichte, war die Verbesserung <strong>des</strong><br />

Militärkrankendienstes in den meisten europäischen Län<strong>der</strong>n. 1 )<br />

Der Anblick <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten von Solferino weckte in mir<br />

den zuerst nur unbestimmten Gedanken an die Dringlichkeit<br />

<strong>und</strong> Möglichkeit einer dauernden Unverletzlichkeitserklärung<br />

zu Gunsten <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> ihrer Pfleger. Obwohl<br />

von meiner Umgebung als Hirngespinst angesehen, so nahm<br />

doch dieser Gedanke vor meinem geistigen Auge immer bestimmtere<br />

<strong>und</strong> klarere Gestalt an, bis zur Veröffentlichung<br />

meines Buchs, in welchem mich die Vorsehung dazu berief,<br />

den Gr<strong>und</strong>satz zu verkündigen, dass je<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ete zu<br />

Lande, gleichviel welchem Volk er angehöre, als unverletzlich<br />

zu gelten habe." 2 )<br />

Zur Erreichung dieses Zwecks war es nötig, dass sich<br />

in den einzelnen Län<strong>der</strong>n vom Geiste internationaler Menschenliebe<br />

beseelte Gesellschaften bildeten. Dunant verlangte diese<br />

in dem genannten Buche, welches er, wie er seihst betont,<br />

nicht etwa „Erinnerungen an Solferino," son<strong>der</strong>n „Eine Erinnerung<br />

an Solferino" benannte, um schon durch diesen<br />

Titel zu zeigen, dass er bei <strong>der</strong> Veröffentlichung <strong>des</strong>selben<br />

einen einzigen <strong>und</strong> bestimmten Zweck im Auge hatte.<br />

Während dieses italienischen Feldzugs kam ihm <strong>der</strong> Gedanke<br />

an vorgeschulte freiwillige Helfer, an opferwillige<br />

„Hospitaliter", welche unter <strong>der</strong> weisen Leitung ständiger<br />

Gesellschaften stehen <strong>und</strong>, obwohl <strong>der</strong> Zusammensetzung nach<br />

national, nach Gesinnung <strong>und</strong> Thätigkeit international sein<br />

*) Dies allein war schon ein ungeheurer Erfolg,<br />

s) Colleville, S. 16 f.


— 69 —<br />

sollten. „Um den Verw<strong>und</strong>eten -wirksame Hilfe zu bringen,"<br />

sagt Dunant, „wollte ich die freiwilligen Helfer nicht <strong>der</strong><br />

Gefahr einer Gefangennahme aussetzen. Deshalb habe ich<br />

schon im Jahre 1859 darauf gesonnen, einen auf internationaler<br />

Uebereinkunft beruhenden, unantastbaren Gr<strong>und</strong>satz<br />

ausfindig zu machen, welcher nach seiner Genehmigung <strong>und</strong><br />

Bestätigung <strong>der</strong> Bildung ständiger Gesellschaften als Gr<strong>und</strong>lage<br />

dienen konnte. Zu diesem Zweck bin ich in den verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong>n Europas umhergereist <strong>und</strong> habe zahlreiche<br />

Veröffentlichungen erscheinen lassen: überall bin ich<br />

für die Sache <strong>der</strong> leidenden Menschheit eingetreten." 1 )<br />

Lue<strong>der</strong> hebt mit anerkennenden Worten die „grosse<br />

Gewandtheit <strong>und</strong> Energie" hervor, mit <strong>der</strong> von Genf aus die<br />

Verwirklichung <strong>des</strong> Werkes betrieben wurde, <strong>und</strong> auch hier<br />

sei es vor allem wie<strong>der</strong> Dunant gewesen, welcher „durch<br />

anstrengende <strong>und</strong> ausdauernde persönliche Mühen <strong>und</strong> Opfer,<br />

durch Aufsuchen <strong>und</strong> Interessieren <strong>der</strong> in Betracht kommenden<br />

Verbindungen das Zustandekommen <strong>des</strong> Anfangs <strong>des</strong><br />

Werks ausserordentlich geför<strong>der</strong>t" habe. 2 ) Das Geheimnis<br />

seiner Kraft war eben, dass diese gerühmte Gewandtheit ein<br />

Ausfluss seiner Begeisterung war. Der Denker wurde zum<br />

Eeiseapostel, <strong>der</strong> Schriftsteller bemühte sich zum Diplomaten<br />

zu werden. So viel ist aber jedenfalls sicher, dass jede Triebfe<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Eitelkeit o<strong>der</strong> <strong>des</strong> persönlichen Interesses ihm ferne<br />

lag, <strong>und</strong> dass nur die edelsten Beweggründe ihn beseelten.<br />

Von Natur zu einer Begeisterung geneigt, die ihn, wie er<br />

selbst gesteht, zuweilen die Gebote <strong>der</strong> Klugheit vergessen<br />

liess, freigebig bis zur Verschwendung, im Besitz einer sehr<br />

lebhaften Phantasie <strong>und</strong> einer an Eigensinn grenzenden Beharrlichkeit,<br />

bewies er einen wirklichen schöpferischen Sinn<br />

<strong>und</strong> ein höchst entwickeltes Organisationstalent. In erster<br />

Linie jedoch verdankte er seinen w<strong>und</strong>erbaren Erfolg seinem<br />

') Colleville, S. 18.<br />

8 ) Lue<strong>der</strong>, S. 63.


— 70 —<br />

Herzen. Der vollständige Mangel an Selbstsucht <strong>und</strong> jeglichem<br />

Hintergedanken, mit welchem er seine persönlichen<br />

Interessen <strong>und</strong> alle Eigenliebe hintansetzte, um einzig <strong>und</strong><br />

allein sein menschenfre<strong>und</strong>liches Ziel <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen Verwirklichung<br />

ins Auge zu fassen; sein sanfter, bescheidener, ruhiger<br />

<strong>und</strong> allzeit dienstfertiger, wenn auch zuweilen zu vertrauensseliger<br />

Charakter, die ihm angeborene Liebenswürdigkeit <strong>und</strong><br />

sein Zartgefühl gewannen ihm während seines freiwilligen<br />

Aposteltums viele Herzen. So unpraktisch auch <strong>der</strong>artig veranlagte<br />

Naturen sonst zu sein pflegen, so zeigte doch Dunant<br />

bei dem ganzen Unternehmen einen höchst praktischen Sinn,<br />

insofern er es verstand, sein wohlwollen<strong>des</strong>, mitfühlen<strong>des</strong><br />

<strong>und</strong> hilfbereites Herz reden zu lassen, <strong>und</strong>, im Bewusstsein<br />

<strong>des</strong> hohen menschenfre<strong>und</strong>lichen Ziels, das es zu erreichen<br />

galt, die ihm sonst anhaftende Schüchternheit zu überwinden.<br />

Ausserdem verstand er es, als hochgebildeter Mann, alles<br />

von einem höheren, über nationale, soziale, religiöse <strong>und</strong> politische<br />

Vorurteile erhabenen Standpunkt aus zu beurteilen<br />

<strong>und</strong> alles zu vermeiden, was irgend eine Partei o<strong>der</strong> Nation<br />

vor den Kopf stossen konnte.<br />

Dunant hatte aus eigener Anschauung den Krieg kennen<br />

lernen wollen; was ihn aber mitten in die Kämpfe trieb, war<br />

nicht leere Neugierde o<strong>der</strong> sonst ein nichtiger Beweggr<strong>und</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Wunsch zu sehen, um alsdann zu handeln. Seine<br />

Schil<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Schlachtfelds <strong>und</strong> seiner grausigen Wirklichkeit<br />

gab auch, dank seiner ferneren unermüdlichen Thätigkeit,<br />

den Anstoss zu <strong>der</strong> hervorragendsten allgemeinen Wohlthätigkeitseinrichtung,<br />

welche die Welt zur Zeit aufzuweisen<br />

hat, <strong>und</strong> die zu den grössten Kuhmesthaten unseres Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

gehört.<br />

Trotz <strong>des</strong> glänzenden Erfolgs seines Werks fand Dunant<br />

für seine Person nur wenig Verständnis, wie ja das Urteil<br />

<strong>der</strong> meisten Menschen durch ihren nationalen o<strong>der</strong> politischen<br />

Standpunkt, durch konfessionelle <strong>und</strong> Stan<strong>des</strong>rücksichten <strong>und</strong><br />

sonstige Vorurteile je<strong>der</strong> Art getrübt wird. Dunant wurde


— 71 —<br />

sogar das Opfer seiner Hingebung; <strong>und</strong> als er später, infolge<br />

unglücklicher Spekulationen <strong>und</strong> seiner vollständigen Unbekanntschaft<br />

mit den Geschäften, in die er sich unklugerweise<br />

einliess, <strong>und</strong> bei denen er von untreuen Agenten betrogen<br />

wurde, ins Unglück geriet, als er schliesslich vollständig<br />

zu Gr<strong>und</strong>e gerichtet war <strong>und</strong> gänzlich mittellos dastand,<br />

als nun vollends die Verleumdung ihr Haupt erhob,<br />

wie so gerne gegenüber gefallenen Grössen, litt er mehr<br />

darunter als wir Durchschnittsmenschen ahnen. Darüber, dass<br />

er infolge dieser Ereignisse fast ganz vergessen wurde, konnte<br />

er sich mit so manchem an<strong>der</strong>n grossen Manne trösten; dass<br />

er, <strong>der</strong> im Reichtum aufgewachsen war, nunmehr ein Leben<br />

voll Entbehrungen vor sich sah, war allerdings recht schmerzlich<br />

für ihn; die grausamste innere Qual aber musste einem<br />

zartbesaiteten Gemüt wie dem seinigen das Bewusstsein verursachen,<br />

so lange Jahre hindurch verkannt zu werden. Der<br />

Mann, <strong>des</strong>sen Werk im Laufe weniger Jahrzehnte seinen<br />

Siegeszug bis an die Grenzen <strong>der</strong> gesitteten Welt gehalten<br />

hat, lebt seit Jahren in den dürftigsten Verhältnissen, halb<br />

vergessen <strong>und</strong> in tiefster Zurückgezogenheit; aber in philosophischer<br />

Ergebung.<br />

Zu Ehren <strong>der</strong> Fürsten Europas müssen wir anerkennen,<br />

dass sie die Bedeutung von Dunants Auftreten wohl zu würdigen<br />

verstanden, denn es regnete förmlich Orden 1 ) auf ihn<br />

nie<strong>der</strong>, obwohl er selbst keinerlei Schritte zu ihrer Erlangung<br />

that, Orden von Kaisern, Königen <strong>und</strong> Fürsten aus allen<br />

!) Am 16. Januar 1860 vom Königreich Sardinien <strong>der</strong> Orden <strong>des</strong><br />

heiligen Horiz <strong>und</strong> Lazarus; am 12. Januar 1864 <strong>der</strong> grossherzoglich<br />

badische Orden vom Zähringer Löwen; am 29. April 1864 <strong>der</strong> "VVasaorden<br />

von Schweden <strong>und</strong> Norwegen; am 4. Mai 1864 <strong>der</strong> königlich<br />

sächsische Albrechtsorden; am 2. Juni 1864 <strong>der</strong> hessische Ludwigsorden;<br />

am 25. Januar 1865 von Frankreich das Kreuz <strong>der</strong> Ehrenlegion;<br />

am 15. Februar 1865 <strong>der</strong> portugiesische Christusorden; am 4. März<br />

1865 <strong>der</strong> württembergische Friedrichsorden; am 31. März 1865 <strong>der</strong><br />

preussische Kronorden; am 19. April 1866 <strong>der</strong> griechische Orden<br />

<strong>des</strong> Erlösers,


— 72 —<br />

Ecken <strong>des</strong> europäischen Festlan<strong>des</strong>. Er war sogar bis zum<br />

Jahre 1867 $er einzige unter den Zunächstbeteiligten, <strong>der</strong><br />

eine solche Auszeichnung erhielt, obgleich er selbst keine<br />

Gelegenheit hinausliess, um die Verdienste <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Kollegen<br />

ins rechte Licht zu stellen <strong>und</strong> ihnen jede Gerechtigkeit<br />

wi<strong>der</strong>fahren zu lassen. Es scheint, als hätten die Mächte<br />

dadurch sein persönliches Vorgehen ganz beson<strong>der</strong>s anerkennen<br />

wollen. — Ausserdem haben ihm verschiedene Gesellschaften<br />

Ehrenmedaillen zuerkannt. 1 )<br />

Ein Werk wie dasjenige, <strong>des</strong>sen Anlange Avir hier verfolgen,<br />

kann sein Dasein unmöglich dem blossen Zufall verdanken.<br />

Vor allem musste das hiezu auserwählte Werkzeug<br />

für die ihm beschiedene Arbeit gehörig vorbereitet sein. So<br />

hatte Dunant schon seit seiner Kindheit <strong>der</strong>i Unglücklichen<br />

<strong>und</strong> Enterbten dieser Welt, den Niedrigen <strong>und</strong> Unterdrückten<br />

stets die wärmste Teilnahme entgegengebracht <strong>und</strong> mit begeisterter<br />

Hingabe ihre Sache verfochten, wie er 1857 für<br />

die Sklaven <strong>der</strong> Vereinigten Staaten eintrat, als diese schändliche<br />

Einrichtung noch nicht aufgehoben war. Schon als<br />

18- bis 19jähriger Jüngling füllte er, wie wir seinen Denkwürdigkeiten<br />

entnehmen, seine Mussest<strong>und</strong>en damit aus, dass<br />

er Gebrechliche, Sterbende <strong>und</strong> arme, alte, kranke Frauen<br />

aufsuchte, nicht bloss um sie als Mitglied <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Almosengesellschaft<br />

zu unterstützen, son<strong>der</strong>n auch um sie zu<br />

trösten <strong>und</strong> aufzurichten <strong>und</strong> ihnen Beweise jenes herzlichen<br />

Mitgefühls zu geben, welches den Unglücklichen oft wohler<br />

thut als alles an<strong>der</strong>e. Als 20jährigen jungen Mann sehen<br />

wir ihn während <strong>der</strong> Sonntagnachmittage in den Gefängnissen,<br />

wo er den Gefangenen Eeisebeschreibungen, Schil<strong>der</strong>ungen<br />

aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>und</strong> dem Gebiet <strong>der</strong> Elementar-<br />

r ) Unter an<strong>der</strong>en die ethnographische Gesellschaft von Frankreich,<br />

die Gesellschaft <strong>der</strong> Ermutigung- zum Guten in Paris u. s. w. Ausserdem<br />

ernannte ihn eine Menge von Vereinen zur Pflege <strong>der</strong> im Kriege Verw<strong>und</strong>eten<br />

?u ihre© Ehrenmitglied o<strong>der</strong> sogar ihrem Ehrenvorsitzenden.


Wissenschaft vorlas. So hatte er schon lange, ehe er sich<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten im Kriege annahm, angefangen, für die im<br />

Frieden zu sorgen, <strong>und</strong> er folgte hierin dem edeln Beispiel<br />

seiner Eltern, welche z. B. den <strong>Genfer</strong> Waisenmädchen die<br />

Benützung ihres Landguts gestatteten, damit sie sich dort<br />

von Zeit zu Zeit unter <strong>der</strong> Leitung ihrer Vorsteherin einiger<br />

Erholungsst<strong>und</strong>en unter seinen Blumen <strong>und</strong> Büschen erfreuen<br />

möchten. — Aehnlicher Art ist das Mitleid, das Dunant für<br />

den gewöhnlichen Soldaten empfindet, den man sterbend <strong>und</strong><br />

hilflos auf dem Schlachtfeld lässt, ihn, <strong>der</strong> sein Handwerk<br />

nicht selbst gewählt hat wie <strong>der</strong> Offizier, <strong>und</strong> <strong>der</strong> oft nicht<br />

einmal weiss, warum er sich schlägt; es ist dasselbe edle<br />

Mitgefühl, welchem die Welt die Einrichtung <strong>des</strong> Eoten <strong>Kreuzes</strong><br />

verdankt. Dabei hat sich Dunant selbst stets nur als Werkzeug<br />

<strong>der</strong> Vorsehung betrachtet.<br />

Damit das Werk gelänge, inusste das Publikum auf das<br />

Anhören einer traurigen Wahrheit vorbereitet werden. Diesen<br />

Zweck erreichte Dunant mit <strong>der</strong> einfachen Erzählung, die<br />

auf die gebildete Welt von ganz Europa den tiefsten Eindruck<br />

machte. Und wenn auch einerseits geringschätziger<br />

Spott, Eifersucht <strong>und</strong> Anschwärzungen ihm seine Aufgabe<br />

erschwerten,, so flehten an<strong>der</strong>erseits, wie Dunant dankbar<br />

anerkennt, viele edle Frauen aus allen Ständen <strong>und</strong> Län<strong>der</strong>n<br />

für seinen Erfolg <strong>und</strong> ermutigten ihn in seinem schwierigen<br />

Apostelwerk. Ferner fand Dunant in seiner Vaterstadt Genf<br />

eine Gesellschaft auserlesener Männer, welche im stände<br />

waren, ein ausschliesslich vom Standpunkt <strong>der</strong> Menschlichkeit<br />

geschriebenes Buch gehörig zu würdigen: es war dies<br />

die <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige Gesellschaft (Societe genevoise<br />

d'utilite publique), die durch ihre Mitwirkung, wie wir<br />

später sehen werden, das Werk am meisten för<strong>der</strong>te. Den<br />

Erfolg krönte die wirksame Unterstützung vieler regieren<strong>der</strong><br />

Fürsten <strong>und</strong> Fürstinnen Europas <strong>und</strong> vor allem Deutschlands;<br />

Dunant selbst hebt wie<strong>der</strong>holt <strong>und</strong> dankbar hervor, dass ohne<br />

die warme Unterstützung, welche diese ihm von seinem ersten


— 74 —<br />

Auftreten an zu teil werden Hessen, seine Gedanken wenig<br />

Aussicht auf Verwirklichung gehabt hätten, <strong>und</strong> dass ohne<br />

ihr hochherziges Vorgehen die diplomatische Konvention, die<br />

nichts an<strong>der</strong>es sei als ein von den Mächtigen <strong>der</strong> Erde gegebenes<br />

grossartiges Beispiel erhabener Brü<strong>der</strong>lichkeit, schwerlich<br />

zu stände gekommen wäre.<br />

Schon vor <strong>der</strong> Veröffentlichung <strong>des</strong> Buchs, durch welches<br />

er sich einen Platz in <strong>der</strong> Geschichte gesichert hat, beschäftigte<br />

sich Dunant mit <strong>der</strong> Frage einer beson<strong>der</strong>en Flagge<br />

für die Feldlazarette <strong>und</strong> Spitäler, <strong>und</strong> immer festere<br />

Wurzeln fasste in ihm dieser Gedanke. Niemand vor ihm hatte<br />

einen ähnlichen Gedanken geäussert. Sofort nach Beendigung<br />

<strong>des</strong> Druckes seines Buches richtete er an den Schweizer<br />

Bun<strong>des</strong>oberst Lecomte in Lausanne das schriftliche Ersuchen,<br />

ihm bei seinen Nachforschungen über die bei den einzelnen<br />

Staaten so verschieden gearteten Sanitätsflaggen behilflich<br />

zu sein. Aber über diesen Gegenstand herrschte damals noch<br />

eine so allgemeine Unkenntnis, dass die eingezogenen Erk<strong>und</strong>igungen<br />

höchst unbefriedigend <strong>und</strong> unvollständig ausfielen.<br />

"Welcher Höchstkommandierende hätte auch zu jener<br />

Zeit nur daran gedacht, seinen Truppen die nötige Belehrung<br />

über die Farben <strong>der</strong> Flaggen <strong>der</strong> feindlichen Lazarette<br />

zu geben <strong>und</strong> so seine Soldaten an einer Beschiessung <strong>der</strong><br />

feindlichen Spitäler zu hin<strong>der</strong>n! 1 )<br />

Schon im Lauf <strong>des</strong> Jahres 1861 hatte Dunant unter<br />

seiner persönlichen Leitung durch den Schweizer Geniehauptmann<br />

Benjamin Müller eine Karte de^ Umgebung von<br />

Solferino mit den Stellungen <strong>der</strong> drei Heere nach den besten<br />

Quellen anfertigen lassen; nicht als ob er ihr o<strong>der</strong> den kriegerischen<br />

Episoden <strong>der</strong> Schlacht beson<strong>der</strong>e Wichtigkeit beigemessen<br />

hätte. Wie seine ergreifende gedrängte Schil<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Schlacht selbst, so hatte auch sie lediglich den<br />

l ) Nach Duuants Denkwürdigkeiten.


— 75 —<br />

Zweck, wenigstens bei einem gewissen Teil <strong>des</strong> Publikums<br />

allmählich Teilnahme für die Scenen zu wecken, in welchen<br />

er die Greuel <strong>des</strong> Schlachtfel<strong>des</strong> schil<strong>der</strong>t. Wie er sich selbst<br />

bescheiden ausdrückt, hat er eben für seinen menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Zweck sein Möglichstes thun wollen. Aus demselben<br />

Gr<strong>und</strong> wandte er sich, um sich bei <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> technischen Einzelheiten <strong>der</strong> von ihm erzählten chirurgischen<br />

Operationen keine Irrtümer zu schulden kommen zu<br />

lassen, an einen Arzt, den Dr. Louis Appia, <strong>der</strong> durch seine<br />

fachmännische Auskunft <strong>der</strong> Erinnerung Dunants zu Hilfe<br />

kam. Im übrigen hatte Dunant bei seiner „Erinnerung<br />

an Solferino" keinerlei Mitarbeiter, wie früher schon verleum<strong>der</strong>ischerweise<br />

behauptet wurde, <strong>und</strong> hatte nieman<strong>des</strong><br />

Rat für die Abfassung <strong>des</strong> Buches eingeholt o<strong>der</strong> erhalten:<br />

seine Gedanken entstammen alle seinem eigenen Herzen <strong>und</strong><br />

seiner persönlichen Erfahrung, <strong>und</strong> was er erzälüt, ist lauter<br />

Selbsterlebtes.*)<br />

In seinen Denkwürdigkeiten berichtet Dunant, bei <strong>der</strong><br />

Abfassung <strong>des</strong> Buchs habe ihn ein ausserordentliches Gefühl,<br />

eine höhere Macht gehoben <strong>und</strong> getrieben, es habe ihm eine<br />

Art Vorahnung von <strong>der</strong> künftigen Bedeutung seines Werkes<br />

vorgeschwebt. In <strong>der</strong> That scheint <strong>des</strong>sen Wachstum auch<br />

jetzt noch nicht abgeschlossen, wie die neuesten Nachrichten<br />

aus China <strong>und</strong> Abessinien beweisen, <strong>und</strong> es steht ihm ohne<br />

Zweifel noch eine weitere segensreiche Entwicklung bevor,<br />

die es begreiflich erscheinen lässt, wenn wir über die Entstehung<br />

<strong>des</strong> Buches, welches den ersten Anstoss dazu gegeben<br />

hat, etwas ausführlicher berichten.<br />

Als das Manuskript im Druck vorlag, schickte er es dem<br />

General Dufour, dem Oberbefehlshaber <strong>des</strong> schweizerischen<br />

Bun<strong>des</strong>heeres zu, <strong>der</strong> so zuerst von dem Buch <strong>und</strong><br />

den Plänen <strong>des</strong> Verfassers Kenntnis erhielt <strong>und</strong> ihm folgen<strong>des</strong><br />

erwi<strong>der</strong>te:<br />

*) Nach Dunants Denkwürdigkeiten.


— 76 —<br />

•„Durch so ergreifende Beispiele erst, wie Sie sie schil<strong>der</strong>n,<br />

muss man sich davon überzeugen, mit wie vielen Qualen<br />

<strong>und</strong> Thränen <strong>der</strong> Euhm auf dem Schlachtfeld erkauft wird.<br />

Man ist nur zu sehr versucht, den Krieg bloss von seiner<br />

glänzenden Seite zu betrachten <strong>und</strong> gegen seine traurigen<br />

Folgen die Augen zu verschliessen. Es ist gut, dass die<br />

Aufmerksamkeit auch einmal auf diese humanitäre Frage gelenkt<br />

wird, <strong>und</strong> dazu erscheint mir Ihr Buch ganz beson<strong>der</strong>s<br />

geeignet. Eine aufmerksame <strong>und</strong> gründliche Prüfung kann<br />

eine Lösung <strong>der</strong> Frage herbeiführen, wenn Menschenfre<strong>und</strong>e<br />

aller Län<strong>der</strong> zusammenwirken." 1 )<br />

Beson<strong>der</strong>s wertvoll für die Lösung <strong>der</strong> Aufgabe, die sich<br />

Dunant gestellt hatte, wurden jetzt die zahlreichen persönlichen<br />

Yerbindungen, welche er in den verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong>n besass. Wenn auch dieser Teil seiner Thätigkeit<br />

nur wenig in die Augen springt, so ist er trotzdem einer<br />

<strong>der</strong> wichtigsten, insofern er den diplomatischen Erfolg vorbereitete.<br />

— Während <strong>des</strong> Jahres 1862 unterhielt Dunant<br />

einen fruchtbringenden schriftlichen Verkehr mit dem Stabsarzt<br />

im Elitecorps <strong>des</strong> Königs <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande, Dr. Basting<br />

aus dem Haag, über die internationale Neutralisierung <strong>der</strong><br />

Verw<strong>und</strong>eten. Nachdem die beiden Männer ihre Gedanken<br />

ausgetauscht hatten, verabredeten sie eine Zusammenkunft<br />

auf dem statistischen Kongress in Berlin, wo sie sich persönlich<br />

kennen lernten <strong>und</strong> mit Hilfe einflussreicher Fre<strong>und</strong>e,<br />

die Dunant in Berlin besass, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Doktoren<br />

Böger <strong>und</strong> Löffler, welche mit grosser Hingabe ftir die<br />

Sache eintraten, mächtige Gönner gewannen. Diese Pioniere<br />

<strong>der</strong> edeln Sache gewannen durch die Unterstützung, die sie<br />

Dunant auf dem statistischen Kongress in Berlin angedeihen<br />

liessen, nicht nur einzelne Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Kon-<br />

') Der Brief <strong>des</strong> Generals Dufour an Dunant stammt vom 19. Okt.<br />

1862. Er findet sich in den drei ersten französischen Ausgaben <strong>und</strong> in<br />

den verschiedenen Uebersetzungen.


— 77 —<br />

gresses, son<strong>der</strong>n vor allem die preussisclie Regierung für dieselbe.<br />

Schon im Herbst 1862 hatte die preussische Königsfamilie<br />

Kenntnis von <strong>der</strong> Erinnerung an Solferino bekommen,<br />

<strong>und</strong> zwar durch Vermittlung von Personen, welche<br />

sich an den Verfasser gewandt hatten, um das Buch bei Hof<br />

vorzulegen, wie z. B. Prof. du Bois-Reymond, Prof. Petavel,<br />

Hofprediger <strong>und</strong> Generalsuperintendent v. Hoffmann, General<br />

v. Schlegel n. a. Insbeson<strong>der</strong>e nahm Seine Kgl. Hoheit <strong>der</strong><br />

Kronprinz <strong>und</strong> nachmalige Kaiser Friedrich die Mitteilungen<br />

Dunants über seine menschenfre<strong>und</strong>lichen Bestrebungen mit<br />

wohlwollendem Interesse entgegen <strong>und</strong> liess ihm Ermutigungen<br />

verschiedener Art zukommen. 1 )<br />

Eine einflussreiche Gönnerin gewann Dunant um diese<br />

Zeit (Dezember 1862) an <strong>der</strong> durch ihre heldenmütige Thätigkeit<br />

während <strong>des</strong> Krimkriegs bekannten Miss Florence<br />

Nightingale, die in einem Schreiben vom 14. Januar 1863<br />

ihre „vollständige Billigung <strong>des</strong> von Herrn Dunant erstrebten<br />

edeln Zieles u aussprach. Bald darauf stellte CharlesDickens<br />

seine Fe<strong>der</strong> in den Dienst <strong>der</strong> Sache, indem er Dunants Buch<br />

in England bekannt machte; dasselbe Verdienst erwarb sich<br />

für Frankreich <strong>der</strong> berühmte Professor Saint-Marc Girardin,<br />

für Deutschland <strong>der</strong> Bonner Universitätsprofessor Karl<br />

Monnard, Guido Weiss 2 ) u. a., für die Schweiz <strong>der</strong><br />

Dichter Petit-Senn.<br />

Um die gleiche Zeit gab die Grossfürstin Helene Paulowna<br />

von Russland, geb. Prinzessin Charlotte von<br />

Württemberg, dem Verfasser ihr ganz beson<strong>der</strong>es Interesse<br />

an <strong>der</strong> Veröffentlichung seines Buches zu erkennen;<br />

einige Zeit darauf lud sie ihn zu einer Besprechung in das<br />

Hotel Beaurivage in Ouchy ein, wo sie sich aufhielt, <strong>und</strong><br />

versprach ihm, dem Czaren Alexan<strong>der</strong> II. genauen Aufschluss<br />

•) Nach Dunants Aufzeichnungen.<br />

s ) In Nr. 41 Jahr». 1863 <strong>der</strong> von Berthold Auerbach herausgegebenen<br />

„Deutschen Blätter".


— 78 —<br />

über die Wichtigkeit <strong>des</strong> im Interesse <strong>der</strong> Nächstenliebe <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Menschlichkeit von Dunant erstrebten Zieles zu geben.<br />

•— So gehörten diese beiden, auch in <strong>der</strong> „Erinnerung an<br />

Solferino" erwähnten edeln Frauen zu den ersten, welche<br />

den Verfasser ermutigten, auf <strong>der</strong> betretenen Bahn weiterzuschreiten.<br />

Sie hatten sofort begriffen, dass es sich bei den<br />

Bestrebungen Dunants nicht bloss um „freiwillige Krankenpfleger"<br />

handelte, son<strong>der</strong>n dass ihre Tragweite eine ganz<br />

an<strong>der</strong>e war. 1 )<br />

Die Grossfurstin Olga von Russland, spätere Königin<br />

von Württemberg, berief Dunant zweimal zu sich <strong>und</strong><br />

übernahm auf seine Bitten sogleich das Patronat eines unter<br />

ihrem Schute zu bildenden Vereins von Männern <strong>und</strong> Frauen<br />

in Stuttgart. 2 ) „Diese Fürstin," sagt Cazenove 3 ), „hat<br />

den Ruhm, die erste unter allen Fürstinnen 4 ) gewesen zu<br />

sein, welche den noch nicht verwirklichten Gedanken <strong>der</strong><br />

,Erinnerung an Solferino' ihre for<strong>der</strong>nde Teilnahme zuwandte."<br />

Pfarrer Dr. C. U. Hahn in Heslach wurde <strong>der</strong> erste Vorsitzende<br />

dieses Vereins nach seiner Rückkehr von <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Konferenz, zu welcher er vom württembergischen Kriegsministerium<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Leitung <strong>des</strong> württembergischen Centralwohlthätigkeitsvereins<br />

abgeordnet worden war.<br />

In den letzten Monaten <strong>des</strong> Jahres 1862 <strong>und</strong> anfangs<br />

1863 hatten die verschiedenen Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> holländischen<br />

Königshauses Dunant ihre vollständige Beistimmung<br />

zu dem Buch, ihre Sympathien für seinen so hervorragend<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen <strong>und</strong> christlichen Plan <strong>und</strong> ihre<br />

aufrichtigen Wünsche für das Gelingen <strong>des</strong> Werkes zu erkennen<br />

gegeben. Ihrem Beispiel folgten verschiedene hervorragende<br />

Persönlichkeiten Hollands, unter ihnen ein aus-<br />

r ) Nach Dunants Aufzeichnungen.<br />

*) Des württembergischen Sanitätsvereins, jetzt württembergischen<br />

Lan<strong>des</strong>vereins vom Boten Kreuz.<br />

3 ) Cazenove p. 119.<br />

4 ) Abgesehen von den Prinzessinnen <strong>des</strong> prenssischen Königshauses.


— 79 —<br />

gezeichneter Staatsmann, Herr Groen van Prinsterer, Ferner<br />

liess <strong>der</strong> Onkel <strong>des</strong> Königs, Prinz Friedrich <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande,<br />

Dunant verschiedene Mitteilungen zukommen. Später stellte<br />

S. M. <strong>der</strong> König <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande Dunant zur ehrenden Auszeichnung<br />

an die Spitze <strong>des</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Ausschusses.<br />

Das grossherzoglich hessische Haus gehörte zu<br />

den ersten regierenden Häusern, welche ihrem lebhaften<br />

Interesse an den Schlussfolgerungen <strong>des</strong> Werks Ausdruck<br />

gaben. Ihre Kgl. Hoheit die verstorbene Prinzessin Alice,<br />

geb. Prinzessin von Grossbritannien <strong>und</strong> Irland, liess Dunant<br />

durch ihren Kammerherrn Herrn von AVesterweller, ihre<br />

Wünsche zum glücklichen Gelingen <strong>des</strong> Werks übermitteln.<br />

Der tapfere Prinz Alexan<strong>der</strong> von Hessen, Feldmarschall-<br />

Lieutenant in östreichischen Diensten, sprach den Wunsch<br />

aus, Dunant kennen zu lernen, <strong>und</strong> war fortan eine <strong>der</strong><br />

festesten Stützen <strong>des</strong> im Entstehen begriffenen Unternehmens.<br />

Ihm gebührt die Ehre, nach Ausbruch <strong>des</strong> preussiscli-östreichischen<br />

Kriegs, durch einen feierlichen Aufruf an die Soldaten<br />

in dem Tagesbefehl Nr. 15 vom 9. Juli 1866 aus dem Generalquartier<br />

<strong>des</strong> ihm unterstellten VIII. östreichisch-deutschen<br />

Armeecorps (Baden, Bayern, Hessen <strong>und</strong> Württemberg) in<br />

Bornheim dem Text <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention eine gemeinverständliche<br />

Fassung gegeben zu haben.<br />

Ferner berichtet uns eines <strong>der</strong> erfreulichsten Blätter aus<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention, wie gleich beim Ausbruch<br />

<strong>des</strong> 66er Kriegs <strong>der</strong> preussische König <strong>und</strong> nachmalige<br />

deutsche Kaiser Wilhelm I. die edle Erklärung abgab,<br />

Preussen werde sich in dem beginnenden Krieg ebenso streng<br />

an die Verfügungen <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention halten, als ob<br />

eine entsprechende Zusage von seiten <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> vorläge.<br />

Und es blieb nicht bloss beim Versprechen, son<strong>der</strong>n es wurde<br />

während <strong>des</strong> ganzen Feldzugs dementsprechend gehandelt.<br />

Diese Hochherzigkeit stand in vollständigem Einklang mit<br />

<strong>der</strong> preussischen Ueberlieferung <strong>und</strong> dem Schutz, welchen<br />

das preussische Königshaus von Anfang bis zum heu-


— 80 —<br />

tigen Tag den menschenfre<strong>und</strong>lichen Gedanken angedeihen<br />

liess, welche die Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention bilden. 1 )<br />

Unter den regierenden Fürsten <strong>und</strong> Familien, welche<br />

dem Unternehmen von Anbeginn an die grösste Teilnahme<br />

bewiesen, sind noch beson<strong>der</strong>s zu nennen S. Maj. <strong>der</strong> König<br />

Johann von Sachsen, Ihre Kgl. Hoheiten <strong>der</strong> Grossherzog<br />

<strong>und</strong> die Grossherzogin von Baden, S. K. H. <strong>der</strong> 'Grossherzog<br />

von Mecklenburg-Schwerin, S. K. H. <strong>der</strong> Grossherzog von<br />

Sachsen-Weimar, S. K. H. <strong>der</strong> Grossherzog von Oldenburg,<br />

S. K. H. <strong>der</strong> Herzog von Ostgotland <strong>und</strong> jetzige König<br />

Oskar II. von Schweden, S. Maj. Leopold I. von Belgien<br />

<strong>und</strong> S. K. H. <strong>der</strong> Herzog von Brabant, jetzt König Leopold II.,<br />

sowie S. K. H. <strong>der</strong> Graf von Flan<strong>der</strong>n.<br />

Dieser schnelle <strong>und</strong> vollständige Erfolg, den ein bescheidenes,<br />

von einem einfachen Privatmann geschriebenes<br />

Buch bei den europäischen Höfen hatte, steht wohl beispiellos<br />

da. Von den verschiedensten Seiten hatten sich einflussreiche<br />

Personen an Dunant gewandt, welche das Buch in<br />

den höchsten Kreisen verbreiten wollten in <strong>der</strong> Ueberzeugung,<br />

dass es dort gute Aufnahme finden <strong>und</strong> so das Werk<br />

am schnellsten seiner Verwirklichung entgegengefahrt werde.<br />

Und so kam es auch.<br />

Durch die Beziehungen <strong>des</strong> Generals Dufour zu Kaiser<br />

Napoleon III. 8 ) erhielt Dunant eine günstige Aeusserung<br />

von dem letzteren, welcher ihm überhaupt persönlich grosses<br />

Wohlwollen bewies <strong>und</strong> seinem Wunsch einer internationalen<br />

Verständigung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> von Dunant gemachten<br />

Vorschläge lebhaften Ausdruck verlieh, obgleich mit<br />

ganz geringen Ausnahmen seine unmittelbare Umgebung sich<br />

abgeneigt <strong>und</strong> sogar feindselig zeigte. Der kaiserliche Wille<br />

legte den Verleum<strong>der</strong>n zwar Stillschweigen auf; aber es bedurfte<br />

grosser Willenskraft <strong>und</strong> Beharrlichkeit von Seiten<br />

') Cazenove p. 77.<br />

S) Napoleon III. hatte unter Dufonr an <strong>der</strong> eidgenössischen Militärschnle<br />

zn Thun seine Studien gemacht.


— 81: —<br />

Dunants, um dieser Missgunst <strong>und</strong> schlecht verhehlten Feindschaft<br />

während <strong>der</strong> ersten Zeit das Gegengewicht zu halten<br />

<strong>und</strong> die sich vor ihm auftürmenden Schwierigkeiten zu überwinden.<br />

Er bezwang jedoch damals seine Erbitterung, um<br />

diejenigen, die ihn unterstützten, nicht mutlos zu machen. 1 )<br />

Bei dieser Gelegenheit möge auch an die Verfügung Napoleons<br />

vom 29. Mai 1859 während <strong>des</strong> italienischen Feldzugs<br />

erinnert werden, die verw<strong>und</strong>eten Kriegsgefangenen sollten,<br />

sobald ihr Zustand ihnen die Rückkehr in die Heimat gestatte,<br />

dem Feind ohne Austausch zurückgegeben werden,<br />

um so die Leiden, die <strong>der</strong> Krieg im Gefolge habe, so weit<br />

es von ihm abhänge, zu lin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Vermeidung<br />

unnötiger Härten voranzugehen.<br />

Der Kaiser Napoleon empfing Dunant mehreremal in<br />

Audienz <strong>und</strong> liess ihm ausserdem wie<strong>der</strong>holt durch seinen<br />

Adjutanten, den Oberst Fave, brieflich seine Billigung <strong>der</strong><br />

geplanten Konvention <strong>und</strong> <strong>der</strong> von Dunant schon im Jahre<br />

1863 begonnenen Gründung eines französischen Centralcomites<br />

aussprechen.<br />

Es folgen im Wortlaut zwei von Oberst Fave im Namen<br />

Napoleons an Dunant gerichtete Schreiben:<br />

Paris, le 21 decembre 1863.<br />

Monsieur,<br />

L'Empereur a pris connaissance <strong>des</strong> voeux eniis par la<br />

Conference internationale qui vient d'avoir lieu ä Geneve,<br />

sous la presidence du general Dufour, pour etudier la question<br />

<strong>des</strong> secours internationaux ä donner aus militaires blesses<br />

sur les champs de bataille.<br />

Sa Majeste approuve hautement l'objet de la Conference<br />

et les voeux emis pour l'accomplir. Elle <strong>des</strong>ire concourir ä<br />

votre oeuvre en favorisant la formation du Comite de secours<br />

que vous cherchez ä constituer ä Paris, et Elle vous autorise<br />

bien volontiers ä faire connaitre toute la Sympathie qu'Elle<br />

eprouve ä cet egard. .<br />

!) Nach Dunants Denkwürdigkeiten.<br />

6


— 82 -<br />

L'Empereur m'a en outre Charge d'ecrire ä Son Exc. le<br />

marechal ministre de la guerre pour qu'il autorise quelques<br />

offlciers d'un grade eleve dans 1'armee ä faire partie du<br />

Comite que vous organisez.<br />

Je YOUS prie d'agreer mes sentiments devoues.<br />

Le Colonel, aide-de-camp<br />

(signe) Fave.<br />

ä Monsieur Henry Dunant.<br />

Maison de lEmpereur. „ . . . „ „. . . 0 „.<br />

4 P a r i s , le 19 fevner 1864.<br />

Aide-de-Camp.<br />

Monsieur,<br />

J'ai eu l'hoimeur de faire connaitre ä Sa Majeste l'Empereur<br />

les documents que vous m'avez adresses, et qui constatent<br />

les progres de votre ceuvre consacree aux secours ä<br />

donner aux militaires blesses.<br />

Lorsque vous serez ä Paris l'Empereur vous fera mettre<br />

en relation avec le Ministre <strong>des</strong> affaires etrangeres, pour qu'il<br />

examine votre proposition de la neutralisation <strong>des</strong> ambulances,<br />

<strong>des</strong> hopitaux, <strong>des</strong> blesses et <strong>des</strong> corps sanitaires.<br />

Yeuillez agreer mes sentiments distingues.<br />

Le Colonel, aide-de-camp<br />

(signe) Fave.<br />

ä Monsieur Henry Dunant.<br />

Von <strong>der</strong> Teilnahme, welche Napoleon auch nach seinem<br />

Sturze noch den menschenfre<strong>und</strong>lichen Bestrebungen Dunants<br />

entgegenbrachte, zeugen verschiedene in Dunants Besitze befindliche<br />

Briefe, welche <strong>der</strong> Exkaiser an letzteren richten<br />

liess. Einer <strong>der</strong>selben, vom 20. September 1872, den Napoleon<br />

eigenhändig von Cowes auf <strong>der</strong> Insel Wight aus an<br />

Dunant schrieb, lautet:<br />

„Je vous remercie, Monsieur, <strong>des</strong> paroles flatteuses pour<br />

moi que vous avez emises au Congres de Plymouth, et je


- 83 —<br />

vous felicite de vos efforts genereux pour une cause favorable<br />

ä l'humanite.<br />

Eecevez l'assurance de mes sentiments distingues.<br />

(signe) Napoleon."<br />

Es handelte sich um einige ihn betreffende Worte aus<br />

einem in Plymouth auf dem Kongress für Socialwissenschaften<br />

gehaltenen Vortrag Dunants über Schiedsgerichte bei internationalen<br />

Streitigkeiten <strong>und</strong> über den Plan einer beson<strong>der</strong>en<br />

internationalen Konvention zu Gunsten <strong>der</strong> Kriegsgefangenen,<br />

die mit <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention nichts zu thun hat.<br />

Dunant erzählt ferner in seinen Aulzeichnungen ausführlich,<br />

wie auf seine Empfehlung Napoleon im August 1872<br />

die Witwe L. A. A. Kastner, geb. Boursault, <strong>und</strong> ihren<br />

Sohn Friedrich, den gelehrten Erfin<strong>der</strong> <strong>des</strong> Pyrophons, eine<br />

sehr reiche <strong>und</strong> hochherzige, vom Kaiser geschätzte Familie,<br />

in Brighton empfangen, <strong>und</strong> wie <strong>der</strong> Kaiser seinerseits ihnen<br />

Dunant, <strong>der</strong> damals in <strong>der</strong> drückendsten Not lebte, sowie die<br />

von Dunant im Jahre 1871 in Paris <strong>und</strong> später in Brüssel<br />

<strong>und</strong> London gegründete Alliance universelle de l'ordre<br />

et de la civilisation anempfohlen habe, die als Hauptzweck<br />

die Verwirklichung <strong>der</strong> oben erwähnten internationalen<br />

Konferenz zu Gunsten <strong>der</strong> Kriegsgefangenen auf diplomatischem<br />

Wege anstrebte.


m.<br />

Die <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige Gesellschaft <strong>und</strong> ihr Vorsitzen<strong>der</strong><br />

Gustave Moynier. — General Henri Dnfonr. — Dunants<br />

fernere Wirksamkeit.<br />

Alle diese Beweise hohen Wohlwollens, die Dunant im<br />

Jahre 1862 zu teil wurden, belebten seinen Mut, indem sie<br />

die Aussicht auf Verwirklichung seiner Gedanken näher<br />

rückten, als er jemals gehofft hatte.<br />

Eine wichtige Unterstützung erhielt jetzt Dunant fast<br />

gleichzeitig von drei verschiedenen Seiten: die Vorstände von<br />

drei schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaften machten<br />

dem Verfasser <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" Mitteilung von<br />

ihrer Absicht, die in seinem Buche behandelten Fragen ihren<br />

betreffenden Vereinen vorzulegen <strong>und</strong> ihm die moralische<br />

Unterstützung <strong>der</strong>selben zu sichern. Der Zeitfolge nach war<br />

dies zunächst <strong>der</strong> ehrwürdige Vorstand <strong>der</strong> Waadter Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft, Herr Bivier-Vieusseux<br />

von Lausanne; sodann Gustave Moynier, Vorstand <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft, <strong>und</strong> endlich,<br />

durch Vermittlung <strong>des</strong> Professors Fre<strong>der</strong>ic Godet, die Neuenburger<br />

Gesellschaft zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen<br />

Wissenschaften. — Wenn auch unter diesen drei Städten<br />

Lausanne zeitlich die erste war (schon Ende 1862), <strong>und</strong> die


— 85 —<br />

Neuenburger Gesellschaft sich beeilte, ihr „Patronat" anzukündigen<br />

(28. Januar 18(33 <strong>und</strong> 7. Februar 1803; offiziell<br />

in <strong>der</strong> Sitzung vom 12. Februar 1863), so gelang es doch<br />

schliesslich den Bemühungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausdauer Moyniers,<br />

Genf, Dunants Geburts- <strong>und</strong> Wohnort, zum Mittelpunkt <strong>der</strong><br />

Bewegung zu machen.<br />

Die im Jahre 1828 gegründete <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige<br />

Gesellschaft (Societe genevoise d'utilitepublique)<br />

bestand aus einer Anzahl alteingebürgter <strong>Genfer</strong>, die den<br />

gebildetsten Klassen <strong>und</strong> den wolilthätigsten Familien dieser<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Wohlthätigkeit wie durch ihre geistige<br />

Regsamkeit gleich bekannten Stadt angehörten. Im Februar<br />

18(53 betrug die Zahl ihrer Mitglie<strong>der</strong> ungefähr 180. Die<br />

Leitung besorgte ein Ausschuss, <strong>der</strong> aus folgenden Mitglie<strong>der</strong>n<br />

zusammengesetzt war: Gustave Moynier, Vorstand; Professor<br />

Wartmann, stellvertreten<strong>der</strong> Vorstand; Eugene de<br />

Bude, Schriftführer; C. Ruegger, Hilfsschriftführer; Naville-<br />

Todd, Schatzmeister; Dr. Appia; J. Cherbuliez; Cramer; General<br />

Dufour; Lecointe; Naville-Bontems; E. Patru; F. Soret<br />

<strong>und</strong> Viande-Patry. — Nicht leicht traf man einen ähnlichen<br />

Verein auserlesener Männer <strong>und</strong> hervorragen<strong>der</strong> Geister, wie<br />

die Mitglie<strong>der</strong> dieser Gesellschaft, <strong>der</strong>en Name durch die<br />

Unterstützung, welche sie <strong>und</strong> ganz beson<strong>der</strong>s ihr ausgezeichneter<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> dem Verfasser <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino"<br />

<strong>und</strong> dem entstehenden Werk zu teil werden liess, in<br />

<strong>der</strong> ganzen Welt bekannt wurde.<br />

Das Organ dieser Gesellschaft ist das vierteljährlich erscheinende<br />

Bulletin de la Societe genevoise d'utilite<br />

publique, welches sich nicht nur mit den gemeinnützigen<br />

Einrichtungen Genfs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schweiz beschäftigt, son<strong>der</strong>n<br />

auch in einer beson<strong>der</strong>en Chronik (Annuaire philanthropique)<br />

eine gedrängte Uebersicht über die wichtigsten auf <strong>der</strong>artige<br />

Einrichtungen bezüglichen Thatsachen aus allen Län<strong>der</strong>n giebt.<br />

Die Tagesordnung für die auf Montag den 9. Februar<br />

1863 abends (5 Uhr ins Casino in Genf angesetzte gewöhn-


— 86 —<br />

liehe Sitzung enthielt unter Nr. 3 folgenden, von dem Vorsitzenden<br />

Moynier abgefassten Verhandlungsgegenstand:<br />

„3. Ueber die Anglie<strong>der</strong>ung einer Abteilung freiwilliger<br />

Krankenpfleger an die kriegführenden Heere (Schlussfolgerungen<br />

aus dem ,Eine Erinnerung an Solferino' betitelten<br />

Buch <strong>des</strong> Herrn Henry Dunant)."<br />

In dieser Sitzung, welcher <strong>der</strong> Verfasser <strong>des</strong> genannten<br />

Buches anwohnte, ergriffen <strong>der</strong> Vorsitzende Gustave Moynier,<br />

<strong>der</strong> General Dufour <strong>und</strong> zwei hervorragende Aerzte,<br />

die Doktoren Theodore Maunoir <strong>und</strong> Louis Appia das<br />

Wort zu Gunsten <strong>des</strong> Gegenstan<strong>des</strong>. Die Versammlung ernannte<br />

sie, nebst Dunant, zu Mitglie<strong>der</strong>n eines beson<strong>der</strong>en<br />

Ausschusses, welcher diesen Vorschlag auf die Möglichkeit<br />

seiner Verwirklichung prüfen sollte. — Dies war<br />

schon ein bedeuten<strong>der</strong> Fortschritt. Und doch schien die angenommene<br />

„Tagesordnung" hinter den Schlussfolgerungen<br />

<strong>des</strong> Buchs, welches schon die K<strong>und</strong>e durch Europa gemacht<br />

hatte <strong>und</strong> doch wohl viel mehr verlangte, als blosse „Abteilungen<br />

freiwilliger Krankenpfleger", zurückzubleiben.<br />

Bei Besprechung <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft<br />

sagt Lue<strong>der</strong> über diese Sitzung:<br />

„Menschenfre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> ohne Zagen, obwohl damit über<br />

den eigentlichen Kreis ihrer Thätigkeit hinausgehend <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> grossen Mühen, Arbeiten, Schwierigkeiten sich bewusst,<br />

die aus einer praktischen Verfolgung <strong>des</strong> Vorschlags erwachsen<br />

mussten, <strong>und</strong> ohne allzuviel Hoffnung auf Erfolg,<br />

ernannte sie eine aus fünf Mitglie<strong>der</strong>n bestehende Kommission,<br />

welche jenen .Zweck weiter verfolgen sollte . . . Die Aufgabe,<br />

welche diese Kommission zu erfüllen hatte, war keine<br />

kleine, <strong>und</strong> es galt lange <strong>und</strong> sorgsame Beratungen, um den<br />

richtigen Weg nicht zu verfehlen." 1 )<br />

Etwa um dieselbe Zeit liess die Gesellschaft zur<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Guten <strong>und</strong> NiitzJichen in Basel durch<br />

') Lue<strong>der</strong>, S. 61 f.


- 87 -<br />

ein Schreiben ihres Vorstan<strong>des</strong>, Dr. Burkart, Dunant ihrer<br />

moralischen Unterstützung versichern. Dasselbe geschah von<br />

Seiten <strong>der</strong> Medizinischen Gesellschaft in Neuenburg,<br />

sowie <strong>des</strong> Wohlthätigkeitsvereins von Waiblingen<br />

(Württemberg) durch <strong>des</strong>sen Vorstand, Pfarrer Dr. E. E.<br />

Wagner, welcher alsbald Dunants Souvenir ins Deutsche<br />

übersetzte <strong>und</strong> bis zu seinem im Jahr 1878 erfolgten Tod<br />

Dunant fortwährend die lebhafteste Teilnahme bewies. Dunant<br />

selbst hat zu <strong>der</strong> Zeit, wo er, finanziell zu Gr<strong>und</strong>e gerichtet,<br />

als Schriftsteller seinen Lebensunterhalt verdienen<br />

musste, lange Jahre bei ihm <strong>und</strong> nachher bei seiner Familie<br />

in Stuttgart zugebracht.<br />

General Guillaume Henri Dufour, dem das Rote<br />

Kreuz <strong>und</strong> die <strong>Genfer</strong> Konvention so viel verdanken, geboren<br />

in Konstanz am 15. Sept. 1787 <strong>und</strong> gestorben am 14. Juli<br />

1875, war <strong>der</strong> Sohn Benedict Doufour's, <strong>des</strong>sen Familie sich<br />

im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert in Bourdigny, einem im Gebiet <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Bepublik Genf gelegenen Dorfe nie<strong>der</strong>gelassen hatte.<br />

Er studierte an <strong>der</strong> polytechnischen Schule in Paris, wo er<br />

eine hervorragende Begabung für Mathematik an den Tag<br />

legte. 1810 verliess er als erster die Ingenieurschule in<br />

Metz <strong>und</strong> rückte schon zwei Jahre darauf, trotz seines jugendlichen<br />

Alters, zum Geniehauptmann vor. Er hatte schon verschiedene<br />

Feldzüge hinter sich, als man ihm den Ausbau<br />

<strong>der</strong> Befestigungen von Lyon, Grenoble <strong>und</strong> später in Corfn<br />

übertrug.<br />

Ein dramatisches Erlebnis während seiner Thätigkeit in<br />

Griechenland mag hier vielleicht seine Stelle finden. Als im<br />

Jahre 1813 <strong>der</strong> damalige Hauptmann Dufour an Bord eines<br />

rekognoscierenden Kanonenboots von Parga <strong>und</strong> einem Teil<br />

<strong>des</strong> albanesischen Küstengebiets zurückfuhr, sah er sich plötzlich<br />

in <strong>der</strong> Nähe <strong>des</strong> Capo Bianco von Korfu von mehreren<br />

englischen Schiffen umringt, welche in einer Einbuchtung <strong>der</strong><br />

Küste im Hinterhalt gelegen waren. Nach sehr lebhaftem


88<br />

Kampf fing das französische Kanonenboot Feuer, <strong>und</strong> da sich<br />

dieses den Klei<strong>der</strong>n <strong>des</strong> künftigen Generals mitteilte, so blieb<br />

ihm, um einem ebenso grässlichen als sicheren Tod zu entgehen,<br />

nichts übrig, als ins Meer zu springen. Mit Brandw<strong>und</strong>en.<br />

bedeckt <strong>und</strong> mehr tot als lebendig, wurde er von<br />

einer englischen Schaluppe aufgefischt <strong>und</strong> in Kriegsgefangenschaft<br />

behalten, jedoch nach kurzer Zeit im Austausch wie<strong>der</strong><br />

in Freiheit gesetzt. Doch ging ihm, wie er selbst sagte, die<br />

hiebei erlittene Nervenerschütterung sein Leben lang nach.<br />

Beim Einmarsch <strong>der</strong> Verbündeten in Frankreich wirkte<br />

er bei <strong>der</strong> Verteidigung <strong>des</strong> Fort de l'Ecluse gegen die östreichischen<br />

Truppen unter General Frimont mit, <strong>und</strong> hielt<br />

sich dabei so tapfer, dass er von Napoleon I. durch Verleihung<br />

<strong>des</strong> <strong>Kreuzes</strong> <strong>der</strong> Ehrenlegion ausgezeichnet wurde. Er blieb<br />

in französischen Diensten bis 1817, wo er in dem Augenblick,<br />

als er zum Oberstlieutenant befor<strong>der</strong>t werden sollte, seine<br />

Entlassung nahm.<br />

Nach Genf zurückgekehrt, zeichnete sich Dufour als Civilingenieur<br />

aus. 1824 liess ihm die russische Regierung, um<br />

einen so tüchtigen Mann für sich zu gewinnen, die glänzendsten<br />

Anerbietungen machen, die er jedoch zurückwies. Im<br />

Jahre 1827 wurde er eidgenössischer Oberst, 1831 Chef <strong>des</strong><br />

Generalstabs. Er reorganisierte die eidgenössischen Streitkräfte<br />

<strong>und</strong> entwickelte eine solche Thätigkeit, dass die<br />

Schweizer Generale Guiger de Prangins <strong>und</strong> Finsler ihn, um<br />

ihre eigenen Worte zu gebrauchen, als die Seele <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>heeres<br />

betrachteten. 1 ) Er war es auch, <strong>der</strong> 1831 die eidgenössische<br />

Fahne (rotes Flaggentuch mit einem gleicharmigen<br />

weissen Kreuz) für das eidgenössische Heer vorschlug <strong>und</strong><br />

zur Annahme brachte.<br />

1832 wurde Dufour zum Generalquartiermeister<br />

<strong>der</strong> Eidgenossenschaft ernannt. Im folgenden Jahr er-<br />

!) Nekrolog <strong>des</strong> Generals Dnfour von Professor A. Pictet im Petit<br />

Genevois vom 15. Juli 1875.


— 89 —<br />

hielt er von <strong>der</strong> Tagsatzung den Befehl zur militärischen Besetzung<br />

Basels, wo es ihm gelang, den Zwist <strong>der</strong> beiden<br />

feindlichen Halbkantone Basel-Land <strong>und</strong> Basel-Stadt friedlich<br />

beizulegen. ImSon<strong>der</strong>b<strong>und</strong>skrieg wählte die Tagsatzung<br />

Dufour zum Oberbefehlshaber (Nov. 1847), um den schwer<br />

gefährdeten Frieden <strong>der</strong> Eidgenossenschaft wie<strong>der</strong>herzustellen.<br />

Dufour entledigte sich seines schwierigen Auftrags inmitten<br />

<strong>der</strong> allgemeinen Gärung mit ausserordentlicher Mässigung;<br />

er wurde ein wirklicher Friedensstifter. Beim Ausbruch <strong>des</strong><br />

Neuenburger Konflikts zwischen <strong>der</strong> Schweiz <strong>und</strong><br />

Preussen im Juli 1849 erhielt General Dufour als Oberbefehlshaber<br />

eine neue Gelegenheit, seine Klugheit <strong>und</strong> militärische<br />

Tüchtigkeit zu beweisen. Als einige Jahre später (1856)<br />

ein neuer Konflikt wegen <strong>des</strong> Fürstentums Neuenburg mit<br />

Preussen ausbrach, versuchte Napoleon III. sich als Vermittler<br />

aufzuspielen <strong>und</strong> wandte sich zu diesem Zweck an Dufour,<br />

unter dem er in <strong>der</strong> Militärschule zu Thun seine Studien gemacht<br />

hatte. Der Bun<strong>des</strong>rat akkreditierte den letzteren bei<br />

<strong>der</strong> französischen Regierung. Im Dezember 185ß <strong>und</strong> Januar<br />

1857 wurden unter seinem Oberbefehl die Yerteidigungsmassregeln<br />

mit grossem Eifer betrieben. Der Rest <strong>und</strong> die von<br />

dem König von Preussen bewiesene Mässigung sind bekannt.<br />

Damit schloss die militärische Laufbahn Dufours. Aber als<br />

hervorragen<strong>der</strong> Gelehrter war er auch jetzt noch litterarisch<br />

thätig: neben verschiedenen mathematischen <strong>und</strong> militärwissenschaftlichen<br />

Abhandlungen, die durch ihre<br />

Gewissenhaftigkeit <strong>und</strong> Originalität wohlverdienten Beifall<br />

fanden, ist die wichtigste seiner wissenschaftlichen Arbeiten<br />

ohne Zweifel seine prächtige topographische Karte <strong>der</strong><br />

Schweiz, ein Meisterwerk <strong>der</strong> Kartographie. Anlässlich<br />

<strong>der</strong> Vollendung dieser riesigen Arbeit wurde eine Medaille<br />

zu Ehren Dufours geprägt.<br />

Dufour war ein in je<strong>der</strong> Beziehung hervorragen<strong>der</strong> Charakter:<br />

edelgesinnt <strong>und</strong> selbstlos, ein stets hilfsbereiter <strong>und</strong><br />

zartfühlen<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>, ebenso massvoll als fest. Die Ein-


— 90 —<br />

fachheit seines Privatlebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> herzliehe Empfang, <strong>des</strong>sen<br />

je<strong>der</strong> bei ihm sicher war, erhöhte noch das Würdevolle seines<br />

Charakters <strong>und</strong> flösste allgemeine Achtung ein. Einen trefflichen<br />

Einblick in den Charakter dieses Mannes gewährt uns<br />

folgen<strong>der</strong> Zug: als er kurz nach Beendigung <strong>des</strong> Bürgerkriegs<br />

vom Jahre 1847 von <strong>der</strong> schweren Erkrankung eines<br />

Gegners hörte, liess er sofort die ganze Ausgabe einer Flugschrift,<br />

welche eben erscheinen, <strong>und</strong> in <strong>der</strong> dieser Gegner<br />

heftig angegriffen werden sollte, vernichten.<br />

Es hätte sich also für den Vorsitz <strong>des</strong> genannten Ausschusses<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft nicht leicht<br />

ein tüchtigerer <strong>und</strong> in je<strong>der</strong> Beziehung geeigneterer Mann<br />

finden lassen, als eben General Dufour. Da er selbst, sozusagen,<br />

inmitten <strong>der</strong> Scenen aufgewachsen war, <strong>der</strong>en Schrecklichkeit<br />

es sich eben jetzt darum handelte zu mil<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> da<br />

er das Uebel am genauesten kannte, so war er auch mehr<br />

als irgend ein an<strong>der</strong>er im stände zu beurteilen, wie ihm am<br />

besten abzuhelfen sei.<br />

Die Kommission hielt ihre erste Zusammenkunft<br />

am 17. Februar 1863 unter dem Vorsitz <strong>des</strong> ehrwürdigen<br />

Generals. Ihre erste That war <strong>der</strong> Beschluss, einem auf<br />

September 1863 geplanten internationalen Wohltliätigkeitskongress<br />

in Berlin eine Denks chrift vorzulegen.<br />

Die Abfassung <strong>der</strong>selben wurde Dunant übertragen, welcher<br />

im Ausschuss das Amt eines Schriftführers bekleidete <strong>und</strong><br />

Herrn Moynier, trotz seiner Einwendungen, dass diese Ehre<br />

eigentlich dem Begrün<strong>der</strong> <strong>des</strong> Werks gebühre, bewog, die<br />

Stelle <strong>des</strong> stellvertretenden Vorsitzenden zu übernehmen.<br />

Diese Denkschrift soll, nach dem Protokoll <strong>der</strong> ersten<br />

Sitzung, dem Wunsche <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft<br />

Ausdruck geben, <strong>der</strong> Wohlthätigkeitskongress in Berlin<br />

möchte 1) durch seinen Einfluss die Bildung ähnlicher Vereine<br />

in ganz Europa unterstützen, 2) es auf sich nehmen, durch<br />

den Einfluss seiner Mitglie<strong>der</strong> die Begierungen mit den Gr<strong>und</strong>-


— 91 —<br />

gedanken <strong>des</strong> Werkes vertraut zu machen, <strong>und</strong> sie um ihre<br />

Unterstützung, ihren Eat <strong>und</strong> ihre Weisungen zu ersuchen.<br />

Dieser Bericht soll den <strong>der</strong> Bildung von (ihrer Zusammensetzung<br />

nach nationalen, aber ihrem Geist nach internationalen)<br />

Hilfsgesellschaften für Verw<strong>und</strong>ete in Kriegszeiten zu<br />

Gr<strong>und</strong>e liegenden Gedanken näher entwickeln <strong>und</strong> <strong>der</strong> Oeffentliclikeit<br />

unter einer über jeden Einwand erhabenen Form<br />

vorlegen. Zuerst wären die allgemeinen Gr<strong>und</strong>gedanken festzustellen,<br />

alsdann klarzulegen, was jetzt schon in allen Län<strong>der</strong>n<br />

Europas geschehen könnte, ohne den einzelnen Län<strong>der</strong>n o<strong>der</strong><br />

auch Städten die Freiheit zu nehmen, sicli unter <strong>der</strong> ihnen<br />

gutdünkenden Form zu konstituieren; vor allem aber wäre<br />

jede Hilfeleistung dem Kriegsminister eines jeden einzelnen<br />

Lan<strong>des</strong> zu unterstellen. 1 )<br />

General Dufour hält es für die Aufgabe <strong>der</strong> Denkschrift,<br />

zunächst die Notwendigkeit zu betonen, dass die einmütige<br />

Zustimmung <strong>der</strong> Fürsten <strong>und</strong> Völker Europas erlangt<br />

werde, <strong>und</strong> alsdann die allgemeinen Gr<strong>und</strong>lagen klarzulegen,<br />

auf denen gehandelt werden solle. Solche Vereine müssen<br />

überall in Europa gebildet werden, um im Augenblick eines<br />

Kriegs gleichzeitig in Thätigkeit treten zu können. Man<br />

brauche Leute, welche sich den Stäben zu ihrer Unterstützung<br />

zur Verfügung stellen: man wolle nicht die Intendantur <strong>und</strong><br />

die Militärkrankenwärter ersetzen. Endlich wäre es gut,<br />

irgend ein Abzeichen, eine Uniform o<strong>der</strong> Armbinde einzuführen,<br />

damit diejenigen, die sich mit diesem allgemein anerkannten<br />

Abzeichen einfanden, nicht zurückgewiesen würden. 2 )<br />

In dieser Sitzung spricht Dunant den Wunsch aus,<br />

man möchte dem Publikum begreiflich machen, dass es sich<br />

bei dieser Frage nicht bloss um freiwillige Krankenpfleger<br />

handle, dass <strong>der</strong> Gegenstand noch viel mehr umfasse,<br />

nämlich die Verbesserung <strong>der</strong> Transportmittel<br />

für die Verw<strong>und</strong>eten, die Einführung nützlicher Neue-<br />

x ) Auszug aus dem Protokoll. — s ) Ebenso.


— 92 —<br />

rurigen, die Schaffung von Museen, wo die besten Rettungsmittel<br />

gesammelt werden sollten u. s. w. Die Vereine sollen<br />

dauernd sein, den Versand von Hilfsmitteln erleichtern, die<br />

Zoll- <strong>und</strong> Beför<strong>der</strong>ungsschwierigkeiten ebnen, Verschleu<strong>der</strong>ung<br />

verhin<strong>der</strong>n, vor allem aber die wohlwollende Zustimmung <strong>der</strong><br />

Fürsten <strong>und</strong> Regierungen zur „Annahme eines internationalen,<br />

feierlich anerkannten <strong>und</strong> geheiligten Gr<strong>und</strong>satzes zu erlangen<br />

suchen, wie die .Erinnerung an Solferino' ihn for<strong>der</strong>e,<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> den Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> Hospitalitern <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong> als Schutzbrief dienen solle. — Dunant spricht die<br />

Vermutung aus, man könnte vielleicht in den Plan auch die<br />

See- <strong>und</strong> Bürgerkriege, sowie die Thätigkeit <strong>der</strong> Vereine in<br />

Friedenszeiten einbegreifen. — Nach gründlicher Besprechung<br />

kommt jedoch <strong>der</strong> Ausschuss zu <strong>der</strong> Ansicht, dass es besser<br />

<strong>und</strong> klüger sei, sich zu beschränken, <strong>und</strong> nur die Kämpfe<br />

zwischen einzelnen Mächten <strong>und</strong> die europäischen Kriege ins<br />

Auge zu fassen.<br />

„Herr Doktor TheodoreMaunoir spricht den Wunsch<br />

aus, man möchte so oft als möglich mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> internationalen<br />

Hilfsvereine vor die Oeffentlichkeit treten: denn<br />

es brauche immer eine gewisse Zeit, bis eine Idee die Massen<br />

durchdringe. Es würde sich empfehlen, eine Agitation zu<br />

betreiben, um unserer Ansicht bei je<strong>der</strong>mann, bei hoch <strong>und</strong><br />

nie<strong>der</strong>, bei den Fürsten Europas, wie bei ihren Völkern<br />

Eingang zu verschaffen." 1 )<br />

Wie<strong>der</strong>um war es Dunant, welcher es übernahm, diese<br />

Agitation auf eigene Gefahr <strong>und</strong> eigene Kosten zu übernehmen.<br />

Schon lange zuvor, wie wir gesehen haben, hatte<br />

er die Propaganda begonnen: <strong>der</strong> Ausschuss <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft erntete die Früchte, wie folgen<strong>des</strong><br />

Protokoll <strong>der</strong> zweiten Ausschusssitzung vom 17. März<br />

1863, bei <strong>der</strong> alle Mitglie<strong>der</strong> zugegen waren, beweist: „Der<br />

Schriftführer teilt dem Ausschuss mit, dass er, hinsichtlich<br />

!) Protokolle.


— 93 —<br />

<strong>des</strong> Ziels, das wir verfolgen, zahlreiche K<strong>und</strong>gebungen<br />

<strong>der</strong> Zustimmung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Teilnahme aus verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong>n Europas erhalten hat, insbeson<strong>der</strong>e von den regierenden<br />

Familien von Holland, Preussen, Baden, Hessen, Italien<br />

u. s. w., ferner von einer Anzahl von Militärpersonen <strong>und</strong><br />

Aerzten, die das Werk für möglich, wenn auch für schwierig<br />

halten, <strong>und</strong> endlich von einfachen Privatleuten, die für den<br />

gegebenen Fall ihre Dienste in Aussicht stellen. Ausserdem<br />

legt er ein Exemplar <strong>des</strong> Spectateur militaire (Paris,<br />

vom 15. Februar 1863) vor, welches einen Artikel voll Teilnahme<br />

für die in <strong>der</strong> ,Erinnerung an Solferino' ausgesprochenen<br />

Ansichten enthält, sowie den Briefwechsel, den er<br />

schon lange in <strong>der</strong> Absicht geführt hat, seine Ansichten in<br />

Europa <strong>und</strong> Amerika zu verbreiten, insbeson<strong>der</strong>e den mit <strong>der</strong><br />

Waadter Gemeinnützigen Gesellschaft <strong>und</strong> mit <strong>der</strong><br />

Neuenburger Gesellschaft zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen<br />

AVissenschaften, welche beide für das Ziel <strong>der</strong><br />

,Erinnerung an Solferino' eintreten." 1 )<br />

"Während <strong>der</strong> nächsten fünf Monate kam <strong>der</strong> Ausschuss<br />

nicht zusammen; dafür entfaltete Dunant*) eine ganz ausserordentliche<br />

Thätigkeit: zur För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Werks hielt er<br />

auf eigene Kosten zwei Sekretäre <strong>und</strong> unternahm, gleichfalls<br />

auf eigene Kosten, mehrere Reisen, beson<strong>der</strong>s nach Paris,<br />

wo er zahlreiche Einheimische wie Fremde für seine Gedanken<br />

gewann, indem er überall seine Veröffentlichungen<br />

in verschiedenen Sprachen unentgeltlich austeilte. Wie wir<br />

sehen, ruhte also zu dieser Zeit das ganze Werk noch auf<br />

*) Protokolle.<br />

Wäre hier auch über den deutsch-französischen Krieg 1 1870/71 zu<br />

berichten, so hätten wir den Namen Gustave Moyniers ebenso oft zu<br />

nennen, wie diejenigen Henry Dunants <strong>und</strong> Generals Dufour; denn zu<br />

dieser Zeit hatte Moynier den Ruhm, das Internationale Komite mit Erfolg<br />

<strong>und</strong> Auszeichnung zu leiten. Der General Dufour hatte 1870 seine<br />

Thätigkeit als Vorsitzen<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelegt, <strong>und</strong> Dunant, <strong>der</strong> inzwischen sein<br />

ganzes Vermögen verloren hatte <strong>und</strong> nicht mehr in Genf wohnte, hatte<br />

schon früher seine Entlassung genommen. • • .


— 94 —<br />

den Schultern Dunants. Und dabei war dies erst <strong>der</strong> Anfang<br />

seiner grossen persönlichen Thätigkeit, <strong>der</strong>en Wichtigkeit <strong>und</strong><br />

Erfolge von Tag zu Tag zunahmen, während gleichzeitig diejenige<br />

seiner Mitarbeiter bestimmter hervortrat.<br />

Bei dem grossen Interesse, welches das Entstehen eines<br />

Werks, das inzwischen die Welt erobert hat, wohl beanspruchen<br />

darf, wird es gerechtfertigt erscheinen, wenn im<br />

Folgenden einige eingehende <strong>und</strong> zuverlässige Einzelheiten<br />

darüber gegeben werden.<br />

Die dritte Ausschusssitzung fand am 25. August<br />

1863 unter dem Vorsitz <strong>des</strong> Generals Dufour statt. Alle<br />

fünf Mitglie<strong>der</strong> waren anwesend. Der Protokollbericht hierüber<br />

möge wegen seiner Wichtigkeit im Wortlaute folgen:<br />

„Der Schriftführer verliest das Protokoll <strong>der</strong> Sitzung vom<br />

17. März, welches gutgeheissen wird. — Herr Moynier macht<br />

die Mitteilung, dass aus verschiedenen Gründen <strong>der</strong> Wolilthätigkeitskongress<br />

in diesem Jahr in Berlin nicht stattfinden<br />

wird. Wir müssen also auf an<strong>der</strong>e Mittel <strong>und</strong> Wege zu<br />

handeln bedacht sein, <strong>und</strong> Herr Moynier ist, im Einverständnis<br />

mit Herrn Dunant, zu <strong>der</strong> Ansicht gelangt, das einzige<br />

Mittel, um die Sache in Fluss zu bringen, wäre die Einberufung<br />

einer internationalen Konferenz nach<br />

Genf.<br />

„Der Herr General Dufour <strong>und</strong> die Herrn Doktoren Theodore<br />

Maunoir <strong>und</strong> Appia treten warm für diesen Gedanken<br />

ein; sie ersuchen die Herrn Moynier <strong>und</strong> Dunant, eine Einladung<br />

aufzusetzen, die alsdann an alle diejenigen Personen<br />

abgesandt werden wird, bei welchen wir Interesse an <strong>der</strong><br />

Sache voraussetzen dürfen. Die Konferenz soll Ende Oktober<br />

stattfinden. Die Wahl <strong>des</strong> Tags für die Eröffnung dieses<br />

Kongresses wird den Herrn Moynier <strong>und</strong> Dunant anheimgestellt.<br />

„Herr Dunant teilt seine Absicht mit, sich zu dem vom<br />

6.—12. September tagenden statistischen Kongress in<br />

Berlin einzufinden; er wird diesen Kongress für unsere Ab-


— 95 —<br />

sichten zu interessieren suchen; er wird sein Möglichstes<br />

thun, um die Teilnahme <strong>des</strong> deutschen Publikums zu gewinnen,<br />

<strong>und</strong> sich zu diesem Zweck nach Dresden, Wien,<br />

München u. s. w. begeben.<br />

„Nachdem Herr Dunant den Plan eines Uebereinkommensentwurfs<br />

in 10 Artikeln aufgesetzt hat, berät<br />

<strong>der</strong> Ausschuss jeden einzelnen Artikel sorgfaltig durch <strong>und</strong><br />

beauftragt die Herren Moynier <strong>und</strong> Dunant, den Plan ins<br />

Reine zu arbeiten <strong>und</strong> so zu fassen, dass er dem Einladungsschreiben<br />

beigegeben werden kann. Den Herren<br />

Moynier <strong>und</strong> Dunant fallt also <strong>der</strong> Auftrag zu, dieses R<strong>und</strong>schreiben<br />

auszuarbeiten, <strong>und</strong> die ihnen passend erscheinenden<br />

Einzelheiten <strong>und</strong> Aufschlüsse <strong>und</strong> sogar die letzten Seiten<br />

<strong>der</strong> ,Erinnerung an Solferino' beizufügen. Desgleichen werden<br />

sie mit dem Versand <strong>des</strong>selben betraut." 1 )<br />

Der Wortlaut dieses, von Genf, 1. September 1863<br />

datierten R<strong>und</strong>schreibens ist folgen<strong>der</strong>: 8 )<br />

rIm Anschluss an den von Herrn Henry Dunant in<br />

seiner Schrift ,Eine Erinnerung an Solferino' ausgesprochenen<br />

Wunsch hat die <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige Gesellschaft aus ihrer<br />

Mitte einen Ausschuss eingesetzt, welcher beauftragt ist, die<br />

Verwirklichung jenes Wunsches anzustreben.<br />

„Dieser Ausschuss glaubt seinesteils, dass die Ideen <strong>des</strong><br />

Herrn Dunant zu praktischer Verwertung am besten gebracht<br />

werden können durch Herbeiführung einer Vereinigung von<br />

Männern verschiedener Län<strong>der</strong>, welchen das in Rede stehende<br />

menschenfre<strong>und</strong>liche Werk am Herzen liegt, zum Behuf <strong>der</strong><br />

Untersuchung, in welchem Masse es durchführbar, beziehungsweise<br />

auf welche Weise ausführbar sein möchte.<br />

„Nachdem sich nun <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschuss versichert<br />

hat, dass sein Vorschlag in verschiedenen Kreisen Anklang<br />

finden würde, hat er sich entschlossen, auf den kommenden<br />

*) Protokoll <strong>der</strong> Ansschusssitzung vom 25. August 1863.<br />

a ) Siehe Lue<strong>der</strong>, S. 72 <strong>und</strong> 73.


— 96 —<br />

26. Oktober eine internationale Konferenz einzuberufen, <strong>und</strong><br />

hoflft, Sie werden ihm die Ehre erweisen, sich dabei einzufinden.<br />

„Beson<strong>der</strong>s aber wäre es zu wünschen, dass sich dabei<br />

die Regierungen vertreten lassen wollten, da ihre Mitwirkung<br />

für das Gelingen <strong>des</strong> Werkes unerlässlich ist.<br />

„Der Ausschuss hat in Gestalt eines Uebereinkommensentwurfes<br />

die Sätze aufgestellt, welche er <strong>der</strong> Konferenz<br />

unterbreiten möchte. Sie finden <strong>der</strong>en Inhalt beiliegend.<br />

„Wir bitten Sie inständig, uns baldigst wissen zu lassen,<br />

ob wir auf Ihre Mitwirkung zählen dürfen, <strong>und</strong> im Fall Sie<br />

sich nicht nach Genf begeben könnten, würden wir Ihnen<br />

selir verb<strong>und</strong>en sein, wenn Sie uns Ihre Ansichten <strong>und</strong> Bemerkungen<br />

über das fragliche Vorhaben mitteilen wollten.<br />

„Genehmigen Sie die Versicherung unserer ausgezeichneten<br />

Hochachtung.<br />

„Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Hilfsausschusses für<br />

verw<strong>und</strong>ete Krieger.<br />

„Genf, am 1. September 1863<br />

„General Dufour, Vorsitzen<strong>der</strong>.<br />

Gustave Moynier, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft.<br />

Dr. Maunoir.<br />

Dr. Appia.<br />

Henry Dunant, Schriftführer."<br />

Den Versand dieses R<strong>und</strong>schreibens übernahm Dunant,<br />

welcher unmittelbar darauf nach Berlin abreiste. Durch<br />

seine persönlichen Verbindungen, seinen ausgedehnten Briefwechsel<br />

<strong>und</strong> seine Veröffentlichungen hatte er dort schon lange<br />

zuvor für die Verwirklichung seiner Pläne die Wege geebnet.<br />

Nicht nur brachten Ihre Majestäten <strong>der</strong> König <strong>und</strong> die<br />

Königin von Preussen seinen Plänen lebhaftes Interesse<br />

entgegen, son<strong>der</strong>n diese fanden einen ganz beson<strong>der</strong>en Beschützer<br />

an dem Kronprinzen <strong>und</strong> nachmaligen Kaiser Friedrich<br />

HI., mit welchem Dunant schon in unmittelbarem brief-


— 97 —<br />

lichem Verkehr stand. Im September 1863 lud ihn <strong>der</strong><br />

Kronprinz zu einem Gabelfrühstück in sein Schloss in Potsdam<br />

ein <strong>und</strong> ermutigte ihn bei dieser Gelegenheit nach<br />

längerer Unterhaltung, an seinem Gedanken <strong>der</strong> Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hilfeleistenden festzuhalten.<br />

Die von <strong>der</strong> preussischen Königsfamilie schon seit<br />

1862 den Plänen Dunants bewiesene Teilnahme, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

wohlwollende <strong>und</strong> wirksame Schutz, den sie während <strong>des</strong><br />

Statistischen Kongresses <strong>der</strong> wichtigen Neutralitätsfrage zuwandte,<br />

trugen hauptsächlich zum Gelingen <strong>der</strong> Konvention<br />

bei; <strong>und</strong> zwar ist, wie schon Lue<strong>der</strong> bemerkt, „die Teilnahme<br />

an dem Werke <strong>und</strong> die För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong>selben durch alle<br />

Stadien, welche dasselbe durchlaufen, bis auf diese St<strong>und</strong>e<br />

von seiten <strong>des</strong> preussischen Königs- <strong>und</strong> deutschen Kaiserhauses<br />

unwandelbar dieselbe, höchst wesentliche, auch im<br />

Sinne <strong>des</strong> Werkes in humanster Weise handelnde gewesen,<br />

worüber nur eine Stimme dankbarer Anerkennung herrscht." *)<br />

*) Lue<strong>der</strong>, S. 67.<br />

7


IV.<br />

Der Statistische Kongress in Berlin (1863). — Seine<br />

Majestät König Johann von Sachsen.<br />

Die vierte Sektion <strong>des</strong> Statistischen Kongresses 1 )<br />

hatte sich mit <strong>der</strong> vergleichenden Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sterblichkeitsstatistik<br />

<strong>der</strong> Civil- <strong>und</strong> Militärbevölkerung zu beschäftigen,<br />

<strong>und</strong> bestand zum grössten Teil aus Civil- <strong>und</strong><br />

Militärärzten. Wie Dr. Lue<strong>der</strong> berichtet, empfahl <strong>der</strong> Berichterstatter<br />

<strong>der</strong> vierten Sektion <strong>des</strong> Kongresses, Dr. Basting,<br />

die Sache mit einigen Worten dem Kongresse, <strong>des</strong>sen Mitglie<strong>der</strong><br />

er „im Namen <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses <strong>und</strong> seitens<br />

seines ehrenwerten Freun<strong>des</strong> Dunant" zur Beschickung <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Versammlung auffor<strong>der</strong>te. Der Kongress nahm diesen<br />

kurzen Bericht beiföllig auf <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vorsitzende bemerkte,<br />

über den soeben erstatteten Bericht sei <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache<br />

nach nicht abzustimmen. „Der Kongress müsse sich seines<br />

Erachtens begnügen, von den Bestrebungen <strong>des</strong> Herrn Dunant<br />

nur Kenntnis zu nehmen, demselben seine Anerkennung zu<br />

zollen <strong>und</strong> zu wünschen, dass die beabsichtigte Konferenz<br />

in Genf dazu beitrage, die Opfer an Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Leben,<br />

welche die Schlachten erfor<strong>der</strong>n, zu verringern."*)<br />

') Die Sitzungen dauerten vom 6. bezw. 7.—12. September.<br />

*) Lue<strong>der</strong>, S. 76.


— 99 —<br />

Den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> gelehrten Gesellschaft war wohl<br />

bekannt, welch lebhaften Anteil die Königliche Familie an<br />

den Gedanken Dunants nahm, <strong>und</strong> zwar an denen, welche<br />

die Unterstützung <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses gef<strong>und</strong>en hatten,<br />

wie an dem von Genf aus noch nicht unterstützten Neutralisierungsgedanken:<br />

die anwesenden Militärärzte erfassten<br />

wohl die Bedeutung <strong>des</strong> letzteren für ihre eigene<br />

Person, — nicht sowohl in ihrem eigenen Interesse, als vielmehr<br />

in dem <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten, insofern diese nur dann ordentlich<br />

operiert <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en werden können, wenn ihre Pfleger<br />

in ihrem menschenfre<strong>und</strong>lichen Werke auf dem Schlachtfeld<br />

nicht gestört <strong>und</strong> bei einem erneuten Vordringen <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong><br />

nicht <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Gefangennahme ausgesetzt werden.<br />

„Im Privatverkehr mit den massgebenden Persönlichkeiten<br />

<strong>der</strong> Berliner Regierungskreise," sagt Lue<strong>der</strong>, „hat<br />

Dunant aber noch weitere Erfolge für seine Sache erzielt<br />

<strong>und</strong> so Ermutigungen wie Fingerzeige (letzteres in Bezug auf<br />

ein Indenvor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>stellen <strong>der</strong> Neutralisierungsidee, für <strong>der</strong>en<br />

Hervortreten <strong>des</strong>halb Berlin beson<strong>der</strong>s wichtig gewesen ist)<br />

von Bedeutung .erhalten." 1 )<br />

In Dunants Denkwürdigkeiten findet sich ein<br />

anziehen<strong>der</strong> Bericht über seine Thätigkeit während <strong>des</strong> Kongresses<br />

:<br />

„Dr. Basting <strong>und</strong> seine Frau wohnten, wie ich, jenseits<br />

<strong>der</strong> Spree in Toepfers Hotel am Karlsplatz, einem kleinen<br />

Gasthaus alten Stils, wohin wir uns bestellt hatten, um hinsichtlich<br />

<strong>des</strong> Neutralisierungsvorschlags <strong>und</strong> <strong>des</strong> Gedankens<br />

einer gleichförmigen Flagge für die Feldlazarette übereinstimmend<br />

vorzugehen. An dem Tag, wo die vierte Sektion<br />

<strong>des</strong> Kongresses sich mit unserem Vorschlag beschäftigen sollte,<br />

nahmen wir einen Fiaker, um uns zur Sitzung zu begeben. 2 )<br />

') Lue<strong>der</strong>, S. 76 f.<br />

*) Irrtümlicherweise berichtet Lue<strong>der</strong> in seinem vortrefflichen <strong>und</strong><br />

sonst sehr zuverlässigen Werk über die <strong>Genfer</strong> Konvention, „nach den<br />

Präsenzlisten sei Dnnant bei keiner <strong>der</strong> 6 Sitzungen <strong>der</strong> vierten Sektion


— 100 —<br />

Dr. Basting hatte die kleine von mir vorbereitete Rede ins<br />

Deutsche übersetzt, um sie in meinem Namen vorzutragen.<br />

Wir fahren über die Spree. Es blies ein heftiger Wind;<br />

die Wagenfenster standen rechts <strong>und</strong> links offen, als plötzlich<br />

die Papiere, die wir sorgfältig auf <strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>bank aufgelegt<br />

hatten, <strong>und</strong> die dazu bestimmt waren, in <strong>der</strong> Sitzung vorgelesen<br />

zu werden, aus dem Wagen hinausflogen <strong>und</strong> auf<br />

<strong>der</strong> Brücke umherwirbelten. Sofort sprangen wir aus dem<br />

noch fahrenden Wagen hinaus <strong>und</strong> eilten den zerstreuten<br />

Blättern nach, die ins Wasser zu fliegen drohten. Endlich<br />

hatten wir das Glück, die kostbaren Schriftstücke, die in so<br />

grosser Gefahr geschwebt hatten, wie<strong>der</strong> in Sicherheit zu<br />

bringen.<br />

Nachdem in <strong>der</strong> Plenarsitzung vom 12. September<br />

<strong>der</strong> Kongress seinen Wünschen für das Gelingen <strong>der</strong> geplanten<br />

Konferenz in Genf Ausdruck gegeben hatte, eilte ich<br />

ohne Zeitverlust <strong>und</strong> ohne das Ende <strong>der</strong> Sitzung abzuwarten,<br />

in die von Decker'sche Hofbuchdruckerei, um ein R<strong>und</strong>schreiben<br />

1 ) drucken zu lassen, <strong>des</strong>sen Inhalt zwischen mir<br />

<strong>und</strong> Basting, mit <strong>der</strong> Billigung unserer Berliner Fre<strong>und</strong>e, besprochen<br />

worden war. Wir dachten nicht daran, vor dem<br />

Druck noch über den Gegenstand nach Genf zu berichten,<br />

was meinerseits nicht ganz in Ordnung war, da das R<strong>und</strong>schreiben<br />

im Namen <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses unterzeichnet<br />

war, während es doch in Wirklichkeit von mir allein her-<br />

zugeben gewesen." — Dunant begleitete den Dr. Basting an dem Tage,<br />

wo dieser dem Kongress seinen Vorschlag empfahl (am 8. September) nnd<br />

erschien auch bei an<strong>der</strong>en Sitzungen auf kurze Zeit; da er sich aber an<br />

den Verhandlungen über die zahlreichen Beratungsgegenstände nicht beteiligte,<br />

zeichnete er sich nicht in die Präsenzlisten ein, obschon er persönlich<br />

als Mitglied <strong>der</strong> vierten Sektion eingeschrieben war. Er brauchte<br />

seine ganze kostbare Zeit zu Besuchen bei den einflussreichsten Personen<br />

Berlins, die er für seine Sache gewann. (Nach Dnnants Aufzeichnungen.)<br />

*) Datiert wurde dasselbe vom 15. September (einem Dienstag), an<br />

"welchem Dunant <strong>und</strong> Basting die Probedruckbogen zusammen lasen.


— 101 —<br />

stammte. Aber warum hätten wir auch warten, warum uns<br />

vielleicht durch unser Zau<strong>der</strong>n Schwierigkeiten bereiten sollen,<br />

wo doch von nun ab jede St<strong>und</strong>e für das Gelingen unseres<br />

Planes wertvoll war?" 1 )<br />

Im Folgenden bringen wir den Wortlaut <strong>des</strong> von Berlin,<br />

15. September 1863 datierten R<strong>und</strong>schreibens: 2 )<br />

„Internationale Konferenz in Genf am 26. Oktober<br />

1863. Internationale <strong>und</strong> dauernde Hilfsgesellscliaften<br />

für die verw<strong>und</strong>eten Militärpersonen<br />

in Kriegszeiten.<br />

„Seine Excellenz <strong>der</strong> preussische Minister <strong>des</strong> Innern,<br />

Graf von Eulenburg, hat am Samstag den 12. September den<br />

Statistischen Kongress in Berlin feierlich geschlossen.<br />

„In dieser Sitzung hat <strong>der</strong> Kongress, dem die Frage <strong>der</strong><br />

Bildung internationaler <strong>und</strong> dauern<strong>der</strong> Hilfsgesellschaften für<br />

die verw<strong>und</strong>eten Militärpersonen in Kriegszeiten vorgelegt<br />

worden war, einen diesem Plan durchaus günstigen Beschluss<br />

gefasst.<br />

„Herr Henry Dunant von Genf, <strong>der</strong> Verfasser <strong>des</strong> Buchs<br />

,Eine Erinnerung an Solferino', das bekanntlich die Bildung<br />

dieser Gesellschaften vorgeschlagen hat, war vom <strong>Genfer</strong><br />

Ausschuss zum Besuch <strong>des</strong> Kongresses abgeordnet worden,<br />

<strong>und</strong> er hat daselbst im Namen dieses Ausschusses eine Einladung<br />

zu einer am 26. Oktober in Genf stattfindenden Konferenz<br />

über diesen beson<strong>der</strong>en Gegenstand überreicht. Dieser<br />

Vorschlag war <strong>der</strong> zum Teil aus Militärärzten bestehenden<br />

vierten Sektion <strong>des</strong> Kongresses übergeben worden, damit<br />

diese <strong>der</strong> Generalversammlung darüber berichte. Dieser Bericht<br />

hat sich mit grossem Wohlwollen über die Frage ausgesprochen;<br />

<strong>der</strong> Berichterstatter <strong>der</strong> vierten Sektion, Herr<br />

Stabsarzt Dr. Basting aus den Nie<strong>der</strong>landen, welcher die<br />

l ) Ans Dnnants Aufzeichnungen.<br />

*) Dieses R<strong>und</strong>schreiben findet sich fast in allen Büchern, welche in<br />

<strong>der</strong> ersten Zeit über das Werk veröffentlicht wurden.


— 102 —<br />

»Erinnerung an Solferino' übersetzt hat <strong>und</strong> mit dem vorgeschlagenen<br />

Plan gründlich bekannt war, hat diesen vor<br />

<strong>der</strong> Versammlung entwickelt <strong>und</strong> die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Kongresses<br />

zum Besuch <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz am 2G. Oktober eingeladen.<br />

„Die Anträge <strong>der</strong> vierten Sektion sind einstimmig <strong>und</strong><br />

mit Zeichen lebhaften Beifalls angenommen worden.<br />

„Infolge <strong>der</strong> günstigen Aufnahme, <strong>der</strong> seinem Plan auf<br />

dem Statistischen Kongress zu teil wurde, macht <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Ausschuss ausser dem Uebereinkommensentwurf noch folgende<br />

Vorschläge:<br />

„1) Jede Regierung Europas möge dem nationalen Generalausschuss,<br />

<strong>der</strong> in je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hauptstädte Europas ins Leben<br />

gerufen werden <strong>und</strong> aus den ehrenwertesten <strong>und</strong> geachtetsten<br />

Personen bestehen soll, ihren ganz beson<strong>der</strong>en Schutz <strong>und</strong><br />

ihre hohe Gönnerschaft zuwenden.<br />

„2) Diese selben Regierungen möchten erklären, dass<br />

künftig das militärische Personal <strong>und</strong> die von ihm abhängigen<br />

Personen, mit Einschluss <strong>der</strong> anerkannten freiwilligen<br />

Helfer von den kriegführenden Mächten als neutrale<br />

Personen betrachtet werden.<br />

„3) Für Kriegszeiten möchten sich die Regierungen verpflichten,<br />

die Beför<strong>der</strong>ungsmittel für das Personal <strong>und</strong> die<br />

Liebesgaben, welche diese Gesellschaften nach den mit Krieg<br />

überzogenen Län<strong>der</strong>n schicken werden, zu erleichtern.<br />

„Endlich wünscht <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschuss, die internationale<br />

Konferenz möchte die Mittel studieren <strong>und</strong> besprechen,<br />

wie dieses hervorragend humanitäre <strong>und</strong> menschenfre<strong>und</strong>liche<br />

Werk unter Beachtung <strong>der</strong> Gesetze, Gewohnheiten <strong>und</strong> Gebräuche<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Nationen ^Europas verwirklicht<br />

werden könnte.<br />

„Desgleichen wünscht <strong>der</strong>selbe, die Konferenz möchte<br />

untersuchen, wie man, in einem Kampf zwischen grossen<br />

Mächten, den Angehörigen bei<strong>der</strong> Heere auf dem Kriegsschauplatz<br />

die wirksamste Hilfe bringen könne, unter sorg-


— 103 —<br />

fältiger Vermeidung je<strong>des</strong> Gedankens an Spionage <strong>und</strong> von<br />

allem, was ausserhalb <strong>des</strong> ausgesprochen mildthätigen <strong>und</strong><br />

christlichen Ziels dieses ausgezeichneten Werkes steht.<br />

„Der <strong>Genfer</strong> Ausschuss giebt sich also <strong>der</strong> Hoffnung<br />

hin, die europäischen Regierungen möchten ihren Abgeordneten<br />

zu dieser Konferenz die nötigen Weisungen hinsichtlich<br />

dieser verschiedenen Gesichtspunkte mitgeben.<br />

„Der Schriftführer <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses<br />

„J. Henry Dunant.<br />

„Berlin, den 15. September 1863."<br />

Der preussische Kriegsminister von Roon war, wie<br />

Dunant in seinen Aufzeichnungen erzählt, <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> dieses<br />

R<strong>und</strong>schreiben billigte. „Seine Excellenz nahm so lebhaften<br />

Anteil an <strong>der</strong> ganzen Angelegenheit <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e an<br />

<strong>der</strong> Neutralisierungsfrage, dass er einen seiner Adjutanten<br />

zu mir in Töpfers Hotel schickte, um über die Pläne auf dem<br />

Laufenden erhalten zu werden, über welche ihm die Doktoren<br />

Boeger <strong>und</strong> Loeffler berichtet hatten .... Der Adjutant<br />

wie<strong>der</strong>holte mir unaufhörlich auf französisch: ,Der Minister<br />

ist Feuer <strong>und</strong> Flamme für Ihren Gedanken! — Der Minister<br />

ist ganz begeistert von Ihrer Idee!' — Ehre also dem Grafen<br />

von Roon, welchem ein ganz bedeuten<strong>der</strong> Anteil an dem erfolgreichen<br />

Gelingen <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention zukommt!" 1 )<br />

Im Januar 1864 schrieb <strong>der</strong> Graf von Roon an seine<br />

Hoheit den Prinzen Heinrich XIH. von Reuss, jüngere Linie,<br />

„er billige das Programm <strong>des</strong> in Berlin gebildeten (preussi-<br />

x ) Aus Dunants Aufzeichnungen. — Darnach ist es also nicht <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Ausschuss selbst, son<strong>der</strong>n vielmehr sein Vertreter, welcher durch<br />

die thatkräftige Unterstützung, die er in Preussen an Herrn von Eoon<br />

<strong>und</strong> einigen Fre<strong>und</strong>en fand, ermutigt, beschloss zu dem ursprünglichen<br />

Entwurf <strong>des</strong> Ausschusses die in dem Berliner R<strong>und</strong>schreiben enthaltenen<br />

drei Vorschläge, wo <strong>der</strong> Neutralisiernngsgedanke zum erstenmal erscheint,<br />

hinzuzufügen; <strong>der</strong> Ausschuss selbst billigte jedoch nachher, was in Berlin<br />

geschehen war.


— 104 —<br />

sehen) Centralkomites. Dieses könne auf die herzliche <strong>und</strong><br />

thatkräftige Mitwirkung <strong>der</strong> Militärbehörden <strong>und</strong> auf ihre<br />

warmen Sympathien zählen. Nach seiner Meinung werde<br />

sich <strong>der</strong> Verein durch sein Personal auf dem Schlachtfeld<br />

sehr nützlich machen können, indem er den Verw<strong>und</strong>eten<br />

nach <strong>der</strong> Schlacht zu Hilfe komme."<br />

Vor seiner Abreise von Berlin gab Dunant noch die Anregung<br />

zur Gründung <strong>des</strong> preussischen Centralkomites<br />

<strong>und</strong> gewann für dasselbe während seines dortigen<br />

Aufenthaltes folgende Personen: den Fürsten Boguslav Badziwill,<br />

den Grafen Otto von Stolberg-Wernigerode, den Minister<br />

<strong>des</strong> Innern Grafen von Eulenburg, den geheimen Legationsrat<br />

Abeken, den Generalarzt <strong>des</strong> zweiten Armeecorps Dr. Boeger,<br />

den Hofbuchdruckereibesitzer von Decker, den Generallieutenant<br />

von Derenthal, den Generalsuperintendenten Dr. von Hoffmann,<br />

Professor Dr. von Langenbeck, den Generalarzt <strong>des</strong><br />

vierten Armeecorps Dr. Loeffler, den geheimen Begierungsrat<br />

Professor Dr. Magnus, den Buchhändler B. Wagner, den<br />

Oberstabsarzt Dr. Wendt.<br />

Die endgültige Gründung <strong>des</strong> Vereins geschah<br />

im Dezember 1863 durch Seine Hoheit den Prinzen Heinrich<br />

XIII. von Beuss, welchen Dunant im Oktober 1863<br />

bei <strong>der</strong> ersten Konferenz in Genf um die Gründung <strong>und</strong><br />

Uebernahme <strong>der</strong> Vorstandschaft ersuchte. Die offizielle Gründung<br />

erfolgte am 6. Februar 1864 <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aufruf an die<br />

Oeffentlichkeit am 17. <strong>des</strong>selben Monats. 1 ) Am 19. April 1865<br />

übernahmen Ihre Majestäten <strong>der</strong> König Wilhelm <strong>und</strong> die<br />

Königin Augusta das Patronat <strong>des</strong> Vereins. Das gr<strong>und</strong>legende<br />

Statut datiert vom 3. April 1866, <strong>und</strong> am 7. Mai<br />

i) Dieser Aufruf war ausser von den meisten <strong>der</strong> oben genannten<br />

Personen <strong>und</strong> dem Prinzen Eenss noch unterzeichnet von dem Grafen von<br />

Arnim-Boytzenburg, dem Geheimenrat Brüggemann, dem Baron von Haber,<br />

dem Geheimerat <strong>und</strong> Bürgermeister Hedemann, dem Geheimerat Dr. Honsselle,<br />

dem Kommerzienrat Mendelssohn, dem Feldpropst Dr. Peldram <strong>und</strong><br />

dem Feldpropst Thielen.


— 105 —<br />

1866 erhielt die Gesellschaft durch königliche Bestätigung<br />

Korporationsrechte. Das Amt eines Vorsitzenden ging später<br />

auf den Gelieimerat von Sydow über, nach ihm auf den Geheimen<br />

Obertribunalrat von Holleben, <strong>und</strong> endlich auf seine<br />

Hoheit den Fürsten 0. von Stolberg-Wernigerode, 1 )<br />

<strong>der</strong> es jetzt noch bekleidet. Während <strong>des</strong> deutsch-französischen<br />

Kriegs wurde <strong>der</strong> Fürst von Pless zum Königl. Kommissär<br />

<strong>und</strong> Inspektor <strong>der</strong> freiwilligen Krankenpflege ernannt,<br />

nachdem im Jahre 1866 <strong>der</strong> Geheimrat Graf Eberhard von<br />

Stolberg-Wernigerode, Kanzler <strong>des</strong> Johanniterordens, dieses<br />

Amt versehen hatte. Dieses Centralkomite <strong>des</strong> Preussischen<br />

Vereins zur Pflege im Felde verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> erkrankter<br />

Krieger, aus dem in <strong>der</strong> Folge das Deutsche Centralkomite<br />

hervorging, hielt seit Mai 1866 sein eigenes Organ, die Zeitschrift<br />

„Kriegerheil", die zuerst von Bunkel, seit 1867<br />

von Dr. Gurlt geleitet wurde. 8 )<br />

Wir lassen nun einige Stellen aus Dunants Denkwürdigkeiten<br />

folgen, welche sich unmittelbar auf die Anfange<br />

<strong>der</strong> von ihm hervorgerufenen Bewegung beziehen <strong>und</strong><br />

zugleich zeigen, mit welch zäher Willenskraft Dunant sich<br />

keine Gelegenheit entgehen liess, um für seine Gedanken zu<br />

wirken <strong>und</strong> Anhänger für sie zu gewinnen.<br />

„Seine Excellenz <strong>der</strong> Minister <strong>des</strong> Innern, Graf von<br />

Eulenburg, hatte etwa zwanzig hervorragende ausserpreussische<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Kongresses an seine Tafel geladen.<br />

Ich sass zwischen dem Senator Grafen von Eipalda, 3 ) Marquis<br />

von Campo-Salinas, einem <strong>der</strong> ausgezeichnetsten Menschenfre<strong>und</strong>e<br />

in Spanien, <strong>und</strong> dem Staatsrat Professor von Hermann<br />

in München; als Gegenüber hatte ich den königl. sächsischen<br />

Hofrat, Baron Max M. von Weber, einen Sohn <strong>des</strong> be-<br />

») f 19. Nov. 1896.<br />

2 ) Näheres über diesen Verein siehe Bemerkung 1 im Anhang.<br />

s ) Ueber die Thätigkeit <strong>des</strong> Grafen von ßipalda in Spanien siehe<br />

Bemerkung 2 im Anhang,


— 106 —<br />

rühmten Komponisten gleichen Namens. Während <strong>des</strong> Essens<br />

redete ich mit diesen drei Herren zu Gunsten <strong>des</strong> Werkes,<br />

wie ich es auffasste; die Herren nahmen lebhaften Anteil<br />

an dem Gespräch, <strong>und</strong> ich hatte das Glück sie zu überzeugen,<br />

beson<strong>der</strong>s dadurch, dass ich ihnen vorhielt, wie wertvoll es<br />

wäre, wenn zwischen den regierenden Fürsten Europas auf<br />

diplomatischem Wege ein internationaler Vertrag zu stände<br />

käme, welcher die Neutralität <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong><br />

die Einführung einer gleichförmigen Lazarettflagge<br />

für alle Heere festsetzte. Vor allem betonte ich, wie ausserordentlich<br />

wichtig es wäre, wenn die Regierungen sich auf<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz offiziell ad audiendum et ad referendum<br />

vertreten liessen. Infolge dieser warmen Fürsprache<br />

gaben mir die Herren das Versprechen, die Sache persönlich<br />

Hiren Majestäten <strong>der</strong> Königin von Spanien, dem König<br />

Maximilian vonBayern <strong>und</strong> dem König Johann von<br />

Sachsen vorzutragen. Obwohl sie als Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Kongresses<br />

schon darauf bezügliche Schriftstücke in Händen<br />

hatten, so hatten sie doch noch nicht alle Zeit gehabt, sie<br />

zu lesen; daher beeilte ich mich, ihnen zusammen mit <strong>der</strong><br />

,Erinnerung an Solferino' neue Dokumente, einschliesslich <strong>des</strong><br />

K<strong>und</strong>schreibens, das ich auf eigene Faust hatte drucken<br />

lassen, in ihre Gasthöfe zu schicken. Das letztere wurde<br />

gleichfalls den Fürsten <strong>und</strong> Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> preussischen<br />

Königsfamilie zugestellt, <strong>der</strong>en Zustimmung von so grossem<br />

Wert war.<br />

„Neben dem Baron von Weber sass bei dem genannten<br />

Festessen Herr von Semenow, eines <strong>der</strong> russischen Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Statistischen Kongresses; er war <strong>der</strong>.Unterredung mit<br />

auffallen<strong>der</strong> Aufmerksamkeit gefolgt <strong>und</strong> versprach mir, mit<br />

Ihrer Kaiserlichen Hoheit, <strong>der</strong> Grossfürstin Helene, <strong>der</strong><br />

Tante <strong>des</strong> Zaren, die sich, wie er sagte, schon lebhaft für<br />

die ,Erinnerung an Solferino' interessiert hatte, ganz beson<strong>der</strong>s<br />

über die Sache zu reden. Diese gute Fürstin blieb<br />

nicht unthätig. — Am 22, September richtete ich an Seine


— 107 —<br />

Excellenz den General Milutine, Kriegsminister in St. Petersburg,<br />

die schriftliche Bitte, einen Vertreter Busslands zur<br />

Teilnahme an <strong>der</strong> Konferenz abzusenden. Wenn auch <strong>der</strong><br />

Kriegsminister, bei aller persönlichen Teilnahme, die er für<br />

das geplante Werk bezeugte, seine Zustimmung nicht erteilte,<br />

so beauftragte dafür I. K. H. die Grossfürstin Helene ihren<br />

Bibliothekar, den Sitzungen beizuwohnen, <strong>und</strong> S. K. H. <strong>der</strong><br />

Grossfürst Konstantin erteilte einem seiner Adjutanten denselben<br />

Auftrag."<br />

Dr. Berg, <strong>der</strong> Leiter <strong>des</strong> schwedischen Statistischen<br />

Centraibureaus, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Generalarzt Heiberg von Christiania,<br />

welche gleichfalls zugegen waren, übernähmen es, bei den<br />

Regierungen- von Schweden <strong>und</strong> Norwegen für die<br />

Sache zu wirken. Im Oktober 1863 war Schweden <strong>und</strong> Norwegen<br />

amtlich bei <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz vertreten, <strong>und</strong> zwei<br />

Jahre später, im Jahre 1865, übernahm S. K. H. <strong>der</strong> Herzog<br />

von Ostgotland <strong>und</strong> nachmalige König Oskar H. den persönlichen<br />

Vorsitz bei <strong>der</strong> ersten Generalversammlung <strong>des</strong> ständigen<br />

schwedischen Centralhilfsausschusses für die Verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> bezeugte bei dieser Gelegenheit dem Begrün<strong>der</strong>, Herrn<br />

Dunant, mit <strong>des</strong>sen Person, wie wir sehen, die Anlange <strong>des</strong><br />

AVerkes aufs engste verknüpft sind, feierlich seine Hochachtung.<br />

„Wirklicher Dank, berichtet Dunant weiter, gebührt dem<br />

verstorbenen Grafen Eulenburg, welcher es verstanden hat,<br />

eine Anzahl hochherziger Männer bei sich zu vereinigen, die<br />

in ihrer Heimat die Sache <strong>der</strong> Menschlichkeit siegreich verteidigt<br />

<strong>und</strong> gewonnen haben, wie wir dies noch näher im<br />

folgenden sehen werden.<br />

„Von Berlin begab ich mich nach Dresden, wo Baron<br />

von Weber, durch Vermittlung <strong>des</strong> Adjutanten Seiner Majestät,<br />

<strong>des</strong> Generals Baron von Engel, <strong>und</strong> Seiner Excellenz <strong>des</strong><br />

Hofmarschalls von Gersdorff, schon die Wege zu einer Audienz<br />

beim König geebnet hatte. Der Hofmarschall sollte mich<br />

Seiner Majestät vorstellen. Der Baron von Weber teilte mir


— 108 —<br />

im Hotel (le France, wo icli abgestiegen war, mit, dass alle<br />

Anordnungen zur Audienz für den nächsten Morgen, Donnerstag<br />

2. Oktober, morgens lO'/s Uhr getroffen seien. Man<br />

möge entschuldigen, wenn ich über diese Audienz ausführlicher<br />

berichte, denn sie giebt uns ein schönes Bild von <strong>der</strong><br />

Herzensgüte <strong>und</strong> den patriarchalischen Sitten <strong>des</strong> verehrungswürdigen<br />

<strong>und</strong> gelehrten Königs Johann von Sachsen.-<br />

Ausserdem hatte sie auch wichtige Ergebnisse, <strong>der</strong>en Tragweite<br />

sich nicht nur auf Sachsen <strong>und</strong> Deutschland beschränkte.<br />

„Als ich am königlichen Schlosse ausstieg, führte mich<br />

ein vor dem Eingangsthor auf mich warten<strong>der</strong> Schlossbediensteter<br />

zu dem guten alten Hofmarschall. Dieser führte<br />

mich an <strong>der</strong> Hand durch einen Teil <strong>des</strong> Königlichen Schlosses,<br />

bis wir in einem kleinen, sehr einfachen <strong>und</strong> schmucklosen<br />

Zimmer ankamen, in dem, wenn ich mich recht erinnere,<br />

nicht einmal Lehnstühle waren. Ehe sich Herr von Gersdorff<br />

zurückzog, sagte er zu mir: ,Der König wird durch die<br />

Thüre gegenüber eintreten; Sie werden ihn durch dreimaliges<br />

Verneigen begrüssen <strong>und</strong> warten, bis er Sie anredet.' — Ich<br />

bedurfte dieser wohlwollenden Anweisungen nicht, um <strong>der</strong><br />

Etikette zu genügen, <strong>und</strong> befolgte Punkt für Punkt das gewöhnliche<br />

Ceremoniell, als <strong>der</strong> König erschien. Mit grösstem<br />

Wohlwollen erk<strong>und</strong>igte sich Seine Majestät nach dem Anliegen,<br />

das mich zu ihm führte. Ich legte ihm dasselbe vor<br />

<strong>und</strong> schloss unter vielen eindringlichen Bitten folgen<strong>der</strong>massen:<br />

,Ich wäre Eurer Majestät unendlich dankbar, wenn Sie diesem<br />

Werk in Ihren Staaten Ihren Schutz zuzuwenden geruhen,<br />

<strong>und</strong> zu <strong>der</strong> am 26. d. M. in Genf zu eröffnenden Konferenz<br />

einen Vertreter absenden möchten.'<br />

„Der König lächelte, als er meinen Eifer bemerkte, aber<br />

so wohlwollend, dass ich nicht eingeschüchtert wurde.<br />

„,Gerne werde ich einem so ausgezeichneten Wefke<br />

meinen Schutz gewähren', lautete seine Antwort; ,aber was<br />

die Absendung eines Vertreters betrifft, so muss ich zuerst<br />

meine Kammern befragen,'


— 109 —<br />

„Ich erwi<strong>der</strong>te sofort mit demselben achtungsvollen Eifer:<br />

Majestät, bei einem so ausschliesslich menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Werke dürfen Eure Majestät sicher sein, dass Ihre<br />

Kammern alles bewilligen werden, was es dem König belieben<br />

wird zu verfügen.'<br />

„Der König lächelte wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> schloss sodann die<br />

Audienz mit folgenden prächtigen Worten:<br />

„,Ich werde thun, was in meinen Kräften steht, denn<br />

sicherlich würde ein Volk, das sich nicht an diesem menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Werke beteiligte, von <strong>der</strong> öffentlichen Meinung<br />

Europas in die Acht erklärt werden.'<br />

„Sobald Seine Majestät mich verlassen hatte, trat <strong>der</strong><br />

Hofmarschall wie<strong>der</strong> in den bescheidenen Saal, wo soeben<br />

die Audienz stattgef<strong>und</strong>en hatte, <strong>und</strong> fragte mich, ob ich befriedigt<br />

sei. Dann fasste er mich väterlich bei <strong>der</strong> Hand<br />

<strong>und</strong> führte mich durch dieselben Zimmer <strong>und</strong> über dieselbe<br />

Treppe zurück; zuletzt verliess er mich, nachdem er sich<br />

von mir verabschiedet <strong>und</strong> mir glückliche Eeise <strong>und</strong> guten<br />

Erfolg gewünscht hatte, <strong>und</strong> ich fand denselben Bedienten<br />

wie bei meiner Ankunft: dieser geleitete mich zu meinem<br />

vor dem Schloss wartenden Wagen, <strong>und</strong> wie ich eben einstieg,<br />

kam noch <strong>der</strong> Baron von Weber, <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s erschienen<br />

war, um sich nach dem Erfolg <strong>der</strong> königlichen Audienz<br />

zu erk<strong>und</strong>igen. — Ich war voll Begeisterung für einen so<br />

ausgezeichneten <strong>und</strong> von so wackeren Leuten umgebenen<br />

König, an <strong>des</strong>sen Fre<strong>und</strong>lichkeit ich mich stets mit tiefster<br />

Dankbarkeit erinnere. l )<br />

„Den Best <strong>des</strong> Tages <strong>und</strong> die ganze Nacht brachte ich<br />

damit zu, dass ich in die meisten Hauptstädte Europas Privatbriefe<br />

schrieb, in welchen ich die herzliche Teilnahme erwähnte,<br />

welche <strong>der</strong> verehrte Fürst für das geplante Werk<br />

an den Tag gelegt hatte. Ueberall hatten diese Briefe durch-<br />

*) Wegen <strong>des</strong> geschichtlichen Interesses, das sich jetzt an diese<br />

Einzelheiten knüpft, glaubten wir diese Stelle ans den Aufzeichnungen<br />

vollständig wiedelgeben zu müssen.


— 110 —<br />

schlagenden Erfolg, denn <strong>der</strong> Nestor <strong>der</strong> Könige stand in<br />

hoher Achtung bei allen europäischen Höfen <strong>und</strong> Regierungen,<br />

wie wir aus folgendem ersehen werden: In Paris<br />

war ich einige Monate zuvor von dem Generalintendanten<br />

<strong>und</strong> Staatsrat Baron Darricau mit beson<strong>der</strong>em Wohlwollen<br />

empfangen worden. Dieser Herr, mit dem ich in<br />

regelmässigem Briefwechsel stand, interessierte sich aufs lebhafteste<br />

für das Unternehmen, ein ,Apostelwerk', wie er es<br />

nannte, <strong>und</strong> verfolgte mit liebevoller Teilnahme seine Fortschritte.<br />

Ich schrieb ihm also noch an demselben Tage, an<br />

welchem ich die Audienz gehabt hatte, <strong>und</strong> erzählte ihm,<br />

was in Berlin vorgefallen war, sowie die ermutigende Aufnahme,<br />

die ich bei dem König Johann von Sachsen gef<strong>und</strong>en<br />

hatte. Natürlich vergass ich nicht, die prächtigen Schlussworte<br />

Seiner Majestät zu erwähnen, ,ein Yolk, das sich<br />

nicht an diesem menschen fre<strong>und</strong>lichen Werke beteiligte,<br />

würde von <strong>der</strong> öffentlichen Meinung<br />

Europas in die Acht erklärt werden.'<br />

„Ich drang in den Baron Darricau, er möchte diesen<br />

Vorfall, sowie die grosse Wichtigkeit, die Preussen dem Gedanken<br />

<strong>der</strong> Neutralisierung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> ihrer Helfer beimesse, irgendwie zur Kenntnis<br />

<strong>des</strong> Kaisers bringen. Ich erinnerte ferner daran, wie <strong>der</strong><br />

französische Kaiser während <strong>des</strong> italienischen Feldzugs verfügt<br />

habe, die östreichischen Verw<strong>und</strong>eten sollten, sobald <strong>der</strong><br />

Stand ihrer W<strong>und</strong>en ihnen die Rückkehr in die Heimat gestatte,<br />

unausgewechselt zurückgegeben werden. — Nun<br />

traf es sich, dass mein an das Kriegsministerium in Paris<br />

adressierter Brief für Herrn Darricau gerade in dem Augenblick<br />

ankam, wo dieser sich vom Ministerium in die Tuilerien<br />

begeben wollte, wohin ihn Napoleon in dienstlichen Angelegenheiten<br />

hatte rufen lassen. Der Brief, den er unterwegs<br />

im Wagen las, machte, wie er mir selbst später gestand,<br />

tiefen Eindruck auf ihn: <strong>der</strong> wackere Intendant war<br />

von seinem Inhalt so durchdrungen, dass er den Brief sofort


— III —<br />

Napoleon vorlegte. Dieser las ihn <strong>und</strong> gab ilm zurück<br />

mit den Worten: ,Sie werden nach Genf gehen, mein lieber<br />

Darricau, um Frankreich bei <strong>der</strong> Konferenz zu vertreten.' —<br />

Auf diese unerwartete Weise wurde in Frankreich, trotz <strong>der</strong><br />

Feindseligkeit <strong>des</strong> damaligen Kriegsministers <strong>und</strong> <strong>des</strong> grössten<br />

Teils seiner Umgebung, die Sache gewonnen. Allerdings<br />

hatte ich schon einige Tage zuvor von Berlin aus einen persönlichen,<br />

vertraulichen Brief an General Dufour geschrieben,<br />

in welchem ich ihn von <strong>der</strong> ausserordentlich günstigen Stimmung<br />

<strong>des</strong> preussischen Hofs <strong>und</strong> <strong>der</strong> preussischen Regierung<br />

iu Kenntnis setzte <strong>und</strong> ihn ersuchte, unmittelbar an den Kaiser<br />

Napoleon III. 1 ) über die Sache zu schreiben <strong>und</strong> dabei den<br />

Namen <strong>des</strong> Intendanten Darricau zu erwähnen. Ich bat den<br />

General, den Kaiser um die Absendung Darricaus zur Konferenz<br />

zu ersuchen, da dieser am besten über die Neutralisierungsfrage<br />

unterrichtet sei. Der General Dufour hatte sich beeilt, meine<br />

Bitte zu erfüllen. In all dem hatten wir viel Glück <strong>und</strong> zugleich<br />

zeigte sich darin eine wirkliche Fügung <strong>der</strong> Vorsehung.<br />

„Ich ging nun nach Wien. Der bevollmächtigte Minister<br />

<strong>der</strong> Eidgenossenschaft bei <strong>der</strong> östreichischen Kegierung war<br />

Herr Steiger. Ich machte ihm einen Besuch, <strong>und</strong> er verschaffte<br />

mir bereitwilligst eine Audienz bei Seiner Kaiserl.<br />

<strong>und</strong> Königl. Hoheit dem Erzherzog Eainer, welcher den<br />

damals zur Erholung in Ischl weilenden östreichischen Kaiser<br />

vertrat. Der Graf von Eechberg liess uns mitteilen, <strong>der</strong> Erzherzog<br />

werde Herrn Steiger <strong>und</strong> mich im Schlosse empfangen,<br />

um mir Gelegenheit zu geben, die Pläne <strong>des</strong> Ausschusses<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft <strong>des</strong> näheren auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Nach einer ziemlich langen Erklärung geruhte<br />

Seine Kaiserliche Hoheit, in überzeugtem, wohlwollendem<br />

<strong>und</strong> herzlichem Ton dreimal die zustimmenden Worte:<br />

.Welch prächtiger Gedanke!' auszusprechen. 8 )<br />

*) Ueber das Verhältnis General Dnfours zu Napoleon siehe S. 88.<br />

*) S. Bemerkung 3 im Anhang.


— 112 —<br />

„In München war <strong>der</strong> König Maximilian eben nach<br />

Italien abgereist; aber Staatsrat von Hermann, den ich<br />

beim Grafen von Eulenburg getroffen hatte, hatte den König<br />

über die <strong>Genfer</strong> Plane unterrichtet, <strong>und</strong> dieser hatte erklärt,<br />

dass er im Gr<strong>und</strong>satz mit ihnen einverstanden sei. Er hatte<br />

Herrn von Hermann beauftragt, mir hievon Mitteilung zu<br />

machen <strong>und</strong> mich zu veranlassen, behufs näherer Besprechung<br />

seinen Kriegsminister, den General Frankh aufzusuchen.<br />

Ich beeilte mich dies zu thun, aber wir hatten grosse Mühe,<br />

uns zu verständigen. Ich muss sogar gestehen, dass ich<br />

schmerzlich von <strong>der</strong> Feindseligkeit berührt war, die diese<br />

Excellenz mir zu allererst zeigte.<br />

„,Wie! mein Herr!' lautete die ziemlich barsche Anrede,<br />

,auf Ihr Ersuchen soll ich einen bayrischen Vertreter nach<br />

Genf schicken, zu einer Versammlung, die von Ihnen <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>n mir unbekannten Privatleuten einberufen ist! . . .'<br />

„,Aber, Herr Minister,' antwortete ich, ,ich verlange gar<br />

nichts von Eurer Excellenz, ich bitte um gar nichts; ich<br />

habe es nur für meine Pflicht gehalten, Ihnen von einer<br />

Thatsache Mitteilung zu machen, die sicherlich Ihrer Teilnahme<br />

würdig ist; was wir in Genf thun, geschieht einzig<br />

<strong>und</strong> allein im Interesse <strong>der</strong> Menschenliebe, d. h. im Interesse<br />

Bayerns ebensogut, wie in dem <strong>der</strong> übrigen Län<strong>der</strong> Europas.<br />

Es handelt sich um eine internationale Frage <strong>der</strong> Nächstenliebe,<br />

welche schon mächtige För<strong>der</strong>er <strong>und</strong> hohe Gönner gef<strong>und</strong>en<br />

hat.' . . . Zuletzt versprach mir endlich Seine Excellenz<br />

die Absendung eines Vertreters nach Genf. — In Wien<br />

hatte ich ein ähnliches Versprechen erlangt.<br />

„Ohne diese persönlichen Bitten <strong>und</strong> die wie<strong>der</strong>holten<br />

sonstigen Schritte, die noch an<strong>der</strong>s als durch gedruckte E<strong>und</strong>schreiben<br />

gethan wurden, hätte die erste <strong>Genfer</strong> Konferenz<br />

aller Wahrscheinlichkeit nach keine offiziellen Vertreter <strong>der</strong><br />

Regierungen bekommen: sie hätte also ihren Zweck verfehlt.<br />

„Das wohlwollendste Entgegenkommen hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Konferenz zeigten Darmstadt, Stuttgart <strong>und</strong> Karls-


— IIB —<br />

ruhe, dank Seiner Excellenz dem Kriegsminister <strong>des</strong> Grossherzogtums<br />

Hessen, Generallieutenant von Wächter; Seiner<br />

Excellenz dem württembergischen Ministerpräsidenten Baron<br />

von Neurath, Seiner Excellenz dem Baron von Mauclerc <strong>und</strong><br />

dem Königl. Kabinettschef Baron von Egloffstein; <strong>und</strong> endlich<br />

Seiner Excellenz dem Kriegsminister General Damian<br />

Ludwig in Karlsruhe, inson<strong>der</strong>heit aber Seiner Königl. Hoheit<br />

dem Grossherzog von Baden, welcher den Oberstabsarzt<br />

Dr. Steiner, einen <strong>der</strong> eifrigsten Mitarbeiter an <strong>der</strong><br />

grossen humanitären Frage, in seinem eigenen Namen zur<br />

Konferenz absandte. — Ueberall trug ich Sorge, den glücklichen<br />

Ausspruch <strong>des</strong> Königs von Sachsen zu erwähnen,<br />

welcher wie ein wahrhafter Talisman wirkte." 1 )<br />

*) So auch in England; s. Bemerkung 4 im Anhang.<br />

8


Die erste internationale Konferenz in Genf<br />

vom 26.—29. Oktober 1863.<br />

Während Dunant auf Reisen war, um seine Pläne <strong>und</strong><br />

die <strong>des</strong> Son<strong>der</strong>ausschusses <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft<br />

zu verwirklichen, begab sich <strong>der</strong> General Dufour <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Vorstand <strong>der</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft Moynier nach Bern,<br />

um beim Schweizer Bun<strong>des</strong>rat die Entsendung von Delegierten<br />

zur Konferenz zu erwirken. Der Bun<strong>des</strong>rat ernannte hiezu<br />

den Chefarzt Dr. Lehmann <strong>und</strong> den Stabs- <strong>und</strong> Divisionsarzt<br />

Dr. Briere.<br />

Die Sitzung <strong>des</strong> Son<strong>der</strong>ausschusses <strong>der</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft vom 20. Okt. 1863 in Genf,<br />

bei welcher alle Mitglie<strong>der</strong> anwesend waren, war fast ganz<br />

damit ausgefüllt, dass man den mündlichen Bericht Dunants<br />

über seine Eeise anhörte <strong>und</strong> verschiedene vorbereitende Anordnungen<br />

fiir die Konferenz traf, welche am 26. in einem<br />

Saale <strong>des</strong> Athenaeums, welchen Frau Eynard-Lullin, die<br />

Witwe <strong>des</strong> berühmten Philhellenen Jean Gabriel Eynard,<br />

dem Ausschuss zur Verfügung gestellt hatte, eröffnet werden<br />

sollte. — Das Protokoll dieser Sitzung berichtet nnter an<strong>der</strong>em:<br />

„Endlich hat Herr Dunant an fast alle regierenden Fürsten<br />

Europas <strong>und</strong> die Kriegsminister <strong>der</strong> verschiedenen Staaten


- 115 —<br />

entwe<strong>der</strong> selbst geschrieben o<strong>der</strong> ihnen von dem Werke Mitteilung<br />

machen lassen, 11m achtungsvoll lim die Ahsendung<br />

eines Delegierten von Seiten einer jeden europäischen Regierung<br />

nachzusuchen."<br />

Zwei Tage vor Beginn <strong>der</strong> Konferenz begab sich Dunant<br />

zu den in Genf beglaubigten Konsuln von Frankreich, England<br />

<strong>und</strong> Italien <strong>und</strong> ersuchte sie, den Sitzungen beizuwohnen.<br />

Beson<strong>der</strong>s eindringlich that er dies beim italienischen Konsul,<br />

den er dringend bat, wenigstens durch seine halbamtliche<br />

Anwesenheit sein Land zu vertreten, welches keinen Delegierten<br />

zur Konferenz beglaubigt hatte. Er bewog ihn auch<br />

schliesslich zu erscheinen, indem er ihm die teilnehmenden<br />

<strong>und</strong> ermutigenden Mitteilungen <strong>des</strong> Prinzen Humbert von<br />

Piemont, <strong>des</strong> heutigen Königs von Italien, zeigte.<br />

Im letzten Augenblick sah sich zu seinem lebhaften Bedauern<br />

<strong>der</strong> Generalintendant, Staatsrat Baron Darricau,<br />

welcher bei <strong>der</strong> Eröffnung <strong>des</strong> französischen Staatsrats drei<br />

Gesetzesentwürfe zu vertreten hatte <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb Paris nicht<br />

verlassen konnte, genötigt, sich durch den Unterintendanten<br />

de Preval <strong>und</strong> den Dr. Boudier ersetzen zu lassen. Der<br />

französische Kriegsminister musste sich zu seinem Leidwesen<br />

dem kaiserlichen Willen fügen.<br />

Die Waadter Gemeinnützige Gesellschaft, die um jene<br />

Zeit lebhaften Anteil an den Anfängen <strong>des</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Werkes nahm, liess sich durch ihren Yicepräsidenten,<br />

Herrn Moratel, vertreten; <strong>und</strong> die Gesellschaft zur För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> sozialen Wissenschaften in Neuenburg sandte eine<br />

Abordnung, bestehend aus den Herren Professor Sandoz,<br />

George de Montmollin <strong>und</strong> Fritz de Perregaux.<br />

Der „Ritterliche Orden St. Johannis vom Spital zu Jerusalem"<br />

(an Stelle <strong>der</strong> 1811 aufgehobenen Bailei Brandenburg<br />

gestiftet) hatte den lebhaftesten Anteil an den <strong>Genfer</strong><br />

Vorschlägen <strong>und</strong> an dem von Dunant während seines Aufenthalts<br />

in Berlin ausgesprochenen Neutralisierungsgedanken<br />

genommen. Mehrere seiner Mitglie<strong>der</strong> hatten ihren Wünschen


— 116 —<br />

für das glückliche Gelingen <strong>der</strong> Konferenz Ausdruck gegeben.<br />

Seine Hoheit Prinz Heinrich XIII. yon Reuss (jüngere<br />

Linie), <strong>der</strong> von dem Grossmeister <strong>des</strong> Ordens, Prinz Karl<br />

von Preussen, beauftragt war dem Kongress beizuwohnen,<br />

war einer <strong>der</strong> ersten Delegierten, welche in Genf eintrafen.<br />

Am 25. Oktober abends kamen die schon annähernd<br />

vollzählig eingetroffenen Delegierten <strong>der</strong> verschiedenen Län<strong>der</strong><br />

bei Herrn Dunant zusammen. Es waren dies, nach <strong>der</strong> alphabetischen<br />

Reihenfolge <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>:<br />

Baden: Oberarzt Dr. Steiner; abgesandt von Sr. Kgl. Hoheit<br />

dem Grossherzog von Baden.<br />

Bayern: Dr. Theodor Dompierre, Oberarzt <strong>der</strong> Artillerie;<br />

abgesandt von Sr. Exc. dem bayr. Kriegsminister.<br />

Frankreich: de Preval, Unterintendant <strong>der</strong> kaiserlichen<br />

Garde, <strong>und</strong><br />

Dr. Boudier, Oberarzt; abgesandt von Sr. Exc.<br />

dem französischen Kriegsminister.<br />

Chevalier, französischer Konsul in Genf.<br />

Grossbritannien: Dr. Rutherford, Generalinspektor <strong>der</strong><br />

Hospitäler; abgesandt von Sr. Exc. dem britischen<br />

Kriegsminister.<br />

Mackensie, britischer Konsul in Genf.<br />

Hannover: Dr. Oelker; abgesandt von <strong>der</strong> Regierung <strong>des</strong><br />

Königreichs Hannover.<br />

Hessen-Darmstadt: Major Brodrück; abgesandt vom<br />

grossherzogl.-hessischen Kriegsminister.<br />

Johanniterorden: Prinz HeinrichXIII. vonReuss (jüngere<br />

Linie); abgesandt von Sr. Kgl. H. dem Prinzen<br />

Karl von Preussen, Grossmeister <strong>des</strong> Ordens.<br />

Italien: Giovanni Capello, italienischer Konsul in Genf.<br />

Nie<strong>der</strong>lande: Dr. Basting, Stabsarzt im Leibregiment<br />

S. M. <strong>des</strong> Königs <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande; abgesandt<br />

von dem letzteren.<br />

Kapitän Yan de Yelde, nie<strong>der</strong>ländischer Marineoffizier<br />

a. D.


— 117 —<br />

Oestreicli: Dr. Unger, Oberstabsarzt <strong>und</strong> Oberarzt <strong>der</strong><br />

östreicliischen Armee; abgesandt von Sr. Exc.<br />

dem östreicliischen Kriegsminister.<br />

Preussen: Dr. Löffler, Generalarzt <strong>des</strong> vierten preussischen<br />

Armeecorps; abgesandt vom preussischen Kriegsministerium.<br />

Geheimrat Dr. Housselle, Mitglied <strong>des</strong> Ministeriums<br />

für Medizinalangelegenheiten; abgesandt vom<br />

Kgl. preuss. Ministerium <strong>der</strong> geistlichen, Unterrichts-<br />

<strong>und</strong> Medizinalangelegenheiten.<br />

Russland: Hauptmann Alexan<strong>der</strong> Kireiew, Adjutant <strong>des</strong><br />

Grossfürsten Konstantin.<br />

E. Essakoff, Bibliothekar <strong>der</strong> Grossfürstin Helene<br />

Paulowna.<br />

Sachsen: Dr. Günther, Generalarzt <strong>des</strong> sächsischen Heeres;<br />

abgesandt vom Königl. säclis. Kriegsministerium.<br />

Schweden <strong>und</strong> Norwegen: Dr. Sven Eric Skoeldberg,<br />

Medizinalrat in Stockholm <strong>und</strong> Intendant <strong>des</strong><br />

Medizinalmaterials <strong>des</strong> schwedischen Heeres.<br />

Dr. Edling, Oberstabsarzt aus Stockholm; beide<br />

abgesandt von <strong>der</strong> schwedischen Begierung.<br />

Schweiz: Dr. Lehmann, Chefarzt <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>heeres,<br />

Dr. Briere, Stabs- <strong>und</strong> Divisionsarzt,<br />

Professor Sandoz,<br />

G. de Montmollin,<br />

Fr. de Perregaux,<br />

Abgesandte<br />

<strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>rats.<br />

Abgesandte <strong>der</strong> Gesellschaft zur<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Wissenschaften<br />

in Neuenburg(Schweiz).<br />

Moratel, Vizepräsident <strong>der</strong> Waadtländisclien Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft.<br />

Dr. Engelhardt aus Freiburg, Divisionsarzt.<br />

Spanien: Dr.N. Landay Alvarez de Carvallo, Stabsarzt, Vertreter<br />

<strong>des</strong> Sanitätscorps <strong>des</strong> spanischen Heeres;<br />

abgesandt von dem spanischen Kriegsministerium.<br />

Württemberg: Dr. Hahn, Pfarrer in Heslach (bei Stuttgart);<br />

Abgesandter <strong>des</strong> württembergischen Kriegs-


— 118 —<br />

ministeriums <strong>und</strong> <strong>der</strong> Centralleitung <strong>des</strong> Aviirttembergischen<br />

Wohlthätigkeitsvereins.<br />

Dr. Wagner, Pfarrer in Korb; Abgesandter <strong>des</strong><br />

Wohlthätigkeitsvereins von Waiblingen.<br />

Hiezu kommen noch die fünf Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Ausschusses:<br />

General Dufour,<br />

Gustave Moynier,<br />

Dr. Theodore Maunoir,<br />

. Dr. Louis Appia,<br />

J. Henry Dunant.<br />

Am Montag, dem 26. Oktober wurde die Sitzung<br />

im Athenäum von General Dufour mit folgen<strong>der</strong> Ansprache<br />

eröffnet:<br />

„Meine Herren! Nach altem Brauch wählt man bei Gelegenheiten,<br />

wie <strong>der</strong> gegenwärtigen, aus den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Versammlung einen Vizepräsidenten. Indem <strong>der</strong> Ausschuss<br />

diese Bedingung erfüllen wollte, geriet er in einige Verlegenheit,<br />

insofern er die Wahl in einer Versammlung zu treffen<br />

hatte, worin sich die Vertreter so vieler Nationen befinden.<br />

Zum Glück ist dem Ausschuss diese Verlegenheit erspart<br />

durch die Gegenwart <strong>des</strong> Abgesandten einer vollkommen neutralen<br />

Körperschaft, <strong>des</strong> Johanniterordens von Jerusalem; <strong>der</strong><br />

Ausschuss konnte daher nichts Besseres thun, als zu den<br />

Obliegenheiten <strong>der</strong> Vizepräsidentschaft S. H. den Prinzen<br />

Reuss einzuladen, <strong>der</strong> sich hier als Abgeordneter, nicht einer<br />

Nation im eigentlichen Sinn, son<strong>der</strong>n einer Körperschaft befindet,<br />

die einen ähnlichen menschenfre<strong>und</strong>lichen Zweck hat,<br />

wie <strong>der</strong>, den wir selbst verfolgen. —<br />

„Und nun, meine Herren, heisse ich Sie alle willkommen;<br />

<strong>der</strong> Ausschuss, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft ernannt<br />

ist, um sich beson<strong>der</strong>s mit dem Gegenstand, <strong>der</strong> Sie<br />

hier zusammengeführt hat, zu beschäftigen, entbietet Ihnen<br />

seinen herzlichen Gruss <strong>und</strong> sagt Ihnen aufrichtigen Dank


— 119 —<br />

für den Eifer, mit dem Sie seinem Rufe gefolgt sind. Der<br />

Ausschuss drückt nicht min<strong>der</strong> seine volle Dankbarkeit gegen<br />

die Regierungen aus, die ihm ihre Teilnahme an seinen Plänen •<br />

dadurch bewiesen haben, dass sie Abgeordnete zu dieser Versammlung<br />

entsandten, welche dadurch eine höhere Bedeutung<br />

erhält, als wir hoffen durften; sie wird dadurch zu einer Art<br />

internationalen Kongresses, ohne jedoch ein amtliches Gepräge<br />

zu erhalten. Für mehrere unter Ihnen, meine Herren, war<br />

es ein Opfer, sich bei dieser Vereinigung einzufinden; Sie<br />

hatten zum Teil eine weite Reise in ziemlich vorgerückter<br />

Jahreszeit zu unternehmen, die leicht an<strong>der</strong>e Aussichten als<br />

solch schöne Tage hätte bieten können; aber die Ueberzeugung<br />

von <strong>der</strong> Dringlichkeit hat Sie vermocht, im Verein mit uns<br />

eine Frage <strong>der</strong> Menschlichkeit zu prüfen, <strong>der</strong>en Lösung gewiss<br />

eine grosse Wohlthat wäre.<br />

„Sie wissen, meine Herren, dass <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Feldspitäler<br />

in den regelmässigen Heeren für die unglücklichen<br />

Verw<strong>und</strong>eten, welche auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n bleiben, nur<br />

sehr unvollkommene Hilfeleistungen gestattet; es herrscht in<br />

dieser Beziehung eine grosse Unzulänglichkeit, welche sich<br />

am meisten gerade bei den Gelegenheiten zeigt, wo Raschheit<br />

<strong>und</strong> Weite dieser Hilfeleistungen am wünschenswertesten<br />

wäre. Diese Unzulänglichkeit ist je<strong>der</strong>mann aufgefallen, sie<br />

ist aber ganz beson<strong>der</strong>s <strong>und</strong> mit erschrecken<strong>der</strong> Wahrheit in<br />

einem Werke geschil<strong>der</strong>t worden, das Ihnen wohl bekannt<br />

ist, <strong>und</strong> das nach <strong>der</strong> Schlacht bei Solferino von einem unserer<br />

Landsleute, Herrn Dunant, veröffentlicht worden ist.<br />

Wir sind versammelt, meine Herren, um zu sehen, ob sich<br />

nicht irgend eine Möglichkeit finden sollte, einen in demselben<br />

Werke ausgesprochenen menschenfre<strong>und</strong>lichen Gedanken zu<br />

verwirklichen. Wir wollen nicht im voraus behaupten, dass<br />

diese Möglichkeit vorhanden ist, aber wir hoffen, dass diese<br />

Versammlung von Männern, die ganz beson<strong>der</strong>s dazu befähigt<br />

sind, sich mit <strong>der</strong>artigen Fragen zu beschäftigen, die Lösung<br />

<strong>der</strong> schwierigen Aufgabe, die wir uns gestellt haben, wird


— 120 —<br />

erreichen können. Es ist dies für je<strong>der</strong>mann, vor allem aber<br />

für die unglücklichen Soldaten zu wünschen; man stellt sich<br />

nicht ernst genug die Lage eines Mannes vor, <strong>der</strong> als Gemeiner<br />

dient, <strong>der</strong> meist auf dem Schlachtfelde ankommt,<br />

nachdem er schon lange zuvor Entbehrungen aller Art ertragen<br />

hat (es genügt, auf die in dem strengen Krim-Feldzug<br />

gemachten Erfahrungen zu verweisen), <strong>und</strong> hier, nachdem er<br />

mutig <strong>und</strong> aufopfernd für seine Fahne gekämpft hat, sich<br />

zum Löhn Schmerzen überlassen findet, die bis zur Marter<br />

werden, denen jede Lin<strong>der</strong>ung fehlt, <strong>und</strong> die sich oft durch<br />

das entsetzliche Angstgefühl <strong>der</strong> Verlassenheit verdoppeln.<br />

„Trotz <strong>der</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen Bemühungen <strong>der</strong> Friedens-Kongresse<br />

— Bemühungen, denen wir wohl alle Achtung<br />

<strong>und</strong> alles Mitgefühl, das sie verdienen, bezeugen können,<br />

ohne uns über den geringen Erfolg, auf den sie vielleicht<br />

rechnen können, zu täuschen, — wird es, solange die menschlichen<br />

Leidenschaften dauern, <strong>und</strong> das wird wohl noch lange<br />

<strong>der</strong> Fall sein, Kriege auf dieser Erde geben. Anstatt also<br />

dem Trugbild ihrer Unterdrückung nachzujagen, muss man,<br />

um <strong>der</strong> Menschheit wahrhaft zu nützen, darauf bedacht sein,<br />

die Furchtbarkeit ihrer Folgen möglichst zu mil<strong>der</strong>n, indem<br />

man aufs kräftigste diejenigen unterstützt, welche kraft ihrer<br />

Stellung die Aufgabe haben, jenem Elend abzuhelfen; man<br />

muss ihnen die Mitwirkung <strong>der</strong> Arme verschaifen, die ihnen<br />

jetzt noch fehlen, <strong>und</strong> zwar ohne dadurch den Heeresleitungen<br />

nachteilige Hin<strong>der</strong>nisse zu bereiten. Dies ist die zu lösende<br />

Aufgabe, von <strong>der</strong> wir eben sprachen.<br />

„Versetzen wir uns, meine Herren, indem wir daran<br />

denken sie zu lösen, ins Land <strong>der</strong> Träume? Ist das Ziel,<br />

das wir erreichen möchten, so erhaben <strong>und</strong> übersteigt es so<br />

sehr unsere Kräfte, dass die Vereinigung aller unserer Anstrengungen<br />

hiezu nicht ausreicht? Verhält es sich so, dann<br />

werden wir uns wohl beugen müssen; aber immerhin wird<br />

uns das Verdienst bleiben, das Unternehmen versucht zu haben,<br />

<strong>und</strong> darin liegt Stoff genug zur Befriedigung <strong>und</strong> zum Trost


— 121 —<br />

für diejenigen, welche yon lebhafter Teilnahme für die Leiden<br />

<strong>der</strong> Menschheit beseelt sind; jedenfalls werden wir auf dem<br />

Acker <strong>der</strong> Zukunft ein Samenkorn ausgestreut haben, das<br />

späterhin seine Frucht wird tragen können, wenn glücklichere,<br />

günstigere Umstände es aufkeimen lassen, wenn die Gesittung<br />

neue Fortschritte gemacht, wenn die Völker menschlichere,<br />

weitere Bahnen betreten haben werden, als die sind, auf<br />

denen sie heute noch wandeln. Die Zukunft wird also dann<br />

darüber zu entscheiden haben, wir aber werden getlian haben,<br />

was wir konnten. Gelangen wir auch bei dieser Vereinigung,<br />

die schon um ihres Zwecks <strong>und</strong> um <strong>der</strong> regen Teilnahme<br />

willen, die sie gleich von vornherein in Europa hervorgerufen<br />

hat, einen gewissen Wie<strong>der</strong>hall finden wird, zu keinem bestimmten<br />

Ergebnis, so werden wir wenigstens Verbesserungen<br />

vorgezeichnet haben, <strong>der</strong>en Verwirklichung wir von späteren<br />

Zeiten erhoffen können. Somit dürfen wir uns durch die Aussicht<br />

auf augenblickliche Erfolglosigkeit nicht im voraus entmutigen<br />

lassen; machen Avir uns frisch an die Aufgabe! tliun<br />

wir unser Möglichstes, um sie zu lösen! Und wenn es uns<br />

nicht vergönnt ist, das Ziel zu erreichen, so werden wir<br />

wenigstens unser gutes Gewissen für uns haben, <strong>und</strong> das<br />

Gefühl, das gethan zu haben, was Männern geziemt, die ihren<br />

Nächsten lieben!<br />

„Nachdem ich mit diesen wenigen Worten die Beratungen<br />

dieser Versammlung eröffnet habe, die ich einen Kongress im<br />

kleinen nennen kann, möchte ich meinen Nachbar, Herrn<br />

Moynier, den Vorsitzenden <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft,<br />

<strong>der</strong> durch seine Arbeiten mit den Einzelheiten<br />

dieses Gegenstan<strong>des</strong> besser vertraut ist, als ich, bitten den<br />

Vorsitz zu übernehmen, um die Verhandlungen zu leiten."<br />

Nach dem General Dufour ergriff Herr G. Moynier<br />

das Wort zu folgen<strong>der</strong> Ansprache:<br />

„Meine Herrn! Ich kann nicht daran denken, mich dem<br />

an mich ergangenen Rufe zu entziehen, denn ich weiss, dass


— 122 —<br />

<strong>der</strong> Entschluss <strong>des</strong> verehrten Generals Dufour unwi<strong>der</strong>ruflich<br />

ist; nachdem ich aber zu <strong>der</strong> Ehre berufen bin, den Vorsitz<br />

über , diese Versammlung zu führen, werden Sie mir erlauben,<br />

Ihnen meinesteils im Namen <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses für die<br />

Bereitwilligkeit zu danken, mit <strong>der</strong> Sie unser Einladungsschreiben<br />

aufgenommen haben. Als wir dieses an Sie richteten,<br />

hegten wir hinsichtlich <strong>des</strong> Erfolgs unseres Schrittes<br />

keine allzugrosse Zuversicht; um so glücklicher waren wir,<br />

dass <strong>der</strong> Gedanke allerseits verstanden <strong>und</strong> unser Aufruf<br />

gehört wurde. Kegierungen, Vereine, Einzelne haben einen<br />

löblichen Eifer entwickelt, uns zu Hilfe zu kommen <strong>und</strong> uns<br />

mit ihrer Einsicht beizustehen, um den praktischen Ausdruck<br />

für die edeln Bestrebungen unseres Schriftführers zu finden.<br />

Ich werde Herrn Dunant selbst die angenehme Aufgabe überlassen,<br />

Sie mit den zahlreichen <strong>und</strong> teilnehmenden Zustimmungen<br />

bekannt zu machen, die für unser Unternehmen schon<br />

zu seinem Beginn gewonnen sind. Diese Mitteilung wird<br />

für uns alle eine gute Vorbereitung <strong>und</strong> eine Aufmunterung<br />

sein, denn sie wird uns mit vielen Fre<strong>und</strong>en <strong>des</strong> Werkes<br />

bekannt machen, die zwar nicht zur gemeinsamen Beratung<br />

mit uns kommen konnten, aber bereit sind, uns zu unterstützen,<br />

sobald <strong>der</strong> Augenblick zum Handeln gekommen<br />

sein wird.<br />

„Sähen wir uns aber auch in die Lage versetzt, nur<br />

auf uns selbst zählen zu können, so würden wir doch in den<br />

Beweggründen, die uns hieher geführt haben, Antrieb genug<br />

finden, um entschlossen auf das gesteckte Ziel loszugehen.<br />

Wir haben wohl gefühlt, dass uns eine grosse Pflicht auferlegt<br />

ist, <strong>und</strong> wir werden nicht ruhen, bis wir das Mittel gef<strong>und</strong>en<br />

haben, um für unsere Nebenmenschen die Entbehrungen,'Leiden<br />

<strong>und</strong> Uebel aller Art zu lin<strong>der</strong>n, welche die unvermeidliche<br />

Folge eines Kampfes mit den Waffen sind. Ich kann mir die<br />

Mühe ersparen, Ihnen ein herzzerreissen<strong>des</strong> Gemälde <strong>der</strong>selben<br />

vorzuführen. Ihre Anwesenheit bezeugt, dass Sie alle ihre<br />

Schrecken schon kennen o<strong>der</strong> almen, dass Ihre Herzen von


— 12S —<br />

Mitleid mit so vielen unglücklichen Opfern bewegt sind, <strong>und</strong><br />

dass Sie die Dringlichkeit einer Abhilfe fühlen. Wir sind<br />

hier versammelt, um eine solche Abhilfe zu suchen, <strong>und</strong> wir<br />

werden sie mit Gottes Hilfe auch finden, denn wollen heisst<br />

können.<br />

„Wir haben es nötig, meine Herrn, uns durch diese tröstlichen<br />

Betrachtungen zu stärken, um uns nicht durch den<br />

Wi<strong>der</strong>stand, auf den wir stossen, entmutigen zu lassen. Schon<br />

hat man uns zwei abweisende Einwände entgegengehalten,<br />

<strong>und</strong> obwohl die beste Art, ihre Nichtigkeit darzuthun, darin<br />

besteht, sie mit Thatsachen zu beantworten, so sind wir doch<br />

auf dem Boden <strong>der</strong> Praxis noch nicht weit genug vorgerückt,<br />

dass es überflüssig wäre, sie zu wi<strong>der</strong>legen, ehe wir weiter<br />

gehen.<br />

„Man hat behauptet, anstatt Auskunftsmittel zu suchen,<br />

um den Krieg weniger mör<strong>der</strong>isch zu machen, thäten wir<br />

besser daran, das Uebel bei <strong>der</strong> Wurzel anzufassen <strong>und</strong> an<br />

<strong>der</strong> Stiftung eines allgemeinen <strong>und</strong> ewigen Weltfriedens zu<br />

arbeiten. Es schiene in <strong>der</strong> That, wenn wir auf unsere<br />

Gegner hörten, als wären wir auf nichts geringeres aus, als<br />

den Krieg zu rechtfertigen, indem wir ihn als ein notwendiges<br />

Uebel betrachten lassen. Ist dieser Tadel wirklich ernsthaft<br />

zu nehmen? Ich kann es nicht glauben. Sicherlich wünschen<br />

wir ebenso sehr <strong>und</strong> noch mehr als irgend jemand, dass die<br />

Menschen aufhören möchten, sich gegenseitig zu erwürgen,'<strong>und</strong><br />

dass sie sich von diesem Ueberbleibsel von Barbarei, das sie von<br />

ihren Tätern geerbt haben, mit Abscheu lossagen möchten.<br />

Mit Hilfe <strong>des</strong> Christentums werden sie früher o<strong>der</strong> später<br />

zum Ziele gelangen, <strong>und</strong> wir zollen den Bemühungen <strong>der</strong>er,<br />

die an <strong>der</strong> Mil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sitten arbeiten, allen Beifall. Aber<br />

nach unserer Ueberzeugung wird man noch lange mit den<br />

menschlichen Leidenschaften rechnen <strong>und</strong> sich ihre unheilvollen<br />

Wirkungen gefallen lassen müssen. Warum sollte man<br />

also, wenn man sich nicht unbedingt <strong>und</strong> sofort dagegen<br />

schützen kann, nicht bemüht sein, sie zu vermin<strong>der</strong>n? Die


— 124 —<br />

Nächstenliebe befiehlt es uns, <strong>und</strong> weil wir ihre Stimme gehört<br />

haben, sind wir hier. Ich kann nicht begreifen, inwiefern<br />

unser Versuch geeignet sein sollte, die anbrechende<br />

Morgenröte eines Zeitalters <strong>des</strong> Friedens aufzuhalten. Ich<br />

bin vielmehr überzeugt, dass, indem wir Hilfeleistungen für<br />

die Verw<strong>und</strong>eten einleiten, indem wir warme Aufrufe zu ihren<br />

Gunsten an die Bevölkerungen ergehen lassen, durch die<br />

Schil<strong>der</strong>ung ihrer elenden Lage das Mitleid anregen, zur<br />

För<strong>der</strong>ung unserer Sache das beklagenswerte Schauspiel eines<br />

Schlachtfel<strong>des</strong> aufdecken, die furchtbare Wirklichkeit eines<br />

Krieges enthüllen <strong>und</strong> im Namen <strong>der</strong> Nächstenliebe frei <strong>und</strong><br />

offen aussprechen, was die Staatsklugheit nur zu oft für nötig<br />

findet geheim zu halten, — wir für die Entwaffnung <strong>der</strong><br />

Völker mehr thun als diejenigen, welche zu staatswirtscliaftlichen<br />

Beweisgründen o<strong>der</strong> zu unfruchtbaren Sentimentalitätsergüssen<br />

ihre Zuflucht nehmen.<br />

„Man hat auch versucht, uns unseren Plan auszureden,<br />

indem man uns sagte, dass wir einem Trugbilde nachjagten,<br />

dass wir blosse Luftschlösser bauten, <strong>und</strong>, wenn wir unsere<br />

Zeit mit Abhandlungen über die Notwendigkeit, dem gegenwärtigen<br />

Zustand abzuhelfen, verloren hätten, auf unübersteigliche<br />

Hin<strong>der</strong>nisse stossen würden. Meine Herren, <strong>der</strong><br />

Ausschuss, <strong>der</strong> Sie zusammenberufen hat, hat sich nie einer<br />

Täuschung über die Schwierigkeiten <strong>der</strong> Ausführung, die ihn<br />

erwarteten, hingegeben, aber in seiner Ueberzeugung, dass<br />

er keinem Traumgebilde nachjage, fand er Gr<strong>und</strong> genug,<br />

seinen Plan nicht aufzugeben, ohne ihn einer entscheidenden<br />

Probe zu unterwerfen. Die Einrichtung von freiwilligen<br />

Krankenpflegern, wie sie in dem Buch ,Eine Erinnerung<br />

an Solferino' in allgemeinen Umrissen gezeichnet war,<br />

hat viele Ausstellungen hervorgerufen; aber gleichwohl hat<br />

das Buch einen edeln Gedanken ausgesprochen, <strong>der</strong> es verdiente,<br />

genauer geprüft zu werden. Nach langer <strong>und</strong> reiflicher<br />

Erwägung haben wir auf Einladung <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft in einem Uebereinkommens-


— 125 —<br />

entwurf die Sätze zusammengefasst, zu <strong>der</strong>en gemeinsamer<br />

Beratung mit uns wir Sie eingeladen haben. Die erste Fassung<br />

<strong>des</strong> Gedankens steht nach dieser merklichen Umgestaltung<br />

schon mehr im Einklang mit den For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> "Wirklichkeit,<br />

<strong>und</strong> wir haben es mit Freuden gesehen, wie <strong>der</strong> internationale<br />

statistische Kongress in Berlin ihn für ausführbar<br />

erklärte. In<strong>des</strong>sen schmeicheln wir uns nicht, mit den zehn<br />

Artikeln unseres Aufrufs das letzte AVort in dieser Sache gesprochen<br />

zu haben. Unser einziges Begehren war, den Gedanken<br />

greifbar zu gestalten, ihm eine Form zu geben, die<br />

gestattete, ihn im Zusammenhang aufzufassen, <strong>und</strong> eine Beratung<br />

hervorzurufen, indem wir ihm einen Ausgangspunkt<br />

boten. Ich gebe offen zu, meine Herrn, wenn unser Vorschlag<br />

fest ist in seiner Gr<strong>und</strong>lage, so ist er es nicht in seinen<br />

Einzelheiten, <strong>und</strong>, welches auch die endgültige Fassung sein<br />

mag, <strong>der</strong> Sie Ihre Zustimmung geben, so wird unser Zweck<br />

erreicht sein. Es wird uns genügen, die För<strong>der</strong>er einer Einrichtung<br />

gewesen zu sein, die sich nach <strong>und</strong> nach verallgemeinern,<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en wohlthätige Wirkung sicher das allgemeine<br />

Mitgefühl wach rufen wird. Die Gegenwart von Abgeordneten<br />

einer grossen Anzahl europäischer Nationen in diesem Saale<br />

giebt <strong>der</strong> Hoflnung Eaum, dass die Entscheidungen, die wir<br />

treffen, überall annehmbar sein werden. Es ist dies eine <strong>der</strong><br />

Erwägungen, um <strong>der</strong>enwillen wir gewünscht haben, diese<br />

Untersuchung einem internationalen Kongresse anzuvertrauen.<br />

Uns selbst überlassen, wären wir, bei unserer Unkenntnis<br />

<strong>des</strong>sen, was jedem Volke taugt, Gefahr gelaufen, ein Werk<br />

zu schaffen, das in dem einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Lande auf ernstlichen<br />

Wi<strong>der</strong>spruch gestossen wäre. Dies wird nach meiner<br />

festen Ueberzeugung nicht <strong>der</strong> Fall sein, sobald die Sache<br />

von einer Versammlung wie <strong>der</strong> gegenwärtigen ausgehen wird.<br />

Der <strong>Genfer</strong> Ausschuss ist <strong>der</strong> Ansicht, dass die Konferenz<br />

weise daran thun wird, wenn sie sich hütet, die Einrichtung,<br />

die sie zu schaffen beabsichtigt, in allzu kleinliche Satzungen<br />

einzuengen. Wenn wir ihr in jedem Lande zur Annahme


— 126 —<br />

verhelfen <strong>und</strong> keine Empfindlichkeit hervorrufen wollen, so<br />

müssen wir, indem wir brauchbare <strong>und</strong> bis zu einem gewissen<br />

Grade auch notwendige Gr<strong>und</strong>lagen festsetzen, es doch auch<br />

wie<strong>der</strong> je<strong>der</strong> einzelnen Nation überlassen, Fragen von untergeordneter<br />

Wichtigkeit nach ihrer Weise zu ordnen. AVenn<br />

Sie sich auf diesen Standpunkt stellen, meine Herrn, so werden<br />

Sie sich nicht w<strong>und</strong>ern, dass eine so verwickelte Einrichtung<br />

wie die, um die es sich handelt, in unserem Uebereinkommensentwurf<br />

in wenigen Linien dargelegt werden konnte.<br />

„Ich werde in wenigen Worten daran erinnern, was das<br />

Wesentliche an diesem Entwürfe ist:<br />

„Ein Ausschnss bildet sich in je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hauptstädte<br />

Europas. Derselbe setzt sich aus den achtbarsten <strong>und</strong> angesehensten<br />

Männern zusammen, <strong>und</strong> vergewissert sich bei<br />

seiner Regierung, dass, wenn ein Krieg ausbrechen sollte, die<br />

von ihm angebotenen Dienste angenommen würden. In <strong>der</strong><br />

That begreift man, dass ohne die Genehmigung <strong>der</strong> vorgesetzten<br />

Behörde sein Werk vollständig gelähmt wäre <strong>und</strong> dass<br />

er alsdann keine Daseinsberechtigung mehr hätte. Dieser<br />

Ausschuss muss beim Entstehen von Streitigkeiten, die sein<br />

Eintreten erheischen könnten, schon fertig dastehen, damit<br />

man nicht überrascht werde, <strong>und</strong> damit die Leitung <strong>der</strong> Hilfeleistungen,<br />

nachdem sie schon lange vorbereitet war, so Aveise<br />

als möglich verfahre. In Friedenszeiten studiert er für etwaige<br />

künftige Fälle den Dienst im Felde, sowie die Mittel,<br />

um die ihm für den betreifenden Fall zur Verfügung stehenden<br />

Hilfsquellen auf die nutzbringendste Art hierfür in Anspruch<br />

zu nehmen; er lässt für die unerfahrenen freiwilligen Krankenpfleger,<br />

die ihm ihre Dienste anbieten werden, Anweisungen<br />

vorbereiten; er ermutigt die Erfindungen, die geeignet sind,<br />

das Sanitätsmaterial o<strong>der</strong> die Transportmittel zu vervollkommnen,<br />

u. s. w.<br />

„Bricht dann <strong>der</strong> Krieg aus, so ordnet je<strong>der</strong> Ausschuss<br />

Hilfeleistungen für das Heer seines eigenen Lan<strong>des</strong> an; er<br />

erbittet sich Gaben in Geld o<strong>der</strong> in Natur; er sammelt Yer-


— 127 —<br />

bandgegenstände, Tragbahren, Vorräte verschiedener Art; er<br />

wirbt Personen an, welche sich augenblicklich <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong><br />

Verw<strong>und</strong>eten widmen wollen; er richtet seine Freiwilligen-<br />

Abteilungen ein, <strong>und</strong> sendet sie hinter dem Heere her, indem<br />

er sie einerseits ferne genug hält, um <strong>des</strong>sen Bewegungen<br />

nicht zu hin<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> doch an<strong>der</strong>erseits wie<strong>der</strong> nahe genug,<br />

um ihm in <strong>der</strong> St<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Schlacht rasche Hilfe bringen zu<br />

können.<br />

„Entspinnt sich ein Kampf, <strong>und</strong> ist <strong>der</strong> Boden mit Toten<br />

<strong>und</strong> Sterbenden besät, so eilen auf ein vom leitenden General<br />

gegebenes Zeichen unsere Scharen herbei <strong>und</strong> machen sich<br />

ans Werk, stärken diesen, schaffen jenen ins Feldspital,<br />

geben dem einen zu trinken, stillen das Blut <strong>des</strong> an<strong>der</strong>n,<br />

spenden allen Trost, haben Worte <strong>der</strong> Ermutigung für sie<br />

<strong>und</strong> entreissen sie oft dem Tode, dem sie bei längerer Verlassenheitverfallen<br />

gewesen wären. Die Hilfeleistenden werden<br />

zwar nicht alle den Mut besitzen, um den Gefahren <strong>und</strong> dem<br />

Anblick <strong>des</strong> Schlachtfel<strong>des</strong> zu trotzen, <strong>und</strong> man kann es auch<br />

nicht von ihnen verlangen; aber ihre Hingebung wird in den<br />

Feldlazaretten <strong>und</strong> Spitälern Gelegenheit zu ihrer Bethätigung<br />

finden, <strong>und</strong> ihre Gegenwart in diesen Anstalten wird gestatten,<br />

die eigentlichen Angestellten von diesem Dienste zu<br />

befreien <strong>und</strong> durch sie das draussen beschäftigte Personal zu<br />

verstärken. Während <strong>des</strong> thätigen Dienstes werden die Freiwilligen<br />

den Militärpersonen beigeordnet <strong>und</strong> <strong>der</strong> Heeresdisziplin<br />

unterstellt werden, da sie an<strong>der</strong>nfalls <strong>der</strong> Verwaltung<br />

mehr Verlegenheit als Erleichterung schaffen würden. Sie<br />

werden verabschiedet werden, sobald ihr Eingreifen nicht mehr<br />

für nötig erachtet wird, <strong>und</strong> bis zum Ablauf <strong>der</strong> Zeit, zu <strong>der</strong><br />

sie sich verpflichtet haben, o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Feldzugs ihren Beobachtungsposten<br />

wie<strong>der</strong> aufsuchen.<br />

„Wir nehmen an, dass es unsern Ausschüssen nie an den<br />

nötigen Geldmitteln fehlen wird, <strong>und</strong> dass die Sorge, diese<br />

aufzubringen, vielleicht <strong>der</strong> leichteste Teil ihrer Aufgabe<br />

sein wird. Auch glauben wir, dass sie ein hinreichend zahl-


— 128 —<br />

reiclxes Personal finden werden, um die Kähmen ihrer mildthätigen<br />

Legionen auszufüllen. Dieser Punkt ist zwar bezweifelt<br />

worden, aber die Geschichte unserer Zeit weist<br />

Beispiele auf, die <strong>der</strong>artige Befürchtungen zu beschwichtigen<br />

vermögen.<br />

„Die Anordnungen, die ich Ihnen im Vorangehenden<br />

nochmals vorgeführt habe, können ohne Nachteil nach dem<br />

Gutdünken eines jeden Volkes abgeän<strong>der</strong>t werden. Aber,<br />

meine Herren, in dem Uebereinkommensentwurf werden Sie<br />

einige Bestimmungen finden, welche ein viel ausgesprocheneres<br />

internationales Gepräge an sich tragen, <strong>und</strong> für die ein allgemeines<br />

Einverständnis nötig wäre. So wünschten wir, dass<br />

die verw<strong>und</strong>eten Gegner, welche bunt durcheinan<strong>der</strong> auf dem<br />

Schlachtfelde liegen, unterschiedslos bei den Krankenpflegern<br />

<strong>des</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Heeres Hilfe finden könnten; zu diesem<br />

Zweck müsste die Person <strong>der</strong> letzteren für alle als unverletzlich<br />

gelten, damit sie nicht <strong>der</strong> Gefahr ausgesetzt wären,<br />

als Feinde behandelt zu werden. Sie müssten <strong>des</strong>halb Träger<br />

eines gleichmässigen Unterscheidungszeichens sein, an welchem<br />

man sie erkennen könnte <strong>und</strong> das Achtung einfiösste, wie<br />

das Gewand <strong>des</strong> Priesters o<strong>der</strong> <strong>der</strong> barmherzigen Schwester.<br />

Auch müssten die Heerführer dazu verb<strong>und</strong>en sein, bei <strong>der</strong><br />

Eröffimng eines Feldzugs ihre Truppen amtlich von dem Dasein<br />

<strong>der</strong> Freiwilligen-Abteilungen, von ihrem Erkennungszeichen<br />

<strong>und</strong> von ihrer wesentlich friedlichen <strong>und</strong> wohlthätigen<br />

Sendung in Kenntnis zu setzen.<br />

„Wir haben auch noch festgesetzt, dass die Nationalausschüsse<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Län<strong>der</strong> regelmässige Beziehungen<br />

untereinan<strong>der</strong> unterhalten sollen. Es ist dies eine nützliche<br />

Massregel, um sie wach zu erhalten, denn im Falle eines lang<br />

andauernden Friedens könnte ihr Dasein am Ende vergessen<br />

werden, <strong>und</strong> sie selbst könnten das Bewusstsein ihrer Aufgabe<br />

verlieren. Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass nicht<br />

je<strong>des</strong> Jahr irgend einen neuen Fortschritt, eine neue Thatsache,<br />

vielleicht auch irgend eine Erfahrung mit sich bringe,


— 129 —<br />

von <strong>der</strong> es gut wäre, wenn die Ausschüsse sich gegenseitig<br />

davon unterrichteten. Wir sind <strong>der</strong> Ansicht, dass man, um<br />

diesen Austausch von Mitteilungen zu erleichtern, eine Art<br />

Zentralagentur errichten sollte, an welche sie gerichtet würden,<br />

um von da nach allen Richtungen verbreitet zu werden. Wenn<br />

wir den <strong>Genfer</strong> Ausschuss bezeichnet haben, um diesen Dienst<br />

zu versehen, so leitete uns hiebei nicht etwa <strong>der</strong> Wunsch,<br />

ihn zu unserem Vorteil in Beschlag zu nehmen, <strong>und</strong> es liegt<br />

uns daran, dass man unsere Absichten nicht falsch auslege.<br />

Da unser Ausschuss bis jetzt <strong>der</strong> einzige bestehende ist, so<br />

konnten wir keinen an<strong>der</strong>en bezeichnen, <strong>und</strong> wir sind so dazugekommen,<br />

uns den Verdacht von Ansprüchen zuzuziehen,<br />

an die wir weitentfernt nicht dachten. Wir sind selbstverständlich<br />

bereit, uns jedem an<strong>der</strong>n Auskunftsmittel zu fügen,<br />

<strong>und</strong> wir wünschen, dass in dieser Hinsicht die Konferenz sich<br />

als vollständig frei in ihrer Wahl betrachte.<br />

„Sollte eine neue Vereinigung <strong>der</strong> Art, wie diese, nötig<br />

werden, o<strong>der</strong> die Nationalausschüsse, die sich bilden werden,<br />

sich ins Einvernehmen zu setzen wünschen, so würde das<br />

Vorhandensein eines Vereinigungsmittelpunkts die Erreichung<br />

dieses Zwecks bedeutend erleichtern.<br />

„Habe ich, meine Herrn, nach dieser Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

es noch nötig, Ihnen die Schwierigkeit, sowie die Grösse <strong>und</strong><br />

Schönheit <strong>der</strong> Aufgabe darzuthun, die wir auf uns genommen<br />

haben? Ist es nicht diese Ueberzeugung, die Sie in diese<br />

Mauern geführt hat, <strong>und</strong> würde ich nicht Gefahr laufen, sie<br />

abzuschwächen, indem ich sie zu erhöhen suchte? Für den<br />

Augenblick erübrigt mir, wie mir scheint, nur noch eines<br />

zu thun, o<strong>der</strong> vielmehr einen Wunsch auszusprechen, nämlich<br />

den, unsere Beratungen möchten die Wirkung haben, bei den<br />

gesitteten Völkern einen heiligen Wetteifer wach zu rufen,<br />

<strong>und</strong> es möchte keines von diesen sich zufrieden geben, beim<br />

Betreten <strong>der</strong> Bahn, die wir ihnen vorzeichnen werden, das<br />

letzte zu sein. Gott gebe es!<br />

„Und nun, meine Herrn, werde ich Ihnen das Programm<br />

9


— 130 —<br />

<strong>der</strong> Verhandlungen vorlegen, wie es von dem Ausschuss vorbereitet<br />

worden ist.<br />

„Man wird Ihnen zunächst die Liste <strong>der</strong> Teilnehmer an<br />

<strong>der</strong> Konferenz mitteilen, sodann einige Auszüge aus dem<br />

Briefwechsel, den wir betreffs <strong>der</strong> Einladung, die Sie in Genf<br />

zusammengeführt hat, unterhalten haben; endlich Briefe, die<br />

an den Ausschuss gerichtet worden sind, um <strong>der</strong> Konferenz<br />

vorgelegt zu werden.<br />

„Alsdann werden wir eine allgemeine Vorberatung o<strong>der</strong><br />

-Besprechung über den an Sie verteilten Entwurf im grossen<br />

Ganzen eröffnen.<br />

„Endlich werden wir in die Verhandlungen eintreten,<br />

wobei wir eben diesen vom <strong>Genfer</strong> Ausschuss ausgearbeiteten<br />

Uebereinkommensentwurf in 10 Artikeln zu Gr<strong>und</strong>e legen<br />

werden, da wir doch wohl für die Besprechung <strong>der</strong> einzelnen<br />

Fragen einen Ausgangspunkt haben müssen.<br />

„Dieser Uebereinkommensentwurf hat folgenden Wortlaut<br />

: *)<br />

U ebereinkommensentwurf.<br />

I.<br />

Allgemeine Bestimmungen.<br />

^ Art. 1. Es besteht in jedem <strong>der</strong> sich anschliessenden Län<strong>der</strong><br />

ein nationaler Ausschuss, <strong>des</strong>sen Aufgabe es ist, mit<br />

allen in seiner Macht stehenden Mitteln dem ungenügenden<br />

amtlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienst bei den Heeren<br />

im Felde abzuhelfen.<br />

Der Ausschuss bildet sich in <strong>der</strong> Weise, die ihm<br />

am nützlichsten <strong>und</strong> angemessensten erscheint.<br />

Art. 2. Sektionen können sich in unbeschränkter Zahl bilden,<br />

um den Nationalausschuss zu unterstützen. Sie<br />

sind notwendig diesem Ausschuss unterstellt, dem<br />

allein die Oberleitung zukommt.<br />

*) Lue<strong>der</strong>, S. 73.


— 131 —<br />

Art. 3. Je<strong>der</strong> Nationalaussclmss setzt sich mit <strong>der</strong> Regierung<br />

seines Lan<strong>des</strong> in Beziehung <strong>und</strong> versichert sich, dass<br />

seine Dienste im Kriege angenommen werden.<br />

Art. 4. Im Frieden beschäftigen sich die Ausschüsse <strong>und</strong><br />

die Sektionen mit den in <strong>der</strong> Einrichtung von Ambulanzen<br />

<strong>und</strong> Spitälern <strong>und</strong> den Transportmitteln<br />

für die Verw<strong>und</strong>eten einzuführenden Verbesserungen<br />

<strong>und</strong> sind darauf bedacht, dass sie ins Leben treten.<br />

Art. 5. Die Ausschüsse <strong>und</strong> Sektionen <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong> können sich zu internationalen Kongressen<br />

vereinigen, um sich ihre Erfahrungen mitzuteilen<br />

<strong>und</strong> sich über die zum Besten <strong>der</strong> Sache zu ergreifenden<br />

Massnahmen zu verständigen.<br />

Art. 6. Im Januar alljährlich reichen die Nationalausschüsse<br />

einen Bericht über die im Laufe <strong>des</strong> Jahres unternommenen<br />

Arbeiten ein, womit sie die Mitteilungen<br />

verbinden, die sie zur Kenntnis <strong>der</strong> Ausschüsse <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>n Län<strong>der</strong> gebracht wissen möchten. Der Austausch<br />

dieser Mitteilungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Berichte wird<br />

durch Vermittlung <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses, an den<br />

sie gerichtet werden, bewerkstelligt.<br />

IL<br />

Beson<strong>der</strong>e Bestimmungen für den Krieg.<br />

Art. 7. Im Kriege leisten die Ausschüsse <strong>der</strong> kriegführenden<br />

Völker die ihren Heeren nötige Hilfe <strong>und</strong> nehmen<br />

beson<strong>der</strong>s Bedacht auf die Bildung <strong>und</strong> Anordnung<br />

von Abteilungen freiwilliger Krankenpfleger.<br />

Sie können die Unterstützung von Ausschüssen<br />

neutraler Nationen in Anspruch nehmen.<br />

Art. 8. Die freiwilligen Pfleger verpflichten sich, eine bestimmte<br />

Zeit lang zu dienen <strong>und</strong> sich in die Kriegsoperationen<br />

in keiner Weise einzumischen. Je nach<br />

Wunsch werden sie zum Feld- o<strong>der</strong> Spitaldienst


— 132 —<br />

verwendet. Die Frauen sind auf den letzteren angewiesen.<br />

Art. 9. Die freiwilligen Wärter tragen in allen Län<strong>der</strong>n<br />

eine Uniform o<strong>der</strong> sonst ein gleichmässiges Unterscheidungszeichen.<br />

Ihre Person ist unverletzlich<br />

<strong>und</strong> die Heerführer schulden ihnen Schutz.<br />

Beim Antritt eines Feldzuges werden beide Heere<br />

von dem Dasein dieser Korps <strong>und</strong> von ihrer ausschliesslich<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Bestimmung in<br />

Kenntnis gesetzt.<br />

Art. 10. Die freiwilligen Wärter ziehen den Heeren nach<br />

<strong>und</strong> dürfen ihnen we<strong>der</strong> Kosten noch sonst eine<br />

Belästigung verursachen. Sie haben ihre eigenen<br />

Transportmittel, ihre Lebensmittel, ihre Vorräte an<br />

Arznei- <strong>und</strong> Hilfsmitteln je<strong>der</strong> Art.<br />

Sie werden den Heerführern zur Verfügung gestellt,<br />

die nur, wenn es ihnen nötig dünkt, Gebrauch<br />

von ihnen machen. Im wirklichen Dienst sind sie<br />

unter die Befehle <strong>der</strong> Behörden gestellt <strong>und</strong> <strong>der</strong>selben<br />

Mannszucht wie die gewöhnlichen Wärter<br />

unterworfen."<br />

Der Schriftführer <strong>des</strong> Ausschusses, Herr Henry Dunant,<br />

verliest das Verzeichnis <strong>der</strong> Konferenzmitglie<strong>der</strong>, sowie<br />

einige Auszüge aus dem Briefwechsel <strong>des</strong> Ausschusses.<br />

„Wir wollen," sagte er, „nicht die regierenden Fürsten<br />

aufzählen, die hier Vertreter haben, noch auch ihre Familienglie<strong>der</strong>,<br />

die geruht haben, uns brieflich von ihrem Interesse<br />

lind ihrer wohlwollenden Teilnahme in Kenntnis zu setzen.<br />

„Was diejenigen Fürsten betrifft, die keine Abordnungen<br />

geschickt haben, so haben verschiedene von ihnen uns ihre<br />

Teilnahme zu erkennen gegeben, mit <strong>der</strong> sie unsere Arbeiten<br />

verfolgen werden; es sind dies:<br />

„S. M. <strong>der</strong> König von Belgien durch Vermittlung<br />

Sr. Exc. <strong>des</strong> Kgl. Hausministers Herrn Jules de Praet.


— 133 —<br />

„S. K. H. <strong>der</strong> Herzog von Brabant.<br />

„S. K. H. <strong>der</strong> Grossherzog von Mecklenburg-<br />

Schwerin, welcher geruht hat, sich mit ganz beson<strong>der</strong>em<br />

Interesse mit <strong>der</strong> Frage zu beschäftigen. Er erklärt, mit<br />

allen Kräften an dem vorgeschlagenen menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Werke mitwirken zu wollen. S. K. H. glaubt, es würde<br />

sich vielleicht empfehlen, dem "Werke einen ausschliesslich<br />

europäischen Charakter zu geben, d. h. das Feld für die<br />

Thätigkeit <strong>der</strong> Gesellschaften vorläufig auf die europäischen<br />

Kriege zu beschränken, einschliesslich <strong>der</strong>jenigen, in welchen<br />

europäische Heere in an<strong>der</strong>n Weltteilen zu kämpfen hätten.<br />

„S. K. H. Prinz Humbert von Piemont, welcher<br />

erklärt, er nehme grossen Anteil an <strong>der</strong> internationalen Konferenz<br />

<strong>und</strong> sei bereit, die in Italien sich bildenden Ausschüsse<br />

zu beschützen.<br />

„Desgleichen besitzen wir teilnehmende Zustimmungserklärungen<br />

von den Regierungen S. M. <strong>des</strong> Königs von<br />

Dänemark <strong>und</strong> Seiner allergetreuesten Majestät <strong>des</strong> Königs<br />

von Portugal.<br />

„S. Exc. <strong>der</strong> Kriegsminister in Kopenhagen spricht<br />

dem <strong>Genfer</strong> Aussehuss seine Dankbarkeit für sein Vorgehen<br />

aus <strong>und</strong> versichert, er werde an den Beratungen <strong>und</strong> Ergebnissen<br />

<strong>der</strong> Konferenz den lebhaftesten Anteil nehmen.<br />

„S. Exc. <strong>der</strong> Kriegsminister, Generallieutenant Vicomte<br />

Sä da Bandeira in Lissabon, teilt dem Aussehuss mit,<br />

dass Seine allergetreueste Majestät vollständig mit dem<br />

humanitären <strong>und</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen Gedanken einverstanden<br />

ist, mit dem wir uns beschäftigen. S. Exc. giebt seine<br />

Zustimmung, zugleich mit <strong>der</strong> Versicherung, Portugal werde<br />

die von <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz entworfenen Anträge in Erwägung<br />

ziehen.<br />

„Die Regierung <strong>des</strong> Grossherzogtums Oldenburg<br />

erkennt die ausserordentliche Wichtigkeit an, die <strong>der</strong> Zweck<br />

<strong>der</strong> Versammlung für das Wohl <strong>der</strong> Menschheit hat, <strong>und</strong> wird<br />

eine Mitteilung über die Arbeiten <strong>der</strong> Konferenz mit Ver-


— 134 —<br />

gnügen entgegennehmen in <strong>der</strong> Hoffnung, einigermassen zur<br />

Verwirklichung <strong>der</strong> hochherzigen Absichten beitragen zu können,<br />

welche den Gedanken von Hilfsvereinen ins Leben gerufen<br />

haben."<br />

Von den übrigen wohlwollenden Zustimmungserklärungen<br />

wollen wir noch die folgenden anführen:<br />

Graf von Stolberg-Wernigerode, Kanzler <strong>des</strong> Johanniterordens<br />

von Jerusalem, für die Bailei Brandenburg.<br />

Lord Shaftesbury.<br />

General Trochu, welcher mit lebhafter Teilnahme von<br />

dem Uebereinkommensentwurf Kenntnis genommen hat, <strong>und</strong><br />

sich <strong>der</strong> Hoffnung hingiebt, dass die darin enthaltenen<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Absichten in weitestem Umfange Anwendung<br />

finden.<br />

Dr. Boeger, Leibarzt S. M. <strong>des</strong> Königs von Preussen.<br />

Graf von Ripalda, Mitglied <strong>der</strong> Allgemeinen Statistischen<br />

Gesellschaft zu Madrid.<br />

Major von Schweinitz, Adjutant S. K. H. <strong>des</strong> Kronprinzen<br />

von Preussen.<br />

Graf Bembo, Po<strong>des</strong>tä von Venedig.<br />

Generalarzt Heiberg von Christiania (Norwegen), <strong>der</strong><br />

durch Unpässlichkeit verhin<strong>der</strong>t ist, dem Kongresse anzuwohnen.<br />

Generalmajor Knoop in Maestricht, Kommandeur <strong>der</strong><br />

7. Division <strong>des</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Heeres.<br />

Baron von Weber aus Dresden, Königl. sächsischer<br />

Staatsrat.<br />

Dr. von Hermann aus München, Königl. bayrischer<br />

Staatsrat.<br />

Moriz von Stubenrauch, Professor an <strong>der</strong> Universität<br />

Wien.<br />

Frangois Bartholony aus Paris, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

Verwaltungsrates <strong>der</strong> Eisenbahn von Orleans.<br />

Faull, Direktor <strong>des</strong> Grossherzogl. Statistischen Bureaus<br />

von Mecklenburg-Schwerin.


— 135 —<br />

Louis Joubert, erster Attache im Kabinett S. M. <strong>des</strong><br />

französischen Kaisers.<br />

Bergrat Visschers in Brüssel.<br />

Staatsrat Groen van Prinsterer im Haag.<br />

Regierungs- <strong>und</strong> Geh. Legationsrat Prosch in Schwerin.<br />

Graf Felix de Breda, Rittmeister a. D. in Paris.<br />

Ducpetiaux, Titularinspektor <strong>der</strong> Gefängnisse <strong>und</strong><br />

Wohl thätigkeitsanstalteil in Belgien.<br />

General von Ewald in Kopenhagen.<br />

Die Redaktion <strong>des</strong> Spectateur Militaire in Paris,<br />

durch Vermittlung zweier französischer Offiziere, <strong>der</strong> Herren<br />

de Lahitolle <strong>und</strong> Le Luyer-Morvan.<br />

Die ärztliche Gesellschaft in Neuenburg (Schweiz),<br />

sowie verschiedene Mitglie<strong>der</strong> ärztlicher Gesellschaften aus<br />

an<strong>der</strong>n Län<strong>der</strong>n.<br />

Staatsrat Dar ricau, Generalintendant <strong>des</strong> französischen<br />

Heeres, welchem es zu seinem Bedauern durchaus unmöglich<br />

ist, unserer Einladung Folge zu leisten. „Ich kann nicht<br />

sagen," fügt er bei, „wie leid mir dies thut, denn ich hatte<br />

die Absicht, mich an den Verhandlungen zu beteiligen."<br />

Ferner bittet Baron Larrey, Inspektor, Mitglied <strong>des</strong><br />

Militärsanitätsrats, Leibarzt S. M. <strong>des</strong> Kaisers Napoleon, den<br />

Schriftführer <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses, <strong>der</strong> verehrlichen Versammlung<br />

sein Bedauern darüber auszudrücken, dass er sich<br />

nicht zur Konferenz begeben könne.<br />

Desgleichen sind von verschiedenen Personen Empfehlungen<br />

o<strong>der</strong> Vorschläge eingelaufen, die <strong>der</strong> Versammlung<br />

vorgelegt werden sollen. So von S. Exc. dem russischen Gesandten<br />

in Turin, Grafen von Stackelberg, welcher dem<br />

Plane, es sollen zum Zweck einer Verbesserung <strong>des</strong> Sanitätsdienstes<br />

für die im Feld stehenden Heere in jedem <strong>der</strong> europäischen<br />

Län<strong>der</strong> Gesellschaften gegründet werden, seinen<br />

vollen Beifall zollt. Er wünscht, es sollen Abteilungen freiwilliger<br />

Krankenpfleger gebildet <strong>und</strong> in den Spitälern unterrichtet<br />

werden. Nach ihm „könnte jede dieser Abteilungen


— 136 —<br />

wirkliche Dienste erweisen. Schon ihr Vorhandensein wäre<br />

eine Wohlthat für je<strong>des</strong> Volk, <strong>und</strong> die Zeit würde die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Einrichtung zur Reife bringen".<br />

Der Vorsitzende <strong>des</strong> comite frangais de correspondance<br />

internationale <strong>und</strong> <strong>der</strong> Societe d'economie charitable de Paris,<br />

vicomte de Melun, glaubt, das wahrscheinliche Ergebnis<br />

unserer Zusammenkunft werde wohl hauptsächlich in <strong>der</strong><br />

Aeusserung praktischer Gedanken <strong>und</strong> dem Vorschlage nützlicher<br />

Massregeln bestehen, welche sich den Gebräuchen <strong>und</strong><br />

Gewohnheiten eines jeden Lan<strong>des</strong> anpassen würden. „Wenn<br />

wir," fügte er hinzu, „eine Vervollkommnung <strong>des</strong> Bestehenden<br />

<strong>und</strong> eine bessere Ausnützung <strong>der</strong> schon zu Gebot stehenden<br />

Elemente erlangen können, so wird dies schon ein ungeheurer<br />

Fortschritt sein, den wir dem Vorgehen <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Ausschusses zu verdanken haben werden."<br />

Herr Comissetti, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> obersten Sanitätsrates<br />

<strong>des</strong> italienischen Heeres, spricht im Namen dieser<br />

Körperschaft die herzlichsten Glückwünsche für den Erfolg<br />

<strong>der</strong> Konferenz aus, <strong>und</strong> fügt bei, er werde die Entwicklungsstufen<br />

einer ebenso interessanten <strong>und</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen,<br />

wie von Schwierigkeiten <strong>und</strong> Hin<strong>der</strong>nissen strotzenden Frage<br />

genau verfolgen.<br />

Herr ThomasTwining aus London, ein hervorragen<strong>der</strong><br />

Menschenfre<strong>und</strong>, fragt, ob es nicht möglich wäre, gewisse<br />

Gr<strong>und</strong>lagen eines „Ehrenkodex für die Heere"<br />

festzusetzen, <strong>der</strong> dazu bestimmt sei, dem Kriege dann, wenn<br />

er einmal lei<strong>der</strong> zwischen gesitteten <strong>und</strong> christlichen Nationen<br />

unvermeidlich sei, einen wesentlich an<strong>der</strong>en Charakter zu<br />

geben, als er ihn bei weniger aufgeklärten Völkern habe.<br />

Diese Frage begreife unter an<strong>der</strong>em folgende Punkte in sich:<br />

die Festsetzung einer Sonntagswaffenruhe, entsprechend dem<br />

Gottesfrieden (treuga Dei) <strong>des</strong> Mittelalters; Waffenstillstände<br />

behufs Bestattung <strong>der</strong> Toten <strong>und</strong> Wegschaffung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten;<br />

die Behandlung <strong>der</strong> Gefangenen u. s. w.<br />

S. Esc. Fürst Demidoff, wirklicher Staatsrat <strong>und</strong>


— 137 —<br />

Kammerherr S. M. <strong>des</strong> Kaisers von Russland, dankt für die<br />

übersandte Einladung <strong>und</strong> wendet sich noch mit folgenden<br />

Worten an Herrn Dunant:<br />

„Glücklich, wie ich es immer sein werde, mich Ihren<br />

Absichten anzuschliessen, bitte ich Sie schon jetzt um die<br />

Erlaubnis, Sie auf einen ganz wesentlichen Zweig <strong>der</strong> Hilfeleistungen<br />

aufmerksam machen zu dürfen, <strong>der</strong> vortrefflich in<br />

den Rahmen <strong>des</strong> von Ihnen angeregten verdienstlichen Werkes<br />

passen würde.<br />

„Die Verw<strong>und</strong>eten verdienen offenbar die entschiedensten<br />

Teilnahmebezeugungen <strong>und</strong> die schnellsten Hilfeleistungen;<br />

aber nach ihnen giebt es noch eine an<strong>der</strong>e Klasse von Unglücklichen,<br />

die, durch die Märsche <strong>und</strong> die Kämpfe mehr<br />

o<strong>der</strong> weniger hart mitgenommen, zwar mit heilem Leben<br />

davonkommen, aber doch einen moralischen Schmerz leiden,<br />

den zu lin<strong>der</strong>n ebenfalls die Aufgabe <strong>des</strong> christlichen Geistes<br />

ist: ich meine die Kriegsgefangenen. Diese werden weit<br />

von ihrem Vaterlande weg in die Verbannung geschleppt,<br />

in Gegenden, wo alles, Sitten, Gewohnheiten <strong>und</strong> Sprache,<br />

ihnen unbekannt ist. — Allerdings hat die Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit<br />

aller Regierungen in <strong>der</strong> letzten Zeit viel gethan,<br />

um das Los <strong>der</strong> Gefangenen zu mil<strong>der</strong>n. Die Pflege, die ihr<br />

körperliches Dasein sichert, ist durchweg menschlich <strong>und</strong> ausreichend;<br />

noch mehr, <strong>der</strong> gastliche Sinn aller Völker empfangt<br />

die vom Waffenglück Verratenen mit achtungsvollem Mitleid.<br />

Aber diese Verbannten leben, wie je<strong>der</strong> Mensch auf dieser<br />

Welt, nicht von Brot allein. Das Bild ihrer Heimat <strong>und</strong><br />

ihrer Familie verfolgt sie auf einem Boden, wo alles für sie<br />

stumm ist. Sie fühlen also das gebieterische Bedürfnis nach<br />

einem Zeichen, nach einem Andenken, das sie an die Dinge<br />

erinnert, nach welchen sie sich sehnen ... Der Trost <strong>des</strong><br />

Gefangenen ist aber <strong>der</strong> Briefwechsel mit <strong>der</strong> Heimat; dieser<br />

flösst ihm Mut <strong>und</strong> Ergebung ein, versöhnt ihn mit <strong>der</strong> Verbannung<br />

<strong>und</strong> lehrt ihn ohne feindliche Vorurteile das Land<br />

würdigen, in welches das Schicksal ihn geworfen bat...


— 138 —<br />

Ich nehme mir die Freiheit, diese Frage Ihrem Nachdenken<br />

zu empfehlen, wenn <strong>der</strong> von Ihnen geäusserte edle Gedanke<br />

in Kreisen zur Erörterung kommen wird, in welchen christliche<br />

Philosophie <strong>und</strong> allgemeine Menschenliebe herrschen.<br />

Alle Aufklärungen, die Ihnen nötig erscheinen werden, werde<br />

ich Ihnen bereitwilligst zur Verfügung stellen."<br />

Endlich ist noch heute früh von S. Exc. dem russischen<br />

Kriegsminister, Generallieutenant D. Milutine, eine unter<br />

dem 28. September (10. Oktober) an Herrn Dunant gerichtete<br />

Zuschrift folgenden Inhalts eingelaufen:<br />

„Soeben erhielt ich Ihren geschätzten Brief vom 22. September<br />

nebst einer Ankündigung betreffs <strong>der</strong> Errichtung internationaler<br />

<strong>und</strong> dauern<strong>der</strong> Hilfsvereine für die verw<strong>und</strong>eten<br />

Krieger, <strong>und</strong> ich bitte Sie, mein Herr, meinen aufrichtigen<br />

Dank für diese höchst interessanten <strong>und</strong> von menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Gesinnungen zeugenden Mitteilungen entgegenzunehmen.<br />

Zu meinem Bedauern jedoch erhalte ich Ihre Vorschläge<br />

etwas zu spät, als dass ich die nötigen Schritte thun<br />

könnte, um, Ihrem Wunsche entsprechend, einen Vertreter<br />

<strong>der</strong> russischen Regierung zur Teilnahme an <strong>der</strong> auf 20. Oktober<br />

geplanten <strong>Genfer</strong> internationalen Konferenz ernennen zu können.<br />

Ich bedaure dies um so mehr, als die kaiserliche Regierung<br />

<strong>der</strong> auf dieser Konferenz zu behandelnden wichtigen<br />

Frage ganz beson<strong>der</strong>e Fürsorge zugewandt hat. In Petersburg<br />

sind beson<strong>der</strong>e Ausschüsse gebildet zu dem Zwecke,<br />

alle Verbesserungen, welche die neuere Wissenschaft für<br />

Friedens- wie für Kriegszeiten verlangt, in den Sanitätsdienst<br />

<strong>des</strong> russischen Heeres einzuführen. Ich zweifle nicht,<br />

dass in dieser Hinsicht die <strong>Genfer</strong> Verhandlungen sehr wichtige<br />

praktische Ergebnisse haben können, <strong>und</strong> ich werde nicht<br />

verfehlen, meine Massregeln zu treffen, um sie zu verwerten.<br />

„Indem ich Ihnen meine persönliche Teilnahme an dem<br />

geplanten Werke vom Standpunkte <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

christlichen Nächstenliebe aus bezeuge, glaube ich doch zugleich,<br />

dass es sich empfehlen würde, alle Fragen, die das


— 139 —<br />

internationale Recht berühren, vollständig fernzuhalten, <strong>und</strong><br />

diese Seite <strong>der</strong> Frage dem selbständigen Vorgehen <strong>der</strong> Regierungen<br />

durch ihre zuständigen Organe vorzubehalten." 1 )<br />

Nunmehr ging die Versammlung zu einer allgemeinen<br />

Vorberatung über, <strong>und</strong> S. H. <strong>der</strong> Prinz von Reuss ergriff<br />

das Wort:<br />

„Meine Herren! S. K. H. <strong>der</strong> Prinz Karl von Preussen,<br />

Grossmeister <strong>des</strong> St. Johanniterordens von Jerusalem,<br />

hat mit grosser Befriedigung das Einladungsschreiben<br />

aufgenommen, welches <strong>der</strong> geehrte <strong>Genfer</strong> Ausschuss an ihn<br />

gelangen Hess, um an den Beratungen teilzunehmen, die jetzt<br />

hier eröffnet werden sollen.<br />

„S. K. H. hat die Einladung mit Freuden angenommen,<br />

<strong>und</strong> mir den Auftrag gegeben, den Orden im Schosse dieser<br />

geehrten Versammlung zu vertreten. Er hat mich beauftragt,<br />

Ihnen, meine Herren, die ganze Teilnahme auszudrücken, die<br />

er an dem edeln Zweck Ihrer Vereinigung nimmt, <strong>und</strong> die<br />

aufrichtigen Wünsche, die er für das Gelingen dieses menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Unternehmens hegt. Seit seiner Neubildung war<br />

<strong>der</strong> Orden von <strong>der</strong> Absicht durchdrungen, sich <strong>der</strong> Stelle<br />

wie<strong>der</strong> zu nähern, die er einst eingenommen hatte, das heisst,<br />

sich <strong>des</strong> Namens ,Hospitaliter', den er trägt, aufs neue würdig<br />

zu machen. Er hat gesucht, Einfluss auf die Spitäler zu<br />

gewinnen, neue Ges<strong>und</strong>heitsanstalten zu gründen, o<strong>der</strong> denen,<br />

die solcher bedürftig waren, durch Stiftung von Betten o<strong>der</strong><br />

durch allseitige Verbesserung <strong>des</strong> Loses <strong>der</strong> Kranken zu Hilfe<br />

*) Gemeint ist hier <strong>der</strong> Plan einer auf die Neutralität bezüglichen<br />

diplomatischen Konvention, den Dnnant in Berlin vorgeschlagen <strong>und</strong> von<br />

dem er dem rassischen Kriegsminister brieflich Mitteilung gemacht hatte.<br />

Es war gerade die Absicht Dunants, von den Fürsten <strong>und</strong> Regierungen<br />

die Absendung amtlicher Vertreter ad audiendum et ad referendum zu<br />

erlangen, die dann im stände sein sollten, <strong>der</strong> zuständigen Behörde darüber<br />

zu berichten. Diese wichtige <strong>und</strong> schwierige Frage hatte zwar damals<br />

die Zustimmung seiner Kollegen vom <strong>Genfer</strong> Ausschuss noch nicht<br />

gef<strong>und</strong>en; doch machten ihm diese <strong>des</strong>halb keinerlei Vorwürfe.


— 140 —<br />

zu kommen. In diesem Liebeswerk durch die Diakonissinnen<br />

kräftig unterstützt, zählt <strong>der</strong> Orden heute schon eine ziemliche<br />

Anzahl von Anstalten, die er hat bauen lassen, <strong>und</strong><br />

die sich unter <strong>der</strong> Leitung seiner Mitglie<strong>der</strong> befinden.<br />

„Aber was ist das alles im Vergleich mit dem Elend,<br />

welches Hilfe for<strong>der</strong>t, mit <strong>der</strong> menschlichen Gebrechlichkeit,<br />

<strong>der</strong>en sich <strong>der</strong> Orden annehmen möchte? Es ist nur ein<br />

geringer Anfang, aber das wird ihn nicht hin<strong>der</strong>n, auf dem<br />

vorgezeichneten Wege vorwärts zu schreiten, so wenig als<br />

an allen denjenigen Werken teilzunehmen, welche vermöge<br />

ihrer Natur in naher Berührung mit dem wirklichen Charakter<br />

<strong>des</strong> Ordens stehen.<br />

„Deshalb hat <strong>der</strong> Gedanke, welcher Sie, meine Herren,<br />

hier zusammengeführt hat, einen Wi<strong>der</strong>hall bei uns finden<br />

<strong>und</strong> ganz beson<strong>der</strong>s die Teilnahme <strong>des</strong> Johanniterordens erregen<br />

müssen, <strong>und</strong> das um so mehr, als die Verbesserung<br />

<strong>des</strong> Loses <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n von jeher<br />

eines seiner beson<strong>der</strong>en Anliegen gewesen ist.<br />

„Schon im Jahre 1859, als <strong>der</strong> Krieg, ganz Europa zu<br />

überziehen drohte, hatte <strong>der</strong> Orden diesen Gedanken in ernstliche<br />

Erwägung gezogen; ein Organisationsentwurf für die<br />

den Verw<strong>und</strong>eten zu leistende Hilfe war ausgearbeitet worden,<br />

<strong>und</strong> es fehlte ihm nur an <strong>der</strong> Ausführung. Die preussische<br />

Kegierung, mit <strong>der</strong> man sich in Beziehung gesetzt hatte, billigte<br />

die geplanten Massregeln <strong>und</strong> war ganz bereit, dem<br />

Orden die Wege zu öffnen, die zur Verwirklichung seiner<br />

Pläne führen konnten. Zum Glück blieb unser Vaterland damals<br />

von <strong>der</strong> Kriegsgeissel verschont, aber <strong>der</strong> erwähnte Gedanke<br />

ist nicht aufgegeben worden, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Orden hat mit<br />

Freuden vernommen, dass eine grosse internationale Vereinigung<br />

im Zuge sei sich zu bilden, um sich ganz beson<strong>der</strong>s<br />

damit zu beschäftigen.<br />

„Die Einladung, meine Herren, die Sie an den Orden<br />

gerichtet haben, ist daher mit grösster Befriedigung von üim<br />

aufgenommen worden, <strong>und</strong> er hofft, dass es ihm durch die


— 141 —<br />

Beziehungen, die er sich freuen wird, mit Ihnen aufrecht zu<br />

erhalten, möglich sein wird, gute <strong>und</strong> nützliche Ergehnisse<br />

zu erreichen.<br />

„Ich kann schon heute erklären, dass <strong>der</strong> Orden es mit<br />

Vergnügen sehen wird, wenn <strong>der</strong> Zweigverein, <strong>der</strong> sich in<br />

Preussen bilden wird, in unmittelbare Beziehung zu ihm tritt.<br />

Durch seine zahlreichen Mitglie<strong>der</strong> erstreckt sich <strong>der</strong> Orden<br />

nicht nur über Preussen, son<strong>der</strong>n auch über ganz Deutschland.<br />

Seine Organisation bietet überdies einen wertvollen<br />

Stützpunkt für alle diejenigen, welche sich dem gleichen<br />

Zwecke widmen wollen. Ausserdem ist <strong>der</strong> Orden für den<br />

Fall eines Krieges von S. M. dem König von Preussen ermächtigt,<br />

zu Gunsten <strong>der</strong> Kranken <strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>eten in demselben<br />

Geiste zu wirken, wie die Konferenz es zu thun vorhat."<br />

Alsdann ergreift Dr. Löffler aus Berlin das Wort:<br />

„Meine Herren! Im Namen <strong>des</strong> Kriegsministeriunis meines<br />

Lan<strong>des</strong> habe ich die Ehre, Ihnen zu sagen, dass man bei<br />

uns die edeln Beweggründe <strong>und</strong> die Wichtigkeit <strong>des</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Gedankens anerkennt, mit dem <strong>der</strong> Verfasser<br />

<strong>der</strong> ,Erinnerung anSolferino' sein treffliches Werk gekrönt<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong>sen Verwirklichung die verehrliche <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige<br />

Gesellschaft begonnen hat.<br />

„S. Exc. <strong>der</strong> Kriegsminister v. Roon erwartet mit grossem<br />

Interesse die Ergebnisse dieser Konferenz, <strong>und</strong> S. M. <strong>der</strong><br />

König Wilhelm hat geruht, mich zu beauftragen, seiner aufrichtigen<br />

Teilnahme an dem edeln Zweck dieser internationalen<br />

Vereinigung Ausdruck zu geben.<br />

„Was nun die Ausführung betrifft, meine Herren, so<br />

werde ich mich für jetzt darauf beschränken, kurz den Standpunkt<br />

zu entwickeln, von dem aus die preussische Regierung<br />

die Frage ins Auge fasst.<br />

„Es würde schlecht zu den Gr<strong>und</strong>sätzen eines weisen<br />

Staatshaushaltes passen, wenn man nicht schon in Friedenszeiten<br />

<strong>und</strong> in fortlaufen<strong>der</strong> Weise dem Sanitätsdienst <strong>des</strong>


— 142 —<br />

Heeres das Mass von Aufmerksamkeit schenkte <strong>und</strong> den Grad<br />

von Weiterbildung angedeihen liesse, <strong>der</strong>en er in je<strong>der</strong> Beziehung<br />

für die Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>des</strong> Krieges bedarf. An<strong>der</strong>erseits<br />

hat die Geschichte aller grossen Kämpfe unseres Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

bewiesen, dass in dem Augenblick <strong>des</strong> Ausbruchs<br />

eines Krieges die öffentlichen Behörden ausser stand sind,<br />

ihre Hilfsmittel schnell genug <strong>und</strong> in einem für alle etwa<br />

möglichen Fälle ausreichenden Masse zu vervollständigen.<br />

. Man muss sich an die mildthätige Mitwirkung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

wenden, um den Opfern <strong>der</strong> Kämpfe all die Pflege zu<br />

teil werden zu lassen, auf welche sie ein wohlverdientes Anrecht<br />

haben, <strong>und</strong> welche das Herz <strong>des</strong> wahren Menschenfre<strong>und</strong>s<br />

für seine unglücklichen Nebenmenschen verlangen<br />

muss. Aber dies Ziel scheint mir nur erreichbar durch Anwendung<br />

<strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>satzes ,divide et impera'.<br />

„Vom praktischen Standpunkt aus kann man die Pflege<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n von <strong>der</strong> <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> Kranken in mehr o<strong>der</strong> weniger ständigen, <strong>und</strong><br />

mehr o<strong>der</strong> weniger vom Kriegsschauplatz entfernten Spitälern<br />

unterscheiden.<br />

„Von allen Leiden, die das Leben <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten Soldaten<br />

bedrohen, ist das verhängnisvollste die Ueberfüllung<br />

ihrer Bergungsorte. Zum Glück erlauben die entwickelten<br />

Beför<strong>der</strong>ungsmittel <strong>der</strong> Neuzeit eine leichtere Verlegung <strong>der</strong><br />

Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> Kranken. Mit gleichzeitiger Benützung<br />

wertvoller Erfindungen, wie z. B. <strong>der</strong> Vorrichtung <strong>des</strong> Dr. Appia,<br />

<strong>der</strong> Tornistertragbahre <strong>des</strong> Herrn Joubert, <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er, welche<br />

<strong>der</strong> Scharfsinn <strong>der</strong> Gelehrten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Eifer <strong>der</strong> Menschenfre<strong>und</strong>e<br />

noch ersinnen wird, wird man selbst schwerverw<strong>und</strong>ete<br />

Militärpersonen an Orte verbringen können, die mehr o<strong>der</strong><br />

weniger weit von <strong>der</strong> Verwirrung, den Reibereien <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

verpesteten Luft <strong>der</strong> überfüllten Spitäler entfernt sind. Je<br />

mehr man dieses System in Anwendung bringen wird, <strong>des</strong>to<br />

geringer wird die Möglichkeit sein, ohne die mildthätige Beihilfe<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung überall die nötige Pflege eintreten zu lassen.


— 143 —<br />

„Dies, meine Herren, ist das grosse Wirkungsfeld für<br />

dauernde Hilfsgesellschaften, die sich während <strong>des</strong> Friedens<br />

gebildet <strong>und</strong> im voraus alle nötigen Vorkehrungen getroffen<br />

haben, um diejenigen <strong>der</strong> Behörden zu ergänzen <strong>und</strong> den<br />

Wünschen einer wahrhaft religiösen Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit<br />

zu genügen.<br />

„Die neuere Geschichte hat bew<strong>und</strong>erungswürdige Beispiele<br />

von nationaler Begeisterung für diesen Zweck auf ihren<br />

Blättern verzeichnet; aber, meine Herren, wenn <strong>der</strong> Gedanke<br />

<strong>des</strong> Herrn Dunant einmal verwirklicht ist, so werden- die<br />

praktischen Ergebnisse <strong>des</strong> mildthätigen nationalen <strong>und</strong> internationalen<br />

Zusammenwirkens alles bisher Erlebte übertreffen.<br />

Unter diesem Gesichtspunkt wird, wie ich hoffe, meine Regierung<br />

<strong>der</strong> Bildung von Hilfsgesellschaften nach dem Vorschlag<br />

<strong>des</strong> geehrten <strong>Genfer</strong> Ausschusses ihren hohen Schutz<br />

angedeihen lassen ... Ist einmal die öffentliche <strong>und</strong> internationale<br />

Unterstützung im voraus für die ständigen Hospitäler<br />

eingerichtet, so werden die Regierungen freiere Hand<br />

haben, um im Frieden wie im Kriege alle ihre Anstrengungen<br />

auf die erste Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten zu vereinigen. Dann<br />

werden sie auch den amtlichen Dienst in den Feldlazaretten<br />

<strong>und</strong> in den beweglichen Spitälern vervollkommnen können ...<br />

„Erlauben Sie mir, meine Herren, noch ein Wort über<br />

die Neutralität, die nach <strong>der</strong> Ankündigung für alle zum<br />

amtlichen <strong>und</strong> privaten Sanitätsdienst gehörigen Personen<br />

vorgeschlagen werden soll. Dies ist zunächst kein ganz neuer<br />

Gedanke. . Wenigstens hat man seine Verwirklichung schon<br />

vor mehr als einem Jahrh<strong>und</strong>ert versucht. Ich werde mich<br />

darauf beschränken, Ihnen ein einziges Beispiel anzuführen.<br />

In einem am 7. September 1759 von König Friedrich<br />

dem Grossen unterzeichneten Vertrag zwischen Frankreich<br />

<strong>und</strong> Preussen finden sich folgende zwei Artikel:<br />

„Man wird für die bei<strong>der</strong>seitigen Verw<strong>und</strong>eten sorgen;<br />

man wird die Arzneimittel <strong>und</strong> die Nahrung für sie bezahlen,<br />

<strong>und</strong> die Kosten werden von beiden Seiten ersetzt werden;


— 144 —<br />

es soll gestattet sein, ihnen W<strong>und</strong>ärzte <strong>und</strong> ihre Diener zu<br />

schicken, wenn diese mit Pässen von den Generälen versehen<br />

sind; ausserdem sollen diejenigen, welche gefangen<br />

genommen wurden, ebenso diejenigen, die es nicht wurden,<br />

unter dem Schutz <strong>und</strong> Geleite <strong>der</strong> Generale, nach freier Wahl<br />

<strong>des</strong> Wasser- o<strong>der</strong> Landwegs, je nach <strong>der</strong> grösseren Bequemlichkeit<br />

<strong>und</strong> Angemessenheit <strong>des</strong> Orts, wo man sich befindet,<br />

<strong>und</strong> auf dem kürzesten Weg zurückgeschickt werden, unter<br />

<strong>der</strong> Bedingung jedoch, dass diejenigen, welche Gefangene<br />

waren, nach ihrer Auswechslung o<strong>der</strong> ihrem Loskauf nicht<br />

weiterdienen dürfen.<br />

„Die Kranken bei<strong>der</strong> Teile sollen nicht zu Gefangenen<br />

gemacht werden, sie sollen in Sicherheit in den Spitälern<br />

bleiben können, wo es jedem <strong>der</strong> kriegführenden Teile o<strong>der</strong><br />

ihren Verbündeten freistehen wird, ihnen eine Schutzwache<br />

zurückzulassen, die, nebst den Kranken selbst, mit Pässen<br />

von den Generalen versehen, auf dem kürzesten Weg <strong>und</strong><br />

ohne jede Belästigung <strong>und</strong> Aufhaltung zurückzuschicken ist.<br />

Ebenso soll es mit den Kriegskommissären, Feldpredigern,<br />

Aerzten, W<strong>und</strong>ärzten, Apothekern, Dienern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n zum<br />

Krankendienst gehörigen Personen gehalten werden, welche<br />

nicht zu Gefangenen gemacht werden dürfen <strong>und</strong> gleicliermassen<br />

zurückzuschicken sind. 1 )<br />

„Später hat man, scheint es, dieses wahrhaft menschenfre<strong>und</strong>liche<br />

Uebereinkommen auf beiden Seiten wie<strong>der</strong> vergessen.<br />

Nun, meine Herren, ich hoffe, dass diese internationale<br />

Konferenz dazu beitragen wird, es nicht nur wie<strong>der</strong> ins<br />

Leben zu rufen, son<strong>der</strong>n es auch über das ganze gebildete<br />

Europa auszubreiten. AVenigstens lässt sich hoffen, dass die<br />

Neutralität, um die es sich handelt, angenommen werden<br />

wird, wenn Sie <strong>der</strong> Privatthätigkeit auf dem Kampfplatz<br />

selbst gr<strong>und</strong>sätzlich entsagen wollen.<br />

„Endlich schlägt das Programm eine Uniform o<strong>der</strong> ein<br />

') Der Wortlaut <strong>des</strong> genannten Vertrags findet sich bei Lne<strong>der</strong> S. 21 ff.


— 145 —<br />

unterscheiden<strong>des</strong> inte rnationalesKennz eichen für<br />

das ganze Personal <strong>des</strong> Sanitätsdienstes vor. Als Arzt <strong>des</strong><br />

Heeres könnte ich diesem Vorschlag keinen Beifall zollen,<br />

<strong>der</strong> praktisch den Aerzten selbst keinen Vorteil einräumen<br />

würde, nachdem er theoretisch die Frage über die Unterscheidung<br />

von ,Kämpfenden' <strong>und</strong> ,Nichtkämpfenden' nur noch<br />

mehr verwickelt hätte. Nichts<strong>des</strong>toweniger erkenne ich gerne<br />

darin ein verständiges Mittel, um den kriegführenden Heeren<br />

die nötigen Hilfeleistungen zu verbürgen, <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb habe<br />

ich selbst vor drei Jahren in <strong>der</strong> Preussischen militärärztlichen<br />

Zeitung den Vorschlag hiezu gemacht. Aber, meine<br />

Herren, auf die internationale Uniform müssen wir wohl verzichten,<br />

weil man über diesen Punkt nie zu einer Uebereinstimmung<br />

kommen würde. Begnügen wir uns mit dem<br />

internationalen' Unterscheidungszeichen . . . ul )<br />

Unter den interessanten Erörterungen, die während <strong>der</strong><br />

vier Konferenztage stattfanden, haben wir noch einige Worte<br />

<strong>des</strong> Dr. Löffler hervorzuheben. Den Einwänden <strong>des</strong> Dr.<br />

Boudier gegenüber hält er es für unzweifelhaft, dass sich<br />

„bei einer Veröffentlichung wie <strong>der</strong> <strong>des</strong> Werkes von Herrn<br />

Dunant, <strong>und</strong> bei einer Versammlung, die ausschliesslich einen<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen, humanitären Zweck zu Gunsten <strong>des</strong><br />

Heeres verfolgt, edeldenkende Menschen finden werden, die<br />

entschlossen sind, selbstthätig vorzugehen, um das in Genf<br />

begonnene Werk fortzusetzen, <strong>und</strong> dass, dank ihrem Zusammenwirken,<br />

Dinge zu stände kommen müssen, die man<br />

*) Alles im Vorhergehenden, "wie im Folgenden über die Konferenz<br />

Berichtete ist ein Auszug aus dem Compte-rendn de la Conference<br />

internationale rßunie ä Gen^ye les 26, 27, 28 et 29<br />

octobrel863 pouretudier lesmoyensdepourvoirül'insuffisance<br />

du Service sanitaire dans les armfies encampagne.<br />

— Extrait du Bulletin, N. 24, de la Societe genevoise d'ntilite publique.<br />

— Gen&ve; imprimerie de Jules - Guillaume Fick. 1863. Ausserdem findet<br />

es sich zum Teil in Dr. E. E. Wagner, Die Barmherzigkeit auf<br />

dem Schlachtfelde, Stuttgart 1864 (üebersetzung <strong>der</strong> Erinnerung<br />

an Solferino uui Bericht übar die <strong>Genfer</strong> Koafareu?).<br />

10


— 146 —<br />

für unmöglich hätte halten können, wenn sie einfach von einer<br />

Regierung angeordnet worden wären."<br />

„Es handelt sich darum," sagt Dr. Löffler später, „die<br />

ersten Umrisse <strong>der</strong> Aufgabe zu zeichnen, welche die Vereine<br />

im Kriegsfalle zu erfüllen haben; dies ist also gewissennassen<br />

die praktische Seite <strong>der</strong> Frage. Das wirkliche Leben bedarf<br />

<strong>der</strong> geschichtlichen Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Erfahrung;<br />

nun hat aber die Geschichte bewiesen, dass die Behörden die<br />

Hilfe von Privatpersonen <strong>und</strong> die Mitwirkung <strong>des</strong> ganzen<br />

Volkes nicht entbehren können, um ihre Pflicht gegen die<br />

Opfer <strong>des</strong> Kriegs im rechten Geiste <strong>der</strong> Menschlichkeit <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> Christentums zu erfüllen. Durch die Absendung von<br />

Vertretern zu dieser Konferenz nach Genf haben die Kegiernngen<br />

selbst die geschichtliche Thatsache anerkannt. Aber<br />

ausserdem' gilt es, die Erfahrung zu Bäte zu ziehen <strong>und</strong> zu<br />

sehen, was bis jetzt geleistet worden ist: in dieser Hinsicht<br />

hat Deutschland vor fünfzig Jahren, <strong>und</strong> Italien vor vier<br />

Jahren ein wichtiges Beispiel gegeben. Fragen Sie die Geschichte<br />

nach dem Ursprung <strong>der</strong> zahlreichen Spitäler, wo<br />

schon damals so viele Unglückliche gepflegt wurden, so wird<br />

sie Ihnen antworten, dass man sie dem Vorgehen von<br />

Vereinen <strong>und</strong> Privatpersonen verdankte, die durch die<br />

Liebe zum Nächsten <strong>und</strong> zum Vaterland sich dazu angetrieben<br />

fühlten. Was neben den im voraus getroffenen, aber ungenügenden<br />

amtlichen Vorbereitungen die Zahl <strong>der</strong> Spitäler vervielfältigt<br />

hat, ist die Thätigkeit <strong>der</strong> Gemeindebehörden <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> mildthätigen Vereine; nicht von den zahlreichen, vom<br />

Heere angestellten Militärärzten, son<strong>der</strong>n vielmehr durch die<br />

freiwillige Hingebung von Zivilärzten haben viele Verw<strong>und</strong>ete<br />

die nötigen Hilfeleistungen empfangen. Das durch solche<br />

Handlungen <strong>der</strong> Begeisterung erreichte Ergebnis mag sehr<br />

gross sein; aber setzen wir den Fall, dass solche freiwilligen<br />

Vereine schon vorher bestehen, ehe sich das Bedürfais nach<br />

ihnen zeigt, <strong>und</strong> dass diese Spitäler, diese Hilfsmittel schon<br />

lange vorher in Friedenszeiten vorbereitet sind, müssen wir


— 147 —<br />

dann nicht annehmen, dass die praktischen Ergebnisse noch<br />

einen ganz an<strong>der</strong>en Grad <strong>der</strong> Zuverlässigkeit <strong>und</strong> Ausdehnung<br />

erlangen werden? Gehen Sie ausserdem allen diesen<br />

Vorbereitungen einen internationalen Charakter, so wird die<br />

Farbe <strong>der</strong> Hosen, wenn ich mich so ausdrücken darf, keinen<br />

Einfluss mehr auf die Verteilung <strong>der</strong> Hilfeleistungen haben;<br />

man wird nicht mehr fragen, ob <strong>der</strong> Soldat rote, graue o<strong>der</strong><br />

blaue Hosen trägt: die blosse Thatsache, dass er ein verw<strong>und</strong>eter<br />

Soldat ist, wird für ihn ein gesetzlicher <strong>und</strong> ausreichen<strong>der</strong><br />

Ausweis sein. Dieses Ergebnis wäre würdig <strong>der</strong><br />

bew<strong>und</strong>ernswerten Bemühungen unsres Freun<strong>des</strong>, <strong>des</strong> Herrn<br />

Henry Dunant, <strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses, <strong>der</strong> Bemühungen<br />

dieser Versammlung selbst <strong>und</strong> <strong>des</strong> Eifers, mit dem alle Teilnehmer<br />

dieser Konferenz beigewohnt haben. Die Geschichte<br />

hat uns gezeigt, was nach dem Kampf in den Spitälern gethan<br />

werden konnte. Wir werden jetzt den Regieningen<br />

sagen: Wir wollen in Zukunft im voraus einen Verpflegungsdienst<br />

für die aus <strong>der</strong> Schlacht zurückgeschickten Verw<strong>und</strong>eten<br />

einrichten, <strong>und</strong> wenn wir Sie um Ihre Beihilfe bitten,<br />

so geschieht dies zu einer Sache, <strong>der</strong>en Verwirklichung, wie<br />

die Geschichte beweist, nicht mehr zweifelhaft ist. ..."<br />

Endlich besteht Dr. Löffler darauf, dass in <strong>der</strong> Einleitung<br />

zu den von <strong>der</strong> Konferenz zu fassenden Beschlüssen<br />

das Ziel, das man sich gesetzt habe, internationale <strong>und</strong> ständige<br />

Hilfsgesellschaften zu bilden, in bestimmter Weise ausgesprochen<br />

werde. 1 )<br />

Wir lassen nun einige Abschnitte aus <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Eröffnungssitzung<br />

gehaltenen Rede <strong>des</strong> Dr. Landa folgen:<br />

. . . „Der in Genf von <strong>der</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft<br />

aufgestellte <strong>und</strong> in Berlin durch den Statistischen Kongress<br />

unterstützte Gedanke ist ein grosser <strong>und</strong> edler Gedanke,<br />

einer <strong>der</strong> Gedanken, die sich nur zu zeigen brauchen, um<br />

*) Compte rendu de la Conference internationale: Sitzungen<br />

vom 26., 28. n. 29. Oktober.


— 148 —<br />

im vollen Glänze zu strahlen <strong>und</strong> im Sturme aller Herzen<br />

zu erobern, ein Gedanke, <strong>der</strong> nicht einem künstlerischen<br />

Triumphe, nicht einer ruhmsüchtigen Regung, son<strong>der</strong>n einem<br />

höheren <strong>und</strong> sanfteren Gefühle entspringt, nämlich einer Befriedigung<br />

<strong>des</strong> Gewissens <strong>und</strong> einem Bedürfnis <strong>des</strong> Herzens.<br />

Ehre also denen, die ihn zuerst ausgesprochen, denen, die<br />

ihn unterstützt, <strong>und</strong> denen, die zu seiner Verwirklichung die<br />

Wege geebnet haben!<br />

„Edel <strong>und</strong> hochherzig ist auch die Denkweise <strong>der</strong> Regierungen,<br />

die ohne Zau<strong>der</strong>n dem im Namen <strong>der</strong> leidenden<br />

Menschheit an sie gerichteten Aufruf Folge geleistet haben;<br />

nur zu lange schon hat man mit dem Siegesgeschmetter <strong>der</strong><br />

Trompeten das Schmerzensgeschrei <strong>der</strong> Männer übertäubt,<br />

die mit ihrem Blute den Sieg bezahlten; <strong>der</strong> triumphierende<br />

Donner <strong>der</strong> Kanonen erstickte die Klagestimme <strong>der</strong>jenigen,<br />

die als ganzen Lohn dafür, dass sie den Sieg errungen hatten,<br />

nur um eine Tragbahre baten, <strong>und</strong> die frohen Klänge <strong>der</strong><br />

schwingenden Glocken übertönten das Totenglöckchen <strong>der</strong><br />

sterbenden Helden. Der Arzt allein <strong>und</strong> die barmherzige<br />

Schwester kannten das Geheimnis so vieler Schmerzen. Derartige<br />

Schauspiele ziehen nur wenige Liebhaber an, <strong>und</strong> die<br />

Meng'e verfolgt mit ihren Beifallsrufen die im Lorbeerschmuck<br />

heimkehrenden Krieger; für die Unglücklichen, <strong>der</strong>en To<strong>des</strong>qualen<br />

erst auf <strong>der</strong> letzten Zeile <strong>des</strong> Schlachtberichts in einer<br />

kalten Addition zusammengefasst erscheinen, hat sie kein<br />

Gedächtnis, kein Bedauern.<br />

„Aber seien wir nicht zu hart gegen die Vergangenheit:<br />

diese Vergesslichkeit, diese Vernachlässigung erklären sich<br />

leicht, wenn wir daran denken, dass selbstgeschaute Leiden<br />

einen an<strong>der</strong>en Eindruck auf die menschliche Natur machen,<br />

als solche, die man nur vom Hörensagen kennt. Der Anblick<br />

eines Schlachtfel<strong>des</strong> ist eines <strong>der</strong> Schauspiele, die man selbst<br />

gesehen haben muss, um eine richtige Vorstellung davon zu<br />

bekommen. Napoleon betrachtete es bei Eylau, <strong>und</strong> er konnte<br />

nicht umhin zu sagen, ein solches Schauspiel sei wohl dazu


— 149 —<br />

angethan, den Fürsten Friedensliebe einzuflössen; Herr Dunant<br />

hat es bei Solferino geschaut, <strong>und</strong> es hat ihm jenen<br />

Schmerzensschrei ausgepresst, <strong>der</strong> so grossen Wi<strong>der</strong>hall gef<strong>und</strong>en<br />

hat, <strong>und</strong> stets hat es edle Herzen gegeben,- die sich<br />

bemüht haben, die Leiden <strong>des</strong> armen verw<strong>und</strong>eten Soldaten<br />

zu lin<strong>der</strong>n. ...<br />

„Man klagt den Krieg an, er lasse die Künste <strong>des</strong> Friedens<br />

nicht zum Blühen kommen; aber auch <strong>der</strong> Friede lässt,<br />

wenn er lange dauert, die Künste <strong>des</strong> Krieges in Vergessenheit<br />

geraten, <strong>und</strong> seltsamerweise trifft diese Erfahrung mehr<br />

bei den Künsten zu, die dazu bestimmt sind, das Heer zu<br />

erhalten, als bei denen, die dazu bestimmt sind, den Feind<br />

zu vernichten. Eine gewisse Saumseligkeit flösst uns Geringschätzung<br />

ein gegen die Vorbereitung von Hilfeleistungen,<br />

<strong>der</strong>en Unterlassung man später bedauert; ein unüberlegter<br />

Hang, ein seltsamer Optimismus wiegt uns in den Glauben<br />

ein, dass wir nicht in die Lage kommen werden, von den<br />

Mitteln Gebrauch zu machen, die doch eben darauf berechnet<br />

sind, den Feind nie<strong>der</strong>zuschmettern. Man verlangt ein W<strong>und</strong>er,<br />

<strong>und</strong> da dieses nicht geschieht, so jammert man über<br />

Täuschung, statt über mangelnde Vorsicht. Wir dürfen wohl<br />

über diesen Hang <strong>des</strong> menschlichen Geistes nachdenken,<br />

meine Herren, da er einer <strong>der</strong> grössten Steine <strong>des</strong> Anstosses<br />

ist, die unser Werk auf seinem Wege finden muss. Wenn<br />

nicht in <strong>der</strong> Luft etwas wie drohen<strong>der</strong> Krieg läge, wenn<br />

nicht alle Herzen die unbestimmte Furcht vor einer Erschütterung<br />

hegten, die sich möglicherweise in allen Winkeln<br />

Europas fühlbar machen wird, wenn man nicht so viele unheildrohende<br />

Fragen aufgerollt sähe, die wie ein Damoklesschwert<br />

an einem Faden über aller Häuptern schweben, so<br />

hätte die von Genf ausgegangene menschenfre<strong>und</strong>liche Einladung<br />

vielleicht keine so warme Aufnahme gef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong><br />

ich hätte vielleicht jetzt nicht die Ehre, vor Ihnen zu<br />

sprechen.<br />

„Aber sind auch die sanitären Hilfsmittel, über welche


— 150 —<br />

die Regierungen für ihre Heere verfügen, wirklich ungenügend?<br />

Lei<strong>der</strong> muss dies zugegeben werden, ohne dass<br />

damit gegen irgend jemand ein Vorwurf erhoben werden soll."<br />

— Hierauf macht Dr. Landa eingehende Mitteilungen über<br />

die Sanitätskompagnien Spaniens, <strong>und</strong> über die Hilfsmittel,<br />

welche das spanische Heer nach Marokko, Kochinchina <strong>und</strong><br />

Mexiko begleitet haben, um sodann fortzufahren: „Wenn wir<br />

trotzdem die Möglichkeit einer Unzulänglichkeit <strong>der</strong> Hilfsmittel<br />

zugeben, so thun wir dies angesichts <strong>der</strong> möglichen<br />

Zufälle <strong>des</strong> grossen, mo<strong>der</strong>nen Kriegs, <strong>der</strong> an Heftigkeit gewonnen<br />

hat, was er an Dauer verlor, <strong>und</strong> da ist man zur<br />

Furcht berechtigt, es könnte einem, zwar nicht an Spitälern<br />

<strong>und</strong> Aerzten, nicht an Verbandzeug <strong>und</strong> Hilfsmitteln, wohl<br />

aber an Armen fehlen, um die Verw<strong>und</strong>eten aufzuheben, <strong>und</strong><br />

an Armen, um die Tragbahren zu tragen.<br />

„Dies, meine Herren, ist <strong>der</strong> wahre Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Unzulänglichkeit;<br />

es ist das mangelnde Gleichgewicht<br />

zwischen <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Erhaltungs- <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zerstörungsmittel: es sind dies die ausserordentlichen<br />

Fortschritte <strong>der</strong> Ballistik; es ist dies endlich<br />

die konische Kugel, <strong>der</strong>en Wirkungen viel furchtbarer sind<br />

als die <strong>der</strong> sphärischen. Ich habe dies in Afrika gesehen:<br />

es scheint, dass die r<strong>und</strong>e Kugel auf den wichtigsten Nerven<br />

<strong>und</strong> Arterien dahingleitet, ohne sie zu zerstören; sie lässt<br />

sich leichter entfernen, ihre W<strong>und</strong>en heilen einfach; sie führt<br />

weniger Knochenbrüche herbei, <strong>und</strong> die spätere Sterblichkeit<br />

in den Spitälern ist viel geringer. Als ich den maurischen<br />

Verw<strong>und</strong>eten die konischen Kugeln unserer Jäger ausziehen<br />

musste, empfand ich ein Gefühl <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>willens, welches<br />

ich gerne allen hochgestellten Militärpersonen begreiflich<br />

machen möchte.<br />

„Wenn im Einzelkampf die einfachsten Regeln <strong>der</strong> Ehre<br />

es verbieten, einen Vorteil in <strong>der</strong> Bewaffnung zu benützen,<br />

warum sollte man in den Massenkämpfen nicht dasselbe Zartgefühl<br />

besitzen? Wenn das Ziel eines regelrechten <strong>und</strong> ehr-


— 151 —<br />

liehen Kriegs das sein muss, den Gegner zu entwaffnen, ohne<br />

ihn zu töten, noch weniger ihn zu martern, warum greift<br />

man nicht wie<strong>der</strong> zur sphärischen Kugel, die ausreicht, um<br />

einen Mann kampfunfähig zu machen? Wozu eine Verschärfung<br />

<strong>der</strong> mör<strong>der</strong>ischen Massregeln, die so nahe an die ausgesuchte<br />

Grausamkeit <strong>der</strong> Wilden grenzt? Meine Herren,<br />

lernen wir wie<strong>der</strong> ritterlich fühlen, so lernen wir auch wie<strong>der</strong><br />

menschenfre<strong>und</strong>lich fühlen<br />

„Vergessen wir nicht, meine Herren, dass wir, wenn ein<br />

bei seiner Fahne gefallener Krieger uns um Hilfe bittet, weit<br />

höhere Verpflichtungen haben, als bei einer blossen privaten<br />

Handlung <strong>der</strong> Barmherzigkeit: es ist eine heiligeSchuld,<br />

<strong>der</strong>en Einlösung er verlangt, eine Schuld, die auf allen lastet,<br />

ob arm o<strong>der</strong> reich, klein o<strong>der</strong> gross, denn noch mehr als<br />

Eigentum, Familie <strong>und</strong> Leben ist ein teures Besitztum aller<br />

<strong>der</strong> heilige Schatz <strong>der</strong> Volksehre, <strong>der</strong>en Verteidigung den<br />

Angehörigen <strong>der</strong> Heere anvertraut ist. Der Soldat bittet<br />

wahrlich nicht um ein Almosen, wenn er um eine Handvoll<br />

Charpie bittet, son<strong>der</strong>n um die Bezahlung einer Ehrenschuld,<br />

<strong>und</strong> zum Glück wüsste ich keine Regierung, kein Volk, das<br />

fähig wäre darüber zu rechten <strong>und</strong> um das edle Blut <strong>der</strong><br />

Verteidiger <strong>der</strong> Unabhängigkeit, <strong>der</strong> Ordnung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Freiheit<br />

zu markten<br />

„Ich glaube, dass die Vereine, um die es sich in dem<br />

unserer Beratung zu Gr<strong>und</strong>e gelegten Uebereinkommenseutwurf<br />

handelt, als freie Vereine bestehen können, aber nur<br />

um die Hilfemittel <strong>der</strong> Regierung zu vermehren, um gewissermassen<br />

als Bindeglied zwischen dem amtlichen Dienst <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Begeisterung <strong>des</strong> Volkes zu dienen, <strong>und</strong> um jenem im<br />

gegebenen Augenblick alle die Kraft zuzuführen, die diese<br />

ihm bieten kann, ohne ihn zu ersetzen o<strong>der</strong> ganz an seine<br />

Stelle zu treten. Bei je<strong>der</strong> Vereinigung von Menschen be.darf<br />

es eines gemeinsamen Ban<strong>des</strong>, <strong>und</strong> wenn eine solche<br />

den Zweck verfolgt, gute Werke zu thun <strong>und</strong> nicht Geschäfte<br />

zu machen, so muss man dieses Band in <strong>der</strong> sittlichen Welt


— 152 —<br />

suchen. Das Christentum versteht es, jene heldenmütige<br />

Selbstverleugnung einzuflössen, welche wir an dem Glaubensboten<br />

bew<strong>und</strong>ern, <strong>der</strong> auszieht, um ungekannt unter abgöttischen<br />

Wilden zu sterben, o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> barmherzigen Schwester,<br />

die in den Spitälern den tödlichen Hauch <strong>des</strong> Fiebers o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Cholera einatmet. Das militärische Ehrgefühl, die Fahnentreue,<br />

flösst auch jene heldenmütige Hingebung den Männern<br />

ein, die lieber sterben als sich ergeben, <strong>und</strong> die sich um ein<br />

Stückchen Band töten lassen. Bei jedem Volk o<strong>der</strong> in allen<br />

beson<strong>der</strong>en Verhältnissen wird man sich an eines dieser beiden<br />

Gefühle wenden müssen, wie es vor acht Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

Gerhart von Toulouse im heiligen Lande machte, als er den<br />

zugleich religiösen <strong>und</strong> kriegerischen Johanniterorden von<br />

Jerusalem gründete.<br />

„Möchten wir so glücklich sein, bei <strong>der</strong> Besprechung<br />

<strong>der</strong> Artikel die Gr<strong>und</strong>lagen zu finden, auf welchen die von<br />

uns erstrebte heilsame Einrichtung sich wirksam <strong>und</strong> dauernd<br />

aufbauen lässt, Gr<strong>und</strong>lagen, die breit genug sind, um den einzelnen<br />

Gestaltungen den nötigen Spielraum zu lassen <strong>und</strong><br />

doch dabei die Einheitlichkeit <strong>des</strong> Zweckes zu wahren, einfache<br />

Gr<strong>und</strong>lagen, die aber den lebendigen Keim künftiger<br />

Entwicklung in sich tragen. Denken wir an die Grösse <strong>des</strong><br />

zu erzielenden Ergebnisses, an die Thränen, die diese Einrichtung<br />

zu trocknen, an die Schmerzen, die sie zu lin<strong>der</strong>n<br />

berufen ist, so dürfen wir ihr wohl alle unsere Kräfte widmen,<br />

<strong>und</strong> wenn das Werk sich verwirklicht, so wird es eines<br />

jener Ereignisse sein, die alle Fre<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Menschheit mit<br />

<strong>der</strong> grössten Freude begrüssen können."<br />

Dr. Landa ist ferner <strong>der</strong> Meinung, wenn die freiwilligen<br />

Helfer zur Ausübung ihrer menschenfre<strong>und</strong>lichen Thätigkeit<br />

auf dem Schlachtfelde berufen würden, so miissten sie den<br />

Anordnungen <strong>der</strong> Militärbehörde <strong>und</strong> den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Mannszucht unterworfen, <strong>und</strong> von sachverständigen Männern<br />

begleitet sein, unter <strong>der</strong>en Leitung sie stünden.


— 153 —<br />

Es folgt nun eine Zusammenstellung <strong>der</strong> Meinungen <strong>der</strong><br />

verschiedenen Konferenzmitglie<strong>der</strong>:<br />

Dr. Hahn aus Stuttgart teilt mit, die Kgl, Württembergische<br />

Regierung habe den Plan mit <strong>der</strong> grössten<br />

Teilnahme aufgenommen, <strong>und</strong> sei gewillt, alles zu thun,<br />

was in ihren Kräften stehe, um zur Verwirklichung <strong>der</strong> angedeuteten<br />

edeln Gedanken beizutragen. ... S. Exc. <strong>der</strong><br />

Kriegsminister habe für seine Person den Plan gleichfalls mit<br />

grosser Teilnahme aufgenommen<br />

Herr dePreval, Unterintendant <strong>der</strong> kaiserlichen Garde<br />

in Paris erklärt, die Teilnahme aller Völker sei dem Plane<br />

sicher, <strong>der</strong> die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> internationalen Konferenz zusammengeführt<br />

habe. Die Bildung von National-Aussehüssen<br />

könne vortreffliche Ergebnisse haben, aber diese<br />

müssen sich wenigstens vorerst darauf beschränken, stoffliche<br />

Hilfsmittel für den Fall eines Krieges vorzubereiten <strong>und</strong> zu<br />

sammeln; in den militärischen Sanitätsdienst, die Wegschaffung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten u. s. w. dürften sie sich mit Rücksicht<br />

auf die Glie<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Heeres nicht mengen. Wie weit<br />

übrigens auch ausserhalb dieses Kreises die Privatteilnahme<br />

den Anstrengungen <strong>der</strong> Heeresverwaltung zu Hilfe kommen<br />

könne, habe sich im Krimkriege gezeigt. Beson<strong>der</strong>e Bedenken<br />

flösst ihm wegen <strong>der</strong> Unmöglichkeit einer genügenden<br />

Verpflegung die vorgeschlagene Bildung von Abteilungen freiwilliger<br />

Pfleger ein, <strong>der</strong>en Unterhaltung doch früher o<strong>der</strong><br />

später <strong>der</strong> allgemeinen Heeresverwaltung zur Last fallen<br />

müsse. Diese Schwierigkeit dürfte übrigens kein Hin<strong>der</strong>nis<br />

sein, wenn es möglich wäre, dasselbe Ziel leichter <strong>und</strong> sicherer<br />

auf an<strong>der</strong>em Wege zu erreichen, nämlich durch die Einrichtung<br />

von Abteilungen von Wärtersoldaten, wie sie<br />

schon im französischen Heere bestünden, die dann aber auch<br />

im Frieden beibehalten werden müssten, um sofort bei Ausbruch<br />

<strong>des</strong> Krieges Dienste leisten zu können. So würde<br />

wenigstens die Einheit <strong>des</strong> Heeres gewahrt, <strong>und</strong> würden<br />

fremde Elemente von ihm ferngehalten. Dagegen ist de


— 154 -<br />

Preval weit entfernt, die Erleichterungen zurückzuweisen,<br />

welche kräftig organisierte Ausschüsse den Opfern <strong>des</strong> Kriegs<br />

ausserhalb <strong>des</strong> Gefechts verschaffen könnten. „Immerhin,"<br />

sehliesst er, „mögen sich Ausschüsse bilden, Mittel für ihre<br />

Thätigkeit sammeln, unter den Bevölkerungen den Gr<strong>und</strong>satz<br />

verbreiten, dass die Person <strong>des</strong>jenigen, <strong>der</strong> den Verw<strong>und</strong>eten<br />

zu Hilfe kommt, heilig ist. Man gehe, wenn möglich, noch<br />

einen Schritt weiter, indem man z. B. die Feldlazarette <strong>der</strong><br />

einan<strong>der</strong> gegenüberstehenden Heere bis zu einem gewissen<br />

Grade für neutral erklärt. Herr Dr. Löffler, Leibarzt S. M.<br />

<strong>des</strong> Königs von Preussen, hat uns soeben nachgewiesen, dass<br />

die Verwirklichung dieses Wunsches nichts Unmögliches wäre,<br />

da ja die Neutralisierung <strong>der</strong> Feldlazarette schon früher für<br />

Preussen <strong>und</strong> Frankreich bestanden hat, <strong>und</strong> da <strong>der</strong> Ausdehnung<br />

eines an guten Ergebnissen so fruchtbaren Gr<strong>und</strong>satzes<br />

für die Zukunft nichts im Weg zu stehen scheint."<br />

Dr. Eutherford, Abgesandter Englands, erklärt, was<br />

die im Ges<strong>und</strong>heitsdienst <strong>der</strong> Heere vorzunehmenden Verbesserungen<br />

betreffe, so habe sein Land seit den Erfahrungen<br />

<strong>des</strong> Krimkriegs schon viel gethan. . . An die Abteilungen<br />

von Wärtern, die keine Freiwilligen, son<strong>der</strong>n ins Heer eingereiht<br />

<strong>und</strong> sehr gut unterrichtet seien, schliesse sich eine<br />

Abteilung Wärterinnen an, <strong>der</strong>en Ursprung auf die aufopfernde<br />

Thätigkeit <strong>der</strong> Miss Nightingale im orientalischen<br />

Kriege zurückgehe. „Diese hingebenden, gleichfalls wohl<br />

unterrichteten <strong>und</strong> gut bezahlten Frauen sind immer bereit,<br />

auf den ersten Befehl den Heeren an irgend einen beliebigen<br />

Punkt <strong>des</strong> Erdballs zu folgen. Eine Ergänzung zu den Feldlazaretten<br />

bildet das allgemeine Hospital, das sich<br />

auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>linie <strong>der</strong> militärischen Bewegungen befindet,<br />

<strong>und</strong> wohin die Verw<strong>und</strong>eten allmählich befor<strong>der</strong>t werden. An<br />

seiner Spitze steht ein Generaldirektor, dem die Verwaltung,<br />

die Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Ordnung u. s. w., sowie alles was<br />

nicht zum eigentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienst gehört, obliegt, <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> dafür verantwortlich ist; unter seinen Befehlen stehen


— 155 —<br />

die Fürsorger, purveyors, für die Bedürfnisse <strong>der</strong> Kranken.<br />

Die Aerzte ihrerseits, <strong>und</strong> das ist sehr wichtig, sind hinsichtlich<br />

ihres beson<strong>der</strong>en Dienstes vollkommen unabhängig;<br />

sie sind gewissermassen Könige in ihrem Bereich, <strong>und</strong> vollständig<br />

frei auf ihrem Gebiet, was z. B. in den französischen<br />

Heeren nicht <strong>der</strong> Fall ist. Ich füge noch bei, dass dieses<br />

System England nicht nur theoretisch, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong><br />

Ausführung vollständig befriedigt hat, wie dies <strong>der</strong> chinesische<br />

Feldzug <strong>und</strong> die liiebei erreichten Ergebnisse bewiesen<br />

haben; ich würde es also für vorteilhaft halten, mit dieser<br />

Einrichtung in den an<strong>der</strong>en Heeren einen Versuch zu machen."<br />

Nach dieser Rede Dr. Rutherfords ergreift <strong>der</strong> Oberarzt<br />

<strong>des</strong> bayrischen Artilleriekorps Dr. Dompierre das Wort,<br />

um die Versammlung <strong>der</strong> Teilnahme zu versichern, welche<br />

die bayrische Regierung dem Ziele, das die Versammlung sich<br />

gesteckt habe, entgegenbringe. . Seine Regierung sei gegen<br />

alles, was im Interesse <strong>des</strong> Heeres <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />

Verw<strong>und</strong>eten liege, nie teilnahmslos gewesen, <strong>und</strong> sie werde<br />

folglich auch, nach Massgabe <strong>der</strong> Umstände, alles thun, was<br />

den Plänen, die den Gegenstand <strong>der</strong> Verhandlungen bilden<br />

sollen, för<strong>der</strong>lich sei.<br />

Dr. Unger aus Wien: „Ich bin von Seiten <strong>des</strong> Kaiserl.<br />

Oestreich. Kriegsministers ohne beson<strong>der</strong>e Weisung, bloss ad<br />

audiendum et referendum abgesandt; ich habe nur Gelegenheit<br />

gehabt, zu bemerken, dass die Gedanken <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze<br />

<strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses grosser Teilnahme begegnen,<br />

<strong>und</strong> dass man sie für ausführbar genug hält, um auf dieser<br />

Gr<strong>und</strong>lage in Beratung eintreten zu können."<br />

Dr. Günther aus Dresden:<br />

„Obgleich vom Kriegsministerium beauftragt, dieser Versammlung<br />

beizuwohnen, habe ich keine Weisungen von meiner<br />

Regierung. In<strong>des</strong>sen haben mich <strong>der</strong> König, mein Gebieter,<br />

<strong>und</strong> sein Ministerium in gleicher Weise beauftragt, die ganze<br />

Teilnahme, die sie diesen die höchsten Anliegen <strong>der</strong> Menschheit<br />

berührenden Arbeiten <strong>der</strong> Konferenz entgegenbringen,


— 156 —<br />

zu bezeugen, sowie ihrem Willen Ausdruck zu geben, sie eintretenden<br />

Falles später durch die That 1 ) zu beweisen, soweit<br />

sich die zu ergreifenden Massregeln mit den Bedürfnissen <strong>des</strong><br />

militärischen Dienstes werden vereinigen lassen. Was die<br />

Sanitätseinrichtungen betrifft, so sind diese im Königreich<br />

Sachsen so ziemlich dieselben wie im übrigen Deutschland.<br />

Das Personal besteht aus Hospitalärzten <strong>und</strong> aus Sanitätskompagnien,<br />

welche angewiesen sind, den Verw<strong>und</strong>eten die<br />

erste Hilfe zu leisten. Man hat also schon wenigstens die<br />

Anfange <strong>des</strong> angedeuteten Ziels ins Auge gefasst; aber man<br />

muss anerkennen, dass im Falle eines Kriegs <strong>und</strong> auf dem<br />

Schlachtfelde die von den Militäreinrichtungen während <strong>der</strong><br />

Friedenszeit dargebotenen Hilfsmittel nicht ausreichend sind,<br />

<strong>und</strong> dass man folglich in mehr als einer Richtung auf die<br />

thätige Mitwirkung <strong>der</strong> Bevölkerung selbst angewiesen ist;<br />

das ist aber eben das Ziel, welches sich <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschuss<br />

gesteckt hat."<br />

Dr. Steiner aus Karlsruhe bezeugt zunächt <strong>der</strong> Versammlung<br />

die lebhafte Teilnahme, die S. K. H. <strong>der</strong> Grossherzog<br />

von Baden dem geplanten Werke entgegenbringe, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

er schon bei verschiedenen Gelegenheiten Ausdruck gegeben<br />

habe. Er ist <strong>der</strong> Meinung, man müsse es jedem Lande überlassen,<br />

die Ausdehnung <strong>und</strong> Richtung seiner Thätigkeit zu<br />

bestimmen; . . . man müsse überdies einen gewissen Spielraum<br />

lassen, <strong>und</strong> nicht von Seiten <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n<br />

Regierung Empfindlichkeiten o<strong>der</strong> Hin<strong>der</strong>nisse heraufbeschwören.<br />

. . . Uebrigens sei nie die Rede davon gewesen, während<br />

<strong>der</strong> Schlacht thätig einzugreifen, son<strong>der</strong>n unmittelbar darnach,<br />

um den Verw<strong>und</strong>eten beizustehen, die nicht vom Schlachtfelde<br />

haben weggetragen werden können, <strong>und</strong> dafür zu sorgen,<br />

dass sie nicht verdursten, ehe sie jemand habe fort-<br />

*) "Wir haben oben gesehen, dass <strong>der</strong> König von Sachsen sich dem<br />

Gedanken einer „internationalen Nentralisiernng <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten"<br />

<strong>und</strong> dem <strong>der</strong> „ständigen Hilfsvereine", worüber<br />

Dnnant mit S. Maj. gesprochen hatte, ganz beson<strong>der</strong>s gewogen zeigte.


— 157 —<br />

schaffen können; in diesem Falle könne man sich wirklich<br />

nützlich machen, ohne sich so vielen Gefahren auszusetzen<br />

<strong>und</strong> so viele Unannehmlichkeiten zu verursachen. . . . Die<br />

Personen, meint Dr. Steiner, die sich als freiwillige Helfer<br />

anbieten, sollten sich auf eine gewisse Zeit verbindlich<br />

machen; es sei dies eine notwendige Bürgschaft, um die<br />

militärischen Behörden bezüglich <strong>der</strong> Spionagefurcht zu beruhigen.<br />

Verwenden werde man sie je nach den Bedürfnissen<br />

<strong>des</strong> Augenblicks, <strong>und</strong> dabei möglichst darauf Bücksicht<br />

nehmen, ob sie im Feld- o<strong>der</strong> im Spitaldienst verwendet zu<br />

werden wünschen. ... Es werde zwei Klassen von freiwilligen<br />

Helfern geben: neben Männern, die sich aus edler Begeisterung<br />

<strong>der</strong> Sache widmen, auch angeworbene <strong>und</strong> bezahlte<br />

Leute, <strong>und</strong> bei diesen sei es nicht mehr als billig, dass man<br />

ihnen die vertragsmässige Verpflichtung auferlege, ihren Dienst<br />

während einer bestimmten Zeit zu versehen, <strong>und</strong> wäre es<br />

auch nur, um nicht durch ihren unvorhergesehenen Austritt<br />

in Verlegenheit zu geraten.<br />

Dr. Lehmann ans Bern:<br />

„Vor allem habe ich als Abgeordneter <strong>des</strong> Schweizer<br />

Bun<strong>des</strong>rats dem <strong>Genfer</strong> Ausschuss für sein Vorgehen zu<br />

danken. Indem <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>rat dieser Einladung Folge leistete,<br />

wollte er teils dem vom Ausschusse geplanten "Werke, teils<br />

dem ehrwürdigen Vorsitzenden, <strong>der</strong> diese Versammlung eröffnete,<br />

dem General Dufour seine lebhafte Teilnahme bezeugen.<br />

Er wollte die Gelegenheit nicht versäumen, um das<br />

Licht, das notwendig von diesen Beratungen ausgehen musste,<br />

für das Schweizer Heer nutzbar zu machen, <strong>und</strong> zwar mit<br />

um so mehr Gr<strong>und</strong>, als wir Schweizer schon seit langer Zeit<br />

in <strong>der</strong> glücklichen Lage sind, in diesem Zweige <strong>des</strong> Kriegsdienstes<br />

keine Erfahrungen sammeln zu können. . . Ich hege<br />

die feste Ueberzeugung, das diese Konferenz wohlthätige Folgen<br />

für die Menschheit haben wird, falls man sich auf die<br />

von verschiedenen Seiten ausgesprochenen praktischen Gedanken<br />

beschränkt."


— 158 —<br />

Major Brodrück aus Darmstadt ist <strong>der</strong> Ansicht, die<br />

von <strong>der</strong> Versammlung zu fassenden Beschlüsse müssten <strong>der</strong><br />

Ueberzeugung <strong>der</strong> Versammlung Ausdruck geben, dass im<br />

allgemeinen <strong>der</strong> amtliche Ges<strong>und</strong>heitsdienst den Bedürfnissen<br />

<strong>des</strong> Heeres nicht vollständig genügen könne, <strong>und</strong> zwar infolge<br />

von Umständen, welche vom Willen <strong>der</strong> Regierungen <strong>und</strong><br />

Verwaltungen unabhängig seien. Es miisste ferner die Thätigkeit<br />

<strong>der</strong> Ausschüsse in Friedenszeiten in unmittelbarer<br />

Uebereinstimmung mit ihrer etwaigen Thätigkeit im Kriegsfalle<br />

stehen; es handle sich also fiir sie darum, Freiwillige<br />

zu suchen <strong>und</strong> auszubilden, die materiellen Hilfsmittel aufzubringen<br />

<strong>und</strong> zu liefern, über die sie zu Gunsten <strong>des</strong> Heeres<br />

würden verfugen können. . . Es sei eine durch die Erfahrung<br />

aller Kriege erwiesene Thatsache, dass die Einrichtungen <strong>und</strong><br />

Mittel <strong>des</strong> öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienstes in den Heeren<br />

nicht ausreichen können.<br />

Dr. Boudier aus Paris zollt dem edeln Gedanken Dunants<br />

alle Anerkennung <strong>und</strong> ist überzeugt, dass <strong>der</strong>selbe<br />

keimen <strong>und</strong> Früchte tragen wird, welches Schicksal auch den<br />

Vorschlägen Dunants vorbehalten sein mag. „Der Krankendienst<br />

im Felde lässt, wenn schon er bedeutend verbessert<br />

worden ist, sowohl hinsichtlich <strong>des</strong> Personals als <strong>des</strong> Materials<br />

immer noch viel zu wünschen übrig. Ein solcher Zustand<br />

darf nicht länger andauern; die Menschlichkeit, die<br />

Gesittung verlangen gebieterisch zahlreiche Verbesserungen."<br />

Auf Gr<strong>und</strong> einer 34jährigen Erfahrung kann sich jedoch<br />

Dr. Boudier die Schwierigkeiten nicht verhehlen, die mit<br />

<strong>der</strong> Ausführung <strong>der</strong> Vorschläge Dunants verknüpft sind, die<br />

nötige Anzahl freiwilliger Krankenpfleger aufzubringen, um<br />

so mehr als die wenigsten diesem verantwortungsvollen <strong>und</strong><br />

anstrengenden Berufe gewachsen seien. Freiwillige Krankenpfleger<br />

ins Feld zu schicken, erscheint ihm unpraktisch. Erfahrungsgemäss<br />

stellen die Krankenpfleger im Kriege verhältnismässig<br />

die meisten Opfer. Zu einem guten Krankenpfleger<br />

gehören nicht nur guter Wille, Hingebung <strong>und</strong> Uebung, son-


— 159 —<br />

<strong>der</strong>n auch Disziplin, die Gewohnheit zu gehorchen <strong>und</strong> zu<br />

befehlen <strong>und</strong> ein gewisser Korpsgeist, Eigenschaften die man<br />

bei freiwilligen Krankenpflegern nicht finden könne. Beson<strong>der</strong>e<br />

Bedenken aber flösst ihm die Verpflegung dieser Krankenwärter,<br />

die Unterhaltung ihres Materials <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ersatz ihrer<br />

Lasttiere ein: die militärischen Behörden werden Mühe genug<br />

haben, für ihre eigenen Leute zu sorgen. Wenn aber seine<br />

Worte auch wenig ermutigend klingen, so dürfe man darum<br />

doch die Arme nicht in den Schoss legen <strong>und</strong> die Fürsorge<br />

für die Leiden <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten <strong>der</strong> Vorsehung überlassen.<br />

Sache <strong>der</strong> Versammlung sei es, die nötigen Verbesserungen<br />

im Ges<strong>und</strong>heitsdienst durchzusetzen. „Das Vorgehen <strong>des</strong><br />

Herrn Dunant ist zu löblich, zu schön <strong>und</strong> zu edel, als dass<br />

man davon abgehen sollte. Der erste Schritt ist gethan;<br />

mit <strong>der</strong> nötigen Beharrlichkeit wird man auch zum Ziele<br />

kommen. Verkündigen Sie in Broschüren, in Zeitungen, vor<br />

ganz Europa, dass die Zahl <strong>der</strong> Krankenpfleger im Felde so<br />

beschränkt ist, dass sie gar keinen Wert hat. Krankenpfleger<br />

kann man nicht nur aus dem Aermel schütteln; es wird also<br />

die Pflicht Ihrer Ausschüsse sein, darüber zu wachen, ob in<br />

Friedenszeiten ihre Zahl im richtigen <strong>und</strong> angenommenen<br />

Verhältnis zum Heeresstand <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> steht Ein<br />

weiteres Mittel, das vollständig in Ihrem Bereiche liegt, ist<br />

das, die Regierungen zu veranlassen, dass sie alle Anstrengungen<br />

machen, um dem Volke begreiflich zu machen, dass<br />

je<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ete kein Feind mehr ist, dass es nicht bloss<br />

eine Verbindlichkeit, son<strong>der</strong>n eine heilige Pflicht ist, ihm zu<br />

Hilfe zu kommen."<br />

Gegen die von Dr. Boudier geäusserten Bedenken wendet<br />

sich Dr. Basting aus dem Haag mit den Worten:<br />

. . . „Der geehrte Herr Vorredner scheint mir ein zu<br />

düsteres Gemälde entworfen zu haben, <strong>und</strong> ich kann nicht<br />

alle seine Befürchtungen teilen. Herr Dunant hat auch einige<br />

Erfahrung in dem was er uns erzählt; hat er doch selbst<br />

versucht, den Verw<strong>und</strong>eten <strong>des</strong> französischen Heeres nach


— 160 —<br />

<strong>der</strong> Schlacht bei Solferino beizustehen, wobei er nur in Castiglione<br />

durch arme Weiber, <strong>und</strong> später durch Einwohner<br />

Brescias unterstützt wurde. Es ist keine Studierstubentheorie,<br />

die er uns hier vorträgt, son<strong>der</strong>n es sind Thatsachen; er hat<br />

die Greuel <strong>des</strong> Kriegs mit angesehen, er hat den Opfern<br />

dieser Greuel beizustehen gesucht, aber er weiss dass er seine<br />

Sache ganz schlechtgemacht hat, <strong>und</strong> warum? weil er nicht darauf<br />

vorbereitet war, <strong>und</strong> weil ihm, <strong>der</strong> einfachen Einzelperson,<br />

die sich gleichsam zufällig auf diesem Kampfplatze befand,<br />

die Mittel fehlten. Darum macht er den Regierungen Europas<br />

<strong>und</strong> den von menschenfre<strong>und</strong>lichen Gefühlen beseelten<br />

Männern den Vorschlag, sich vorzubereiten <strong>und</strong> mit den Hilfsmitteln<br />

zu beschäftigen, welche bei einer an<strong>der</strong>n Gelegenheit<br />

von Nutzen sein könnten. Ich glaube, das Wort „unmöglich",<br />

welches in unserem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert so schlecht angebracht<br />

ist, ist noch weniger am Platz, wenn es sich um das Leben<br />

von Menschen handelt. Jedenfalls verlohnt es sich zu versuchen,<br />

ob es nicht irgend welche Mittel giebt, die Schwierigkeiten<br />

zu heben <strong>und</strong> die Hin<strong>der</strong>nisse zu überwinden<br />

Wenn man sieht, wie sich in unserer Zeit die Mittel vermehren,<br />

um die Menschen zu töten, so darf man wohl auch<br />

auf die Vervollkommnung solcher Mittel bedacht sein, die<br />

ihnen das Leben erhalten sollen." 1 )<br />

Auch Dr. Theodore Mannoir weist die Einwände Dr.<br />

Boudiers zurück. Was insbeson<strong>der</strong>e die Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />

Unterhaltung <strong>des</strong> Materials, <strong>der</strong> Versorgung mit Lebensmitteln<br />

u. s. w. mitten im Felde betreife, so dürfe man sich keine<br />

übertriebene Vorstellung davon machen. „Sie laufen alle auf<br />

die Geldfrage hinaus. Geld braucht man allerdings <strong>und</strong> zwar<br />

viel, aber es wird bei einem <strong>der</strong>artigen Anlass nicht daran<br />

fehlen.... Man giebt ja in Form von Steuern <strong>und</strong> zwangsweise,<br />

um alle Ausgaben <strong>des</strong> Kriegs durch Vermittlung <strong>der</strong><br />

Regierung <strong>und</strong> <strong>des</strong> Kriegsministeriums zu bestreiten; warum<br />

!) Compte-rendu, S. 70 u. 71.


— 161 —<br />

sollte man nicht auch in Form von allerlei freiwilligen Beiträgen<br />

geben, wenn es sich ganz beson<strong>der</strong>s darum handelt,<br />

den Leiden <strong>der</strong> Kranken <strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>eten einige Lin<strong>der</strong>ung<br />

zu verschaffen? Selbst im französischen Dienst giebt es noch<br />

viel zu thun, obwohl dieser ohne Zweifel einer <strong>der</strong> am besten<br />

eingerichteten Europas ist; um sich darüber zu vergewissern,<br />

genügt es, uns mit Herrn Dunant auf das Schlachtfeld von<br />

Solferino zu begeben. . .Die Hilfeleistungen für die unglücklichen<br />

Verw<strong>und</strong>eten sind nicht so schnell gekommen wie<br />

<strong>der</strong> Sieg. Wäre Herr Dunant nicht allein <strong>und</strong> aller vorbereiteten<br />

Hilfsmittel beraubt gewesen, son<strong>der</strong>n hätte er h<strong>und</strong>ert<br />

Krankenpfleger bei sich gehabt, so hätte er sicher wenigstens<br />

zwei- bis dreih<strong>und</strong>ert Verw<strong>und</strong>eten das Leben gerettet;<br />

dies ist immerhin etwas, wie man zugeben wird. Man muss<br />

eben mit einem kleinen ersten Wurfe zu beginnen wissen <strong>und</strong><br />

nicht gleich alles auf einmal erreichen wollen. Kurzum, man<br />

darf sich nicht entmutigen lassen, indem man unleugbare<br />

Hin<strong>der</strong>nisse, die aber doch nur Schwierigkeiten sind, als Unmöglichkeiten<br />

ansieht. Nachdem einmal <strong>der</strong> erste Anstoss<br />

gegeben ist, muss man vorwärts gehen; selbst eine Nie<strong>der</strong>lage<br />

wäre in einem solchen Falle ehrenhaft, nachdem man<br />

gekämpft hat; nur ein übereilter Rückzug könnte missliche<br />

Folgen haben." 1 ) — Bezüglich <strong>der</strong> künftigen Ausschüsse ist<br />

Dr. Maunoir mit Dr. Landa einverstanden, dass die von<br />

<strong>der</strong> Konferenz verhandelten Artikel „dazu bestimmt sind, den<br />

Ausschüssen nur im allgemeinen eine Weisung zu geben, nicht<br />

aber beson<strong>der</strong>e Weisungen ftir dieses o<strong>der</strong> jenes Land, z. B.<br />

für Frankreich, Preussen <strong>und</strong> Oestreich aufzustellen. Die<br />

weitere Entwicklung auf <strong>der</strong> einmal gelegten allgemeinen<br />

Gr<strong>und</strong>lage wird je nach den Gesetzen, Gewohnheiten <strong>und</strong><br />

Einrichtungen eines jeden Volkes vor sich gehen; warum<br />

sollte man also in einem Uebereinkommensentwurf, welcher<br />

ohne Zweifel dazu berufen ist, je nach den Län<strong>der</strong>n, wo er<br />

*) Compte-remln, S. 75 u. 76.<br />

11


— 162 —<br />

zur Ausführung kommen wird, die verschiedensten Früchte<br />

zu tragen, mit peinlicher Genauigkeit zwingende Vorschriften<br />

aufstellen?" 1 ) — Dr. Maunoir ist ferner <strong>der</strong> Ansicht <strong>des</strong><br />

Generals Dufour: „Man dürfe sich sein Ziel nicht zu hoch<br />

stecken, <strong>und</strong> müsse es verstehen, den militärischen Befehlshabern<br />

untergeordnet zu bleiben; jedoch müsse man <strong>der</strong> Begeisterung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> menschlichen Eigenliebe auch etwas übrig<br />

lassen." Er schlägt vor: „im Falle <strong>der</strong> Unzulänglichkeit <strong>der</strong><br />

Spitäler, sollten die Ausschüsse im Einverständnis mit <strong>der</strong><br />

Militärbehörde Räumlichkeiten herrichten lassen, um vermittelst<br />

ihrer freiwilligen Krankenpfleger <strong>und</strong> <strong>des</strong> ihnen zur<br />

Verfügung stehenden Materials Verw<strong>und</strong>ete zu pflegen." 2 )<br />

Endlich scheint Maunoir gegen den Gedanken eines Zentralausschusses<br />

zu sein: statt die Papierpakete alle über Genf<br />

wan<strong>der</strong>n zu lassen, wäre es einfacher, wenn diese unmittelbar<br />

von einem Ausschusse dem an<strong>der</strong>n zugeschickt würden,<br />

da man doch von einem in Genf auszuarbeitenden Generalbericht<br />

abgesehen habe. 8 )<br />

Hauptmann van de Velde aus Holland meint, man<br />

dürfe die von Herrn Dunant ausgegangene Bewegung nicht<br />

aus dem Auge verlieren, <strong>und</strong> wünscht daher, die Rolle <strong>der</strong><br />

wirklichen freiwilligen Helfer von seinem Standpunkt<br />

aus näher auszuführen. Er ist überzeugt, <strong>der</strong>, welcher sich<br />

anbiete, thue dies aus reiner Hingebung, indem er eine vorteilhafte<br />

Stellung <strong>und</strong> die Ruhe <strong>des</strong> bürgerlichen Lebens für<br />

eine edle Aufgabe opfere. „Es ist klar, dass <strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong><br />

solche Opfer bringt, nicht in ein Krankenwärtercorps eingereiht<br />

werden kann, welches man ohne weiteres zur Ablösung<br />

<strong>der</strong> Militärkrankenwärter in die inneren Spitäler <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

schicken würde, um dort den Kranken Suppe zu reichen <strong>und</strong><br />

Arzneien einzugeben .... Nichts ist weniger dazu geeignet,<br />

sich in die einzelnen Bestimmungen einer Verordnung zu<br />

*) Compte-rendu, S. 93.<br />

*) Compte-rendu, S. 109.<br />

s ) Compte-rendn, S. 130 f.


— 163 -<br />

fügen, als die Begeisterung <strong>und</strong> Hochherzigkeit . . . . Das<br />

Einverständnis zwischen den Ausschüssen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verwaltung<br />

wird nötig sein für alles, was die Sendungen an dieVerw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> Kranken <strong>des</strong> Heeres betrifft." Herr van<br />

de Velde erinnert an die Thatsache, dass während <strong>des</strong> syrischen<br />

Feldzugs (1860—61) viele Kisten mit Erfrischungen,<br />

Kleidungsstücken <strong>und</strong> allerlei Vorräten, die von menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Privatausschüssen abgesandt wurden, niemals an<br />

ihrem Bestimmungsort anlangten; lei<strong>der</strong> aber könnte er auch<br />

Beispiele von vielen Gaben einzelner Personen an die Regierung<br />

erzählen, die gleichfalls nie an ihre Adresse gelangt<br />

sind. Er ist mit Dr. Landa <strong>der</strong> Meinung, man solle es <strong>der</strong><br />

Mildthätigkeit überlassen, ihre Wege zu suchen; sie möge<br />

sich unter dem Schutze <strong>der</strong> Behörden organisieren, das sei<br />

unerlässlich, aber das Arbeitsfeld <strong>der</strong> Privatmildthätigkeit<br />

solle so gross bleiben als möglich ... Dem <strong>Genfer</strong> Ausschusse<br />

solle eine zeitweilige Aufgabe zugewiesen werden, so lange<br />

bis sich die an<strong>der</strong>n Ausschüsse gebildet hätten: diese vorläufige<br />

Stellung <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses müsse aber natürlich<br />

aufhören, sobald die Ausschüsse <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Län<strong>der</strong> sich eingerichtet<br />

hätten. 1 )<br />

Dr. Louis Appia erzählt, bei dem letzten italienischen<br />

Feldzuge sei er in <strong>der</strong> Lage gewesen, in den Spitälern zu verweilen,<br />

<strong>der</strong>en etwa fünfzehn in Turin, Mailand <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s<br />

in Brescia von <strong>der</strong> Zivilbevölkerung eingerichtet worden<br />

seien: es habe dort eine wirkliche Notlage geherrscht. Seine<br />

persönliche Erfahrung spricht also zu Gunsten <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

für die Zivilbevölkerung, nicht nur Betten <strong>und</strong> Tücher den<br />

Militärbehörden zur Verfügung zu stellen, son<strong>der</strong>n auch selbst<br />

Spitäler <strong>und</strong> Feldlazarette einzurichten. „Die Unterordnung<br />

unter die militärische Behörde ist durch die schon gefassten<br />

Beschlüsse <strong>der</strong> Versammlung genügend gewährleistet; die Ausschüsse<br />

müssen sich allerdings mit <strong>der</strong> Regierung in Ver-<br />

*) Compte-rendn, S. 104, 108, 115, 131.


— 164 —<br />

bindung setzen, sie müssen dafür sorgen, dass die von ihnen<br />

angebotenen Dienste auch angenommen werden; man hat so<br />

im voraus das Versprechen abgegeben, dass diese Ausschüsse<br />

sich bei ihrem Vorgehen verpflichten, im Felde wie zu Hause<br />

den von den Militär- <strong>und</strong> Zivilbehörden getroffenen Anordnungen<br />

Folge zu leisten. Aber, wie schon gesagt, darf in<br />

<strong>der</strong> Form nichts liegen, was die Begeisterung, diese sittliche<br />

Kraft, verhin<strong>der</strong>t sich mit einer gewissen Freiheit zu bewegen,<br />

ohne welche sie nicht lange anhalten kann."*) Dr. Appia<br />

besteht auf <strong>der</strong> Wichtigkeit eines internationalen Abzeichens<br />

<strong>und</strong> wünscht zum ersten Paragraphen den Zusatz:<br />

„Die Konferenz schlägt eine weisse Armbinde am linken Arm<br />

vor." Man dürfe nicht auf die mögliche Wirkung eines Symbols<br />

verzichten, welches, wie die Fahne beim Soldaten, durch<br />

seinen blossen Anblick den Corpsgeist im Herzen wecke, <strong>und</strong><br />

welches mit einem so hervorragend edeln Gedanken, mit einem<br />

<strong>der</strong> ganzen gesitteten Menschheit gemeinsamen Unternehmen<br />

verknüpft sei. 2 ) — Nach einiger Erörterung wird <strong>der</strong> Vorschlag<br />

<strong>des</strong> Dr. Appia angenommen, mit <strong>der</strong> Abän<strong>der</strong>ung, dass<br />

auf <strong>der</strong> weissen Armbinde sich ein rotes Kreuz befinden<br />

soll. 3 ) — Dr. Appia stimmt endlich dafür, den Beschlüssen<br />

<strong>der</strong> Konferenz solle eine geschichtliche Einleitung<br />

vorangehen, mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, diejenigen,<br />

die nicht mit den Arbeiten <strong>und</strong> Beratungen <strong>der</strong> Konferenz<br />

vertraut seien, in die von ihr gefassten Beschlüsse einzuführen.<br />

4 )<br />

Bei <strong>der</strong> Besprechung <strong>der</strong> einzelnen Artikel spricht General<br />

Dufour die Ansicht aus, man dürfe die Sachen nicht<br />

i) Compte-rendn, S. 109.<br />

s<br />

) Compte-rendu, S. 118. — Schon in <strong>der</strong> Kommissionssitznng <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft vom 17. Febr. 1863 hatte General<br />

Dnfonr den Wunsch einer einheitlichen Armbinde für die freiwilligen<br />

Hilfeleistenden ausgesprochen.<br />

s<br />

) Compte-rendu, S. 119.<br />

4<br />

) Ebendort, S. 127. ; •


— 165<br />

zu genau bestimmen, man müsse sich an allgemeine Ausdrücke<br />

halten <strong>und</strong> alles vermeiden, was den Anschein erwecken<br />

könnte, als wolle man den Ausschüssen eine Einmischung in<br />

die Handlungen <strong>der</strong> Regierung vorschreiben. Für Friedenszeiten<br />

wünscht <strong>der</strong> General, dass man sich darauf beschränkte<br />

zu sagen: „Die Vereine, um <strong>der</strong>en Gründung es sich handelt,<br />

werden sich in Friedenszeiten mit allem beschäftigen, was<br />

sie in Kriegszeiten nützlich machen kann, unter an<strong>der</strong>em mit<br />

<strong>der</strong> Aufstellung <strong>und</strong> Schulung <strong>der</strong> freiwilligen Krankenpfleger;"<br />

dies schliesse alle möglichen Arbeiten in sich. 1 )<br />

Im weiteren Verlauf <strong>der</strong> Verhandlungen spricht Dr.<br />

Basting den Wunsch aus, die drei Artikel <strong>des</strong> Berliner<br />

Entwurfs möchten in <strong>der</strong> Konferenz besprochen werden.<br />

— Hiezu bemerkt eine (von Moynier abgefasste) Anmerkung<br />

zum Protokoll: „Der Entwurf, von dem hier die<br />

Rede ist, war in Berlin von Herrn Dunant auf Verlangen <strong>der</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Statistischen Kongresses abgefasst worden, <strong>und</strong><br />

bestand im wesentlichen aus drei Vorschlägen bezüglich <strong>der</strong><br />

ZAvischen den Regierungen <strong>und</strong> den Hilfsausschüssen herzustellenden<br />

Beziehungen." 2 )<br />

Der Vorsitzende Moynier erklärt, <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschuss<br />

habe nicht beabsichtigt, die drei Berliner Punkte in <strong>der</strong><br />

Konferenz beson<strong>der</strong>s verhandeln zu lassen, da sie so wie so<br />

!) Compte-rendu S. 91.<br />

2 ) Das Berliner R<strong>und</strong>schreiben („Circulaire de Berlin") vom<br />

15. September 1863, <strong>des</strong>sen zweiter Artikel die Neutralisierung' u. s. w.<br />

verlangte, ist, wie Dunant aufs bestimmteste versichert, nicht infolge<br />

einer Auffor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Statistischen Kongresses, son<strong>der</strong>n<br />

von ihm „persönlich, motu proprio, auf eigene Gefahr <strong>und</strong> Kosten"<br />

abgefasst worden, um zum Gelingen seines Werkes beizutragen. Er wurde<br />

hiezu durch Dr. Basting ermutigt. — Gerade dieser zweite Artikel <strong>des</strong><br />

R<strong>und</strong>schreibens, welcher die Neutralisierung betraf (von <strong>der</strong> in dem Uebereinkommensentwurf<br />

nicht die Rede war), verschaffte ihm eine wirksame<br />

Unterstützung nicht nur in Berlin, son<strong>der</strong>n auch in Dresden, Wien, Paris<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Hauptstädten. Sein Neutralisierungsgedanke bewog in erster<br />

Linie die Regierungen znr Absendimg von Vertretern. (Nach Dunants Aufzeichnungen.<br />

— Siehe auch S. 97 u. ff.)


— 166 —<br />

alle drei bei dem Entwurf <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses schon zur<br />

Besprechung gelangen werden.<br />

Dr. Basting fürchtet, <strong>der</strong> verehrliche <strong>Genfer</strong> Ausschuss<br />

habe nicht recht begriffen, warum die zur .Konferenz Abgeordneten<br />

hier seien; er erinnert daran, dass er selbst in<br />

Berlin gewesen ist <strong>und</strong> gesehen hat, welchen Verlauf die<br />

Dinge nach <strong>der</strong> im Statistischen Kongresse stattgef<strong>und</strong>enen<br />

Abstimmung genommen haben; er hat die grosse Teilnahme<br />

gesehen, welche S. M. <strong>der</strong> König von Preussen uifd S. Exc.<br />

<strong>der</strong> Kriegsminister <strong>der</strong> Sache entgegenbrachten; unter an<strong>der</strong>em<br />

kann er versichern, dass S. Exc. <strong>der</strong> Kriegsminister ihm hat<br />

sagen lassen, <strong>der</strong> Punkt, <strong>der</strong> ihn am meisten interessiert<br />

habe, sei gerade <strong>der</strong> zweite Punkt dieses Berliner "Vorschlags,<br />

<strong>und</strong> jetzt hört er zu seiner grossen Ueberraschung, dass <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Ausschuss gar nicht beabsichtige, diesen zur Verhandlung<br />

zu bringen. 1 )<br />

Der Vorsitzende, Herr Moynier, erwi<strong>der</strong>t, Dr. Basting<br />

habe die soeben gegebene Erklärung nicht recht verstanden,<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschuss habe nie beabsichtigt, die drei Berliner<br />

Punkte <strong>der</strong> Erörterung zu entziehen; ganz im Gegenteil! er<br />

habe sie ja in den Uebereinkommensentwurf aufgenommen,<br />

welchen er <strong>der</strong> Konferenz vorgelegt habe, <strong>und</strong> über welchen<br />

diese im Augenblick berate. „Nur glaubt er, da er die Zeit<br />

sparen <strong>und</strong> nicht über ein- <strong>und</strong> denselben Gegenstand zweimal<br />

l ) Siehe S. 87. — Der französische Wortlaut <strong>der</strong> drei Artikel ist:<br />

„1) que chaque Gouvernement de l'Europe daigne aceor<strong>der</strong> sa protection<br />

speciale et son haut patronage au Coinite general national qui doit<br />

etre cree dans chacune <strong>des</strong> eapitales. de l'Europe, et qui sera compose <strong>des</strong><br />

personnes les plus honorables et les plus estimees.<br />

n2) que ces memes gouvernements declarent que <strong>des</strong>ormais le personnel<br />

medical militaire et ceux qui en dependent, y compris les secoureurs<br />

volontaires reconnus, seront regar<strong>des</strong> comme personnes lieutres<br />

par les Puissances belligerantes.<br />

„3) qne, en temps de guerre, les Gouvernements s'engagent faciliter<br />

les moyens de transport du personnel et <strong>des</strong> provisions charitables<br />

qne ces Societes enverront dans les pays envahis par la guerre."


- 167 —<br />

hinter einan<strong>der</strong> verhandeln lassen möchte, dass die Frage<br />

<strong>der</strong> drei Punkte durch die über den Uebereinkommensentwurf<br />

stattfindende Verhandlung genügend erörtert <strong>und</strong> gelöst würde.<br />

In <strong>der</strong> That ist einer von diesen drei Punkten in einem Abän<strong>der</strong>ungsvorschlag<br />

enthalten, welcher schon auf dem Geschäftstisch<br />

nie<strong>der</strong>gelegt ist <strong>und</strong> folglich demnächst <strong>der</strong> Versammlung<br />

vorgelegt werden wird, <strong>und</strong> die beiden an<strong>der</strong>n sind<br />

formell in zwei Artikeln <strong>des</strong> Entwurfs eingeschlossen, <strong>der</strong><br />

sich in den Händen <strong>der</strong> Herrn Abgesandten befindet." 1 )<br />

Herr de Preval aus Paris schlägt vor, die Konferenz<br />

möchte ausser den Beschlüssen auch noch Wünsche<br />

aussprechen.<br />

Dr. Löffler schlägt vor, den Wunsch auszusprechen, die<br />

Regierungen möchten erklären, dass künftig das militärische<br />

Heilpersonal <strong>und</strong> die von diesem abhängigen Personen einschliesslich<br />

<strong>der</strong> freiwilligen Krankenpfleger als neutrale<br />

Personen angesehen werden.<br />

Der Vorsitzende Moynier erinnert daran, dass die Vorschläge<br />

<strong>der</strong> Herren de Preval <strong>und</strong> Dr. Löffler später ihre<br />

Stelle finden werden, wenn die Konferenz sich mit den verschiedenen<br />

Wünschen beschäftigen werde, welche sie den<br />

europäischen Regierungen gegenüber zu formulieren in <strong>der</strong><br />

Lage sein werde.<br />

Herr Dr. Briere (Schweiz) spricht den Wunsch aus,<br />

den Verw<strong>und</strong>eten möchte Hilfe geleistet werden, gleichviel<br />

welcher Partei sie angehören; diejenigen, welche ihnen beistehen,<br />

sollen als unter beson<strong>der</strong>em Schutze stehend angesehen<br />

<strong>und</strong> nicht gefangen genommen werden; alle Spitäler<br />

<strong>und</strong> Militärfeldlazarette <strong>der</strong> verschiedenen Völker sollen dieselbe<br />

Flagge 2 ) bekommen, <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Ort, wo diese aufgepflanzt<br />

sei, eine unverletzliche Freistätte sein; endlich solle<br />

*) Compte-rendn, S. 112, 113 u. 114.<br />

2 ) Diese einheitliche Flagge hatte Dunant in Berlin vorgeschlagen,<br />

aber auf Veranlassung Dr. Basting's in seinem B<strong>und</strong>schreiben nichts davon<br />

erwähnt, damit es nicht aussehen sollte, als verlange er zu viel.


— 168 —<br />

ein-<strong>und</strong> dasselbe Unterscheidungszeichen, wenn möglich<br />

eine Uniform von beson<strong>der</strong>er Farbe, o<strong>der</strong> sonst ein leicht<br />

erkennbares Abzeichen dem Militärsanitätscorps, wenigstens in<br />

jedem Heere, verliehen werden.<br />

Dr. Unger aus Wien lenkt die Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />

Versammlung auf die Thatsache, dass auf dem Schlachtfeld<br />

die Hilfeplätze, wo man die Waffen nie<strong>der</strong>legt, um die Verw<strong>und</strong>eten<br />

zu pflegen, selbst in den Augen <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> unverletzlich<br />

sein müssen; aber hiezu ist es nötig, eine internationale<br />

Flagge von beson<strong>der</strong>er Farbe aufzupflanzen,<br />

<strong>und</strong> da die Konferenz das Weiss mit dem roten Kreuz gewählt<br />

hat, um die freiwilligen Krankenpfleger zu bezeichnen,<br />

so müssen auch künftig alle Plätze, wo sich Verw<strong>und</strong>ete <strong>und</strong><br />

Aerzte befinden, durch diese Farbe kenntlich gemacht sein.<br />

Allerdings haben jetzt alle Nationen eine Flagge zur Bezeichnung<br />

ihrer Feldlazarette, aber bei je<strong>der</strong> hat diese Flagge<br />

eine verschiedene Farbe: in Oesterreich ist sie weiss, in<br />

Frankreich rot, in Spanien gelb, an<strong>der</strong>swo schwarz, <strong>und</strong> die<br />

Soldaten <strong>der</strong> einan<strong>der</strong> gegenüberstehenden Heere kennen nur<br />

die Farbe ihrer eigenen Feldlazarette. Dies stünde an<strong>der</strong>s,<br />

wenn über den Feldlazaretten aller europäischen Heere unterschiedslos<br />

eine weisse Fahne mit rotem Kreuze wehte. —<br />

Gleichwohl soll nach <strong>der</strong> Ansicht Dr. Unger's dem Feinde<br />

das Recht verbleiben, die Militärärzte gefangen zu nehmen;<br />

er soll jedoch <strong>der</strong>en Person achten, <strong>und</strong> die auf dem Kampfplatz<br />

liegende Hilfestätte, das Feldlazarett <strong>und</strong> das weiter<br />

zurückliegende Spital sollen durch das Abzeichen <strong>der</strong> internationalen<br />

Flagge neutralisiert werden.<br />

Dr. Maunoir kann den Gr<strong>und</strong> nicht recht billigen, aus<br />

dem Dr. Unger die Neutralisierung <strong>der</strong> Sanitätscorps<br />

für unannehmbar hält. Er betont die vollständige Harmlosigkeit<br />

<strong>der</strong> Neutralisierung <strong>des</strong> Sanitätsdienstes; nur möchte<br />

er die Sache folgen<strong>der</strong>massen abgefasst wissen: „Vor ihrem<br />

Auseinan<strong>der</strong>tritt spricht die Konferenz einstimmig folgenden<br />

Wunsch aus: es möchten die verschiedenen Staaten Europas


— 169 —<br />

sich ins Einvernehmen setzen, um die Neutralisierung <strong>der</strong>jenigen<br />

Personen auszusprechen, welche zum Ges<strong>und</strong>heitsdienst<br />

<strong>der</strong> im Felde stehenden Heere gehören, <strong>und</strong> in diese Neutralisierung<br />

solle nicht nur das aktive Sanitätspersonal<br />

inbegriffen sein, son<strong>der</strong>n ebenso die freiwilligen Krankenpfleger-Abteilungen,<br />

die Bevölkerungen, die sich<br />

an <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten beteiligen sollten, <strong>und</strong> die<br />

Verw<strong>und</strong>eten selbst. Die Konferenz ist <strong>der</strong> Ansicht, diese<br />

Bestimmung, gegen die man in keiner Weise den Einwand<br />

erheben könnte, dass sie auf die Ergebnisse <strong>des</strong> Krieges irgend<br />

welchen Einfluss auszuüben vermöchte, wäre würdig<br />

eines Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>des</strong> Fortschritts <strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschlichkeit.<br />

Sie beauftragt ganz beson<strong>der</strong>s diejenigen ihrer Teilnehmer,<br />

die bei ihrem Abgang nach Genf von ihren Regierungen bestimmte<br />

Weisungen erhalten haben, bei den Behörden ihres<br />

Lan<strong>des</strong>, innerhalb <strong>der</strong> Grenzen ihrer Befugnisse, achtungsvoll<br />

darauf zu dringen, dass dieser Wunsch in ernstliche Erwägung<br />

gezogen werde <strong>und</strong> dass ein einheitliches Abzeichen<br />

die zum Ges<strong>und</strong>heitsdienst gehörigen Personen aller<br />

Heere erkennen lasse."<br />

Der von dem Vorsitzenden, Herrn Moynier, vorbereitete<br />

<strong>und</strong> während dieser vierten Sitzung vom 29. Oktober mitgeteilte<br />

Entwurf <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Konferenz vor ihrem Auseinan<strong>der</strong>tritt<br />

auszusprechenden Wünsche 1 ) lautete folgen<strong>der</strong>massen:<br />

„Unabhängig von diesen Beschlüssen spricht die Konferenz<br />

folgende Wünsche aus:<br />

„A. Dass die Regierungen den sich bildenden Hilfsausschüssen<br />

ihren hohen Schutz angedeihen lassen, <strong>und</strong> dass<br />

sie ihnen so viel als möglich die Erfüllung ihrer Aufgabe<br />

erleichtern.<br />

„B. Dass die Neutralisierung <strong>der</strong> Ambulanzen <strong>und</strong> Militärspitäler<br />

in Kriegszeiten von den kriegführenden Nationen<br />

') Compte-renda, p. 131 f.


— 170 —<br />

ausgesprochen <strong>und</strong> auch in vollstem Umfange auf das offizielle<br />

Sanitätspersonal, die freiwilligen Helfer, die Einwohner <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong>, welche den Verw<strong>und</strong>eten Hilfe leisten, <strong>und</strong> endlich<br />

auf die Verw<strong>und</strong>eten selbst ausgedehnt werde.<br />

„C. Dass eine gleiche Uniform o<strong>der</strong> ein gleiches Erkennungszeichen<br />

für die Sanitätscorps aller Heere, o<strong>der</strong> wenigstens<br />

für diejenigen Personen eines <strong>und</strong> <strong>des</strong>selben Heeres,<br />

welche diesem Dienste beigegeben sind, angenommen werde.<br />

„Dass auch in allen Län<strong>der</strong>n eine gleiche Fahne für die<br />

Ambulanzen <strong>und</strong> Spitäler angenommen werde."<br />

Dr. Landa glaubt, da es sich einmal darum handle,<br />

einen Wunsch auszusprechen, so müsse man dies so vollständig<br />

als möglich thun, <strong>und</strong> er dankt dem Ausschusse dafür, dass<br />

er dies gethan habe, indem er zu den Personen, für die er die<br />

Neutralisierung verlangt, die Verw<strong>und</strong>eten hinzufügte. ..<br />

Dr. Landa erwähnt ferner die Thatsache, dass bei manchen<br />

Anlässen feindliche Heerführer gegenseitig den Verw<strong>und</strong>eten<br />

die Freiheit geschenkt haben. Man habe hinsichtlich dieses<br />

Punktes die diplomatische Uebereinkunft zwischen Preusseu<br />

<strong>und</strong> Frankreich aus dem vorigen Jahrh<strong>und</strong>ert zur Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> sanitären Hilfeleistungen angeführt; dieser Vertrag<br />

sei keine vereinzelte Thatsache, die Geschichte liefere ähnliche<br />

Beispiele aus noch viel früheren Zeiten.<br />

Dr. Boudier meint, man müsse die Neutralisierung erreichen<br />

<strong>und</strong> ganz beson<strong>der</strong>s, wie Dr. Maunoir dies gethan<br />

habe, darauf bestehen, dass die Bevölkerungen sich den<br />

Sanitätsoffizieren nicht feindselig zeigen, son<strong>der</strong>n zu ihrer<br />

Unterstützung mitwirken. Selbst beim italienischen Feldzuge<br />

haben auf Seiten <strong>des</strong> französischen Heeres die Bewohner<br />

Wi<strong>der</strong>stand geleistet; schuld daran sei einmal die natürliche<br />

Furcht vor <strong>der</strong> Ausplün<strong>der</strong>ung, sodann, im Fall eines erneuten<br />

angreifenden Vorgehens <strong>des</strong> Gegners, die Furcht vor <strong>der</strong> Anklage,<br />

die feindliche Partei begünstigt zu haben. Es empfehle sich,<br />

dass künftig jede Regierung den Bevölkerungen begreiflich<br />

mache, dass die Verweigerung <strong>der</strong> Hilfe gegenüber den mili-


— 171 —<br />

tärischen Sanitätsoffizieren in den Augen <strong>der</strong> Behörden strafbar<br />

sei, nicht aber das Gegenteil.<br />

Gegenüber den Bedenken Dr. Löffler's, die Regierungen<br />

könnten in <strong>der</strong> Mitwirkung <strong>der</strong> Bevölkerung (vgl.<br />

unter B.: „die Einwohner <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, welche den Verwun-,<br />

deten Hilfe leisten") eine grosse Quelle <strong>der</strong> Spionage befürchten,<br />

führt Herr de Preval aus, man dürfe die Möglichkeit<br />

<strong>der</strong>selben nicht übertreiben.. „Was soll man zwischen<br />

zwei sich schlagenden Heeren ausspionieren, wo es selbst für<br />

Offiziere, die ein Kommando ausüben, in diesem Augenblick<br />

so schwer ist zu wissen, was überhaupt vorgeht?" An<strong>der</strong>erseits<br />

hält es de Preval für nützlich, die Einwohner hinsieht-,<br />

lieh <strong>der</strong> Gefahr, später im Fall eines Wechsels <strong>der</strong> Ereignisse<br />

verfolgt zu werden, zu beruhigen; sie werden dann<br />

weniger fliehen, <strong>und</strong> es wird leichter werden, z. B. die Beför<strong>der</strong>ungsmittel<br />

zu finden, die man vor allem braucht.<br />

Nachdem die drei „Wünsche", wie zuvor schon die<br />

drei einzelnen Artikel <strong>des</strong> ursprünglichen Uebereinkommensentwurfs<br />

mit den im Laufe <strong>der</strong> Verhandlungen für nötig gef<strong>und</strong>enen<br />

verhältnismässig unbedeutenden Abän<strong>der</strong>ungen<br />

von <strong>der</strong> Versammlung angenommen worden sind, eröffnet <strong>der</strong><br />

Vorsitzende die Besprechung über die Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />

die von <strong>der</strong> Versammlung gefassten Beschlüsse auf das Gebiet<br />

<strong>der</strong> Thatsachen überzuführen seien. Bei dieser Gelegenheit<br />

teilt S. H. <strong>der</strong> Prinz von Reuss <strong>der</strong> Konferenz einige<br />

Einzelheiten über die Einrichtung <strong>des</strong> Johanniterordens<br />

von Jerusalem mit:<br />

„Es ist die Pflicht je<strong>des</strong> Ordensmitglie<strong>des</strong>, sich <strong>der</strong> Tröstung<br />

<strong>der</strong> Kranken zu widmen. — Im Frieden finden sie Gelegenheit<br />

hiezu in <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> Ordensspitäler. Zur Zeit<br />

besitzt <strong>der</strong> Orden in Preussen 18 Spitäler mit 521 Betten,<br />

welche von verschiedenen Rittern geleitet werden; in den<br />

an<strong>der</strong>en deutschen Län<strong>der</strong>n unterstützt er sieben Spitäler; in<br />

Beirut endlich besitzt er ein Spital mit 45 Betten <strong>und</strong> hat


— 172 —<br />

soeben zum Bau einer weiteren Anstalt ein Gr<strong>und</strong>stück in<br />

<strong>der</strong> Nähe <strong>des</strong> Hafens erworben. Zur Zeit <strong>der</strong> Christenmetzeleien<br />

in Syrien hatte <strong>der</strong> Orden drei Ritter <strong>und</strong> einen Arzt<br />

in dieses Land geschickt, um den armen Opfern zu Hilfe zu<br />

kommen <strong>und</strong> ein Spital zu gründen, das seitdem fortbesteht.<br />

Als im Jahre 1859 <strong>der</strong> Krieg auszubrechen drohte, hatte <strong>der</strong><br />

Orden fiirdenKriegsfall folgende V orkehrungen getroffen:<br />

Ein Commendator (Komtur) <strong>des</strong> Ordens begiebt sich mit<br />

einem Feldlazarett von 100 Betten auf den Kriegsschauplatz.<br />

Zu diesem Zweck ist das Personal <strong>und</strong> das Material eines<br />

ganzen ständigen Spitals zu dem Heere zu verbringen. Die<br />

Oberin <strong>der</strong> Diakonissinnen von Bethanien hatte so viele<br />

Schwestern versprochen, als man zum Dienst in diesem Spitale<br />

brauchen würde, <strong>und</strong> Herr Wichern aus Hamburg hatte<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Krankenpfleger ein ähnliches Versprechen<br />

gegeben. Ueberdies hatte <strong>der</strong> Orden über eine Summe von<br />

40 000 Thalern zur Befriedigung <strong>der</strong> ersten Bedürfnisse zu<br />

verfügen. Alle Bitter, welche nicht auf einen thätigen Posten<br />

berufen sind, bieten sich zu beson<strong>der</strong>en Dienstleistungen an.<br />

Auf dem Kriegsschauplatz übernimmt <strong>der</strong> Commendator von<br />

seiten <strong>des</strong> Ordens die Leitung seiner Anstalten <strong>und</strong> ihres<br />

Personals. Alle Ordensritter sind ihm zum Gehorsam verpflichtet,<br />

<strong>und</strong> er verfügt über die Diakonen, Diakonissinnen<br />

<strong>und</strong> Wärter. Alle die Ambulanzen betreffenden Sendungen<br />

werden an ihn gerichtet <strong>und</strong> die Ordenskasse steht ihm zur<br />

Verfügung. Er bildet unter dem Befehl <strong>der</strong> Bitter stehende<br />

Wärterkompagnien, welche auf Verlangen auf dem Schlachtfelde<br />

in Thätigkeit treten: ein Bitter ist mit <strong>der</strong> Aufsicht,<br />

mit <strong>der</strong> Herbeischaffung <strong>der</strong> nötigen Arzneimittel <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Verbandzeugs <strong>und</strong> mit dem Briefwechsel <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

betraut.<br />

In je<strong>der</strong> Provinz soll sich ein Commendator befinden.<br />

Dieser stellt seine Spitäler den Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong><br />

Genesenden zur Verfügung, die sobald als möglich dorthin<br />

verbracht werden. Er stellt sich an die Spitze eines Ans-


— 173 —<br />

sclnisses, welcher Geld, Verbandzeug u. s. w. sammelt, um<br />

alles auf den Kriegsschauplatz an den dort befindlichen Commendator<br />

o<strong>der</strong> an die Provinzialspitäler zu schicken. Alle<br />

Ritter <strong>und</strong> ihre Frauen veranstalten Sammlungen in ihren<br />

betreifenden Bezirken. Die Bitter <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Län<strong>der</strong> haben<br />

den Auftrag, dasselbe zu thun. — Nach diesen Angaben sieht<br />

man also, dass <strong>der</strong> Orden jetzt die Stelle <strong>des</strong> Ausschusses<br />

einnehmen könnte, um <strong>des</strong>sen Gründung es sich handelt, indem<br />

er so viele Sektionen als möglich neben sich ins Leben treten<br />

liesse. — Die regelmässigen Einkünfte <strong>des</strong> Ordens bestehen<br />

in dem Eintrittsgeld <strong>und</strong> dem Jahresbeitrag eines jeden'Mitglie<strong>des</strong>."<br />

Herr Essakoff macht in einem vor seiner Abreise an<br />

den Schriftführer <strong>des</strong> Ausschusses gerichteten Briefe über<br />

die Thätigkeit <strong>der</strong> freiwilligen russischen Pflegerinnen<br />

während<strong>des</strong> Orientkriegs unter <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong><br />

Grossfürstin Helena Paulowna interessante Mitteilungen,<br />

<strong>der</strong>en Inhalt im Auszuge folgen<strong>der</strong> ist:<br />

Der Kampf, <strong>des</strong>sen Schauplatz die Krim in den Jahren<br />

1854—56 war, gab gleichfalls Gelegenheit, in Russland die<br />

Erfahrung zu machen, wie wenig die von <strong>der</strong> Militärsanitätsverwaltung<br />

angewandten Mittel, <strong>und</strong> ihre Hilfsmittel in Kriegszeiten<br />

genügten, um den Verw<strong>und</strong>eten die nötige Hilfe zuzuwenden,<br />

gegenüber den infolge <strong>der</strong> stetig fortschreitenden<br />

Vernichtungsmittel immer grösser werdenden Verlusten. Die<br />

Frau Grossfürstin Helena Paulowna sah gleich anfangs,<br />

wie man sich den Eifer <strong>und</strong> den guten Willen von<br />

Personen, "die dem Heere ferne stünden, zu nutze machen<br />

könnte, um dem Mangel abzuhelfen. Ein unmittelbarer Aufruf<br />

wandte sich an die im Herzen <strong>des</strong> weiblichen Geschlechtes<br />

so entwickelten Gefühle christlicher Nächstenliebe. Durch<br />

thatkräftigen Willen, glücklich ausgedachte Anordnungen <strong>und</strong><br />

die allseitig diesem edeln Ziele entgegengebrachte lebhafte<br />

Teilnahme wurden alle Hin<strong>der</strong>nisse überw<strong>und</strong>en.<br />

Durch die Bemühungen <strong>der</strong> Grossfürstin <strong>und</strong> unter ihrer


— 174 —<br />

Leitung bildete sich in dem kurzen Zeitraum von wenigen<br />

Monaten eine Gemeinschaft von Schwestern „<strong>der</strong> Kreuzerhöhung",<br />

wie sie sich nannte, die in den Jahren 1854,<br />

55 <strong>und</strong> 56 mehr als zweih<strong>und</strong>ert Schwestern in die Krim<br />

aussandte, welche dem Heere als Krankenpflegerinnen beigegeben<br />

wurden. Ein Feldprediger <strong>und</strong> sechs im Dienste <strong>der</strong><br />

Gemeinschaft stehende Äerzte begleiteten sie. Mehrere von<br />

diesen aufopfernden Frauen erlagen den Beschwerden <strong>und</strong><br />

den Krankheiten, welchen sie zu trotzen hatten.<br />

Trotz verschiedener Vorurteile, die sich im Anfang erhoben<br />

hatten, erwarben sich die Schwestern <strong>der</strong> Kreuzerhöhung<br />

bald die berechtigtsten Ansprüche auf Dankbarkeit,<br />

<strong>und</strong> dieses Gefühl fand in den Reihen <strong>der</strong> Soldaten, in<br />

den Briefen, in den Lagern <strong>und</strong> endlich in den Pressorganen<br />

einen begeisterten <strong>und</strong> einstimmigen Ausdruck.<br />

Obwohl im Gr<strong>und</strong>satz nur für die Dauer <strong>des</strong> Kriegs gegründet,<br />

überlebte ihn diese Einrichtung. Einige <strong>der</strong> von<br />

<strong>der</strong> Krim zurückgekehrten Schwestern beschlossen, sich dauernd<br />

ihrem Werke zu widmen, <strong>und</strong> bildeten den Gr<strong>und</strong>stock einer<br />

Gemeinschaft religiösen Charakters, jedoch unter Wahrung<br />

ihrer Unabhängigkeit gegenüber <strong>der</strong> kirchlichen Behörde. In<br />

Friedenszeiten hat diese Gemeinschaft ihre ursprünglich<br />

dem Heere gewidmete Hilfe auch auf die Krankenhäuser<br />

übertragen; die Schwestern bedienen hauptsächlich zwei<br />

Militärspitäler <strong>und</strong> drei den bürgerlichen Behörden unterstellte<br />

Krankenhäuser. Zur Zeit zählt die Gemeinschaft 75<br />

barmherzige Schwestern, welchen ein Berufseid die Pflicht<br />

auferlegt, sich ein Jahr lang ohne Entschädigung <strong>und</strong> ohne<br />

irgend welche ehrende Auszeichnung ausschliesslich dem<br />

Dienste <strong>der</strong> Kranken <strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>eten zu widmen. Nach<br />

Ablauf dieses Jahres können sie eine neue Verpflichtung eingehen.<br />

Zur Gemeinschaft werden nur Frauen von 20 bis zu<br />

40 Jahren zugelassen; die Novizen haben unter Leitung <strong>der</strong><br />

Oberin eine Lehrzeit von einem halben bis zu einem ganzen<br />

Jahre durchzumachen.


— 175 —<br />

Die Einrichtung hat ihren Sitz in einem geräumigen<br />

Gebäude, welches sie <strong>der</strong> Freigebigkeit ihrer erlauchten Stifterin<br />

verdankt, <strong>und</strong> hat unmittelbar unter sich ein Frauenspital,<br />

eine Schule für Mädchen aus bedürftigen Familien,<br />

ein Lazarett zur unentgeltlichen Behandlung von Kranken<br />

aus <strong>der</strong> Stadt, <strong>und</strong> eine von Dürftigen unentgeltlich zu benutzende<br />

Apotheke. Im Laufe <strong>des</strong> Jahres 1862 wurden<br />

14 000 Personen im Lazarett behandelt, welches so für die<br />

Novizen <strong>der</strong> Gemeinschaft eine wertvolle praktische Schule<br />

bildet.<br />

Bei dem Ausbrach <strong>der</strong> leidigen Bewegungen in Polen<br />

hatte die Frau Grossfürstin den Gedanken, <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

zeitweilige Freiwillige zuzugesellen; durch das Lesen <strong>des</strong><br />

Buches <strong>des</strong> Herrn Dunant in diesem Gedanken bestärkt, führte<br />

sie ihn mit vollständigem Erfolge aus. Viele freiwillige Pflegerinnen<br />

sind jetzt den Schwestern, welche die Frau Grossfürstin<br />

auf den Schauplatz <strong>des</strong> Aufstan<strong>des</strong> zu schicken sich<br />

beeilte, <strong>und</strong> die dort den polnischen Verw<strong>und</strong>eten wie den<br />

russischen Soldaten die aufmerksamste Pflege angedeihen lassen,<br />

dorthin gefolgt.<br />

Unabhängig von den Schwestern <strong>der</strong> Kreuzerhöhung<br />

bestehen in St. Petersburg <strong>und</strong> in Moskau zwei Gemeinschaften,<br />

die sogenannten Witwen <strong>der</strong> Barmherzigkeit,<br />

die von <strong>der</strong> verstorbenen Kaiserin Maria Feodorowna, <strong>der</strong><br />

Grossmutter S. M. <strong>des</strong> regierenden Kaisers, gestiftet wurden,<br />

<strong>und</strong> die gleichfalls einen edelmütigen Anteil an dem Dienst<br />

in den Lazaretten in <strong>der</strong> Krim genommen haben. Ein fünfzehnjähriger<br />

Dienst in den Krankenhäusern o<strong>der</strong> in den Wohnungen<br />

<strong>der</strong> Kranken verschafft ihnen eine bescheidene Pension.<br />

Endlich sind in den beiden Hauptstädten zwei Schulen<br />

zur Unterweisung von Krankenpflegern <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ärzten in<br />

Thätigkeit, die eintretendenfalls für die Schulung freiwilliger<br />

Krankenpfleger sich nützlich erweisen könnten."<br />

Dr. Landa erklärt, die vertretenen Regierungen hätten<br />

ihren guten Willen gegenüber <strong>der</strong> Konferenz gezeigt; was


— 176 —<br />

die von <strong>der</strong> letzteren besprochenen <strong>und</strong> angenommenen Beschlüsse<br />

') betreffe, so sei die Versammlung zu einem<br />

annehmbaren Ergebnis gelangt; nunmehr liege es bei den<br />

Abgeordneten, als Privatpersonen das begonnene Werk nach<br />

Kräften zu för<strong>der</strong>n, sei es durch Veröffentlichungen in <strong>der</strong><br />

Presse, o<strong>der</strong> dadurch, dass sie einflussreiche Personen für<br />

ihre Sache zu gewinnen suchen.<br />

Dr. Basting ergreift hierauf das "Wort zu folgen<strong>der</strong><br />

Ansprache: 2 )<br />

„In Anbetracht <strong>der</strong> ausserordentlichen Wichtigkeit, die<br />

dem edelmütigen Vorgehen <strong>des</strong> Herrn Dunant <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft in <strong>der</strong> Frage über die<br />

den Verw<strong>und</strong>eten auf dem Schlachtfelde zu leistende Hilfe<br />

beigemessen werden muss, <strong>und</strong> in richtiger Würdigung <strong>des</strong><br />

mächtigen Wi<strong>der</strong>halls, den die von <strong>der</strong> Konferenz entworfenen<br />

Massregeln in allen Län<strong>der</strong>n im Schosse <strong>der</strong> bei<br />

dieser Frage am meisten beteiligten Klassen finden werden,<br />

schlage ich vor, dass die internationale Konferenz zum<br />

Schluss ihrer Arbeiten erkläre:<br />

dass Herr Henry Dunant, indem er durch seine ausdauernden<br />

Bestrebungen die internationale Erforschung<br />

<strong>der</strong> zu einer wirksamen Unterstützung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

auf dem Schlachtfelde anzuwendenden Mittel hervorrief,<br />

<strong>und</strong> die <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige Gesellschaft, indem sie dem<br />

edelmütigen Gedanken, <strong>der</strong> in Herrn Dunant seinen Dolmetscher<br />

gef<strong>und</strong>en, einen so kräftigen Stützpunkt verlieh,<br />

sich um die Menschheit wohl verdient <strong>und</strong> sich ein unbestreitbares<br />

Anrecht auf die allgemeine Dankbarkeit erworben<br />

haben."<br />

„Teilen Sie, meine Herrn," fugt Dr. Basting hinzu,<br />

„woran ich nicht zweifle, die von mir ausgesprochenen Gefühle,<br />

so wollen Sie sich zum Beweise dieser Billigung er-<br />

*) Siehe später.<br />

*) Compte-rendn, S. 144 f. — Lne<strong>der</strong>, S. 71.


— 177 —<br />

heben." — Die ganze Versammlung- erhebt sich alsbald. Herr<br />

Moynier dankt Herrn Dr. Basting <strong>und</strong> <strong>der</strong> Konferenz für<br />

eine so schmeichelhafte Erklärung im Namen <strong>der</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> fahrt fort:<br />

„Meine Herrn, bei <strong>der</strong> Eröffnung dieser Sitzung habe<br />

ich Ihnen dafür gedankt, dass Sie unserem Rufe folgten, aber<br />

ich fühle mich gedrungen, Ihnen den Ausdruck unserer Dankbarkeit<br />

jetzt zu wie<strong>der</strong>holen, nachdem ich den Wert <strong>der</strong> Mithilfe,<br />

die Sie uns geleistet haben, habe würdigen können,<br />

<strong>und</strong> wo ich mit Bestimmtheit sagen kann, dass wir nicht<br />

umsonst gearbeitet haben werden. Sie haben durch Ihr Ansehen<br />

die Ansichten <strong>des</strong> Ausschusses unterstützt, <strong>und</strong> unter<br />

Ihren Auspizien werden diese die E<strong>und</strong>e um die Welt machen.<br />

Je<strong>der</strong> von Ihnen wird sich, wie ich hoffe, nach seiner Rückkehr<br />

in die Heimat zum Echo <strong>der</strong> Konferenz machen, <strong>und</strong><br />

teils zur Ausführung <strong>der</strong> Massregeln, <strong>der</strong>en Zweckmässigkeit<br />

von uns einstimmig anerkannt worden ist, teils zur Verbreitung<br />

<strong>der</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen Gesinnungen, von denen wir<br />

alle Völker beseelt wissen möchten, unter seinen Landsleuten<br />

beitragen. — Wenn schon die soeben von uns gefassten Beschlüsse<br />

einen grossen Schritt nach dem uns vorgesteckten<br />

Ziele bedeuten, so wollen wir uns doch nicht verhehlen, dass<br />

das Schwierigste noch zu thun bleibt, <strong>und</strong> dass wir, nachdem<br />

wir einer Regung <strong>des</strong> Mitleids gefolgt sind, nun auch auf<br />

dem betretenen Wege fortschreiten müssen, damit unsere<br />

Entscheidungen nicht ein toter Buchstabe bleiben, <strong>und</strong> damit<br />

man beim ersten Kriegeszeichen unsere Hilfsausschüsse bei<br />

<strong>der</strong> Arbeit sehen <strong>und</strong> segnen kann. Möge das Bewusstsein<br />

<strong>des</strong> Guten, das wir durch dieses Mittel stiften, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Leiden,<br />

die wir den armen Verw<strong>und</strong>eten ersparen werden, eine Stütze<br />

für uns sein <strong>und</strong> uns Kraft zur Ueberwindung aller Hin<strong>der</strong>nisse<br />

geben."<br />

Der General Dufour dankt den Konferenzmitglie<strong>der</strong>n<br />

gleichfalls für den bewiesenen guten Willen <strong>und</strong> Eifer: „Sie<br />

haben, meine Herrn, ein Werk geschaffen, das seine Früchte<br />

12


— 178 —<br />

tragen wird; es gilt nun, dasselbe auszubreiten, <strong>und</strong> Sie<br />

werden alle, ich bin es überzeugt, nachdrücklich <strong>und</strong> erfolgreich<br />

für diesen Zweck wirken; empfangen Sie unsere Glückwünsche<br />

zu Ihrer Rückkehr in die Heimat.<br />

Aber ehe Sie uns verlassen, bitte ich Sie, sich mit mir<br />

zu vereinigen, um unserem lieben Vorsitzenden für die lichtvolle,<br />

ausgezeichnete Art zu danken, mit <strong>der</strong> er vier Tage<br />

lang die zuweilen ziemlich schwierigen Verhandlungen geleitet<br />

hat. Was mich inson<strong>der</strong>heit betriift, so bin ich ihm hiefür<br />

von ganzem Herzen dankbar. (Einmütiger Beifall.) Ich sehe<br />

hierin, meine Herrn, den Ausdruck <strong>der</strong> Befriedigung <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Beifalls für unsern Kollegen <strong>und</strong> Vorsitzenden, den ich von<br />

Ihnen zum Schluss dieser Zusammenkunft erwartete."<br />

Die Sitzung wird aufgehoben <strong>und</strong> die Konferenz geschlossen.<br />

Beschlüsse<br />

<strong>der</strong> internationalen Konferenz<br />

zu Genf.<br />

Die internationale Konferenz, beseelt von dem Wunsche,<br />

für die Fälle, wo <strong>der</strong> Militärsanitätsdienst nicht ausreicht,<br />

den Verw<strong>und</strong>eten zu Hilfe zu kommen, nimmt folgende Beschlüsse<br />

1 ) an:<br />

Art. 1. Es besteht in jedem Lande ein Ausschuss, <strong>des</strong>sen<br />

Aufgabe es ist, in eintretenden Kriegszeiten mit allen in<br />

seiner Macht stehenden Mitteln bei dem Sanitätsdienst <strong>der</strong><br />

Heere mitzuwirken.<br />

Dieser Ausschuss bildet sich selbst in <strong>der</strong> Art <strong>und</strong> Weise,<br />

die ihm am nützlichsten <strong>und</strong> angemessensten erscheint.<br />

i) Deutscher Text nach Lne<strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Convention, S. 85 ff.


— 179 —<br />

Art. 2. Sektionen können sich in unbeschränkter Zahl<br />

zur Unterstützung dieses Ausschusses bilden, welchem die<br />

Oberleitung zusteht.<br />

Art. 3. Je<strong>der</strong> Ausschuss muss sich mit <strong>der</strong> Regierung<br />

seines Lan<strong>des</strong> in Verbindung setzen, auf dass seine Dienstanerbietungen<br />

eintretendenfalls angenommen werden.<br />

Art. 4. In Friedenszeiten beschäftigen sich die Ausschüsse<br />

<strong>und</strong> Sektionen mit dem was nötig ist, um sich im<br />

Kriege wahrhaft nützlich machen zu können, beson<strong>der</strong>s indem<br />

sie materielle Hilfsmittel aller Art vorbereiten <strong>und</strong> freiwillige<br />

Krankenpfleger zu bilden <strong>und</strong> zu unterrichten suchen.<br />

Art. 5. Im Kriegsfalle leisten die Ausschüsse <strong>der</strong> kriegführenden<br />

Nationen in dem Masse ihrer Kräfte ihren betreffenden<br />

Armeen Hilfe; beson<strong>der</strong>s organisieren sie die freiwilligen<br />

Krankenpfleger, setzen sie in Thätigkeit <strong>und</strong> lassen, im<br />

Einvernehmen mit <strong>der</strong> Militärbehörde, Lokale zur Verpflegung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten in Bereitschaft setzen.<br />

Sie können die Mitwirkung <strong>der</strong> Ausschüsse <strong>der</strong> neutralen<br />

Nationen in Anspruch nehmen.<br />

Art. 6. Auf den Euf o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Zustimmung <strong>der</strong><br />

Militärbehörde schicken die Ausschüsse freiwillige Helfer auf<br />

das Schlachtfeld. Sie stellen sie dann unter die Leitung <strong>der</strong><br />

militärischen Führer.<br />

Art. 7. Die freiwilligen Helfer, die in <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Nähe <strong>der</strong> Armeen verwendet werden, müssen durch ihre betreffenden<br />

Ausschüsse mit allem versehen werden, was zu<br />

ihrem Unterhalt nötig ist.<br />

Art. 8. Sie tragen in allen Län<strong>der</strong>n, als gleichförmiges<br />

Erkennungszeichen, eine weisse Armbinde mit einem roten<br />

Kreuz.


— 180 —<br />

Art. 9. Die Ausschüsse <strong>und</strong> Sektionen <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong> können sich in internationalen Kongressen versammeln,<br />

um sich ihre Erfahrungen mitzuteilen <strong>und</strong> sich über die zum<br />

Besten <strong>der</strong> Sache zu ergreifenden Massregeln zu verständigen,<br />

Art. 10. Der Austausch <strong>der</strong> Mitteilungen zwischen den<br />

Ausschüssen <strong>der</strong> verschiedenen Nationen geschieht provisorisch<br />

durch die Vermittlung <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses.<br />

Unabhängig von den vorstehenden Beschlüssen spricht<br />

die Konferenz folgende Wünsche aus:<br />

A. Dass die Regierungen den sich bildenden Hilfsausschüssen<br />

ihren hohen Schutz angedeihen lassen <strong>und</strong> dass sie<br />

ihnen so viel als möglich die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern.<br />

B. Dass in Kriegszeiten von den kriegführenden Nationen<br />

die Neutralisation <strong>der</strong> Ambulanzen <strong>und</strong> Spitäler ausgesprochen<br />

<strong>und</strong> auch auf die vollständigste Weise auf das offizielle<br />

Sanitätspersonal, die freiwilligen Helfer, die Einwohner<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, welche den Verw<strong>und</strong>eten Hilfe leisten, <strong>und</strong> endlich<br />

auf die Verw<strong>und</strong>eten selbst ausgedehnt werde.<br />

C. Dass ein gleiches Erkennungszeichen für die Sanitätscorps<br />

aller Heere, o<strong>der</strong> wenigstens für diejenigen Personen<br />

<strong>der</strong>selben Armee, welche diesem Dienst beigegeben sind, angenommen<br />

werde.<br />

Dass auch eine gleiche Fahne in allen Län<strong>der</strong>n für die<br />

Ambulanzen <strong>und</strong> Spitäler angenommen werde.<br />

Genf, Oktober 1863.<br />

Der Schriftführer <strong>der</strong> Konferenz<br />

J. Henry Dunant.


— 181 —<br />

„Die Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> die Wichtigkeit <strong>der</strong><br />

Vorschläge <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses", sagt Lue <strong>der</strong>, „wurden<br />

wie die Unzulänglichkeit <strong>des</strong> bisherigen Sanitätswesens allgemein<br />

anerkannt, namentlich die Konferenz auch <strong>der</strong> warmen<br />

Teilnahme <strong>der</strong> sie beschickt habenden Regierungen, Souveräne<br />

etc. vielfach versichert." — Die Abgesandten, beson<strong>der</strong>s<br />

die deutschen, hatten sich lebhaft an den Verhandlungen beteiligt.<br />

Sie verdienen es, mit als die Begrün<strong>der</strong> dieses ganz<br />

neuen Werks bezeichnet zu werden, welches das Völkerrecht<br />

um den Gr<strong>und</strong>satz bereichert hat, dass die Nächstenliebe keine<br />

Grenzen <strong>der</strong> Nationalität mehr kennt. Grosses Gewicht bei<br />

den Abgesandten, wie zuvor schon bei den Begierungen, die<br />

sich hatten vertreten lassen, hatte <strong>der</strong> Name <strong>des</strong> ehrwürdigen<br />

Generals Dufour. Obwohl dieser sich persönlich lebhaft an<br />

den Verhandlungen beteiligte, überliess er den Vorsitz Herrn<br />

Moynier, <strong>der</strong> sich seiner schwierigen Aufgabe mit Auszeichnung<br />

<strong>und</strong> hervorragendem Geschick entledigte. Die Doktoren<br />

Theodore Maunoir <strong>und</strong> Louis Appia spielten<br />

eine wichtige Kolle bei den Verhandlungen <strong>und</strong> übten durch<br />

ihre Thätigkeit einen wirksamen Einfluss auf den Gang <strong>der</strong>selben<br />

aus. Dun an t enthielt sich absichtlich je<strong>der</strong> Beteiligung<br />

an den Verhandlungen, da er sich, wie er sich an<br />

an<strong>der</strong>n Orten äussert, in den' Augen seiner Kollegen von <strong>der</strong><br />

Versammlung nicht zu sehr in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> drängen<br />

wollte. Er fühlte sich Herrn Moynier <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft für ihre warme Anteilnahme an<br />

<strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> freiwilligen Helfer <strong>und</strong> <strong>der</strong> ständigen Hilfsausschüsse<br />

zu grossem Dank verpflichtet. Ferner erkannte<br />

er dankbar die wirksame <strong>und</strong> hochherzige Unterstützung an,<br />

welche die Herrn Dr. Basting <strong>und</strong> Dr. Löffler seinem<br />

Wunsch zu teil werden liessen, jenen Gedanken eines „internationalen,<br />

vertragsmässigen <strong>und</strong> geheiligten Gr<strong>und</strong>satzes",<br />

von dem er in seiner „Erinnerung an Solferino" sprach, <strong>der</strong><br />

sodann in Berlin greifbare Gestalt gewann <strong>und</strong> schliesslich,<br />

wie die Annahme einer internationalen Flagge für die Ver-


— 182 —<br />

w<strong>und</strong>eten, dazu bestimmt war, die Seele <strong>der</strong> künftigen <strong>Genfer</strong><br />

Konvention zu werden, diplomatisch formuliert zu sehen. Im<br />

übrigen war Dunant, wie er selbst gesteht, kein Eedner.<br />

Wie in Berlin während <strong>des</strong> Statistischen Kongresses, trug<br />

er zum Gelingen <strong>des</strong> Werkes mehr durch persönliche Unterredungen<br />

mit den Abgesandten bei, als durch eigentliche<br />

Reden. Seine Gedanken kannte man ja; den einer einheitlichen<br />

Uniform für die freiwilligen Krankenpfleger gab er auf<br />

<strong>und</strong> schloss sich dem von General Dufour gemachten Vorschlag<br />

eines „unterscheidenden Abzeichens" an. Wir dürfen<br />

wohl sagen, dass es ganz beson<strong>der</strong>s die persönlichen Schritte<br />

<strong>und</strong> die Besuche Dunants bei den betreffenden Höfen <strong>und</strong><br />

Regierungen waren, welche zur Absendung <strong>der</strong> offiziellen<br />

Vertreter Preussens, <strong>des</strong> Johanniterordens von Jerusalem,<br />

Badens, Bayerns, Hannovers, Hessen-Darmstadts, Sachsens,<br />

Frankreichs <strong>und</strong> Spaniens führten. General Dufour trug durch<br />

seine Schritte zum Erscheinen <strong>der</strong> französischen Abgesandten<br />

bei, <strong>und</strong> ausserdem war er es, <strong>der</strong> nebst Moynier den Schweizer<br />

Bun<strong>des</strong>rat veranlasste, sich auf <strong>der</strong> Konferenz vertreten zu<br />

lassen.<br />

Als Einzelheiten von untergeordnetem Interesse können wir noch beifügen,<br />

dass in <strong>der</strong> Tagesordnung <strong>der</strong> Internationalen Konferenz für den<br />

26., 27. <strong>und</strong> 28. Oktober Sitzungen im Athenäum von 9—12 <strong>und</strong> von 2—5<br />

Uhr anberaumt waren. Diese Tagesordnung wurde schon am zweiten Tage<br />

abgeän<strong>der</strong>t: die Sitzungen vom Dienstag dem 27., Mittwoch dem 28. <strong>und</strong><br />

Donnerstag dem 29. Oktober wurden nachmittags abgehalten <strong>und</strong> um 12<br />

Uhr eröffnet, während die in den Vollsitzungen ernannten Ausschüsse an<br />

diesen letzten drei Tagen vormittags tagten. — Ausser dem Empfang am<br />

Sonntag Abend bei Herrn Dunant, wo die gegenseitigen Vorstellungen stattfanden.<br />

war Montag Abend um 8 Uhr eine vertrauliche Zusammenkunft<br />

bei Herrn Gustave Moynier, Dienstag Abend um 6 Uhr ein Subskriptionsessen<br />

im Hotel de la Metropole <strong>und</strong> Mittwoch Abend Empfang bei Herrn<br />

<strong>und</strong> Frau Alfred Eynard, wo die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Kongresses die liebenswürdigste<br />

<strong>und</strong> gastlichste Aufnahme fanden.


VL<br />

Der Schweizer Ban<strong>des</strong>rat <strong>und</strong> die <strong>Genfer</strong> Konvention.<br />

(1864.)<br />

Wie wir am Schlüsse <strong>des</strong> 5. Kapitels sahen, war <strong>der</strong> aus<br />

den bekannten fünf Mitglie<strong>der</strong>n bestehende <strong>Genfer</strong> Ausschuss<br />

im Namen <strong>und</strong> mit Ermächtigung <strong>der</strong> internationalen Versammlung<br />

vom Jahre 1863 zu einem internationalen Ausschuss<br />

geworden. Dieser behielt seinen Sitz auch fernerhin in <strong>der</strong><br />

berühmten Stadt, in welcher er gegründet worden war, <strong>und</strong><br />

fing nunmehr an, vollkommen selbständig <strong>und</strong> unabhängig von<br />

<strong>der</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft zu handeln. Doch war er,<br />

wie Moynier 1 ), welcher später nach General Dufour <strong>des</strong>sen<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> wurde, sagt, „nur ein halbamtlicher Agent, welcher<br />

keinerlei Machtvollkommenheit besass; er hatte die Aufgabe,<br />

für die Ausführung <strong>der</strong> Beschlüsse <strong>der</strong> Konferenz zu<br />

sorgen." Herr Moynier fasste nach den stenographischen<br />

Aufzeichnungen einen Bericht über die Verhandlungen <strong>der</strong><br />

Versammlung ab. Auch hier übernahm Dunant eine wichtige<br />

Aufgabe, nämlich die Versendung <strong>des</strong> Berichts an alle Fre<strong>und</strong>e<br />

<strong>des</strong> AVerkes in Europa, <strong>und</strong> gleichzeitig suchte er vermittelst<br />

*) Les dix premxöres annees de la Croix Rouge, par<br />

Gustave Moynier. 1873.


— 184 —<br />

dieses kostbaren Schriftstückes auf brieflichem Wege neue<br />

Fre<strong>und</strong>e für jenes zu werben.<br />

Wie Dr. Theodore Maunoir bei den Verhandlungen <strong>der</strong><br />

Konferenz treffend bemerkt hatte, handelte es sich darum<br />

für das Werk zu agitieren, <strong>und</strong> zwar sollte dies gleichzeitig<br />

in allen grossen Mittelpunkten Europas geschehen, um die<br />

öffentliche Meinung günstig zu stimmen. Wie je<strong>des</strong> grosse<br />

Werk, das noch in seinen Anfangen steht, irgend einer Person<br />

bedarf, welche ihm selbstlos ihre ganze Zeit <strong>und</strong> Kraft widmet,<br />

so war es auch hier; dieser Aufgabe entledigte sich Dunant,<br />

indem er, von verschiedenen Seiten dazu ermutigt, mit seiner<br />

nützlichen Propaganda fortfuhr, zu welcher sein Herz wie<br />

seine Fälligkeiten ihn beson<strong>der</strong>s geeignet machten.<br />

Eine solche europäische Propaganda, wie Dunant sie jetzt<br />

betrieb, ist keine Kleinigkeit, denn die öffentliche Meinung<br />

ist vielfach zweifelsüchtig, träge, verleum<strong>der</strong>isch <strong>und</strong> eifersüchtig,<br />

voll von Vorurteilen <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Neuerung abgeneigt,<br />

so gut sie an <strong>und</strong> für sich auch sein mag. In jener Zeit<br />

insbeson<strong>der</strong>e war man noch nicht an jenen grossen internationalen<br />

Gedankenaustausch über gemeinnützige Fragen gewöhnt,<br />

wie er später hinsichtlich zahlreicher wertvoller Uebereinkünfte<br />

stattfand, welche mit Unterstützung <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Meinung zwischen den Regierungen abgeschlossen wurden.<br />

Aber „wie sollte man sich nicht in seinem tiefsten Innern<br />

bewegt <strong>und</strong> von einer heiligen Begeisterung beseelt fühlen,<br />

die einen über alle selbstsüchtigen Berechnungen, über kalte<br />

<strong>und</strong> unfruchtbare Schlüsse, über eingebildete <strong>und</strong> kindische<br />

Befürchtungen emporhebt, wenn man sich einem edeln Gedanken<br />

gegenüber befindet, welchem alle hochgesinnten Männer,<br />

wer sie auch sein mögen, ihren Beifall spenden, als Brü<strong>der</strong><br />

im Frieden, als Brü<strong>der</strong> sogar noch inmitten <strong>der</strong> schmerzlichen<br />

Prüftingen <strong>des</strong> Kriegs, einem Werke gegenüber, welches dazu<br />

geschaffen ist, zu so vielen erhabenen Handlungen <strong>der</strong> Hingebung<br />

zu begeistern!" 1 )<br />

*) Comte Serttrier, Conferences internationales de Paris, 1867.


— 185 —<br />

Die Konferenz hatte es, um ein lebenskräftiges Werk zu<br />

schaffen, bei <strong>der</strong> Annahme ihre Beschlüsse mit anerkennenswerter<br />

Geschicklichkeit verstanden, sich in einem allgemeinen<br />

Rahmen zu halten; sie hatte die Hierarchie <strong>der</strong> verschiedenen<br />

militärischen Dienstzweige anerkannt <strong>und</strong> sich von Eingriffen<br />

in ihren Machtbereich freigehalten; sie hatte den Gr<strong>und</strong>satz<br />

aufgestellt, dass je<strong>der</strong> kriegführende Teil gleiches Anrecht<br />

auf sanitäre Unterstützung habe, <strong>und</strong> es den Fürsten überlassen,<br />

die Art <strong>und</strong> Weise <strong>der</strong> Thätigkeit <strong>der</strong> Hilfsgesellschaften<br />

in ihren Staaten zu regeln. „Mit einem Wort, man<br />

verkündigte einen auf seinen einfachsten Ausdruck zurückgeführten<br />

Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong> Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit; Sache <strong>der</strong> Regierungen<br />

war es, ihn je nach ihren Gesetzen <strong>und</strong> Gewohnheiten,<br />

aber zum grösstmöglichen Nutzen aller anzuwenden." 1 )<br />

„Die Verdienste <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> internationalen Ausschusses um<br />

diese Gesellschaften <strong>und</strong> damit um die Pflege <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> erkrankten Krieger in dieser direktesten, d. h. in<br />

<strong>der</strong> von Dunant nach den Schrecken von Solferino verlangten<br />

Weise, müssen unbedingt dankbar anerkannt werden." . . .<br />

In <strong>der</strong> That „bildeten infolge <strong>der</strong> in Genf erhaltenen Anregungen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> sofort mit dem Schlüsse <strong>der</strong> Versammlung<br />

beginnenden Bemühungen <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses in den einzelnen<br />

Län<strong>der</strong>n sich solche Zentralkomites, auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Beschlüsse organisiert <strong>und</strong> mit wesentlich gleichen<br />

Statuten." 2 )<br />

Wir haben im 4. Kapitel gesehen, wie auf Bitten Dunants<br />

am Schlüsse <strong>der</strong> Konferenz Seine Hoheit Prinz Heinrich Xffl.<br />

von Reuss die Aufgabe übernommen hatte, in Berlin das<br />

preussische Komite zu bilden, welches endgültig am 6. Februar<br />

1864 gegründet wurde, <strong>des</strong>sen erste Anfänge aber in den<br />

September <strong>des</strong> Jahres 1863 zurückreichen, in die Zeit <strong>des</strong><br />

Statistischen Kongresses, als Dunant in Potsdam vom Kronprinzen<br />

Friedrich seinen Schutz <strong>und</strong> Beistand zugesagt er-<br />

*) Maxime Du Camp.<br />

2 ) Lne<strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Konvention. S. 92 u. 94.


— 186 —<br />

halten <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> dieser Zusicherung eine Anzahl hervorragen<strong>der</strong><br />

Persönlichkeiten Berlins gewonnen hatte. Verschiedene<br />

Konferenzmitglie<strong>der</strong>, Männer von edlem Herzen <strong>und</strong><br />

hohem Verstand, <strong>und</strong> von dem lobenswertesten Eifer beseelt,<br />

trugen viel zur Gründung <strong>der</strong> Ausschüsse in ihren betreffenden<br />

Län<strong>der</strong>n bei. Es waren dies in erster Linie in Dresden<br />

<strong>der</strong> Oberarzt <strong>des</strong> sächsischen Heeres Dr. Günther; in Darmstadt<br />

Major Brodrück; in Karlsruhe Dr. Steiner; in Stuttgart<br />

Pfarrer Dr. Hahn. In Madrid endlich wurde Dr. Landa, <strong>des</strong>sen<br />

hochherzige Worte auf <strong>der</strong> Konferenz so grossen Erfolg errangen<br />

hatten, <strong>der</strong> rechte Arm <strong>des</strong> Grafen de Ripalda bei<br />

<strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> spanischen Vereine. An<strong>der</strong>e Ausschüsse in<br />

verschiedenen Län<strong>der</strong>n wurden auf brieflichem Wege gebildet.<br />

Wenn wir dem unermüdlich thätigen Dunant, für den die<br />

Stelle eines Schriftführers nichts weniger als ein Ruheamt Avar,<br />

den wohlverdienten Titel eines „Begrün<strong>der</strong>s <strong>der</strong> europäischen<br />

Ausschüsse" zuerkennen müssen, so soll dies den grossen Verdiensten<br />

<strong>der</strong> lokalen Begrün<strong>der</strong> durchaus keinen Abbruch thun.<br />

Unter diesen letzteren, welche mit dem Schriftführer <strong>des</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Ausschusses wegen Gründung eines solchen in ihrer<br />

Stadt in Briefwechsel standen, befanden sich ausser den schon<br />

genannten Personen <strong>der</strong> Regierungsrat Prosch <strong>und</strong> Direktor<br />

Faull vom Grossherzoglich Statistischen Bureau in Schwerin;<br />

Herr Otto Lasius in Oldenburg; Herr Theodor von Schmid<br />

von Hamburg <strong>und</strong> Dr. Varrentrapp in Frankfurt, eines <strong>der</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Statistischen Kongresses in Berlin. Der Stockholmer<br />

Ausschnss wurde von Dr. Sven Eric Skoeldberg <strong>und</strong><br />

von Herrn C. G. de Pauli unter <strong>der</strong> Gönnerschaft <strong>des</strong> Kriegsministers<br />

General Reuterskjold <strong>und</strong> dem Patronat S. Kgl.<br />

Hoheit <strong>des</strong> Kronprinzen Herzog von Ostgotland gegründet.<br />

Ein Fürst, welcher die ersten Schritte <strong>des</strong> Werks mit<br />

grossem Wohlwollen verfolgte, war S. Kgl. Hoheit <strong>der</strong> Grossherzog<br />

von Baden. Er war auch <strong>der</strong> erste deutsche Fürst,<br />

welcher die diplomatische Konvention genehmigte, <strong>und</strong> schickte<br />

sogar einen Beitrag zur Bestreitung <strong>der</strong> Kosten. Dieses Wohl-


— 187 —<br />

wollen von hoher Stelle brachte den internationalen Ausschuss<br />

anf den Gedanken, während <strong>des</strong> schleswig-holsteinischen Krieges<br />

Abgeordnete nach beiden feindlichen Lagern zu schicken.<br />

Frau Ejnard, Witwe <strong>des</strong> bekannten Philhellenen, steuerte<br />

bedeutend zu den Kosten <strong>der</strong> beiden Abordnungen bei. Bei<br />

dieser Gelegenheit fielen einige politische Zeitungen in Lausanne<br />

<strong>und</strong> Kopenhagen über den internationalen Ausschuss<br />

her, welcher in ihren Augen das grosse Unrecht beging, unparteiisch<br />

<strong>und</strong> international zu sein, wie es seine Pflicht war.<br />

Das Werk fand damals noch sehr wenig Verständnis beim<br />

Publikum <strong>und</strong> war sogar in <strong>der</strong> Schweiz sehr wenig bekannt.<br />

Die Konferenz hatte die Zentralisierung <strong>des</strong> Werks in<br />

den einzelnen Län<strong>der</strong>n als Gr<strong>und</strong>satz aufgestellt, in <strong>der</strong><br />

Weise, dass die Sektionsausschüsse in Verbindung mit dem<br />

nationalen Zentralausschuss stehen. In Deutschland standen<br />

vor dem Krieg von 1870—71 die sechs Zentralkomites, welche<br />

ihre Sitze in Berlin, Darmstadt, Dresden, Karlsruhe, München<br />

<strong>und</strong> Stuttgart hatten, unter einem deutschen Zentralkomite<br />

in Berlin, an welches sich jetzt, kraft einer am<br />

20. April 18G9 getroffenen Uebereinkunft, alle deutschen Vereine<br />

anglie<strong>der</strong>n. Die erste Versammlung, zu welcher alle<br />

deutschen Ausschüsse zusammenberufen wurden, fand 1867<br />

in Würzburg, eine zweite 1871 in Nürnberg statt.<br />

Dies. europäischen Hilfsgesellschaften haben keine einheitliche<br />

Benennung angenommen. Erst allmählich hat sich, wie<br />

<strong>der</strong> Vorsitzende <strong>des</strong> internationalen Ausschusses, HerrMoynier<br />

sagt, <strong>der</strong> Gebrauch eingebürgert, sie als „Vereine vom Boten<br />

Kreuz zu bezeichnen." 1 ) „Sie sind vollständig unabhängig<br />

von einan<strong>der</strong> <strong>und</strong> haben von keinem hierarchischen Mittelpunkt<br />

Befehle entgegenzunehmen. Da sie durch nichts gezwungen<br />

sind, sich nach einem <strong>und</strong> demselben Muster zu<br />

bilden, so ist es ganz natürlich, dass ihre Statuten merklich<br />

*) Ce que c'est que la Croix Rouge, brochure par Gustave<br />

Moynier. 1874.


— 188 —<br />

von einan<strong>der</strong> abweichen <strong>und</strong> von den Gewohnheiten, dem<br />

Geist <strong>und</strong> <strong>der</strong> Eeligion <strong>der</strong> verschiedenen Völker beeinflusst<br />

sind." 1 )<br />

„Man hat die Unabhängigkeit eines jeden Ausschusses<br />

ganz ausdrücklich anerkannt <strong>und</strong> bestätigt, aber trotzdem<br />

lässt sich nicht leugnen, dass sie einan<strong>der</strong> solidarisch verpflichtet<br />

sind. Dies ist ganz natürlich, weil sie alle ein <strong>und</strong><br />

denselben Ursprung, dasselbe Ziel <strong>und</strong> dasselbe Wahrzeichen<br />

haben; wenn sie auch nicht hierarchisch mit einan<strong>der</strong> verknüpft<br />

sind, so können <strong>und</strong> wollen sie sich doch nicht von<br />

den Banden gegenseitiger Teilnahme, gegenseitiger Zuneigung<br />

<strong>und</strong> sogar <strong>des</strong> Zusammenarbeitens befreit wissen, welche<br />

zwischen Männern bestehen müssen, die sich einem <strong>und</strong> demselben<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Werke hingeben; sie sind notwendig<br />

dazu berufen, einan<strong>der</strong> zu kennen, zu achten, zu unterstützen<br />

<strong>und</strong> sich gegenseitig zu helfen." 2 )<br />

Und doch verrät äusserlich nichts ihre innige <strong>und</strong> tiefe<br />

Solidarität, ausser dem Namen „Kotes Kreuz", welcher täglich<br />

mehr von den Ausschüssen <strong>der</strong> ganzen Welt angenommen<br />

wird; denn das „verkürzte rote Kreuz auf silbernem Gr<strong>und</strong>e"<br />

gilt nicht als konfessionelles Abzeichen, wie das Vorgehen<br />

Japans beweist, welches nichts dagegen einzuwenden hatte,<br />

ebenso Siams <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er. — „Wenn man die Mannigfaltigkeit<br />

<strong>der</strong> Namen betrachtet, welche die europäischen Hilfsvereine<br />

sich beigelegt haben," schrieb Moynier im Jahre 1873, 3 )<br />

„so ist man geneigt zu glauben, dass sie keinerlei Beziehung<br />

zu einan<strong>der</strong> haben." In Württemberg heisst sich <strong>der</strong> Verein<br />

„Sanitätsverein" 4 ), in Baden „Internationaler Hilfsverein,"<br />

*) Ce que e'est que la Croix Rouge, brocliure par Gustave<br />

Moynier. 1874.<br />

2) Les dix premiöres annees de la Croix Rouge, brochure<br />

par Gustave Moynier. 1873.<br />

s) Ebenda.<br />

*) Durch Beschluss vom 24. April 1896 heisst er sich künftig „Württembergischer<br />

Lan<strong>des</strong>verein vom <strong>Roten</strong> Kreuz*.


— 189 —<br />

an <strong>des</strong>sen Spitze das Zentralkomite <strong>des</strong> badischen „Frauenvereins"<br />

steht. Die gewöhnlichste Bezeichnung ist, von einzelnen<br />

Abweichungen abgesehen: „Vereine zur Pflege im Felde<br />

verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> erkrankter Krieger" (Societes de secours<br />

aux militaires blesses). „Wir haben ihnen," sagt Moynier<br />

weiter, „vorgeschlagen, sich insgesamt unter dem gemeinsamen<br />

Namen ,Vereine vom Eoten Kreuz' zu vereinigen, in<br />

<strong>der</strong> Annahme, dies wäre das geeignetste Mittel, um die Einheitlichkeit<br />

ihrer Bestrebungen zu bezeugen, ohne <strong>der</strong> Selbständigkeit<br />

einer jeden Gruppe Eintrag zu thun. Dieser Gedanke<br />

ist von verschiedenen Ausschüssen günstig aufgenommen<br />

worden, <strong>und</strong> wir werden, sobald die Umstände uns Gelegenheit<br />

hiezu geben, versuchen, alle zu seiner Annahme zu<br />

bewegen." 1 )<br />

Bis jetzt haben Bayern, Grossbritannien, Hessen, Norwegen,<br />

Preussen, Sachsen <strong>und</strong> die Türkei für ihre Vereine<br />

den Titel „Botes Kreuz" noch nicht offiziell angenommen,<br />

obwohl sie alle aus <strong>der</strong> durch die „Erinnerung an Solferino"<br />

<strong>und</strong> durch die <strong>Genfer</strong> Gemeinnützige Gesellschaft hervorgerufenen<br />

Bewegung hervorgegangen sind. — Frankreich hat<br />

seinen alten amtlichen Titel beibehalten, aber neuerdings als<br />

Nebentitel den vom „französischen Boten Kreuz" angenommen.<br />

Deutschland hat ein „Zentralkomite <strong>der</strong> deutschen Vereine<br />

vom Boten Kreuz". Trotz dieser Verschiedenheit in <strong>der</strong> Bezeichnung<br />

führen unsere Vereine überall den volkstümlichen<br />

Namen „Rotes Kreuz".<br />

Moynier bemerkt ferner: „Man hat oft irrtümlicherweise<br />

alle Vereine in den verschiedenen Län<strong>der</strong>n unter dem allgemeinen<br />

Titel ,Internationale Hilfsvereine für die Verw<strong>und</strong>eten'<br />

zusammengefasst, als ob diese durch hierarchische Bande<br />

unter sich verb<strong>und</strong>en wären, <strong>und</strong> als ob sie ein unauflöslich<br />

verb<strong>und</strong>enes Verwaltungsganzes bildeten. Dies ist ein ge-<br />

*) Les dix premiferes annees de la Croix Ronge, par<br />

G. Moynier. 1878.


— 190 —<br />

waltiger Irrtum, an dem allerdings einzelne Ausschüsse mit<br />

schuldig gewesen sind, indem sie sich ungebührlicher Weise<br />

als international bezeichneten." 1 )<br />

Wenn das Zentralkomite eines jeden Lan<strong>des</strong> in seiner<br />

Einrichtung, seiner Leitung <strong>und</strong> seiner Thätigkeit wesentlich<br />

national ist, so ist es gleichwohl ebenso wahr, dass mit Beziehung<br />

auf die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit <strong>der</strong><br />

dasselbe beseelende Geist international sein soll. Das ist<br />

gerade das Schöne an dem AVerke. Die <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

ist dazu bestimmt, durch die von den Kegierungen übernommene<br />

Bürgschaft dieser internationalen Brü<strong>der</strong>lichkeit die<br />

rechte Weihe zu geben. „Die Vereine <strong>der</strong> kriegführenden<br />

Völker können, auch wenn sie es möchten, denjenigen ihrer<br />

verw<strong>und</strong>eten o<strong>der</strong> kranken Landsleute, welche in die Hände<br />

<strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> gefallen sind, gar nicht immer Hilfe bringen;<br />

aber sie gleichen diesen Nachteil dadurch aus, dass sie mit<br />

gleichem Eifer, ohne Rücksicht auf die Volksangehörigkeit,<br />

alle die Unglücklichen pflegen, die in ihre Hände fallen. Die<br />

Folge ist eine wirkliche, rührende Gegenseitigkeit, welche<br />

jedem Verw<strong>und</strong>eten eine angemessene Behandlung sichert,<br />

gleichviel welche Gesellschaft sich auch seiner anzunehmen<br />

hat." *)<br />

Die Erinnerung an Solferino verlangt ausdrücklich<br />

Hospitaliter für Unglücksfälle <strong>des</strong> gewöhnlichen Lebens<br />

inFriedenszeiten, sowie die Vervollkommnung <strong>der</strong> Transportmittel.<br />

Dieser Bitte ist seitdem in verschiedenen Län<strong>der</strong>n<br />

unter verschiedenen Namen entsprochen worden: in Deutschland,<br />

Oestreieh, Frankreich, England, <strong>der</strong> Schweiz u. a. So<br />

verdienen hier genannt zu werden: die Wiener Kettungsgesellschaft;<br />

in Frankreich: die städtischen Ambulanzen von<br />

Paris, die Ambulances bordelaises in Bordeaux, die Ambulances<br />

de la Providence in Marseille, u. s. w. Die Palme<br />

*) Ce que c'est qne la Croix Kouge, par G. Moynier. 1874.<br />

2 ) Moynier. 1874.


— 191 —<br />

jedoch gebührt hinsichtlich Frankreichs den Brancardiers <strong>des</strong><br />

Arrondissements von Keims. 1 )<br />

Wie nach dem Vorgänge <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande <strong>der</strong> Name<br />

„Rotes Kreuz" seit einigen Jahren überall als Bezeichnung<br />

<strong>der</strong> Hilfsvereine üblich geworden ist, so ist es sehr leicht<br />

möglich, dass <strong>der</strong> Name „Samariter", welchem Professor<br />

Esmarch im Jahre 1882 zu Ehren verhalf, in Zukunft als<br />

Gattungsname für alle Freiwilligen in Diensten dieser Gesellschaften<br />

in Gebrauch kommt; <strong>und</strong> <strong>der</strong> Name „Samariterin"<br />

wird vielleicht auf jede ausserhalb <strong>der</strong> religiösen Gemeinschaften<br />

stehende, dem Laienstande angehörige Frau angewandt<br />

werden, welche sich zeitweilig o<strong>der</strong> dauernd den Werken<br />

<strong>der</strong> Nächstenhilfe widmet. Doch <strong>der</strong> Name thut nichts<br />

zur Sache, die Thatsache selbst genügt. Die infirmiers-brancardiers<br />

vom Boten Kreuz in Frankreich sind ausgezeichnete<br />

Samariter. In verschiedenen Län<strong>der</strong>n bilden die religiösen<br />

Körperschaften, die Ritterorden <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Vereine, welche<br />

einigermassen ähnliche Zwecke verfolgen wie die Vereine<br />

zur Pflege im Felde verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> erkrankter Krieger,<br />

beim Ausbruch eines Kriegs das Werk <strong>der</strong> freiwilligen Hilfe<br />

in seiner Gesamtheit, <strong>und</strong> alle beeilen sich diesem mit ihrer<br />

praktischen Erfahrung beizustehen.<br />

In England ist neben <strong>der</strong> National Society for Aid<br />

to theSick andWo<strong>und</strong>ed in War, welche sich als Vertreterin<br />

<strong>des</strong> Werks in Grossbritannien aufspielt, obwohl sie<br />

fortdauernd in tiefstem Schlaf verharrt, die Saint John<br />

Ambulance Association zu nennen. Diese Gesellschaft,<br />

welche in Grossbritannien 283, in den Kolonien 39 Mittelpunkte<br />

zählt, ist eine jüngere Abzweigung <strong>des</strong> bürgerlichen<br />

englischen Jolianniterordens von Jerusalem, <strong>der</strong> zur Zeit <strong>der</strong><br />

*) Die gute Einrichtung, die grossartige Entwicklung <strong>und</strong> die praktischen<br />

Uebungen <strong>der</strong> Infirmiers-brancardiers vom Koten Kreuz <strong>des</strong> Arrondissements<br />

von Eeims, sowie ihr Eifer, ihre Erfahrung <strong>und</strong> Hingebung<br />

dürfen für ganz Frankreich <strong>und</strong> noch an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> als Muster hingestellt<br />

werden. (Henry Dunant.)


— 192 —<br />

<strong>Genfer</strong> Konferenzen eine so geringe Mitglie<strong>der</strong>zahl besass,<br />

dass man von seinem Dasein nicht einmal etwas wusste.<br />

Nachdem die National Society for Aid to the Sick<br />

-and Wo<strong>und</strong>ed in War, welche während <strong>des</strong> deutsch-französischen<br />

Kriegs einiges Aufsehen gemacht <strong>und</strong> eine grosse<br />

Thätigkeit entfaltet hatte, es für gut bef<strong>und</strong>en hatte, die ihr<br />

verbliebenen bedeutenden Summen zu kapitalisieren <strong>und</strong> sich<br />

<strong>der</strong> Euhe hinzugeben, hat <strong>der</strong> Johanniterorden, angespornt<br />

durch die mächtige Entwicklung <strong>des</strong> Werks auf dem Festland,<br />

im Jahre 1877 den oben erwähnten Zweigverein geschaffen,<br />

<strong>der</strong> zur Zeit 300000 Mitglie<strong>der</strong>, Qffiziere <strong>und</strong><br />

(bürgerliche) Soldaten, sowie Aerzte <strong>und</strong> Diakonissinnen<br />

zählt, welche die Obliegenheiten <strong>der</strong> festländischen Samariter<br />

ausüben. — Da sich in London jeden Tag H<strong>und</strong>erte von Unglücksfällen<br />

ereignen, so sind dort, wie in den übrigen englischen<br />

Städten, Sanitätsposten eingerichtet worden, mit ständigen<br />

Samaritern, welche all ihre Zeit zur Verfügung stellen<br />

<strong>und</strong> von <strong>der</strong> Gesellschaft bezahlt werden. Der Protektor <strong>des</strong><br />

Werks ist <strong>der</strong> Prinz von Wales, Grossprior <strong>des</strong> englischen<br />

Johanniterordens, welcher beiläufig gesagt von dem gleichnamigen<br />

Orden auf dem Festland vollständig unabhängig ist.<br />

Ohne Zweifel würden, wenn ein europäischer Krieg ausbräche,<br />

in welchen England verwickelt würde, die Freiwilligen <strong>der</strong><br />

Johanniterambulanz, in Befolgung <strong>des</strong> von den Rittern <strong>des</strong><br />

protestantischen Johanniterordens in Preussen, <strong>des</strong> katholischen<br />

Johanniterordens in Spanien <strong>und</strong> <strong>des</strong> Malteserordens<br />

in Oestreich gegebenen guten Beispiels, zum grossen Teil<br />

Samariter <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> werden.<br />

Bezüglich dieser verschiedenen Werke können wir unser<br />

Urteil dahin zusammenfassen, dass im allgemeinen <strong>und</strong> mit<br />

Ausnahme <strong>der</strong> genannten drei Ritterorden die erste Anregung<br />

hiezu in <strong>der</strong> Erinnerung an Solferino zu suchen ist.<br />

Und wenn <strong>der</strong> Ruhm <strong>des</strong> Samariterwerks dem Professor von<br />

Esmarch gebührt, so sagt dieser wie<strong>der</strong>um in einem Briefe,<br />

welchen er am 21. Februar 1894 von Kiel aus an Dunant


— 193 —<br />

schrieb: „Den Fortschritten, welche Ihr Gedanke <strong>des</strong> <strong>Roten</strong><br />

<strong>Kreuzes</strong> seit einer Reihe von Jahren unter dem Volke gemacht<br />

hat, verdanken wir es ohne Zweifel, dass unsere Anstrengungen<br />

in <strong>der</strong> Schweiz so kräftig Wurzel gefasst haben.<br />

Gott segne Sie dafür!"<br />

Der zweite Teil <strong>der</strong> von dem <strong>Genfer</strong> Ausschusse übernommenen<br />

Aufgabe, d. h. die Verwirklichung <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Konferenz ausgesprochenen Wünsche, war von dem ersten,<br />

<strong>der</strong> Gründung von Zentralausschüssen, wesentlich verschieden.<br />

Es galt, die Umwandlung <strong>der</strong> von dieser Versammlung ausgesprochenen,<br />

auf die Neutralisierung gerichteten Wünsche<br />

in ein internationales Gesetz anzustreben, <strong>und</strong> zu diesem<br />

Zweck die europäischen Regierungen „zu einem sie bindenden<br />

Eingehen auf diese Wünsche, d. h. zum Abschluss eines verbindlichen<br />

Staatenvertrags zu bewegen." 1 ) Dies war das<br />

einzige Mittel, um das angestrebte Ziel zu erreichen, aber<br />

es war, wie Moynier bemerkt, keine leichte Aufgabe. 8 ) Es<br />

handelte sich darum, die verschiedenen Staaten zur Uebernahme<br />

bestimmter Verpflichtungen zu veranlassen, ein Vorgang,<br />

von dem die damalige Ueberlieferung noch nichts wusste,<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> für die damalige Zeit um so mehr etwas Neues war,<br />

als es noch gar kein geschriebenes Kriegsrecht gab.*) Das<br />

einfachste <strong>und</strong> zugleich unerlässlichste "Mittel zur Erreichung<br />

<strong>des</strong> gesteckten Ziels war die Einberufung eines wirklichen<br />

diplomatischen Kongresses, 4 ) zusammengesetzt aus Bevollmächtigten<br />

im eigentlichen Sinne <strong>des</strong> Worts, aus Abgeordneten,<br />

"welche mit den nötigen Vollmachten versehen sein<br />

mussten, um diesen internationalen, gesetzliche Kraft besitzen-<br />

x ) Lue<strong>der</strong>, S. 96 ff.<br />

2) Das erste Decennium <strong>des</strong> Koten <strong>Kreuzes</strong>, von G. Moynier.<br />

1873.<br />

3 ) Neutralite <strong>des</strong> militaires blessfis, par G. Moynier.<br />

4 ) Fraternite et charite internationales en temps de<br />

gnerre, par Dunant. Paris, 7 m e edition (314 Seiten).


— 194 —<br />

den <strong>und</strong> die vertretenen Regierungen bindenden Vertrag abzuschliessen.<br />

Auf die Einberufung eines solchen Kongresses<br />

richteten sich also die Bestrebungen <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschusses.<br />

Die beiden Werke, die denselben Ursprung haben, das <strong>des</strong><br />

sogenannten <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> <strong>und</strong> das <strong>der</strong> Abschliessung eines<br />

diplomatischen Vertrags, blieben bei ihrer Schöpfung wie in<br />

ihrer weiteren Entwicklung aufs innigste miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en,<br />

<strong>und</strong> wurden auch fernerhin gleichzeitig verfolgt.<br />

„Vorsichtig wurden," wie Lue<strong>der</strong> schreibt, „die Gesinnungen<br />

einzelner Regierungen erforscht, wobei <strong>der</strong> Ausschuss<br />

von vielen für das Werk sich interessierenden Männern, von<br />

solchen, die <strong>der</strong> 1863er Konferenz beigewohnt hatten, wie von<br />

an<strong>der</strong>n wesentlich unterstützt wurde. Durch dieselben wurde<br />

bei verschiedenen Regierungen <strong>und</strong> einflussreichen Persönlichkeiten<br />

für das Zustandekommen <strong>des</strong> diplomatischen Kongresses<br />

gewirkt, in gleicher Weise wie das vor <strong>der</strong> 63er Konferenz<br />

<strong>der</strong> Fall gewesen war. Auch jetzt that <strong>der</strong>. unermüdliche<br />

Dunant (nun vorzugsweise in Frankreich) sich wie<strong>der</strong> hervor."<br />

*)<br />

In <strong>der</strong> That begab sich Dunant, um den Erfolg <strong>des</strong><br />

diplomatischen Kongresses zu sichern, sofort nach <strong>der</strong> Konferenz<br />

vom Oktober 1863 nach Paris; aber auch schon vor<br />

<strong>der</strong> Konferenz war er, wie wir früher gesehen haben, in<br />

Deutschland thätig gewesen <strong>und</strong> hatte hier einflussreiche<br />

Männer, sogar solche von <strong>der</strong> Regierung <strong>und</strong> regierende Fürsten<br />

für eine diplomatische Uebereinkunft bezüglich <strong>der</strong> Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> <strong>der</strong> ihnen Hilfe leistenden<br />

Personen zu gewinnen gesucht. Und zwar hatte er die Anregung<br />

hiezu nicht, wie dies irrtümlicherweise schon behauptet<br />

worden ist, auf dem Statistischen Kongress in Berlin erhalten,<br />

denn dieser konnte nur eine allgemeine Billigung aussprechen,<br />

<strong>und</strong> sprach auch nur eine solche aus, ohne auf irgend welche<br />

Einzelheiten einzugehen, nachdem Dunant sich persönlich mit<br />

i) Lue<strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Konvention. S. 103.


— 195 —<br />

einer Anzahl seiner Teilnehmer über diesen Gegenstand besprochen<br />

<strong>und</strong> ihr Wohlwollen gewonnen hatte. Bei einem<br />

Frühstück, welches kurz vor dem 13. September in Potsdam<br />

bei dem Kronprinzen <strong>und</strong> nachmaligen Kaiser Friedrich stattfand,<br />

<strong>und</strong> bei welchem ausser Dr. Basting auch <strong>der</strong> Vorsitzende<br />

<strong>des</strong> Statistischen Kongresses, Dr. Engel, zugegen war,<br />

trug Dunant in Gegenwart <strong>der</strong> genannten Herren dem ritterlichen<br />

Prinzen den in <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino", welche<br />

<strong>der</strong> Kronprinz einige Monate zuvor gelesen hatte, angedeuteten<br />

Wunsch vor, eine Uebereinkunft zwischen den Fürsten<br />

vorzuschlagen, kraft welcher für die Zukunft die Verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>der</strong> europäischen Kriege für unverletzlich erklärt werden<br />

sollten.<br />

Wie Lue<strong>der</strong> richtig sagt, war <strong>der</strong> preussische Kriegsminister<br />

von Roon <strong>der</strong> erste Kriegsminister Europas, welcher<br />

auf den Gedanken einer diplomatischen Konvention einging.<br />

Was aber dieser Zustimmung ihren beson<strong>der</strong>en Wert verleiht,<br />

ist die Thatsache, dass sie schon am 17. September 1863,<br />

also vor <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Oktober-Konferenz erfolgte <strong>und</strong> nicht<br />

nach <strong>der</strong>selben, wie man nach dem trefflichen Werke Lue<strong>der</strong>s<br />

annehmen könnte. Darüber kann nach den bestimmten Angaben<br />

Dunants kein Zweifel bestehen. Thatsache ist, dass<br />

Herr von Boon vor allen an<strong>der</strong>n den persönlichen Gedanken<br />

Dunants ermutigte, dass er mit' den Doktoren Boeger <strong>und</strong><br />

Loeffler darüber sprach <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> Zustimmung <strong>des</strong> Königs<br />

versicherte, welcher das lebhafteste Interesse an diesem beson<strong>der</strong>en<br />

Plan bek<strong>und</strong>ete. Um jene Zeit dachte, mit Ausnahme<br />

<strong>des</strong> Urhebers <strong>des</strong> Werkes, niemand im <strong>Genfer</strong> Ausschuss<br />

an die Neutralisierung. Bei <strong>der</strong> Audienz, welche <strong>der</strong><br />

Graf von Boon am 17. September 1863 Dunant auf dem<br />

Kriegsministerium gewährte, war dieser von Dr. Boeger begleitet.<br />

Der Kriegsminister empfing ihn aufs liebenswürdigste<br />

nnd bemerkte: „Ah, Sie wollen also alle unsere Aerzte neutral<br />

machen!" — „Was ich vor allem wünschte," sagt <strong>der</strong><br />

Begrün<strong>der</strong> <strong>des</strong> Werks in seinen Denkwürdigkeiten,


— 196 —<br />

„war die Neutralisierung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten; aber die drei<br />

Doktoren Bceger, Lceffler <strong>und</strong> Basting hatten gemeint, es<br />

wäre klüger, wenn man zuerst nur die ,Neutralisierung aller<br />

Hilfeleistenden' verlangte. Ich musste mich fügen, <strong>und</strong> in<br />

meinem vom 15. September 1863 datierten B<strong>und</strong>schreiben<br />

(welches gerade damals in <strong>der</strong> von Decker'schen Hofdruckerei<br />

gedruckt wurde) liess ich nur ungern die Verw<strong>und</strong>eten<br />

beiseite. — ,Das wird später noch kommen,' sagte <strong>der</strong><br />

General von Roon fre<strong>und</strong>lich zu mir, um mich über meine<br />

Enttäuschung zu trösten; ,ich billige Ihre Gedanken, ebenso<br />

wie den <strong>der</strong> internationalen Flagge; aber stossen Sie die<br />

Leute nicht vor den Kopf, indem Sie diese Gedanken zu<br />

früh aussprechen.' — ,In <strong>der</strong> That,' sagte <strong>der</strong> Minister<br />

weiter zu mir, ,hat die Neutralität <strong>der</strong> Aerzte <strong>und</strong> <strong>der</strong> freiwilligen<br />

Hilfeleistenden notwendig die <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten zur<br />

Folge.' — Herr von Koon, welcher sehr gut französisch<br />

sprach, machte keinerlei Einwendungen bezüglich <strong>der</strong> freiwilligen<br />

Helfer; im Gegenteil lobte er diesen Gedanken<br />

sehr, ebenso wie den <strong>der</strong> internationalen Flagge." 1 )<br />

Der internationale Ausschuss richtete, teils unmittelbar,<br />

teils durch Vermittlung von Personen, welche <strong>der</strong> Versammlung<br />

vom Jahre 1863 angewohnt hatten, am 15. November<br />

1863 folgende Fragen an die europäischen Regierungen:<br />

1. „Ist die Regierung geneigt, dem Hilfsausschuss<br />

für die Verw<strong>und</strong>eten, welcher sich infolge <strong>der</strong> Beschlüsse<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz unter ihren Staatsangehörigen bilden<br />

wird, ihren hohen Schutz angedeihen zu lassen, <strong>und</strong><br />

ihm die Erfüllung seiner Aufgabe so sehr als möglich<br />

zu erleichtern?<br />

2. Würde die Regierung einer internationalen Konvention<br />

beitreten, welche zum Gegenstand hätte:<br />

a) Die Neutralisierung <strong>der</strong> Ambulanzen <strong>und</strong> Militärhospitäler,<br />

<strong>des</strong> Personals <strong>des</strong> amtlichen Ges<strong>und</strong>heits-<br />

') Henry Dunants Denkwürdigkeiten.


— 197 —<br />

dienstes, <strong>der</strong> von dem Hilfsausschuss angeworbenen<br />

freiwilligen Krankenpfleger, <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>bewohner,<br />

welche den Verw<strong>und</strong>eten zu Hilfe kommen, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

verw<strong>und</strong>eten Militärpersonen für Kriegszeiten?<br />

b) Die Annahme einer einheitlichen Uniform o<strong>der</strong> eines<br />

einheitlichen Erkennungszeichens für die zum Ges<strong>und</strong>heitsdienst<br />

gehörigen Personen, <strong>und</strong> einer einheitlichen<br />

Flagge für die Ambulanzen <strong>und</strong> Spitäler?<br />

Würde sich, wenn diese letztere Bestimmung für<br />

gut befanden würde, ein Einwand dagegen erheben,<br />

dass die weisse Armbinde <strong>und</strong> die weisse Flagge<br />

mit einem roten Kreuz allgemein angenommen würden?"<br />

Die Antworten <strong>der</strong> Regierungen lauteten meist zustimmend<br />

<strong>und</strong> vielfach sehr entgegenkommend, <strong>und</strong> die letzteren zeigten<br />

sich allmählich mehr <strong>und</strong> mehr geneigt, einen diplomatischen<br />

Kongress zum Zweck <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Neutralitätsfrage<br />

zu beschicken. Mehrere Kabinette traten sogar in unmittelbaren<br />

Briefwechsel mit dem internationalen Ausschuss.<br />

Einige Kriegsminister erhoben zwar anfangs Einwände gegen<br />

die Einberufung <strong>des</strong> gewünschten Kongresses, aber im ganzen<br />

15 europäische Staaten zeigten sich <strong>der</strong> Sache günstig. 1 )<br />

Die Schwierigkeit bestand nun darin, für diese Zusammenberufung<br />

eines diplomatischen Kongresses die richtige<br />

Form zu finden, denn es handelte sich jetzt nicht mehr um<br />

eine gemischte Konferenz, wie im Jahre 1863, son<strong>der</strong>n um<br />

eine ausschliesslich aus offiziellen Abgesandten <strong>der</strong> Regierungen<br />

bestehende Versammlung. Auch hier führten die<br />

Schritte, welche Dunant persönlich in Paris that, zu einer<br />

glücklichen Lösung. Infolge eines Briefes vom 19. Februar<br />

x ) Lne<strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Konvention. — Moynier, Les dix<br />

premiferes annees de la Croix Bouge. — NeutralitS <strong>des</strong><br />

Wesses. — Verhandlungen <strong>der</strong> 1869er Berliner Konferenz.<br />

— Dunant, Fraternitß et charite internationales en temps<br />

de guerre.


— 198 —<br />

1864, welchen Kaiser Napoleon an ihn hatte schreiben lassen,<br />

<strong>und</strong> in welchem er ihm mitteilte, dass er ihn in Verbindung<br />

mit seinem Minister <strong>des</strong> Auswärtigen setzen würde, „damit<br />

dieser den Vorschlag <strong>der</strong> Neutralisierung <strong>der</strong> Ambulanzen,<br />

<strong>der</strong> Spitäler, <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sanitätsabteilungen<br />

prüfe," ersuchte <strong>der</strong> internationale Ausschuss Dunant, nach<br />

Paris zurückzukehren <strong>und</strong> das glücklich begonnene Werk<br />

fortzusetzen.<br />

In Paris that <strong>der</strong> bevollmächtigte Minister <strong>der</strong> Schweiz,<br />

Dr. Kern, sein Möglichstes, um Dunant die diplomatischen<br />

Verbindungen zu erleichtern, <strong>und</strong> <strong>der</strong> französische Minister<br />

<strong>des</strong> Auswärtigen, Drouyn de Lhuys, beeilte sich, dem Wunsche<br />

seines Gebieters zu willfahren. 1 ) Der letztere empfing<br />

den Urheber <strong>der</strong> Konvention recht wohlwollend am 22. April<br />

1864, um 2 Uhr nachmittags in Privataudienz im Ministerium<br />

<strong>des</strong> Auswärtigen. Er versicherte ihm, wenn die Schweizer<br />

Eidgenossenschaft, in <strong>der</strong> Absicht, den Neutralisierungsgedanken<br />

in ein internationales Gesetz überzuführen, an die<br />

gesitteten Staaten eine Einladung zur Beschickung eines<br />

Kongresses in einer Stadt <strong>der</strong> Schweiz richten wolle, so sei<br />

Frankreich als militärische Grossmacht bereit, sie in diesen<br />

x ) Als Beweis für das grosse Interesse, mit welchem <strong>der</strong> französische<br />

Kaiser den Abschlnss <strong>des</strong> diplomatischen Vertrags verfolgte, möge nachstehen<strong>der</strong><br />

Brief (vom 19. Januar 1865) <strong>des</strong> Ministers Drouyn de Lhuys an<br />

Dunant dienen:<br />

Monsieur, j'ai l'honneur de vous annoncer que, par un (leeret rendu<br />

sur ma proposition, en däte d'hier, 1'Emperenr a daigne vous nommer<br />

chevalier de son Ordre de la Legion d'honneur. En vous conferant cette<br />

distinetion flatteuse, Sa Majeste a voulu, Monsieur, vous donner un temoignage<br />

de sa haute bienveillance ä l'occasion de l'arrangement international<br />

conclu, ä. Geneve, au mois d'Aout <strong>der</strong>nier, pour Ia neutralisation <strong>des</strong><br />

blessis et da Service sanitaire dans les armees en campagne. II m'a ete<br />

personnellement agreable de signaler ä l'Empereur la part que vous avez .<br />

prise ä l'accomplissement de cette oeuvre d'humanite, au succJs de laquelle<br />

sa Majeste attachait un interet particnlier. . . .<br />

Reeevez etc.<br />

(signe) Drouyn de Lhuys.


I<br />

\<br />

— 199 —<br />

Bemühungen zu unterstützen <strong>und</strong> die zusammenzuberufenden<br />

Staaten zur Annahme <strong>der</strong> Einladung <strong>der</strong> Schweiz zu bewegen.<br />

*)<br />

Drouyn de Lhuys fügte bei, die diplomatische Zusammenkunft<br />

müsse natürlich in Bern als dem Sitze <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rats<br />

stattfinden. Aber Dunant erklärte ihm, er bedaure, sich<br />

diesem Wunsche nicht fügen zu können; das Werk sei in<br />

Genf entsprungen, die erste Konferenz habe in Genf, wo auch<br />

<strong>der</strong> internationale Kongress seinen Sitz habe, stattgef<strong>und</strong>en,<br />

<strong>und</strong> ihm selbst, als dem Urheber <strong>des</strong> Werks, liege wesentlich<br />

daran, dass <strong>der</strong> diplomatische Kongress in seiner Vaterstadt<br />

stattfinde. 2 ) Der Minister willfahrte diesem Wunsche,<br />

allerdings etwas wi<strong>der</strong>willig, denn Bern schien ihm, wie er<br />

wie<strong>der</strong>holt bemerkte, passen<strong>der</strong> für eine <strong>der</strong>artige Versammlung.<br />

Dunant erzählt in seinen Denkwürdigkeiten, er habe<br />

damals den Eindruck gewonnen, als hege <strong>der</strong> Minister eine<br />

beson<strong>der</strong>e Voreingenommenheit gegen Genf, <strong>und</strong> als hätte er<br />

je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Stadt <strong>der</strong> Schweiz eher als Genf die Ehre<br />

gegönnt, die diplomatische Konferenz in ihren Mauern aufzunehmen.<br />

3 )<br />

Hierauf kam die Bede auf die einzuladenden Staaten.<br />

Der Bevollmächtigte <strong>des</strong> internationalen Ausschusses (Dunant)<br />

bestand darauf, dass unter den europäischen Mächten auch<br />

alle die deutschen Staaten, welche Abgeordnete zur ersten<br />

internationalen Konferenz geschickt hatten, eingeladen würden.<br />

— „Wie! Sie wollen alle deutschen Kleinstaaten einladen?"<br />

rief Drouyn de Lhuys aus. — „Nein," erwi<strong>der</strong>te<br />

Dunant, „aber die Königreiche <strong>und</strong> Grossherzogtümer, das<br />

*) Dunants Denkwürdigkeiten.<br />

8<br />

) Lue<strong>der</strong> berichtet darüber ohne nähere Angaben über diese Unterredung.<br />

3<br />

) Bei einem Besuch, welchen Dunant ini Jahre 1868 in Begleitung<br />

von Pro f. Eiehhoif bei Drouyn de Lhnys machte, als dieser nicht mehr<br />

Minister war, äusserte sich <strong>der</strong> letztere in solcher Weise, dass kein Zweifel<br />

darüber bestehen kann. Ihm wäre sogar Brüssel lieber als Genf, aber er<br />

war so höf lieh, dem Drängen Dunants nachzugeben.


— 200 —<br />

heisst, ausser den beiden deutschen Grossmächten die Königreiche<br />

Bayern, Sachsen, Württemberg <strong>und</strong> Hannover, sowie<br />

die Grossherzogtümer Baden <strong>und</strong> Hessen, kurz alle Staaten,'<br />

welche sich auf <strong>der</strong> ersten Konferenz haben vertreten lassen."<br />

— Der Minister versicherte Dunant, sein Wunsch solle erfüllt<br />

werden. Sodann verständigte man sich noch über die<br />

Einladung <strong>der</strong> Kaiserreiche Brasilien <strong>und</strong> Mexico sowie <strong>der</strong><br />

Vereinigten Staaten Nordamerikas. Dagegen weigerte sich<br />

Drouyn de Lhuys entschieden, die südamerikanischen Republiken<br />

einzuladen, <strong>und</strong> diesem festen Entschlüsse <strong>des</strong> Ministers<br />

gegenüber bestand Dunant nicht weiter darauf. 1 )<br />

Thatsächlich ist die Liste <strong>der</strong> einzuladenden Mächte<br />

nicht von <strong>der</strong> französischen Regierung aufgestellt worden, wie<br />

Lue<strong>der</strong> 2 ) anzunehmen scheint; aber sie wurde zwischen dem<br />

französischen Minister <strong>des</strong> Auswärtigen <strong>und</strong> dem bevollmächtigten<br />

Vertreter <strong>des</strong> internationalen Ausschusses ernstlich<br />

besprochen. s ) Der letztere beeilte sich, den Ausschuss, welcher<br />

in Genf mit Bangen auf Nachricht wartete, sowie Herrn<br />

Dr. Kern in Paris von dem Verlauf <strong>der</strong> Audienz in Kenntnis<br />

zu setzen. General Dufour <strong>und</strong> Moynier reisten sofort nach<br />

Bern, um die Meinung <strong>des</strong> Schweizer Bun<strong>des</strong>rats auszuforschen<br />

<strong>und</strong> um seine Vermittlung nachzusuchen. Dieser war<br />

wegen <strong>der</strong> neutralen Stellung <strong>der</strong> Schweiz ganz beson<strong>der</strong>s<br />

dazu geeignet, den Schritt zu thun, den man von ihm erwartete.<br />

4 ) Dank dem Einfluss <strong>des</strong> Generals Dufour zeigte die<br />

Bun<strong>des</strong>regierung die grösste Bereitwilligkeit <strong>und</strong> betrachtete<br />

eine <strong>der</strong>artige Aufgabe als eine grosse Ehre.<br />

Der internationale Ausschuss richtete alsdann durch Ver-<br />

*) Dunant versichert in seinen Denkwürdigkeiten, dass bei dieser<br />

wichtigen Unterredung sich alles wörtlich so zutrug, wie oben berichtet<br />

wurde.<br />

2) Lue<strong>der</strong>, S. 107. Vergleiche auch Leonce de Cazenove, La Gue rre<br />

et l'Humanitf.<br />

S) Dnnants Denkwürdigkeiten.<br />

*) Lue<strong>der</strong>, S. 106.


— 201 —<br />

mittlung <strong>des</strong> Schweizer Bevollmächtigten in Paris, Dr. Kern,<br />

ein offizielles Schreiben an den französischen Minister <strong>des</strong><br />

Auswärtigen, <strong>und</strong> am 25. Mai 1864 schickte Dr. Kern nachstehende<br />

Zuschrift an Dunant nach Paris:<br />

„Geehrter Herr! Ich beeile mich, Ihnen die Abschrift<br />

eines Briefes zu übersenden, den ich soeben als Antwort auf<br />

das Schreiben erhalten habe, welches Ihr Ausschuss durch<br />

meine Vermittlung an den Minister <strong>des</strong> Auswärtigen richtete.<br />

Den Brief selbst habe ich dem Bun<strong>des</strong>rat zugesandt <strong>und</strong> ihm<br />

dabei die ferneren Schritte <strong>des</strong> Ausschusses zu gütiger Aufnahme<br />

empfohlen. Mit <strong>der</strong> Bitte, die beiliegende Abschrift<br />

dem Herrn Vorsitzenden Ihres Ausschusses zu übermitteln,<br />

benütze ich mit Freuden diese Gelegenheit, um Sie nochmals<br />

meiner ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.<br />

Der bevollmächtigte Minister<br />

<strong>der</strong> Schweizer Eidgenossenschaft<br />

(gezeichnet) Dr. Kern.<br />

Die offizielle Botschaft <strong>des</strong> internationalen Ausschusses<br />

an den Schweizer Bun<strong>des</strong>rat ist datiert vom 26. Mai 1864.<br />

„Der Bun<strong>des</strong>rat übernahm jedoch nur diese formelle Initiative;<br />

die ganze materielle Sorge <strong>und</strong> Verantwortlichkeit überliess<br />

er dem internationalen Ausschuss." 1 )<br />

Der Bun<strong>des</strong>rat richtete also am 6. Juni 1864 an alle in<br />

Aussicht genommenen Staaten eine Einladung zu dem diplomatischen<br />

Kongress, welcher am 8. August 1864 in Genf<br />

zusammentreten sollte. Das R<strong>und</strong>schreiben <strong>der</strong> französischen<br />

Regierung, welches die Annahme dieser Einladung befürwortete,<br />

wurde einige Tage später verschickt. 2 )<br />

Die Einladung fand bei einer grossen Anzahl von Mächten<br />

bereitwillige Aufnahme. Von 25 Staaten, welchen sie<br />

zugesandt wurde, folgten ihr 16, indem sie offizielle Vertreter<br />

abschickten.<br />

*) Lue<strong>der</strong>, S. 106.<br />

^ Leonce de Cazenove.


— 202 —<br />

Der Beratungsraum <strong>des</strong> Kongresses, <strong>der</strong> am festgesetzten<br />

8. August zusammentrat, befand sich im Rathaus zu Genf,<br />

wo <strong>der</strong> Staatsrat dieser Stadt zwei vortrefflich geeignete <strong>und</strong><br />

mit allem Nötigen versehene Säle zur Verfügung gestellt<br />

hatte. Alle Vorbereitungen zum Empfang <strong>der</strong> fremden Delegierten<br />

hatte <strong>der</strong> internationale Ausschuss getroffen. 1 )<br />

Die dem Kongresse anwohnenden Vertreter <strong>der</strong> 16 Mächte<br />

waren: .<br />

Baden: Dr. Steiner, Stabsarzt.<br />

Dr. Volz, Medizinalrat, Mitglied <strong>der</strong> Medizinaldirektion.<br />

Belgien: Visschers, Oberbergrat, Mitglied <strong>des</strong> Oberrats<br />

für öffentliche Ges<strong>und</strong>heitspflege.<br />

Dänemark: Dr. Fenger, Staatsrat.<br />

Frankreich: Jagerschmidt, Subdirektor im Ministerium<br />

<strong>des</strong> Auswärtigen.<br />

de Preval, Militärunterintendant erster Klasse.<br />

Dr. Boudier, Generalarzt.<br />

Grossbritannien: Dr. Longmore, Generalinspektor <strong>der</strong><br />

Spitäler <strong>und</strong> Professor <strong>der</strong> Militärchirurgie.<br />

Dr. Rutherford, Generalinspektor <strong>der</strong> Spitäler<br />

<strong>und</strong> Professor <strong>der</strong> Militärchirurgie.<br />

Hessen-Darmstadt: Major Brodriick, Generalstabsoffizier.<br />

Italien: Cavl? Felix Baroffio, Divisionsarzt.<br />

Capello, italienischer Konsul in Genf.<br />

Nie<strong>der</strong>lande: Dr. jur. Westenberg, Legationssekretär.<br />

Portugal: Dr. Marques, Vizedirektor im Militärges<strong>und</strong>heitsdepartement.<br />

Preussen: von Kamptz, Geheimer Legationsrat <strong>und</strong><br />

preussischer Ministerresident in <strong>der</strong> Schweiz.<br />

Dr. Loeffler, Generalarzt <strong>des</strong> IV. Armeecorps.<br />

Ritter, Geheimerat im Kriegsministerium.<br />

*) Lue<strong>der</strong>, S. 112.


— 203 —<br />

Sachsen: Dr. Günther, Generalarzt.<br />

Schweden-Norwegen: Major Staaff, Stabsoffizier <strong>und</strong><br />

Militärattache hei <strong>der</strong> schwedischen Gesandtschaft<br />

zu Paris.<br />

Schweiz: Dufour, kommandieren<strong>der</strong> General.<br />

G. Moynier, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> internationalen<br />

Ausschusses <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft.<br />

Dr. Lehmann, Generalarzt <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>heers.<br />

Spanien: S. Exc. J. Heriberto Garcia de Quevedo,<br />

Kammerherr <strong>und</strong> spanischer Bevollmächtigter<br />

bei <strong>der</strong> Schweiz.<br />

Vereinigte Staaten: George G. Fogg, Ministerresident<br />

<strong>der</strong> Vereinigten Staaten in <strong>der</strong> Schweiz.<br />

Cli. S. P. Bowies, europäischer Agent <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Sanitätskommission in Paris.<br />

Württemberg: Pfarrer Dr. Hahn, Vorstandsmitglied <strong>des</strong><br />

Württemberg. Zentralwohlthätigkeitsvereins.<br />

Vier von diesen Staaten, Grossbritannien, Sachsen,<br />

Schweden <strong>und</strong> die Vereinigten Staaten, hatten ihre<br />

Vertreter nicht mit den nötigen Vollmachten zur Unterzeichnung<br />

<strong>des</strong> Vertrags versehen, hatten sich aber die Möglichkeit<br />

vorbehalten, im Protokoll zu unterzeichnen; später traten sie<br />

dann auch in Bern dem <strong>Genfer</strong> Vertrage bei. Brasilien,<br />

Griechenland, Mexiko <strong>und</strong> die Türkei, von welchen<br />

Zuschriften einliefen, drückten ihr Bedauern aus, an dem<br />

Kongresse nicht teilnehmen zu können, da es ihnen unmöglich<br />

gewesen sei, rechtzeitig Abgeordnete zu demselben abzuschicken.<br />

Die drei letzteren stellten ihren späteren Beitritt<br />

zu den Beschlüssen <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Versammlung in Aussicht.<br />

Russland hatte die Einladung angenommen, konnte aber<br />

seinen Vertreter nicht mehr rechtzeitig abschicken.<br />

Von den 26 amtlich abgeordneten Personen hatten 12<br />

schon <strong>der</strong> 1803er Konferenz angewohnt, nämlich die Herren


— 204 —<br />

Dr. Steiner, de PrSval, Dr. Boudier, Dr. Rutherford,<br />

Major Brodrück, Capello, Dr. Loeffler, General<br />

Dufour, Moynier, Dr. Lehmann, Dr. Günther<br />

<strong>und</strong> Dr. Hahn.<br />

Der Vorsitz wurde zu Beginn <strong>der</strong> ersten Sitzung 1 auf<br />

Antrag <strong>des</strong> preussischen Abgesandten von Kamptz dem General<br />

Dufour übertragen, <strong>und</strong> dieser schlug als Schriftführer<br />

den Divisionsarzt <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>heers Dr. Briere vor, welcher<br />

als solcher eingeführt wurde, nachdem die Versammlung ihre<br />

Zustimmung gegeben hatte.<br />

Auf Vorschlag Dr. Loefflers gewährte man den übrigen<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> internationalen Ausschusses, zum<br />

Zeichen <strong>der</strong> Anerkennung ihres für das Werk <strong>des</strong> internationalen<br />

Kongresses entfalteten Eifers, das Recht, in passiver<br />

Weise an den Sitzungen teilzunehmen; dasselbe Recht<br />

wurde auch auf Westenbergs Antrag dem Kapitän van de<br />

Velde gewährt, welcher mehrfach zu Gunsten <strong>des</strong> Werkes<br />

thätig gewesen war.<br />

Die erfor<strong>der</strong>liche sachliche Vorbereitung für die Beratungen<br />

<strong>des</strong> Kongresses hatte <strong>der</strong> internationale Ausschuss<br />

durch Ausarbeitung eines Uebereinkommensentwurfs<br />

getroffen, welcher <strong>der</strong> Versammlung als feste Gr<strong>und</strong>lage für<br />

ihre Verhandlungen dienen sollte; denn die ganze Fürsorge<br />

für den Kongress ruhte ausschliesslich auf den Schultern <strong>des</strong><br />

internationalen Ausschusses.<br />

Dieser Uebereinkommensentwurf lautete: x )<br />

„Die Unterzeichneten, zu einem Kongress zusammengetretenen<br />

Bevollmächtigten haben folgende Bestimmungen angenommen,<br />

welche beobachtet werden sollen, für den Fall,<br />

dass zwischen ihren betreffenden Nationen Feindseligkeiten<br />

ausbrechen sollten:<br />

Art 1. Die leichten <strong>und</strong> die Haupt-Feldlazarette sollen als<br />

neutral anerkannt <strong>und</strong> demgemäss von den Krieg-<br />

*) Protocole de Ia Conference internationale; Lue<strong>der</strong>, u. s. w.


- 205 —<br />

führenden geschützt <strong>und</strong> geachtet werden, solange<br />

sich Kranke o<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ete darin befinden.<br />

Art. 2. Das ganze Sanitätspersonal, mit Einschluss <strong>der</strong><br />

Aerzte <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ärzte, <strong>der</strong> Apotheker, Krankenwärter,<br />

Verwaltungsbediensteten <strong>und</strong> im allgemeinen<br />

aller Personen, welche dem Spital- <strong>und</strong> Ambulanzdienst<br />

beigegeben sind, nimmt an <strong>der</strong> Wohltliat <strong>der</strong><br />

Neutralisierung teil.<br />

Art. 3. Die im Vorstehenden bezeichneten Personen können<br />

selbst nach <strong>der</strong> feindlichen Besitznahme fortfahren,<br />

in dem von ihnen bedienten leichten <strong>und</strong> Haupt-<br />

Feldlazarett ihrem Amte obzuliegen, solange dies<br />

nötig sein wird, <strong>und</strong> werden sich alsdann zurückziehen,<br />

ohne auf irgend welche "Weise zur Rechenschaft<br />

gezogen o<strong>der</strong> belästigt zu werden.<br />

•Art. 4. Diese Personen können jedoch nur solche Gegenstände<br />

mitnehmen, welche ihr Privateigentum sind.<br />

Alles Material, welches zur Einrichtung <strong>des</strong> leichten<br />

o<strong>der</strong> Haupt-Feldlazaretts gedient hat, unterliegt den<br />

Kriegsgesetzen.<br />

Art. 5. Die Lan<strong>des</strong>bewohner, welche bei <strong>der</strong> Fortschaffung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Hilfeleistung an<br />

solche auf dem Schlachtfelde mitwirken, sollen geschont<br />

werden <strong>und</strong> unbedingt frei bleiben.<br />

Art. 6. Die schwerverw<strong>und</strong>eten Militärpersonen, sei es dass<br />

sie schon in die leichten o<strong>der</strong> Haupt-Feldlazarette<br />

aufgenommen, o<strong>der</strong> dass sie auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n<br />

aufgelesen wurden, werden nicht nur gepflegt, son<strong>der</strong>n<br />

werden auch nicht gefangen genommen. Sie<br />

sollen nach Hause zurückkehren können, unter <strong>der</strong><br />

Bedingung, dass sie während <strong>der</strong> Dauer <strong>des</strong> Feldzugs<br />

die Waffen nicht wie<strong>der</strong> ergreifen.<br />

Art. 7. Den im vorhergehenden Artikel erwähnten Militärpersonen<br />

wird ein Geleitsbrief <strong>und</strong>, wenn nötig, eine<br />

Reisevergütung zugestellt, wenn sie nach ihrer Hei-


— 208 —<br />

lung den Ort, wo sie gepflegt wurden, zu verlassen<br />

haben.<br />

Art. 8. Die den Kranken <strong>und</strong> den zum Feldlazarett gehörigen<br />

Personen nötigen Gegenstände werden von dem besitzergreifenden<br />

Heere gestellt, welches sich später<br />

auf Gr<strong>und</strong> regelrechter zu diesem Zwecke ausgestellter<br />

Scheine den Betrag zurückerstatten lässt.<br />

Art. 9. Eine deutlich erkennbare <strong>und</strong> übereinstimmende<br />

Armbinde soll für die Offiziere <strong>und</strong> Angestellten <strong>des</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienstes zulässig sein.<br />

Ebenso wird in allen Län<strong>der</strong>n für die leichten<br />

<strong>und</strong> Haupt-Feldlazarette eine gleichförmige Fahne<br />

angenommen.<br />

Diese Fahne <strong>und</strong> diese Armbinde sollen diejenigen<br />

sein, die in Genf von <strong>der</strong> internationalen<br />

Konferenz vom Oktober 1863 angenommen wurden<br />

(rotes Kreuz auf weissem Gr<strong>und</strong>).<br />

Art. 10. Diejenigen, welche, ohne das Recht zum Tragen<br />

einer solchen Armbinde zu haben, eine solche anlegen,<br />

um zu spionieren, sollen nach <strong>der</strong> ganzen<br />

Strenge <strong>der</strong> Kriegsgesetze bestraft werden.<br />

Art. 11. Aehnliche Bestimmungen wie die eben angeführten<br />

bezüglich <strong>der</strong> Seekriege können den Gegenstand<br />

einer weiteren Konvention zwischen den beteiligten<br />

Mächten bilden.<br />

Die Versammlung beriet sich in sieben Sitzungen vom<br />

8.—22. August. Zu Anfang <strong>der</strong> ersten Sitzung erklärte<br />

General Dufour die Versammlung für eröffnet, nachdem er<br />

in einer beredten, hochherzigen Ansprache den Zweck <strong>des</strong><br />

Kongresses erörtert <strong>und</strong> hervorgehoben hatte, dass die Abgeordneten<br />

<strong>der</strong> Regierungen nur die auf <strong>der</strong> 1863er Konferenz<br />

geäusserten Wünsche bezüglich <strong>der</strong> Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> Feldlazarette, <strong>des</strong> Sanitätspersonals


— 207 —<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten zu prüfen hätten. — Mehrere<br />

Abgeordnete hatten keine Vollmachten, Hessen sich aber<br />

solche noch während <strong>der</strong> Verhandlungen erteilen, <strong>und</strong> am<br />

Schlüsse <strong>des</strong> Kongresses konnten die Bevollmächtigten von<br />

zwölf Mächten die Konvention unterzeichnen.<br />

Gerade während <strong>der</strong> friedfertige Akt <strong>der</strong> Unterzeichnimg<br />

dieses menschenfre<strong>und</strong>lichen Vertrags im Eathause stattfand,<br />

herrschte in <strong>der</strong> Stadt Genf Aufregung <strong>und</strong> Unruhe wegen<br />

einer Wahlangelegenheit.*) Dunant erzählt in seinen Denkwürdigkeiten,<br />

wie während dieser letzten Sitzung <strong>der</strong> Lärm<br />

<strong>und</strong> das Getöse auf <strong>der</strong> Strasse so stark wurde, dass er<br />

schliesslich den Sitzungssaal <strong>des</strong> Kongresses verliess, um die<br />

Thüren <strong>des</strong> grossen Saales, <strong>der</strong> als Vorzimmer diente, verriegeln<br />

<strong>und</strong> die Saalfenster, welche auf den mit wütenden<br />

Bürgern angefüllten Rathaushof gingen, schliessen zu lassen.<br />

An einem <strong>der</strong> Fenster dieses grossen Vorzimmers hatte er<br />

mit einer Schar aufgeregter Leute zu unterhandeln, die ausser<br />

sich vor Wut waren <strong>und</strong> von denen einige sogar heraufzuklettern<br />

versuchten, in <strong>der</strong> Erwartung, die Staatsratsmitglie<strong>der</strong><br />

bei <strong>der</strong> Beratung in ihrem gewöhnlichen Lokale zu treffen.<br />

— Die Stadt Genf spaltete sich damals in zwei politische<br />

Heerlager, die sehr gegen einan<strong>der</strong> aufgebracht waren <strong>und</strong><br />

sich um die Herrschaft stritten: die Demokraten o<strong>der</strong> Pseudokonservativen,<br />

welche es mit den Liberalen hielten <strong>und</strong> mit<br />

ihnen verschmolzen waren, <strong>und</strong> die Radikalen. Bei einer<br />

politischen K<strong>und</strong>gebung, welche eben am 22. August von den<br />

Demokraten infolge jener stürmischen <strong>und</strong> angefochtenen<br />

Wahlen veranstaltet wurde, hatte die feindliche radikale<br />

Partei verräterisch auf sie geschossen, einige Demokraten aus<br />

dem unbewaffneten Aufzug getötet <strong>und</strong> eine noch viel grössere<br />

Anzahl verw<strong>und</strong>et. Hierauf war die angegriffene Partei in<br />

Masse vor das Rathaus gezogen, wo sie nun in Ausdrücken<br />

<strong>des</strong> Unwillens <strong>und</strong> unter Schimpfen nach den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong><br />

i) Lue<strong>der</strong>. Die <strong>Genfer</strong> Konvention. S. 124.


— 208 —<br />

Staatsrats, lauter Radikalen, verlangte, um sie zu sehen,<br />

ihnen ihr Missfallen auszusprechen, vielleicht auch um in<br />

ihrer gerechten Entrüstung <strong>und</strong> übergrossen Erregung Hand<br />

an sie zu legen. Die Staatsratsmitglie<strong>der</strong> waren jedoch nicht<br />

aufzufinden; wahrscheinlich verdankten sie ihre Rettung <strong>der</strong><br />

liebenswürdigen Gastfre<strong>und</strong>schaft, welche sie dem Kongresse<br />

gewährt hatten. Auf die wie<strong>der</strong>holte Versicherung hin, dass<br />

sich kein Mitglied <strong>des</strong> Staatsrats in dem gewöhnlichen<br />

Sitzungssaale befinde, traten die Demokraten endlich den<br />

Rückzug an.<br />

Die Bevollmächtigten Hessen sich trotz <strong>des</strong> dumpfen<br />

Lärmens, <strong>der</strong> bis zu ihren Ohren drang, nicht aus <strong>der</strong> Fassung<br />

bringen. Nachdem aber die wackeren Vertreter <strong>der</strong><br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Herrscher, welche sie abgesandt hatten,<br />

um ein Werk <strong>der</strong> Barmherzigkeit zu verrichten, ihre Unterschriften<br />

gegeben hatten, verschwanden sie schleunigst, um<br />

sich mit eigenen Augen von den Schönheiten eines Systems<br />

zu überzeugen,, welches so sehr von <strong>der</strong> Regierungsform abwich,<br />

an die sie zu Hause gewöhnt waren. — „General Dufour<br />

<strong>und</strong> ich," erzählt Dunant weiter, „blieben bis zuletzt im Rathaus;<br />

ich liess einen Wagen holen <strong>und</strong> begleitete den ehrwürdigen<br />

Vorsitzenden <strong>des</strong> Kongresses, welcher ganz bekümmert<br />

<strong>und</strong> unglücklich war; sodann kam ich noch einmal<br />

in den Sitzungssaal <strong>des</strong> Staatsrats zurück, um die letzten<br />

Anordnungen zu treffen <strong>und</strong> die auf den Kongress bezüglichen<br />

Papiere mitzunehmen. — Als ich kurz darauf das Rathaus<br />

wie<strong>der</strong> verliess, wurde mir mitgeteilt, dass das Gerücht gehe,<br />

mein Bru<strong>der</strong>, Dr. Dunant, sei auf einem Ausgang, den er<br />

machte, um den Opfern <strong>des</strong> Auflaufs beizustehen, verwtindet<br />

worden. Sofort machte ich mich auf den Weg nach <strong>der</strong><br />

Unterstedt, um dort Nachforschungen nach ihm anzustellen.<br />

Als ich auf den um diese Tageszeit gewöhnlich sehr belebten<br />

Uferdämmen ankam, war dort alles menschenleer; dieselbe<br />

Einsamkeit, dieselbe Stille herrschte auf dem Pont <strong>des</strong> Bergues,<br />

abgesehen von dem Pfeifen einiger verirrter Kugeln.


— 209 —<br />

Als ich endlich in dem unruhigen Viertel, wo man zu den<br />

Waffen gegriffen hatte, angelangt war, erfuhr ich zu meiner<br />

unaussprechlichen Freude, dass die Nachricht falsch war.<br />

„AVährend <strong>der</strong> siebzehn Tage, welche <strong>der</strong> Kongress dauerte,<br />

konnten die Bevollmächtigten den interessantesten Festen<br />

anwohnen, welche ihnen zu Ehren veranstaltet wurden. Der<br />

Bun<strong>des</strong>präsident, Herr Dubs, kam eigens von Bern herbei, um<br />

die nötigen Anordnungen zu einem grossen Festmahle zu<br />

treffen, welches <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>rat den in Genf versammelten<br />

fremden Abgeordneten gab, <strong>und</strong> welches am 13. August im<br />

Hotel de la Metropole stattfand. An einem an<strong>der</strong>n Tage<br />

empfing Herr Moynier die Gäste in seinem schönen Landsitze<br />

am Ufer <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Sees, <strong>und</strong> Herr Vernes, nach einer Vergnügungsfahrt<br />

im Dampfboot, in Versoix; ferner veranstalteten<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>oberst, Herr Edmond Favre, <strong>und</strong> Herr Frant-ois<br />

Bartholony je ein glänzen<strong>des</strong> Fest auf ihren prächtigen Besitzungen<br />

La Grange <strong>und</strong> Secheron. Der französische Gesandte,<br />

Graf de Turgot, welcher zu einem <strong>der</strong> Feste eingeladen<br />

war, hielt es für seine Schuldigkeit, von Bern zu<br />

demselben herbeizukommen, um, wie er gütigst erklärte, die<br />

ganze Teilnahme zu bek<strong>und</strong>en, welche seine Regierung den<br />

Beratungen <strong>des</strong> Kongresses entgegenbrachte. — Dies gehört<br />

<strong>der</strong> anekdotischen Zeitgeschichte an, aber es ist doch auch<br />

Geschichte. Und wenn <strong>der</strong> Präsident eines kleinen Bun<strong>des</strong><br />

von souveränen Staaten von Bern nach Genf kommt, einzig<br />

<strong>und</strong> allein, um ein Bankett in dieser Stadt anzuordnen, <strong>und</strong><br />

wenn er ein zweites Mal dorthin reist, um in herzlicher<br />

Gastfre<strong>und</strong>schaft die im Namen <strong>der</strong> Menschlichkeit versammelten<br />

Vertreter Europas zu bewirten, so trägt dies alles<br />

wirklich einen rührenden patriarchalischen Anstrich, welcher<br />

gut zu den Anfängen <strong>des</strong> ersten allgemeinen diplomatischen<br />

Werkes <strong>der</strong> Nächstenliebe stimmt, eines Werkes, <strong>des</strong>sen<br />

Wohlthaten heute <strong>der</strong> ganzen Welt zu gut kommen." 1 )<br />

*) Ans Dnnants Denkwürdigkeiten.<br />

14


— 210 —<br />

Der Wortlaut 1 ) <strong>des</strong> unterzeichneten Vertrags <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Konvention ist dieser:<br />

Konvention<br />

zur Verbesserung <strong>des</strong> Schicksales <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

Soldaten <strong>der</strong> Armeen im Felde.<br />

Seine Königliche Hoheit <strong>der</strong> Grossherzog von Baden,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> König <strong>der</strong> Belgier,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> König von Dänemark,<br />

Ihre Majestät die Königin von'Spanien,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> Kaiser <strong>der</strong> Franzosen,<br />

Seine Königliche Hoheit <strong>der</strong> Grossherzog von Hessen-<br />

Darmstadt,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> König von Italien,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> König <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> König von Portugal <strong>und</strong> Algarbien,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> König von Preussen,<br />

Die Schweizer Eidgenossenschaft,<br />

Seine Majestät <strong>der</strong> König von Württemberg,<br />

von dem gleichen Wunsche beseelt, so weit es von ihnen<br />

abhängt, die vom Kriege unzertrennlichen Leiden zu mil<strong>der</strong>n,<br />

unnötige Härten zu beseitigen <strong>und</strong> das Los <strong>der</strong> auf dem<br />

Schlachtfelde verw<strong>und</strong>eten Soldaten zu verbessern, haben zu<br />

diesem Behufe beschlossen, eine Konvention zu vereinbaren,<br />

<strong>und</strong> zu ihren Bevollmächtigten ernannt :<br />

(es folgen die Namen <strong>der</strong> Fürsten <strong>und</strong> ihrer Vertreter)<br />

welche nach Austausch ihrer in guter <strong>und</strong> vorschriftsmässiger<br />

Form bef<strong>und</strong>enen Vollmachten über folgende Artikel übereingekommen<br />

sind:<br />

i) Lue<strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Konvention. S. 124 ff. — Dort<br />

finden sich aneh nähere Angaben über die während <strong>der</strong> Verhandlungen<br />

gemachten Abän<strong>der</strong>ungsvorschläge zu dem ursprünglichen Entwurf.


— 211 —<br />

Art. 1.<br />

Die leichten <strong>und</strong> Haupt-Feldlazarette sollen als neutral<br />

anerkannt <strong>und</strong> demgemäss von den Kriegführenden geschützt<br />

<strong>und</strong> geachtet werden, solange sich Kranke o<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ete<br />

darin befinden.<br />

Die Neutralität würde aufhören, wenn diese Feldlazarette<br />

mit Militär besetzt worden wären.<br />

Art. 2.<br />

Das Personal <strong>der</strong> leichten <strong>und</strong> Haupt-Feldlazarette, inbegriffen<br />

die mit <strong>der</strong> Aufsicht, <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitspflege, <strong>der</strong><br />

Verwaltung, dem Transport <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten beauftragten<br />

Personen, sowie die Feldprediger, nehmen so lange an <strong>der</strong><br />

Wolilthat <strong>der</strong> Neutralität teil, als sie ihren Verpflichtungen<br />

obliegen, <strong>und</strong> als Verw<strong>und</strong>ete aufzuheben o<strong>der</strong> zu verpflegen<br />

sind.<br />

Art. 3.<br />

Die im vorhergehenden Artikel bezeichneten Personen<br />

können selbst nach <strong>der</strong> feindlichen Besitznahme fortfahren,<br />

in den von ihnen bedienten leichten o<strong>der</strong> Haupt-Feldlazaretten<br />

ihrem Amte obzuliegen, o<strong>der</strong> sich zurückziehen, um<br />

sich den Truppen anzuschliessen, zu denen sie gehören.<br />

Wenn diese Personen* unter solchen Umständen ihre<br />

Thätigkeit einstellen, wird die den Platz behauptende Armee<br />

dafür sorgen, dass sie den feindlichen Vorposten zugeführt<br />

werden.<br />

Art. 4.<br />

Das Material <strong>der</strong> Haupt-Feldlazarette unterliegt den<br />

Kriegsgesetzen, <strong>und</strong> die zu diesen Lazaretten gehörigen Personen<br />

dürfen daher bei ihrem Eiickzug nur diejenigen Gegenstände<br />

mitnehmen, welche ihr Privateigentum sind.<br />

Das leichte Feldlazarett dagegen bleibt unter gleichen<br />

Umständen im Besitz seines Materials.<br />

Art. 5.<br />

Die Lan<strong>des</strong>bewohner, welche den Verw<strong>und</strong>eten zu Hilfe<br />

kommen, sollen geschont werden <strong>und</strong> frei bleiben.


— 212 —<br />

Die Generale <strong>der</strong> kriegführenden Mächte haben die Aufgabe,<br />

die Einwohner von dem an ihre* Menschlichkeit ergehenden<br />

Rufe <strong>und</strong> <strong>der</strong> daraus sich ergebenden Neutralität<br />

in Kenntnis zu setzen.<br />

Je<strong>der</strong> in einem Hause aufgenommene <strong>und</strong> verpflegte Verw<strong>und</strong>ete<br />

soll demselben als Schutz dienen. Der Einwohner,<br />

welcher Verw<strong>und</strong>ete bei sich aufnimmt, soll mit Truppeneinquartierung<br />

sowie mit einem Teil <strong>der</strong> etwa auferlegten<br />

Kriegskontributionen verschont werden.<br />

Art. 6.<br />

Die verw<strong>und</strong>eten o<strong>der</strong> erkrankten Militärs sollen ohne<br />

Unterschied <strong>der</strong> Nationalität aufgenommen <strong>und</strong> verpflegt<br />

werden.<br />

Den Oberbefehlshabern soll es freistehen, die während<br />

<strong>des</strong> Gefechts verw<strong>und</strong>eten feindlichen Militärs sofort den.<br />

feindlichen Vorposten zu übergeben, wenn die Umstände dies<br />

gestatten <strong>und</strong> beide Parteien einverstanden sind.<br />

Diejenigen, welche nach ihrer Heilung als dienstunfähig<br />

bef<strong>und</strong>en worden sind, sollen in ihre Heimat zurückgeschickt<br />

werden.<br />

Die an<strong>der</strong>n können ebenfalls zurückgeschickt werden<br />

unter <strong>der</strong> Bedingung, während <strong>der</strong> Dauer <strong>des</strong> Kriegs die<br />

Waffen nicht wie<strong>der</strong> zu ergreifen.<br />

Die Verbindeplätze <strong>und</strong> Depots nebst dem sie leitenden<br />

Personal gemessen unbedingte Neutralität.<br />

Art. 7.<br />

Eine deutlich erkennbare <strong>und</strong> übereinstimmende Fahne<br />

soll bei den Feldlazaretten, den Verbindeplätzen <strong>und</strong> Depots<br />

aufgesteckt werden. Daneben muss unter allen Umständen<br />

die Nationalflagge aufgepflanzt werden.<br />

Ebenso soll für das unter dem Schutz <strong>der</strong> Neutralität<br />

stehende Personal eine Armbinde zulässig sein; aber die Verabfolgung<br />

einer solchen bleibt <strong>der</strong> Militärbehörde überlassen.<br />

Die Fahne <strong>und</strong> die Armbinde sollen ein rotes Kreuz auf<br />

weissem Grande tragen.


— 213 —<br />

Art. 8.<br />

Die Einzelheiten <strong>der</strong> Ausführung <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />

Konvention sollen von den Oberbefehlshabern <strong>der</strong> kriegführenden<br />

Armeen nach den Anweisungen ihrer betreifenden Regierungen<br />

<strong>und</strong> nach Massgabe <strong>der</strong> in dieser Konvention ausgesprochenen<br />

allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze angeordnet werden.<br />

Art. 9.<br />

Die hohen vertragschliessenden Mächte sind übereingekommen,<br />

gegenwärtige Konvention denjenigen Regierungen,<br />

welche keine Bevollmächtigte zur internationalen Konferenz<br />

in Genf haben schicken können, mitzuteilen <strong>und</strong> sie zum<br />

Beitritt einzuladen. Das Protokoll wird zu diesem Zweck<br />

offen gelassen.<br />

Art. 10.<br />

Die gegenwärtige Konvention soll ratifiziert <strong>und</strong> die<br />

Ratifikationsurk<strong>und</strong>en sollen in Bern binnen vier Monaten<br />

o<strong>der</strong>, wenn es sein kann, früher ausgewechselt werden.<br />

Zu Urk<strong>und</strong> <strong>des</strong>sen haben die betreffenden Bevollmächtigten<br />

dieselbe unterzeichnet <strong>und</strong> den Abdruck ihrer Wappen<br />

beigefügt.<br />

Geschehen zu Genf den zwei<strong>und</strong>zwanzigsten August <strong>des</strong><br />

Jahres eintausend achth<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> vier<strong>und</strong>sechzig.<br />

Der Austausch <strong>der</strong> Ratifikationen sollte binnen vier Monaten,<br />

d. h. spätestens am 22. Dezember 1864 erfolgen. An<br />

diesem Tage kamen die Vertreter von elf Vertragsmächten<br />

in Bern zusammen, aber nur acht von ihnen waren in <strong>der</strong><br />

Lage den Austausch vorzunehmen. Man beschloss daher,<br />

den für den Austausch bestimmten Termin um drei Monate,<br />

d. h. bis zum 22. März 1865 zu verschieben, <strong>und</strong> auf den<br />

Vorschlag <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rats vom 15. März 1865 wurde dieser<br />

neue Termin abermals um drei Monate, also bis zum 22. Juni<br />

18G5 verlängert. Was die Form <strong>des</strong> Austausches betrifft,<br />

so händigte jede <strong>der</strong> acht vertretenen Mächte den übrigen<br />

einen Ratifikationsakt ein. Hinsichtlich <strong>der</strong> späteren, nach


— 214 —<br />

dem Artikel 9 <strong>der</strong> Konvention zu erwartenden Beitrittserklärungen<br />

nahm man folgende Form an: die nach Bern<br />

zu sendenden Beitrittserklärungen sollten in den eidgenössischen<br />

Archiven verbleiben; die Schweizer Bun<strong>des</strong>regierung<br />

aber sollte den beigetretenen Mächten von je<strong>der</strong> eingelaufenen<br />

Beitrittserklärung eine beglaubigte Abschrift zusenden, <strong>und</strong><br />

die Mächte sollten ihrerseits durch Ministerialschreiben im<br />

Namen <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>herrn antworten. 1 )<br />

Gemäss Artikel 9 <strong>der</strong> Konvention machte <strong>der</strong> Schweizer<br />

Bun<strong>des</strong>rat den Regierungen von Bayern, Brasilien, Griechenland,<br />

Hannover, Mexiko, Oestreich, Kussland <strong>und</strong> <strong>der</strong> Türkei,<br />

sowie den vier Mächten, welche auf dem Kongresse vertreten<br />

gewesen waren, aber nicht unterzeichnet hatten, England,<br />

Sachsen, Schweden <strong>und</strong> den Vereinigten Staaten von Nordamerika,<br />

Mitteilung von <strong>der</strong> Konvention nebst einer Einladung<br />

zum Beitritt. Infolge dieser Einladung erklärten Griechenland,<br />

England <strong>und</strong> Schweden ihren Beitritt zur <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

; dasselbe geschah von Seiten Mecklenburg-Schwerins. 2 )<br />

Wie Lue<strong>der</strong> hervorhebt, verdankte man den Beitritt<br />

mehrerer Mächte den Bemühungen <strong>des</strong> internationalen Ausschusses<br />

zu Genf' 3 ) <strong>und</strong> <strong>der</strong> nationalen Ausschüsse <strong>der</strong> frei-<br />

') Dunant, La Charit e internationale sur les champs de<br />

bataille, ßme Edition. — Leonce de Cazenove, La Guerre et l'HumanitS.<br />

— Moynier, Neutralite <strong>des</strong> blesses. — Lue<strong>der</strong>, Die<br />

<strong>Genfer</strong> Konvention.<br />

*) Ebenda.<br />

3 ) Auch hier sind die Erfolge bis zum Jahre 1867, wo er sich dauernd<br />

in Paris nie<strong>der</strong>liess <strong>und</strong> seinen Austritt aus dem <strong>Genfer</strong> Ausschnss erklärte,<br />

nachdem er den Rest seines Vermögens vollends verloren hatte, grossenteils<br />

<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Thätigkeit <strong>und</strong> Ausdauer Dunants zu verdanken; beson<strong>der</strong>s<br />

von dem genannten Jahre ab jedoch, <strong>und</strong> eine lange Reihe von<br />

Jahren hindurch, dem Eifer <strong>und</strong> den unablässigen Bemühungen Moyniers.<br />

Yor allem aber ist die gesittete Welt dem Schweizer Bun<strong>des</strong>rat zu Dank<br />

verpflichtet für sein diplomatisches Vorgehen <strong>und</strong> die fortdauernde Fürsorge,<br />

die er <strong>der</strong> ganzen Sache zuwandte. — Der Beitritt <strong>des</strong> Schahs von<br />

Persien im Jahre 1873 ist den Bemühungen Dnnants zu verdanken, <strong>der</strong>jenige<br />

<strong>des</strong> Kongostaats im Jahre 1889 denen <strong>des</strong> Herrn Moynier.


— 215 —<br />

willigen Hilfsvereine, sowie <strong>der</strong> Thätigkeit <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rats.<br />

„In <strong>der</strong> Tliat ist <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Ausschuss mit seinen Bun<strong>des</strong>genossen,<br />

den nationalen Ausschüssen, in dem unablässigen,<br />

energievollen Bestreben für die einmal unternommene Aufgabe<br />

sich in je<strong>der</strong> Beziehung treu geblieben <strong>und</strong> einer <strong>der</strong> Hauptfaktoren<br />

für die weitere Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

geAvesen. Diese Entwicklung hat er, wie zunächst durch das<br />

Hinwirken auf den Anschluss <strong>der</strong> einzelnen Staaten zu dem<br />

1864 Vereinbarten, so auch sonst in verschiedener Weise zu<br />

för<strong>der</strong>n gewusst. — Das thätige Mitarbeiten <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> internationalen<br />

Ausschusses zeigte sich auch in den Bemühungen,<br />

welche <strong>der</strong>selbe vor Ausbruch <strong>des</strong> 1866er Krieges machte,<br />

um die Befolgung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention in<br />

dem bevorstehenden Kriege zu sichern, d. h. also hauptsächlich,<br />

da Preussen <strong>und</strong> Italien an die Befolgung <strong>der</strong> Konvention<br />

sich bereits geb<strong>und</strong>en hatten, zunächst Oestreich zu<br />

bestimmen, <strong>der</strong> Konvention noch vor Ausbruch <strong>des</strong> Krieges<br />

beizutreten... Der Ausschuss that beim Wiener Hof wie<strong>der</strong>holt<br />

Schritte, um denselben zum Beitritt zur <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

noch vor Ausbruch <strong>der</strong> Feindseligkeiten zu bewegen." *)<br />

Neben den offiziellen Schritten <strong>des</strong> internationalen Ausschusses<br />

wirkte Dunant auch persönlich bei hohen Persönlichkeiten<br />

<strong>der</strong> damals mit Oestreich verbündeten deutschen<br />

Staaten. Bekanntlich wandte die Königin Olga von Württemberg<br />

<strong>der</strong> Sache ihre ganz beson<strong>der</strong>e Teilnahme zu; ferner<br />

befahl <strong>der</strong> Feldmarschall Prinz Alexan<strong>der</strong> von Hessen, <strong>der</strong><br />

Oberkommandant auf dem südwestlichen Kriegsschauplatz,<br />

dem ihm unterstellten, aus den Kontingenten Süddeutschlands<br />

bestehenden Heere vermittelst eines Tagesbefehls vom 9. Juli<br />

die Beobachtung <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention. 2 ) Dunant ersuchte<br />

den Herzog von Fezensac, den Vorsitzenden <strong>des</strong> französischen:<br />

Ausschusses, um Unterstützung seiner Bemühungen beim<br />

*) Lue<strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Konvention. S. 139 f.<br />

s ) Der Sohn <strong>des</strong> Prinzen Alexan<strong>der</strong> von Hessen, Fürst Alexan<strong>der</strong> von<br />

Bulgarien, war in seinen Staaten ein eifriger Apostel <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>.


— 216 —<br />

französischen Minister <strong>des</strong> Auswärtigen, Drouyn de Lhu3*s,<br />

damit dieser in Wien diplomatische Schritte in <strong>der</strong> Sache<br />

thue. Der letztere, <strong>der</strong> die <strong>Genfer</strong> Konvention ein wenig<br />

als sein eigenes Werk betrachtete, beauftragte den damaligen<br />

französischen Gesandten am östreichischen Hof, den Herzog<br />

von Gramont, sich zu bemühen, um diese Macht zum Beitritt<br />

zur Konvention zu überreden. Der Herzog von Fezensac<br />

ging noch weiter: er schrieb unmittelbar an den Feldmarschall<br />

Erzherzog Albrecht, den Gegner <strong>des</strong> ritterlichen Königs Karl<br />

Albert <strong>und</strong> eine <strong>der</strong> hervorragendsten militärischen Persönlichkeiten<br />

Europas, um ihn zu veranlassen, seinen Einfluss<br />

zur Erlangung dieses Beitritts aufzubieten. Der Erzherzog,<br />

<strong>der</strong> älteste Sohn <strong>des</strong> berühmten Erzherzogs Karl, welcher bei<br />

Aspern-Essling <strong>und</strong> Wagram Napoleons Gegner gewesen war,<br />

<strong>des</strong>sen Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit ebenso sprichwörtlich war, wie<br />

seine Tapferkeit, <strong>und</strong> von dem <strong>der</strong> Ausspruch herrührte:<br />

„das Leben eines Tapferen hat für mich mehr Wert als<br />

fünfzig Geschütze" — konnte nicht umhin, die Bitte <strong>des</strong> ehrwürdigen<br />

französischen Herzogs, welcher im Anfang <strong>des</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

gegen seinen berühmten Yater gekämpft hatte, <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> beim Wiener Hof in hoher Achtung stand, günstig aufzunehmen.<br />

1 ) Lei<strong>der</strong> erfolgte dieser Beitritt erst nach Königgrätz.<br />

Aber als <strong>der</strong> Sieger von Custozza bald darauf Generalinspektor<br />

<strong>und</strong> Erneuerer <strong>des</strong> östreicliisch - ungarischen<br />

Heeres wurde, nahm er den Titel eines Protektors <strong>des</strong> „Oestreichischen<br />

patriotischen Hilfsvereins für die<br />

verw<strong>und</strong>eten Krieger, Militärwitwen <strong>und</strong> Waisen"<br />

an, d. h. <strong>des</strong> östreichischen Eoten <strong>Kreuzes</strong>, welchem die<br />

ganze kaiserliche Familie ihre Gönnerschaft zuwandte. Die<br />

östreiehische Regierung verfügte nach dem Vorgänge <strong>der</strong><br />

Schweiz <strong>und</strong> Schwedens, dass die Aerzte <strong>des</strong> Heeres künftig<br />

in Friedenszeiten die internationale Armbinde tragen sollten,<br />

um die Bevölkerung mit dem geheiligten Abzeichen <strong>der</strong> Menschlichkeit<br />

vertraut zu machen.<br />

i) Ans Dnnants Denkwürdigkeiten.


— 217 -<br />

Wie Leonee de Cazenove berichtet, wandte sich <strong>der</strong> Sekretär<br />

<strong>des</strong> patriotischen Hilfsvereins, Dr. Wilhelm Schlesinger,<br />

unmittelbar nach <strong>der</strong> Schlacht bei Königgrätz an den Grün<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Werks mit <strong>der</strong> Bitte, er möchte das preussische Centralkomite<br />

von dem Wunsche <strong>des</strong> Vereins in Kenntnis setzen,<br />

den in Preussen zurückgehaltenen östreichischen Verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> Gefangenen ansehnliche Gaben zu übermitteln;<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> That schickte <strong>der</strong> Wiener Verein ihnen bedeutende<br />

Summen zu, obwohl sie sich von Seiten <strong>der</strong> preussischen<br />

Vereine einer bew<strong>und</strong>erungswürdigen Behandlung zu erfreuen<br />

hatten. *)<br />

Eines <strong>der</strong> hocherfreulichen Blätter in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Konvention erzählt uns, wie beim Ausbruch <strong>des</strong> 1866er<br />

Kriegs <strong>der</strong> König von Preussen <strong>und</strong> nachmalige Kaiser Wilhelm<br />

I., eingedenk <strong>der</strong> Vorfahren, edel <strong>und</strong> hochherzig verkündigen<br />

liess, dass von preussischer Seite in dem nun ausgebrochenen<br />

Kriege die Bestimmungen <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

strenge gehalten werden sollten, als wenn man durch ein<br />

gegenseitiges Versprechen <strong>des</strong> Gegners dazu verpflichtet gewesen<br />

wäre. Diese Hochherzigkeit stand ganz im Einklang<br />

mit <strong>der</strong> ununterbrochenen hervorragenden För<strong>der</strong>ung, welche<br />

das preussische Königshaus vom ersten Anfang an den auch<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention zu Gr<strong>und</strong>e liegenden menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Gedanken gewidmet hat. Schon vor <strong>der</strong> Eröffnung<br />

<strong>der</strong> Feindseligkeiten hatte König Wilhelm am 23. Juni 1866<br />

dem Höchstkommandierenden <strong>des</strong> Heeres in Böhmen den Befehl<br />

erteilt, den gegenüberstehenden östreichischen Befehlshabern<br />

anzuzeigen, dass, obwohl Oestreich <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

bisher noch nicht beigetreten sei, die preussischen<br />

Truppen unter <strong>der</strong> Erwartung <strong>der</strong> Gegenseitigkeit angewiesen<br />

wären, „die durch diesen Vertrag geschützten Humanitäts-<br />

*) Unmittelbar vor, wie auch nach dem 1866er Krieg waren zwischen<br />

S. H. dem Prinzen von Eenss <strong>und</strong> Dnnant als Schriftführer <strong>des</strong> internationalen<br />

Ausschusses Briefe gewechselt worden. (S. Lue<strong>der</strong> <strong>und</strong> die<br />

Archive <strong>des</strong> Zentralkomites <strong>der</strong> deutschen Vereine in Berlin.)


— 218 —<br />

rücksichten gegen die östreichischen Sanitätsbeamten <strong>und</strong><br />

-anstalten zu üben." Nach den ersten siegreichen Gefechten<br />

wie<strong>der</strong>holte <strong>der</strong> Kronprinz von Preussen diese Einladung. 1 )<br />

Ueberall galt <strong>und</strong> gilt die patriotische Pflege <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

Volksgenossen, die fiir die Verteidigung ihres Lan<strong>des</strong><br />

kämpften, als eine Pflicht, die von niemand vernachlässigt<br />

wird; die barmherzige Pflege <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> aber, welchem<br />

nach den Vorschriften Christi <strong>und</strong> dem Beispiel <strong>des</strong> guten<br />

Samariters dieselbe Teilnahme, <strong>der</strong>selbe Beistand wie jenen<br />

zu gewähren ist, ist das gr<strong>und</strong>legende Prinzip <strong>des</strong> sogenannten<br />

Eoten <strong>Kreuzes</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> Konvention. Es geht<br />

nicht an, die beiden Zweige <strong>des</strong> ursprünglichen Werks: 1) die<br />

Thätigkeit <strong>der</strong> Kegierungen bei <strong>der</strong> Beobachtung <strong>der</strong> diplomatischen<br />

Konvention, <strong>und</strong> 2) die ganz freiwillige Thätigkeit<br />

<strong>der</strong> nationalen Vereine vom Boten Kreuz von einan<strong>der</strong> zu<br />

trennen. „Die Vereine vom Boten Kreuz <strong>und</strong> die <strong>Genfer</strong><br />

Konvention ergänzen sich also," nach Moyniers treffendem<br />

Ausdruck, „vollständig, ohne sich jedoch zu vermengen, <strong>und</strong><br />

sie haben geschichtlich denselben Ursprung." 2 ) Die <strong>Genfer</strong><br />

Konvention hat zum Zweck, die Leiden <strong>der</strong> unmittelbaren<br />

Opfer <strong>des</strong> Kriegs, d. h. <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> erkrankten<br />

Krieger zu mil<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e die Bürgschaften <strong>und</strong><br />

die Hilfeleistungen für die Opfer <strong>der</strong> grossen Schlachten zu<br />

vermehren. s )<br />

Man wird nun vielleicht einwenden, die Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten sei in dem Texte <strong>der</strong> Konvention<br />

nicht ausdrücklich ausgesprochen. — Dunant wünschte diese<br />

Neutralisierung von Anfang an, <strong>und</strong> hatte, wie wir uns erinnern,<br />

im September 1863 in Berlin, sodann mit dem König<br />

Johann von Sachsen in Dresden darüber gesprochen. Kurz<br />

darauf wurde sie auch von <strong>der</strong> ersten (nicht diplomatischen)<br />

i) Nach Lue<strong>der</strong>, S. 142 f.<br />

*) Ce que c'est qne la Croix Koug-e, par G. Moynier, President<br />

du comite international de seconrs anx militaires Wesses. 1874.<br />

3 ) Loefüer, Prenss. Militärsanitätswesen. •


— 219 —<br />

Konferenz in Genf in ihren „Wünschen" angenommen. „Ich<br />

konnte," sagt Dunant, „bei den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Konferenz<br />

im persönlichen Verkehr für diese Sache wirken: die Doktoren<br />

Loeffler <strong>und</strong> Basting, sowie die französischen Abgesandten<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e zeigten sich dem Gedanken günstig, <strong>und</strong><br />

mit Unterstützung endlich <strong>des</strong> Herrn Moynier, welcher die<br />

in <strong>der</strong> letzten Sitzung <strong>der</strong> Konferenz geäusserten <strong>und</strong> von<br />

ihr angenommenen Wünsche abgefasst hatte, hatte ich alsdann<br />

die Freude, die Neutralisierung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten auf<br />

das vollständigste ausgesprochen <strong>und</strong> angenommen zu sehen."<br />

— Wenn <strong>der</strong> diplomatische Kongress von 1864 diesen wichtigen<br />

Punkt unberücksichtigt zu lassen scheint, so wird doch<br />

in dem Texte <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention diese Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten so sehr als feststehend angesehen, dass<br />

Moynier in seinem Bericht an den Bun<strong>des</strong>rat, den er als<br />

einer <strong>der</strong> Bevollmächtigten <strong>der</strong> Schweiz erstattete, ausdrücklich<br />

sagt: „Was das neutralisierte Personal betrifft, so umfasst<br />

es drei Gattungen von Personen: 1) die bei <strong>der</strong> Pflege<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten verwendeten Personen, 2) die Lan<strong>des</strong>bewohner<br />

<strong>und</strong> 3) die Verw<strong>und</strong>eten". — Auf den internationalen<br />

Konferenzen in Paris 1 ) im Jahre 1867 war<br />

alles darüber einig, diese Neutralisierung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

für den Fall einer Umarbeitung <strong>des</strong> Textes <strong>der</strong> Konvention<br />

in diesem selbst genauer auszusprechen. „Die Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten ist notwendig," rief <strong>der</strong> Abgeordnete <strong>des</strong><br />

östreicliischen Kriegsministers bei diesen Konferenzen, Baron<br />

M<strong>und</strong>y, aus; „sie ist ein erhabener, hochherziger Wunsch,<br />

wichtig nicht allein aus Gründen <strong>der</strong> Menschlichkeit <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Herzens, son<strong>der</strong>n auch ans Gründen <strong>des</strong> ges<strong>und</strong>en Menschenverstands<br />

.. . Ich mache Sie auf die Notwendigkeit einer<br />

unbedingten Neutralisierung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten aufmerksam;<br />

dieser Gr<strong>und</strong>satz steht von nun ab unter dem Schutze <strong>der</strong><br />

*) Conferences internationales de Paris, 1867, deux vol.<br />

Baillere et Iiis. — Weitere internationale Konferenzen haben 1869 in<br />

Berlin, 1884 in Genf, 1887 in Carlsrnhe <strong>und</strong> 1892 in Kom stattgef<strong>und</strong>en.


— 220 —<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Gefühle unserer Zeit. Geben wir also<br />

diesem Gr<strong>und</strong>satz, welcher die ganze "<strong>Genfer</strong> Konvention beherrscht,<br />

die rechte Weihe." Auf diesen selben Konferenzen<br />

findet Dr. von Langenbeck, dass das Schicksal <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

durch den Artikel 6 <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention nicht<br />

genügend sicher gestellt sei, <strong>und</strong> fügt bei: „Man muss den<br />

Soldaten mit dem Geiste <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention vollständig<br />

vertraut machen; diese Gr<strong>und</strong>sätze müssen einen Bestandteil<br />

<strong>der</strong> gewöhnlichen Erziehung <strong>des</strong> Soldaten bilden." 1 ) Der<br />

Vorsitzende <strong>der</strong> Pariser Konferenzen, Graf Serurier, versichert,<br />

„es sei durchaus notwendig, die Neutralisierung <strong>des</strong><br />

Verw<strong>und</strong>eten auszusprechen." (Sitzung vom 28. Aug. 1867.)<br />

Dr. Landa (aus Spanien) erklärt sie für unerlässlich; ebenso<br />

<strong>der</strong> belgische Kriegsminister <strong>und</strong> Adjutant <strong>des</strong> Königs Leopold,<br />

General Renard. Die massgebendsten Autoritäten sind<br />

jetzt alle <strong>der</strong>selben Ansicht. — Thatsächlich haben die Regierungen<br />

durch Annahme <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> 1863er Konferenz<br />

hervorgegangenen Hilfsgesellschaften für die Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong><br />

durch den ihnen gewährten Schutz nicht nur den Beschlüssen<br />

dieser Versammlung, son<strong>der</strong>n auch ihren Wünschen<br />

zugestimmt, welche die Neutralität <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten bestimmt<br />

aussprechen.<br />

Die freien Hospitaliter (Samariter u. s. w.) sind in den drei<br />

Gattungen von Individuen, welche das neutralisierte Personal<br />

ausmachen, mit inbegriffen, wie Moynier in dem Bericht <strong>der</strong><br />

Herren General Dufour, Dr. Lehmann <strong>und</strong> G. Moynier an<br />

den Bun<strong>des</strong>rat bemerkt. Alle freiwilligen Helfer nehmen an<br />

<strong>der</strong> Wohlthat <strong>der</strong> Neutralität teil, nachdem einmal ihre Dienstanerbietungen<br />

angenommen worden sind; aber sie müssen<br />

einem amtlichen Dienste beigegeben <strong>und</strong> dem Personal dieses<br />

') Es wäre höchst wünschenswert, dass in jedem Lande dieser "Wunsch<br />

von Langenbecks Berücksichtigung fände, ebenso wie <strong>der</strong> zuerst in Oestreich<br />

geäusserte Gedanke, die Kin<strong>der</strong> schon in <strong>der</strong> Schule mit den Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

<strong>der</strong> Konvention bekannt zu machen <strong>und</strong> dafür zu sorgen, dass<br />

nicht nur ihr Geist, son<strong>der</strong>n auch ihr Herz von ihnen durchdrangen werde.


— 221 —<br />

Dienstes einverleibt sein. „Wie sehr richtig bemerkt worden<br />

ist," fügt Moynier bei, „sind diejenigen, welche sich aus eigenem<br />

Triebe einfinden, Freiwillige in dem Sinne, dass sie<br />

sich freiwillig anwerben lassen; aber wenn sie einmal angenommen<br />

sind, so müssen sie, mit Zulassung von Ausnahmen,<br />

<strong>der</strong> Heeresordnung unterworfen sein. — Es ist eine ziemlich<br />

gewöhnliche Thatsache, dass die Lan<strong>des</strong>bewohner in <strong>der</strong><br />

nächsten Umgebung eines Schlachtfel<strong>des</strong> sich verbergen o<strong>der</strong><br />

fliehen, <strong>und</strong> so das siegreiche Heer <strong>der</strong> Hilfe, die sie mit<br />

ihren Armen bei <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten leisten könnten,<br />

berauben, während jenes in ihnen sehr nützliche Helfer finden<br />

könnte. Ihre Neutralisierung scheint die Wirkung zu haben,<br />

dass ihre Befürchtungen beschwichtigt <strong>und</strong> sie selbst bei<br />

ihren Wohnstätten zurückgehalten werden; darum hat man<br />

nicht gezau<strong>der</strong>t, diese Neutralisierung so auszusprechen, dass<br />

sie im Falle einer neuen Angriffsbewegung <strong>des</strong> Gegners nicht<br />

wegen Unterstützung <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> zur Rechenschaft gezogen<br />

<strong>und</strong> bestraft werden können. Man ist noch weiter gegangen<br />

<strong>und</strong> hat eine Bestimmung eingefügt, welche ein förmliches<br />

Versprechen zu Gunsten <strong>der</strong> Hilfeleistenden enthält. Für<br />

wie viele wird nicht die Aussicht, ihre Wohnung möglichst<br />

geschont zu sehen, ein Beweggr<strong>und</strong> sein, um Verw<strong>und</strong>ete bei<br />

sich aufzunehmen <strong>und</strong> zu pflegen! „Und•*wird nicht auch<br />

gleichzeitig die Befreiung von Einquartierung <strong>und</strong> Kriegskontributionen<br />

bis zu einem billigen Masse das Verhalten<br />

mancher bedeutend beeinflussen? Man kann beinahe sagen,<br />

dass dank diesen Massregeln die Frage <strong>der</strong> freiwilligen Krankenpfleger<br />

gelöst sei; denn <strong>der</strong> Mangel an hilfreichen Armen,<br />

<strong>der</strong> sich im Gefolge grosser Schlachten fühlbar machte, wird<br />

sich nicht mehr in demselben Grade erneuern, da man die<br />

Lan<strong>des</strong>bewohner in weit ausgedehnterem Masse als früher<br />

wird beiziehen können. Den Feldherrn <strong>der</strong> kriegführenden<br />

Mächte wird es obliegen, die Bevölkerungen von dem Aufruf<br />

an ihre Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> von den ihnen dafür<br />

in Aussicht gestellten Vorteilen in Kenntnis zu setzen."


— 222 —<br />

Betrachtet man die wirklich entsetzlichen Leiden, welche<br />

<strong>der</strong> Krieg nach sich zieht, so ist diese Konvention ein menschenfre<strong>und</strong>liches<br />

Werk, welches gar nicht genug gelobt<br />

werden kann. 1 ) — „Es ist eine tröstliche <strong>und</strong> unbestreitbare<br />

Thatsache," schreibt Bluntschli nach dem Kriege von 1870/71,<br />

„dass in keinem früheren europäischen Kriege so viel werkthätige<br />

Liebe <strong>und</strong> Pflege für verw<strong>und</strong>ete <strong>und</strong> kranke Krieger,<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Feinde, geübt wurde, wie in dem letzten französisch-deutschen<br />

Kriege." — Mit Bezug auf denselben Krieg bemerkt<br />

Lue<strong>der</strong> 2 ): „Es ist schon manches Nützliche, Gute, <strong>und</strong><br />

für die unglücklichen Opfer <strong>des</strong> Kriegs Segensreiche erzielt<br />

worden, was ohne die <strong>Genfer</strong> Konvention nicht erzielt wäre. ..<br />

Manches Leid würde nicht gemil<strong>der</strong>t, manche Fürsorge für<br />

die Verw<strong>und</strong>eten nicht getroffen worden sein, wenn die<br />

<strong>Genfer</strong> Konvention nicht gewesen wäre." Und Dr. von Corval<br />

3 ) erklärt: „Wir bedürfen eines <strong>der</strong>artigen internationalen<br />

Gesetzes, wenn nicht in Zukunft ein je<strong>der</strong> Krieg<br />

zu einem einfachen rücksichtslosen Morden, Sengen <strong>und</strong><br />

Brennen gestempelt werden soll." — „Die neuen Kriegsgesetze,"<br />

heisst es endlich noch in dem Bericht <strong>der</strong> Herren<br />

General Dufour, G. Moynier <strong>und</strong> Dr. Lehmann an den Bun<strong>des</strong>rat,<br />

„welche soeben feierlich verkündigt worden sind,<br />

müssen ihre R<strong>und</strong>e um die Welt machen, <strong>und</strong> eine jede ihrer<br />

Stationen wird einen Sieg über die Barbarei bedeuten."<br />

Folgen<strong>des</strong> ist nach <strong>der</strong> Reihenfolge <strong>der</strong> Ratifikationen<br />

<strong>und</strong> ohne die mehrfach zu lesenden Ungenauigkeiten, die Liste<br />

<strong>der</strong> europäischen Staaten, die bis zum 9. Mai 1868 <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Konvention beitraten:<br />

Frankreich 22. Sept. 1864<br />

Schweiz 1. Okt. 1864<br />

Belgien 14. Okt. 1864<br />

Nie<strong>der</strong>lande 29. Nov. 1864<br />

!) Lueäer.<br />

*) Lue<strong>der</strong>, S. 290.<br />

S) Münchner krit. Yierteljahrschrift, 1873.


223 —<br />

Italien . 4. Dez. 1864<br />

Spanien . 5. Dez. 1864<br />

Schweden u. Norwegen . 13. Dez. 1864<br />

Dänemark . . . . . 15. Dez. 1864<br />

Baden . 16. Dez. 1864<br />

Preussen . 4. Jan. 1865<br />

Griechenland . . . 5-/17- Jan. 1865<br />

Grossbritannien . . . 18. Febr 1865<br />

Mecklenburg-Schwerin . 9. März 1865.<br />

Türkei Juli 1865<br />

Württemberg . . . . 2. Juni 1866<br />

Hessen . 22. Juni 1866<br />

Bayern . 30. Juni 1866<br />

Oestreich . 21. Juli 1866<br />

Portugal . 9. Aug. 1866<br />

Sachsen . 25. Okt. 1866<br />

Russland 10.122. Mai 1867<br />

Kirchenstaat . . . . . . 9. Mai 1868<br />

Heute erkennen nicht nur alle europäischen <strong>und</strong> amerikanischen<br />

Staaten die <strong>Genfer</strong> Konvention an, son<strong>der</strong>n ihrem<br />

Beispiel sind auch verschiedene asiatische <strong>und</strong> afrikanische<br />

Staaten gefolgt. Die <strong>Genfer</strong> Konvention ist somit zu einem<br />

internationalen Gesetz von weltumfassen<strong>der</strong> Bedeutung<br />

geworden, an dem nicht mehr gerüttelt werden,<br />

<strong>und</strong> dem sich in Zukunft kein Yolk mehr entziehen kann,<br />

ohne nach dem Ausdruck König Johanns von Sachsen von<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Meinung in die Acht erklärt zu werden. Sie<br />

hat dem neuen Banner <strong>der</strong> Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit, sowie<br />

dem Boten Kreuze, jenem grossartigen Werke <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>liebe,<br />

die öffentliche Weihe gegeben; zugleich sichert sie den<br />

Bewohnern künftiger Kriegsschauplätze wirksamen Schutz zu,<br />

<strong>und</strong> bedeutet eine Mil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Leiden <strong>des</strong> Kriegs in einem<br />

Masse, wie wir sie in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> früheren Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

vergeblich suchen.


— 224 —<br />

Wenn aber <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention zu Gr<strong>und</strong>e liegende<br />

Gedanke auch erst in unserer Zeit zu völliger Eeife<br />

<strong>und</strong> bleibendem Nutzen gediehen ist, so hat es doch auch in<br />

früheren Zeiten nicht an vereinzelten <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s in den<br />

beiden letzten Jahrh<strong>und</strong>erten häufiger hervortretenden Aeusserungen<br />

<strong>des</strong>selben gefehlt. Schon während <strong>der</strong> Konferenz <strong>des</strong><br />

Jahres 1863 hatte Dr. Loeffler den glücklichen Gedanken<br />

gehabt, die Aufmerksamkeit, auf einige dieser früheren K<strong>und</strong>gebungen<br />

zu lenken, welche völlig in Vergessenheit geraten<br />

waren. Sobald Dunant am Schlüsse <strong>der</strong> Versammlung hievon<br />

Kenntnis erhielt, beeilte er sich, in einer neuen Veröffentlichung<br />

x ) vom März 1864, die in Betracht kommenden<br />

Vorgänge, die ihm <strong>und</strong> seinen <strong>Genfer</strong> Kollegen, wie auch<br />

Lue<strong>der</strong> anerkennt, bis dahin gänzlich unbekannt gewesen<br />

waren, rühmend zu erwähnen. Weit entfernt, das Verdienst<br />

seiner Vorgänger auf diesem Gebiete <strong>der</strong> Nächstenliebe zu<br />

schmälern, hat er sie vielmehr. laut gepriesen, <strong>und</strong> damit zugleich<br />

zu beweisen gesucht, dass sein Wunsch kein Hirngespinst<br />

sei <strong>und</strong> dass „dieser Gedanke, wenn auch in verschiedenem<br />

Grade, mehr o<strong>der</strong> weniger überall, im Fühlen <strong>und</strong><br />

Denken eines jeden vorhanden sei".<br />

In <strong>der</strong> erwähnten Schrift nennt Dunant einen „Dr.U y tterhoeven,<br />

Oberarzt <strong>der</strong> Spitäler in Brüssel, welcher schon im<br />

Jahre 1855 einige ausgezeichnete Broschüren über die Mittel,<br />

den Verw<strong>und</strong>eten auf dem Schlachtfelde sofortige Hilfe zu<br />

bringen, <strong>und</strong> über die Verbesserang <strong>der</strong> Spitäler in Europa<br />

veröffentlichte"; ferner einen Herrn Henri Arrault, 2 )<br />

*) La charite sur Ies champs de bataille.<br />

2) Wenn Arrault später die Priorität <strong>des</strong> Gedankens <strong>der</strong> Xeutralisierung-<br />

<strong>und</strong> damit die intellektuelle Urheberschaft <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

für sich in Anspruch nahm, so bezeichnet dies Lue<strong>der</strong> (S. 43 ff.) als eine<br />

durchaus unberechtigte Anmassung, die als solche auch bereits von <strong>der</strong><br />

Geschichte gekennzeichnet <strong>und</strong> verurteilt worden sei. Die Idee selbst sei<br />

längst <strong>und</strong> unzählige Male vor Arrault gehegt worden <strong>und</strong> in Uebung gewesen;<br />

ausserdem sei durchaus glaubwürdig gemacht, dass Dunant <strong>und</strong><br />

seine Mitarbeiter an dem Werke <strong>des</strong> Zustandekommens <strong>der</strong> beiden <strong>Genfer</strong>


— 225 —<br />

Schriftführer <strong>der</strong> Kommission für öffentliche Hygiene <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspflege<br />

in Paris, welcher im Juni 1861 in einer „Bemerkung<br />

über die Vervollkommnung <strong>des</strong> Materials <strong>der</strong> fliegenden<br />

Feldlazarette" die For<strong>der</strong>ung aufstellte, die Militärärzte<br />

<strong>und</strong> Lazarettgehilfen sollten als unverletzlich angesehen, die<br />

Verbindeplätze für Verw<strong>und</strong>ete geschont <strong>und</strong> die Wegnahme<br />

von Ambulanzwagen untersagt werden. — Dunant erwähnt<br />

ferner einen italienischen Arzt, Dr. Ferdinand Palasciano,<br />

welcher im April 1861 vor <strong>der</strong> Accademia Pontaniana<br />

in Neapel einen Vortrag hielt, in welchem er bezüglich <strong>der</strong><br />

Neutralität <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> <strong>des</strong> Sanitätspersonals zwischen<br />

kriegführenden Heeren denselben Gedanken aussprach,<br />

den Dunant im Jahre 1859 auf dem Schlachtfelde von Solferino<br />

gehabt hatte. Dunant erinnert ferner an den Grafen<br />

de Breteuil, den Herzog von Wellington <strong>und</strong> noch<br />

an<strong>der</strong>e, welche sich auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n edelmütig gegen<br />

den Feind gezeigt hatten; an den berühmten französischen<br />

Chirurgen Dr. P. F. Percy, welcher im Feldzug von 1800<br />

dem General Moreau eine zeitweilige Konvention vorschlug,<br />

nach welcher die Hospitäler als unverletzliche Asyle gelten<br />

sollten, die aber lei<strong>der</strong> nicht zur Ausführung kam. Dunant<br />

führt das Kartell an, das im Jahre 1743 zu Aschaffenburg<br />

zwischen dem östreichisch-hannoveranischen Heere unter<br />

Georg n. <strong>und</strong> dem französischen Heere <strong>des</strong> soeben in <strong>der</strong><br />

Pfalz eingebrochenen Marschalls Herzog von Noailles abgeschlossen<br />

wurde, <strong>und</strong> nach welchem alle Spitäler als Heiligtümer<br />

angesehen <strong>und</strong> während <strong>der</strong> Dauer <strong>des</strong> Kriegs als solche<br />

geschützt werden sollten. Ebenda finden sich zwei an<strong>der</strong>e<br />

ähnliche zeitweilige Kartelle erwähnt, die im Jahre 1759 während<br />

<strong>des</strong> siebenjährigen Kriegs abgeschlossen wurden: das<br />

erste am 6. Februar zu Sluys in Flan<strong>der</strong>n zwischen dem<br />

General Sir Herny Seymour Conway für England <strong>und</strong> dem<br />

Marquis de Barrail für Frankreich. Der zweite, mit dem<br />

Versammlungen die Arrault'sche Schrift, sowie die <strong>des</strong> nachher zu erwähnenden<br />

Palasciano überhaupt gar nicht gekannt haben.<br />

15


— 226 —<br />

von Sluys übereinstimmende, in <strong>der</strong> Hauptsache sogar gleichlautende<br />

Vertrag wurde am 7. September zu Brandenburg<br />

unterzeichnet durch den General von Buddenbrock als Vertreter<br />

Friedrichs <strong>des</strong> Grossen <strong>und</strong> den Marschall de Kouge<br />

für den französischen König Ludwig XV. Dieser Vertrag<br />

setzt fest, dass bei<strong>der</strong>seits für die Verw<strong>und</strong>eten gesorgt, die<br />

Gefangenen ausgewechselt <strong>und</strong> die Kranken.ebensowenig wie<br />

das ihrem Dienste beigegebene Personal gefangen genommen<br />

werden sollen. 1 )<br />

Nachdem Dr. Loeffler das grosse <strong>und</strong> unbestreitbare Verdienst<br />

gehabt hatte, den Vertrag Friedrichs <strong>des</strong> Grossen mit<br />

Frankreich vom September 1759 <strong>der</strong> Vergessenheit zu entreissen,<br />

wurden noch weitere geschichtliche Nachforschungen<br />

angestellt. Nach <strong>der</strong> Konferenz von 1863 tauchte im internationalen<br />

Komite <strong>der</strong> Gedanke auf, eine Zusammenstellung<br />

von Präcedenzf allen, d. h. von <strong>der</strong> beabsichtigten <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

ähnlichen Verträgen <strong>und</strong> Gedanken aus früherer Zeit<br />

zu veranstalten. Dr. Briere übernahm diese Arbeit, die sodann<br />

dem diplomatischen Kongresse von 1864 vorgelegt wurde.<br />

Während <strong>der</strong> nächsten Jahre entdeckte Dr. Gurlt neue geschichtliche<br />

Dokumente <strong>und</strong> veröffentlichte im Jahre 1869<br />

eine Denkschrift, in welcher er eine Reihe an<strong>der</strong>er Kartelle<br />

<strong>und</strong> Konventionen ähnlich denen von Aschaffenburg, Sluys<br />

<strong>und</strong> Brandenburg anführt. So wurde am 19. Oktober 1757<br />

zuHadmersleben ein Vertrag zwischen'Frankreich <strong>und</strong><br />

Preussen auf denselben Gr<strong>und</strong>lagen wie die zuvor genannten<br />

abgeschlossen. Aber die später geschlossenen Auswechslungskartelle<br />

beschäftigen sich kaum noch mit <strong>der</strong> den Opfern <strong>der</strong><br />

Kämpfe zukommenden Pflege; in einigen <strong>der</strong>selben, die aus<br />

dem letzten Teile <strong>des</strong> vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts stammen, werden<br />

sie nicht einmal mehr erwähnt.<br />

Im Jahre 1873 veröffentlichte Dr, Gurlt ein zweites<br />

umfassen<strong>des</strong>, auf den gründlichsten geschichtlichen Forschan-<br />

i) La charite internationale sur les champs de bataille.


— 227 —<br />

gen beruhen<strong>des</strong> Werk, 1 ) in welchem er aus <strong>der</strong> Zeit von<br />

1581 bis 1864 zweih<strong>und</strong>ertein<strong>und</strong>neunzig Auswechslungs-Kartelle<br />

lind Kapitulationen aufzählt, in welchen sich menschenfre<strong>und</strong>liche<br />

Bestimmungen, hauptsächlich zu Gunsten <strong>der</strong> Feldgeistlichen,<br />

Frauen <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong> finden. Die älteste im Werke<br />

Gurlts erwähnte Kapitulation ist diejenige, welche im Jahre<br />

1581 zwischen <strong>der</strong> Stadt Tournay <strong>und</strong> dem Fürsten Alexan<strong>der</strong><br />

Farnese von Parma abgeschlossen wurde <strong>und</strong> die <strong>der</strong><br />

Garnison <strong>der</strong> Stadt freien Abzug gewährte. Die Freilassung<br />

<strong>der</strong> Aerzte, Chirurgen, Apotheker u. s. w. ohne Lösegeld wird<br />

zum erstenmal durch das Auswechsiungskartell vom Jahre<br />

1673 zwischen Frankreich <strong>und</strong> den Generalstaaten festgesetzt.<br />

Die in feindliche Gewalt geratenen Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> Kranken<br />

werden erstmals in folgenden Kartellen erwähnt: 1689<br />

zwischen Frankreich <strong>und</strong> Spanien; 1690 zwischen Frankreich<br />

<strong>und</strong> dem Herzog von Savoyen nebst seinen Bun<strong>des</strong>genossen;<br />

1600 zwischen Frankreich <strong>und</strong> den Generalstaaten. Dann<br />

kommen die Verträge aus <strong>der</strong> Zeit <strong>des</strong> spanischen Erbfolgekriegs<br />

(1701—1714), in welcher „die bezüglichen Bestimmungen<br />

mit grosser Ausführlichkeit, zum Teil Weitläufigkeit<br />

getroffen <strong>und</strong> mancherlei Spezialitäten in <strong>der</strong> Ausführung festgesetzt<br />

wurden." 8 )<br />

Da jedoch die Offizierstellen im Heere fast ausschliesslich<br />

mit Adeligen besetzt wurden, so dachte man in diesen<br />

Verträgen fast nur an die verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> kranken Offiziere.<br />

Von dem gemeinen Soldaten war kaum die Eede;<br />

dieser wurde meist seinem Schicksal überlassen. Dazu waren,<br />

wie Lemontey 3 ) bemerkt, die Kriege Ludwigs XIV. eine<br />

Schule <strong>der</strong> Ungerechtigkeit, welche gegen die ärgsten Verbrechen<br />

abstumpfte. Sogar <strong>der</strong> grosse Turenne besudelte<br />

seinen Kuhm durch grausame Metzeleien <strong>und</strong> Verwüstungen<br />

1) Zur Geschichte <strong>der</strong> internationalen <strong>und</strong> freiwilligen Krankenpflege<br />

im Kriege. Leipzig 1873.<br />

2) Lue<strong>der</strong>, S. 17.<br />

3) Essai sur l'fetablissement monarchique de Louis XIY.


— 228 —<br />

in <strong>der</strong> Pfalz. Das Leben <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten Feinde galt fast<br />

nichts. Erst in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>des</strong> vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

erhoben edle Männer ihre Stimme <strong>und</strong> verlangten die Verallgemeinerung<br />

<strong>der</strong> unter Friedrich dem Grossen, Ludwig XV.<br />

<strong>und</strong> Georg II. den adeligen Militärpersonen eingeräumten<br />

Vorrechte. So fragt <strong>der</strong> Generalintendant <strong>der</strong> französischen<br />

Militärhospitäler, de Chamousset, gestützt auf die Erfahrungen,<br />

die er 1761—62 auf dem deutschen Kriegsschauplatze<br />

gemacht hatte, in einer Denkschrift über die Militärhospitäler,<br />

ob es nicht Zeit wäre, dass die zivilisierten<br />

Völker unter sich eine Uebereinkunft träfen, welche die<br />

Menschlichkeit gebiete. „Wie ist es möglich," ruft er aus,<br />

„dass die gesitteten Völker noch nicht einig geworden sind,<br />

die Spitäler als Heiligtümer <strong>der</strong> Menschlichkeit zu betrachten,<br />

welche von dem Sieger zu achten <strong>und</strong> zu beschützen<br />

sind!" 1 )<br />

Im Jahre 1776 lenkte Schmucker, welcher während<br />

<strong>des</strong> siebenjährigen Kriegs erster preussiseher Generalchirurg<br />

gewesen war, die Aufmerksamkeit auf die Wohlthat <strong>der</strong> Neutralisierung<br />

<strong>der</strong> Spitäler.*)<br />

Im Jahre 1780 schrieb wie<strong>der</strong> ein Franzose Namens<br />

Peyrilhe, Professor<strong>der</strong> Chemie zu Paris, welcher wie de<br />

Chamousset die nur für- eine bestimmte Zeit abgeschlossenen<br />

Verträge, wie die von Äschalfenburg, Sluys <strong>und</strong> Brandenburg<br />

zu verallgemeinern <strong>und</strong> ihnen dauernde Geltung zu verschaffen<br />

wünschte: „Wäre es nicht Zeit, dass die Fürsten<br />

unter sich durch ein Gesetz, das nicht weniger geheiligt wäre<br />

als dasjenige, welches die Pflege <strong>der</strong> erkrankten gefangenen<br />

Feinde vorschreibt, festsetzten, dass die Militärhospitäler<br />

auf beiden Seiten unverletzliche Asyle für die Kranken<br />

<strong>und</strong> ihre Pfleger wären, dass diese Plätze als Heiligtümer<br />

betrachtet würden, denen man sich nicht mit den Waffen in<br />

<strong>der</strong> Hand nähern dürfe, dass endlich ihre Insassen nicht als<br />

*) Colleville, Historique de la Croix Kouge.<br />

f) Schmucker, Vermischte chirurgische Schriften.


— 229 —<br />

Gefangene angesehen werden <strong>und</strong> bei einer Auswechslung nicht<br />

in Betracht kommen dürften?" *)<br />

Im Anfange unseres Jahrh<strong>und</strong>erts endlich, schon im<br />

Jahre 1805, schrieben zwei Deutsche, Dr. B. C. Faust in<br />

Bückeburg <strong>und</strong> Dr. Hunold, Abhandlungen über die Unverletzlichkeit<br />

<strong>der</strong> Feldlazarette; <strong>der</strong> erstere insbeson<strong>der</strong>e trat<br />

beredt für die Opfer <strong>des</strong> Krieges ein. In <strong>der</strong> Zeit, wo er<br />

schrieb, waren alle menschenfre<strong>und</strong>lichen Verträge in Vergessenheit<br />

geraten.<br />

Ein an<strong>der</strong>er hochherziger Mann, Dr. August Ferdinand<br />

Wasserfuhr, Generalarzt <strong>des</strong> zweiten preussischen<br />

Armeecorps, beklagte im Jahre 1820 die vollständige Unzulänglichkeit<br />

<strong>der</strong> sanitären Hilfsmittel nach den Schlachten<br />

<strong>und</strong> die daraus für die Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> Kranken erwachsenden<br />

Leiden. In <strong>der</strong> Vorrede seiner Schrift, 1 ) die einen weiteren<br />

Beweis dafür liefert, dass um jene Zeit von den geschichtlichen<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Vorgängen nicht mehr die Rede<br />

war, drückt sich <strong>der</strong> wackere Mann folgen<strong>der</strong>massen aus: 8 )<br />

„Möchte diese Erinnerung an jenes unedle Betragen nicht<br />

abermals unbemerkt bleiben, <strong>und</strong> möchten endlich alle Nationen<br />

den B<strong>und</strong> schliessen, auch die gefangenen, kranken <strong>und</strong><br />

verw<strong>und</strong>eten Krieger für unfeindlich zu erklären, <strong>und</strong> sich<br />

verpflichten, nicht nur alle Hospitäler nach den Anordnungen<br />

ihrer Dirigenten frei wirken zu lassen, son<strong>der</strong>n ihnen auch die<br />

nötige Unterstützung zu gewähren. Alle Kranken <strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>eten,<br />

welche in feindliche Hände geraten, müssten daher ihrem<br />

bestehenden Hospital <strong>und</strong> ihren Aerzten so lange gelassen werden,<br />

bis sie hergestellt sind, <strong>und</strong> alle wirklichen Invaliden müssten<br />

ohne weitere Auswechslung, mit Pässen versehen, nach<br />

ihrem Vaterlande frei zurückkehren dürfen. Ebenso müsste<br />

*) Colleville, Historique de Ja Croix Bouge.<br />

2<br />

) Beitrag für die Reform <strong>der</strong> Kgl. Preussischen Militär-Medizinal-<br />

Verfassung etc. Koblenz 1820.<br />

s<br />

) Loeffler, Das preussische Militär-Sanitätswesen nnd seine Reform.<br />

— Lne<strong>der</strong>. S. 40 f.


— 230 —<br />

jedem Feldherrn die Freiheit gestattet werden, nach den<br />

Hospitälern, die in feindliche Hände geraten sind <strong>und</strong> zu<br />

wenig Aerzte haben, diese nach dem Bedarf dorthin zu<br />

schicken. Eine solche Massregel muss vorzüglich nach gelieferten<br />

Schlachten stattfinden dürfen, <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Feldherr<br />

müsste schon' vor <strong>der</strong> Schlacht ein Feldhospital dazu bestimmen,<br />

welches unter allen Umständen, wie auch die Schlacht<br />

ausfallen mag, auf dem Schlachtfelde bleibt, <strong>und</strong> in einem<br />

gewählten Orte sein Hospital einrichtet, wohin alle Verw<strong>und</strong>eten<br />

vom Schlachtfelde zu bringen sind.<br />

„Sollte man die erste aller menschlichen Pflichten, —<br />

Mitleiden mit dem verw<strong>und</strong>eten hilflosen Bru<strong>der</strong>, — sollte<br />

man diese nicht zu einem Völkerrechte erheben wollen?<br />

Welchem Feinde kann denn <strong>der</strong> blutende <strong>und</strong> erschöpfte<br />

Krieger noch schaden ? <strong>und</strong> sollte sich eine Nation wohl weigern<br />

können, die W<strong>und</strong>en ihrer Unglücklichsten Söhne verbinden<br />

zu lassen? Hätten die europäischen Minister nur einmal<br />

jene Schlacht- <strong>und</strong> Leichenfel<strong>der</strong> gesehen, wo unbedauert<br />

<strong>und</strong> ungehört <strong>der</strong> Jammer ächzt, wo Durst <strong>und</strong> Hunger glühen,<br />

<strong>und</strong> Schmerz <strong>und</strong> Angst die Seele zerreisst, gewiss, sie würden<br />

thun, was sie so lange versäumten."<br />

„Aber lei<strong>der</strong> war all dies," wie Dr. Colleville in seiner<br />

schon öfter erwähnten Schrift sagt, „nur Theorie; unter<br />

Ludwig XIV. wurden die Verw<strong>und</strong>eten thatsächlich ihrem<br />

Schicksal überlassen; ihr Los war entsetzlich, beson<strong>der</strong>s während<br />

<strong>der</strong> schändlichen Verheerung <strong>der</strong> Pfalz. Trotz <strong>der</strong> vielgenannten<br />

Verträge von 1743 u. 1759 fanden die Soldaten,<br />

mit Ausnahme <strong>der</strong> Offiziere, welche beson<strong>der</strong>e Vorrechte genossen,<br />

keine geordnete Hilfe. Im Anfange <strong>der</strong> französischen<br />

Revolution stand es damit nicht viel besser. Allerdings sollten<br />

die Ambulanzen eine St<strong>und</strong>e hinter dem Schlachtfelde<br />

bleiben, aber im Fall einer Auflösung <strong>des</strong> Heers eröffneten<br />

sie den Rückmarsch. Eine jede von den grossen Schlachten<br />

<strong>des</strong> ersten Kaiserreichs hatte furchtbare Folgen." Ferner<br />

hebt Dr. Lue<strong>der</strong> hervor, dass die Kriege <strong>der</strong> neuesten Zeit,


— 231 —<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Krimkrieg, <strong>der</strong> italienische <strong>und</strong> nordamerikanisclie<br />

Krieg sich sehr unvorteilhaft dadurch auszeichneten,<br />

dass in ihnen jene menschenfre<strong>und</strong>lichen Bestrebungen nur in<br />

äusserst bescheidenem Masse zur Geltung kamen, <strong>und</strong> er<br />

kommt zu dem Schlüsse, dass trotz aller früheren <strong>und</strong> zum<br />

Teil gleichzeitigen Aeusserungen dieses menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Gedankens „lediglich die Dunant'sche Publikation zu praktischen<br />

Folgen geführt hat, aus denen schliesslich die <strong>Genfer</strong><br />

Konvention hervorgegangen ist". Wir dürfen daher wohl<br />

zum Schlüsse die Worte wie<strong>der</strong>holen, die Dr. Landa auf <strong>der</strong><br />

Konferenz <strong>des</strong> Jahres 1863 sprach:<br />

Ehre den Männern, die den Gedanken zuerst ausgesprochen,<br />

denen, die ihn unterstützt <strong>und</strong> denen, die seine Verwirklichung<br />

angebahnt haben!


vn.<br />

Die Anfänge <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> in Frankreich<br />

<strong>und</strong> sonstige noch nicht veröffentlichte Mitteilungen-.<br />

(Aus J. Henry Dunant's Denkwürdigkeiten.)<br />

Wir haben im Vorangehenden die Entstehung dieser in<br />

<strong>der</strong> "Weltgeschichte einzig dastehenden Uebereinkunft mit<br />

angesehen, welche dem Völkerrecht die Bestimmung einverleibt,<br />

dass die werkthätige Nächstenliebe künftighin, selbst<br />

inmitten <strong>der</strong> heftigsten <strong>und</strong> wütendsten Metzeleien sich gegenseitig<br />

hassen<strong>der</strong> <strong>und</strong> zerfleischen<strong>der</strong> Völker keine politischen<br />

Grenzen mehr kennt. Wir haben die allmähliche Entwicklung<br />

eines internationalen humanitären Unternehmens verfolgt,<br />

an das we<strong>der</strong> Altertum noch Mittelalter auch nur gedacht<br />

haben, <strong>und</strong> welches dazu bestimmt ist, Balsam auf die W<strong>und</strong>en<br />

zu legen, welche <strong>der</strong> Krieg geschlagen hat, <strong>und</strong> ein<br />

wirksames segensreiches Gegenmittel gegen Uebel zu liefern,<br />

welche die Zivilisation unserer Zeit von Tag zu Tag noch<br />

barbarischer zu gestalten bemüht ist. „Wir haben gesehen,<br />

wie dieser grosse <strong>und</strong> nützliche Gedanke, <strong>der</strong> in dem festen<br />

Boden wurzelte, welcher Alltägliches <strong>und</strong> Unmögliches voneinan<strong>der</strong><br />

trennt, über alle Hin<strong>der</strong>nisse triumphierte, dank <strong>der</strong><br />

Unterstützung wohlgesinnter Männer <strong>und</strong> dem teilnehmenden<br />

Entgegenkommen <strong>der</strong> Fürsten <strong>und</strong> Regierungen Europas


— 233 —<br />

gegenüber den auserlesensten Bürgern einer altberühmten<br />

Stadt, den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft,<br />

die, beseelt von dem Wunsche nicht sowohl ihren<br />

Mitbürgern — die Schweiz erfreut sich ja einer glücklichen<br />

Neutralität, welche ihr die Leiden <strong>des</strong> Kriegs erspart, — als<br />

vielmehr ihren Mitmenschen nützlich zu sein, sich mutig in<br />

die Bresche warfen, um ein von manchen als unausführbar<br />

angesehenes Werk <strong>der</strong> Nächstenliebe <strong>und</strong> <strong>des</strong> sozialen Fortschrittes<br />

zu versuchen, ein Werk, das bei seinem Erscheinen<br />

in Europa als eine Wohlthat gegenüber einem <strong>der</strong> schmerzlichsten<br />

Uebel <strong>der</strong> Menschheit begrüsst <strong>und</strong> bejubelt wurde."<br />

Wir werden sehen, dass dieses Werk für das Menschengeschlecht<br />

ein neues Zeitalter eingeleitet hat, von dem unser<br />

altern<strong>des</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert nicht viel mehr als die Morgenröte<br />

erleben wird. Mit Zuhilfenahme <strong>der</strong> Diplomatie ist es ihm<br />

gelungen, <strong>der</strong> rohen Gewaltthätigkeit <strong>des</strong> Kriegs einen Zügel<br />

anzulegen, insofern wenigstens als diese künftig durch das<br />

geschriebene Recht begrenzt ist. Während dieser Gedanke<br />

früher nie verwirklicht worden war <strong>und</strong> nicht einmal<br />

in <strong>der</strong> Ueberlieferung lebte, ist dieses geschriebene Kriegsrecht<br />

jetzt eine für alle Völker <strong>und</strong> für alle Zeiten feststehende<br />

Thatsache geworden. Die edeln Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Konferenz mit ihren Beschlüssen <strong>und</strong> ihren Wünschen<br />

haben wenige Monate nachher <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

das Dasein gegeben <strong>und</strong> aus dieser Konvention<br />

ein neues, für die ganze Menschheit gültiges Kriegsgesetz<br />

gemacht. Und noch mehr! Dieses erste Beispiel einer zum<br />

allgemeinen Wohle <strong>der</strong> ganzen Menschheit zwischen zahlreichen<br />

Staaten geschlossenen diplomatischen Konvention,<br />

<strong>der</strong>en Anlange wir im Vorangehenden geschil<strong>der</strong>t haben, hat<br />

seither die Abschliessung an<strong>der</strong>er Verträge <strong>der</strong>selben Art zur<br />

Besserung <strong>der</strong> internationalen Beziehungen auf dem ganzen<br />

Erdball zur Folge gehabt.<br />

Dieses Werk hat zwischen den einzelnen Völkern <strong>und</strong><br />

Rassen ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit <strong>der</strong> Abstam-


— 234 —<br />

mung, Sprache <strong>und</strong> Hautfarbe einen Wetteifer in <strong>der</strong> Hingebung<br />

geschaffen, <strong>der</strong> sich ebensowohl inmitten <strong>der</strong> wahnwitzigen<br />

Metzeleien <strong>der</strong> Menschen äussert, wie in den<br />

Augenblicken, wo die furchtbarsten Plagen <strong>der</strong> Menschheit<br />

diese ihre fessellose Wut fühlen lassen. Es hat thatsächlich<br />

den „Patriotismus <strong>der</strong> Menschheit" begründet, wenn<br />

dieser Ausdruck gestattet ist, d. h. die wahre Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

in ihrer höchsten, reinsten, erhabensten Erscheinung,<br />

die Brü<strong>der</strong>lichkeit, die sich rückhaltslos für einen Teil<br />

<strong>des</strong> leidenden <strong>und</strong> hasserfüllten Menschengeschlechts aufopfert<br />

<strong>und</strong> da, wo es an Frieden <strong>und</strong> Liebe fehlt, wenigstens etwas<br />

Wohlwollen zu verbreiten sucht.<br />

Wie wir wissen, war es <strong>der</strong> Anblick <strong>der</strong> Sterbenden <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Leiden eines Schlachtfel<strong>des</strong>, was den Urheber dieser grossen<br />

Bewegung <strong>der</strong> Nächstenliebe veranlasste, mit Einsetzung seiner<br />

ganzen Kraft auf ein wirksames Mittel zu sinnen, welches<br />

den Märtyrern <strong>der</strong> kriegerischen Leidenschaften Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Schutz zu gewähren vermöchte. Da hier die internationalen<br />

Anfänge <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

geschil<strong>der</strong>t werden sollen, so sei es uns gestattet, noch einen<br />

Rückblick auf diese Zeit <strong>der</strong> ersten Anfänge zu werfen. Wir<br />

werden auch weiterhin aus den authentischen Quellen schöpfen,<br />

indem wir Thatsachen kurz berichten, welche es verdienen,<br />

<strong>der</strong> Vergessenheit entrissen zu werden, <strong>und</strong> Ereignisse <strong>und</strong><br />

Namen anführen, die alle bei <strong>der</strong> Aufrichtung dieses grossen<br />

internationalen Gebäu<strong>des</strong> <strong>des</strong> Mitleids <strong>und</strong> <strong>der</strong> Barmherzigkeit<br />

mitgeholfen haben.<br />

Auf jenem ungeheuren, noch von Blut triefenden Schlachtfeld,<br />

in Castiglione, in Solferino, in Cavriana, in Borghetto,<br />

sowie auch in Montechiaro, Brescia, Mailand, gewann ein,<br />

wie es scheint, von niemand zuvor ausgesprochener Gedanke<br />

feste Gestalt, <strong>der</strong> Gedanke, jenen bew<strong>und</strong>erungswürdigen<br />

Vereinigungen, die aus den vornehmsten <strong>und</strong> angesehensten<br />

Personen in allen Län<strong>der</strong>n bestehen <strong>und</strong> je<strong>der</strong>zeit<br />

bereit sein sollten, den verstümmelten Opfern <strong>der</strong> europäischen


— 235 —<br />

Zwistigkeiten, sowie den Opfern grosser unvorhergesehener<br />

Katastrophen, ohne Unterschied <strong>der</strong> Uniform <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Volksangehörigkeit Beistand, Hilfe <strong>und</strong> Trost zu spenden,<br />

einen dauerndenBe stand zu verleihen; ferner j ener<br />

an<strong>der</strong>e tausendmal gesegnete Gedanke, <strong>der</strong> auch in jenen<br />

selben in Lazarette umgewandelten Kirchen in Castiglione<br />

<strong>und</strong> Brescia gefasst wurde, <strong>der</strong> Gedanke einer Fahne <strong>der</strong><br />

Barmherzigkeit 1 ) (<strong>und</strong> zwar einer <strong>und</strong> <strong>der</strong>selben für<br />

x ) Der Gedanke an ein für alle Heere gleichförmiges Zeichen, welches<br />

dazu bestimmt wäre, die Opfer <strong>des</strong> Kriegs auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n<br />

ohne Rücksicht auf Bang <strong>und</strong> Nationalität für unverletzlich zu erklären,<br />

kam Dunant bei seiner Rückkehr von Solferino zuerst im Salon <strong>der</strong> Gräfin<br />

Verri geb. Borromeo, <strong>der</strong> Vorsitzenden <strong>des</strong> Mailän<strong>der</strong> Damenkomites<br />

zur Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten auf dem lombardischen Kriegsschauplatz. Er<br />

dachte dabei an ein Wappenschild, eine Fahne o<strong>der</strong> sonst ein recht in die<br />

Augen fallen<strong>des</strong> Abzeichen, welches entwe<strong>der</strong> in den Boden gesteckt o<strong>der</strong><br />

an Bäumen befestigt würde, unter welchen die Feldlazarette gewöhnlich<br />

aufgeschlagen werden. Die beiden kriegführenden Parteien würden es<br />

dann vermeiden, in <strong>der</strong> Richtung <strong>der</strong> so gekennzeichneten Verbindeplätze<br />

zu schiessen, <strong>und</strong> die Verw<strong>und</strong>eten hätten nicht mehr unter den Folgen<br />

einer Panik zu leiden, wie sie in <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" (S. 18 f.)<br />

geschil<strong>der</strong>t wird. Bei <strong>der</strong> Gräfin Verri-Borromeo wurde über diesen Gedanken<br />

gesprochen, <strong>und</strong> die Damen in ihrer Gesellschaft nahmen ihn beifällig<br />

auf, während die anwesenden Herren mit wenigen Ausnahmen ihn<br />

für unmöglich <strong>und</strong> unausführbar erklärten. — Zwei Jahre später teilte<br />

Dunant dem Schweizer Bun<strong>des</strong>-Oberst LeComte in Lausanne seinen Gedanken<br />

einer einheitlichen Flagge für die Militärspitäler mit <strong>und</strong> erk<strong>und</strong>igte<br />

sich nach den Farben <strong>der</strong> Lazarettflaggen bei den einzelnen Mächten.<br />

Diese waren damals noch für je<strong>des</strong> Land verschieden <strong>und</strong> den Soldaten<br />

<strong>des</strong> feindlichen Heeres unbekannt, was nur zu oft zur Folge hatte, dass<br />

die Verw<strong>und</strong>eten nie<strong>der</strong>gemacht wurden. Obwohl Dunant mit dem Schweizer<br />

Oberst in Briefwechsel über diesen Gegenstand blieb <strong>und</strong> auch zwei Antworten<br />

mit Auskünften über die verschiedenen Lazarettflaggen von ihm<br />

erhielt, so erwähnte er doch diesen grossen <strong>und</strong> schönen Gedanken eines<br />

gleichförmigen Zeichens für die Ambulanzen <strong>der</strong> zivilisierten Staaten in<br />

seiner „Erinnerung an Solferino" noch nicht, da die eingezogenen Erk<strong>und</strong>igungen<br />

nicht genügten, <strong>und</strong> da er fürchtete, zu viele Bitten auf<br />

einmal könnten <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> von ihm gefor<strong>der</strong>ten ständigen<br />

Komites schaden; überdies sollte es nach Dunants Auffassung die Aufgabe


— 236 —<br />

alle), welche die Asyle <strong>des</strong> Schmerzes, vom grossartigsten<br />

Spitale bis zum bescheidensten Zufluchtsort <strong>der</strong> Märtyrer <strong>der</strong><br />

Schlachten, <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>e wie <strong>der</strong> Feinde, heiligt <strong>und</strong> ihre<br />

barmherzigen Falten schützend über jeden Kämpfer ausbreitet.<br />

Diese Fahne <strong>der</strong> Barmherzigkeit ist künftig dazu berufen,<br />

auf jedem Schlachtfelde zu wehen, ähnlich dem, auf<br />

welchem wir den bescheidenen Grün<strong>der</strong> getroffen haben, wie<br />

er selbst, mit seinen schwachen Kräften, die mör<strong>der</strong>ischen<br />

Folgen <strong>des</strong> französisch-östreichischen Zusammenstosses auf<br />

italienischem Boden zu lin<strong>der</strong>n suchte; Dunant war so <strong>der</strong> Vorläufer<br />

jener Tausende von wackeren Samaritern, die heute<br />

<strong>der</strong> trefflichen Vereinigung angehören, <strong>der</strong>en Grün<strong>der</strong> zu sein<br />

Professor von Esmarch den Ruhm <strong>und</strong> die Ehre hat. 1 )<br />

Wir begreifen jetzt, dass <strong>der</strong> junge <strong>Genfer</strong> Patrizier<br />

nicht nur als Tourist auf diesen Schauplatz erbitterter Kämpfe<br />

•gekommen war, auch nicht als blosser Schriftsteller o<strong>der</strong><br />

Künstler, um das Schauspiel dieses gegenseitigen Gemetzels<br />

im Pulverrauch auf sich einwirken zu lassen, dass er auch<br />

nicht die Führung <strong>der</strong> Truppen hatte beobachten o<strong>der</strong> die<br />

politische Bedeutung <strong>des</strong> Siegs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage würdigen<br />

•wollen. Sein Herz war vielmehr im Innersten bewegt durch<br />

den Anblick dieser Haufen von gequetschten, zuckenden<br />

sterbenden <strong>und</strong> toten menschlichen Körpern, die das Leiden<br />

in allen Formen zeigten. Er hat Hilfe geleistet, wo <strong>und</strong><br />

wie er konnte; ja er hat in jenen Tagen noch mehr gethan,<br />

denn inmitten <strong>der</strong> ihn umgebenden Greuel, von jener selben<br />

Stadt Castiglione aus, die er mit Unterstützung einiger<br />

von ihm aufgebrachten Freiwilligen zum Hauptquartier seines<br />

wohlthätigen Wirkens machte, findet er Zeit, an die Gräfin<br />

Gasparin zu schreiben, die einige Jahre zuvor in Paris,<br />

<strong>der</strong> genannten Komites sein, eine Lösung dieser verschiedenen wichtigen<br />

humanitären Fragen zu finden.<br />

- 1 ) Der Deutsche Samariterverein wurde am 5. März 1882<br />

von Esmareh in Kiel gegründet <strong>und</strong> hat sich seither über ganz Deutschland,<br />

die Schweiz u. s. w. verbreitet.


— 237 —<br />

während <strong>des</strong> Krimkriegs, edelmütig mit einem Aufruf zu<br />

Gunsten <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten in <strong>der</strong> Krim vorgegangen war.<br />

Sofort entspinnt sich ein Briefwechsel zwischen ihr <strong>und</strong><br />

Dunant. Der letztere erzählt ihr in <strong>der</strong> Eile, ganz bewegt,<br />

was er sieht, die entsetzlichen" Leiden, das herzzerreissende<br />

Elend, <strong>des</strong>sen Zeuge er ist; er fleht um die Bildung von<br />

Ausschüssen, um die Sammlung von Gaben, um die Entsendung<br />

von Freiwilligen, von hochherzigen Männern zur Verabreichung<br />

<strong>der</strong> Hilfeleistungen; vor allem aber bittet er um<br />

Eile! — Die hiebei gewechselten Briefe bleiben jedoch lange<br />

unterwegs; Frau von Gasparin beklagt sich in ihren Antworten<br />

mehrmals darüber: die Briefe Dunants brauchen über<br />

eine Woche, um an ihre Adresse zu gelangen! — Eine Woche,<br />

das heisst eine Ewigkeit unter solch schmerzlichen Umständen,<br />

wo schnelle Hilfe am meisten not thut! Eben diese<br />

Thatsache veranlasst Dunant über die Notwendigkeit nachzudenken,<br />

immer, auch in gewöhnlichen Zeiten, über im voraus<br />

bereitgehaltene Hilfeleistungen, mit einem Wort über eine<br />

ständige Organisation in allen Län<strong>der</strong>n verfügen zu<br />

können, um nicht von den Ereignissen überrascht zu werden,<br />

da die öffentlichen Hilfeleistungen notwendig ungenügend<br />

sein müssen. — Dies ist kurz gesagt die <strong>Entstehungsgeschichte</strong><br />

<strong>des</strong> internationalen Hilfswerkes für die verw<strong>und</strong>eten<br />

Mlitärpersonen, welchem man zehn Jahre später den Namen<br />

„Rotes Kreuz" beizulegen begann, einen Namen, <strong>der</strong> seit<br />

einigen Jahren allmählich von den verschiedensten Län<strong>der</strong>n<br />

angenommen wurde.<br />

Frau von Gasparin schreibt in ihrem Brief vom<br />

4. Juli 1859:<br />

„Vor allem, mein Herr, lassen Sie sich die Hand drücken;<br />

Sie sind ein mutiger, wackerer junger Mann. 1 ) Gott wird<br />

Sie segnen <strong>und</strong> behüten. — Ich will Ihnen schreiben, was<br />

ich sofort nach Empfang Ihres Briefes gethan habe: ich habe<br />

!) Dunant war damals 31 Jahre alt.


— 238 —<br />

einen Auszug aus ihm gemacht, indem ich Einzelheiten ausliest,<br />

die man in Frankreich nicht hätte durchgehen lassen,<br />

<strong>und</strong> habe diesen Auszug mit einigen Worten von mir für<br />

Frankreich an die Illustration, für die Schweiz an das<br />

Journal de Geneve geschickt. ... Es wi<strong>der</strong>strebt mir<br />

ausserordentlich, wie<strong>der</strong> zu einer neuen Subskription aufzufor<strong>der</strong>n;<br />

aber angesichts eines solchen Elends fort mit persönlichen<br />

Rücksichten! Man darf auf nichts mehr hören, als<br />

auf diesen Schmerzensraf, nichts mehr thun, als ihm Folge<br />

leisten! — Bilden Sie schleunigst in Brescia o<strong>der</strong> Castiglione<br />

o<strong>der</strong> sonstwo einen Ausschuss, dem die Illustration die<br />

Gaben an Geld <strong>und</strong> in natura zuschicken kann, wenn die<br />

Sache in Frankreich einschlägt. Geben Sie mir die Adressen,<br />

ich werde sie sofort an Herrn Paulin, Direktor <strong>der</strong> Illustration<br />

. . . <strong>und</strong> an Herrn Ä<strong>der</strong>t vom Journal de<br />

Geneve abschicken . . . Schreiben Sie mir, ob Sie Verbandzeug,<br />

Hemden, Cigarren, Tabak brauchen ... Ich habe<br />

Sie nicht genannt." 1 )<br />

*) Aus Bescheidenheit hatte Dunant die Frau von Gasparin gebeten,<br />

ihn in den Zeitungen nicht zu nennen. — Die „Erinnerung an Solferino"<br />

erzählt von diesen Einzelheiten nichts, weil Dunant in seinem<br />

Buche entfernt nicht die Absicht hatte, sich <strong>des</strong> von ihm verrichteten<br />

guten Werks zu rühmen, son<strong>der</strong>n mit seiner Schil<strong>der</strong>ung von den Leiden<br />

<strong>der</strong> Opfer <strong>des</strong> Kriegs nur bezweckte, einen nachhaltigen Eindruck auf<br />

das Publikum zu machen. Fügen wir bei, dass eben diejenigen, die ihn<br />

bei <strong>der</strong> Arbeit gesehen, o<strong>der</strong> die von seiner Thätigkeit in Castiglione <strong>und</strong><br />

Brescia unmittelbare Kenntnis hatten, vor allem die Gräfin Verri, geb.<br />

Borromeo, Vorsitzende <strong>des</strong> Frauenkomites in Mailand, <strong>und</strong> die March es a<br />

Trivulzio-Pallavicini, Vorsitzende <strong>des</strong> Turiner Komites, bei dem König<br />

von Sardinien um den St. Moriz- <strong>und</strong> Lazarus-Orden für ihn nachgesucht<br />

haben, den ihm <strong>der</strong> König auch ein halbes Jahr später, am 16. Januar<br />

1860, verlieh. — Da nach <strong>der</strong> Konferenz im Oktober 1863 wegen <strong>der</strong><br />

zahlreichen Orden, welche Dunant um diese Zeit <strong>und</strong> nach dem Abschluss<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention vom August 1864 verliehen wurden, sich<br />

heftiger Neid gegen ihn erhob, so wie<strong>der</strong>holen wir, dass er diese Zeugnisse<br />

allerhöchsten Wohlwollens zwar stets mit achtungsvoller Dankbarkeit<br />

angenommen, aber we<strong>der</strong> unmittelbar noch mittelbar um irgend eine<br />

dieser ehrenden Auszeichnungen nachgesucht hat.


— 239 —<br />

Vier Tage darauf benachrichtigt Frau von Gasparin<br />

Dunant, in einem zweiten Brief vom 8. Juli von <strong>der</strong> bevorstehenden,<br />

im Einvernehmen mit einem reichen <strong>Genfer</strong> Patrizier,<br />

Herrn Adrien Naville, beschlossenen Entsendung von<br />

vier jungen Leuten, Kandidaten <strong>der</strong> Theologie, die beauftragt<br />

sind, sich in unmittelbare Verbindung mit ihm zu setzen, um<br />

unter seiner Leitung in den Ambulanzen <strong>der</strong> Vorposten Liebesgaben<br />

an die Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> Kranken auszuteilen. In<br />

einem nach Mailand adressierten Brief vom 9. Juli teilt ihm<br />

Herr Naville die Namen <strong>der</strong> vier mit <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Gaben beauftragten freiwilligen Samariter mit: es<br />

waren die Herren Charpiot, Estrabaud, Ivoene <strong>und</strong> "Wauttier<br />

(2 Franzosen <strong>und</strong> 2 Belgier); dieselben hätten die "Weisung,<br />

fügt er bei, sich möglichst weit nach vorn zu begeben, dahin,<br />

wo die Spitäler noch nicht ordentlich eingerichtet seien <strong>und</strong><br />

wo man noch alles brauche. Die genannten Herrn konnten<br />

nicht mehr rechtzeitig ankommen, um Dunant noch in Castiglione<br />

zu treffen; bei <strong>der</strong> allgemeinen Ueberfiillung gelang<br />

ihnen dies nicht einmal in Mailand. Sie haben also ihre<br />

menschenfre<strong>und</strong>liche Aufgabe ohne ihn erfüllt <strong>und</strong> in den<br />

Spitälern Gaben in natura <strong>und</strong> in Geld ausgeteilt, welche bei<br />

dem unter Leitung <strong>der</strong> Frau von Gasparin <strong>und</strong> <strong>des</strong> Herrn<br />

Naville gegründeten kleinen Komite in Genf von seiten <strong>des</strong><br />

Publikums eingegangen waren. Nach dem Kriege wollte<br />

dieses Komite wie<strong>der</strong> auseinan<strong>der</strong>gehen; es war also höchst<br />

notwendig, einen grossen Schlag zu thun, um ein Werk zu stand<br />

zu bringen, wie Dunant es im Auge hatte. Dieses von ihm<br />

so sehnlich erstrebte Ziel suchte er durch seine „Erinnerung<br />

an Solferino" zu erreichen. Er brauchte ungefähr<br />

ein Jahr, um sein Buch zu schreiben <strong>und</strong> bei dem berühmten<br />

Hause Fick in Genf sehr sorgfältig drucken zu lassen. Das<br />

"Werk erschien, wie wir schon berichtet haben, im Laufe <strong>des</strong><br />

Sommers 1862. Inzwischen hörte Dunant keinen Augenblick<br />

auf, seinen Gedanken in Ruhe zu zeitigen, ohne sich durch


— 240 —<br />

die allgemeine Gleichgültigkeit <strong>und</strong> Zweifelsucht abschrecken<br />

zu lassen.<br />

Lassen wir Herrn Dunant selbst über seine fernere<br />

Thätigkeit berichten:<br />

Am 3. Juli 1859, erzählt er in seinen Denkwürdigkeiten,<br />

schrieb ich von Brescia aus einen recht langen Brief<br />

an den General Marquis de Beaufort-d'Hautpoul, 1 )<br />

<strong>der</strong> ebenso wie seine Familie die Güte hatte, mich mit seiner<br />

Fre<strong>und</strong>schaft zu beehren. Einige Tage zuvor hatte ich ihn<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite <strong>der</strong> Apenninen in Pontremoli besucht,<br />

während er selbst als Generalstabschef <strong>des</strong> Armeecorps,<br />

welches Toscana besetzt hielt, in Begleitung eines zahlreichen<br />

militärischen Gefolges dieses Gebirge überschritt. Er war<br />

ein guter, menschenfre<strong>und</strong>licher Mann, <strong>der</strong> die französische<br />

Expedition anlässlich <strong>der</strong> Metzeleien in Syrien geleitet hatte<br />

<strong>und</strong> so aus eigener Anschauung die auf die Schlachten folgenden<br />

Greuelscenen kannte. Ich erzählte ihm also (wie<br />

zuvor schon <strong>der</strong> Frau von Gasparin) die trostlosen Auftritte,<br />

denen beizuwohnen ich das traurige Vorrecht gehabt hatte;<br />

ich bat ihn, wie zuvor schon in Borghetto den Marschall<br />

Mac Mahon,*) inständig, man möchte in <strong>der</strong> Umgebung <strong>des</strong><br />

i) S. S. 67.<br />

s ) Bei diesem Besuch vom 28. Juni 1859, den er in seiner „Erinnerung'<br />

an Solferino" (S. 36) nur mit zwei Zeilen erwähnt, berichtete Dunant<br />

dem über sein Erscheinen im Lager höchlich erstaunten Marschall Mac-<br />

Mahon kurz, was er alles in Castiglione gesehen hatte, die trostlose Lage<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten,- den Mangel an genügen<strong>der</strong> Pflege, tmd erwähnte unter<br />

an<strong>der</strong>em den entsetzlichen Zustand, in welchem er einige östreichische<br />

Verw<strong>und</strong>ete angetroffen habe, sowie die Notwendigkeit, auch die gefangenen<br />

östreichischen Aerzte sobald als möglich zur Hilfeleistung heranzuziehen.<br />

Im Namen <strong>der</strong> Menschlichkeit flehte er den Herzog von Magenta<br />

an, sofort irgend eine günstige Gelegenheit zu benützen, um mit dem<br />

Kaiser Napoleon über diesen beklagenswerten Zustand zu reden. Der<br />

Marschall nahm diese Eröffnung sehr wohlwollend auf <strong>und</strong> veranlasste<br />

Dunant, den Kaiser in Cavriana aufzusuchen. „Die Menschlichkeit <strong>des</strong><br />

Marschalls Mac-Mahon," sagt Dunant, „welcher sein Versprechen nicht<br />

vergass, <strong>und</strong> die wohlwollende Gesinnung <strong>des</strong> Chefarztes <strong>des</strong> französischen


— 241 —<br />

Kaisers Napoleon diesem die Frage <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Unzulänglichkeit nochmals vorlegen. Der<br />

General tliat, was in seiner Macht stand <strong>und</strong> unterstützte<br />

von nun ab nach Kräften meine menschenfre<strong>und</strong>lichen Pläne<br />

während <strong>der</strong> Jahre, die <strong>der</strong> Veröffentlichung <strong>der</strong> „Erinnerung<br />

an Solferino" vorangingen, vor allem in Paris, wohin ich<br />

mich wie<strong>der</strong>holt begab, <strong>und</strong> wo ich den Winter von 1859<br />

auf 1860 zubrachte. Schon damals erhielt ich die moralische<br />

Zusicherung <strong>der</strong> Sympathien <strong>des</strong> französischen Kaisers hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Versuche, die in diesem Sinne gemacht würden;<br />

<strong>und</strong> diese Zusicherung war für mich beson<strong>der</strong>s wertvoll; denn,<br />

wenn ich überhaupt zu kämpfen hatte, um meine Sache zu<br />

verteidigen, so hatte ich dies ganz beson<strong>der</strong>s gegen die erklärte<br />

Feindschaft eines Teils <strong>der</strong> französischen Verwaltung<br />

<strong>und</strong> gegen den ausgesprochenen Standpunkt <strong>der</strong> Intendantur<br />

zu thun.<br />

Und doch hatte ich mir hinsichtlich <strong>der</strong> damals allmächtigen<br />

französischen Intendantur auch nicht ein Wort <strong>des</strong><br />

Tadels vorzuwerfen. Ich hatte mich zum Beispiel wohl gehütet,<br />

in <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" folgende Thatsache<br />

zu erzählen: Während ich mit einigen Freiwilligen in Castiglione<br />

mit <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten beschäftigt war <strong>und</strong><br />

in <strong>der</strong> Chiesa Maggiore die für sie bestimmten Hilfeleistungen<br />

leitete, hatten sich zwei Offiziere <strong>der</strong> französischen Verwaltung<br />

in einem Hause in <strong>der</strong> Stadt eingeschlossen, wo sie<br />

sich in aller Gemütsruhe ein recht gutes Essen schmecken<br />

Heers in Italien, Baron Larrey, verdienen anerkannt zu werden: drei<br />

Tage später, am 1. Juli, erliess Kaiser Napoleon folgende Verfügung:<br />

Die Aerzte <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ärzte <strong>des</strong> östreichischen Heeres, welche<br />

in Ausübung ihres Berufs gefangen genommen wurden, sollen auf<br />

ihren Wunsch bedingungslos freigelassen werden; diejenigen,<br />

welche die Verw<strong>und</strong>eten Ton Solferino in den Feldlazaretten von<br />

Castiglione gepflegt haben, sollen zuerst nach Oestreich zurückkehren<br />

dürfen."<br />

Die frühere hochherzige Verfügung Napoleons vom 29. Mai 1859<br />

bezüglich <strong>der</strong> Gefangenen wurde schon auf Seite 81 erwähnt. 16


— 242 —<br />

liessen. Ich begab mich zweimal dorthin, um bei ihnen die<br />

Erlaubnis auszuwirken, mich durch gefangene östreichische<br />

Aerzte <strong>und</strong> Krankenpfleger unterstützen zu lassen. Das<br />

zweite Mal klopfte ich so stark an die Thiire <strong>und</strong> bestand<br />

so beharrlich auf meinem Begehren, däss ich das Gewünschte<br />

erlangte. Die Herren erfüllten meine Bitte auf die liebenswürdigste<br />

Weise <strong>der</strong> Welt. „Thun Sie, was Sie wollen,"<br />

lautete ihre Antwort, „aber lassen Sie uns nur ruliig speisen."<br />

Sie hatten gewiss das Recht, ruhig <strong>und</strong> behaglich zu speisen,<br />

sogar im Felde <strong>und</strong> sogar in diesem Augenblick! Ich bin<br />

überzeugt, dass ich ihnen vorkommen musste, als wäre ich<br />

dem Irrenhause entsprungen, da ich unter solchen Umständen<br />

<strong>und</strong> ohne dazu gezwungen zu sein, mich all <strong>der</strong> Mühe unterzogen<br />

hatte, die ich willig auf mich nahm. Ich bin ihnen<br />

jedenfalls ebenso verrückt vorgekommen, wie die beiden Englän<strong>der</strong>,<br />

die am 27. Juni, zwei Tage nach <strong>der</strong> Schlacht, sich<br />

bis in die französischen Linien vorgewagt hatten, dort von<br />

den Soldaten für östreichische Spione gehalten <strong>und</strong> auf dem<br />

Weg durch das Lager, in das sie sich so unglücklicher Weise<br />

verirrt hatten, übel mitgenommen wurden, bis sie endlich zu<br />

ihrem Heile einem Marschall, dem Befehlshaber <strong>des</strong> betreffenden<br />

Armeecorps, begegneten, welcher dem unangenehmen<br />

Abenteuer, von dem die beiden Insulaner übrigens nachher<br />

entzückt waren, schnell ein Ende machte.<br />

Zahlreiche vernichtende Urteile sind zu jener Zeit in<br />

Frankreich selbst über die Intendantur 1 ) gefallt worden. Ein<br />

einziges wird hier genügen, welches den Chefarzt <strong>des</strong> französischen<br />

Heeres in Italien zum Verfasser hat <strong>und</strong> vom<br />

5. Juli 1859 datiert ist: „Seit Eröffnung <strong>des</strong> Feldzugs be-<br />

r ) Zur Zeit <strong>des</strong> italienischen Kriegs war <strong>der</strong> ärztliche Dienst <strong>der</strong><br />

französischen Heere <strong>der</strong> Intendantur untergeordnet. „Diese Regelwidrigkeit,"<br />

sagt ein Mitglied <strong>der</strong> französischen Akademie, Herr Maxime Du<br />

Camp, „ist oft <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit <strong>der</strong> Truppen nachteilig gewesen; sie bestand<br />

fort Ms zum Gesetz vom 16. März 1882, welches ihr ein Ende<br />

machte."


— 243 —<br />

klagen sicli die Regimentsärzte darüber, dass sie von <strong>der</strong><br />

Zentralapotlieke keines <strong>der</strong> verlangten Arzneimittel bekommen."<br />

— „Fünfzehn H<strong>und</strong>ert Kilogramm Cliarpie gehen innerhalb<br />

vierzehn Tagen unterwegs verloren; erst das zornige<br />

Einschreiten <strong>des</strong> Kaisers führt zu ihrer Wie<strong>der</strong>auffindung,"<br />

fügt Maxime Du Camp bei. 1 ) „Die Entfernung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten<br />

vom Schlachtfeld bei Solferino ist an verschiedenen<br />

Punkten schwierig o<strong>der</strong> unmöglich gewesen, weil es an Beför<strong>der</strong>ungsmitteln<br />

fehlte." — Der Oberintendant <strong>des</strong> französischen<br />

Heeres gesteht, dass man fünf Tage gebraucht<br />

habe, um die Verw<strong>und</strong>eten aufzulesen!<br />

Einer erst im Jahre 1864 erschienenen Broschüre <strong>des</strong><br />

Generalintendanten <strong>des</strong> in Italien stehenden Heeres, Herrn<br />

Paris, entnehmen wir folgende Schil<strong>der</strong>ung. Nach dem Geständnis,<br />

dass Castiglione in den Tagen <strong>des</strong> 24., 25. <strong>und</strong><br />

26. Juni 6000 Verw<strong>und</strong>ete aufnahm <strong>und</strong> dass „die Verwaltung<br />

vollständig überrascht wurde," erzählt Herr Paris: „In den<br />

Kirchen, den Schuppen, den Höfen <strong>der</strong> Häuser war Stroh<br />

ausgebreitet . . . Das Personal bestand, unter Leitung <strong>des</strong><br />

Generalarztes Bertherand, aus zwei Stabsärzten, einem Stabsapotheker,<br />

einem Offizier <strong>und</strong> zwei Verwaltungsassistenten.<br />

Am Morgen <strong>des</strong> 24. wurde dieses Personal vermehrt durch<br />

einen Generalapotheker, zwei Generalärzte, zwei Stabsärzte,<br />

einen Stabsapotheker <strong>und</strong> zwei Verwaltungsassistenten. Am<br />

nächsten Morgen, am 25. Juni erhielten diese Hilfskräfte<br />

einen weiteren Zuwachs durch 16 Aerzte verschiedener Grade<br />

<strong>und</strong> 30 Krankenwärter, die man einem durch Castiglione<br />

marschierenden Zug östreichischer Gefangener entnommen<br />

•) La Croix Rouge de France. — An diese verschiedenen<br />

Thatsachen dachte <strong>der</strong> französische Kaiser, als er den Wunsch aussprach,<br />

<strong>der</strong> Kongress von 1864 möchte den Lan<strong>des</strong>bewohnern, welche den Verw<strong>und</strong>eten<br />

Hilfe leisten, Neutralität zusichern. Diese Anregung verdankt<br />

die internationale diplomatische Versammlung Napoleon, welcher den drei<br />

zu ihr entsandten französischen Delegierten die bestimmte Weisung gab,<br />

diese beson<strong>der</strong>e Klausel vorzuschlagen <strong>und</strong> auf ihrer Annahme zu bestehen.


— 244 —<br />

hatte." — „Aus den von Herrn Paris selbst gelieferten Urk<strong>und</strong>en<br />

folgt also," wie Herr Leonce de Cazenove, Sekretär<br />

<strong>des</strong> Generalausschusses vom Eoten Kreuz zu Lyon,<br />

in seinem Bericht über die erste Generalversammlung dieses<br />

Ausschusses 1866 bemerkt, „dass alles in allem ein<strong>und</strong>sechzig<br />

Personen (mit Einschluss <strong>der</strong> Aerzte, Verwaltungsbeamten,<br />

Apotheker <strong>und</strong> Lazarettgehilfen) zur Pflege von 6000 Verw<strong>und</strong>eten<br />

vorhanden waren; <strong>und</strong> dazu noch kamen von diesen<br />

ein<strong>und</strong>sechzig Personen sechzehn Aerzte <strong>und</strong> dreissig Krankenpfleger<br />

erst am nächsten Tag, dem 25. Juni! Welche<br />

St<strong>und</strong>en <strong>der</strong> To<strong>des</strong>pein für die unglücklichen Verw<strong>und</strong>eten:<br />

61 auf <strong>der</strong> einen Seite <strong>und</strong> 6000 auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n! Das entsetzliche<br />

Missverhältnis zwischen diesen beiden Zahlen erspart<br />

uns jeden weiteren Zusatz!"<br />

Derselbe Dr. Bertherand, von dem oben die Rede ist,<br />

schrieb mir am 4. März 1863, um mir für die Uebersendung<br />

<strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" zu danken, die er mit lebhafter<br />

Teilnahme <strong>und</strong> Bewegung gelesen habe: „Wie Sie,<br />

habe ich lebhaft den Ernst <strong>der</strong> Prüfungen empf<strong>und</strong>en, denen<br />

ich beiwohnte in Ausübung eines Dienstes ähnlich dem, welchen<br />

Sie freiwillig auf sich genommen hatten."<br />

Wie dem auch sei, diese Feindseligkeit <strong>der</strong> Verwaltung<br />

gegen meine Person kam'in einigen Pariser Kreisen<br />

zum offenen Ausbruch, sobald mein Buch gedruckt <strong>und</strong><br />

beim Publikum verbreitet war, <strong>und</strong> sobald man erfuhr, dass<br />

ich die Bildung eines französischen Ausschusses<br />

wünschte; denn schon im Dezember 1862 suchte ich in Paris<br />

gewichtige <strong>und</strong> einflussreiche ." Personen zusammenzubringen,<br />

welche sich für humanitäre Fragen interessierten. Trotzdem<br />

gelang mir erst ein Jahr später, im November <strong>und</strong> Dezember<br />

1863, allmählich die Bildung eines Ausschusses, welcher<br />

nach mehreren vorbereitenden Zusammenkünften beim Herzog<br />

de Fezensac am 25. Mai 1864 zu einem vorläufigen<br />

französischen Ausschuss <strong>der</strong> Hilfsgesellschaft<br />

für verw<strong>und</strong>ete Militärpersonen (Comite provisoire


— 245 —<br />

de France de la Societe de secours aux Wesses militaires)<br />

zusammentrat. Auf eine gedruckte Einladung hin, die ich<br />

als Schriftführer <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz unterzeichnete, vereinigte<br />

man sich zu dieser Generalversammlung im Empfangssaal<br />

<strong>des</strong> Verwaltungsrats <strong>der</strong> Eisenbahnlinie Orleans, welchen<br />

sein Präsident, Herr Frangois Bartholony, mir gütigst zu<br />

diesem Zwecke zur Verfügung gestellt hatte." 1 )<br />

Der Marschall Mac Mahon, welcher mich am 28. Juni<br />

1859, um 6 Uhr morgens in Borghetto mit dem Ausruf <strong>der</strong><br />

Ueberraschung empfangen hatte: „Ei, Herr Dunant, was thun<br />

Sie hier?" hatte die hohe Bedeutung meiner Pläne vom<br />

Standpunkt <strong>der</strong> Menschlichkeit aus wohl erfasst, ebenso wie<br />

später <strong>der</strong> Marschall Canrobert <strong>und</strong> <strong>der</strong> General Trochu,<br />

welch letzterer in einer Versammlung <strong>des</strong> Ausschusses beim<br />

Herzog de Fezensac (General unter dem ersten Kaiserreich)<br />

mit Nachdruck erklärte: „Im Buche <strong>des</strong> Herrn Dunant ist<br />

nichts übertrieben, es ist sogar noch hinter <strong>der</strong> Wahrheit<br />

zurückgeblieben."<br />

Wie viele Nichtswisser <strong>und</strong> Dummköpfe haben, vom<br />

Geiste planmässiger Anschwärzung getrieben, behauptet, ich<br />

x ) Der Text dieser von Paris, 21. Mai 1864 datierten Einladung<br />

lautet nach Leonce de Cazenove, La guerre et l'humanite au XlXme<br />

siecle, p. 146:<br />

Monsieur, Comme seerStaire de Ia Conference internationale europeenne<br />

qui a eu lieu Genfeve, an mois d'octobre <strong>der</strong>nier, pour examiner<br />

par quels moyens la charite civile et volöntaire peut venir le plns efflcacement<br />

en aide aux blesses militaires en temps de guerre, j'ai Phonneur<br />

de vons prier de vouloir bien assister ä une petite retmion preparatoire,<br />

afin de constitner un Comite provisoire fran?ais, <strong>des</strong>tine ä etudier cette<br />

question au point de vue de la France. — Cette retmion aura lieu mercredi<br />

proehain 25 mai, ü quatre heures et demie precises, dans le salon<br />

du Conseil d'administration du chemin de fer d'Orleans, rue de Londres<br />

n° 8.<br />

Agreez, Monsieur, l'expression de mes sentiments de trSs haute,<br />

consi<strong>der</strong>ation.<br />

Le promoteur de l'Oeuvre internationale,<br />

(Signe) Henry Dunant.


— 246 —<br />

hätte die Schil<strong>der</strong>ung, die ich de visu in meiner „Erinnerung<br />

an Solferino" gab, „ausgeschmückt"! Im Gegenteil,<br />

die erfahrensten Sachverständigen haben hinsichtlich meiner<br />

Schil<strong>der</strong>ungen, die Prevost-Paradol ein „beredtes Zeugnis"<br />

nennt, ohne Zau<strong>der</strong>n erklärt, dass sie „ebenso wahr wie<br />

ergreifend" seien. — Der Oberst Eibout, Kabinettschef<br />

S. Excellenz <strong>des</strong> Kriegsministers Marschall Randon, findet bei<br />

einer brieflichen Erwähnung <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino"<br />

vom 12. Dezember in dieser „eine genaue Würdigung <strong>der</strong><br />

Thatsachen, <strong>und</strong> Gedanken, welche die ehrenvollste Teilnahme<br />

verdienen". — Unter vielen ähnlichen Würdigungen müssen<br />

wir die <strong>des</strong> Divisionsarztes im eidgenössischen Heere, Dr.<br />

Briere, anfuhren, welcher unmittelbar nach Solferino von<br />

dem Militärdepartement <strong>der</strong> Schweizer Eidgenossenschaft abgesandt<br />

wurde, um die Spitäler <strong>der</strong> beiden Heere zu besuchen.<br />

Er schrieb in seinem Brief vom 15. Februar 1863:<br />

„Dem, <strong>der</strong> nie ein Schlachtfeld während <strong>des</strong> Kampfes<br />

o<strong>der</strong> nach demselben gesehen hat, mögen die ergreifenden<br />

Schil<strong>der</strong>ungen, die Sie geben, recht übertrieben erscheinen:<br />

aber wer dieses Elend mit angesehen hat, weiss, dass man<br />

nicht das Geringste davon in Abzug bringen darf." Sodann<br />

erinnert er daran, [dass er selbst mehrmals mör<strong>der</strong>ischen<br />

Kämpfen, unter an<strong>der</strong>n im Jahre 1847 dem Kampf <strong>des</strong> eidgenössischen<br />

Heeres, angewohnt habe, <strong>und</strong> fährt fort: „Ich<br />

bin also ein wenig eingeweiht in all die herzzerreissenden<br />

Scenen, die Sie so trefflich <strong>und</strong> nicht bloss als Liebhaber beschreiben<br />

. . . Ich kann Sie zu dem Werke das Sie ins Leben<br />

gerufen haben, nur beglückwünschen." — Herr Dr. Briere<br />

fühlte so gut, dass das Buch mit innerer Notwendigkeit zur<br />

Verwirklichung eines noch ganz neuen Werkes führen musste,<br />

dass er „von dem Werke, das ich ins Leben gerufen" hätte,<br />

genau in <strong>der</strong>selben Woche redete, in welcher Herr Moynier<br />

<strong>und</strong> die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft<br />

in einer Sitzung eben dieser Gesellschaft erklärten, dass sie<br />

sich fiir die Schlussfolgerungen meines Buches interessieren


— 247 —<br />

würden; <strong>und</strong> doch wusste Herr Briere noch nichts von dieser<br />

Thatsache. Er wurde später vom Bun<strong>des</strong>rat zur Teilnahme<br />

an <strong>der</strong> Konferenz vom Oktober 18G3 ausersehen.<br />

Nach dem italienischen Krieg hatte ich bei meiner Rückkehr<br />

nach Genf im Juli 1859 Gelegenheit gehabt, einen hervorragenden<br />

Mann zu treffen, welcher sich ganz beson<strong>der</strong>s<br />

für die Vorgänge in Italien interessierte, den Herrn Dr. Appia<br />

aus Genf (Mitglied <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen. Gesellschaft,<br />

denselben, welcher später Mitglied <strong>des</strong> internationalen Ausschusses<br />

werden sollte). Er begab sich nach Italien, wo er<br />

sich einen Monat in verschiedenen Spitälern aufhielt, nachdem<br />

er zuvor eine Reihe von Sendungen, im ganzen dreissig<br />

Kisten mit Verbandmitteln im Gewicht von 2000 kg unmittelbar<br />

an die Spitäler hatte abgehen lassen. Ausserdem<br />

verteilte er selbst den ersten Teil seines Werks über Militärchirurgie<br />

an die jungen Militärärzte <strong>des</strong> französischen Heers<br />

in Italien. In <strong>der</strong> Lombardei wandte er auch einen von ihm<br />

selbst erf<strong>und</strong>enen <strong>und</strong> hergestellten Tragstuhl an, <strong>der</strong> ihm<br />

grosse Ehre machte. Er machte sich bei den von Garibaldi<br />

gebildeten Truppen sehr nützlich, wofür dieser, sowie<br />

König Viktor Emanuel ihm öffentlich ihre Dankbarkeit bezeugten.<br />

*)<br />

Von seiner eigenen Person zu reden ist verwerflich, wie<br />

es heisst; aber wie soll man dies in Denkwürdigkeiten vermeiden?<br />

Wenn es Anstoss erregt, so müssen wir uns eben<br />

an die Nachsicht <strong>des</strong> Lesers wenden. Man entschuldigt<br />

dies gerner bei Denkwürdigkeiten, die erst nach dem Tode<br />

*) Im Jahre 1867 veröffentlichte Dr. Appia ein kleines Werk unter<br />

dem Titel: Besuch im Lager <strong>des</strong> Generals Garibaldi. Die<br />

Verw<strong>und</strong>eten von <strong>der</strong> Sehlacht bei Bezzecca im Tiarnothai in<br />

Tirol, 26, Juli 1866. Bei dieser Schlacht wirkte Dr. Appia als freiwilliger<br />

Arzt <strong>und</strong> leistete, mit Unterstützung von drei jungen Leuten, die ihn begleiteten<br />

, den italienischen <strong>und</strong> östreichischen Verw<strong>und</strong>eten Beistand.<br />

Später veröffentlichte Herr Dr. Appia mit Herrn Moynier La Gnerre<br />

et la Charite.


— 248 —<br />

<strong>des</strong> Verfassers erscheinen, <strong>und</strong> dies wird, wenn sie überhaupt<br />

jemals erscheinen, bei den vorliegenden <strong>der</strong> Fall sein. 1 )<br />

In Paris, wie in Genf, in Italien, Deutschland <strong>und</strong> überall<br />

sonst kamen die wertvollsten Beweise <strong>der</strong> Teilnahme von<br />

verdienten, hochherzigen <strong>und</strong> hochgestellten Damen, 2 ) unter<br />

welchen wir in Paris in erster Linie die Gräfin Saint Aulaire,<br />

die Witwe <strong>des</strong> gleichnamigen Gesandten unter <strong>der</strong><br />

Regierung Ludwig Philipps nennen müssen, welche die Gedanken<br />

<strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" in <strong>der</strong> orleanistischen<br />

Gesellschaft <strong>des</strong> Faubourg St. Germain warm unterstützte;<br />

ferner Frau Luise Sw. Belloc, welche im Economiste<br />

frangais einen Artikel über das Buch veröffentlichte <strong>und</strong> das<br />

Wohlwollen <strong>der</strong> aufgeklärten AVeit gewinnen half; die Frau<br />

Baronin de Stael (Enkelin <strong>der</strong> berühmten Madame de Stael),<br />

die schon im Jahre 1863 eine weisse Armbinde mit rotem<br />

Kreuz (wovon ich zahlreiche Proben hatte herstellen lassen)<br />

auf ihrem Salontisch auflegte, in <strong>der</strong> wohlbedachten Absicht,<br />

die Neugierde ihrer Pariser Bekannten zu erregen <strong>und</strong> sie<br />

zu Fragen nach <strong>der</strong> Verwendung dieses neuen <strong>und</strong> son<strong>der</strong>baren<br />

Schmuckstückes herauszufor<strong>der</strong>n. Diese reizende Art<br />

<strong>und</strong> Weise, einen edlen Gedanken'zu verbreiten <strong>und</strong> in wei-'<br />

teren Kreisen Propaganda für ein menschenfre<strong>und</strong>liches Werk<br />

zu machen, hatte grossen Erfolg. Ihr Schwager, <strong>der</strong> ausgezeichnete<br />

Herzog von Broglie (<strong>der</strong> Vater <strong>des</strong> Herzogs<br />

Albert, <strong>des</strong> späteren Staatsministers, welcher einer <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Ausschusses wurde), gab offenk<strong>und</strong>ige Beweise seiner<br />

Teilnahme, indem er bei einigen seiner Kollegen vom Institut<br />

de France den Gegenstand rühmend erwähnte. — „Der Herzog<br />

ist überzeugt, dass Sie die Sache durchführen werden,"<br />

schrieb mir Madame de Stael. —Bei Herrn <strong>und</strong> Frau Fr an-<br />

§ois Delessert begegnete ich oft dem Dr. Chenu, dem<br />

l) Wir freuen tins für Herrn Dunant, dass er mit dieser Vorhersarrnn


— 249 —<br />

grossen Statistiker <strong>des</strong> Krimkriegs, einem hervorragenden<br />

Militärarzt. Ich warb ihn für den Zentralausschuss, für den<br />

er bald ein wertvoller Bun<strong>des</strong>genosse wurde, ebenso wie<br />

Herr Delessert, welcher gleichfalls den Titel eines Stifters<br />

annahm.<br />

In <strong>der</strong> so hervorragenden litterarischen <strong>und</strong> gelehrten<br />

Welt, unter Personen, welche den verschiedensten Meinungen<br />

<strong>und</strong> den verschiedensten Kreisen in Paris angehörten, zeigte<br />

man grosses Wohlwollen. Herr <strong>und</strong> Frau Jean Reynaud,<br />

die in dem Institut, wohin ich zuweilen ging, oft Gesellschaft<br />

empfingen, gehörten zu den besten Fre<strong>und</strong>en <strong>der</strong> philanthropischen<br />

Pläne. Dort begegnete ich auch Herrn Ernest<br />

Renan, dem glänzendsten Schriftsteller <strong>und</strong> verführerischsten<br />

Denker unserer Zeit, <strong>der</strong>, vollständig auf dem Laufenden<br />

über die schon verwirklichten Fortschritte, die er, wie er<br />

sagte, von Anfang an mit Teilnahme verfolgt hatte, lange<br />

mit mir über die grosse Zukunft <strong>des</strong> Werkes redete <strong>und</strong> mit<br />

folgenden Worten schloss: „Sie haben das grösste Werk <strong>des</strong><br />

Jahrh<strong>und</strong>erts geschaffen; Europa wird es vielleicht nur zu<br />

sehr brauchen können."<br />

Im geographischen Salon <strong>des</strong> Barons Jomard, <strong>der</strong><br />

noch ganz mit Erinnerungen an Napoleon I. <strong>und</strong> an Aegypten<br />

angefüllt war, fand ich eifrige Bun<strong>des</strong>genossen, unter ihnen<br />

zwei ausgezeichnete Personen, bescheidene <strong>und</strong> zuvorkommende<br />

Gelehrte, die Herrn Cortambert Vater <strong>und</strong> Sohn von <strong>der</strong><br />

kaiserlichen Bibliothek; ferner viele an<strong>der</strong>e Kollegen von <strong>der</strong><br />

geographischen, ethnographischen, asiatischen <strong>und</strong> archäologischen<br />

Gesellschaft, <strong>und</strong> sonstige Personen, <strong>der</strong>en Aufzählung<br />

hier zu lange aufhalten würde, <strong>der</strong>en herzliche Teilnahme<br />

aber ihren Wert für das Gelingen <strong>des</strong> Werkes hatte, da sie<br />

dazu beitrug, die Meinung von Paris für die Absichten <strong>der</strong><br />

„Erinnerung an Solferino" zu gewinnen.<br />

Man darf nie die ersten Pioniere vergessen, daher gebührt<br />

es sich, hier auch noch den wissenschaftlichen Salon<br />

von Herrn <strong>und</strong> Frau de Tassy anzuführen, von denen <strong>der</strong>


- 250 —<br />

erstere Mitglied <strong>des</strong> Instituts, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Asiatischen Gesellschaft <strong>und</strong> gelehrter Kenner <strong>der</strong> indischen<br />

Sprache war; ferner den eines an<strong>der</strong>n Mitglieds <strong>des</strong> Instituts,,<br />

<strong>des</strong> Senators Elie de Beaumont,-ständigen Sekretärs <strong>der</strong><br />

Academie <strong>des</strong> Sciences, <strong>der</strong> nicht nur ein grosser Gelehrter,<br />

son<strong>der</strong>n auch ein grosser Ehrenmann war, denn er besass<br />

nicht nur einen hervorragenden Verstand, son<strong>der</strong>n er Avar<br />

auch ein Mann von Herz; endlich den eines ehemaligen<br />

Staatsmannes, <strong>des</strong> berühmten Royer-Collard. Diese <strong>und</strong><br />

viele an<strong>der</strong>e ebenso gastfre<strong>und</strong>liche Häuser standen mir offen:<br />

sie wurden die Ausgangspunkte einer guten Propaganda.<br />

Herr Paul Eoyer-Collard Sohn (später Präfekt) war mir bei<br />

<strong>der</strong> Bildung <strong>des</strong> Ausschusses behilflich; aber hinsichtlich dieser<br />

werkthätigen Hilfe kommt das Hauptverdienst dem ausgezeichneten<br />

Augustin Cochin mildthätigen Angedenkens<br />

zu, welcher mich 1863 <strong>und</strong> 1864 mit vielen Personen bekannt<br />

machte, die sich durch meine Bitten bestimmen liessen, dem<br />

in <strong>der</strong> Bildung begriffenen Zentralausschuss beizutreten. Zu<br />

diesen gehört in erster Linie <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> verstorbene Graf<br />

de Flavigny, welcher seinen Schwiegervater, den ehrwürdigen<br />

Herzog de Fezensac dazu bewog, dass er auf meine<br />

Bitte den Vorsitz <strong>des</strong> Ausschusses übernahm <strong>und</strong> diesen bei<br />

sich empfing. Desgleichen erlangte Herr de Flavigny den<br />

Beitritt seines Schwagers, <strong>des</strong> Divisionsgenerals <strong>und</strong> kaiserlichen<br />

Adjutanten de Goyon, welcher nach dem Tode <strong>des</strong><br />

Herzogs von Fezensac, seines Schwiegervaters, <strong>der</strong> zweite<br />

Vorsitzende <strong>des</strong> Werkes wurde. Herr de Flavigny war<br />

<strong>der</strong> dritte Vorsitzende <strong>der</strong> französischen Gesellschaft, die er<br />

während <strong>der</strong> ganzen Dauer <strong>des</strong> deutsch-französischen Kriegs<br />

leitete, <strong>und</strong> wobei er grosse Hingebung an den Tag legte.*)<br />

i) Die Hingebung <strong>des</strong> Graf eil de Flavigny während <strong>des</strong> furchtbaren<br />

Kriegs war wahrhaft bew<strong>und</strong>ernswert. Nach <strong>des</strong>sen Beendigung<br />

wollte die französische Regierung ihn zum Kommandeur <strong>der</strong> Ehrenlegion<br />

ernennen, aber er schlug diese Auszeichnung aus. Folgende zwei Stellen<br />

aus seiner Antwort (vom 27. November 1871) verdienen bekannt zu wer-


— 251 —<br />

Hierauf kommen durch Vermittlung Herrn Cochins die<br />

Vizeadmirale Jurien de la Graviere, Adjutant <strong>des</strong> Kaisers,<br />

<strong>und</strong> Fouriehon (später Marineminister), sowie <strong>der</strong> Herzog<br />

de Crillon, die Marquis de Bethisy, d'Havrincourt,<br />

de Mornay <strong>und</strong> de Chanaleilles; die Grafen de Lyonne,<br />

de Breda, Serurier, Lemercier, Melchior, <strong>und</strong><br />

Charles de Vogtiö; 1 ) die Vicomtes de Melun <strong>und</strong> de<br />

Gontaut-Biron; Herr Emile Le Camus, Sekretär <strong>der</strong><br />

Societe d'Economie Charitable, sowie <strong>der</strong> Graf F. de Eohan-<br />

Chabot, Sohn <strong>des</strong> Herzogs de Kohan, <strong>der</strong> während <strong>der</strong><br />

ersten Jahre <strong>des</strong> Bestehens <strong>des</strong> "Werks <strong>des</strong>sen hingeben<strong>der</strong><br />

Generalsekretär war. —<br />

Der Admiral Fouriehon überreichte im Auftrage <strong>des</strong> Herrn<br />

Augustin Cochin <strong>der</strong> Marschallin Eandon, <strong>der</strong> Frau <strong>des</strong><br />

Kriegsministers, ein Exemplar <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino".<br />

Zu aller Erstaunen beurteilte <strong>der</strong> Marschall mein armes Büchlein<br />

mit den Worten: „Das ist ein Buch, das gegen Frankreich<br />

geschrieben ist!" — Das arme Büchlein, mit dem ich<br />

mir so viel Mühe gegeben hatte, um es so unparteiisch als<br />

möglich zu schreiben, <strong>und</strong> dem ich so viele Zeit geopfert<br />

hatte! Denn, obwohl Litterat von Beruf, war ich doch nicht<br />

übermässig gelehrt. Die Lobsprüche <strong>und</strong> Schmeichelworte,<br />

den: . . . „We<strong>der</strong> Eure Excellenz noch irgend sonst jemand können sich<br />

einer Täuschung hinsichtlich <strong>des</strong> Gefühls hingehen, welches mir meinen<br />

Entschluss vorschreibt, noch hinsichtlich meiner vollkommenen Hochachtung<br />

für den Orden <strong>der</strong> Ehrenlegion, <strong>des</strong>sen Abzeichen ich mit Stolz seit mehr<br />

als fünfzig Jahren trage; eine höhere Stufe kann diese Hochachtung nicht<br />

mehr steigern. — Nachdem es mir vergönnt war, bewegter Zenge so vieler<br />

bew<strong>und</strong>erungswürdiger Beispiele <strong>der</strong> Hingebung zu sein, <strong>der</strong>en Belohnung<br />

in Anbetracht ihrer Menge unmöglich wäre, habe ich wenigstens gewünscht,<br />

dass meine geringen Dienste den Charakter vollkommener Selbstlosigkeit<br />

beibehielten."<br />

*) Graf Charles Robert de Yogüe, Kapitän bei den Spaliis,<br />

Ordonnanzoffizier <strong>des</strong> Marschalls Mac Mahon, einer <strong>der</strong> edelsten Vertreter<br />

<strong>des</strong> alten Adels im französischen Heere, fiel anf dem Schlachtfeld von<br />

Fröschweiler.


— 252 —<br />

mit denen ich überhäuft wurde, <strong>und</strong> von denen viele aufrichtig<br />

gemeint waren, haben mir gewiss den Kopf nicht verdreht.<br />

Aber ich war mit ganzem Herzen bei <strong>der</strong> Sache gewesen,<br />

ohne irgend welchen Hintergedanken, <strong>und</strong> es war<br />

hart, mich auf diese Weise so ungerecht behandelt zu sehen.<br />

Gleichwohl wurden auf Befehl Kaiser Napoleons, entsprechend<br />

dem Brief vom 23. Dezember 1863, den er an mich<br />

hatte richten lassen, mehrere Generäle zum Eintritt in den<br />

Ausschuss <strong>der</strong> französischen Gesellschaft angewiesen; es waren<br />

dies, ausser dem General de Goyon, die Generäle Le Boeuf,<br />

Trochu, Mellinet, Baron Chabaud-Latour, Graf de<br />

la Riie <strong>und</strong> Vicomte de Salignac-Fenelon. Die Marschälle<br />

Canrobert <strong>und</strong> Eegnaud de Saint-Jean d'Angely<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Staatsrat General Allard, sowie <strong>der</strong> Oberstkämmerer<br />

Herzog de Bassano willigten ein, Ehrenvizepräsidenten<br />

zu werden.<br />

Die an<strong>der</strong>n bei <strong>der</strong> ersten Generalversammlung ernannten<br />

Ehrenvizepräsidenten waren die Herren Drouyn de Lhuys,<br />

Senator <strong>und</strong> Mitglied <strong>des</strong> kaiserlichen Geheimerats; Baron<br />

Brenier, Senator; <strong>der</strong> ehemalige Minister Guizot, <strong>der</strong><br />

Senator Le Roy de Saint Arnaud <strong>und</strong> Henry Dunant.<br />

Da Paris ein kosmopolitischer Mittelpunkt ist, von wo<br />

die Gedanken nach allen Teilen <strong>der</strong> Welt ausstrahlen, nachdem<br />

es denen, die nicht aus dieser Stadt selbst stammen,<br />

eine ausserordentlich wertvolle Weihe erteilt hat, so sparte<br />

ich keine Mühe, um die Gründung eines Pariser Zentralausschusses<br />

zu erreichen, welcher von grosser Bedeutung sein<br />

' musste, insofern er Ansehen, Macht, Einfluss, sowie durch,<br />

den hohen Stand <strong>und</strong> Bang seiner Mitglie<strong>der</strong> eine gewisse<br />

Berühmtheit in <strong>der</strong> europäischen Gesellschaft besass.<br />

Beiläufig bemerkt, war nach dem Tode <strong>des</strong> Grafen von<br />

Flavigny, welcher <strong>der</strong> Nachfolger seines Schwagers, <strong>des</strong> Generals<br />

de Goyon war, <strong>der</strong> vierte Vorsitzende <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

Seine Königl. Hoheit <strong>der</strong> Herzog von Nemours; <strong>der</strong> fünfte<br />

war <strong>der</strong> Marschall Mac Mahon bis zu seinem Tode; <strong>der</strong>


— 253 —<br />

sechste ist <strong>der</strong>zeit Seine Königl. Hoheit <strong>der</strong> Herzog von<br />

Anmale.<br />

Ausser den Beitrittserklärungen <strong>der</strong> oben erwähnten hochadeligen<br />

Herren hatte ich schon im Laufe <strong>des</strong> Jahres 1863,<br />

vor <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz, <strong>und</strong> sogar schon in den letzten<br />

Monaten <strong>des</strong> Jahres 1862 diejenigen von an<strong>der</strong>n angesehenen<br />

<strong>und</strong> hervorragenden Persönlichkeiten erhalten. Daher fand<br />

ich auch unmittelbar nach dieser Konferenz, als ich endlich<br />

auf fester Gr<strong>und</strong>lage an <strong>der</strong> Bildung <strong>des</strong> Pariser Ausschusses<br />

arbeiten konnte, die Elemente schon unter <strong>der</strong> Hand vorbereitet,<br />

<strong>und</strong> ich hatte nun das Glück zu ernten, was ich gesät<br />

hatte. Zu erwähnen sind hier unter an<strong>der</strong>n als begründende<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Oberst Huber-Saladin, Herr Firmin Marbeau,<br />

von dem weiter unten die Eede sein wird, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Staatsrat <strong>und</strong> Generalintendant Baron Darricau, in <strong>des</strong>sen<br />

Familie ich fre<strong>und</strong>liche Aufnahme fand: dieser bildete durch<br />

seine wohlwollende <strong>und</strong> ermutigende Teilnahme eine <strong>der</strong> seltenen<br />

Ausnahmen unter den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Intendantur,<br />

aber da er einflussreiche Feinde hatte, so fand seine wertvolle<br />

Mitwirkung in eben diesem unangenehmen Umstände<br />

ein eigentümliches Gegengewicht, insofern seine Feinde zu<br />

den meinigen geworden waren; ferner <strong>der</strong> Graf Jules Delaborde;<br />

Herr Demetz, Grün<strong>der</strong> <strong>und</strong> Leiter <strong>des</strong> Waisenhauses<br />

zu Mettray, einer <strong>der</strong> nützlichsten <strong>und</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichsten<br />

Einrichtungen Frankreichs; Herr Dumas, Senator,<br />

Mitglied <strong>des</strong> Instituts <strong>und</strong> Vizepräsident <strong>des</strong> kaiserlichen<br />

Bats für öffentliches Schulwesen; <strong>der</strong> Senator Baron<br />

Charles Dupin, Herr Jules Duval, Leiter <strong>des</strong> Economiste<br />

frangais; Herr Louis Joubert, erster Attache<br />

im kaiserlichen Kabinett, Erfin<strong>der</strong> einer höchst sinnreichen<br />

Tornistertragbahre (sac-brancard); <strong>der</strong> Baron Larrey, Mitglied<br />

<strong>des</strong> Instituts <strong>und</strong> kaiserlicher Leibarzt; <strong>der</strong> Marquis<br />

Eaynald de Marmier; Herr Philippe de Monbrison,<br />

ein ehemaliger Offizier; Herr A. Perdonnet, Direktor <strong>der</strong><br />

Ecole centrale <strong>des</strong> Arts et Manufactures; Graf Robert de


— 254 —<br />

Pourtales; Herr A. de Rougemont; Professor Saint-<br />

Marc Girardin, Mitglied <strong>der</strong> französischen Akademie, welcher<br />

zuerst in das Journal <strong>des</strong> Debats schrieb, um Gönner<br />

für den Gedanken zu werben, <strong>und</strong> Herr Theodore Vernes,<br />

welcher Schatzmeister <strong>des</strong> Ausschusses wurde.<br />

Herr Augustin Cochin begriff den über den Nationen<br />

<strong>und</strong> Kofessionen stehenden, von allen parteipolitischen <strong>und</strong><br />

sozialen Färbungen freien Charakter <strong>des</strong> Werkes so wohl, dass<br />

er mir zur Zeit <strong>der</strong> ersten Zusammenkunft <strong>des</strong> französischen<br />

Ausschusses folgende Zeilen schrieb:... „Wollen Sie nicht auch<br />

Herrn Elisee Beclus, den Verfasser <strong>des</strong> Artikels in <strong>der</strong><br />

Revue <strong>des</strong> deux mon<strong>des</strong> über die Sanitarj Commissi<br />

on (in den Vereinigten Staaten) einladen? einige Mitteilungen<br />

über diese Kommission würden interessieren <strong>und</strong><br />

die Sitzung ausfüllen." — Dieser Herr Elisee Reclus war<br />

aber schon in jener entlegenen Zeit radikaler, katholikenfeindlicher<br />

Republikaner, während Herr Cochin, <strong>der</strong> unter<br />

Louis-Philippe Präfekt von Paris gewesen war, strengkatholischer<br />

Monarchist war. Beizufügen ist noch, dass Herr<br />

Elisee Reclus, dieser Gelehrte ersten Rangs, <strong>des</strong>sen Bekanntschaft<br />

ich in <strong>der</strong> Societe de Geographie de Paris gemacht<br />

hatte, als ich ihm vorschlug in den endgültigen Ausschuss<br />

einzutreten, es mit folgen<strong>der</strong> Bemerkung ablehnte: „Was<br />

würden meine Fre<strong>und</strong>e sagen, wenn sie meinen Namen mitten<br />

unter denen all dieser Bonapartisten <strong>und</strong> Legitimisten, dieser<br />

Herzoge <strong>und</strong> Marquis sähen!" •— Von einem so hervorragenden<br />

Gelehrten war dies eine recht auffallende Engherzigkeit:<br />

denn Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit, Wohlthätigkeit <strong>und</strong> Nächstenliebe<br />

dürfen we<strong>der</strong> Parteien noch Koterien kennen. Gleichwohl<br />

prangte, da er zuerst eingewilligt hatte, in den vorläufigen<br />

Ausschuss einzutreten, <strong>der</strong> Name <strong>des</strong> Herrn Elisee<br />

Reclus auf <strong>der</strong> ersten gedruckten Liste <strong>der</strong> begründenden<br />

Mitglie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> öffentlichen Erklärung <strong>der</strong> Societe de secours<br />

aux blesses militaires vom Jahre 1865.<br />

Man hat nicht verfehlt , diese Jagd nach grossen ge-


— 255 —<br />

schichtliclien Namen <strong>der</strong> Monarchie <strong>und</strong> <strong>des</strong> Kaiserreichs zu<br />

tadeln: mit Unrecht, denn ohne dieses von oben gegebene<br />

gute Beispiel hätte das Werk in Frankreich, wie in den<br />

übrigen monarchischen Län<strong>der</strong>n nur schwer gelingen können.<br />

Ueberdies haben die Umstände von selbst dazu gedrängt.<br />

Es ist wohl angezeigt, hier daran zu erinnern, dass die<br />

Sociöte de secours aux blesses sich während <strong>der</strong> Kommune<br />

in Paris im Jahre 1871 wohl bewährt hat: ihre Lazarette<br />

<strong>und</strong> Barackenbauten auf dem Cours-la-Eeine in den<br />

Champs-Elysees sind während <strong>der</strong> ganzen Dauer <strong>des</strong> Bürgerkriegs<br />

auf ihrem Posten geblieben, indem sie unter Leitung<br />

<strong>des</strong> Grafen de Beaufort, <strong>des</strong> ausgezeichneten Sekretärs<br />

<strong>des</strong> Vereins, <strong>und</strong> <strong>des</strong> Dr. Chenu, mit Beistand <strong>der</strong> Frau<br />

Carre de Chauffour, <strong>der</strong> Frau Dehorter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vicomtesse<br />

de Sedaiges die Verw<strong>und</strong>eten bei<strong>der</strong> Parteien<br />

pflegten. Ihre Namen verdienen <strong>der</strong> Nachwelt erhalten zu<br />

werden. Herr von Beaufort bewies in jenen schwierigen<br />

Zeiten eine bew<strong>und</strong>erungswürdige Thätigkeit, <strong>und</strong> wenn die<br />

Fahne <strong>der</strong> Gesellschaft auch unter <strong>der</strong> Kommune noch weiter<br />

wehte, so ist das ihm zu verdanken.<br />

Herr Augustin Cochin bot unaufhörlich, mehrere<br />

Jahre hindurch bis zu seinem Tode, seinen grossen Einfluss<br />

zu Gunsten <strong>des</strong> Werkes auf. Er war es, <strong>der</strong> den Bischof<br />

Dupanloup bat, auf dem katholischen Kongress zu Malines<br />

am 31. August 1864 von <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention zu sprechen;<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> grosse Bischof von Orleans willfahrte diesem Wunsche<br />

<strong>und</strong> beeilte sich, dies vor einer auserlesenen Gesellschaft von<br />

viertausend Zuhörern zu thun; seine Bede wurde in mehreren<br />

Sprachen gedruckt <strong>und</strong> verbreitet.') — Da <strong>der</strong> römische Hof<br />

*) „Belle idee ebretienne que celle de Monsieur Henry Dunant de<br />

neutraliser les ainbulances et les infirmiers sur le champ de bataille. Celni<br />

qui fait le bien est de tous les pays, et il a droit un laisser-passer<br />

universell<br />

(Wörtlich angeführt aus <strong>der</strong> Bede <strong>des</strong> Bischofs von Orleans auf dem<br />

Kongress zu Malines).


— 25ß —<br />

das Werk noch nicht begriffen hatte, so schrieb Herr Cochin<br />

an den „ministre <strong>des</strong> armes" <strong>des</strong> Papstes, <strong>und</strong> von da ab<br />

zeigte sich <strong>der</strong> päpstliche Hof <strong>der</strong> Sache günstig. Als • die<br />

<strong>Genfer</strong> Konvention unterzeichnet war, schrieb mir <strong>der</strong>selbe<br />

Wackere am 10. September 1864:<br />

. „Sie brauchen nur auf dem beschrittenen Wege fortzufahren<br />

<strong>und</strong> sich immer mehr zum guten Samariter auf dem<br />

Schlachtfelde zu machen. Nur guten Mut! <strong>und</strong> wie sollte es<br />

Ihnen nach dem schon Erreichten noch daran fehlen!... ich<br />

will Sie nämlich zu dem w<strong>und</strong>erbaren Erfolge beglückwünschen<br />

den ich kaum für möglich gehalten hätte. Ich danke Ihnen<br />

als Mann <strong>und</strong> als Christ für Ihre unbeugsame Ausdauer."<br />

Herr Augustin Cochin hat sich gewiss grosse Verdienste<br />

um das Werk erworben, denn auch er hat an seinem<br />

Gelingen mitgearbeitet in dem wahren Geiste dieser Einrichtung,<br />

welche die reinste unserer mo<strong>der</strong>nen Zivilisation<br />

sein wird.<br />

Unter den geistlichen Würdenträgern, die in den ersten<br />

Jahren <strong>der</strong> Schöpfung dieses schwierigen Unternehmens grosses<br />

Wohlwollen bewiesen, müssen wir nach dem Bischof von Orleans<br />

<strong>und</strong> dem Erzbisehof von Paris, Monseigneur Darboy,<br />

vor allem Ihre Eminenzen die Kardinäle de Bonald, Donnet,<br />

Langenieux, Mermilliod <strong>und</strong> den Erzbischof von<br />

Wien von Rauscher anführen. Der Primas von Frankreich,<br />

Mgr. de Bonald, Kardinal-Erzbischof von Lyon erklärt,<br />

„er sei sehr dankbar <strong>und</strong> rechne es sich zur grossen<br />

Ehre an, dass man ihn zu denjenigen zähle, welche sich mit<br />

dem Werke beschäftigen," <strong>und</strong> fügt mit Beziehung auf seine<br />

Person bei, „es genüge, dass es irgendwo Bekümmerte zu<br />

trösten, Leiden zu lin<strong>der</strong>n gebe, damit die Pflicht einen Bischof<br />

zwinge, denen, die unter <strong>der</strong> Last <strong>und</strong> Trübsal leiden<br />

lind seufzen, ohne Unterschied <strong>der</strong> Ansichten, <strong>des</strong> Rangs, <strong>des</strong><br />

Vermögens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Religion beizuspringen." — Diese prächtigen<br />

Worte sind ein schönes Gegenstück zu denjenigen,


— 257 —<br />

welche <strong>der</strong> Erzbischof von Bordeaux, Kardinal Donnet, am<br />

24. Juni 1868 im französischen Senate sprach: „Gestatten<br />

Sie mir, meine Herrn, eine geschichtliche Erinnerung; eines<br />

Tags, als <strong>der</strong> Bischof von Montauban, Kardinal de Ckeverus,<br />

liebreichen Angedenkens an die Armen seiner Stadt Almosen<br />

verteilte, machte man ihn darauf aufmerksam, die letzte Frau,<br />

die er soeben <strong>und</strong> zwar noch reichlicher als die an<strong>der</strong>n unterstützt<br />

hatte, sei eine Jüdin. Da rief <strong>der</strong> Kardinal aus: Oh,<br />

rufen Sie mir sie schnell zurück! <strong>und</strong> verdoppelte das Almosen."<br />

—<br />

Heisst das nicht verkündigen, dass die Menschheit eine<br />

grosse Familie ist, <strong>und</strong> dass ein je<strong>des</strong> ihrer Glie<strong>der</strong> ein Recht<br />

auf die Teilnahme <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en hat? Heisst das nicht im<br />

voraus, für die Zeiten <strong>der</strong> Bürgerkriege sowohl wie <strong>der</strong> nationalen<br />

Kriege, das Werk <strong>der</strong> Samariter segnen, das Werk<br />

<strong>der</strong> freiwilligen Krankenträger <strong>und</strong> Hospitaliter jeden Alters,<br />

aus allen Ständen <strong>und</strong> aus allen Län<strong>der</strong>n, welche unter dem<br />

silberglänzenden Banner mit dem Purpurkreuz dienen <strong>und</strong><br />

jenes grosse Heer <strong>der</strong> Barmherzigkeit bilden, das keine Uniformen<br />

<strong>und</strong> Lan<strong>des</strong>grenzen mehr kennt, wie sich so beredt<br />

<strong>der</strong> Abbe Broyß, Feldprediger <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> zu Reims<br />

in <strong>der</strong> grossen Basilika dieser alten Krönungsstadt <strong>der</strong> französischen<br />

Könige ausdrückte, 1 ) <strong>und</strong> zwar in Gegenwart eines<br />

erlauchten Würdenträgers <strong>der</strong> Kirche, <strong>des</strong> von seinem Klerus,<br />

einer Menge von Generälen, höheren Offizieren, Behörden <strong>und</strong><br />

Eingeladenen, sowie von einer zahllosen, tiefbewegten Volksmenge<br />

umgebenen Kardinal-Erzbischofs von Reims, Mgr. Langenieux.<br />

Dort, in jener uralten Kathedrale, <strong>der</strong>en Inneres<br />

mit zahlreichen Siegeszeichen <strong>und</strong> mit einem ungeheuren,<br />

schneeweissen <strong>und</strong> in seiner Mitte das „rote Kreuz von Genf"<br />

zeigenden Behang geschmückt war, rief <strong>der</strong> berühmte Redner<br />

*) Gottesdienst zum Gedächtnis <strong>der</strong> für das Vaterland gefallenen<br />

Soldaten <strong>und</strong> Seeleute am 12. März 1892. — Bei diesem Anlass erklärte<br />

vor dieser gewaltigen Versammlung <strong>der</strong> Abbe Broye, „Henry Dunant ge-'<br />

höre <strong>der</strong> ganzen Menschheit an". (Anmerkung <strong>des</strong> Heransgebers.)<br />

17


— 258 —<br />

ans: „Den Wahlspruch dieses Heeres kennt ihr, Inter arma<br />

Caritas d. h. die Nächstenliebe auf dem Schlachtfeld. Es<br />

hat noch einen an<strong>der</strong>n Wahlspruch, mit dem es sich selbst<br />

ehrt: Höstes dum vulnerati fratres, d. h. ein gefallener<br />

Feind ist nicht mehr ein Feind, son<strong>der</strong>n ein Bru<strong>der</strong> . ..<br />

Sein Banner, erhebt die Augen, ist jenes ungeheure rote<br />

Kreuz, so beredt in seiner Einfachheit. Ist es nicht in <strong>der</strong><br />

That dieselbe grosse Gebärde Christi auf Golgatha, als er<br />

die Arme öffnete <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganzen Menschheit zu sagen schien:<br />

Ihr, die ihr ein Herz habt, kommt her zu mir, denn ich bin<br />

die Einheit; ihr, die ihr auf das Wohl eures Nächsten sinnt,<br />

kommet her zu mir, denn ich bin die Liebe."<br />

Der patriarchalische <strong>und</strong> ritterliche Bischof von Angers,<br />

1 ) <strong>der</strong> zwar später in die Schranken getreten war als<br />

die zuvor genannten Prälaten, <strong>der</strong> aber gleichwohl ein Apostel<br />

roll Herz <strong>und</strong> Eifer für diesen Kreuzzug gegen die Leiden<br />

<strong>des</strong> Kriegs <strong>und</strong> gegen den Krieg selbst, <strong>der</strong> diese Leiden<br />

schafft, geworden war, erklärte: „Wenn es eine Einrichtung<br />

giebt, die geeignet ist, seine allzuhäufige Wie<strong>der</strong>kehr zu verhin<strong>der</strong>n,<br />

so ist es sicher die Ihrige. Der Gedanke <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Konvention, <strong>der</strong> ewig fruchtbare, ewig gesegnete Gedanke<br />

<strong>des</strong> Koten <strong>Kreuzes</strong>, dieser Gedanke, <strong>der</strong> auf dem Schlachtfelde<br />

von Solferino aufgekeimt ist, um alsdann die R<strong>und</strong>e um<br />

die Welt zu machen, bildet den grössten Gegensatz zum Gedanken<br />

<strong>des</strong> Kriegs. Wer weiss, ob es Ihrem Werk, das gegründet<br />

ist, um die Uebel zu vermin<strong>der</strong>n, welche jene blutigen<br />

Kämpfe nach sich ziehen, nicht beschieden ist, sie wenn nicht<br />

ganz aufzuheben, so doch wenigstens seltener zu machen?<br />

Wer weiss, ob Sie nicht dadurch, dass Sie die Aufmerksamkeit<br />

<strong>der</strong> Völker auf die beklagenswerten Folgen dieser furchtbaren<br />

Katastrophen lenken, diejenigen zurückschrecken, welche<br />

versucht sein sollten, vor Gott <strong>und</strong> den Menschen die furchtbare<br />

Verantwortlichkeit dafür auf sich zu nehmen. Sie schaffen<br />

*) Mgr. Frepp eL Feierlicher Gottesdienst in <strong>der</strong> Madeleine in Paris.


— 259 —<br />

friedliche Strömungen, welchen man früher o<strong>der</strong> später nachgeben<br />

muss. Sie öffnen allen denen den Weg, welche für<br />

die Kleinen <strong>und</strong> Schwachen eintreten ..."<br />

Wie richtig ist das! <strong>und</strong> welch liebliche Befriedigung<br />

empfindet man, wenn man so gut verstanden wird! Wiedas<br />

einen tröstet für die Ungerechtigkeiten, die falschen Auslegungen,<br />

die böswilligen Anschwärzungen <strong>und</strong> Verleumdungen!<br />

— Seit den Tagen von Castiglione, von den ersten Seiten<br />

<strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" ab wollte ich, wenn ich die<br />

Sache <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten verteidigte, auch für die Opfer aller<br />

Gewalttätigkeiten <strong>des</strong> Menschengeschlechts, für die Unglücklichen,<br />

die Leidenden, für die Kleinen <strong>und</strong> Schwachen eintreten,<br />

wie <strong>der</strong> verehrte Prälat sich so beredt ausdrückt. —<br />

Mit freudiger Dankbarkeit habe ich also schon im Jahre 1866<br />

gesehen, wie durch die .Kaiserin <strong>und</strong> damalige Königin von<br />

Preussen Augusta mit den Prinzessinnen ihrer erlauchten<br />

Familie, sowie durch an<strong>der</strong>e europäische Fürsten <strong>und</strong> einige<br />

Jahre später sogar durch eine asiatische Kaiserin 1 ) Hoffnungen<br />

erfüllt wurden, mit welchen sich mein kosmopolitischer Geist<br />

geschmeichelt hatte, <strong>und</strong> wie die weisse Fahne mit dem<br />

roten Kreuz Leiden aller Art inmitten unglücklicher Bevölkerungen<br />

Hilfe spendete.<br />

Unser aufgewecktes Zeitalter ist aufmerksamer geworden<br />

auf die sozialen Pflichten, <strong>und</strong> zwar auf die nationalen<br />

ebensowohl wie auf die internationalen, <strong>und</strong> ohne zu<br />

verlangen, dass alle Verbesserungen über Nacht durchgeführt<br />

werden, kann man doch nicht leugnen, dass wichtige Fortschritte<br />

auf dem Wege sind, sich zu verwirklichen. Es ist<br />

schon ein ungeheurer sozialer Fortschritt, wenn man sieht,<br />

wie heutzutage die Diplomatie zu Werken <strong>der</strong> Wohlthätigkeit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> sozialen Besserung aufgeboten wird <strong>und</strong> eifrigen<br />

Anteil daran nimmt, <strong>und</strong> wie die Fürsten, die Staatsoberhäupter<br />

den glücklichen Ergebnissen wichtiger Arbeiten, <strong>der</strong>en<br />

J ) Ihre Majestät die Kaiserin von Japan.


— 260 —<br />

einzige Triebfe<strong>der</strong>n die Nächstenliebe, die wahre <strong>und</strong> reine<br />

Menschlichkeit, <strong>der</strong> wirtschaftliche Fortschritt <strong>und</strong> die allgemeine<br />

Wohlfahrt <strong>der</strong> Völker sind, ihren Beifall spenden. 1 )<br />

Es ist wahrhaft erfreulich zu sehen, wie ein junger,<br />

ritterlicher <strong>und</strong> mächtiger Kaiser das edle menschenfre<strong>und</strong>liche<br />

Beispiel befolgt, welches seine ruhmreichen Ahnen ihm<br />

gegeben haben, <strong>und</strong> wie er edeln Herzens einem neuen Gedanken<br />

Bahn bricht, indem er einen internationalen Kongress<br />

in seiner Hauptstadt zusammenberufen lässt, <strong>des</strong>sen Zweck<br />

die allgemeine Verbesserung <strong>der</strong> sozialen Lage <strong>der</strong> „Kleinen<br />

<strong>und</strong> Schwachen" ist. 8 ) Dieser Gedanke zeugt von einem<br />

grossen Herzen. — Viel menschliches Elend, das lange als<br />

unabwendbar, als unvermeidlich, als unverbesserlich angesehen<br />

wurde, ist es gewiss nicht, <strong>und</strong> eine Zeit wird kommen,<br />

wo es ein Ende finden wird. Aber wie viele Leute<br />

führen täglich den Wunsch eines künftigen Gottesreichs im<br />

M<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> thun doch nichts o<strong>der</strong> nur sehr wenig, um es<br />

herbeizuführen!<br />

Wir befinden uns nicht mehr in den Zeiten <strong>der</strong> alten<br />

Zivilisationen, wo je<strong>der</strong> Fremde als Feind galt. Die Völker<br />

Europas sind heutzutage durch solch enge Bande miteinan<strong>der</strong><br />

verknüpft, dass die ganze Welt darunter leidet, wenn diese<br />

Bande an irgend einem Punkte gelockert werden. Ebenso<br />

*) Seit <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention, welche den Anstoss hiezu gegeben<br />

hat, hat man <strong>der</strong> Reihe nach zu verzeichnen: eine internationale Telegraphen-Konvention<br />

(1865); eine Konvention für das Verbot explosibler<br />

Kugeln (1868); eine internationale Konvention für Mass <strong>und</strong> Gewicht;<br />

einen Weltpostverein; eine Konvention für den Schutz industriellen Eigentums;<br />

eine Konvention für den Schutz litterarischer <strong>und</strong> künstlerischer<br />

Erzeugnisse; eine Konvention für die Unterdrückung <strong>des</strong> Sklavenhandels<br />

(1890); eine internationale Konvention für Eisenbahntransporte; eine Konvention<br />

bezüglich <strong>der</strong> Zolltarife, <strong>und</strong> mehrere an<strong>der</strong>e Konventionen o<strong>der</strong><br />

Konventionsentwürfe. Diese letzteren werden sich einst noch verwirklichen,<br />

•<strong>und</strong> neue, nützliche, die Menschlichkeit <strong>und</strong> den Fortschritt för<strong>der</strong>nde<br />

diplomatische Verträge werden sicherlich noch geschlossen werden.<br />

2 ) Berliner Konferenz vom 15. bis 29. März 1890.


— 261 —<br />

besteht ein Gefühl <strong>der</strong> Zusammengehörigkeit zwischen<br />

den verschiedenen Rassen <strong>der</strong> Erde in <strong>der</strong> menschlichen<br />

Nächstenliebe, <strong>der</strong> Wohlthätigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Brü<strong>der</strong>lichkeit. Dieses Gefühl <strong>der</strong> Zusammengehörigkeit<br />

ist dazu berufen, die bösen Leidenschaften <strong>der</strong> Menschen zu<br />

besänftigen, wenn diese vergessen, was sie sind <strong>und</strong> was sie<br />

sein sollten, indem sie in blindem Zorn, welcher Zerstörung,<br />

Verwüstung, Schmerz <strong>und</strong> Tod im Gefolge hat, sich aufeinan<strong>der</strong><br />

stürzen. Aber wenn ein Teil <strong>der</strong> Menschheit es vergisst,<br />

so sollte <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sich daran erinnern, dass es ein<br />

„Recht <strong>des</strong> Blutes" giebt, indem er, ausser stand, das Vergiessen<br />

dieses Blutes, das zum Himmel schreit wie das Blut<br />

Abels, abzuwenden, die blutenden W<strong>und</strong>en stillt <strong>und</strong> das<br />

Blut zu fliessen verhin<strong>der</strong>t. Dies ist die Aufgabe <strong>der</strong> „Legionen<br />

<strong>des</strong> Mitleids <strong>und</strong> <strong>der</strong> Barmherzigkeit".<br />

Dieser Geist edler Solidarität ist aber auch eines <strong>der</strong><br />

mächtigsten Mittel, die einzelnen Klassen wie die Völker in<br />

gegenseitigem Wohlwollen <strong>und</strong> in gegenseitiger Achtung einan<strong>der</strong><br />

näher zu bringen, in Friedenszeiten das Unglück, das<br />

man noch nicht genug kennt, mit den Augen sehen, mit den<br />

Händen greifen <strong>und</strong> die Stimme <strong>der</strong> Menschlichkeit vernehmen<br />

zu lassen, indem er die Glücklichen <strong>der</strong> Erde aufmerksam<br />

macht auf „jenen langen Schmerzensschrei, welcher sich,"<br />

nach dem treffenden Ausdruck eines Mitglie<strong>des</strong> <strong>der</strong> französischen<br />

Akademie, <strong>des</strong> Grafen Othenin d'Haussonville, „vom<br />

Gr<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Gesellschaft erhebt <strong>und</strong> nur zu oft im Taumel<br />

<strong>des</strong> Vergnügens oben nicht mehr gehört wird." — Ohne allen<br />

Zweifel giebt es europäische Län<strong>der</strong>, wo die Wohlthätigkeitsvereine<br />

zahlreich, mannigfaltig <strong>und</strong> thätig sind, wo <strong>der</strong> Geist<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung mildthätig, die Initiative <strong>des</strong> Einzelnen sehr<br />

entwickelt ist; aber so ist es nicht überall, bei weitem nicht,<br />

<strong>und</strong> indem das Rote Kreuz bei den verschiedensten Völkern<br />

Eingang gef<strong>und</strong>en hat, entspricht es einem wirklichen<br />

Bedürfnis in Friedenszeiten.<br />

Die Opfer <strong>des</strong> Hungers, <strong>des</strong> Feuers, <strong>der</strong> Schiffbrüche,


— 262 —<br />

Ueberschwemmungen, Bergstürze, Erdbeben, ungewöhnlicher<br />

Kälte, <strong>der</strong> grossen Eisenbahnunglücke, <strong>der</strong> Cholera <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Seuchen sind sicherlich ebensosehr <strong>der</strong> Teilnahme würdig,<br />

wie die Verw<strong>und</strong>eten im Kriege. Das Wichtige ist, wie bei<br />

den Märtyrern <strong>des</strong> Schlachtfelds, dass man den Leidenden,<br />

wer sie auch sein mögen, schnell zu Hilfe kommt. Diese<br />

Geissein kommen, wie die Kriege, ganz unverhofft <strong>und</strong> meist<br />

entgegen aller menschlichen Berechnung; sie suchen zuweilen<br />

Gemeinden, Städte, ganze Provinzen heim. Die Hauptsache<br />

ist also Schnelligkeit, <strong>und</strong> hiezu braucht man ständige<br />

Ausschüsse, stets bereite Hilfsmannschaften <strong>und</strong> einen<br />

immer wohlgefüllten Geldbeutel, damit beim ersten Alarmruf<br />

es nicht an Helfern <strong>und</strong> Hilfeleistungen fehle. Auch hier ist<br />

das Gute, welches freiwillig, aus eigenem Antrieb gethan<br />

wird, allem an<strong>der</strong>n nicht nur an Menge, son<strong>der</strong>n, auch an<br />

Wert vorzuziehen; denn, wenn irgendwo Katastrophen eintreten,<br />

so werden zwar sofort in den Parlamenten Kreditvorschläge<br />

eingebracht, um Hilfe zu leisten <strong>und</strong> das Elend<br />

<strong>der</strong> Opfer zu lin<strong>der</strong>n, aber ehe die Regierungen diese Hilfeleistungen<br />

genehmigen, müssen bei den Verwaltungsbehörden<br />

so viele Aufschlüsse verlangt, so viele Erk<strong>und</strong>igungen eingezogen,<br />

so viele Förmlichkeiten erfüllt werden, dass es,<br />

wenn diese Aufschlüsse <strong>und</strong> Erk<strong>und</strong>igungen eingeholt sind,<br />

schon recht spät ist, um gegen die grossen Leiden Abhilfe<br />

zu treffen. Das staatliche Almosen lässt fast immer zu lange<br />

auf sich warten.<br />

Die internationale Gesellschaft für den Fortschritt <strong>der</strong><br />

sozialen Wissenschaften legte, angeregt durch einen <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

„Erinnerung an Solferino" ausgesprochenen Gedanken,<br />

ihren im August <strong>und</strong> September 1865 zu einem internationalen<br />

Kongress in Bern vereinigten Sektionen die Frage<br />

zur Prüfung vor, ob es nicht angezeigt wäre, den Wirkungskreis<br />

<strong>der</strong> Hilfsausschüsse für die Verw<strong>und</strong>eten im Kriege zu<br />

erweitern <strong>und</strong> ihre Wohltbaten zu verallgemeinern, indem<br />

man auch in Friedenszeiten, für den Fall, dass solche Geissein


— 263 —<br />

unvermutet eintreten sollten, den davon heimgesuchten Bevölkerungen<br />

zu Hilfe komme. — Jawohl! die Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Opfer dieser Geissein ohne Ansehen <strong>der</strong> Volksangehörigkeit<br />

muss von den einen als Pflicht <strong>des</strong> menschlichen Gemeingefühls,<br />

von den an<strong>der</strong>n als Pflicht christlicher Nächstenliebe<br />

angesehen werden: mag man diese Pflicht nennen wie man<br />

'will, so erkennen doch alle an, dass es eine Pflicht ist. —<br />

Die Kaiserin Augusta übte nicht nur diesen menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Gr<strong>und</strong>satz bei Gelegenheit von Ueberscliwemmungen,<br />

Hungersnöten <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Plagen aus, welche den<br />

Norden Deutschlands heimsuchten, indem sie die zur Mil<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Leiden <strong>des</strong> Kriegs bestimmten Gesellschaften in<br />

Thätigkeit setzte, son<strong>der</strong>n sie gab auch <strong>der</strong> ständigen Fortdauer<br />

dieser Gesellschaften zu Werken <strong>der</strong> Wohlthätigkeit<br />

in Friedenszeiten die Weihe, indem sie eine bedeutende Anzahl<br />

von Waisenhänsern, Asylen, Krippen, Biirgerspitälern,<br />

Armenapotheken, Krankenwärterinstituten, Schulen aller Art<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e wohlthätige Anstalten ins Leben rief. Nachdem<br />

diese erlauchte Fürstin einmal mit gutem Beispiele vorangegangen<br />

war, haben sich "viele europäische Staaten beeilt,<br />

dasselbe zu befolgen.<br />

Damit war in <strong>der</strong> That <strong>der</strong> in <strong>der</strong> „Erinnerung an<br />

Solferino" ausgesprochene Wunsch verwirklicht, wenn es<br />

dort heisst: „Diese Vereine könnten auch bei Seuchen, Ueberschwemmungen,<br />

grossen Feuersbrünsten <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en unvorhergesehenen<br />

Unglücksfallen wertvolle Dienste leisten; die<br />

Triebfe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nächstenliebe, die zu ihrer Bildung den Anstoss<br />

gegeben hätte, würde sie auch sonst überall leiten, wo<br />

sich ein Feld für ihre Thätigkeit findet." — Vorausgesetzt<br />

war natürlich, dass dies ebensowohl vom internationalen, wie<br />

vom nationalen Standpunkt aus stattfände, denn dies ist einer<br />

<strong>der</strong> Hauptgedanken <strong>des</strong> Buchs.<br />

Mit <strong>der</strong>selben inneren Befriedigung sah ich später die<br />

Schöpfung <strong>und</strong> die grossartige, glückliche Entwicklung <strong>des</strong><br />

von dem berühmten Professor Esmarch in Kiel ins Leben


— 264 —<br />

gerufenen <strong>und</strong> so gedeihlich gefor<strong>der</strong>ten Samaritervereins.<br />

Dieses Werk, als <strong>des</strong>sen Ahnen ich mich, um unbescheiden<br />

zu sein, mit Freuden betrachte, wird in <strong>der</strong> That in <strong>der</strong> „Erinnerung<br />

an Solferino" sehnlichst gewünscht; <strong>der</strong> Name<br />

„Samariter" wurde schon vor dem Bestehen dieses Vereins<br />

oft gebraucht, <strong>und</strong> schon im Jahre 1859 oftmals, aber allerdings<br />

recht schüchtern ausgesprochen, weil ich den Vorwurf<br />

vermeiden wollte, als verlangte ich zu viel. Die Samariter,<br />

stets hilfsbereit in Friedens- wie in Kriegszeiten, sind die<br />

nützlichsten Stützen <strong>des</strong> grossen humanitären Werks; sie<br />

haben ein Eecht auf die Bew<strong>und</strong>erung aller: wenn man den<br />

Soldaten, <strong>der</strong> zur Verteidigung <strong>des</strong> Vaterlan<strong>des</strong> auszieht,<br />

durch Zurufe begrüsst, so verneigt man sich vor dem Samariter,<br />

welcher sein Leben für die Wohlfahrt <strong>und</strong> die Eettung<br />

von seinesgleichen in die Schanze schlägt.<br />

Um dem Gedankengang, <strong>der</strong> uns beschäftigt, zu folgen,<br />

so sind die grossen nationalen Vereine vom <strong>Roten</strong><br />

Kreuz, die mehrere Ziele verfolgen, den mannigfaltigen<br />

Vereinen vorzuziehen, von denen je<strong>der</strong> seinen bestimmten<br />

Zweck hat: die kleinen Vereine sind infolge <strong>des</strong> ihnen fehlenden<br />

Zusammenhangs beschränkt, bald durch ihre geringen<br />

Hilfsmittel, bald aus dem Gr<strong>und</strong>e, weil gerade <strong>der</strong> Zweck<br />

ihrer Einrichtung nur ungenügende, unvollständige Ergebnisse<br />

mit sich bringt. Ein grosser Verein dagegen kann sich besser<br />

mit mehrerem gleichzeitig abgeben <strong>und</strong> leichter allen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

gerecht werden. So haben die Vereine vom <strong>Roten</strong><br />

Kreuz vermöge ihrer eigenen Hilfsquellen ihre wohlthätige<br />

Wirksamkeit auf die Familien <strong>der</strong> getöteten o<strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

Soldaten auszudehnen. Sie haben es als eine heilige<br />

Pflicht anzusehen, für die Bedürfnisse <strong>der</strong> in ihren Dienst<br />

eingetretenen Angestellten zu sorgen, <strong>und</strong> ihren Familien,<br />

für den Fall ihrer Erkrankung o<strong>der</strong> ihres To<strong>des</strong> in Ausübung<br />

ihrer Pflicht, eine Unterstützung zu verbürgen. Dank diesen<br />

Vorteilen können sich die Angestellten <strong>der</strong> Gesellschaften bei<br />

Kriegen <strong>und</strong> mör<strong>der</strong>ischen Seuchen ohne Furcht, mit <strong>der</strong> Ge-


— 265 —<br />

mütsruhe <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganzen Aufopferung, welche die beson<strong>der</strong>e<br />

Art ihres Dienstes verlangt, ihren Beschäftigungen hingehen.<br />

Die grossen nationalen Vereine mit ihren Sektionen<br />

in unbeschränkter Anzahl <strong>und</strong> ihren Frauen vereinen<br />

können nicht nur Unterabteilungen mit verschiedenen Thätigkeitsgebieten<br />

in sich begreifen, son<strong>der</strong>n auch beim Ausbruch<br />

von Feindseligkeiten sich an<strong>der</strong>e beson<strong>der</strong>e Vereine anglie<strong>der</strong>n<br />

(Samariter, Mitglie<strong>der</strong> von Gesellschaften zur Rettung<br />

Schiffbrüchiger, alle männlichen <strong>und</strong> weiblichen religiösen Orden,<br />

Veteranen vereine, Feuerwehrleute, Studierende u. s. w.),<br />

die, obschon sie in Friedenszeiten alle einen bestimmten<br />

Zweck verfolgen, sich während <strong>des</strong> Krieges um das weisse<br />

Banner mit dem Purpurkreuze scharen <strong>und</strong> sich einer einheitlichen<br />

Leitung unterordnen, nämlich <strong>der</strong>jenigen <strong>des</strong> nationalen<br />

Hilfsvereins, <strong>der</strong> vom Kriegsminister bestätigt ist, im<br />

Geiste internationaler Menschenliebe handelt <strong>und</strong> heute den<br />

Gattungsnamen „Rotes Kreuz" trägt.<br />

Viele nationale Ausschüsse haben, um die Teilnahme<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung an dem Werk wach zu halten, auf<br />

Mittel gesonnen, um das im Hinblick auf den Krieg geschulte<br />

<strong>und</strong> gebildete Personal auch in Friedenszeiten zu üben<br />

<strong>und</strong> bei Unglücksfällen <strong>des</strong> täglichen Lebens zu verwerten.<br />

Die Umstände führen mit innerer Notwendigkeit dazu. Dasselbe<br />

ist <strong>der</strong> Fall mit den Vorräten aller Art, die, im Hinblick<br />

auf die Bedürfnisse <strong>des</strong> Kriegs angesammelt, bisweilen<br />

zur Unterstützung <strong>der</strong> Bevölkerung dienen, welche in den<br />

ersten St<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Katastrophen, Teurungen <strong>und</strong> verschiedenen<br />

Seuchen ohne. Hilfe <strong>und</strong> Beistand leidet. Selbst Frankreich<br />

hat, obwohl die Statuten seiner Hilfsgesellschaft für<br />

verw<strong>und</strong>ete Militärpersonen diese zwingen, sich von dem Ziele,<br />

das sie sich ursprünglich gesteckt hat, nicht zu entfernen,<br />

das von <strong>der</strong> Kaiserin Augusta gegebene gute Beispiel befolgt.<br />

So liess während eines aussergewöhnlich strengen Winters,<br />

in welchem viele Unglückliche erfroren, im Januar 1891, die


— 266 —<br />

Association <strong>des</strong> Barnes frangaises vom <strong>Roten</strong> Kreuz in<br />

Laval, dank ihrer fertigen Organisation, eine Menge warmer<br />

Klei<strong>der</strong> an die armen Kin<strong>der</strong> austeilen. An an<strong>der</strong>en Orten<br />

wurden warme Suppen, Holz <strong>und</strong> Naturalgeschenke verschiedener<br />

Art abgegeben. Als die von <strong>der</strong> Regierung genehmigten<br />

Unterstützungsgel<strong>der</strong> ankamen, war die strengste Kälte<br />

vorbei! Ebenso hat die Union <strong>des</strong> Femmes .de France,<br />

welche mit einigen Abweichungen denselben Zweck verfolgt,<br />

wie die Association <strong>des</strong> Dames francaises, eine wohl- <strong>und</strong><br />

werkthätige Wirksamkeit gegenüber den Opfern <strong>der</strong> Influenza<br />

in Paris im Jahre 1890 zu entfalten verstanden, indem sie<br />

schnell ärztliche Bureaux errichtete, mit beson<strong>der</strong>en Nie<strong>der</strong>lagen<br />

in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> überfüllten Spitäler.<br />

Auch wenn wir die Kriegszeiten ausser Betracht lassen,<br />

hat man überall inner- <strong>und</strong> ausserhalb Europas von unsern<br />

Hilfsvereinen schöne Beispiele <strong>des</strong> Zusammenwirkens<br />

<strong>der</strong> einzelnen Völker auf dem Gebiete <strong>der</strong> Wohlthätigkeit<br />

geben sehen. Solche Beispiele giebt es in Fülle:<br />

von dem kleinen Königreich Griechenland, <strong>des</strong>sen Rotes<br />

Kreuz den Ueberschwemmten in Spanien tausend Franken<br />

übersandte, bis zu den grossen Getrei<strong>des</strong>chiffen, welche das<br />

Rote Kreuz <strong>der</strong> Vereinigten Staaten Amerikas den Hungerleidenden<br />

in Russland zuschickte, <strong>und</strong> bis herunter zu den<br />

Bäurinnen <strong>des</strong> Kantons Appenzell, die als Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>, durch Vermittlung <strong>des</strong> Frauenvereins vom<br />

<strong>Roten</strong> Kreuz in Heiden, im Jahre 1892 denselben Hungernden<br />

fünfzig Franken gespendet haben. Die vielen ähnlichen<br />

Fälle aus allen Län<strong>der</strong>n sind ein rühren<strong>der</strong> Beweis<br />

für den wirklichen Fortschritt <strong>der</strong> ges<strong>und</strong>en Gedanken internationaler<br />

Brü<strong>der</strong>lichkeit, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>satz, dass alle Völker<br />

die Pflicht haben, sich an <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> leidenden<br />

Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Menschheit zu beteiligen, bedeutet eine<br />

grosse soziale Thatsache; denn, wenn zwei Völker sich schlagen<br />

o<strong>der</strong> wenn' eine schwere Katastrophe unerwartet über<br />

ein Land hereinbricht, so müssen alle Völker im Gefühl all-


— 267 —<br />

gemeiner Brü<strong>der</strong>lichkeit*) in schmerzlicher Erregung erzittern,<br />

<strong>und</strong> noch viel mehr gilt dies für die verschiedenen Bevölkerungen<br />

eines <strong>und</strong> <strong>des</strong>selben Staates. „Es giebt keinen<br />

Weiler," drückt sich <strong>der</strong> einstige Vorsitzende <strong>des</strong> französischen<br />

Vereins, <strong>der</strong> Herzog von Nemours, so vortreiFlich in<br />

einem seiner Berichte aus, „wo unser Werk nicht dazu berufen<br />

sein kann, irgend ein Elend zu lin<strong>der</strong>n, es giebt keinen<br />

Teil Frankreichs, wo es nicht mit den Beweisen unserer<br />

Thätigkeit in Friedenszeit die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> Nächstenliebe<br />

verbreitet, <strong>der</strong>en Symbol das Bote Kreuz ist."<br />

Diese Worte selbst, sowie eine Menge an<strong>der</strong>er unterstützen<strong>der</strong><br />

Thatsachen an so vielen verschiedenen Orten beweisen,<br />

dass unser Werk dazu bestimmt ist, <strong>der</strong> materiellen<br />

wie <strong>der</strong> moralischen Besserung <strong>der</strong> ganzen Menschheit<br />

zu dienen. So kann zuweilen aus Bösem Gutes hervorgehen,<br />

<strong>und</strong> so ist von einem mör<strong>der</strong>ischen Schlachtfeld eine „hervorragend<br />

friedenstiftende Arbeit" ausgegangen, wie <strong>der</strong> Vorsitzende<br />

<strong>des</strong> Alabama-Schiedsgerichts, Graf Sclopis, in<br />

Genf erklärte: „Die grossen Gedanken entstammen dem Herzen.<br />

Dies ist eine Wahrheit, die einem in Genf zum Bewusstsein<br />

kommt, vor allem im Schoss dieser Gesellschaft, die<br />

uns so liebenswürdige <strong>und</strong> glänzende Gastfre<strong>und</strong>schaft gewährt.<br />

2 ) Von Ihnen, meine Herrn, ist <strong>der</strong> edle Gedanke ausgegangen,<br />

den verw<strong>und</strong>eten Militärpersonen sogar auf den<br />

Schlachtfel<strong>der</strong>n zu Hilfe zu kommen. Ihr Vorgehen hat solchen<br />

Eindruck auf die grossen Mächte gemacht, dass die<br />

*) Im Jahre 1878 schickte die Societe frangaise de secours aus blesses<br />

den Verw<strong>und</strong>eten <strong>der</strong> rassischen <strong>und</strong> türkischen Heere eine durch öffentliche<br />

Sammlung aufgebrachte Liebesgabe von 400 000 Frcs.<br />

2 ) Graf Sclopis sprach diese Worte mit Beziehung' auf zwei Werke<br />

Ton gleicher internationaler Tragweite <strong>und</strong> wesentlich wohlthätigem <strong>und</strong><br />

friedlichem Charakter am 24. August 1872 in einer gastlichen Vereinigung<br />

beim Bun<strong>des</strong>oberst Edmond Favre auf seinem schönen Landgut La<br />

Grange bei Genf, wohin das internationale Hilfskomite für verw<strong>und</strong>ete<br />

Militärpersonen die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Alabama - Schiedsgerichts eingeladen<br />

hatte.


— 268 —<br />

Wünsche <strong>der</strong> wohlgesinnten Männer zu einer Vorschrift <strong>des</strong><br />

internationalen Rechtes wurden. Erlauben Sie, dass ich einen<br />

ganz persönlichen Gedanken mit <strong>der</strong> Grösse Ihres Werkes<br />

verbinde: in dem Buch ,Eine Erinnerung an Solferino'<br />

liegt <strong>der</strong> Keim Ihres edeln Unternehmens. . ."*)<br />

Das Unheil <strong>und</strong> die Greuel <strong>des</strong> Krieges schil<strong>der</strong>n, heisst<br />

also mittelbar gegen den Krieg predigen; den Begriff <strong>der</strong><br />

Pflichtgemeinschaft im Guten zwischen den einzelnen Völkern<br />

ermutigen, heisst den Krieg bekämpfen; den Wetteifer zwischen<br />

den einzelnen Staaten für je<strong>des</strong> wahrhaft gute Werk<br />

wachrufen, mit dem Wunsche, jedem Volk die glücklichen<br />

Erfahrungen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n auf dem Wege <strong>des</strong> humanitären Fortschrittes<br />

zu gut kommen zu lassen, heisst die ärmlichen Vorurteile<br />

<strong>und</strong> die kalte Selbstsucht <strong>der</strong> Bassen untereinan<strong>der</strong><br />

zerstören; für die Erforschung <strong>der</strong> Mittel wirken, welche am<br />

geeignetsten sind, die <strong>der</strong> Wohlfahrt <strong>der</strong> Menschheit entgegenstehenden<br />

Hin<strong>der</strong>nisse zu überwinden, heisst alle friedlichen<br />

<strong>und</strong> humanitären Gedanken för<strong>der</strong>n. — Und wenn<br />

einer, selbst in bescheidenstem Masse, mit diesen Bestrebungen<br />

Erfolg hat, so trägt er damit bei zur Herbeiführung jener<br />

wirklichen Einheit zwischen den Völkern Europas, die sicher<br />

einmal kommen <strong>und</strong> <strong>der</strong> übrigen Welt ein Beispiel geben<br />

wird. Das Menschengeschlecht ist doch schliesslich dazu berufen,<br />

nur eine einzige grosse Familie zu bilden, in<br />

gemeinsamem Verständnis für das allgemeine Wohl <strong>und</strong> in<br />

gegenseitigem, von den leitenden Fürsten <strong>und</strong> Regierungen<br />

ausgehendem thätigem Einvernehmen zwischen den Völkern;<br />

— eine wertvolle Uebereinstimmung, in welcher die Fürsten<br />

mit gutem Beispiel vorangehen <strong>und</strong> die Völker freudig <strong>und</strong><br />

eifrig in demselben Geiste nachzufolgen bestrebt sein müssen,<br />

wovon man in gegenwärtiger Zeit noch weit entfernt ist.<br />

Das erste edle B eispiel einer feierlichen diplomatischen<br />

Uebereinkunft zu Gunsten einer grossen<br />

Journal de Geneve, 28 aout 1872.


— 209 —<br />

Sache <strong>der</strong> Menschlichkeit wurde auf dem Wiener Kongress<br />

(Protokoll vom 8. Februar 1815) gegeben durch die<br />

„Erklärung <strong>der</strong> acht Höfe betreffend die allgemeine Aufhebung<br />

<strong>des</strong> Sklavenhandels" 1 ) <strong>und</strong> durch die von <strong>der</strong> Konferenz<br />

zu Verona am 28. Nov. 1822 angenommenen „Beschlüsse<br />

betreffend die Abschaffung <strong>des</strong> Sklavenhandels".<br />

Man kann es nicht oft genug wie<strong>der</strong>holen: die grosse<br />

Aufgabe <strong>der</strong> heutigen Völker, im Interesse <strong>der</strong> Zivilisation<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Menschlichkeit, wie in dem ihrer eigenen Sicherheit,<br />

scheint die Anerkennung einer Gemeinsamkeit von brü<strong>der</strong>lichen<br />

Gefühlen zu sein, die sich bethätigt durch alle allgemeinen<br />

"Werke wahrer Nächstenliebe, <strong>des</strong> ökonomischen<br />

Fortschritts, <strong>der</strong> Solidarität im Wohlthun, wodurch allein mit<br />

<strong>der</strong> Zeit die Verwirklichung <strong>des</strong> schönen Traums von <strong>der</strong><br />

Herstellung <strong>des</strong> europäischen Friedens herbeigeführt werden<br />

kann. Die Beschäftigung mit dem allgemeinen Wohle <strong>der</strong><br />

Menschheit ist die edelste Art <strong>und</strong> Weise, alle Aristokratien<br />

<strong>und</strong> die ganze Gesellschaft wie<strong>der</strong> zu kräftigen, dadurch,<br />

dass man die Ausschreitungen nationaler Selbstsucht <strong>und</strong><br />

eiteln Ruhmes, sowie die Eeibungen, die zum Hass zwischen<br />

den einzelnen Völkern ausarten, vermeidet.<br />

*) Die acht Höfe, d. h. Oestreich, Spanien, Frankreich, Grossbritannien,<br />

Portugal, Preussen, Bussland <strong>und</strong> Schweden waren vertreten<br />

durch die Bevollmächtigten, <strong>der</strong>en Unterschriften folgen:<br />

Castelreagh. C. Lowenhielm. Lobo.<br />

Steward, Gen.-Lieut. Gomez-Labrador. Humboldt.<br />

Wellington. Palmella. Metternich.<br />

Nesselrode. Saldana. Talleyrand.<br />

Der letzte Satz dieser bemerkenswerten Erklärung lautet:<br />

„Indem sie diese Erklärung zur Kenntnis Europas <strong>und</strong> aller zivilisierten<br />

Völker <strong>der</strong> Erde bringen, schmeicheln sich die genannten Bevollmächtigten<br />

mit <strong>der</strong> Hoffnung, die an<strong>der</strong>n Begiernngen <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e<br />

diejenigen, welche durch Abschaffung <strong>des</strong> Sklavenhandels schon dieselben<br />

Gefühle bek<strong>und</strong>et haben, zu veranlassen, dass diese sie in einer Sache, <strong>der</strong>en<br />

endgültiger Triumph eines <strong>der</strong> schönsten Denkmäler <strong>des</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts sein<br />

wird, das sich ihrer angenommen <strong>und</strong> sie zu ruhmreichem Ende geführt<br />

hat, durch ihre Zustimmung unterstützen werden."


— 270 —<br />

Wenn in den Pflichten <strong>des</strong> sozialen Lebens eines Individuums<br />

drei Stufen unterschieden werden können, die gleich<br />

weit voneinan<strong>der</strong> entfernt, aber alle drei sehr wichtig sind:<br />

Familie, Vaterland <strong>und</strong> Menschheit, so scheint es,<br />

dass die letzte immer <strong>und</strong> überall viel zu sehr vergessen<br />

worden ist. Bei aller begeisterten Hingebung an die beiden<br />

ersten ist es doch heutzutage gut, die Pflicht gegen die<br />

Menschheit recht in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> zu stellen (am so<br />

mehr als sie gleichzeitig Familie <strong>und</strong> Vaterland in sich<br />

schliesst), damit den Feinden <strong>der</strong> sozialen Ordnung auch <strong>der</strong><br />

geringste Vorwand, auf ihre Vernichtung zu sinnen, genommen<br />

werde.<br />

Diese evangelische Politik <strong>und</strong> Diplomatie scheint eine<br />

<strong>der</strong> besten Vorkehrungsmassregeln gegen die sozialen Krankheiten<br />

zu sein, <strong>der</strong>en thatsächlicher Ernst von niemand<br />

mehr übersehen werden kann. — Nicht umsonst<br />

wird die Konferenz in Berlin im Jahre 1890 einen edelmütigen<br />

Anstoss gegeben haben. — Wenn durch die Zukunft <strong>der</strong><br />

Wissenschaft, durch ihre Macht, durch ihre unbegrenzten<br />

Eroberungen w<strong>und</strong>erbare Aussichten in <strong>der</strong> materiellen Welt<br />

<strong>und</strong> in den natürlichen Bedingungen <strong>des</strong> menschlichen Daseins<br />

eröffnet werden, so muss, damit diese sich verwirklichen<br />

können, vor allem <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>satz feste <strong>und</strong> dauernde Geltung<br />

erlangen, dass die selbstsüchtigen Regungen abnehmen, nachlassen,<br />

schwinden, <strong>und</strong> dass die so geschwächte, vermin<strong>der</strong>te,<br />

verwandelte Selbstsucht einwilligt, <strong>der</strong> Hingebung den Vorrang<br />

zu lassen. Mit einem Worte, „wir müssen gut werden,"<br />

wie Felix Mendelssohn seinen Eltern schrieb. Nichts vermag<br />

diese Zeiten <strong>des</strong> Friedens <strong>und</strong> <strong>der</strong> allgemeinen Wohlfahrt<br />

mehr zu beschleunigen, als die allgemeine Schöpfung von<br />

Frauenvereinen vom Boten Kreuz <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er ähnlicher, die<br />

von einem <strong>und</strong> demselben Geist <strong>der</strong> Hingebung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aufopferung<br />

in <strong>der</strong> Liebe zum Nächsten, von einem heiligen<br />

Gefühl <strong>der</strong> Zusammengehörigkeit <strong>und</strong>. von barmherziger Güte<br />

beseelt sind.


Dem Herzen allein können die wirklich wirksamen wohlthätigen<br />

Werke entspringen. Dort liegt das Geheimnis ilires<br />

Erfolgs. — Was liegt schliesslich selbstlosen Vorkämpfern<br />

solcher Werke daran, ob sie verkannt werden <strong>und</strong> vergessen<br />

bleiben, wenn nur das menschenfre<strong>und</strong>liche Werk, dem sie<br />

sich gewidmet haben, voll gelingt! Meist inmitten von Kummer,<br />

Schwierigkeiten, Verdriesslichkeiten, Opfern aller Art<br />

sind die edelsten Gedanken, die wichtigsten Entdeckungen,<br />

die wohlthätigsten Erfindungen entstanden, verwirklicht<br />

worden <strong>und</strong> herangewachsen. Es giebt sicherlich keinen<br />

wirklichen Fortschritt <strong>der</strong> Menschheit, kein Werk allgemeiner<br />

Nächstenliebe, <strong>des</strong>sen Triumph nicht durch die Leiden <strong>und</strong><br />

Trübsale irgend eines kühnen <strong>und</strong> ausdauernden, aber bald<br />

vergessenen Bahnbrechers erkauft worden ist, <strong>und</strong> das nicht<br />

den verkannten Vorkämpfer gemütliche <strong>und</strong> seelische Schmerzen<br />

gekostet hat. Es giebt keine Station im Fortschritte<br />

<strong>der</strong> Menschheit, die nicht mit ungekannten Opfern bezahlt<br />

worden wäre, die nicht auf ihrem Wege berühmte <strong>und</strong> unberiihmte<br />

Opfer zurückgelassen hätte, verleumdete Märtyrer,<br />

<strong>der</strong>en Seelenschmerz gar oft nur durch die Entbehrungen<br />

<strong>und</strong> Sorgen <strong>des</strong> Elends erreicht wurde. Für an<strong>der</strong>e kommt,<br />

wenn sie auch anfangs Erfolg hatten, <strong>der</strong> schmerzliche Lohn<br />

für ihren Erfolg später. Auf ihren augenblicklichen Erfolg<br />

kommt die Vergessenheit, wenn nicht gar Neid <strong>und</strong> Eifersucht,<br />

<strong>der</strong>en Ursprung man nicht kennt, sie durch jahrelange,<br />

grausame Pein für ihren Erfolg büssen lassen; denn „hier<br />

auf Erden ist," wie ein grosser Dichter gesagt hat, „je<strong>der</strong><br />

Erfolg ein Verbrechen <strong>und</strong> wird gesühnt." — Aber, was liegt<br />

ihnen daran, den Märtyrern mit dem guten Herzen, wenn<br />

sie nur die Menschheit um einen Schritt vorwärts gebracht<br />

haben!<br />

Ist nicht <strong>der</strong> beste <strong>der</strong> Könige, Ludwig XVI. von<br />

Frankreich, hingerichtet worden, nachdem er die gemeinsten<br />

Beschimpfungen <strong>und</strong> die gehässigsten Verfolgungen hatte erdulden<br />

müssen! Sein erlauchter Schwager, <strong>der</strong> grosse deutsche


— 272 —<br />

Kaiser Joseph II., dem seine Völker die weisesten, menschenfr<br />

e<strong>und</strong>lichsten Reformen verdanken, war den wi<strong>der</strong>wärtigsten<br />

Plackereien ausgesetzt; in dem Augenblick, wo er ins Grab<br />

sank, wandte er sich an die Nachwelt mit den Worten: „Ich<br />

kenne mein Herz; ich bin von <strong>der</strong> Aufrichtigkeit meiner Absichten<br />

überzeugt, <strong>und</strong> ich hoffe, dass die künftigen Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

das, was ich für mein Volk gethan habe, unparteiisch<br />

beurteilen werden." — Der Hass entfesselt sich gegen<br />

die ausgezeichnetsten Fürsten: als König Ludwig Philipp<br />

auf einer Eeise einem Postillon, <strong>der</strong> auf einer einsamen Strasse<br />

vom Pferde gestürzt war, dadurch das Leben rettete, dass<br />

er ihm mit seiner eigenen Lanzette zur A<strong>der</strong> liess, spottete<br />

man über „diesen lächerlichen König", — <strong>und</strong> doch war er<br />

<strong>der</strong> erste, welcher den wahren Kuhm hatte, Blut zu vergiessen,<br />

um zu heilen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Frankreich achtzehn Jahre<br />

lang glücklich zu machen verstand! — Der grosse Fürst <strong>des</strong><br />

Nordens, Alexan<strong>der</strong> II., wurde für die edelmütige Befreiung<br />

von mehreren Millionen Leibeigenen mit einem tragischen<br />

Tode belohnt. — Man könnte auch bis zum Ursprung<br />

unsrer christlichen Zeitrechnung zurückgehen, um an weit<br />

höherer Stelle ein viel grösseres Opfer zu finden. — Aber<br />

auch viel weiter unten lässt man während <strong>der</strong> langen achtzehnh<strong>und</strong>ertjährigen<br />

Dauer <strong>des</strong> Christentums die edelsten<br />

Geister als Bettler im Elend o<strong>der</strong> in Ketten sterben. Wie<br />

viele vortreffliche Männer haben die Armut mit dem Strahlenkranz<br />

<strong>des</strong> Ruhms geschmückt!<br />

Ungeheuer ist die Liste <strong>der</strong> wackeren Männer, <strong>der</strong><br />

Männer <strong>des</strong> Gedankens, <strong>der</strong> Vorläufer nützlicher <strong>und</strong> weiser<br />

Reformen, edler, eigenartiger Geister, die in ihrem hochherzigen<br />

Vorgehen ihre gesellschaftliche Umgebung um die<br />

ganze Höhe ihres Geistes überragt haben, <strong>und</strong> die den Angriffen<br />

eines blinden Grolls ausgesetzt gewesen sind <strong>und</strong> die<br />

Beschimpfungen einer unwissenden <strong>und</strong> dummen Menge gegen<br />

sich aufgewiegelt haben, welche diejenigen mit Steinen <strong>und</strong><br />

Kot bewirft, die man nach dem glücklichen Ausspruch <strong>der</strong>


— 273 —<br />

Frau von Stael „nicht umhin kann, als die wahren Erlauchten<br />

<strong>des</strong> Menschengeschlechts zu betrachten," bis diese selbe<br />

Menge begriffen hat, dass jene Recht hatten. Sie bilden jene<br />

auserlesene Min<strong>der</strong>heit, die man wirklich „das grosse Märtyrertum<br />

<strong>der</strong> Menschheit" nennen kann; denn alles Gute auf<br />

geistigem <strong>und</strong> sittlichem Gebiet, das man in <strong>der</strong> menschlichen<br />

Gesellschaft findet, rührt von einzelnen Persönlichkeiten her,<br />

Avelche sind wie das Salz <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> sich abheben von<br />

<strong>der</strong> gewöhnlichen Umgebung, die immer den Wohlthaten<br />

wi<strong>der</strong>strebt, mit welchen jene sie beglücken wollen.<br />

Lang in <strong>der</strong> That ist die Namenliste <strong>der</strong> Märtyrer <strong>der</strong><br />

Menschheit, <strong>der</strong> Opfer ihrer eigenen Hingebung o<strong>der</strong> ihres<br />

Genies; die wenigen Beispiele, welche folgen, geben vielleicht<br />

nur den zehntausendsten Teil davon:<br />

Der grosse Yincenz von Paula wird <strong>des</strong> Diebstahls<br />

angeklagt <strong>und</strong> leidet grausam unter <strong>der</strong> Ungerechtigkeit <strong>und</strong><br />

Verleumdung. Ambroise Pare wird wegen seiner neuen<br />

bew<strong>und</strong>ernswerten Methoden, die <strong>der</strong> barbarischen Chirurgie<br />

<strong>des</strong> Mittelalters ein Ende gemacht haben, als gemeingefährlicher<br />

Mensch angesehen. William Harvey, <strong>der</strong> den<br />

Kreislauf <strong>des</strong> Blutes entdeckte, wird lächerlich gemacht, als<br />

Betrrger <strong>und</strong> Schwindler gebrandmarkt, von seinen Fre<strong>und</strong>en<br />

verlassen, mit Schimpf <strong>und</strong> Schande überhäuft. Dr. Jenner,<br />

<strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kuhpockenimpfung, hatte gegen Gleichgültigkeit,<br />

Spott <strong>und</strong> ausgesprochene Feindschaft anzukämpfen;<br />

<strong>und</strong> als dann endlich die ungeheure Wichtigkeit <strong>der</strong><br />

Kuhpockenimpfung anerkannt wurde, suchte man ihm das<br />

Verdienst seiner Entdeckung abzusprechen. Christoph<br />

Columbus, den man vor seiner Entdeckung für verrückt<br />

erklärte, wird nachher mit Ketten beladen. Gutenberg<br />

wird verleumdet, als Dieb ins Gefängnis geworfen <strong>und</strong> erleidet<br />

eine lange, ungerechte Haft. Bernard de Palissy<br />

(<strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Majolika) stirbt infolge schlechter Behandlung<br />

in den Kerkern <strong>der</strong> Bastille. Salomon de Caus (<strong>der</strong><br />

Ei-fin<strong>der</strong> eines Apparats zur Hebung von Wasser mittels<br />

18


— 274 —<br />

Dampfdrucks) wird im Irrenhaus Bicetre eingesperrt. Michel<br />

Angelo wird geplackt, verraten, missverstanden, stösst auf<br />

Wi<strong>der</strong>spruch, <strong>und</strong> sein ganzes Leben verfliesst in schmerzlichen<br />

Kämpfen, Wechselfallen <strong>und</strong> Streitigkeiten. Rog^r<br />

Bacon, <strong>der</strong> berühmte Vorkämpfer <strong>des</strong> Wie<strong>der</strong>erwachens <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaften, schmachtet vierzehn Jahre im Gefängnis.<br />

Beethoven ist verkannt, verlassen, vereinsamt. Mozart<br />

stirbt, zu Gr<strong>und</strong>e gerichtet <strong>und</strong> verschuldet, vor Kummer<br />

nach einem Leben, das ein Martyrium war; er wird, ohne<br />

einen Fre<strong>und</strong>, <strong>der</strong> ihn zur letzten Ruhestätte geleitete, in<br />

ein Massengrab geworfen, so dass seine schwer erkrankte<br />

Witwe nach ihrer Wie<strong>der</strong>genesung den Platz nicht wie<strong>der</strong><br />

finden kann, wo ihr Mann begraben wurde.<br />

Jacquard, <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong> <strong>des</strong> mechanischen Webstuhls,<br />

stirbt, mit Wi<strong>der</strong>wärtigkeiten überhäuft <strong>und</strong> von den Leuten<br />

seiner Vaterstadt als Feind betrachtet, elend auf einer<br />

Pritsche, <strong>und</strong> Philippe de Girard, <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong>Flachsspinnmaschine,<br />

muss 29 Jahre ausser Land zubringen, wird<br />

schändlich betrogen, wegen Schulden eingesperrt, während<br />

die Erfindungen dieser beiden armen grossen Männer Tausende<br />

zu Millionären gemacht haben <strong>und</strong> heute H<strong>und</strong>erttausenden<br />

von Arbeiterfamilien Brot verschaffen! — Das<br />

Urheberrecht von James Watt als Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dampfmaschine<br />

ist ungerechter Weise bezweifelt worden, ebenso<br />

wie dasjenige Stephensons bezüglich <strong>der</strong> Lokomotive, wie<br />

das Richard Arkwrights bezüglich <strong>des</strong> Webstuhls <strong>und</strong><br />

wie das so vieler an<strong>der</strong>er bezüglich <strong>der</strong> ausgezeichnetsten<br />

Erfindungen.<br />

Als Franklin dem Institut von Frankreich seine Denkschrift<br />

über den Blitzableiter überreichte, nahm die gelehrte<br />

Gesellschaft sie mit schallendem Gelächter auf; sie hielt sie<br />

für unwürdig, unter den an sie gerichteten Mitteilungen verzeichnet<br />

zu werden. Dieses selbe Institut erklärte das System<br />

Fultons für einen unausführbaren Traum! „Und<br />

Denis Papin? was für ein hohler Träumer! Man denke


— 275 —<br />

sicli einen Kochtopf, <strong>der</strong> die Welt umgestaltet!" 1 )' — Wie<br />

gut verstand es die Akademie, sich über <strong>der</strong>lei Erfin<strong>der</strong><br />

lustig zu machen!<br />

Wilberforce, dem man die vollständige Abschaffung<br />

<strong>der</strong> Sklaverei in den englischen Kolonien verdankt, wurde<br />

lange Zeit als öffentlicher Feind angesehen; man beschimpfte<br />

ihn, bedrohte ihn, dachte daran, ihn zu ermorden. — Wie<br />

viel Spott <strong>und</strong> Hohn haben John Howarth, Madame<br />

Fry, Buxton, Sarah Martin, Komilly, diese Ausgezeichneten<br />

<strong>der</strong> Erde, über sich ergehen lassen müssen, weil<br />

sie in <strong>der</strong> ersten Hälfte dieses Jahrh<strong>und</strong>erts die Apostel<br />

einer Keform <strong>des</strong> Gefangenenwesens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gefängnisse<br />

gewesen sind, die in jener noch nicht so sehr entlegenen<br />

Zeit solch entsetzliche Oerter <strong>des</strong> Leidens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ver<strong>der</strong>bnis<br />

waren, dass es <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> eines Dante bedürfte, um sie<br />

in ihrer ganzen höllischen Schauerlichkeit zu beschreiben.<br />

— Als LordErskine im Jahre 1809 dem englischen Parlament<br />

einen Gesetzentwurf gegen Tierquälerei vorlegte, wurde<br />

dieser Vorschlag von <strong>der</strong> genannten gesetzgebenden Versammlung<br />

mit beissendem Spott überschüttet. Als Rowland<br />

Hill zum erstenmal den Gedanken an Briefmarken aussprach<br />

<strong>und</strong> die grosse Postreform vorschlug, fand die amtliche englische<br />

Verwaltung, an die er sich wandte, seine Ansichten<br />

einfach ungereimt, die Presse trieb ihr Gespötte mit ihm,<br />

<strong>und</strong> die Times erklärte ganz ernsthaft, es müsse in Bedlam<br />

eine Zelle für diesen Herrn vorhanden sein.<br />

Shakespeare hat für den Hamlet, sein Meisterwerk,<br />

nur fünf Guineen erlöst, <strong>und</strong> Milton, erblindet, verarmt<br />

<strong>und</strong> vereinsamt, trat sein „Verlorenes Paradies" um<br />

zehn Pf<strong>und</strong> Sterling ab. Um denselben lächerlichen Preis<br />

übergab Goldsmith dem Buchhändler Dodsley ein an<strong>der</strong>es<br />

Meisterwerk <strong>des</strong> menschlichen Geistes, den „Vicar of Wakefiel<br />

d"; <strong>und</strong> Pergolese erhielt für sein berühmtes Stabat<br />

*) Victor Hugo.


Mater zehn Dukaten. — Cervantes, verstümmelt, von einem<br />

Gefängnis ins an<strong>der</strong>e geschleppt, erbettelt sein Brot auf den<br />

Strassen <strong>und</strong> findet nach <strong>der</strong> Veröffentlichung seines Don<br />

Quijote ein trauriges Ende. — Camoens, verhöhnt, empfängt<br />

Almosen im Spital, nachdem er sein <strong>und</strong>ankbares<br />

Vaterland durch seine Luisiade verherrlicht hat. — Tasso<br />

wird geringschätzig behandelt, unter dem Vorwande <strong>der</strong><br />

Verrücktheit in ein entsetzliches Krankenhaus gesperrt <strong>und</strong><br />

stirbt in Armut. — Corneille fehlt es an allem, sogar an<br />

Suppe, sagt Racine. — Daniel Defoe, <strong>der</strong> Verfasser <strong>des</strong><br />

Robinson Crusoe, <strong>des</strong> unsterblichen Buches, welches die Welt<br />

immer <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> lesen wird, wird zum Pranger verurteilt,<br />

weil er edelmütig die Freiheit <strong>des</strong> Gewissens verteidigt<br />

hat. —Walter Scott kennt die Kämpfe, die Leiden,<br />

die düsteren Tage <strong>des</strong> Unglücks. — Bern ardin de Saint-<br />

Pierre, <strong>der</strong> Verfasser von Paul <strong>und</strong> Virginie, leidet<br />

unter entsetzlicher Not <strong>und</strong> unter Wi<strong>der</strong>wärtigkeiten aller<br />

Art. — Der grosse Schweizer Geschichtschreiber, Johannes<br />

von Müller, verlangt, von seinen Gläubigern gequält, in<br />

seinem Testament, dass man seine Manuskripte verkaufe,<br />

um seine Schulden zu bezahlen, <strong>und</strong> wagt es nicht einmal,<br />

das einzige zu vermachen, was ihm noch bleibt, seine Uhr.<br />

— Shelley wird von Oxford fortgejagt, Lord Byron<br />

schändlich verleumdet, Rollin fällt in Ungnade, Saint-<br />

Evremond <strong>und</strong> Madame de Stael werden verbannt, <strong>der</strong><br />

Graf von Saint-Simon kommt vor das Schwurgericht,<br />

Lavoisier, Andre Chenier werden guillotiniert . . . . .<br />

Aber lassen wir es dabei bewenden, denn diese wenigen<br />

Beispiele könnten ins Unendliche vervielfältigt werden. Doch<br />

ergiebt sich aus ihnen deutlich, dass unser ausgesprochen selbstsüchtiges<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, obschon weit davon entfernt, vorwurfsfrei<br />

zu sein, dennoch den vorhergehenden weit vorangeeilt<br />

ist. Dies ist vor allem dem aufgeklärten, wirksamen Schutze<br />

zu verdanken, den die Fürsten <strong>und</strong> Fürstinnen unserer Zeit<br />

den allgemeinen Gedanken <strong>der</strong> Menschlichkeit angedeihen


•>77 —<br />

Hessen, <strong>der</strong>en Verwirklichung auf internationalem Weg <strong>der</strong><br />

Wiener Kongress im Jahre 1815 so selbstlos <strong>und</strong> edelmütig<br />

in Angriff genommen hat. Es war in <strong>der</strong> That <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>stein<br />

eines wahrhaft geistigen Tempels <strong>der</strong> Menschheit, <strong>der</strong><br />

damals von den acht europäischen Mächten gelegt wurde,<br />

eines Tempels, <strong>der</strong> nach fast fünfzigjährigem allzulangem<br />

Warten im Jahre 1864 neue, nützliche <strong>und</strong> feste Werksteine<br />

zu seinem Bau erhalten sollte. Seit jener Zeit sieht man<br />

mit jedem Jahre sozusagen die edeln Steinreihen dieses grossen<br />

<strong>und</strong> ruhmreichen internationalen Gebäu<strong>des</strong> in die Höhe<br />

wachsen: ein prächtiges Ergebnis <strong>der</strong> wahren <strong>und</strong> guten<br />

Zivilisation; <strong>des</strong> wirklichen fleckenlosen Fortschritts, <strong>des</strong> moralischen<br />

Gemeingefülils <strong>der</strong> Völker.<br />

Je<strong>des</strong> Jahr bringt einen neuen Zuwachs zu diesem Verein<br />

<strong>der</strong> Völker, „durch den allein die äusserlichen <strong>und</strong> sittlichen<br />

Bedürfnisse aller befriedigt werden können;" <strong>der</strong> nationale<br />

Hass, die Vorurteile machen schon einem höheren, edleren,<br />

ritterlicheren Standpunkt Platz, <strong>und</strong> <strong>der</strong> unglückliche Erfin<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> Vorkämpfer für ausgezeichnete Werke, das Opfer seiner<br />

Hingebung, wird künftig auf beiden Halbkugeln als ein Wohlthäter<br />

<strong>der</strong> Gesamtheit betrachtet; bald wird er allen Parteien<br />

<strong>und</strong> allen Län<strong>der</strong>n, er wird in <strong>der</strong> That <strong>der</strong> ganzen Menschheit<br />

angehören. Die Welt in ihrer gesellschaftlichen <strong>und</strong><br />

geistigen Auslese wird, wenn sie von einem weniger kriegerischen<br />

Geiste beseelt ist, wenn sie die übermässigen Kriegsrüstungen<br />

beiseite lässt, mehr Zeit haben, die selbstlose Hingebung<br />

<strong>und</strong> das Genie, das keinen Schild gegen Bosheit <strong>und</strong><br />

Neid hat, zu ermutigen, um sich mit nützlichen Erfindungen,<br />

mit wohltliätigen Verbesserungen, mit Einrichtungen zu beschäftigen,<br />

welche den Verstand for<strong>der</strong>n <strong>und</strong> das Herz friedlich<br />

stimmen <strong>und</strong> veredeln. Das Evangelium <strong>der</strong> Liebe,<br />

welches heutzutage offen durch das Evangelium <strong>der</strong> Gewalt<br />

(Dynamit!) ersetzt wird, wird seine alte Kraft wie<strong>der</strong>gewinnen,<br />

indem es wie<strong>der</strong> immer mehr zum wahren Evangelium<br />

<strong>der</strong> Liebe wird.


VIII.<br />

Die Anfänge <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> Krenzes in Frankreich<br />

nnd sonstige noch nicht veröffentlichte Mitteilnngen.<br />

(Aus .T. Henry Dunant's Denkwürdigkeiten.)<br />

Fortsetzung. i)<br />

Kommen wir nach diesen langen Abschweifungen wie<strong>der</strong><br />

auf die Vorkämpfer für die Anfänge <strong>des</strong> Werks in Frankreich<br />

zurück.<br />

Eines <strong>der</strong> eifrigsten Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> französischen Hilfsvereins<br />

war <strong>der</strong> Schweizer Bun<strong>des</strong>oberst Huber-Saladin,<br />

<strong>der</strong> seinen Wohnsitz in Paris hatte. Seine Beihilfe war wertvoll<br />

für die Gründung <strong>des</strong> dortigen Ausschusses. Später verfasste<br />

er verschiedene Berichte dieser Gesellschaft. Dieser<br />

hochherzige Mann, <strong>der</strong> ein Bindeglied zwischen <strong>der</strong> schweizerischen<br />

<strong>und</strong> französischen Nationalität bildete (wie dies um<br />

jene Zeit mit mehreren an<strong>der</strong>en in Paris wohnenden <strong>Genfer</strong>n<br />

<strong>und</strong> Schweizern <strong>der</strong> Fall war), <strong>und</strong> <strong>der</strong> enge Beziehungen<br />

zu <strong>der</strong> legitimistischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> imperialistischen Gesellschaft<br />

unterhielt, 2 ) hatte den internationalen Charakter eines von<br />

1) Seiner Länge wegen wurde dieses Kapitel in zwei Abschnitte zerlegt.<br />

2) Der Bun<strong>des</strong>oberst Hnber (welcher die verwitwete Fran de Courval,<br />

geb. Saladin, ans Genf geheiratet hatte nnd durch diese Verbindung <strong>der</strong><br />

Stiefvater <strong>der</strong> Herzogin von Marinier war) stand bei Kaiser Napoleon III.<br />

in grosser Achtung.


jedem Parteigeist unabhängigen, hoch über allem kurzsichtigen<br />

Chauvinismus stehenden Werkes gleichfalls wohl begriffen.<br />

So schrieb er mir am 29. März 1863.<br />

„Entschuldigen Sie mich gütigst, dass ich Ihnen für die<br />

Uebersendung Ihrer ausgezeichneten <strong>und</strong> interessanten „Erinnerung<br />

an Solferino" nicht früher gedankt habe. Inhalt<br />

<strong>und</strong> Form machen Ihrem Herzen ebenso Ehre wie Ihrem<br />

Geiste. Besser kann man es nicht machen <strong>und</strong> sich ausdrücken.<br />

Ihr edelmütiges Vorgehen scheint allgemeines Verständnis<br />

gef<strong>und</strong>en zu haben, <strong>und</strong> Sie haben das Glück sich<br />

den Schöpfer eines wahrhaft christlichen <strong>und</strong> notwendigen<br />

Werkes nennen zu können. Empfangen Sie meine aufrichtigsten<br />

Glück- <strong>und</strong> Segenswünsche zu Ihrem europäischen Erfolg.<br />

— Sie geben in Genf ein Beispiel, welches von Männern<br />

befolgt werden sollte, welche Müsse dazu haben <strong>und</strong> in dem<br />

weiten Gebiete ges<strong>und</strong>er Menschenliebe zu Hause sind. Dieses<br />

noch allzu unfruchtbare Feld verlangt nach hingebenden Arbeitern.<br />

Diese haben nichts gemein mit dem rohen Patriotismus,<br />

<strong>der</strong> sich für verpflichtet hält, <strong>der</strong> Liebe zum Vaterland<br />

in entsprechendem Hasse ein Gegengewicht zu schaffen. Diese<br />

Patrioten vertreten die alte Barbarei, Sie die ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

gute Zivilisation, jene den Krieg, Sie den Frieden, jene sind<br />

dem Feuer <strong>und</strong> Schwert vergleichbar, Sie dem Balsam, <strong>der</strong><br />

auf die W<strong>und</strong>e gelegt wird. Wenn ich Ihnen durch meine<br />

Verbindungen <strong>und</strong> meine ,Fe<strong>der</strong> irgendwie nützen kann, so<br />

verfügen Sie über mich ..."<br />

Ein an<strong>der</strong>er Fre<strong>und</strong> aus <strong>der</strong> allerersten Zeit, <strong>der</strong> gleichfalls<br />

bis zu seinen letzten Tagen treu geblieben ist, ist <strong>der</strong><br />

verehrungswürdige Firmin Marbeau, einer <strong>der</strong> grössten<br />

Wohlthäter <strong>der</strong> Menschheit, <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Krippen, <strong>der</strong><br />

Vorsitzende dieser bew<strong>und</strong>erungswürdigen <strong>und</strong> gesegneten<br />

Einrichtung, die sich nicht nur über ganz Frankreich, son<strong>der</strong>n<br />

auch über die verschiedenen Län<strong>der</strong> Europas verbreitet<br />

hat, wo sie unendlich viel Gutes stiftet. Und doch ist auch<br />

er nicht von gehässiger <strong>und</strong> gewohnheitsmässiger Eifersucht


— 280 —<br />

verschont geblieben. Wie viel Zetergeschrei hat er nicht<br />

mit anhören müssen, welches Unwissenheit <strong>und</strong> Selbstsucht<br />

mehr als dreissig Jahre lang gegen ihn angestimmt haben!<br />

Und ohne die Unterstützung einer wackeren <strong>und</strong> mutigen<br />

Prinzessin, Ihrer Kgl. Hoheit <strong>der</strong> Frau Herzogin Helene<br />

von Orleans 1 ), welche die erste Krippe in Paris unter<br />

ihre Gönnerschaft nahm, wäre ihm sein Werk vielleicht nie gelungen<br />

: so mächtig sind noch auf <strong>der</strong> Erde Herkommen, I ummheit<br />

<strong>und</strong> Verleumdung! — Nicht nur trat Finnin Marbeau,<br />

<strong>der</strong> Staatsrat <strong>und</strong> eine einflussreiche Persönlichkeit geworden<br />

war, gleich von Anfang an <strong>der</strong> Societe de secours aux<br />

blesses bei, son<strong>der</strong>n ausserdem haben wir zusammen während<br />

<strong>der</strong> Belagerung von Paris eine Association de Prevoyance<br />

gegründet, welche in <strong>der</strong> unglücklichen Stadt unsäglich<br />

viel Gutes gewirkt hat. Während <strong>der</strong> Kommune in<br />

Paris beruhte die einzige Hoffnung, etwas Gutes thun zu<br />

ä ) Die edeln Eigenschaften Ihrer Kgl. Hoheit, <strong>der</strong> Frau Herzogin<br />

von Orleans, geb. Prinzessin von Mecklenburg-Schwerin, sind<br />

zu bekannt, um hier erwähnt zu werden; aber nie werde ich vergessen,<br />

mit welcher Güte diese edle Prinzessin, die damals in Pegli wohnte, mich<br />

zu empfangen geruhte, ebenso wie zwei Personen meiner Familie, welche<br />

sie stets mit <strong>der</strong>selben Güte aufnahm <strong>und</strong> welche sie gütigst ermächtigt<br />

hatte, mich ihr vorzustellen. Der Zauber ihres Wohlwollens <strong>und</strong> ihre<br />

Einfachheit gewann dieser Frau, welche Königin <strong>der</strong> Franzosen hätte<br />

werden sollen <strong>und</strong> so würdig war es zu sein, aller Herzen.<br />

Ihr erlauchter Solin, <strong>der</strong> Graf von Paris, <strong>der</strong> gleichfalls so würdig<br />

war die königliche Krone von Frankreich zu tragen, war das Muster eines<br />

Fürsten. Dieser hochherzige <strong>und</strong> begabte Mann mit dem geraden, erhabenen<br />

<strong>und</strong> edeln Herzen, dieser Verfechter einer edeln Sache in <strong>der</strong><br />

Neuen "Welt, dieser wohlthätige Schriftsteller, dieser aufgeklärte Menschenfre<strong>und</strong>,<br />

welcher eine w<strong>und</strong>erbare Kenntnis <strong>der</strong> ökonomischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Fragen besass, mnsste -sich von <strong>der</strong> menschlichen Bosheit vorwerfen lassen,<br />

er verfolge Hirngespinste. Er, <strong>der</strong> unter <strong>der</strong> Kegentschaft seiner Mutter<br />

auf einen Augenblick zum König ausgerufen wurde, hatte geruht mich<br />

zu empfangen <strong>und</strong> aufs wohlwollendste mit mir Briefe zu wechseln, denn<br />

die Teilnahme, die er den Fragen internationaler Menschenliebe entgegenbrachte,<br />

war gross. Es ist also nur gerecht, seinem Andenken hier den<br />

Tribut <strong>der</strong> Bew<strong>und</strong>erung zu zollen.


— 281 —<br />

können, auf diesem Manne, im Verein mit Frau Marbeau,<br />

welche mutig seinem hingebenden Beispiele folgte. Was meine<br />

Person betrifft, so blieb ich, obschon ich mich von allem was ich<br />

in jener Zeit sah <strong>und</strong> hörte, mehr als angeekelt fühlte, in Paris,<br />

weil ich nicht an<strong>der</strong>s konnte, insofern ich nach Verlust meines<br />

ganzen Vermögens im Jahre 1867 keinerlei Hilfsmittel mehr<br />

besass. Wir kamen in seiner Wohnung in <strong>der</strong> rue Neuve<br />

<strong>des</strong> Mathurins zusammen <strong>und</strong> besprachen, in <strong>der</strong> Voraussicht,<br />

dass Paris verbrannt werden würde, mit einigen hochherzigen<br />

Personen, die zu einem beson<strong>der</strong>en Ausschuss zusammen getreten<br />

waren, die Mittel <strong>und</strong> Wege, um die Frauen <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong><br />

zu retten, wenn <strong>der</strong> Augenblick <strong>der</strong> Katastrophe eintreten<br />

würde.<br />

Von diesem kleinen Ausschuss wurde ich zu Seiner Kgl.<br />

Hoheit dem Kronprinzen (jetzt König) Albert von Sachsen<br />

nach Compiegne abgesandt, um eintretenden Falls sein Wohlwollen<br />

zu Gunsten <strong>der</strong> Frauen <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong> zu erbitten. Dieser<br />

hochherzige Fürst geruhte mich mit ausserordentlicher Güte<br />

zu empfangen <strong>und</strong> versprach mir alle Zelte, <strong>der</strong>en wir für<br />

den Fall eines Auszugs zur vorläufigen Unterkunft ausserhalb<br />

von Paris benötigt sein würden. Desgleichen wurde ich<br />

nach Versailles abgesandt, wo Herr Barthelemy Saint-<br />

Hilaire, Generalsekretär <strong>der</strong> Regierung <strong>des</strong> Herrn Thiers,<br />

erklärte, man würde diese Unglücklichen nicht darben lassen,<br />

falls es zu einer solchen Notlage käme, an die er übrigens,<br />

wie er hinzufügte, nicht glaube. 1 ) Eine reiche menschenfre<strong>und</strong>liche<br />

Person hatte die Güte, die Ausgaben für diese<br />

Reisen zu bestreiten. In <strong>der</strong> That hatte wenig gefehlt, dass<br />

unser guter Wille Gelegenheit bekommen hätte, sich zu betätigen;<br />

denn hätte in den unseligen Tagen jener höllischen<br />

Woche <strong>der</strong> Wind geweht, so wären unsere Befürchtungen vollständig<br />

in Erfüllung gegangen. — In den ersten Zeiten <strong>der</strong><br />

. l ) Mehrere englische Zeitungen, nnter an<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Daily Telegraph<br />

vom 8. Mai 1871 (übersetzt vom Monitenr universel), berichteten ausführlich<br />

Uber meine Sendungen <strong>und</strong> ihre Ergebnisse.


— 282 —<br />

Belagerang hatte ich, in Voraussicht jener Erhebung, Herrn<br />

Barthelemy Saint-Hilaire, Mitglied <strong>des</strong> Instituts, welchen ich<br />

zuweilen besuchte, Mitteilung von unseren düsteren Ahnungen<br />

gemacht, aber er hatte damals nicht an eine Erhebung gegen<br />

Ende <strong>des</strong> Kriegs geglaubt <strong>und</strong> mir sogar zu beweisen gesucht,<br />

dass ich mich in einem vollständigen Irrtum befände.<br />

— Bei jenem Ausfluge nach Versailles, wo ich von Herrn<br />

Barthelemy Saint-Hilaire eingeladen wurde, am Abend <strong>des</strong>selben<br />

Tags dem Empfang <strong>des</strong> Herrn Thiers anzuwohnen,<br />

geschah es, dass das Oberhaupt <strong>des</strong> französischen Staats auf<br />

die Seite zukam, wo ich mich befand, <strong>und</strong>, von einem wahren<br />

Hofstaat umgeben, die in einem an<strong>der</strong>n Teil dieser Denkwürdigkeiten<br />

berichtete kleine Ansprache hielt, welche mit<br />

den Worten schloss: „Ich werde keine Partei verraten; ich<br />

sage dies, damit man es weitersage." 1 )<br />

Um auf Herrn Marbeau zurückzukommen", — ein Name,<br />

den man nicht erwähnen kann, ohne lange von ihm zu reden<br />

— so thaten wir zusammen, am 14. April 1871, glückliche<br />

Schritte, um bei <strong>der</strong> Pariser Kommune die Freilassung <strong>des</strong><br />

Pfarrers von Notre Dame de Bonne Nouvelle, <strong>des</strong> Vorsitzenden<br />

<strong>der</strong> Krippe seines Viertels, <strong>der</strong> soeben ins Gefängnis<br />

gesperrt worden war, zu erwirken. In jener Zeit wandte<br />

man sich, ich weiss nicht warum, an den armen zu Gr<strong>und</strong>e<br />

gerichteten Mann, um irgend einen Dienst zu erlangen, obwohl<br />

ich seit dem Jahre 1867 ganz in Vergessenheit geraten<br />

war. Viele Leute haben sich damals in Paris hinter mir als<br />

dem „Grün<strong>der</strong> <strong>des</strong> Werks für die.Verw<strong>und</strong>eten" verschanzt.<br />

Einige haben sich sogar, ohne mein Wissen, meinen Namen<br />

beigelegt. Es war immer mein Schicksal, auf die eine o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e Weise ausgebeutet zu werden: es ist sehr wahrschein-<br />

J ) In jenem Augenblick befand ich mich in den Salons <strong>der</strong> Präsidentschaft<br />

in Begleitung zweier Mitglie<strong>der</strong> nnsres kleinen Pariser Ausschusses,<br />

<strong>des</strong> Barons D. de la T., eines Verwandten <strong>des</strong> Abgeordneten<br />

Leon de Maleville, nnd <strong>des</strong> Herrn B. de la P., eines Verwandten <strong>des</strong> Abgeordneten<br />

de Lasteyrie.


— 283 —<br />

lieh Dummheit meinerseits! — Was den guten alten Mann,<br />

den Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Krippen, betrifft, <strong>der</strong> mich abholte <strong>und</strong><br />

in meine Wohnung zurückgeleitete, so war er voll Eifers für<br />

jede gute Handlung; es ist uns zuweilen vorgekommen, dass<br />

wir in Strassen voll aufgeregter Kommunarden gerieten, aber<br />

nie haben sie uns belästigt. An dem traurigen 18. März<br />

hatten wir eine seiner Krippen in <strong>der</strong> nie Saint-Honore besucht:<br />

als wir das Haus, wo die Krippe sich befand, verliessen,<br />

wurden wir, wie wir um die Ecke <strong>des</strong> Vendömeplatzes<br />

gingen, von den Nationalgarden <strong>und</strong> dem - Pöbel beinahe über<br />

den Haufen geworfen. Ich zog meinen verehrungswürdigen<br />

Begleiter, welcher gerne eine Ansprache an die lärmende<br />

Volksmenge gehalten hätte, um sie zu beruhigen <strong>und</strong> wie<strong>der</strong><br />

zur Ordnung zu bringen, fort von dem Getümmel.<br />

Nach den Ereignissen, welche <strong>der</strong> unglückseligen Kommune<br />

ein Ende machten, wurde Herr Marbeau Vizepräsident <strong>der</strong><br />

Alliance Universelle de l'ordre et de la civilisation,<br />

einer Fortsetzung <strong>der</strong> Association de Prevoyance (beide<br />

waren Hilfsgesellschaften <strong>der</strong> Societe frangaise de secours<br />

aux blesses militaires). Nach dem Tode <strong>der</strong> beiden ersten<br />

Präsidenten dieser Alliance, zweier ausgezeichneter Männer,<br />

<strong>des</strong> früheren Senators Amedee Thierry <strong>und</strong> <strong>des</strong> früheren Senators<br />

Elie de Beaumont, Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Instituts, übernahm<br />

Herr Marbeau den Vorsitz dieser Gesellschaft bis zu seinem<br />

im Jahre 1876 erfolgten Tod. Die Grafen de Flavigny, Serurier<br />

<strong>und</strong> de Beaufort waren Vizepräsidenten dieser Alliance<br />

Universelle, wie sie zuvor denselben Titel in <strong>der</strong> Association<br />

de Prevoyance angenommen hatten. 1 )<br />

Ein Mann von grossem Einfluss, <strong>der</strong> Graf von Cir-<br />

*) In ihrer Eigenschaft als Hilfsgesellschaften <strong>der</strong> Societe<br />

frangaise de secours am blesses militaires haben beide Vereinigungen<br />

auf einer ihrer zahlreichen Veröffentlichungen je ein rotes<br />

Kreuz angebracht, <strong>und</strong> zwar mit vollständiger Billigung <strong>der</strong> Präsidenten<br />

Grafen von Flavigny, <strong>des</strong> Vizepräsidenten Graf Sernrier <strong>und</strong> <strong>des</strong> Grafen<br />

de Beanfort, Generalsekretärs <strong>der</strong> Societe de secours ans blesses.


— 284 —<br />

court, <strong>des</strong>sen Gedächtnis für das umfassendste seiner Zeit<br />

galt, wandte schon seit dem Jahre 1862 dem Werke seine<br />

herzlichste Unterstützung zu. 1 ) Vor dem Statistischen Kongresse<br />

in Berlin schrieb er mir: „ Wie viele Teilnahme<br />

hat Ihr edler Gedanke schon gefanden, <strong>und</strong> wie sehr ist er<br />

schon seiner praktischen Verwirklichung näher gerückt, über<br />

welche sich alle Fre<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Menschheit so sehr zu freuen<br />

hätten! Ich hoffe, dass die Konferenzen in Berlin einige gute<br />

Ergebnisse herbeiführen werden. Wenn Sie die Königin sehen,<br />

so haben Sie die Güte, ihr meine Huldigungen zu Füssen zu<br />

legen. — Die Zeiten sind schlecht, schrieb 1831 Felix<br />

Mendelssohn an seine Eltern, darum müssen wir gut<br />

werden. Die Wahrheit dieses einfachen <strong>und</strong> rührenden<br />

Gr<strong>und</strong>satzes hat nie eine gerechtere Anwendung gef<strong>und</strong>en<br />

als in unserer Zeit. Der Krieg <strong>und</strong> die Diplomatie vertreten<br />

in ihr die gewaltthätige <strong>und</strong> treulose Seite <strong>der</strong> menschlichen<br />

Natur; die Nächstenliebe <strong>und</strong> das Evangelium müssen ausdauernd<br />

<strong>und</strong> sogar erfin<strong>der</strong>isch gegen den Fürsten dieser<br />

Welt ankämpfen!" — Ueber die Erinnerung an Solferino<br />

schrieb er mir am 22. April 1863:<br />

„Ihr Werk ist voll von Herz <strong>und</strong> von hoher Unparteilichkeit.<br />

Ihr Plan verdient die Teilnahme <strong>und</strong> Beihilfe <strong>der</strong> rechtschaffenen<br />

Leute aus allen Län<strong>der</strong>n. Ein Fre<strong>und</strong> von mir <strong>und</strong><br />

ehemaliger Militär, Herr von Breda, ist sehr ernsthaft mit<br />

Gedanken beschäftigt, die den Ihrigen sehr ähnlich sind;<br />

er wird glücklich sein, über diesen so wertvollen Gegenstand<br />

in herzliche Verbindung mit Ihnen zu treten. Ich lege<br />

einige Zeilen für ihn bei. Ich fuge einige an<strong>der</strong>e bei für den<br />

Fürsten Albert de Broglie, an den ich mich vertrauensvoll<br />

*) Dieses ausserordentliche Gedächtnis, das von Lamartine als eine<br />

„lebende Bibliothek" gefeiert wurde, war w<strong>und</strong>erbar ausgestattet. Die<br />

Meinung <strong>des</strong> Grafen von Circourt als eines Slannes von scharfein Verstand<br />

<strong>und</strong> wohlwollendem Charakter, war stets von grossem Gewicht. Sein Salon,<br />

wo man die berühmtesten Personen traf, erfreute sich europäischer Berühmtheit.


— 285 —<br />

wende... Empfangen Sie meine aufrichtigsten Segenswünsche<br />

für Ihr Unternehmen..."<br />

Am 23. November 1863 schrieb mir dieser hervorragende<br />

Mann, indem er mir den Empfang <strong>des</strong> Protokolls <strong>der</strong> internationalen<br />

Konferenz zu Genf bestätigte: „ ... Die technischen<br />

Schwierigkeiten, welche aufgeworfen werden Und welche<br />

die praktische Anwendung <strong>der</strong> von Ihnen aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätze<br />

verwickelter machen, haben ohne Zweifel nichts Ueberraschen<strong>des</strong><br />

für Sie. Die Festigkeit <strong>und</strong> Klarheit <strong>der</strong> Ansichten,<br />

welche Sie selbst sowie die Dolmetscher Ihrer guten<br />

Gedanken geltend zu machen Gelegenheit hatten, haben einen<br />

ersten Erfolg gehabt, welcher zu weiteren Hoffnungen berechtigt.<br />

Die meisten grossen Verbesserungen, welche die<br />

thatsächlichen (<strong>und</strong> man darf wohl glauben endgültigen) Fortschritte<br />

<strong>der</strong> christlichen Zivilisation gekennzeichnet haben,<br />

haben keine bedeuten<strong>der</strong>en Anfänge gehabt. Der <strong>der</strong>zeitige<br />

Stand <strong>der</strong> Dinge auf den beiden Halbkugeln spricht nur zu<br />

sehr dafür, dass Ihre Anstrengungen wohl am Platze sind.<br />

Nach einer ziemlich langen Periode, während <strong>der</strong> die Völker,<br />

nachdem sie zu einer gewissen, wenigstens äusserlichen Gleichheit<br />

<strong>der</strong> Zivilisation gelangt waren, geneigt schienen, die<br />

Lösung ihrer inneren Schwierigkeiten friedlichen Unterhandlungen<br />

anzuvertrauen <strong>und</strong> den Gebrauch <strong>der</strong> Waffen auf<br />

eine Beschleunigung <strong>der</strong> Ausdehnung ihrer Herrschaft über<br />

min<strong>der</strong> vorgeschrittene Rassen zu beschränken, sehen wir auf<br />

diese Periode, welche so vielen ausgezeichneten Geistern das<br />

verführerische Trugbild eines ewigen Friedens vorgezaubert<br />

hat, eine allgemeine Berufung auf die Waffen folgen, um die<br />

endgültigen Urteilssprüche durchzusetzen, zu <strong>der</strong>en Fällung<br />

die Rechtswissenschaft <strong>und</strong> die Diplomatie sich für unfähig<br />

erklären. Es ist nur zu wahrscheinlich, dass eine Reihe von<br />

Riesenkämpfen in allen Teilen <strong>der</strong> beiden Festlän<strong>der</strong> die<br />

Lösung jener Aufgaben wie<strong>der</strong> aufnehmen wird, in welchen<br />

mit Naturnotwendigkeit die Macht dem Rechte treue Gesellschaft<br />

leisten wird. Also kommen Sie gerade recht, mein


— 286 —<br />

Herr: es giebt kein Land, welche« Ihnen nicht teilnehmende<br />

Aufmerksamkeit schuldig ist, <strong>und</strong> ich hoffe, dass Ihr Name<br />

dauernd mit den Namen <strong>der</strong> Männer verknüpft sein wird,<br />

welche sich um die Menschheit verdient gemacht haben. Nach<br />

dem wünschenswertesten Erfolg, nämlich dem, seinen Mitmenschen<br />

Leiden zu ersparen, giebt es keinen, <strong>der</strong> den selbstlosen<br />

Ehrgeiz eines Christen <strong>und</strong> Weisen so sehr reizen<br />

könnte, wie <strong>der</strong>, Leiden, die einmal unvermeidlich sind, zu<br />

lin<strong>der</strong>n. Sie dürfen hierbei auf die Segenswünsche aller aufgeklärten<br />

Geister <strong>und</strong> aller edeln Herzen Europas <strong>und</strong> Amerikas<br />

zählen."<br />

Einige Monate nachherhatte <strong>der</strong> Graf von Breda die<br />

Güte, mir durch Vermittlung <strong>des</strong> Herrn von Circourt sein<br />

Manuskript zum Lesen zu übersenden, denn seine Broschüre<br />

war noch nicht gedruckt. Es war ein in beson<strong>der</strong>er Hinsicht<br />

auf Frankreich ausgearbeiteter Plan, katholische Ordensgeistliche,<br />

beson<strong>der</strong>s die in Beziehung auf Ges<strong>und</strong>heitspflege wohl<br />

unterrichteten Brü<strong>der</strong> von Saint-Jean de Dieu anzuwerben,<br />

um aus ihnen eine fiir das französische Heer bestimmte Abteilung<br />

Hospitaliter zu bilden; <strong>der</strong> Urheber <strong>des</strong> Plans wünschte<br />

die Gründung eines religiösen Ordens, von dem er voraussetzte,<br />

dass er sich leicht den kaiserlich französischen Heeren<br />

anglie<strong>der</strong>n lassen müsse. 1 ) TJeber die Krankenpfleger dieses<br />

Heeres brach er den Stab, was ich nie gethan noch zu thun<br />

beabsichtigt hatte. Und doch hätte ich anführen können, —<br />

*) Dr. Wichern von Hamburg, welcher von Anfang an Kenntnis<br />

von meinen Schriften gehabt hatte, bildete für den Schleswig-Holsteinischen<br />

Krieg freiwillige Krankenpfleger ans den lutherischen Brü<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Gehilfen<br />

seiner Wohlthätigkeitsanstalt zum Bauhen Haus in Hamburg. —<br />

Alle Beweise guten Willens sind willkommen bei einem Werk wie dem<br />

unsrigen, nur muss dieses von einem über Volks- <strong>und</strong> Konfessionsangehörigkeit<br />

erhabenen Standpunkt aus aufgefasst werden. — Am 4. Juni 1864<br />

schrieb mir <strong>der</strong> Graf von Breda: „Es scheint mir, dass Sie Ihr grosses<br />

Unternehmen in Paris in sehr gute Bahnen geleitet haben, <strong>und</strong> ich habe<br />

das Vertrauen, dass Ihre Bemühungen die glücklichsten Ergebnisse haben<br />

werden,"


— 287 —<br />

<strong>und</strong> will es auch beiläufig sagen, — dass es während <strong>des</strong><br />

italienischen Kriegs im Jahre 1859 diesem Heere so sehr an<br />

Krankenpflegern mangelte, dass man aus den entbehrliehen<br />

Musikern <strong>der</strong> einzelnen Heeresabteilungen Trägerabteilungen<br />

zu bilden gesucht hatte, <strong>und</strong> zwar in <strong>der</strong> Stärke von 80 für<br />

eine Infanterie- <strong>und</strong> von 40 für eine Kavalleriedivision. Nichts<br />

Verkehrteres als dieses System, Leute zu verwenden, die<br />

einen beson<strong>der</strong>en Dienst haben, die bei <strong>der</strong> Infanterie durch<br />

ihre grossen Instrumente, bei <strong>der</strong> Reiterei durch ihre Pferde<br />

behin<strong>der</strong>t sind <strong>und</strong> keinerlei Erfahrung besitzen! Der so<br />

wichtige Dienst <strong>der</strong> Fortschaffung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten während<br />

<strong>und</strong> nach <strong>der</strong> Schlacht war niemand zugeteilt: dies war <strong>der</strong><br />

mangelhafteste Teil im Ges<strong>und</strong>heitsdienst dieses Feldzugs.<br />

Die Verw<strong>und</strong>eten, welche in Eeih <strong>und</strong> Glied fielen, wurden<br />

meist von ihren Kameraden auf den Armen, auf den Gewehren,<br />

im Mantel bis zu. einer Divisionsambulanz getragen;<br />

<strong>und</strong> hier befand sich je nur ein Oberstabsarzt, drei Stabsärzte<br />

<strong>und</strong> höchstens zwanzig Lazarettgehilfen! 1 ) Es darf einen<br />

nicht w<strong>und</strong>ern, wenn man acht Tage brauchte, um auf dem<br />

ungeheuren Gebiet, welches das Schlachtfeld von Solferino<br />

bildet, die Verw<strong>und</strong>eten aufzulesen. Die Aerzte <strong>der</strong> einzelnen<br />

Heeresabteilungen stossen bei Erfüllung ihrer Pflicht auf<br />

unüberwindliche Hin<strong>der</strong>nisse: sie müssen ihrem Regiment<br />

folgen, das sie nie verlassen dürfen, <strong>und</strong> lassen die unterwegs<br />

fallenden Verw<strong>und</strong>eten unverb<strong>und</strong>en zurück; halten sie<br />

sich auf, um den Verletzten ihre Pflege angedeihen zu lassen,<br />

so sind sie bald zurückgeblieben, zuweilen isoliert, <strong>und</strong> können<br />

recht oft gerade in dem Augenblick, wo man sie am nötig-<br />

*) Das französische Heer im Orient sah sich nach Dr. Chenu gezwungen,<br />

während <strong>der</strong> ganzen Dauer <strong>des</strong> Feldzugs mehr als zweitausend<br />

Unteroffiziere lind Soldaten aus den Regimentern dauernd zn verwenden,<br />

um <strong>der</strong> numerischen Unzulänglichkeit <strong>der</strong> militärischen Krankenwärter<br />

abzuhelfen. Und diese Leute besassen keinerlei Vorbildung, keinerlei<br />

Uebung. Die russischen Soldaten trugen wenigstens in ihren Tornistern<br />

zwei Binden <strong>und</strong> eine Kompresse bei sich, die zu einem ersten eigenhändig<br />

angelegten Verband bestimmt waren.


— 288 —<br />

sten brauchte, nicht mehr zu ihren betreffenden Heeresabteilungen<br />

gelangen.<br />

Es ist nicht zu bestreiten, dass mein bescheidenes Buch<br />

<strong>und</strong> die internationale Konferenz zu Genf die Aufmerksamkeit<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Regierungen gleichzeitig auf die Unzulänglichkeit<br />

<strong>des</strong> amtlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienstes in ihren Heeren<br />

gelenkt hat <strong>und</strong> dass diese seitdem denselben zu verbessern<br />

gesucht haben. Diesen ganz beson<strong>der</strong>en Punkt <strong>der</strong> Unzulänglichkeit<br />

hatte Herr Moynier, <strong>der</strong> Vorsitzende <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Gemeinnützigen Gesellschaft, sehr zu Herzen genommen; er<br />

wünschte daher, dass <strong>der</strong> kleine Ausschuss, den diese Gesellschaft<br />

ernannt hatte, einem Wohlthätigkeitskongress, <strong>der</strong> im<br />

Sommer 1863 in Berlin stattfinden sollte, den Gedanken <strong>der</strong><br />

freiwilligen Krankenpfleger vorlegen möchte. Auch war es<br />

Herr Moynier, <strong>der</strong>, als er die Verschiebung dieses Kongresses<br />

auf unbestimmte Zeit erfahr, den Gedanken hatte,<br />

dem kleinen <strong>Genfer</strong> Ausschuss die Zusammenberufung einer<br />

Konferenz von Abgeordneten <strong>der</strong> Wohlthätigkeitsgesellschaften<br />

Europas vorzuschlagen, welche diesen beson<strong>der</strong>en Punkt zum<br />

Gegenstand ihrer Besprechung machen sollte.<br />

Die ernste Thatsache <strong>der</strong> Unzulänglichkeit <strong>des</strong> Ges<strong>und</strong>heitsdienstes<br />

in den Heeren veranlasste den Dr. Chenu,<br />

welcher im Jahre 1865 in dem grossen Werk, das seinen<br />

Ruhm begründet hat, gleichzeitig mein kleines Buch <strong>und</strong> die<br />

<strong>Genfer</strong> Konferenz erwähnte, zu <strong>der</strong> Erklärung:<br />

„Die einem Feldlazarett o<strong>der</strong> einem Militärspital zugewiesenen<br />

militärischen Krankenwärter sind immer viel zu<br />

wenig zahlreich ... Es wäre für das ganze Heer von Vorteil,<br />

wenn man mit allen zu Gebot stehenden Mitteln die<br />

Stellung <strong>des</strong> Militärkrankenwärters heben würde ... Die<br />

numerische Besetzung <strong>der</strong> Feldlazarette (in Frankreich) geht<br />

nicht weit genug; sie ist nur auf die gewöhnlichen Bedürfnisse<br />

berechnet, während sie dies auf alle möglichen Fälle<br />

sein sollte; denn es kann nicht oft genug wie<strong>der</strong>holt werden,<br />

im Felde bilden die Möglichkeiten <strong>und</strong> das Unvorhergesehene


— 289 —<br />

viel öfter die Regel als die Ausnahme, <strong>und</strong> das Personal <strong>der</strong><br />

Feldlazarette könnte, beson<strong>der</strong>s seit <strong>der</strong> Einführung genauerer<br />

Waffen <strong>und</strong> wirksamerer Geschosse, zum grossen Vorteil <strong>des</strong><br />

Heeres verdoppelt <strong>und</strong> sogar verdreifacht werden." 1 )<br />

Es ist hier am Platz, einen einzigen Satz aus <strong>der</strong> Denkschrift<br />

8 ) anzuführen, welche ich auf Auffor<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong><br />

Ausschusses abgefasst hatte, damit sie dem internationalen<br />

Wohlthätigkeitskongress in Berlin vorgelegt würde, die aber<br />

überflüssig wurde, weil <strong>der</strong> Kongress nicht stattfand. Es<br />

handelt sich um die amtlichen Militärkrankenwärter in Frankreich<br />

in den ersten Monaten <strong>des</strong> Jahres 1863. „Wir sehen,"<br />

heisst es dort, „wie die Militärkrankenwärter ihr mühsames<br />

<strong>und</strong> trauriges Handwerk ohne Hingebung <strong>und</strong> ohne Mitleid<br />

gegen die Kranken ausüben; sie sind grösstenteils unfähig<br />

zur Verrichtung <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Obliegenheiten, die ihr Stand<br />

verlangt. So sorgfältig man auch bei <strong>der</strong> Aushebung dieser<br />

Krankenwärter zu Werke geht, so ist es doch schon vorgekommen,<br />

dass einzelne die Sterbenden ausgeplün<strong>der</strong>t haben,<br />

<strong>und</strong> die verbrecherische Raubgier einiger ist nicht einmal<br />

immer dabei stehen geblieben. Man sieht, wie jeden Tag<br />

trotz <strong>der</strong> thätigen Ueberwachung von Seiten <strong>der</strong> Verwaltung<br />

verbotene Nahrungsmittel in die Spitäler eingeschmuggelt <strong>und</strong><br />

zu empörenden Preisen an die Kranken verkauft werden, für<br />

welche diese Nahrungsmittel den Tod zur Folge haben können.<br />

AVährend <strong>des</strong> Kriegs ist diese Unordnung noch viel grösser..."<br />

Während <strong>des</strong> Winters 1864 auf 1865 bat mich Herr<br />

Beluze, <strong>der</strong> aufopfernde Vorsitzende <strong>des</strong> cercle catholique<br />

*) Rapport au Conseil de sant6 <strong>des</strong> Armöes sur les r£sultats<br />

du service chirurgico-medical pendant la campagne<br />

de Crimee. — Observations snr l'insuffisance du service de<br />

sante en campagne et sur les propositions prfsentees ä la Societe d'ntilite<br />

publique de Genfeve. 1865 (ungefähr 800 S. 4°).<br />

! ) Diese Denkschrift, welche die verschiedenen Län<strong>der</strong> Europas in<br />

Hinsicht auf die Krankenpflege mustert, ist nie veröffentlicht worden.<br />

19


— 290 —<br />

in Paris, wo die jungen Leute aus den besten Familien Frankreichs<br />

zusammenkamen, einen Vortrag über die Gesamtgeschichte<br />

<strong>der</strong> Hilfsgesellschaften für die Opfer <strong>des</strong> Kriegs<br />

<strong>und</strong> über die Konvention zu halten, von <strong>der</strong> man viel sprach,<br />

aber sehr wenig wusste. — Schon von .1849 bis 1852 war<br />

ich <strong>der</strong> erste Urheber, Grün<strong>der</strong> <strong>und</strong> För<strong>der</strong>er <strong>der</strong> ChristlichenVereinigungen<br />

(Unions chretiennes) in <strong>der</strong> Schweiz,<br />

in Frankreich, Holland, Belgien u. s. w. gewesen, hauptsächlich<br />

auf brieflichem Wege, aber auch durch freiwillig unternommene<br />

Keisen. Ich war <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong>jenigen von Genf<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Urheber <strong>der</strong>jenigen von Paris. Anfanglich trugen<br />

diese Vereinigungen noch nicht diesen Namen, aber die Triebfe<strong>der</strong>,<br />

welche mich zu <strong>der</strong>en Gründung drängte, war schon<br />

damals dieselbe, welche mich später veranlasste, den Kreuzzug<br />

zu Gunsten <strong>der</strong> Opfer <strong>des</strong> Kriegs zu unternehmen: neben<br />

<strong>der</strong> christlichen Liebe zu allem, was leidet, war es in kleinerem<br />

Massstabe die Internationalität im Guten, ohne Rücksicht<br />

auf die religiösen <strong>und</strong> politischen Meinungen, ohne Unterschied<br />

<strong>der</strong> Stellung <strong>und</strong> <strong>des</strong> Vermögens, mit gegenseitiger<br />

Duldung <strong>und</strong> Achtung <strong>des</strong> Eangs <strong>und</strong> aller Ueberzeugungen.<br />

Es war auch eine Art von moralischer Gegenseitigkeit, damit<br />

diejenigen, welche ins Unglück geraten würden, an ihren<br />

Kollegen eine wirksame <strong>und</strong> teilnehmende, mit Takt <strong>und</strong><br />

Zartgefühl gewährte Hilfe finden sollten. Es war die Unterstützung<br />

junger Frem<strong>der</strong>, welche in den grossen Städten vereinsamt<br />

dastanden. Es war ferner die Hebung <strong>des</strong> geistigen<br />

Niveaus aller, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> mit gesellschaftlichen, wissenschaftlichen,<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> materiellen Vorteilen weniger<br />

Gesegneten. Es war endlich die Bethätigung <strong>des</strong> Wohlwollens<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Wohlthätigkeit in gemeinsamer Arbeit, wobei<br />

je<strong>der</strong> seine beson<strong>der</strong>e Individualität <strong>und</strong> seine persönliche<br />

Meinung bewahren sollte. Schon in jener entlegenen Zeit<br />

kam mir <strong>der</strong> Gedanke, dass es möglich wäre, auf dem Boden<br />

<strong>der</strong> Nächstenliebe sich zu vereinigen. Aber erst nach mehreren<br />

Jahren sollte dieser Gedanke seine vollständige Ver-


— 291 —<br />

wirklicliung finden, sollte endlich, beginnend mit den Ebenen<br />

<strong>der</strong> Lombardei, ein gemeinsames, allgemeines Gebiet für die<br />

Ausübung <strong>des</strong> Guten gef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> durch das „tutti fratelli"<br />

<strong>der</strong> italienischen Bäurinnen dieser Gr<strong>und</strong>satz wahrer<br />

Brü<strong>der</strong>lichkeit verkündigt werden.<br />

,, Mit meinen Gefühlen einer über den Religionen <strong>und</strong> Konfessionen<br />

stehenden Neutralität nahm ich also die Aufgabe,<br />

mit welcher <strong>der</strong> ausgezeichnete <strong>und</strong> verehrungswürdige Herr<br />

Beluze mich gütigst betraut hatte, bereitwillig an <strong>und</strong> entledigte<br />

mich <strong>der</strong>selben in dem cercle catholique 1 ) so gut<br />

ich konnte;.ich bin nämlich kein Eedner. Die Nachsicht, die<br />

ich bei dieser Gelegenheit zu erfahren hatte, war für mich<br />

eine wertvolle Aufmunterung: keine Spur von Dünkel, nichts<br />

Trockenes, Engherziges, Pedantisches, Steifes, keine Anschwärzung<br />

o<strong>der</strong> Tadelsucht fand ich bei meinen Pariser<br />

Zuhörern, son<strong>der</strong>n im Gegenteil Ehrerbietung, Höflichkeit,<br />

Artigkeit <strong>und</strong> das grösste Wohlwollen gegen einen gewöhnlichen<br />

<strong>Genfer</strong>, <strong>der</strong> doch noch recht schwerfallig, geziert <strong>und</strong><br />

steif in seinem Auftreten, <strong>und</strong> noch etwas weitschweifig <strong>und</strong><br />

umständlich in seinem Stil war.<br />

Um jene selbe Zeit lud mich <strong>der</strong> ehemalige Staatsminister,<br />

Herr Cremieux, ein, <strong>der</strong> Generalversammlung <strong>der</strong> Alliance<br />

israelite universelle anzuwohnen, <strong>der</strong>en Vorsitzen<strong>der</strong><br />

er war. Bei dieser Versammlung, welche im Hertzsaal<br />

in Paris stattfand, setzte mich Herr Cremieux grossartig<br />

zu seiner Rechten <strong>und</strong> erklärte in seiner Eede <strong>der</strong> zahlreichen<br />

Zuhörerschaft, welche die reichsten, intelligentesten <strong>und</strong> einflussreichsten<br />

Israeliten von Paris, Herrn <strong>und</strong> Damen, in sich<br />

schloss, welches <strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> Einrichtung sei, <strong>der</strong>en Gründung<br />

ich mich gewidmet hatte. Er that dies in solchen Ausdrücken,<br />

dass von diesem Augenblick an die Israeliten, nicht<br />

nur von Paris, son<strong>der</strong>n von überall her, für die menschen-<br />

*) Cercle de la jeunesse catholique du Lnxembonrg'.


— 292 —<br />

fre<strong>und</strong>liche Einrichtung gewonnen waren, <strong>und</strong> <strong>der</strong> alte Baron<br />

James de Rothschild einwilligte, <strong>der</strong> Schatzmeister <strong>des</strong><br />

Zentralausschusses <strong>der</strong> Societe frangaise de secours aus Wesses<br />

<strong>und</strong> eines seiner Mitglie<strong>der</strong> zu werden, womit alle übrigen<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Ausschusses gerne einverstanden waren. Die<br />

Frau Baronin James de Rothschild zeigte viel Herz, ebenso<br />

<strong>der</strong> edle Albert Cohen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schwiegersohn <strong>des</strong> letzteren,<br />

Herr Erneste Hendle, welcher unter <strong>der</strong> Regierung<br />

<strong>der</strong> Defense Nationale Minister <strong>des</strong> Auswärtigen wurde. —<br />

Bei dieser Jahresversammlung <strong>der</strong> Alliance israelite erwähnte<br />

Herr Cremieux in seiner Eröffnungsrede die Thatsache, auch<br />

er habe an einem „glücklichen Tage" etwas für die Menschheit<br />

thun können, als er im Jahre 1848 als Staatsminister<br />

<strong>der</strong> zweiten französischen Republik die Freilassung <strong>der</strong> Sklaven<br />

in den französischen Kolonien verkündigt habe.<br />

Der ehemalige Staatsminister, Herr Guizot, empfing<br />

mich aufs wohlwollendste, als ich ihn gegen Ende <strong>des</strong> Jahres<br />

1862 bat, nicht mein Buch noch meine Person, son<strong>der</strong>n das<br />

im Entstehen begriffene Werk bei seinen Glaubensgenossen<br />

zu empfehlen. Dieser hervorragende Mann erkannte <strong>des</strong>sen<br />

grosse Nützlichkeit <strong>und</strong> baldige Notwendigkeit an. Gleichwohl<br />

konnte er sich nicht enthalten, höchst überflüssiger<br />

Weise unfre<strong>und</strong>liche Worte über den regierenden Herrscher<br />

zu äussern. Dieser unfre<strong>und</strong>liche Zug, dieser Geist <strong>der</strong> Herabsetzung,<br />

diese nur zu oft übel angebrachte Strenge, die er<br />

mit seinen Gesinnungsgenossen teilte, war auch die Ursache,<br />

weshalb <strong>der</strong> geniale, sittenstrenge Mann so unbeliebt war:<br />

in Frankreich sieht man es gerne, wenn die Tugend liebenswürdig,<br />

nachsichtig, wohlwollend <strong>und</strong> in ihren Urteilen duldsam<br />

ist; das System moralischen Drucks nach Augustinerart<br />

wi<strong>der</strong>strebt ihm.<br />

Grosse Teilnahme bezeigte mir einer <strong>der</strong> grössten Männer<br />

<strong>des</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, Herr Ferdinand de Lesseps. Dieser<br />

geniale Schöpfer <strong>des</strong> grossartigsten Werks <strong>der</strong> neueren Zeit<br />

sagte mir, als ich ihm vorgestellt wurde, die liebenswürdigen


— 293<br />

Worte: „Ihre Erfolge, über die ich wohl unterrichtet war,<br />

waren für mich selbst eine Aufmunterung zur Ausdauer." 1 )<br />

Der berühmte Pater Gratry, Priester <strong>des</strong> Oratoriums<br />

in Paris <strong>und</strong> Mitglied <strong>der</strong> französischen Akademie, trat mit<br />

grossem Wohlwollen für das Werk ein, indem er in seinen<br />

Werken Bruchstücke aus <strong>der</strong> Erinnerung an Solferino<br />

anführte, namentlich in seiner Lebensbeschreibung <strong>des</strong> Abbe<br />

Henri Perreyve, eines an<strong>der</strong>n eifrigen, zu früh durch den<br />

Tod entrissenen Freun<strong>des</strong> unserer Sache, eines Mannes von<br />

edlem Herzen <strong>und</strong> hohem Verstand, <strong>der</strong> mehrmals in den bedeutendsten<br />

Kirchen von Paris zu Gunsten <strong>des</strong> „erhabensten<br />

<strong>und</strong> dem Geiste Christi angemessensten Unternehmens allgemeiner<br />

Menschenliebe", wie er es nannte, predigte.<br />

Herr Augustin Cochin veranlasste mich auch den Pater<br />

Hyacinthe aufzusuchen, zu <strong>des</strong>sen Vorträgen in Notre Dame<br />

ganz Paris zusammenströmte, <strong>und</strong> ihn zu bewegen, dass er<br />

von seiner Kanzel in Notre Dame, wo eine zahlreiche männliche<br />

Zuhörerschaft versammelt war, über das Werk redete.<br />

Ich begab mich nach Passy, in ein kleines Karmeliterkloster,<br />

wo Pater Hyacinthe wohnte, <strong>und</strong> meine Bitte wurde von<br />

diesem sehr günstig aufgenommen.<br />

Der Bischof von Orleans, Monseigneur Dupanloup,<br />

hatte mich eingeladen, in Orleans bei ihm zu speisen <strong>und</strong><br />

den Abend im bischöflichen Palaste zuzubringen, wo ein Liebhaberkonzert<br />

zu Gunsten eines wohlthätigen Werkes gegeben<br />

wurde; hiebei hatte <strong>der</strong> edle <strong>und</strong> ritterliche Greis die Liebenswürdigkeit,<br />

mich <strong>der</strong> guten Fürstin Borghese mit den Worten<br />

vorzustellen: „Hier sehen Sie einen Protestanten, für den ich<br />

eifrig Propaganda mache, <strong>und</strong> von dem ich hoffe, dass er Ihre<br />

Unterstützung erlangen wird." Kennzeichnet nicht dieser einzige<br />

Ausspruch die liebenswürdige Natur <strong>des</strong> gelehrten Prä-<br />

Bekanntlich stiess Lesseps 1863 <strong>und</strong> 1864 auf grosse Schwierigkeiten<br />

in Aegypten, die er mit Hilfe Napoleons III. überwand. Der Suezkanal<br />

wirde 1859 in Angriff genommen <strong>und</strong> 1869 nach mancherlei Zwischenfällen<br />

eingeweiht.


— 204 —<br />

laten! Je grösser <strong>und</strong> tiefer die Ueberzeugungen sind, <strong>des</strong>to<br />

weitherziger <strong>und</strong> edelmütiger sind sie auch. Dieser wackere<br />

Mann <strong>und</strong> Jünger Christi besass nicht jene langweilige <strong>und</strong><br />

eisige Tugend, welche die überstrengen Pharisäer <strong>der</strong> neuesten<br />

Zeit als die christliche Tugend predigen, die aber nach dem<br />

treffenden Ausspruch Kenans keineswegs die <strong>der</strong> apostolischen<br />

Zeiten ist.<br />

Gleichfalls in jenen Zeiten wurde die hohe Teilnahme<br />

<strong>des</strong> Grafen von Chambord für das Werk gewonnen. Dieser<br />

König ohne Krone, <strong>der</strong> mehr als je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e es verdient<br />

hätte, dass ein Diadem seine Stirne schmückte, sprach wie<strong>der</strong>holt<br />

<strong>und</strong> mit immer grösserem Nachdruck seine Teilnahme<br />

aus. Aber es ist nicht möglich, alle die wohlwollenden, liebenswürdigen<br />

<strong>und</strong> ermutigenden Worte anzuführen, die ein<br />

Ausfluss <strong>der</strong> innersten Ueberzeugung waren, d. h. nichts Alltägliches<br />

an sich hatten, <strong>und</strong> die es mir drei bis vier Jahre<br />

lang vergönnt war, von einer Menge von Berühmtheiten in<br />

den höchsten Zweigen <strong>des</strong> Wissens, <strong>des</strong> Eangs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Geburt<br />

zu hören. — Verbindliche Worte! wird man sagen. —<br />

Vielleicht; aber warum sollten sie nicht zugleich von Herzen<br />

kommen? Die Menschheit ist zweifellos schlecht, aber Schwarzseherei<br />

<strong>und</strong> Frömmelei sollen sie in ihrer Unfre<strong>und</strong>lichkeit,<br />

Unduldsamkeit <strong>und</strong> Grämlichkeit nicht noch schlechter machen,<br />

als sie wirklich ist. —<br />

„Wer hat das erf<strong>und</strong>en?" fragte ein indischer buddhistischer<br />

Fürst, welchem man die Bedeutung <strong>der</strong> schneeweissen<br />

Fahne mit dem Scharlachkreuz <strong>und</strong> <strong>des</strong> ganzen internationalen<br />

Werks erklärte, <strong>und</strong> fügte bew<strong>und</strong>ernd hinzu: „das ist<br />

doch das Erhabenste, von dem ich jemals in meinem Leben<br />

gehört habe."<br />

Alle protestantischen französischenZeitungen<br />

von allen möglichen Färbungen feierten um die Wette das<br />

Buch, welches den Anstoss zu dem Unternehmen gegeben<br />

hat, das 8—10 Jahre später den Namen „Rotes Kreuz" zu<br />

führen bestimmt war, wenn schon die Bezeichnung „Weisses


— 295 —<br />

Banner mit dem Purpurkreuz" richtiger, aber allerdings zu<br />

lang gewesen wäre. Unter diesen Zeitungen befanden sich<br />

die Esperance, <strong>der</strong> Temoin, Lien, Disciple de<br />

Jesus-Christ, die Archives du Christianisme u. s.w.<br />

— Die jüdischenZeitungen verhielten sich genau ebenso.<br />

Die gesamte holländische Presse seit 1862, <strong>und</strong> später<br />

auch die von London zeigten eine merkwürdige Eingenommenheit<br />

für die Sache. Die Times vom 13. Februar 1864<br />

verherrlichen das internationale Werk für die Verw<strong>und</strong>eten<br />

im Krieg. 1 )<br />

Herr Genty de Bussy, früherer Militärintendant, war mit<br />

Herrn de Riancey einer <strong>der</strong> Redacteure <strong>der</strong> Zeitung Union<br />

geworden <strong>und</strong> verfehlte niemals, in dieser legitimistischen<br />

Zeitung jeden <strong>der</strong> Fortschritte zu verzeichnen, Avelche das<br />

„hochherzige Werk, das eine Ehre für das Menschengeschlecht<br />

ist", wie ein an<strong>der</strong>er Pariser Redacteur sich ebenso hochtrabend<br />

wie wohlwollend ausdrückte <strong>und</strong> die ganze Pariser<br />

Presse mit mehr o<strong>der</strong> weniger Abwechslung es nachsprach,<br />

seit seinem Anfang gemacht hatte.<br />

Wenn wir uns mit scheinbarem Wohlbehagen über diese<br />

Thatsachen verbreiten, so geschieht dies, weil sie, obwohl<br />

anscheinend geringfügig, doch einen europäischen Einfluss<br />

gehabt haben, insofern Paris nolens volens das grosse<br />

Stelldichein <strong>der</strong> europäischen Aristokratie war <strong>und</strong> seine<br />

Presse überall gelesen wurde. Sie war es sehr zu jener Zeit,<br />

<strong>und</strong> es gebührt sich, ihr die Gerechtigkeit zu erweisen, die<br />

sie verdient: die Redacteure <strong>der</strong> grossen politischen Zeitungen<br />

von Paris nahmen damals mit grosser Bereitwilligkeit alles<br />

auf, was über die einzelnen Entwicklungsstufen in <strong>der</strong> fortschreitenden<br />

Verwirklichung <strong>der</strong> in <strong>der</strong> „Erinnerung an<br />

Solferino" ausgesprochenen Gedanken mitgeteilt werden<br />

konnte. Sie baten von selbst um Mitteilung von Einzelheiten<br />

!) Vor allem aber seinen Begrün<strong>der</strong>, den <strong>der</strong> Standard den „Peter<br />

den Einsiedler" <strong>des</strong> nenen Koten <strong>Kreuzes</strong> nennt. (Anm. <strong>des</strong> Heransgebers.)


— 296 —<br />

<strong>und</strong> schrieben ebenso hochherzige wie verständige Artikel<br />

über die Erfolge dieses menschenfre<strong>und</strong>lichen Versuchs.<br />

Da Paris in <strong>der</strong> damaligen weltlichen <strong>und</strong> gebildeten<br />

Gesellschaft Europas den Ton angab, so schien es nötig, dass<br />

es auch die Bemühungen <strong>der</strong> kleinen helvetischen Stadt unterstützte,<br />

wo heute noch so grosse Achtung gegen geistige Arbeit<br />

herrscht <strong>und</strong> so viele Gedanken aufgerührt werden. Die<br />

„ville maitresse pour le bei esprit", wo alle Völker<br />

sich ihr Stelldichein geben <strong>und</strong> in Menge zusammenströmen,<br />

dieses europäische Treibhaus, wo man alles findet, was man<br />

nur wünschen mag, was geeignet ist, die Augen zu bezaubern,<br />

zu fesseln <strong>und</strong> zu entzücken, wo man mehr als irgendwo<br />

sonst den Stolz <strong>des</strong> Lebens, den Prunk <strong>der</strong> Eepräsentation,<br />

alle Herrlichkeiten <strong>der</strong> Welt, den Glanz <strong>des</strong> Keichtums <strong>und</strong><br />

zugleich ein überlegenes geistiges Leben sich entfalten sieht,<br />

diese „Königin <strong>der</strong> Städte", die trotz ihrer blutenden W<strong>und</strong>en,<br />

trotz ihres bitteren Elends solchen Zauber um sich verbreitet<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Geschmack so schnell für ganz Europa<br />

massgebend wird, musste sich unter solchen Umständen notwendig<br />

mit einer ihrem eigenen Antrieb entspringenden K<strong>und</strong>gebung<br />

ihrer Teilnahme bethätigen.<br />

Dieses Wohlwollen <strong>der</strong> Presse hat angehalten <strong>und</strong> sich<br />

beim Beginn <strong>des</strong> Krieges von 1870 sogar sehr lebhaft geäussert.<br />

Es ist nicht ihre Schuld, son<strong>der</strong>n die <strong>der</strong> französischen<br />

Verwaltung jener Zeit, wenn die Konvention nicht<br />

immer geachtet, <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s wenn sie in den französischen<br />

Heeren nicht in gemeinverständlicher Fassung verbreitet worden<br />

ist. Herr Augustm Cochin, Mitglied <strong>des</strong> Instituts, spricht<br />

in einer während <strong>der</strong> Belagerung von Paris selbst veröffentlichten<br />

Broschüre von dem Ges<strong>und</strong>heitsdienst in den Heeren,<br />

von den lauten Klagen <strong>der</strong> Aerzte über die Unzulänglichkeit<br />

ihrer Hilfsmittel auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n, <strong>und</strong> fügt bei: „Ein<br />

Heer von hilfreichen, menschenfre<strong>und</strong>lichen, verständigen<br />

<strong>und</strong> hingebenden Freiwilligen hat sich bei allen gesitteten<br />

Völkern gebildet. Ein solches Ereignis ist wohl <strong>der</strong> Mühe


— 297 —<br />

wert, dass man sich näher damit beschäftigt. Es ist ein<br />

ehrenvolles Blatt in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Menschen, das in<br />

wenigen Jahren mit ganz mo<strong>der</strong>nen Mitteln beschrieben worden<br />

ist, ein Sieg <strong>der</strong> Gerechtigkeit, welcher durch die Mitwirkung<br />

<strong>der</strong> allgemeinen Oeffentlichkeit. errungen worden ist."<br />

— Diese Oeffentlichkeit musste im Anfange <strong>des</strong> Werkes<br />

wohl mitwirken, sonst wäre nie ein solcher Erfolg erreicht<br />

worden.<br />

Dem Professor Saint-Marc Girardin, 1 ) Mitglied <strong>des</strong><br />

französischen Instituts, gebührt das.Verdienst, durch einen<br />

sehr langen mit Citaten angefüllten Artikel im Journal <strong>des</strong><br />

Debats vom 24. Februar 1863 die „Erinnerung an Solferino"<br />

beim grossen Publikum französischer Sprache eingeführt<br />

zu haben. Ich war um so dankbarer dafür, als ich<br />

damals den gelehrten Verfasser gar nicht kannte. Da ich<br />

mich in diesem Augenblick in Paris befand, so war mein<br />

Erstaunen gross, als ich die Wirkung sah, die <strong>der</strong> Artikel<br />

auf die Pariser Gesellschaft hervorgebracht hatte, obwohl<br />

auch die Bewohner meiner Vaterstadt Genf im Laufe <strong>des</strong><br />

Jahres 1862 ausserordentliche Nachsicht hinsichtlich meines<br />

kleinen Buches gezeigt <strong>und</strong> <strong>der</strong> bescheidenen Broschüre einen<br />

so wohlwollenden Empfang bereitet hatten, dass er die massloseste<br />

Eigenliebe vollauf befriedigen konnte. Dieser Artikel<br />

machte in den grossen Mittelpunkten <strong>des</strong> geistigen Lebens<br />

Aufsehen, <strong>und</strong> mehr als drei Jahre nach seiner Veröffentlichung<br />

sagte mir die Königin von Preussen <strong>und</strong> nachmalige<br />

deutsche Kaiserin Augusta: „Ich habe den Artikel <strong>des</strong> Herrn<br />

Saint-Marc Girardin über Ihr Buch mit grossem Interesse<br />

gelesen."<br />

Gleichfalls im Anfang <strong>des</strong> Frühlings 1863 wandte <strong>der</strong><br />

grüsste Romanschriftsteller Englands, Charles Dickens,<br />

aus eigenem Antrieb dem Werke <strong>und</strong> dem Buche seine Gönnerschaft<br />

zu. In seiner von ihm All the Year ro<strong>und</strong><br />

*) Nicht zu verwechseln mit Herrn Emile de Girardin.


— 298 —<br />

getauften Wochenschrift hielt Dickens damals eine <strong>der</strong> zahlreichsten<br />

Zuhörerschaften, welche das britische Eeich stellen<br />

konnte, unter dem Banne seines Talents. Dieser Fürst <strong>der</strong><br />

Litteratur gab seinen Lesern eine nach seiner Art, d. h. sehr<br />

geistreich zusammengestellte Uebersicht über das bescheidene<br />

Werkchen, welches, einfach aus dem Herzen kommend, in<br />

<strong>der</strong> kleinen Stadt an den Ufern <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Sees geschrieben<br />

worden war. Er teilte die vier Hauptabschnitte <strong>der</strong> Erzählung<br />

in Kapitel, denen er folgende Ueberschriften gab:<br />

1. The travelling Amateur. 2. The Orgie of blood.<br />

3. The price of the Orgie. 4. The Amateur's task.<br />

— Ich bekam den Beinamen „<strong>der</strong> Herr in Weiss" o<strong>der</strong><br />

„<strong>der</strong> Mann in Weiss", weil ich während <strong>des</strong> lombardischen<br />

Feldzugs wegen <strong>der</strong> grossen Hitze vollständig weisse Kleidung<br />

getragen <strong>und</strong> die Verw<strong>und</strong>eten in Castiglione mich so<br />

bezeichnet hatten.<br />

Schon vor Dickens hatte Guido Weiss in den von<br />

Berthold Auerbach redigierten „Deutschen Blättern"<br />

(Nr. 41 <strong>des</strong> Jahrgangs 1863) einen meisterhaften Artikel veröffentlicht,<br />

in welchem er einen Vergleich zwischen zwei<br />

Männern anstellt, die von dem grauenvollen Schlachtfelde<br />

von Solferino <strong>und</strong> Castiglione ein sehr verschiedenes Andenken<br />

mit heim nahmen:<br />

„Der Marschall Vaillant, ungeduldig über die lange Pause<br />

zum fünften Akt (einen furchtbaren Gewittersturm) bald nach<br />

<strong>der</strong> Uhr, bald nach den Wolken schauend, stolpert dabei plötzlich<br />

über eine Erinnerung an alte Studien o<strong>der</strong> doch Liebhabereien.<br />

Um ihn verröcheln <strong>und</strong> verenden sie in tausend<br />

entsetzensvollen Gestalten, <strong>und</strong> er redigiert inzwischen, Uhr<br />

<strong>und</strong> Wolke wechselnd im Auge, ein meteorologisches Bulletin,<br />

so gut in seiner Form, so interessant, dass zwei Monate später<br />

<strong>der</strong> glänzendste Applaus <strong>des</strong> Instituts seine Arbeit krönt.<br />

Und wenn den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Vorlesung <strong>des</strong><br />

s ) All the Year ro<strong>und</strong>. A weekly Journal, conducted by Charles<br />

Pickens: 16, Mai 1863, 22. Any. 1863 <strong>und</strong> folgende Nummern.


— 299 —<br />

Herrn Marschalls vielleicht etwas gar zu Eisiges anwehte,<br />

so klatschte er, <strong>der</strong> Schildwachenphilosophie eingedenk, erst<br />

recht; — das machte wie<strong>der</strong> warm.<br />

„Der an<strong>der</strong>e war auch ein Franzose, ein Litterat, wie<br />

es scheint. Da er nicht General, da er nicht Marschall, hatte<br />

er nicht nach oben zu blicken, er sah um sich herum, <strong>und</strong><br />

was Donner <strong>und</strong> Blitz <strong>der</strong> irdischen Herren da auf das<br />

Blachfeld geschrieben, das schrieb sich in sein Herz <strong>und</strong><br />

ward sein Bulletin, <strong>und</strong> Gott lohne es ihm! ,Souvenir<br />

de Solferino' nennt Herr Dunant das Buch, das er ein<br />

Jahr später veröffentlichte. ..."<br />

Yon Zeit zu Zeit üessen sich da <strong>und</strong> dort auch Missklänge<br />

vernehmen. Der Streit mit demünivers von Paris<br />

dauerte ziemlich lang; für ihn war das „<strong>Genfer</strong> Kreuz",<br />

wie man es hiess, ein schwer zu verdauen<strong>der</strong> Brocken. Gleichwohl<br />

gelang es nur nach <strong>der</strong>ben Zusammenstössen, die von<br />

meiner Seite mit grosser Langmut ertragen wurden (ich<br />

schulde mir diese Gerechtigkeit auf die Gefahr hin, denen<br />

Recht zu geben, welche mich anklagen, ich sei voll von<br />

Eigenliebe <strong>und</strong> aufgebläht von Eitelkeit), so bissig auch die<br />

Angriffe dieser berühmten Zeitung gegen die von mir gegründete<br />

Gesellschaft waren, die beiden Herren Veuillot 1 )<br />

schrecklichen Angedenkens zu meinen Fre<strong>und</strong>en zu machen.<br />

Es war kein geringer Erfolg, Rom <strong>und</strong> Genf wenigstens in<br />

einem Punkte versöhnt zu haben. Die dem Ultramontanismus<br />

diametral entgegengesetzten Pariser Blätter, unter an<strong>der</strong>en<br />

die Debats, die Opinion nationale, die mich gleich<br />

von Anfang an unter ihre Fittiche genommen hatten, entzogen<br />

mir darum ihre wohlwollende Gönnerschaft nicht.<br />

Die intellektuellen Kreise zeigten sich für die Sache sehr<br />

eingenommen: <strong>der</strong> Gegenstand war dazu geeignet. Aber<br />

diese Eingenommenheit war in Paris eine Zeit lang so gross,<br />

>) Der ältere seit 1848 oberster Leiter, <strong>der</strong> jüngere Mitarbeiter <strong>des</strong><br />

Univers religieux, <strong>des</strong> Hauptorgans <strong>des</strong> Ultramontanismus. (Anm.<br />

<strong>des</strong> Herausg.)


— 300 —<br />

dass ein Pariser Missionar in Südafrika mich ersuchte, für<br />

den Oberhäuptling <strong>der</strong> Bassutos, den König Moschech, ein<br />

Exemplar <strong>der</strong> „Erinnerung" mit einer Widmung einbinden<br />

zu lassen: er überreichte den Band mit Goldschnitt dem<br />

Miniaturfürsten unter grossem Gepränge vor einer feierlichen<br />

Versammlung, um einem wilden Volksstamm den Gr<strong>und</strong>satz<br />

<strong>der</strong> Liebe zu den Feinden zu erklären, <strong>und</strong> ihm eindringlich<br />

das Gute vorzuhalten, das man jenen erweisen soll, nachdem<br />

man sie halb tot geschlagen hat.<br />

Gottlob <strong>und</strong> zum grossen Glück für mich stieg mir diese<br />

Eingenommenheit <strong>des</strong> Publikums, die zugleich ein Beweis dafür<br />

ist, dass es noch überall edle Herzen giebt, <strong>und</strong> dass die<br />

edeln Gefühle dem menschlichen Herzen natürlicher sind, als<br />

wir gewöhnlich glauben, nicht zu Kopfe. Meine Gedanken<br />

waren zu ausschliesslich mit dem Gelingen <strong>des</strong> Werkes beschäftigt,<br />

als dass ich zur Eigenliebe Zeit gehabt hätte.<br />

Ueberdies lässt wirkliche Begeisterung keine Eigenliebe aufkommen.<br />

Begeisterung aber besass ich sehr viel, <strong>und</strong>, warum<br />

sollte ich es nicht sagen, mein ganzes Leben lang sogar<br />

mehr, als meinem Wohl, meiner Euhe <strong>und</strong> meinem persönlichen<br />

Interesse zuträglich war. Diese Neigung erbte ich<br />

von meiner edeln Mutter, welche die Hingebung selbst <strong>und</strong><br />

immer für alles Gute, Grosse, Edle <strong>und</strong> Hochherzige begeistert<br />

war.<br />

Verleum<strong>der</strong> haben wohl gesagt: „Er hat sich für einen<br />

Helden gehalten, weil er in Solferino gewesen ist <strong>und</strong> dieses<br />

Buch geschrieben hat!" — Nicht im geringsten; nie war eine<br />

Vermutung falscher. Ich bin vielmehr stets von <strong>der</strong> Wahrheit<br />

<strong>des</strong> Ausspruchs in <strong>der</strong> Schrift überzeugt gewesen, dass<br />

Gott oft die schwachen, gewöhnlichen <strong>und</strong> sogar verachteteu<br />

Dinge in <strong>der</strong> Welt wählt, damit niemand sich für seine Person<br />

<strong>des</strong> Guten rühme, das zu vollbringen ihm beschieden war.<br />

Es war dies ein grosses Glück für mich wegen <strong>des</strong> qualvollen<br />

Kummers <strong>und</strong> <strong>der</strong> furchtbaren Schicksalsschläge, die<br />

ich später zu erdulden hatte, <strong>und</strong> die über ein Vierteljahr-


— 301 —<br />

h<strong>und</strong>ert dauerten. — Aber was liegt einem an den Lobeserhebungen<br />

<strong>der</strong> Welt, wenn, man <strong>der</strong> Jünger eines Meisters<br />

ist, <strong>des</strong>sen Geschichte, <strong>des</strong>sen ganzes Leben eine einzige<br />

grosse Schmach gewesen ist! — Kurz, was ich verfolgte, war<br />

etwas ganz an<strong>der</strong>es, als ein persönlicher Erfolg.<br />

Ich habe an mir selbst jenes Elend <strong>des</strong> Pariser Lebens<br />

kennen lernen, von welchem ich in meiner Kindheit <strong>und</strong><br />

Jugend malerische Schil<strong>der</strong>ungen von Romanschriftstellern<br />

gelesen hatte: Schil<strong>der</strong>ungen, welche ich damals als Ausgeburten<br />

<strong>der</strong> Phantasie betrachtete. Auch ich habe, nachdem<br />

das Unglück über mich hereingebrochen war, das allerbescheidenste<br />

Leben geführt <strong>und</strong> alle Arten von Entbehrungen gekostet;<br />

auch ich habe zu denen gehört, die „auf <strong>der</strong> Strasse,<br />

in kleinen Bissen, ein Kreuzerbrot verzehren, das in <strong>der</strong><br />

Tasche verborgen ist", die ihre Klei<strong>der</strong> mit etwas Tinte aufschwärzen<br />

<strong>und</strong> ihrem Hemdkragen mit Kreide nachhelfen, die<br />

einen abgetragenen, schäbigen, zu weit gewordenen Hut mit<br />

Papier füttern, <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Schuhe das Wasser durchlassen;<br />

die in <strong>der</strong> Garküche, wo sie speisen, nichts mehr auf Borg<br />

bekommen, <strong>und</strong> denen man abends bei <strong>der</strong> Heimkehr den<br />

Zimmerschlüssel verweigert, weil sie ihre Miete nicht bezahlen<br />

können; die oft ohne Licht zu Bette gehen, <strong>der</strong>en Feuerung<br />

ihnen mehr Rauch als Wärme verschafft, <strong>und</strong> die sich den<br />

Magen ver<strong>der</strong>ben, weil sie nicht genügend o<strong>der</strong> nichts Ordentliches<br />

zu essen haben. Das Grausamste aber in materieller<br />

Hinsicht ist es vollends für einen zwar sehr einfachen, aber<br />

zartfühlenden Mann, mitansehen zu müssen, wie seine Wäsche<br />

in Fetzen geht, ohne sie erneuern zu können. Zwei Nächte<br />

hintereinan<strong>der</strong> habe icli einmal unter freiem Himmel zubringen<br />

müssen, weil ich für mein (in einem <strong>der</strong> bescheidensten<br />

Viertel von Paris, wo ich drei Jahre wohnte, gelegenes) Zimmer<br />

die Miete nicht bezahlen konnte <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb nicht nach<br />

Hause zu gehen wagte: <strong>und</strong>, um doch etwas auszuruhen <strong>und</strong><br />

schlummern zu können, da ich von Müdigkeit überwältigt<br />

war, blieb mir nichts übrig, als die Wartesäle eines <strong>der</strong>


— 302 —<br />

grossen Bahnhöfe aufzusuchen, die wegen <strong>der</strong> zahlreichen von<br />

<strong>und</strong> nach Paris gehenden Nachtzüge die ganze Nacht offen<br />

standen.<br />

Dort, unter solchen Umständen, lernte ich die Armen<br />

wirklich beklagen. Wenn man nicht selbst das Elend gekostet<br />

hat, so ist es schwer, sich eine richtige Vorstellung<br />

davon zu machen. — In einem solchen Zustand giebt es<br />

tausen<strong>der</strong>lei unbeschreibliche Leiden, die unerträglich werden,<br />

wenn sie Jahre lang dauern, wie es bei mir in Frankreich,<br />

England <strong>und</strong> Deutschland <strong>der</strong> Fall war, beson<strong>der</strong>s unter fortwährenden<br />

Enttäuschungen, mit blutendem Herzen <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>geschlagenem<br />

Geiste, mit dem Bewusstsein, dass man nicht<br />

recht gewürdigt wird, <strong>und</strong> dass Fehler, die von einer unglücklichen<br />

Verkettung von Umständen, von meinem Unglück selbst<br />

<strong>und</strong> von persönlicher Unvorsichtigkeit herrührten, zu strenge<br />

von an<strong>der</strong>n beurteilt werden. Die "VVelt hatte mir in ihrem<br />

grossen Wohlwollen Fähigkeiten beigelegt, die ich nicht besass;<br />

man hatte behauptet, ich sei gewandt, während genau<br />

das Gegenteil <strong>der</strong> Wahrheit entspricht. Ich wurde irregeführt<br />

durch eine glühende Einbildungskraft, eine zu erregbare<br />

Natur <strong>und</strong> einen zu vertrauensseligen Charakter; ich<br />

wurde das Opfer übel angebrachten Vertrauens. Ich hatte<br />

mich in Dinge eingelassen, von denen ein armer Litterat wie<br />

ich nichts o<strong>der</strong> wenig verstand, <strong>und</strong> ich bin betrogen worden.<br />

Ich hatte grausam zu leiden unter den Folgen meiner Einfalt,<br />

meiner Unfähigkeit, meiner Unerfahrenheit <strong>und</strong> Leichtgläubigkeit,<br />

um so mehr, als durch mein eigenes Unglück<br />

an<strong>der</strong>e Personen Verluste erlitten, denen ich nützlich zu sein<br />

gehofft hatte, <strong>und</strong> für die ich recht gerne mein eigenes Blut<br />

gegeben hätte, um sie vor Schaden zu behüten.<br />

Den vorliegenden Denkwürdigkeiten merkt man<br />

wohl die Nie<strong>der</strong>geschlagenheit an, die mehr noch durch meinen<br />

Kummer verursacht ist, als durch das Elend <strong>und</strong> die damit<br />

verb<strong>und</strong>ene fortwährende Qual; denn langer Kummer wirkt<br />

wie Gift. Man möge daher verzeihen, wenn es in diesen


— 303 —<br />

Denkwürdigkeiten 1 ) etwas kreuz <strong>und</strong> quer geht, <strong>und</strong> wenn<br />

sie zu einer persönlichen Chronik geworden sind, für welche<br />

<strong>der</strong> Verfasser um Nachsicht bittet, wenn das unvermeidliche<br />

„ich" viel zu oft wie<strong>der</strong>kehrt.<br />

Gegen Ende <strong>des</strong> Jahres 1863 o<strong>der</strong> anfangs 1864 begab<br />

ich mich, nachdem ich mich dem persischen Gesandten in<br />

Paris, S. Exc. demHirza*) Hassan Ali Khan, hatte im<br />

voraus beson<strong>der</strong>s empfehlen lassen, auf die Gesandtschaft <strong>und</strong><br />

teilte dem Vertreter <strong>des</strong> muhammedanischen Fürsten die Beschlüsse<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konferenz mit, mit <strong>der</strong> gleichzeitigen<br />

Bitte, dem asiatischen Potentaten die Wünsche dieser Versammlung<br />

zu übermitteln. Der fürstliche Gesandte, welcher<br />

die Sache vollständig begriff, erwi<strong>der</strong>te mir im reinsten Französisch:<br />

„Ich glaube, mein Gebieter <strong>der</strong> König würde es weit<br />

lieber sehen, wenn man ihn um die Unterzeichnung eines<br />

Vertrags ersuchte, durch welchen die Fürsten Europas sich<br />

verpflichteten, keinen Krieg mehr zu führen." — Später hatte<br />

ich wie<strong>der</strong> die Ehre, den Fürsten bei einem grossen, von<br />

Lady Burdett Coutts auf ihrem glänzenden Besitztum Holly<br />

Lodge in Highgate veranstalteten Feste zu treffen, ein Jahr<br />

nachdem <strong>der</strong> Schah von Persien geruht hatte, mir in<br />

Buckingham Palace zu versichern, dass er <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

beitreten wolle. Der geistreiche Diplomat beeilte<br />

sich, mir seine herzliche Befriedigung über diesen Beitritt<br />

auszusprechen.<br />

Dieselben Schritte, allerdings ohne Erfolg, wurden bei<br />

den Gesandten <strong>der</strong> Kaiser von Brasilien <strong>und</strong> Mexico<br />

gethan, sowie bei dem kurz zuvor in Paris angekommenen<br />

japanischen Gesandten. Um diese Zeit (1864) hatte<br />

<strong>der</strong> Geschäftsträger <strong>der</strong> Schweizer Eidgenossenschaft, Herr<br />

Doktor Kern, die Güte, meine Unterhandlungen beim Mini-<br />

') Wir veröffentlichen hier vorerst nnr zwei Kapitel <strong>der</strong>selben im<br />

Wortlaut. (Der Herausg.)<br />

*) = Fürst.


— 304 —<br />

sterium <strong>des</strong> Auswärtigen in Paris, durch welche dem Plane<br />

einer diplomatischen Konvention die Wege geebnet werden<br />

sollten, zu erleichtern. Hinsichtlich Japans schrieb mir Herr<br />

Doktor Kern am 4. Mai 1864 folgende Zeilen:<br />

„Ich werde heute die japanischen Gesandten sehen, <strong>und</strong><br />

habe gedacht, es könnte sie auch interessieren, von den<br />

Broschüren über die Nächstenliebe auf dem Schlachtfelde<br />

Kenntnis zu bekommen. Hätten Sie wohl die Güte, dem<br />

Ueberbringer dieses Billets ein Exemplar von je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Broschüren,<br />

<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s auch ein Exemplar von Ihrer Erinnerung<br />

an Solferino' sowie eine Armbinde einzuhändigen?<br />

— Ich bitte Sie um Entschuldigung wegen dieser<br />

Aufdringlichkeit, bin jedoch schon im voraus überzeugt, dass<br />

Sie meine Absicht billigen werden, durch diese gute Gelegenheit<br />

die Kenntnis <strong>der</strong> Absichten <strong>der</strong> Internationalen Konferenz<br />

im Interesse <strong>der</strong> Menschlichkeit bis nach Japan gelangen zu<br />

lassen. Ein auf diesen fernen Boden ausgestreutes Samenkorn<br />

wäre vielleicht nicht verloren."<br />

Herr Kern hat richtig gedacht: das Samenkorn, das in<br />

jenem fernen, so schnell auf dem Wege <strong>der</strong> Zivilisation fortschreitenden<br />

Lande ausgesät worden ist, ist nicht verloren<br />

gegangen, wie man sich aus dem Folgenden überzeugen<br />

kann.<br />

Im Mai 1877 erhielt das japanischeRoteKreuzdie Bestätigung<br />

<strong>der</strong> japanischen Regierung. Noch in demselben Jahre, während <strong>des</strong> grossen<br />

Aufstands <strong>der</strong> Provinz Satsuma, trat es auf bew<strong>und</strong>erungswürdige Weise<br />

in Wirksamkeit, indem es den verw<strong>und</strong>eten Feinden ebenso wie den an<strong>der</strong>n<br />

menschenfre<strong>und</strong>lich zu Hilfe kam. Durch Erlass vom 15. November<br />

1886 verkündigte die japanische Regierang ihren Beitritt zur <strong>Genfer</strong><br />

Konvention. Die Gesellschaft unternahm das Werk ihrer Neugestaltung<br />

mit beson<strong>der</strong>er Unterstützung Ihrer Majestäten <strong>des</strong> Kaisers <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Kaiserin von Japan, welche sie aufs hochherzigste ausstatteten, <strong>und</strong> auch<br />

später sie mit ihren grossartigen Geschenken zu überhäufen fortfahren.<br />

Im Jahre 1892 betrug die Mitglie<strong>der</strong>zahl <strong>des</strong> japanischen <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong><br />

über 28 000; *) seine Einnahmen beliefen sich auf über 353 000 frcs. <strong>und</strong><br />

!) Nach den neuesten Angaben (1896): 300000.


— 305 —<br />

sein Kapital auf 1300 000 frcs. Um dieselbe Zeit besass die Gesellschaft<br />

schon ein sehr schönes Spital in Tokio, das von 18 Aerzten <strong>und</strong> 43<br />

Krankenpflegerinnen bedient war, mit Untemchtssälen für die Krankenpflegerinnen<br />

; über 17 000 Kranke waren daselbst verpflegt worden. Die<br />

Sektionen <strong>und</strong> Bezirksausschüsse <strong>der</strong> Gesellschaft im japanischen Eeiche<br />

sind sehr zahlreich <strong>und</strong> in allen Gegenden <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> verbreitet. Die<br />

Gesellschaft hat mehrmals Gelegenheit gehabt, ihre Thätigkeit zur Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Opfer öffentlicher Notstände zu entfalten. Bei <strong>der</strong> Eruption<br />

<strong>des</strong> Bandaisan im Jahre 1888 schickte sie Aerzte <strong>und</strong> Material ab,<br />

welche vom grössten Nutzen waren. 1890 kam sie <strong>der</strong> Mannschaft eines<br />

türkischen Kriegsschiffes zu Hilfe, welches bei <strong>der</strong> Insel Oschima Schiffbruch<br />

erlitten hatte. Bei dem furchtbaren Erdbeben, welches 1891 die<br />

Provinzen Owari <strong>und</strong> Mino verwüstete, verlor sie nicht einen Augenblick,<br />

um den zahlreichen Opfern zu Hilfe zu kommen. Sie schickte ihre Agenten,<br />

Aerzte, Apotheker <strong>und</strong> Krankenpfleger mit allem notwendigen Material<br />

an Ort <strong>und</strong> Stelle, errichtete ein Spital <strong>und</strong> neun Ambulanzen, die auf<br />

verschiedene Oertlichkeiten verteilt wurden, <strong>und</strong> brachte so mehreren<br />

tausend Opfern Hilfe. 1892 hatten schon 59 Aerzte in Tokio <strong>und</strong> 74 aus<br />

den Provinzen sich verpflichtet, sich im Bedürfnisfall <strong>der</strong> Gesellschaft zur<br />

Verfügung zu stellen. 1894 verfertigten die Kaiserin von Japan <strong>und</strong> ihre<br />

Damen Binden <strong>und</strong> Charpie für die chinesischen ebenso wie für die japanischen<br />

Verw<strong>und</strong>eten. Der japanische Kriegsminister, S. Exc. <strong>der</strong> Graf<br />

Oyama, ein eifriger Fre<strong>und</strong> <strong>des</strong> Werks vom Boten Kreuz, empfahl durch<br />

einen Tagesbefehl den Offizieren <strong>und</strong> Mannschaften <strong>des</strong> Heeres, den chinesischen<br />

Verw<strong>und</strong>eten ebenso zu helfen, wie den japanischen.<br />

Schon vor <strong>der</strong> Zeit, wo <strong>der</strong> Neutralisierungsgedanke in<br />

Berlin <strong>und</strong> Dresden so kräftige Unterstützung fand (folglich<br />

auch vor dem Zusammentritt <strong>der</strong> Internationalen Konferenz),<br />

sowie auch sogleich nach dieser Konferenz, <strong>und</strong> gestützt auf<br />

die von ihr so feierlich ausgesprochenen Wünsche, hatte<br />

ich in Paris mein möglichstes gethan, um Kaiser Napoleon III.<br />

zu bewegen, dem <strong>Genfer</strong> Ausschuss offiziell seine, Mitwirkung<br />

zuzusichern. Diese formelle Versicherung war nötig, um zu<br />

einer internationalen diplomatischen Uebereinkunft gelangen<br />

zu können, welche dazu bestimmt war, die Verwirklichung<br />

dieser Wünsche zu erleichtern. Den Ausschlag gab General<br />

Dufour durch einen Brief an den Kaiser, in welchem er meine<br />

Schritte warm befürwortete.<br />

20


— 306 —<br />

Die glücklichen beifälligen Worte S. Majestät <strong>des</strong> Königs<br />

von Sachsen — welchem ich, dank seinem erlauchten<br />

Wohlwollen, mit einer Begeisterung <strong>und</strong> Lebhaftigkeit, die<br />

ihm nicht missfielen, die Notwendigkeit einer diplomatischen<br />

Uebereinkunft zwischen den Fürsten Europas zum Schutz <strong>der</strong><br />

verw<strong>und</strong>eten Militärpersonen <strong>und</strong> ihrer Pfleger hatte auseinan<strong>der</strong>setzen<br />

dürfen — hatten lebhaften Anklang gef<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> in den höchsten Schichten <strong>der</strong> verschiedenen Hauptstädte<br />

Europas die Meinung über diesen Gegenstand vorbereitet.<br />

Das <strong>Genfer</strong> Komite teilte nunmehr einstimmig meine<br />

Neutralisierungsgedanken. Der Vorsitzende <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft, HerrMoynier, entfaltete eine lobenswerte<br />

wirksame Thätigkeit durch ein von dem Ausschuss —<br />

<strong>der</strong> jetzt zum „internationalen Ausschuss" geworden war —<br />

genehmigtes <strong>und</strong> unterzeichnetes R<strong>und</strong>schreiben. Da man<br />

sich jedoch nicht leichtsinnig in eine so ernste Angelegenheit,<br />

wie die Zusammenberufung eines Kongresses zum Zweck <strong>der</strong><br />

Verwirklichung <strong>der</strong> auf die Neutralisierung gerichteten Wünsche<br />

stürzen durfte, so übernahm ich den Aufklärungsdienst. Nachdem<br />

einmal <strong>der</strong> Boden ausgeforscht <strong>und</strong> günstig bef<strong>und</strong>en,<br />

<strong>und</strong> das Versprechen Napoleons III., 1 ) mich mit seinem Minister<br />

<strong>des</strong> Auswärtigen in Verbindung zu setzen, gegeben<br />

war, so verlief alles, was sich auf diese Verwirklichung<br />

bezog, mit w<strong>und</strong>erbarer Schnelligkeit. Die Arbeit behufs<br />

Gründung <strong>der</strong> europäischen Ausschüsse <strong>und</strong> diejenige behufs<br />

Verwirklichung <strong>der</strong> Neutralisierung liefen nebeneinan<strong>der</strong> her,<br />

unterstützten <strong>und</strong> for<strong>der</strong>ten sich gegenseitig.<br />

Doch kommen wir wie<strong>der</strong> auf die französische Hilfsgesellschaft<br />

für die verw<strong>und</strong>eten Militärpersonen<br />

zurück.<br />

Als am 25. Juni 1865 Napoleon III. eine Deputation<br />

<strong>des</strong> Ausschusses <strong>der</strong> Gesellschaft im Tuilerienpalaste in Privat-<br />

') Briefe vom Kabinett <strong>des</strong> Kaisers, aaf Befehl Napoleons, vom<br />

21. Dezember 1863 and 19. Februar 1864.


— 307 —<br />

audienz zu empfangen geruhte, befand sich ihr Vorsitzen<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> Divisionsgeneral Herzog de Fezensac, in Begleitung<br />

mehrerer Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, namentlich <strong>des</strong> Generals<br />

Le Boeuf, <strong>des</strong> Generals de Chabaud-la - Tour, <strong>des</strong><br />

Grafen de Lyonne, <strong>des</strong> Grafen Serurier <strong>und</strong> <strong>der</strong> Herren<br />

Theodore Vernes, Emile Le Camus 1 ) <strong>und</strong> Henry<br />

Dunant. Nachdem <strong>der</strong> Kaiser die Deputation aufs gnädigste<br />

empfangen hatte, geruhte er den Urheber <strong>und</strong> ersten Verwirklicher<br />

<strong>des</strong> Werks auszuzeichnen <strong>und</strong> ihm wohlwollend<br />

seine Anerkennung auszusprechen, <strong>und</strong> unterhielt sich sodann<br />

mit lebhaftem Interesse über die Lage <strong>der</strong> Gesellschaft, ihre<br />

Einrichtung <strong>und</strong> die Mittel ihrer Weiterentwicklung. Der<br />

Kaiser dankte den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gesellschaft in den wohlwollendsten<br />

<strong>und</strong> schmeichelhaftesten Ausdrücken dafür, dass<br />

sie die Grösse <strong>des</strong> Gedankens <strong>der</strong> Neutralisierung <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

Militärpersonen begriffen hätten. 2 ) Er gab seiner<br />

lebhaften Befriedigung Ausdruck, als er erfuhr, dass auf<br />

<strong>der</strong> Ausstellung von 1867 <strong>der</strong> französischen Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> den Gesellschaften aus allen Teilen <strong>der</strong> Welt<br />

ein aussergewöhnlicher <strong>und</strong> wichtiger Platz eingeräumt werden<br />

würde, <strong>und</strong> geruhte sich bei <strong>der</strong> Gesellschaft einzuzeichnen.<br />

Der Marschall Randon nahm endlich den Titel eines<br />

Ehrenpräsidenten <strong>der</strong> französischen Hilfsgesellschaft für verw<strong>und</strong>ete<br />

Militärpersonen an. An <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Abordnung,<br />

die sich im Namen <strong>des</strong> Ausschusses zu ihm begab, um ihm<br />

zu danken, stand gleichfalls <strong>der</strong> Nestor <strong>der</strong> französischen<br />

Generäle, <strong>der</strong> Veteran aus den Kriegen <strong>des</strong> Kaiserreichs, <strong>der</strong><br />

edle Geschichtschreiber <strong>des</strong> Feldzugs von 1812, 3 ) ein wahres<br />

Muster ritterlicher Artigkeit, <strong>der</strong> Abkömmling <strong>der</strong> Herzoge<br />

<strong>der</strong> Gascogne, <strong>der</strong> Schwiegersohn <strong>des</strong> Kriegsministers Na-<br />

*) Später Graf Le Camus.<br />

*) Bulletin de la Society de secours aux blesses militaires,<br />

aout 1865.<br />

3 ) Souvenirs militaires de 1804 1812.


— 308 —<br />

poleons I., Clarke Herzogs von Feltre, mit einem Wort <strong>der</strong><br />

Divisionsgeneral de Montesquiou Fezensac, Herzog<br />

von Fezensac. — Der Marschall Randon, <strong>der</strong> sich an dem<br />

fraglichen Tag in seinem Arbeitszimmer auf dem Kriegsministerium<br />

befand, fahr die Abordnung <strong>und</strong> ihren ehrwürdigen<br />

Vorsitzenden mit folgenden Worten an: „Ich hoffe,<br />

dass Sie nichts mit den Leuten, in Genf zu schaffen haben,<br />

welche sich in Sachen mengen, die sie nichts angehen!" —<br />

Ich wohnte dieser Audienz beim Rriegsminister an, unter<br />

den an<strong>der</strong>n Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Abordnung stehend <strong>und</strong> stumm,<br />

aber keineswegs überrascht über diesen Angriff <strong>des</strong> Marschalls,<br />

<strong>der</strong> nichts von meiner Anwesenheit wusste, o<strong>der</strong> sich wenigstens<br />

so stellte, <strong>und</strong> <strong>der</strong> auch weiterhin seiner schlechten<br />

Laune Luft machte, indem er gegen „einen Herrn Dunant"<br />

loszog, „einen Schweizer, <strong>der</strong> sich herausnehme, die französische<br />

Verwaltung zu kritisieren ..." u. s. w. — Dies<br />

wirkte wie ein kalter Wasserstrahl; niemand antwortete, <strong>und</strong><br />

die Abordnung zog sich, wenig von dieser Zusammenkunft<br />

erbaut, ich aber tief ergriffen zurück. 1 )<br />

Einige Zeit nachher fand eine allgemeine Jahresversammlung<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Verwaltungsausschusses, <strong>des</strong> Gesellschaftsrats,<br />

<strong>des</strong> Sekretariats <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ehrenvizepräsidenten<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft statt. Die Sitzung wurde in <strong>der</strong> rue de<br />

Londres, im Empfangssaal <strong>des</strong> Verwaltungsrats <strong>der</strong> Eisenbahnlinie<br />

Orleans, welchen einer <strong>der</strong> Vizepräsideuten <strong>des</strong><br />

Ausschusses, Herr Bartholony Vater, abermals für diesen<br />

Anlass zur Verfügung gestellt hatte, abgehalten. Dieser<br />

Sitzung wohnte <strong>der</strong> Schweizer Bun<strong>des</strong>oberst E d m o n d<br />

!) Wäre die Feindseligkeit <strong>des</strong> Marschalls rein persönlich gewesen,<br />

so hätte ich diese Thatsache hier nicht erwähnt. — Beeilen wir uns<br />

jedoch, beizufügen, dass <strong>der</strong> Marschall Graf Kandon, welcher während<br />

<strong>der</strong> düstersten Zeit <strong>des</strong> deutsch-französischen Kriegs in Genf starb, dem<br />

internationalen Werke, welches er zuerst herabgesetzt hatte, <strong>und</strong> welches<br />

seinem Lande doch so grosse Dienste erwies, zuletzt volle Gerechtigkeit<br />

wi<strong>der</strong>fahren liess.


— ;>09 —<br />

Favre, 1 ) ein <strong>der</strong> höchsten <strong>Genfer</strong> Aristokratie angeliöriger<br />

vollkommener gentleman, bei. Ich stellte ihn dem Präsidenten,<br />

Herzog von Fezensac, vor, welcher ihn fre<strong>und</strong>lich empfing<br />

<strong>und</strong>, sich wohlwollend gegen mich wendend, zu ihm<br />

sagte: „Was von Genf kommt, ist uns alles sehr teuer!"<br />

Beim Ausbruch <strong>des</strong> Kriegs zwischen Preussen<br />

<strong>und</strong> 0estreich bat ich den verehrungswiirdigen Präsidenten,<br />

er möchte bei dem französischen Gesandten in Wien,<br />

dem Herzog von Gramont, Schritte thun, damit dieser<br />

von Oestreich seinen endlichen Beitritt zur Konvention zu<br />

erlangen suche. Der Gesandte beeilte sich, <strong>der</strong> Bitte <strong>des</strong><br />

alten Generals zu willfahren, <strong>und</strong> Oestreich erklärte auch endlich<br />

seinen Beitritt. Da in dem genannten Krieg das Königreich<br />

Württemberg auf Seiten Oestreichs stand, so schrieb ich<br />

um dieselbe Zeit <strong>und</strong> zu demselben Zweck an Ihre Majestät<br />

die Königin Olga, welche gnädigst geruhte, sich gleichfalls<br />

mit dieser beson<strong>der</strong>en Frage <strong>der</strong> Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit,<br />

<strong>der</strong> sie lebhafte Teilnahme entgegenbrachte, zu beschäftigen.<br />

Um alles zusammenzufassen, so hatte ich bei <strong>der</strong> Gründung<br />

<strong>des</strong> französischen Ausschusses das Glück, Männer von<br />

Herz <strong>und</strong> von hoher Abkunft zu treffen, welche von jener<br />

französischen Höflichkeit <strong>und</strong> Artigkeit beseelt waren, die in<br />

<strong>der</strong> Welt unter wohlerzogenen Leuten so grossen Zauber<br />

ausüben <strong>und</strong> so hohen Wert besitzen. „Dieser Ausschuss<br />

schloss," wie einer seiner Vizepräsidenten, <strong>der</strong>.Vicomte de<br />

Melun, 2 ) bemerkt, „die massgebendsten <strong>und</strong> berühmtesten<br />

Grössen in sich, welche sich im Heer, in <strong>der</strong> Marine, in <strong>der</strong><br />

Verwaltung <strong>und</strong> im Lande befanden."<br />

We<strong>der</strong> in <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" 3 ) noch<br />

1) Verfasser mehrerer militärischer Werke, unter an<strong>der</strong>en <strong>des</strong> schönen<br />

Buchs: L'armee prusienne et les manoeuvres de Cologne<br />

en 1861.<br />

2 ) Bericht vom 1. Angnst 1870. Der Vieomte de Melun war<br />

Präsident <strong>der</strong> Societe catholique d'Economie charitable, in Paris.<br />

3 ) Die „Erinnerung an Solferino" wurde von dem kaiser-


— 310 —<br />

in meinen späteren Veröffentlichungen über das Werk habe<br />

ich die französische Verwaltung kritisiert, <strong>und</strong> es ist mir von<br />

Wert, dies hier zu wie<strong>der</strong>holen. Ganz im Gegenteil habe<br />

ich in allem gerecht zu sein gesucht; nicht nur habe ich<br />

Seiner Kaiserlichen <strong>und</strong> Königlichen Apostolischen Majestät<br />

<strong>und</strong> seinem tapferen Heere') meine Huldigung dargebracht,<br />

wie ich dies unparteiisch hinsichtlich <strong>der</strong> Verbündeten gethan<br />

hatte, son<strong>der</strong>n ausserdem befand sich in den ersten Ausgaben<br />

meines Buchs folgende Anmerkung, die (wie die übrigen Anmerkungen)<br />

in den folgenden Ausgaben weggelassen wurde:<br />

„Ich muss die gute Einrichtung <strong>des</strong> französischen Heeres<br />

vom humanitären Standpunkt aus erwähnen, die ganz beson<strong>der</strong>s<br />

S. Exc. dem Kriegsminister Marschall Randon, dem Chef<br />

<strong>des</strong> Generalstabs im italienischen Heere, Marschall Vaillant,<br />

<strong>und</strong> dem Generalstabsoffizier General de Martimprey zu verdanken<br />

ist."<br />

Was den kaiserlichen Hausminister Marschall Vaillant,<br />

einen unerschrockenen Kriegsmann <strong>und</strong> hervorragenden<br />

Gelehrten betrifft, so erklärte er auf die Bitte eines <strong>der</strong><br />

ehrenwertesten Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> im Entstehen begriffenen Ausschusses,<br />

er möchte <strong>der</strong> jungen Gesellschaft seine Gönnerschaft<br />

zuwenden, brieflich <strong>und</strong> amtlich, er wolle nichts davon<br />

wissen, er bedaure, dass die Zeiten vorüber seien, wo man<br />

die eroberten Städte verbrannte, die gefangenen Besatzungen<br />

über die Klinge springen liess, die Verw<strong>und</strong>eten vollends<br />

nie<strong>der</strong>metzelte u. s. w. Dem so hoch gestellten alten Mann<br />

lag sogar daran, dass seine Meinung, die er sich zur Ehre<br />

anrechnete, bekannt würde. Da das Benehmen <strong>der</strong> Hohen<br />

aber einen grossen Einfluss auf das <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>en ausübt, so<br />

steckte diese Feindseligkeit ganz natürlich auch die nie<strong>der</strong>en<br />

liehen Leibarzt Baron Dr. Larrey in <strong>der</strong> Sitzung' vom 10. März 1863<br />

<strong>der</strong> Aeademie de Medecine in Paris überreicht.<br />

*) In diesem Heere befand sich bei Solferino Baron Dr. Mnndy,<br />

ein Maiin von ausgezeichnetem Herzen, einer <strong>der</strong> ersten Pioniere für das<br />

Werk in Oestreich.


- 311 —<br />

Kreise <strong>der</strong> Verwaltung an. So hielt z. B. im Jahre 1868<br />

ein gewisser Generalarzt Legouest einen öffentlichen Vortrag<br />

über den Ges<strong>und</strong>heitsdienst im Felde, in welchem er<br />

mit Bezug auf die Vorschläge <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino"<br />

sagte: „aufgestellt auf Gr<strong>und</strong> von Uebertreibungen, welche<br />

für die Verwaltungen aller Militärmächte verletzend waren,<br />

fand dieser Vorschlag gleich anfangs nur mittelmässige Aufnahme<br />

. . ."! Und das heisst man Geschichte schreiben! 1 )<br />

Heute ist es im Gegenteil erwiesen, dass nicht eine Spur von<br />

Uebertreibung mit unterlief. Aber wir wollen nicht murren,<br />

son<strong>der</strong>n uns daran erinnern, dass <strong>der</strong> gute Abbe de Saint-<br />

Pierre wegen einiger Kritiken, die er an <strong>der</strong> Verwaltung<br />

übte, aus <strong>der</strong> Akademie ausgestossen wurde, obwohl er damit<br />

nur das allgemeine Beste wollte. Es ist nur zu wahr,<br />

dass kleinliche Seelen an<strong>der</strong>e mit dem Massstab ihrer eigenen<br />

Kleinheit messen.<br />

Gleichwohl hatte diese böswillige Feindseligkeit, die man<br />

in gewissen Kreisen immer auf mich zurückleitete, im Jahre<br />

1868 noch kein Ende genommen. Der Titel eines „Begrün<strong>der</strong>s",<br />

den man mir überall beilegte, hatte auch seine Unannehmlichkeiten,<br />

denn es könnte noch eine Menge an<strong>der</strong>er<br />

Thatsachen angeführt werden, die noch unangenehmer waren,<br />

als die oben erwähnte. Und doch zählten zu <strong>der</strong> Zeit, wo<br />

dieser Vortrag gehalten wurde, die Län<strong>der</strong>, auf welche die<br />

Thätigkeit <strong>der</strong> in <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" verlangten,<br />

von den Beschlüssen <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong> Kongresses gefor<strong>der</strong>ten <strong>und</strong><br />

schon in jener weit zurückliegenden Zeit gegründeten Ausschüsse<br />

sich erstreckte, eine Bevölkerung von r<strong>und</strong> zweih<strong>und</strong>ert<br />

Millionen Seelen. 8 )<br />

Je<strong>der</strong>mann, <strong>der</strong> etwas Bestehen<strong>des</strong> abzuän<strong>der</strong>n sucht,<br />

selbst wenn er damit eine Verbesserung bezweckt, wird von<br />

!) Dieser Vortrag wurde gedruckt lind beim Publikum verbreitet.<br />

Der Verfasser lässt sich dabei verschiedenerlei Irrtümer zu Schulden<br />

kommen, <strong>der</strong>en Aufzählung hier zu viel Zeit beanspruchen würde.<br />

2 ) Nach einer Denkschrift <strong>des</strong> Herrn Moynier vom 20. Juni 1868.


— 312 —<br />

den am alten Schlendrian hängenden Verwaltungen als gefährlich<br />

betrachtet; man ärgert sich über seine Kühnheit,<br />

<strong>und</strong> die, welche Missbräuchen ein Ende zu machen suchen<br />

<strong>und</strong> sie bekämpfen, setzen sich Feindschaften aus, welche<br />

kein Verzeihen kennen. Das ist übrigens das Schicksal aller<br />

edlen Unternehmungen, die ihrem Jahrh<strong>und</strong>ert vorauseilen:<br />

<strong>der</strong> übelwollende grosse Haufen macht ihnen nicht nur einen<br />

Vorwurf aus ihrer Vermessenheit, son<strong>der</strong>n verunglimpft sie<br />

aufs schmählichste, <strong>und</strong> fast überall lassen Neid <strong>und</strong> Eifersucht<br />

den schlimmsten Verdächtigungen gegen sie freien Lauf,<br />

denn die wahren Beweggründe menschenfre<strong>und</strong>licher Handlungen<br />

entziehen sich ziemlich allgemein dem Begriffsvermögen<br />

<strong>der</strong> Dummen.<br />

Während eines Aufenthalts in Algier, im Mai 1865,<br />

wurde ich von <strong>der</strong> Frau Marschall deMac-Mahon, Herzogin<br />

von Magenta, zu einem Empfang eingeladen, welchen <strong>der</strong><br />

Generalgouverneur von Algerien, <strong>der</strong>Herzog von Magenta,<br />

zu Ehren <strong>des</strong> Kaisers Napoleon HI. veranstaltete, <strong>der</strong> seiner<br />

afrikanischen Hauptstadt einen Besuch abstattete. Der Empfang<br />

war wahrhaft fürstlich, <strong>und</strong> die herrliche Villa <strong>des</strong><br />

Generalgouverneurs, die einstige Sommerresidenz <strong>des</strong> Deys<br />

von Algier, glänzte mit Einbruch <strong>der</strong> Naclit in Tausenden<br />

von Lichtern aller Art <strong>und</strong> in bengalischem Feuer, welches<br />

die feinen maurischen Skulpturen an den weissen Marmorgalerien<br />

<strong>des</strong> prunkhaften Wohnsitzes feenhaft beleuchtete.<br />

Diese aus Stein gehauenen Spitzen, <strong>der</strong> feinsten Venezianer<br />

Ware vergleichbar, Messen die mit zierlichen Mosaiken geschmückten<br />

Arkaden noch mehr hervortreten; Alleen von<br />

Orangenbäumen führten auf die letzteren zu <strong>und</strong> umschlossen<br />

zahlreiche laufende Brunnen, an welchen zahme Gazellen zur<br />

Tränke gingen. Von den anmutig übereinan<strong>der</strong> liegenden<br />

<strong>und</strong> staffelförmig aufsteigenden Terrassen dieses orientalischen<br />

Palastes, <strong>der</strong> von duftenden <strong>und</strong> von den seltensten Erzeug-


- sia<br />

nissen einer w<strong>und</strong>erbaren Vegetation strotzenden Gärten umgeben<br />

war, erstreckte sich die Aussicht in jener schönen<br />

Maiennacht nah <strong>und</strong> fern über die malerischen Hügel <strong>der</strong><br />

Umgegend, über das Meer <strong>und</strong> über die Rhede, die mit ihren<br />

zahlreichen beflaggten <strong>und</strong> beleuchteten Schiffen, darunter französischen,<br />

englischen <strong>und</strong> italienischen Kriegsschiffen, die ganz<br />

beson<strong>der</strong>s wegen <strong>der</strong> Anwesenheit <strong>des</strong> Herrschers in Algier<br />

erschienen waren, um ihm ihre Ehrenbezeigungen darzubringen,<br />

ein grossartiges Schauspiel bot.<br />

In den grossen Empfangssälen konnte man neben allerlei<br />

glänzenden Uniformen die reichen Trachten <strong>der</strong> mächtigsten<br />

arabischen Häuptlinge Algiers sehen, die sich von weit her<br />

am Sitz <strong>der</strong> Regierung eingef<strong>und</strong>en hatten, um dem Kaiser<br />

ihre Huldigungen darzubringen.<br />

Frau de Mac-Mahon, die edle Abkömmlingin <strong>der</strong><br />

Herzoge von Castries, empfing je<strong>der</strong>mann wohlwollend <strong>und</strong><br />

mit bezaubern<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>lichkeit, aber sie zog jede ernsthafte<br />

Unterhaltung dem wahrhaft kaiserlichen Glänze <strong>und</strong><br />

Prunke dieses Festes vor. Von einer mit ihr verwandten<br />

englischen Dame begleitet, hatte sie die Güte, sich lange<br />

mit mir über das Werk zu Gunsten <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten Krieger<br />

zu unterhalten, <strong>des</strong>sen Yorsitzende sie später in Frankreich<br />

werden sollte. 1 ) Um das Werk, für welches sie so grosse<br />

Teilnahme hegte, zu ehren, geruhte sie, mit <strong>der</strong> ihr eigentümlichen<br />

liebenswürdigen Güte, in Gegenwart <strong>des</strong> sie umgebenden<br />

Kreises von Damen zu mir zu sagen: „Ich bin eine<br />

Ihrer Jüngerinnen, Herr Dunant." — Sehr angelegentlich<br />

erk<strong>und</strong>igte sie sich nach den während <strong>des</strong> letzten Jahres<br />

gemachten Fortschritten <strong>und</strong> versicherte mich <strong>der</strong> lebhaften<br />

Teilnahme <strong>des</strong> Marschalls für alles, was eine so grossartige<br />

<strong>und</strong> zugleich so ausgesprochen menschenfre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong> christliche<br />

Einrichtung betreffe, die er zu würdigen verstehe <strong>und</strong><br />

vermöge. Die Namen von Miss Nightingale <strong>und</strong> Miss<br />

J ) Seit dem Tode <strong>des</strong> Marschalls ist die Frau Herzogin Ehreii-<br />

präsidentin.


— 314 -<br />

Stanley kehrten mehrmals in ihrer Unterhaltung wie<strong>der</strong>,<br />

<strong>und</strong> die Verwandte <strong>der</strong> Frau Marschall erinnerte an das englische<br />

Sprichwort: „Eine einzige Krankenpflegerin ist mehr<br />

wert als zwanzig Krankenpfleger." — Diese beiden einfachen<br />

Englän<strong>der</strong>innen haben in <strong>der</strong> Krim mehr für das englische<br />

Heer gethan, als die ganze britische Verwaltung! 1 )<br />

Der Kaiser Napoleon unterhielt sich, wie er dies<br />

schon früher in seiner europäischen Hauptstadt gethan hatte,<br />

wohlwollend <strong>und</strong> ungezwungen über den internationalen Erfolg<br />

<strong>und</strong> die Fortschritte <strong>der</strong> Einrichtung, die er selbst so<br />

wirksam unterstützt hatte. Auch auf ihn hatten die Leiden<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten bei Solferino tiefen Eindruck gemacht, wie<br />

seinerzeit auf Napoleon I. das Schlachtfeld bei Eylau. Er<br />

wünschte, Gutes zu thun; daher hatte auch unser Gedanke<br />

einer Art internationalen Turniers <strong>der</strong> Menschenliebe <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Wohlthätigkeit seine lebhafte Teilnahme geweckt. Unter<br />

einem verschlossenen <strong>und</strong> gefühllosen Aeusseren barg er eine<br />

edle Seite <strong>und</strong> besass in hohem Masse das Gefühl seiner<br />

Verantwortlichkeit. Es ist recht traurig, dass er nicht besser<br />

verstanden <strong>und</strong> unterstützt wurde. Wäre dies <strong>der</strong> Fall gewesen,<br />

so hätte er möglicherweise einige <strong>der</strong> reformatorischen<br />

<strong>und</strong> friedliebenden sozialen Utopien verwirklichen können,<br />

von denen sein Kopf erfüllt war: Utopien, <strong>der</strong>en Verwirklichung<br />

vielleicht auch den schrecklichen <strong>und</strong> verlustreichen<br />

Krieg hätte verhin<strong>der</strong>n können, <strong>der</strong> seiner Herrschaft 'ein<br />

Ende machte.<br />

Jetzt ist <strong>der</strong> Herzog von Magenta tot, <strong>und</strong> wir<br />

können daher hier die Lobrede wie<strong>der</strong>geben, welche eines<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> tariflichen Familie Orleans, <strong>der</strong> Ehre <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> Kuhmes Frankreichs, ein Prinz, <strong>der</strong> den Marschall so<br />

würdig im Vorsitz <strong>der</strong> französischen Hilfsgesellschaft für verw<strong>und</strong>ete<br />

Krieger ersetzt hat, ein aufgeklärter <strong>und</strong> edeldenken-<br />

Krimkriegs.<br />

x ) Nach den Erhebungen <strong>der</strong> Kommission von Chelsea während <strong>des</strong>


— 315 —<br />

• <strong>der</strong> Gelehrter, ein hervorragen<strong>der</strong> Schriftsteller, <strong>der</strong> es verstanden<br />

hat, „den Kultus <strong>der</strong> Macht, die Instinkte <strong>der</strong> Gewalttätigkeit<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> Hasses, Roheit <strong>und</strong> Ränkesucht, Angeberei<br />

<strong>und</strong> Verleumdung <strong>und</strong> die Barbarei <strong>der</strong> gegen die<br />

Intelligenz empörten Masse" 1 ) so kräftig zu brandmarken,<br />

— mit einem Wort, <strong>der</strong> General Herzog von Au male<br />

auf ihn gehalten hat. Nach einer Erinnerung an die Bedeutung<br />

<strong>des</strong> heldenmütigen Soldaten, <strong>der</strong> aus Liebe zum Soldaten<br />

den Vorsitz unseres Werks während <strong>der</strong> letzten Jahre<br />

seines ruhmvollen Lebens übernommen hatte, fügt das fürstliche<br />

Mitglied <strong>der</strong> französischen Akademie folgende rührende<br />

Huldigung hinzu:<br />

„Die Stimme <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> hat zu Ehren <strong>des</strong> Mannes, soweit<br />

er <strong>der</strong> Oeffentlichkeit angehört, alle üblichen Lobessprüche<br />

erschöpft. Aber •vielleicht hat sie nicht genug gesagt<br />

über seine seltenen Tugenden als Privatmann, über seine bew<strong>und</strong>erungswürdige<br />

Güte, seine entzückende Einfachheit, seine<br />

Bescheidenheit, die noch grösser war als sein Verdienst, sein<br />

Pflichtgefühl in den unbedeutendsten Dingen. Niemand hat<br />

das besser beurteilen können, als Ihre Ratsversammlung<br />

während <strong>der</strong> sieben Jahre, während welcher <strong>der</strong> Marschall<br />

ihre Arbeiten geleitet hat.<br />

„Vom Tag seines Amtsantritts an bis zu den allerletzten<br />

Tagen, wo Krankheit seine Kraft brach, giebt es keine wichtige<br />

o<strong>der</strong> unwichtige Angelegenheit, die er seiner Prüfung<br />

für unwürdig gehalten hätte. Er war bei allen Sitzungen<br />

<strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> erschien, <strong>und</strong> zur Zeit <strong>der</strong> Ferien kam es nicht<br />

selten vor, dass <strong>der</strong> Herr Marschall mit seinen achtzig Jahren<br />

<strong>und</strong> darüber von seinem entlegensten Erholungsplätzchen hiehereilte,<br />

um bei einer einstündigen Beratung den Vorsitz zu<br />

führen. Er hatte am selben Tag h<strong>und</strong>ert St<strong>und</strong>en zurückgelegt,<br />

<strong>und</strong> Gott weiss mit welcher Langmut!<br />

„Je<strong>der</strong> von uns wird sich immer gerne an dieses würdige<br />

*) Revne <strong>des</strong> denx mon<strong>des</strong>, 1 fevrier 1883.


31(5 —<br />

lind lächelnde Gesicht erinnern, in welchem seine hochherzige<br />

<strong>und</strong> ritterliche Seele, seine stolze Gestalt <strong>und</strong> all die äusseren<br />

Zeichen eines vor allen an<strong>der</strong>en bevorzugten Alters, die nach<br />

dem Schlüsse Ihrer Jahresfeierlichkeiten gewöhnlich von den<br />

achtungsvollen Zurufen <strong>der</strong> Menge begriisst wurden, sich<br />

wie<strong>der</strong>spiegelten.<br />

„Geehrt <strong>und</strong> gewachsen durch ihn, segnet die französische<br />

Hilfsgesellschaft für verw<strong>und</strong>ete Krieger sein Gedächtnis,<br />

<strong>und</strong> das allgemeine Eote Kreuz wird an <strong>der</strong> Spitze seiner<br />

Annalen, in <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Beihe <strong>der</strong> Männer, <strong>der</strong>en Gönnerschaft<br />

ihm die besten Dienste geleistet hat, den verehrten<br />

Namen <strong>des</strong> Marschalls Mac-Mahon verzeichnen."<br />

Mehr kann man gewiss nicht sagen! In<strong>des</strong>, obwohl ich<br />

nur ein armer Mann bin, <strong>der</strong> sich selbst überlebt hat, vergessen,<br />

zu Gr<strong>und</strong>e gerichtet <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gegenwart fast unbekannt,<br />

so muss ich doch als Urheber dies „allgemeinen Werks",<br />

das von Seiner Königlichen Hoheit erwähnt wurde, hinzufügen,<br />

dass die herzliche Teilnahme, welche <strong>der</strong> Marschall Mac-<br />

Mahon (bei meiner Unterredung mit ihm am 28. Juni 1859<br />

in Borghetto auf dem noch blutigen Schlachtfeld) zeigte, in<br />

Wirklichkeit die erste Ermutigung war, welche die im Entstehen<br />

begriffenen, wenngleich noch nicht fest gestalteten Gedanken<br />

internationaler, durch eine Uebereinkunft zwischen<br />

den Kriegführenden bestätigter freiwilliger Hilfeleistungen<br />

fanden.<br />

Ein hervorragen<strong>der</strong> Eedner <strong>und</strong> hochherziger Mann, <strong>der</strong><br />

Abbe Broye, erwähnt in einer Lobrede 1 ) auf den Mann,<br />

<strong>der</strong> acht Jahre lang Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> französischen Koten<br />

<strong>Kreuzes</strong> war, hinsichtlich <strong>des</strong> berühmten Marschalls folgen<strong>des</strong>:<br />

„Als man ihm den Vorsitz <strong>der</strong> französischen Hilfsgesellschaft<br />

für Verw<strong>und</strong>ete anbot, sagte er ohne Zau<strong>der</strong>n: Hier<br />

*) Eede <strong>des</strong> Abbe Broye, Feldpredigers <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>, in<br />

Köthel (Gedäehtnisgottesdienst für den Marschall de Mac-Mahon am<br />

17. Dez. 1893, gehalten in Gegenwart S. Eminenz <strong>des</strong> Kardinal-Erzbischofs<br />

von Reims, n. s. w.


in ich, denn liier ruft wie<strong>der</strong> die Pflicht. — Er ging daraut<br />

ein, <strong>der</strong> Bannerträger <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> zu sein . . . Der<br />

Name Mac-Mahons an <strong>der</strong> Spitze <strong>des</strong> französischen Boten<br />

<strong>Kreuzes</strong>! Mehr bedurfte es nicht, um die Gleichgültigen zu<br />

wecken, die Unwissenden aufmerksam zu machen, die feindlich<br />

Gesinnten zu entwaffnen, <strong>der</strong> Gesellschaft die Teilnahme<br />

aller zu gewinnen. Es war eben niemand für diese Rolle<br />

geeigneter. — Als <strong>der</strong> alte Kriegsmann im Jahre 1890 sagte:<br />

,Es darf in Frankreich nicht eine Familie geben, <strong>der</strong> nicht '<br />

daran läge, sich in das goldene Buch <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong><br />

einzutragen', erinnerte er sich an Magenta <strong>und</strong> Solferino,<br />

die beiden mör<strong>der</strong>ischten Tage <strong>des</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, wo man<br />

acht Tage brauchte, um die Verw<strong>und</strong>eten fortzuschaffen (Solferino),<br />

er dachte an alle diejenigen, welche man hätte retten<br />

können, <strong>und</strong> sein Wort wurde gehört."<br />

Ihre Majestät die Kaiserin Eugenie, welche 1865<br />

zu erlauben geruhte, dass ihr Name neben dem <strong>des</strong> Kaisers<br />

in die Subskriptionsliste <strong>der</strong> französischen Gesellschaft eingetragen<br />

wurde, beschied mich am 7. Juli 1867 als Begrün<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> internationalen Werks zu Gunsten <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

Krieger in den Tuilerienpalast <strong>und</strong> drückte mir ihren Wunsch<br />

aus, die verw<strong>und</strong>eten Seeleute, die schiffbrüchigen Marinesoldaten<br />

<strong>und</strong> -Artilleristen, sowie die Schiffe <strong>und</strong> Personen,<br />

die bestimmt sind, ihnen Hilfe zu bringen, in den Kriegsmarinen<br />

aller Nationen an <strong>der</strong> von <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

verkündigten Wohlthat <strong>der</strong> Neutralität teilnehmen zu sehen.<br />

Die Kaiserin fügte bei, in einer Audienz, die sie einige<br />

Zeit zuvor dem Admiral Tegetthoff.erteilt habe, habe<br />

dieser ihr von <strong>der</strong> Seeschlacht bei Lissa im Adriatischen<br />

Meer zwischen Oestreich <strong>und</strong> Italien erzählt. Er habe geschil<strong>der</strong>t,<br />

wie ein italienisches Kriegschiff, <strong>der</strong> Re d' Italia,<br />

mit ungefähr tausend Mann an Bord gesunken sei, ohne dass<br />

es möglich gewesen wäre, die geringsten Rettungsarbeiten<br />

ins Werk zu setzen. — Nie werde ich vergessen, mit welch


— 318 —<br />

edelm Gefühl <strong>des</strong> Mitleids Ihre Kaiserliche Majestät die herzzerreissenden<br />

Thatsachen aus <strong>der</strong> ergreifenden Erzählung <strong>des</strong><br />

Admirals wie<strong>der</strong>holte: jene Menschenknäuel von Matrosen<br />

<strong>und</strong> Soldaten, die, ausser sich vor Angst <strong>und</strong> Verzweiflung,<br />

wohl fühlten, dass alle Hoffnung auf Rettung ihres Lehens<br />

geschw<strong>und</strong>en sei, <strong>und</strong> doch, wie das Schiff sich aufbäumend<br />

immer tiefer sank, sich wahnsinnig aneinan<strong>der</strong> klammerten,<br />

sich zusammendrängten, sich erdrückten, einan<strong>der</strong> auf die<br />

Schultern stiegen; dann das Schiff selbst, wie es auf offenem<br />

Meer langsam <strong>und</strong> unerbittlich in den nassen Schl<strong>und</strong> hinuntersank<br />

, wie es zuletzt verschwand, um nicht wie<strong>der</strong> zum<br />

Vorschein zu kommen, <strong>und</strong> all die Unglücklichen hilflos den<br />

Wogen preisgab; endlich diese letzteren selbst, wie sie, während<br />

die Seeschlacht ihren Fortgang nahm, einer um den<br />

an<strong>der</strong>n verschwanden, erbarmungslos vom Meer verschlungen,<br />

<strong>und</strong> ohne dass Fre<strong>und</strong> o<strong>der</strong> Feind die Möglichkeit gehabt<br />

hätte, auch nur einen einzigen von ihnen zu retten! — „Und<br />

doch", fügte die Kaiserin hinzu, „hätte man sie retten können,<br />

wenn ein durch Ihr internationales Banner geschütztes Bergungsschiff<br />

zur Stelle gewesen wäre! tt<br />

Ich erwi<strong>der</strong>te, ich hielte meine persönliche Aufgabe für<br />

beendigt, aber die französische Regierung sei zum Glück in<br />

<strong>der</strong> Lage, in dieser Richtung vorzugehen.<br />

„Nein!" versetzte die Kaiserin, indem sie mit ihrem<br />

rechten Zeigefinger auf meine Brust deutete, „das müssen<br />

Sie thun."<br />

Ich setzte alsdann Ihre Majestät von folgenden Thatsachen<br />

in Kenntnis: Gegen Ende August sollten in Paris<br />

internationale Konferenzen stattfinden, auf denen alle<br />

wissenschaftlichen <strong>und</strong> Verwaltungsfragen zur Sprache kommen<br />

sollten, welche die europäischen Hilfsgesellschaften für<br />

verw<strong>und</strong>ete Militärpersonen interessieren könnten; ein Ausschuss<br />

von Abgeordneten dieser Gesellschaften, die zur Weltausstellung<br />

abgesandt wurden, sei augenblicklich in Paris<br />

versammelt, um die in vier Sektionen zerfallenden Arbeiten


— 319 —<br />

vorzubereiten. Ich fügte bei, die abgeordneten Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> zweiten Sektion dieses Ausschusses seien beauftragt, eine<br />

vorbereitende Arbeit über verschiedene Abän<strong>der</strong>ungen abzufassen,<br />

welche einige Personen an <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

vorgenommen sehen möchten, <strong>und</strong> diese Abgeordneten würden<br />

gewiss nicht verfehlen, die edle Anregung <strong>der</strong> Kaiserin,<br />

die ich ihnen alsbald mitteilen würde, mit Eifer aufzunehmen.<br />

Zum Schluss sagte ich noch, ich würde mich noch an demselben<br />

Tage zu dem Grafen Serurier, einem <strong>der</strong> Vizepräsidenten<br />

<strong>der</strong> französischen Gesellschaft, begeben, <strong>der</strong> an Stelle<br />

<strong>des</strong> ernstlich erkrankten Vorsitzenden, <strong>des</strong> Herzogs von Fezensac,<br />

mit dem Vorsitz in diesen Konferenzen betraut sei,<br />

<strong>und</strong> ich zweifelte nicht, dass ein je<strong>der</strong> diese hochherzige<br />

Anregung Ihrer Majestät in ernstliche Erwägung ziehen<br />

würde.*)<br />

Als ich eben von <strong>der</strong> erwähnten Audienz kam, begegnete<br />

ich dem ausgezeichneten Pfarrer von <strong>der</strong> Madeleine, dem<br />

Abbe Deguerry, dem Beichtvater <strong>der</strong> Kaiserin, welcher<br />

vier Jahre später einer <strong>der</strong> Märtyrer <strong>der</strong> Kommune werden<br />

<strong>und</strong> zusammen mit den Geiseln erschossen werden sollte. Der<br />

ehrwürdige Greis, einer <strong>der</strong> aufgeklärtesten <strong>und</strong> begeistertsten<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>des</strong> Werks für die Verw<strong>und</strong>eten, welcher selbst den<br />

Krieg mitgemacht hatte, überhäufte mich mit Segenswünschen.<br />

— „Gott liebt Sie," sagte er, „er wird Sie segnen." Folgen<strong>des</strong><br />

ist die ungefähre Zusammenfassung <strong>der</strong> teilnehmenden<br />

Worte, die er an mich richtete:<br />

„Ihr grosser Gedanke einer dauernden Bereithaltuug von<br />

Hilfeleistungen für die Verw<strong>und</strong>eten <strong>der</strong> Schlachtfel<strong>der</strong>, ohne<br />

Rücksicht auf ihre Volksangehörigkeit, wobei alle in gleicher<br />

Weise ins Herz geschlossen <strong>und</strong> gleich gut gepflegt werden,<br />

aus welchem Lande sie auch stammen <strong>und</strong> auf welcher Seite<br />

*) Herr Bouree, damals französischer Gesandter in Konstantinopel,<br />

war allein bei dieser Audienz zugegen, in welcher alsdann von Palästina<br />

die Rede war.


— 320 —<br />

sie auch gekämpft haben mögen, ist wirklich ein Gedanke,<br />

<strong>der</strong> von Gott eingegeben ist. Die diesem Werke zu Gr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Gefühle <strong>und</strong> Handlungen lassen sich in dem Wort<br />

„Hingebung" zusammenfassen. Diese Hingebung aber ist<br />

von <strong>der</strong> Hand Gottes in unsere Natur gepflanzt; sie regt sich<br />

in unseren Herzen beim Anblick <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung <strong>des</strong><br />

Unglücks; wir können hiebei gar nicht gleichgültig bleiben,<br />

das Mitleid übermannt <strong>und</strong> rührt uns. Der Wahlspruch<br />

„je<strong>der</strong> für sich" ist uns verhasst. Unsere Zeit, welche<br />

für Gleichheit schwärmt, kennt gleichwohl das Vorrecht <strong>der</strong><br />

Hingebung; diese allein nimmt sie aus von'ihrem alles gleichmachenden<br />

Bestreben, diese bew<strong>und</strong>ert, preist <strong>und</strong> segnet<br />

sie. Drum ist eben auch die Liebe, welche die Hingebung<br />

ist, mächtiger, viel mächtiger als Wissen <strong>und</strong> Vermögen.<br />

Diesem göttlichen Gedanken verleiht Ihr Banner w<strong>und</strong>erbaren<br />

Ausdruck, Es besteht aus weissem Stoff, auf diesem<br />

ist das Kreuz eingezeichnet, <strong>und</strong> das Kreuz selbst ist rot.<br />

Das Weiss ist aber das Sinnbild <strong>der</strong> Einheit, das Kreuz<br />

das <strong>der</strong> Aufopferung, <strong>und</strong> das E o t das <strong>der</strong> Aufopferung ohne<br />

Mass <strong>und</strong> ohne Grenzen bis aufs Blut. Dieses Sinnbild <strong>des</strong><br />

Blutes will sagen, dass die Thätigkeit <strong>der</strong> internationalen<br />

Einrichtung darauf gerichtet ist, es zu stillen, <strong>und</strong>, was noch<br />

mehr heissen will, dass sie <strong>der</strong> Gefahr aussetzt, das eigene<br />

Blut, zu vergiessen, wenn man inmitten <strong>der</strong> Ausübung jener<br />

bew<strong>und</strong>erungswürdigen Hingebung selbst getroffen wird. Von<br />

diesem Gesichtspunkt aus erscheint Ihr Werk in seiner ganzen<br />

strahlenden Schönheit. Und noch schöner erscheint es<br />

zu Wasser als zu Land: auf den Fluten ist es aussergewöhnlichen<br />

Gefahren ausgesetzt, <strong>der</strong> Boden, <strong>der</strong> es trägt, ist beweglich,<br />

unter ihm lauern Abgründe, ungeheure Gräber, die<br />

sich öffnen <strong>und</strong> auf ewig verschlingen. Und doch fürchtet<br />

es sich nicht vor diesen Fluten, <strong>und</strong> wird ihnen die Verw<strong>und</strong>eten<br />

zu entreissen wissen, die im Begriff sind, ihre Beute<br />

zu werden. Um sie zu retten, wird es sich nicht scheuen,<br />

sich mitten unter die eisengepanzerten Vulkane zu begeben,


— 321 —<br />

welche unter furchtbarem Getöse Tod <strong>und</strong> Ver<strong>der</strong>ben speien. —<br />

Was ich Ihnen da sage, will ich an einem <strong>der</strong> nächsten Tage<br />

nie<strong>der</strong>schreiben, damit man meine Teilnahme an dem was Sie<br />

gethan haben <strong>und</strong> an <strong>der</strong> französischen Hilfsgesellschaft kennt."<br />

Kaum wenige kurze Jahre vergehen, so wird <strong>der</strong> Mann mit<br />

dem goldenen Herzen, <strong>der</strong> so zu mir sprach, verhaftet, in engen<br />

Gewahrsam gebracht, roh von einem Gefängnis ins an<strong>der</strong>e<br />

geschleppt; eines Abends stellt man ihn endlich an einer<br />

Mauer auf: zwei Gewehrsalven ertönen; er sinkt verw<strong>und</strong>et<br />

nie<strong>der</strong>, aber lebt noch; neue Schüsse werden sofort abgegeben,<br />

eine Kugel zerschmettert ihm das linke Handgelenk,<br />

an<strong>der</strong>e durchlöcherm ihm die Brust <strong>und</strong> durchbohren ihm den<br />

Schädel. In <strong>der</strong>selben Nacht noch gegen drei Uhr (es war<br />

die Nacht vom 24. auf 25. Mai 1871) schaffen die Mör<strong>der</strong><br />

dieses edeln Märtyrers seinen Leichnam aul den Kirchhof<br />

Pere La Chaise <strong>und</strong> werfen ihn in einen offenen mit flüssigem<br />

Schlamm gefüllten Graben.<br />

Ich hatte den Pfarrer <strong>der</strong> Madeleine während seiner Gefangenschaft<br />

zu sehen gesucht, in <strong>der</strong> Hoffnung, ihm irgendwie<br />

nützlich sein zu können; <strong>des</strong>gleichen den vortrefflichen<br />

Erzbischof von Paris, Monseigneur Darboy, einen an<strong>der</strong>n<br />

Fre<strong>und</strong> <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>, den ich einigemal aufgesucht<br />

hatte, um mit ihm zu sprechen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> mich stets mit ausserordentlicher<br />

Güte empfangen hatte. „Das Werk, welchem<br />

Bahn zu brechen Ihnen beschieden war," hatte <strong>der</strong> sanfte<br />

<strong>und</strong> wohlwollende Erzbischof einmal zu mir gesagt, „hat eine<br />

allumfassende Bedeutung, es ist wahrhaft katholisch; <strong>der</strong> Geist<br />

Christi hat es Ihnen eingegeben."<br />

Ich hatte sogar Yermorel, eines <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Pariser Kommune, im Hotel de Ville aufgesucht, um die Ermächtigung<br />

zu einem Besuch in ihrem Gefängnis zu bekommen.<br />

*) — Ein ganzer Band wäre zu schreiben, wollte ich<br />

1 ) Ebenso den Maler Courbet, deu alten Delecluze <strong>und</strong> Kegfere,<br />

die ich nicht kannte, die aber, wie man mir sagte, zugänglicher<br />

sein sollten, als die an<strong>der</strong>n.<br />

21


— 322 —<br />

die zwei Wartest<strong>und</strong>en schil<strong>der</strong>n, die ich in dem prächtigen<br />

Hotel de Ville zubrachte, wo ich unter dem Kaiserreich so<br />

glänzende Feste mitgemacht hatte; 1 ) wo ich dann während<br />

<strong>der</strong> Belagerung eines Tags so seltsame Dinge gesehen hatte,<br />

<strong>und</strong> welchem zuletzt, nicht lange nachher, beschieden war,<br />

ein Eaub <strong>der</strong> Flammen zu werden. — Es war ein unvergessliches<br />

Schauspiel, das, wie ich mir wenigstens einbildete,<br />

an die Tage <strong>der</strong> Schreckensherrschaft erinnerte. Es war ein<br />

Gedränge von Bittstellern aller Art, von Nationalgardisten,<br />

Frauen mit kleinen Kin<strong>der</strong>n, Verrückten <strong>und</strong> allerlei Hungerleidenden,<br />

alles bunt durcheinan<strong>der</strong> in jenen grossen Sälen,<br />

unter dem vergoldeten Getäfer, in den mit Brokat überzogenen<br />

Lehnstühlen sich spreizend, ohne viel Lärm zu machen,<br />

essend, rauchend, schnarchend, stillend, Karten spielend, halblaut<br />

wetternd, fluchend <strong>und</strong> schimpfend, <strong>und</strong> auch trinkend.<br />

Aber wie viel wahres Elend <strong>und</strong> wie viel Jammer! — Dann<br />

<strong>der</strong> öffentliche Wohlfahrtsausschuss, <strong>des</strong>sen Mitglie<strong>der</strong> voll<br />

Misstrauens, steif, hölzern, stumm nicht weit von mir vorbeiziehen<br />

<strong>und</strong> aus <strong>der</strong> Ferne argwöhnische, hasserfüllte, wütende<br />

Blicke nach den Leuten werfen, die ihnen unbekannt sind,<br />

als wären diese lauter Spione <strong>und</strong> Verräter.<br />

Aber alle meine Bemühungen waren vergebens. Ich lief<br />

sogar Gefahr, von einem bezechten <strong>und</strong> übereifrigen Gardisten,<br />

welcher den Ordonnanzdienst hatte, verhaftet zu werden. Da<br />

ich an<strong>der</strong>erseits von verkleideten Agenten, Spionen niedrigen<br />

Rangs von <strong>der</strong> entgegengesetzen Partei, die meinen Namen,<br />

meine Stellung <strong>und</strong> den menschenfre<strong>und</strong>lichen Zweck dieser<br />

mühsamen Schritte nicht kannten, unter diesen Umständen<br />

im Hotel de Ville gesehen worden war, 2 ) so gaben mich diese<br />

J ) Namentlich diejenigen, die gelegentlich <strong>der</strong> Vermählungsfeiern <strong>der</strong><br />

beiden Töchter <strong>des</strong> Herrn <strong>und</strong> <strong>der</strong> Frau Baron Hanssmann abgehalten<br />

wurden.<br />

*) Eine <strong>der</strong> freiwilligen Pariser Ambulanzen hatte mich gebeten, bei<br />

<strong>der</strong> Verwaltung, welche während <strong>der</strong> Belagerung im Hötel de Ville ihren<br />

Sitz hatte, um etwas nachzusuchen.


— 323 —<br />

selben Agenten später, oline dass ich eine Ahnung davon<br />

hatte, für einen Anarchisten, einen Nihilisten, einen Kommunisten,<br />

„eines <strong>der</strong> Häupter <strong>der</strong> Internationale" aus! (sie.)<br />

Eine unglückliche Namensähnlichkeit zwischen <strong>der</strong> französischen<br />

Hilfsgesellschaft für Verw<strong>und</strong>ete, welche das Pariser<br />

Publikum beharrlich als die „Internationale" bezeichnete,<br />

<strong>und</strong> einer an<strong>der</strong>n im Entstehen begriffenen Gesellschaft, welche<br />

keinerlei Beziehungen zu ihr o<strong>der</strong> Aehnlichkeit mit ihr hatte,<br />

<strong>und</strong> die um verschiedene Jahre jünger war, als jene, war für<br />

mich verhängnisvoll durch die Verwechslungen, die sie zur<br />

Folge hatte, <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Opfer ich wurde. Bekanntlich hatte<br />

Thiers nach <strong>der</strong> Kommune die blosse Thatsache <strong>der</strong> Angehörigkeit<br />

zur „Internationale" (d. h. zur internationalen<br />

Arbeitervereinigung) als ein Vergehen betrachtet <strong>und</strong> ihre<br />

Mitglie<strong>der</strong> als „vaterlandslos" mit Missethätern zusammengeworfen.<br />

Sie standen während ihres ganzen übrigen Lebens<br />

unter staatspolizeilicher Aufsicht. Die Vermeidung dieser<br />

Verwechslung zwischen zwei so verschiedenartigen Gesellschaften<br />

war zum Teil <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>, weshalb man die aus den<br />

<strong>Genfer</strong> Konferenzen hervorgegangene Gesellschaft „Kotes<br />

Kreuz" benannt hat.<br />

Lange Jahre hindurch habe ich nur zu sehr unter diesen<br />

verhängnisvollen Verwechslungen <strong>und</strong> Irrtümern zu leiden<br />

gehabt, welche die Quelle von Ungerechtigkeiten, falschen<br />

Beurteilungen <strong>und</strong> geheimen Belästigungen wurden, als ich<br />

traurig, in Elend <strong>und</strong> Kummer in <strong>der</strong> Fremde umherirrte<br />

<strong>und</strong> nicht mehr von den glücklichen Tagen einer längst vergangenen<br />

Zeit reden mochte, schwermütig <strong>und</strong> vereinsamt,<br />

inmitten einer rastlosen <strong>und</strong> <strong>und</strong>ankbaren Arbeit über die<br />

Worte Dantes nachdenkend:<br />

„Nessun maggior dolore<br />

Che ricordarsi del tempo felice<br />

Nella miseria."<br />

Der arme Vermorel, <strong>der</strong> sich in diesen unglücklichen


— 324 —<br />

Bürgerkrieg hatte hineinziehen lassen, war unschuldig an<br />

<strong>der</strong> Abschlachtung <strong>der</strong> Geiseln. Er starb wenige Tage nach<br />

<strong>der</strong> höllischen Woche an W<strong>und</strong>en, die er sich in tapferem<br />

Barrikadenkampf geholt hatte. Er war ein verdienstvoller<br />

Schriftsteller gewesen <strong>und</strong> hatte sich um das Bote Kreuz<br />

verdient gemacht. Diese Verdienste sind in Nr. 3 <strong>des</strong> Bulletin<br />

frangais dela Societe de secours aux blesses<br />

militaires vom November 1865 mit folgenden Worten verzeichnet<br />

:<br />

„Es fehlt uns an Raum, um den Artikel <strong>der</strong> Revue contemporaine<br />

vom 25. Oktober 1865') wie<strong>der</strong>zugeben, in<br />

welchem Herr Ä. Yermorel mit dem ganzen Gewicht einer<br />

erprobten Fe<strong>der</strong> <strong>und</strong> eines hervorragenden Talents von unserem<br />

Werke spricht; wir können unsere Leser nur darauf<br />

aufmerksam machen; aber ihnen diesen Artikel empfehlen,<br />

lieisst ihnen eine interessante Lektüre versprechen. Die Seiten<br />

<strong>des</strong> Herrn Yermorel, betitelt: „Die Wirkung <strong>der</strong> neuen<br />

Präcisionswaffen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsdienst <strong>der</strong> Heere im<br />

Feld", bilden eine Studie über zwei Werke, <strong>der</strong>en je<strong>des</strong> in<br />

seiner Art beredt ist, das eine durch Zahlen <strong>und</strong> Wissenschaft,<br />

das an<strong>der</strong>e durch seine Schil<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> die dadurch<br />

hervorgerufene Bewegung, <strong>und</strong> die alle beide geschrieben<br />

wurden, um die Nächstenliebe auf dem Schlachtfelde zu<br />

wecken. Das letztere, die ,Erinnerung an Solferino,<br />

von Herrn Henry Dunant, hat unserem Werke das Dasein<br />

gegeben; das an<strong>der</strong>e weist <strong>des</strong>sen Nützlichkeit <strong>und</strong> Dringlichkeit<br />

nach: es ist dies <strong>der</strong> neulich erschienene Rapport<br />

au Conseil de sant6 <strong>des</strong> Armees sur les resultats du<br />

service chirurgico-medieal pendant la campagne de<br />

Crimee von Dr. Chenu . . . Nach <strong>der</strong> Art, wie Herr<br />

A. Vermorel unser Werk würdigt, können wir uns Glück wünschen,<br />

dass wir auf das Wohlwollen eines Mannes von Herz<br />

<strong>und</strong> von Talent rechnen dürfen, <strong>des</strong>sen Fe<strong>der</strong> wir schon zu<br />

Dank verpflichtet sind."<br />

f) Und vom 31. August 1865.


Im Jahre 1870, im Anfang <strong>des</strong> Kriegs, veröffentlichte<br />

Vermorel zwei sehr gut geschriebene Artikel in <strong>der</strong> von<br />

Herrn Tarbe <strong>des</strong> Sablons geleiteten Zeitung Le Gaulois:<br />

diese beiden Artikel riefen die sogenannten „Ambulanzen<br />

<strong>der</strong> Presse" ins Leben, welche während <strong>der</strong> Dauer <strong>des</strong><br />

Kriegs <strong>der</strong> von dem Grafen von Flavigny geleiteten französischen<br />

Gesellschaft Konkurrenz machten, aber nach dem Kriege<br />

wie<strong>der</strong> eingingen.<br />

Kommen wir nun nach dieser langen Abschweifung wie<strong>der</strong><br />

auf den Vorschlag <strong>der</strong> französischen Kaiserin betreffs<br />

<strong>der</strong> Marine zurück! Der Graf Serurier entwickelte<br />

als Generalkommissär hinsichtlich <strong>der</strong> Unterbringung <strong>des</strong><br />

Materials <strong>der</strong> Hilfsgesellschaften aller Län<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Weltausstellung<br />

von 1867 auf dem Champ de Mars eine höchst<br />

lobenswerte <strong>und</strong> eifrige Thätigkeit; er war auch die Seele<br />

<strong>der</strong> um diese Zeit abgehaltenen internationalen Konferenzen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> ihnen vorangehenden vorbereitenden Arbeiten. Er<br />

hatte <strong>der</strong> Subkommission <strong>und</strong> <strong>der</strong> zweiten Sektion von dem<br />

Wunsche <strong>der</strong> Kaiserin Mitteilung gemacht. Diese wollte die<br />

Mitglie<strong>der</strong> in einer Audienz in den Tuilerien empfangen, zu<br />

welcher ich gleichfalls berufen wurde, ebenso wie <strong>der</strong> kaiserliche<br />

Adjutant, Admiral Jurien de la Graviere, einer <strong>der</strong><br />

Vizepräsidenten <strong>des</strong> Zentralausschusses. — Der Admiral, ein<br />

ausgezeichneter Mann, ein tapferer Seemann <strong>und</strong> hervorragen<strong>der</strong><br />

Schriftsteller, erfasste die Bedeutung <strong>des</strong> von <strong>der</strong><br />

Kaiserin geäusserten Wunsches nicht sofort. Gleich zu Anfang<br />

<strong>der</strong> Audienz hatte die Kaiserin sich gegen ihn gewandt,<br />

indem sie ihm ihren Wunsch auseinan<strong>der</strong>setzte, <strong>und</strong> gewissermassen<br />

als Schluss <strong>der</strong> Rede gesagt: „Denken Sie nicht aucli<br />

so, Herr Admiral, Sie, <strong>der</strong> Sie einer <strong>der</strong> Vizepräsidenten <strong>der</strong><br />

Gesellschaft sind?" —- Der ehrenwerte Herr Admiral hatte<br />

das Bestehen <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention ein wenig zu sehr vergessen<br />

<strong>und</strong> die Erinnerung an ihren Inhalt, soweit er die<br />

Neutralität betraf, verloren. Daher drückte er sich in


— 326 —<br />

seiner Antwort unbestimmt <strong>und</strong> zweifelnd über die Möglichkeit<br />

aus, Ertrinkenden inmitten <strong>des</strong> Kreuzfeuers zweier<br />

feindlicher Flotten zu Hilfe zu kommen. Die Kaiserin bemerkte<br />

sofort, dass den Admiral sein Gedächtnis im Stiche<br />

liess, <strong>und</strong> sagte ihm gerade heraus: „So ist es durchaus<br />

nicht, Herr Admiral." Und mit bew<strong>und</strong>erungswürdiger Geistesgegenwart<br />

führte sie ihm den Text <strong>der</strong> diplomatischen Konvention<br />

bezüglich <strong>der</strong> Neutralität <strong>der</strong> Ambulanzen auf dem<br />

Festlande an, die ja durch das schneeweisse Banner mit dem<br />

Purpurkreuz allen Menschenfre<strong>und</strong>en kenntlich gemacht seien.<br />

Sie erklärte, ein Schiff, welches dieses Banner recht in die<br />

Augen fallend trage <strong>und</strong> welches weiss mit recht sichtbaren<br />

hochroten Kreuzen bemalt sei, sei von den Kriegführenden<br />

leicht zu erkennen; zuvor müsse man jedoch durch einen<br />

diplomatischen Akt als Zusatz zur <strong>Genfer</strong> Konvention die<br />

Neutralität dieser Hospitaliterschiffe sicherstellen. 1 )<br />

Das Dekret <strong>des</strong> französischen Kaisers, welches die französische<br />

Gesellschaft als gemeinnützige Einrichtung anerkennt,<br />

stammt vom 23. Juni 1866.<br />

In Frankreich ist <strong>der</strong> Glaube zu allgemein verbreitet,<br />

<strong>der</strong> französische Ausschuss sei erst ein Ergebnis <strong>der</strong><br />

Sitzung vom 11. März 1865. Allerdings hat sich an diesem<br />

Tag die Gesellschaft endgültig <strong>und</strong> amtlich als französischer<br />

Zentralausschuss konstituiert, ihre allgemeinen Satzungen<br />

festgesetzt <strong>und</strong> die Wahl ihres Vorsitzenden, ihres Generalsekretärs<br />

<strong>und</strong> ihres Schatzmeisters vollzogen. Auch hat in<br />

dieser Sitzung <strong>der</strong> Zentralausschuss den Druck <strong>des</strong> im Namen<br />

*) Herr Dunant ist nicht für eine Revision <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention,<br />

son<strong>der</strong>n glaubt, sie solle in ihrer ursprünglichen Form erhalten <strong>und</strong> bewahrt<br />

bleiben. Doch war er immer <strong>der</strong> Meinung, eine beson<strong>der</strong>e Znsatzbestimmung<br />

könnte fiir die Seekriege getroffen werden. — Die internationalen<br />

Konferenzen in Rom, 1892, haben sieh mit dieser Frage <strong>der</strong> Marine<br />

beschäftigt, ohne sie vorwärts zu bringen, <strong>und</strong> sie ist noch jetzt (1896)<br />

in <strong>der</strong> Schwebe. (Amn. <strong>des</strong> Heransg.)


— 327 —<br />

<strong>des</strong> vorläufigen Ausschusses erstatteten Berichtes beschlossen,<br />

ein Subkomite ernannt <strong>und</strong> die Einladung zur Bildung von<br />

Sektionsausschüssen in den sieben Armeecorps gutgeheissen.<br />

Aber schon vor dem genannten Tage war <strong>der</strong> vorläufige Ausschuss<br />

oft bei dem Herzog von Fezensac 1 ) zusammengekommen,<br />

<strong>des</strong>sen Name heute viel zu sehr vergessen ist,<br />

ebenso wie <strong>der</strong> <strong>des</strong> ersten Generalsekretärs, <strong>des</strong> Herrn<br />

F. de Rohan-Chabot, Grafen von Chabot, <strong>und</strong> mehrerer<br />

Pioniere dieser längst entlegenen Zeit. Der letztere schrieb<br />

mir am 2. März 1865 über eine Sitzung, welche gegen Ende<br />

Februar <strong>des</strong> genannten Jahres bei dem Herzog von Fezensac<br />

stattgef<strong>und</strong>en hatte:<br />

„Vergangenen Montag haben wir bei dem Herzog von<br />

Fezensac eine Zusammenkunft gehabt, welcher <strong>der</strong> Militärintendant,<br />

Herr Robert, sowie die Herrn Generäle Le Bceuf,<br />

de Goyon, Chabaud-la-Tour anwohnten. Herr Robert hat<br />

uns erfreuliche Worte hören lassen, indem er uns ausführte,<br />

wie erspriesslich unser Werk für das Heer <strong>und</strong> sogar für die<br />

Intendantur sein könne, welche beim besten Willen nicht<br />

im stände sei, den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Dienstes an einem grossen<br />

Schlachttage zu genügen."<br />

Es war von grossem Wert in jener Zeit, dass wir diese<br />

Erklärung eines Generalintendanten verzeichnen konnten,<br />

beson<strong>der</strong>s soweit sie die Unterstützung <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten an<br />

einem grossen Schlachttag betraf.<br />

Ein im Moniteur vom 25. Januar 1807 eingerückter<br />

Bericht über die Heeresverwaltung, welcher von S. Exc. dem<br />

Marschall Randon herrührte (<strong>der</strong> nun ganz für die gute<br />

Sache gewonnen war), enthält in <strong>der</strong> Verordnung über den<br />

!) Infolge dieser Zusammenkünfte beim Herzog von Fezensac<br />

1864/65 for<strong>der</strong>ten die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> vorläufigen Ausschusses mich auf, zum<br />

Zweck einer Generalversammlung das auf S. 245 angeführte R<strong>und</strong>schreiben<br />

an alle Personen zu schicken, <strong>der</strong>en Beitrittserklärungen ich seit etwa<br />

zwei Jahren erhalten hatte, einschliesslich <strong>der</strong> auf kaiserlichen Befehl<br />

Tora Kriegsminister bezeichneten Generäle,


— 328 —<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienst folgenden Paragraphen: „Die neue Verordnung<br />

nimmt die Mitwirkung <strong>der</strong> Hilfsgesellschaften in<br />

Aussicht, welche, durch die internationale <strong>Genfer</strong> Konferenz<br />

hiezu ermächtigt, in einem bestimmten Augenblick den Aerzten<br />

eine gewaltige Unterstützung leihen können." — Die Gräfin<br />

Eandon, Frau <strong>des</strong> Marschalls, welche dem Werke immer<br />

gewogen war, wurde eine <strong>der</strong> Gönnerinnen <strong>der</strong> französischen<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> Vorsitzende <strong>des</strong> Frauenkomites von<br />

Grenoble.<br />

Kurz nachdem <strong>der</strong> Kaiser, die Kaiserin <strong>und</strong> <strong>der</strong> kaiserliche<br />

Prinz ihre Einwilligung zur Eintragung ihrer Namen<br />

in die gedruckte französische Subskriptionsliste gegeben hatten,<br />

folgten an<strong>der</strong>e erlauchte <strong>und</strong> wichtige Namen diesem Beispiel<br />

<strong>und</strong> wurden in dieselbe Liste eingetragen. So die Namen<br />

Ihrer Majestäten <strong>der</strong> Königin Augusta <strong>und</strong> <strong>des</strong> Königs<br />

Wilhelm von Preussen, <strong>der</strong> Königin Isabella <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Königs von Spanien, <strong>und</strong> <strong>des</strong> Königs von Schweden;<br />

Ihrer Königl. Hoheiten <strong>des</strong> Prinzen Oskar von Schweden<br />

(heutigen Königs von Schweden <strong>und</strong> Norwegen), <strong>des</strong><br />

Prinzen von Asturien (späteren Königs Alphons m.),<br />

<strong>des</strong> Prinzen Humbert von Piemont (heutigen Königs<br />

von Italien), <strong>des</strong> Grafen vonChambord, <strong>des</strong> regierenden<br />

Fürsten <strong>der</strong> Vereinigten Fürstentümer, <strong>des</strong> Erzbischofs<br />

von Paris, <strong>der</strong> Minister <strong>des</strong> Kriegs, <strong>des</strong><br />

Innern <strong>und</strong> <strong>der</strong> Marine; <strong>des</strong> Departements Vaucluse,<br />

<strong>der</strong> Stadt Brest, <strong>der</strong> Fürstin von Mentschikoff, <strong>des</strong><br />

Fürsten von Sayn-Wittgenstein <strong>und</strong> mehrerer russischer<br />

Generäle; <strong>des</strong> Grün<strong>der</strong>s <strong>des</strong> spanischen Komites, Grafen<br />

von Ripalda; <strong>des</strong> Grün<strong>der</strong>s <strong>des</strong> belgischen Komites, Dr.<br />

Uytterhoeven; <strong>des</strong> Obersts Staaf, Militärattaches bei <strong>der</strong><br />

schwedisch-norwegischen Gesandtschaft in Paris, eines höchst<br />

verdienstvollen Schriftstellers <strong>und</strong> eines <strong>der</strong> Männer, welche<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft am aufrichtigsten ergeben waren; endlich<br />

die Namen von Angehörigen verschiedener an<strong>der</strong>er Nationa-


litäten, ungerechnet eine Menge bedeuten<strong>der</strong> französischer<br />

Namen. Dies bildete ein wirkliches Band <strong>der</strong> Gemeinsamkeit<br />

<strong>und</strong> internationaler Brü<strong>der</strong>lichkeit.<br />

Zum Unglück für Frankreich hatte dort fast nur die<br />

hohe Gesellschaft Verständnis für diese grosse Bewegung <strong>der</strong><br />

Menschenliebe; das Volk bekümmerte sich kaum darum, trotz<br />

<strong>des</strong> wirklichen Wohlwollens, welches die Pariser Presse ihr<br />

entgegenbrachte. Dem Lyoner Advokaten Herrn Leonce<br />

de Cazenove verdankt man die Propaganda in <strong>der</strong> Provinz.<br />

Er ging mit gutem Beispiel voran. Im Besitz eines grossen<br />

Vermögens, widmete er sich <strong>der</strong> Ausbreitung <strong>der</strong> Einrichtung<br />

<strong>und</strong> hatte die Güte, mich zur Gründung <strong>des</strong> Lyoner Ausschusses<br />

beizuziehen, <strong>des</strong> bedeutendsten nach dem von Paris,<br />

welcher alle hervorragenden Namen dieser grossen Stadt aufwies,<br />

an ihrer Spitze, ausser den Ortsbehörden, den Kardinal<br />

de Bonald, Primas von Gallien <strong>und</strong> Erzbischof von Lyon;<br />

den Pfarrer E. Buisson, Vorsitzenden <strong>des</strong> Konsistoriums<br />

<strong>der</strong> reformierten Kirche in Lyon, <strong>und</strong> Herrn Weinberg,<br />

Oberrabbiner <strong>des</strong> israelitischen Bezirks von Lyon. Er gründete<br />

sodann die Ausschüsse von Montpellier, Nimes, Marseille,<br />

Grenoble, Mäcon, Bourg u. s. w. Er veröffentlichte Broschüren,<br />

Berichte über das Werk <strong>und</strong> im Jahre 1869 einen dicken<br />

Band: La Guerre et l'Humanite au XlXe. siecle,<br />

welcher in Frankreich als das eigentliche „Amtsblatt" <strong>der</strong><br />

Einrichtung gilt <strong>und</strong> welcher die auf die Konvention von 1864<br />

bezüglichen diplomatischen Urk<strong>und</strong>en enthält, wie sie in Bern<br />

vorhanden sind. Das Buch erfreut sich eines wohlverdienten<br />

Eufs. General Dufour schrieb an Herrn Leonce de Cazenove<br />

mit Bezug auf die Uebersendung seines Werks:<br />

„Der Krieg <strong>und</strong> die Menschlichkeit im XIX.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert ist ein hervorragen<strong>des</strong> Werk, welches nach<br />

Inhalt <strong>und</strong> Form einen wichtigen Platz in unseren Bibliotheken<br />

einnehmen wird; es macht den Gefühlen <strong>und</strong> dem<br />

Talente seines Verfassers die grösste Ehre. Empfangen Sie<br />

meine aufrichtigsten Glückwünsche zu <strong>der</strong> Art <strong>und</strong> Weise.


— 330 —<br />

wie Sie diesen wichtigen Gegenstand behandelt haben, <strong>und</strong><br />

meinen nochmaligen Dank ..."<br />

Die belgische Zeitung „La Charite sur les champs<br />

de bataille" („Die Nächstenliebe auf dem Schlachtfelde"),<br />

das Organ <strong>des</strong> belgischen Zentralausschusses, sagt in <strong>der</strong><br />

Januarnummer von 1870, wo sie dieses Schriftstück abdruckt:<br />

„Dieser Brief hat keine Erklärung mehr nötig, er spricht das<br />

schönste Lob aus, welches man dem ausgezeichneten Werke<br />

Cazenoves 1 ) spenden kann."<br />

x ) Der berühmte Professor Daniel Cölladon, mütterlicherseits<br />

Onkel <strong>des</strong> Begrün<strong>der</strong>s <strong>des</strong> Koten <strong>Kreuzes</strong>, sagt über das Buch Cazenoves<br />

in <strong>der</strong> Bibliothöque universelle et revue suisse:<br />

.Dieses Buch ist eine vollständige gedrängte Uebersicht über die<br />

Geschichte eines <strong>der</strong> verdienstlichsten Werke unseres Jahrh<strong>und</strong>erts: schon<br />

unter diesem Gesichtspunkte wäre es würdig, in allen Bibliotheken zu<br />

stehen. — Es giebt wenig geschichtliche Thatsachen, die mehr Anspruch<br />

auf Teilnahme haben, als die <strong>der</strong> Einrichtung <strong>der</strong> internationalen Privatgesellschaften,<br />

um den Verw<strong>und</strong>eten in Kriegszeiten Hilfe zu leisten. —<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte hindurch hat man die Verw<strong>und</strong>eten auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n<br />

nie<strong>der</strong>gemetzelt; später hatte man nur spärliche <strong>und</strong> ungenügende Hilfsmittel<br />

für sie bereit, die neulichen Kriege <strong>des</strong> zweiten französischen Kaiserreichs<br />

haben schmerzliche Beispiele dafür geliefert. Aber die Menschheit<br />

schreitet vorwärts, <strong>der</strong> Gesellschaftsgeist entwickelt sich, die Verkehrsmittel,<br />

die internationalen Beziehungen vervielfältigen sich, die menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

christlichen Gedanken tragen den Sieg davon über die nationalen<br />

Vorurteile, <strong>und</strong> die eitle Begeisterung für kriegerischen Ruhm beginnt<br />

durch die laute, in Politik <strong>und</strong> Beligion so lange missachtete Stimme <strong>des</strong><br />

Reehts <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gerechtigkeit gezügelt zu werden.<br />

Das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert hat den Buhm, die allgemeine Neutralität <strong>der</strong><br />

Ambulanzen <strong>und</strong> das Anrecht <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten Krieger auf Beistand durch<br />

freiwillige bürgerliche Vereinigungen auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n verkündigt<br />

<strong>und</strong> zugelassen zu haben.<br />

Dieses scheinbar so natürliche <strong>und</strong> einfache Becht lag ohne Zweifel,<br />

wie die Abschaffung <strong>der</strong> Sklaverei, in <strong>der</strong> Strömung <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Denkweise;<br />

aber wie viele Hin<strong>der</strong>nisse konnten seine Anwendung verzögern?<br />

Ueberlieferung, militärische Vorurteile, die diktatorische Allmacht <strong>der</strong><br />

Heeresbefehlshaber, die grausamen Notwendigkeiten <strong>des</strong> Kriegs, <strong>und</strong>,<br />

was die Folgen davon sind, unversöhnlicher Hass <strong>und</strong> unversöhnliches<br />

Misstrauen,


— 331 —<br />

Und doch haben vier bis fünf Jahre genügt, um mit diesen Vorurteilen<br />

aufzuräumen, die eifersüchtigen Völker zu einem gemeinsamen<br />

Zweck zusammenzuführen, <strong>und</strong> alle Län<strong>der</strong> Europas durch Verträge zu<br />

verbinden, welche diesem edeln Gedanken, <strong>der</strong> Frucht <strong>des</strong> gereinigten<br />

Christentums <strong>und</strong> <strong>der</strong> fortschreitenden Gesittung, die rechte Weihe geben.<br />

. . . Herr L. de Cazenove schil<strong>der</strong>t als treuer Geschichtschreiber<br />

alle diese Einzelfälle <strong>und</strong> giebt • die Namen <strong>der</strong>jenigen wie<strong>der</strong>, welche<br />

thätig dazu beigetragen haben, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die<br />

Dringlichkeit dieser menschenfre<strong>und</strong>lichen Reformen zu lenken. ... Indem<br />

er so einem jeden volle <strong>und</strong> unparteiische Gerechtigkeit wi<strong>der</strong>fahren lässt.<br />

hat er ein verdienstliches Werk geschaffen <strong>und</strong> dieser Veröffentlichung ein<br />

europäisches Interesse gegeben. . . . Herr L. de Cazenove würdigt in gerechter<br />

Weise den bedeutenden Einfluss, welchen bei dieser Gelegenheit<br />

das Vorgehen <strong>des</strong> Herrn H. Dunant ausübte, als er kurz nach dem<br />

Kriege von 1859 einen warmen Aufruf zur Privathilfe zu Gunsten <strong>der</strong><br />

Verw<strong>und</strong>eten in seinem Buch „Eine Erinnerung an Solferino" veröffentlichte<br />

, welches sofort in mehrere Sprachen übersetzt wurde <strong>und</strong><br />

welches mit Nachdruck auf folgenden beiden Haupt- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>gedanken<br />

bestand: freiwilligen Privatgesellschaften zum Beistaud aller Verw<strong>und</strong>eten<br />

auf dem Schlachtfeld, <strong>und</strong> internationalen Kongressen, welche die Aufgabe<br />

haben, dieses Eingreifen <strong>der</strong> Privatthätigkeit zu ermöglichen, sogar zu<br />

erleichtern, <strong>und</strong> ihm die rechtliche Weihe zu geben. — Wenn man dieses<br />

Buch wie<strong>der</strong> liest,' kann man nicht an dem glücklichen <strong>und</strong> gewaltigen<br />

Einflüsse zweifeln, welchen Herr Dunant ausübte; daher wurde auch <strong>der</strong><br />

Verfasser auf dem <strong>Genfer</strong> Kongresse öffentlich als Hauptbegrün<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

Werks anerkannt. (Anm. <strong>des</strong> Herausgebers.)


IX.<br />

Der preussische Hof <strong>und</strong> seine Sympathien för das<br />

internationale Humanitätswerk. — Aufgabe <strong>der</strong> Frauen<br />

in Kriegs- <strong>und</strong> Friedenszeiten.<br />

Im September 1866, nach Beendigung <strong>des</strong> Kriegs<br />

zwischen Preussen <strong>und</strong> Oestreich, liess die Königin Augusta<br />

Dunant nach Berlin einladen, um an den zu Ehren <strong>der</strong><br />

rückkehrenden Truppen veranstalteten Festlichkeiten teilzunehmen.<br />

Der Begrün<strong>der</strong> <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> giebt in seinen<br />

Denkwürdigkeiten folgende Schil<strong>der</strong>ung von seinem dortigen<br />

Aufenthalt:<br />

Tiefen Eindruck machte auf mich bei meiner Ankunft<br />

in Berlin das lebhafte Treiben in den mit Gewinden aus<br />

Tannenreis geschmückten Strassen. Es war <strong>der</strong> Hauptfesttag;<br />

mitten im grünen Schmuck <strong>der</strong> Häuser prangten Flaggen,<br />

<strong>und</strong> fast an allen Fenstern, ja sogar auf den Dächern, wehte<br />

neben den preussischen Fahnen die internationale Flagge <strong>der</strong><br />

Verw<strong>und</strong>eten; auch an den Triumphbögen, welche die öffentlichen<br />

Plätze schmückten, war sie nicht vergessen worden.<br />

Die Königin hatte geruht, den regierenden Grafen <strong>und</strong><br />

späteren Fürsten Otto von Stolberg-Wernigerode 1 )<br />

x ) Seine Durchlaucht Fürst Otto von Stolberg-Wernigerode, geboren<br />

30. Oktober 1837, Präsident <strong>des</strong> preussischen Herrenhauses (1872—77),


— 333 —<br />

mit <strong>der</strong> Führung meiner Wenigkeit während <strong>der</strong> Festlichkeiten<br />

zu beauftragen. Nichts lässt sich <strong>der</strong> Güte <strong>und</strong> dem<br />

Wohlwollen dieses wirklichen Edelmanns vergleichen. Er war<br />

einer <strong>der</strong> eifrigsten Anhänger <strong>des</strong> internationalen Werkes von<br />

seinem Anbeginn an <strong>und</strong> trug durch seinen hohen persönlichen<br />

Einfluss viel zu seinem Gelingen in Deutschland bei.<br />

Er verstand es, die Teilnahme, welche sein Gebieter dem<br />

Werke entgegenbrachte, allgemein bekannt zu machen.<br />

Das Wetter war schön. Der Vorbeimarsch <strong>der</strong> Truppen<br />

fand auf dem grossen Schlossplatz statt. Zu seiner Besichtigung<br />

hatte ich meinen Standort auf den Stufen <strong>der</strong> für die<br />

Ritter <strong>des</strong> Johanniterordens bestimmten Tribüne neben dem<br />

für die königliche Familie <strong>und</strong> ihre fürstlichen Gäste errichteten<br />

Zeltdach angewiesen erhalten. Von dort konnte ich<br />

die Feierlichkeit in ihrer Gesamtheit überschauen. — Niemals<br />

werde ich den tiefen Eindruck vergessen, den es auf mich<br />

machte, als ich sah, wie neben <strong>der</strong> preussischen Nationalfahne<br />

überall jene weisse Flagge mit dem roten Kreuz, für die ich<br />

so viel gekämpft hatte, wehte <strong>und</strong> die Tribünen, die Estraden,<br />

das Schloss, die den Platz umgebenden Häuser, die Triumphbögen<br />

<strong>und</strong> sogar das königliche Zelt schmückte. Ich ahnte<br />

damals nicht, dass ich vier Jahre später, auch wie<strong>der</strong> im<br />

Monat September, unter ganz an<strong>der</strong>en Umständen dieselbe<br />

Flagge auf einem an<strong>der</strong>n fürstlichen Palaste in einer an<strong>der</strong>n<br />

Hauptstadt Europas wehen sehen sollte, in einem Augenblick,<br />

wo sich höchst traurige Ereignisse abspielten <strong>und</strong> zwei grosse<br />

Völker, die sich bekriegten <strong>und</strong> die doch geschaffen sind,<br />

um sich gegenseitig zu lieben <strong>und</strong> zu achten, in Trauer versetzten.<br />

Während ich so auf <strong>der</strong> bevorzugten Tribüne, inmitten<br />

<strong>der</strong> Ritter <strong>des</strong> Johanniterordens, welche das Malteserkreuz<br />

auf <strong>der</strong> Brust <strong>und</strong> die weisse Armbinde mit dem roten Kreuz<br />

Kanzler <strong>des</strong> Johanniterordens, Oberstkämmerer nnd stellvertreten<strong>der</strong> Minister<br />

<strong>des</strong> Königl. Hauses <strong>und</strong> erster Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> Zentralcomites <strong>der</strong><br />

deutschen Vereine vom <strong>Roten</strong> Kreuz, starb am 19. November 1896.


— 334 —<br />

am linken Arme trugen, dem Vorbeimarsch <strong>des</strong> siegreichen<br />

Heeres beiwohnte, erschien plötzlich im Zuge, in dem Zwischenraum<br />

zwischen zwei vorbeimarschierenden Regimentern, ein<br />

bescheidener Pfarrer, welcher als freiwilliger Samariter gedient<br />

<strong>und</strong>, wie es hiess, während <strong>des</strong> böhmischen Kriegs eine<br />

Kugel erhalten hatte. Er trug die Armbinde <strong>und</strong> marschierte<br />

mühsam, gestützt auf zwei gleichfalls mit <strong>der</strong> Armbinde bekleidete<br />

. Lazarettgehilfen; sein Gesicht war bleich <strong>und</strong> abgemagert.<br />

Immer unter den Armen gestützt <strong>und</strong> mit nachschleppendem<br />

Bein wurde er nach <strong>der</strong> Tribüne geführt, die<br />

für solche Verw<strong>und</strong>ete vorgesehen war, welche im stände waren<br />

den Festlichkeiten anzuwohnen. Aller Augen waren auf ihn gerichtet.<br />

Einen Augenblick herrschte feierliches Stillschweigen.<br />

Die Augen konnten einem bei diesem Anblick wohl feucht<br />

werden, denn dieses kleine Ereignis bewies unwi<strong>der</strong>leglich die<br />

Möglichkeit <strong>und</strong> Nützlichkeit <strong>des</strong> so viel bekämpften Werkes.<br />

Eine <strong>der</strong>artige rührende Scene entschädigt einen reichlich für<br />

jahrelange mühevolle Arbeit.<br />

Auf den Abend <strong>des</strong>selben Tags hatte mich <strong>der</strong> König zu<br />

einem glänzenden Monstrefestessen, bei welchem ein Platz<br />

für mich vorgesehen war, in das Schloss einladen lassen.<br />

Die Generale <strong>und</strong> höheren Offiziere, welche den böhmischen<br />

<strong>und</strong> den Frankfurter Feldzug mitgemacht hatten, waren zugegen<br />

<strong>und</strong> füllten die Säle im Erdgeschoss <strong>des</strong> alten Schlosses.<br />

Die Tische, welche lange zusammenhängende Beihen in den<br />

ungeheuren Sälen bildeten, waren üppig bedient. Den König,<br />

<strong>der</strong> mit seiner Umgebung von Fürsten <strong>und</strong> hohen Generalstabsoffizieren<br />

den Vorsitz führte, konnte man inmitten <strong>der</strong><br />

glänzenden <strong>und</strong> aufgeputzten Menge kaum flüchtig zu Gesicht<br />

bekommen. Ich ging unbemerkt vorbei, indem ich so wenig<br />

als möglich Aufsehen zu erregen suchte, <strong>und</strong> setzte mich an<br />

einem entfernten Tische ganz am Ende im letzten Saale nie<strong>der</strong>.<br />

Ich wusste nicht, dass im ersten Saale, wo sich <strong>der</strong> König<br />

mit den Fürstlichkeiten befand, ein Platz für mich bestimmt<br />

war, wie mir nachher <strong>der</strong> Graf von Stolberg-Wernigerode


— 335 —<br />

mitteilte, <strong>der</strong> mich am Ende <strong>des</strong> Prunkessens glücklich entdeckte,<br />

während gerade einige Reden <strong>und</strong> Beglückwünschungen<br />

ausgetauscht wurden <strong>und</strong> die Militärmusik die Pausen ausfüllte.<br />

Nach dem Bankett war grosser Empfang <strong>und</strong> Festlichkeit<br />

im Schlosse. Der Graf Stolberg hatte die Güte, mich<br />

bei Hof einzuführen <strong>und</strong> vorzustellen. Als Königl. Kammerherr<br />

hatte <strong>der</strong> Graf überall freien Zutritt <strong>und</strong> kannte sich<br />

im ganzen Schlosse aus. Durch eine verborgene Tliüre traten<br />

wir also in den Hauptsaal ein, wo die königliche Familie,<br />

die norddeutschen Bun<strong>des</strong>fürsten, kurz <strong>der</strong> ganze Hof beisammen<br />

war. In den übrigen Sälen vor dem genannten<br />

wimmelte es von Gästen; die Damen <strong>des</strong> hohen preussisclien<br />

Adels, die Generale, die hohen Staatsbeamten waren dort<br />

versammelt. Im inneren Kreis <strong>des</strong> bevorzugten Saales, d. h.<br />

in dem freien Raum in seiner Mitte, bewegten sich <strong>der</strong> König,<br />

die Königin, sowie die mit Ihren Majestäten zunächst verwandten<br />

Prinzen <strong>und</strong> Prinzessinnen, indem sie abwechselnd<br />

bald diese, bald jene Person aus <strong>der</strong> ringsum den Saal füllenden<br />

Gesellschaft anredeten.<br />

Unter diesen Hoheiten <strong>und</strong> vornehmen Herrn bemerkte<br />

ich in einer Ecke <strong>des</strong> Saals, unbeweglich <strong>und</strong> schweigsam,<br />

das bleiche Gesicht <strong>des</strong> grossen Ministers, <strong>des</strong> Grafen Bismarck,<br />

welcher Uniform <strong>und</strong> Helm <strong>der</strong> weissen Kürassiere<br />

trag. Sein ausgesprochen charakteristischer Kopf, seine athletische<br />

Figur hob sich von <strong>der</strong> ganzen Umgebung ab, <strong>und</strong><br />

seine hohe Gestalt überragte die <strong>der</strong> übrigen vor ihm stehenden<br />

Eingeladenen, die gleichfalls zum intimen Hofkreis gehörten.<br />

In dem Augenblick, wo ich ihn inmitten <strong>der</strong> zahlreichen<br />

Hofgesellschaft bemerkte, sprach er mit niemand.<br />

Der König hatte die Güte, sich mit mir zu unterhalten<br />

<strong>und</strong> sagte zu mir unter an<strong>der</strong>em:<br />

„Ich war <strong>der</strong> erste Fürst in Europa, welcher Ihr Werk<br />

würdigte <strong>und</strong> ermutigte, wie Sie 1863 nach Berlin kamen;<br />

doch dachte ich damals nicht, dass wir es so bald brauchen


— 336 —<br />

würden! Aber unser Feind hat uns gezwungen loszuschlagen!<br />

... Jetzt sind alle Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Konvention beigetreten. 0 estreich<br />

ist zuletzt gekommen! Am 20. Juli haben wir Frieden 1 )<br />

geschlossen, <strong>und</strong> am 21. hat es seinen Beitritt erklärt! Das<br />

war etwas spät. Die Oestreicher haben uns alle ihre Verw<strong>und</strong>eten<br />

gelassen! Gleichwohl haben wir für ihre Verw<strong>und</strong>eten<br />

gethan, was in unserer Macht stand. Sie wurden besser<br />

gepflegt als die unsrigen."<br />

Worte wie diese, aus königlichem M<strong>und</strong>e, machen tiefen<br />

Eindruck auf das Gemüt <strong>und</strong> bleiben dem Geiste fest eingeprägt.<br />

Die Artigkeit <strong>des</strong> Königs, seine persönliche Liebenswürdigkeit,<br />

die wohlwollende <strong>und</strong> offenherzige Güte <strong>des</strong> edeln<br />

Greises übten auf alle, die in seine Nähe kamen, einen unvergänglichen<br />

Zauber aus. Wenn jemals ein Fürst durch<br />

seine persönlichen Eigenschaften die Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Liebe<br />

seines Volkes verdient hat, so ist er es sicherlich: er wird<br />

stets als guter König im Innersten <strong>der</strong> Herzen fortleben, <strong>und</strong><br />

das ist gewiss <strong>der</strong> schönste von allen Ruhmestiteln.<br />

Die Königin geruhte zu mir zu sagen: „Wie sehr habe<br />

ich Sie zu sehen gewünscht! Wissen Sie, dass ich Ihre Binde<br />

getragen habe <strong>und</strong> stolz darauf gewesen bin?"<br />

In dem Augenblick, wo die Königin diese Worte sprach,<br />

kam in dem grossen freigelassenen Kreise in <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong><br />

Saales ihr Sohn, <strong>der</strong> Kronprinz <strong>und</strong> nachmalige Kaiser Friedrich<br />

auf sie zu: er wollte ihr drei Prälaten o<strong>der</strong> Pfarrer<br />

im Ornate vorstellen, die <strong>der</strong> Vorstellung gewärtig alle drei<br />

nebeneinan<strong>der</strong> hinter dem Kronprinzen einherschritten. Ohne<br />

jedoch die Prälaten zu beachten, ging die Königin zwei bis<br />

drei Schritte auf ihren erlauchten Sohn zu <strong>und</strong> sagte ihm<br />

') Am 26. Juli kam <strong>der</strong> Nikolsburger Waffenstillstand zum Abschluss,<br />

auf <strong>des</strong>sen Gr<strong>und</strong>lage vier "Wochen später, am 23. August <strong>der</strong> Prager<br />

Friede vereinbart wurde. König Wilhelm hatte ohne Zweifel die dem<br />

eigentlichen Waffenstillstand von Nikolsburg vorangehende fünftägige<br />

Waffenrahe im Auge. — Der Beitritt Oestreichs zur <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

erfolgte am 21. Jnli 1866.


— 337 —<br />

lebhaft auf französicli: „Da ist Herr Dunant, <strong>der</strong> endlich angekommen<br />

ist." 1 )<br />

Der Kronpri nz, gross, aufrecht <strong>und</strong> majestätisch, wie<br />

einer <strong>der</strong> edelsten Paladine <strong>des</strong> Mittelalters, aber voll einfacher<br />

Herzlichkeit, kam auf mich zu, indem er <strong>der</strong> Königin<br />

mit heiterer Miene, aus welcher sein offenherziges Wohlwollen<br />

strahlte, antwortete: „Herr Dunant <strong>und</strong> ich sind schon alte<br />

Fre<strong>und</strong>e," drückte mir herzlich die Hand <strong>und</strong> hiess mich<br />

willkommen.<br />

Noch zweimal sollte ich den guten <strong>und</strong> geliebten Fürsten,<br />

<strong>des</strong>sen Regierung so kurz <strong>und</strong> traurig sein sollte, wie<strong>der</strong>sehen.<br />

Das erste Mal in Eom, unter den Beifallsrufen <strong>des</strong><br />

römischen Volkes, bei dem feierlichen Leichenbegängnis <strong>des</strong><br />

Re galantuomo, als er sich, um seinen Dank für die herzlichen<br />

Zurufe auszudrücken, auf dem Balkon <strong>des</strong> Quirinais<br />

dem römischen Volke zeigte <strong>und</strong> den Erben <strong>der</strong> italienischen<br />

Krone, den Prinzen von Neapel, in die Höhe hielt. Das<br />

zweite Mal, als er mit einem ungeheuren Geleite von Königen<br />

<strong>und</strong> Fürsten in <strong>der</strong> Basilika von Westminster einzog, aus<br />

Anlass <strong>des</strong> fünfzigjährigen Regierungsjubiläums einer grossen<br />

Königin, seiner Schwiegermutter, die durch ihren moralischen<br />

Einfluss während einer langen Regierung England zu dem<br />

gemacht hat, was es heute ist, <strong>und</strong> die es verstanden hat,<br />

<strong>der</strong> Welt den Beweis zu liefern, wessen <strong>der</strong> Einfluss einer<br />

geradherzigen <strong>und</strong> von menschenfre<strong>und</strong>lichen Gefühlen beseelten<br />

Frau fällig ist. 2 )<br />

Der Grossherzog von Sachsen - Weimar, ein<br />

Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Königin <strong>und</strong> <strong>der</strong> Prinzessin Friedrich Karl, drückte<br />

*) Infolge einer Störung <strong>des</strong> Eisenbahnbetriebs in <strong>der</strong> Umgebung<br />

von Frankfurt <strong>und</strong> sonst hatte meine Ankunft eine unfreiwillige Verzögerung<br />

erlitten.<br />

2 ) Am 27. April 1883 verkündigte eine königliche Bekanntmachung,<br />

die Königin Viktoria habe für Frauen jeden Stan<strong>des</strong>, die sich durch die<br />

Pflege <strong>der</strong> Soldaten <strong>und</strong> Seeleute auszeichneten, ein Ehrenzeichen gestiftet.<br />

22


— 338 —<br />

seine ganze Teilnahme an dem internationalen Werke aus,<br />

indem er herzlich hinzufügte: „Ich kann Ihnen sagen, dass<br />

Sie eine <strong>der</strong> Personen sind, <strong>der</strong>en Bekanntschaft ich am<br />

meisten in meinem Leben zu machen gewünscht habe." —<br />

Alsdann wurde ich <strong>der</strong> Prinzessin Friedrich Karl,<br />

sowie an<strong>der</strong>n Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> königlichen Familie vorgestellt,<br />

welche die Güte hatten auf mich zuzukommen, um mir ihr<br />

Wohlwollen zu bezeugen.<br />

Die Prinzessin Friedrich Karl, die Schwester <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

Schwägerin <strong>der</strong> Königin, sagte zu mir: „Mögen Sie<br />

ein gutes Andenken an Ihren Berliner Aufenthalt mitnehmen."<br />

— Die ehrwürdige Herzogin von Mecklenb urg-Schwerin,<br />

die älteste Schwester 1 ) <strong>des</strong> Königs, näherte sich mir<br />

<strong>und</strong> richtete höchst gütige Worte an mich: man fühlte wohl,<br />

dass ihre Lobsprüche nicht blosse Höflichkeiten waren, son<strong>der</strong>n<br />

dass sie <strong>der</strong> ausgezeichneten Frau von Herzen kamen.<br />

Während sie so mit mir sprach, konnte ich nicht umhin, an<br />

ihre erlauchte unglückliche Mutter, die gute Königin Luise,<br />

<strong>und</strong> an die Gefühle zu denken, welche sie bewegt hätten,<br />

wenn sie heute in den Sälen <strong>des</strong> glänzenden Schlosses, aus<br />

dem sie in so traurigen Tagen hatte fliehen müssen, ihre<br />

drei königlichen Kin<strong>der</strong> hätte sehen können, wie sie, im<br />

glücklichsten Greisenalter, von allem menschlichen Kuhm<br />

umgeben waren, welchen siegreiches Waflfenglück, glänzende<br />

Erfolge <strong>und</strong> eine beherrschende europäische Machtstellung<br />

verleihen konnten.<br />

Die Geburt <strong>und</strong> Kindheit <strong>der</strong> Grossherzogin Alexandrine<br />

von Mecklenburg, <strong>der</strong> Witwe <strong>des</strong> Grossherzogs Paul Friedrich<br />

<strong>und</strong> Tochter König Friedrich Wilhelms III., reichte in<br />

eine Zeit schwerer Trübsal für das Haus Hohenzollem <strong>und</strong><br />

für ganz Europa zurück. Gut, liebenswürdig <strong>und</strong> geistreich<br />

wie ihre edle Mutter, war sie ebenso einfach, als ihre Schwester,<br />

die Gemahlin <strong>des</strong> Zaren Nikolaus L, in ihrem moskowitischen<br />

*) Geb. 1803, f 1892.


— 339 —<br />

Ueberfluss prachtliebend war. In Schwerin angebetet, war<br />

sie die Lieblingsschwester König Wilhelms, <strong>der</strong> sie zärtlich<br />

liebte. — Niemand war erstaunter als ich, als diese verehrungswürdige<br />

Fürstin inmitten ihrer Beglückwünschungen<br />

mit rührendem Wohlwollen von meinen grossen Verdiensten<br />

sprach. Diese Lobsprüche brachten mich in Verlegenheit,<br />

denn ich war mir damals, wie immer, bewusst, dass ich nur<br />

ein Werkzeug in"<strong>der</strong> Hand Gottes war; ich habe nie an<strong>der</strong>s<br />

darüber gedacht. Nachdem diese unsichtbare Hand mich<br />

nach Solferino geführt hatte, hat sie thatsächlich meinen<br />

Geist <strong>und</strong> mein Herz gezwungen, mein Buch zu schreiben<br />

<strong>und</strong> mich dann, genötigt, voran zu gehen. Dies war nicht<br />

immer angenehm, wie man auch darüber denken mag; aber<br />

ich habe das Glück gehabt, treffliche Hilfe <strong>und</strong> hingebende<br />

Mitarbeiter zu finden, welche so vollkommen in den Geist<br />

<strong>des</strong> Werkes eingedrungen sind, dass wir alle nur eine Seele<br />

waren <strong>und</strong> nur den einen Willen hatten, Gutes zu thun, indem<br />

wir die in <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" ausgesprochenen<br />

Wünsche verwirklichten. Nachdem das Werk einmal<br />

geschaffen war, konnte sein Begrün<strong>der</strong> also, olme Schaden<br />

für dieses, von dem Schauplatze verschwinden, als schwere<br />

<strong>und</strong> grausame Schicksalsschläge ihn zu Boden warfen. Das<br />

Werk war in den verschiedenen europäischen Län<strong>der</strong>n fest<br />

gegründet; es stützte sich auf die Hitwirkung aller hochherzigen<br />

Männer, aller guten <strong>und</strong> hingebenden Frauen.<br />

Der Sohn <strong>der</strong> Grossherzogin Alexandrine von Mecklenburg,<br />

<strong>der</strong> Grossherzog Friedrich Franz II., nahm an<br />

dem menschenfre<strong>und</strong>lichen Unternehmen von Anfang an innigen<br />

Anteil; er führte es unter seinem Schutze in seinen<br />

Staaten ein <strong>und</strong> hörte nie auf, ihm seine wohlwollende Unterstützung<br />

zuzuwenden; <strong>der</strong> diplomatischen Konvention trat er<br />

alsbald bei.*)<br />

An jenem selben Abend machte Prinz Friedrich<br />

i) 9. März 1865.


— 340 —<br />

Karl, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>des</strong> Königs <strong>und</strong> Grossmeister <strong>des</strong> Jolianniterordens<br />

von Jerusalem, die Bemerkung, er habe „dem<br />

ebenso wichtigen als menschenfre<strong>und</strong>lichen <strong>und</strong> hochherzigen<br />

internationalen Unternehmen", <strong>des</strong>sen Weiterentwicklung er<br />

lebhaft wünsche, von Anfang an seinen Schutz gewährt. Er<br />

zeigte sich aber etwas entrüstet über eine, etwa zweieinhalb<br />

Jahre zuvor (am 20. Febr. 1864) erschienene Nummer einer<br />

Schweizer Zeitung, welche einem französischen Blatte nacherzählt<br />

hatte, während <strong>des</strong> dänischen Kriegs sei es vorgekommen,<br />

dass man die Verw<strong>und</strong>eten mit Heu <strong>und</strong> Stroh verb<strong>und</strong>en<br />

habe, weil nicht Charpie in genügen<strong>der</strong> Menge vorhanden<br />

gewesen sei. Der Prinz erklärte nachdrücklich: „Ich<br />

war dabei <strong>und</strong> habe nichts <strong>der</strong>artiges gesehen." Dann nahm<br />

er sich die Mühe, zu erzählen, was während <strong>des</strong> dänischen<br />

Krieges von Seiten Preussens im Sinne <strong>der</strong> von <strong>der</strong> internationalen<br />

Konferenz <strong>des</strong> Jahres 1863 ausgesprochenen Wünsche<br />

Gutes geschehen sei, wobei er bemerkte, Dänemark habe<br />

damals doch noch keine Gesellschaft besessen, welche ganz<br />

denjenigen entsprochen hätte, <strong>der</strong>en Gründung von <strong>der</strong> Konferenz<br />

beschlossen gewesen sei, <strong>und</strong> die Konvention habe<br />

sich um jene Zeit noch im Zustande eines ersten Entwurfs<br />

bef<strong>und</strong>en. „Wir haben," fuhr <strong>der</strong> Prinz fort, „während dieses<br />

Kriegs nach den von <strong>der</strong> 1863er Konferenz aufgestellten<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen gehandelt;" er erinnerte mich daran, dass er<br />

den Prinzen Heinrich XHI. von Reuss zu dieser Konferenz<br />

abgesandt habe, um den Johanniterorden von Jerusalem auf<br />

ihr zu vertreten <strong>und</strong> fügte bei: „Niemand hat sich für Ihr<br />

Werk seit seinen ersten Anfangen mehr interessiert, als <strong>der</strong><br />

König <strong>und</strong> ich, als Grossmeister <strong>des</strong> Johanniterordens."<br />

Nachdem ich so diesen erlauchten Personen vorgestellt<br />

worden war, wandten sich meine Blicke noch einmal nach<br />

jener Riesengestalt in funkeln<strong>der</strong> Rüstung, die immer noch<br />

unbeweglich <strong>und</strong> stumm in <strong>der</strong> Saalecke stand, wo ich sie<br />

bei meinem Eintritt bemerkt hatte. Der grosse Mann betrachtete<br />

mich fest <strong>und</strong> prüfend. Unsere Blicke begegneten


— 341 —<br />

sich. Suchte <strong>der</strong> berühmte Staatsmann, <strong>der</strong> grosse Patriot zu<br />

erraten, wer wohl dieser bescheidene Fremdling war, <strong>der</strong><br />

einzige in dem Saale <strong>der</strong> Auserwählten, inmitten dieses von<br />

glänzenden Uniformen wimmelnden Hofes, <strong>der</strong> bürgerlich in<br />

den einfachen schwarzen Frack ohne Gold <strong>und</strong> Stickereien<br />

gekleidet war <strong>und</strong> dem ein solcher Empfang durch die Glie<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> mächtigen Hohenzollernhauses zu teil wurde ? O<strong>der</strong>, falls<br />

er wusste, wer ich war, nämlich <strong>der</strong> Vertreter eines Friedenswerkes<br />

im besten Sinne <strong>des</strong> Wortes, dachte er wohl an all<br />

das Blut, das infolge seiner so erfolgreich geleiteten Politik<br />

in Böhmen geflossen war, an jenes Blut, welches zu stillen<br />

die freiwilligen Hospitaliter so viele Mühe gehabt hatten?<br />

Er hatte ein gewagtes Spiel gespielt, <strong>und</strong> er hatte gewonnen.<br />

Aber welch beklemmende Angst hatte er ausstehen müssen!<br />

Sein abgemagertes Gesicht war bleich wie <strong>der</strong> Tod.<br />

Am folgenden Tag, einem Samstag, geruhte die Königin<br />

mich zu einer Abendgesellschaft im engeren Kreis einladen<br />

zu lassen, <strong>und</strong> am Sonntag wurde ich von Ihren Majestäten<br />

zur Tafel gezogen. An dem Essen, das um 5 Uhr stattfand,<br />

nahmen etwa ;»0 Personen teil. Ich begab mich zur bezeichneten<br />

St<strong>und</strong>e in das königliche Schloss. In dem Saale angekommen,<br />

wo die Eingeladenen die Ankunft <strong>der</strong> Fürstlichkeiten<br />

erwarteten, zog ich mich in die Nische eines <strong>der</strong><br />

grossen Fenster zurück, die am Ende <strong>der</strong> berühmten Strasse<br />

„Unter den Linden" nach dem Schlossplatz gingen. Einige<br />

Minuten später öffnete <strong>der</strong> diensthabende Haushofmeister die<br />

Flügelthiire, stiess zweimal mit seiner Hellebarde auf die<br />

Marmorplatten <strong>und</strong> rief feierlich: „Der König! Die Königin!"<br />

— Die Majestäten traten ein. Die Königin bemerkte mich<br />

sofort in <strong>der</strong> Fensternische, in <strong>der</strong> ich mich zusammengeschmiegt<br />

hatte, <strong>und</strong> die sich <strong>der</strong> Eingangsthüre zum Saal<br />

gegenüber befand. Sie kam gerade auf mich zu <strong>und</strong> sagte<br />

zu mir, indem sie auf eine weisse Armbinde mit rotem Kreuze<br />

wies, die sie am linken Arme trag: „Sehen Sie, ich trage


— 342 —<br />

Ihre Armbinde! Icli habe sie während <strong>des</strong> Kriegs nicht abgelegt.<br />

Heute habe ich sie Ihretwegen angezogen!"<br />

Die Königin behielt die Armbinde am blossen Arm während<br />

<strong>des</strong> ganzen Essens, bei welchem ich so ziemlich Ihren<br />

Majestäten gegenüber zwischen zwei Kammerherren, dem<br />

Grafen Perponcher <strong>und</strong> dem Grafen Pourtales sass.<br />

Unter den Eingeladenen befand sich ausser mehreren Hofdamen<br />

<strong>der</strong> Grossherzog von Sachsen-Weimar, <strong>der</strong><br />

junge Erbprinz von Sachsen-Meiningen, <strong>der</strong> nachmalige<br />

Schwiegersohn Kaiser Friedrichs, <strong>und</strong> einige alte<br />

Waffengefahrten <strong>des</strong> Königs, welche nach ihren Besitzungen<br />

zurückgingen, um von den Anstrengungen <strong>des</strong> böhmischen<br />

Feldzugs auszuruhen. Der König zeigte den letzteren gegenüber<br />

eine herzliche Einfachheit <strong>und</strong> tauschte leutselig alte<br />

Kriegserinnerungen mit ihnen aus. Anwesend war auch im<br />

einfachen schwarzen Frack Herr von Forckenbeck, Präsident<br />

<strong>des</strong> preussischen Abgeordnetenhauses, welcher den Majestäten<br />

gegenüber sass <strong>und</strong> <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Gegenstand ihres<br />

hohen Wohlwollens war; <strong>und</strong> doch war bekanntlich <strong>der</strong><br />

spätere grosse Oberbürgermeister von Berlin we<strong>der</strong> ein<br />

Schmeichler, noch ein Höfling.<br />

Nach <strong>der</strong> Tafel sagte die Königin zu dem Kammerherrn<br />

Grafen Perponcher: „Sie werden Herrn Dunant noch dabehalten,<br />

da ich in Euhe mit ihm plau<strong>der</strong>n möchte." — Drei<br />

Viertelst<strong>und</strong>en später führte man mich in die Privatgemächer<br />

Ihrer Majestät. — „Nehmen Sie Platz," sagte sie zu mir.<br />

— Ich gehorchte. — Alsdann erzählte mir die Königin folgen<strong>des</strong><br />

:<br />

„Eines Tags 1 ) fand ich auf meinem Arbeitstisch Ihr<br />

Buch Eine Erinnerung an Solferino; . . . wer es<br />

hatte hinlegen lassen, weiss ich nicht, aber es wird wohl<br />

Pourtales gewesen sein... Ich habe Sie sofort verstanden!<br />

. . . Ich war so bewegt, dass ich es dem König zu lesen<br />

!) Wahrscheinlich in den letzten "Wochen <strong>des</strong> Jahrs 1862.


- 343 —<br />

gab . . . Der König gab es mir, nachdem er es ganz gelesen<br />

hatte, zurück mit den Worten: Wir müssen dafür sorgen, dass<br />

das Werk zu stände kommt! . . . Darum haben wir beide,<br />

<strong>der</strong> König <strong>und</strong> ich, als Sie im Jahre 1863 nach Berlin kamen,<br />

um die Billigung Ihres Werks durch den Statistischen Kongress<br />

zu erlangen, alle Ihre Anstrengungen in dieser Richtung<br />

mit <strong>der</strong> lebhaftesten Teilnahme verfolgt. Sie sehen<br />

also, dass ich bei Ihrem Werk gewissermassen Paten gestanden<br />

bin. Ich habe es von seinem Anfang an zu würdigen<br />

gewusst . . . Ich habe auch mit grossem Interesse den Artikel<br />

<strong>des</strong> Professors Saint-Marc Girardin über Ihr Werk im<br />

Journal <strong>des</strong> Debats gelesen. ... Im Anfange <strong>des</strong> Kriegs<br />

musste ich alles selbst überwachen. Der König hatte mich<br />

allein mit <strong>der</strong> Cholera in Berlin zurückgelassen; alle Welt<br />

war beim Heere, zu einer Zeit, wo man noch nichts über<br />

den Ausgang <strong>des</strong> Kriegs wusste, <strong>der</strong> so unglücklich für<br />

Preussen ausfallen konnte! Es herrschte so viel Parteiung<br />

<strong>und</strong> Uneinigkeit! Ich war so unglücklich! Aber Ihr Werk<br />

hat uns alle zusammengeführt. Der freiwillige Antrieb war<br />

w<strong>und</strong>erbar; er übertraf alle Erwartungen . . . Ihren Gedanken,<br />

dass die Koxnites in Dauer bleiben sollen, billige ich<br />

sehr. Im Frieden sollen sie wohl organisiert <strong>und</strong> immer<br />

in Bereitschaft bleiben . . . Glauben Sie nicht, dass sie<br />

sich auch mit unvorhergesehenen Katastrophen <strong>und</strong> in Friedenszeiten<br />

mit menschenfre<strong>und</strong>lichen Werken beschäftigen<br />

sollten?"<br />

Ohne mir Zeit zu lassen, die letzte Frage zu beantworten<br />

(die übrigens schon in meiner Erinnerung an<br />

Solferino bejaht worden war), fragte mich alsdann Ihre<br />

Majestät höchst wohlwollend nach meinen Familienverhältnissen.<br />

Sie erzählte mir, sie habe im Jahr 1864 während<br />

<strong>der</strong> Sitzungen <strong>des</strong> Kongresses einige Tage in Genf zugebracht;<br />

sie habe auch das Dampfschiff bemerkt, welches die Kongressmitglie<strong>der</strong><br />

nach einem Landgut am Schweizer Ufer trug. Die<br />

künftige Kaiserin von Deutschland fügte bei: „Damals sagte


— 344 —<br />

ich zu meinem unvergesslichen Herrn Soret 1 ): Ich habe<br />

etwas gesehen, was mir grosses Vergnügen bereitet hat,<br />

nämlich den Zusammentritt <strong>des</strong> Kongresses, denn ich habe<br />

das Werk von Anfang an bew<strong>und</strong>ert, <strong>und</strong> war eine <strong>der</strong> ersten,<br />

die sich dafür interessierten, wie Herr Dunant nach Berlin<br />

kam. Ich bin eine eifrige Jüngerin von ihm." — Die Königin<br />

erk<strong>und</strong>igte sich nach den Professoren Auguste de la<br />

Rive <strong>und</strong> Ernest Naville; endlich sprach sie von <strong>der</strong> Thätigkeit,<br />

welche die Frauenvereine in den Vereinigten Staaten<br />

während <strong>des</strong> Sezessionskriegs entfaltet hatten.<br />

Hierauf kam Ihre Majestät wie<strong>der</strong> auf die grosse Teilnahme<br />

zu reden, welche <strong>der</strong> König an allem nehme, was das<br />

internationale Werk in Kriegszeiten betreffe, <strong>und</strong> fügte bei:<br />

„Der König ist sehr international... Er hat gemessenen Befehl<br />

gegeben, dass alle verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> gefangenen Oestreicher<br />

gut behandelt würden; <strong>und</strong> zwar so, dass man, wie die<br />

ersten Züge von Oestreichern nach Berlin kamen, nur gegen sie<br />

zuvorkommend war, <strong>und</strong> die Preussen, welche sie begleiteten,<br />

buchstäblich leiden liess. Und wenn ein Krieg mit Frankreich<br />

ausbräche, so würde man den französischen Verw<strong>und</strong>eten dieselbe<br />

Teilnahme entgegenbringen, Sie dürfen <strong>des</strong>sen sicher sein..."<br />

Die Königin klingelte <strong>und</strong> liess eine prächtige Alabasterstatue<br />

hereinbringen, welche den Erzengel Michael darstellte,<br />

auf <strong>des</strong>sen Brust sie das in Relief ausgehauene Kreuz hatte<br />

rot bemalen lassen. — „Ich wünsche," sagte sie, „dass Sie<br />

die Statue auf Ihren Arbeitstisch stellen <strong>und</strong> als Andenken<br />

an mich behalten." 2 )<br />

*) Herr Fre<strong>der</strong>ic Soret von Genf war einst in Weimar, am Hofe ihres<br />

Vaters, <strong>des</strong> Grossherzogs Karl Friedrich, <strong>der</strong> Lehrer <strong>der</strong> Königin gewesen.<br />

Wahrscheinlich hatte Herr Soret die Königin über meine Familie <strong>und</strong> unter<br />

an<strong>der</strong>em auch über meine gute Mutter, die einzige Schwester <strong>des</strong> berühmten<br />

Ingenieurs <strong>und</strong> Professors Daniel Colladon, <strong>des</strong>sen Fre<strong>und</strong> er war, unterrichtet.<br />

2 ) Wie schon bemerkt, sind die hier angeführten Worte <strong>der</strong> Angehörigen<br />

<strong>des</strong> Hohenzollernhauses, wie übrigens alle Citate, selbstverständlich<br />

wörtlich wie<strong>der</strong>gegeben. Die angeführten Worte wurden alle französisch<br />

gesprochen.


— 345 —<br />

Als ich in mein Hotel 1 ) zurückkam, war die Statue<br />

schon dort angekommen. Am folgenden Tag wurde ich von<br />

<strong>der</strong> Stadt Berlin zu einem Riesenprunkessen eingeladen. Der<br />

König, die Prinzen, die Generale kamen dort kameradschaftlich<br />

mit den Stadträten <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Civilbeamten zusammen;<br />

zahlreiche friedfertige Trinksprüche wurden ausgebracht: das<br />

weisse Banner mit dem roten Kreuz wurde von Herrn von<br />

Forckenbeck nicht vergessen. Bei diesem Essen beson<strong>der</strong>s<br />

lernte ich mehrere jener Generale kennen, welche vier Jahre<br />

später in einem denkwürdigen Kriege sich mit Ruhm bedecken<br />

sollten, <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Namen so viel genannt wurden.<br />

Ihre Majestät die Königin-Witwe, die "Witwe<br />

König Friedrich "Wilhelms IV., welche im Schlosse Sans-<br />

Souci in Potsdam, ganz in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Mühle wohnte,<br />

welche durch die von ihrem Besitzer dem grossen Friedrich<br />

gegebene Antwort berühmt geworden war, liess mich<br />

durch ihren Kammerherrn zu sich bescheiden, nachdem<br />

dieser den "Weisungen <strong>der</strong> Königin gemäss Tag <strong>und</strong> St<strong>und</strong>e<br />

für meinen Besuch festgesetzt hatte. Infolge einer unglücklichen<br />

Verkettung von Umständen, einer Verän<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong><br />

Abgangszeit <strong>der</strong> Züge, kam ich zu spät in Potsdam an. Der<br />

Kammerherr <strong>der</strong> Königin hatte mich auf <strong>der</strong> Station erwartet,<br />

<strong>und</strong> als er mich dort nicht antraf, hatte er, durch ein<br />

Telegramm von dem Missgeschick in Kenntnis gesetzt, die<br />

Güte, sich bei <strong>der</strong> Ankunft <strong>des</strong> nächsten Zugs noch einmal<br />

einzufinden. Die Königin "Witwe hatte ihm anempfohlen, mir<br />

die Schlossgärten zu zeigen, bis sie von ihrer Spazierfahrt,<br />

die sie täglich zu bestimmter St<strong>und</strong>e machte, zurückkäme.<br />

Bei dieser Gelegenheit besuchten wir die alte Mühle von<br />

Sans-Souci, die trotz ihres hohen Alters immer noch als ein<br />

lebendiges Zeugnis von <strong>der</strong> Weisheit <strong>des</strong> königlichen Philosophen<br />

erhalten ist.<br />

Die Königin-Witwe, die Schwester König Ludwigs I.<br />

*) Petersburger Hof Unter den Linden.


— 346 —<br />

von Bayern, <strong>der</strong> Königin von Sachsen (Gemahlin <strong>des</strong> guten<br />

Königs Johann) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erzherzogin Sophie, <strong>der</strong> erlauchten<br />

Mutter <strong>des</strong> Kaisers Franz Joseph II. von Oestreicli, war die<br />

verkörperte Güte. Ueber die Einzelheiten <strong>des</strong> menschenfre<strong>und</strong>lichen<br />

Werks war sie vollständig auf dem Laufenden.<br />

Sie hatte es von seinem Anfang auf dem Schlachtfeld von<br />

Solferino an verfolgt, wo ihr kaiserlicher Neffe sich so tapfer<br />

an <strong>der</strong> Spitze seines wackeren Heeres geschlagen hatte, <strong>und</strong><br />

wo nur so wenig gefehlt hätte, dass <strong>der</strong> Sieg seine Tapferkeit<br />

krönte. Sie brachte also allem, was das internationale<br />

Werk <strong>der</strong> Nächstenliebe betraf, ein brennen<strong>des</strong> Interesse<br />

entgegen, denn in dem böhmischen Krieg, <strong>der</strong> soeben zu Ende<br />

gegangen war, war ihre erlauchte Verwandtschaft durch die<br />

Macht <strong>der</strong> Umstände in zwei verschiedene feindliche Lager<br />

geteilt. Solange <strong>der</strong> Krieg dauerte, liess sich die hohe Frau,<br />

obwohl gelähmt, nach den Bahnhöfen von Potsdam <strong>und</strong> Berlin<br />

tragen, um den sich nach den Schlachtfel<strong>der</strong>n begebenden<br />

preussischen Frauen Mut zuzusprechen, sowie den mit den<br />

Eisenbahnzügen ankommenden Verw<strong>und</strong>eten Trost zu spenden.<br />

In ihrem Salon stand auf ihrem Lieblingstisch neben ihrem<br />

Lehnstuhl, so dass sie sofort in die Augen fiel, eine riesige<br />

Blumenschale aus funkelndem Bergkrystall, mit vier flachen<br />

<strong>und</strong> niedrigen, in Form eines verkürzten <strong>Kreuzes</strong> gemeisselten<br />

Armen, welche mit amarantroten Eosen gefüllt waren. Dieser<br />

üppige Kosenschmuck bildete so eine ebenso genaue als anmutige<br />

Nachbildung <strong>des</strong> internationalen <strong>Kreuzes</strong> <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten.<br />

— Viele Damen, welche zu den Hilfskomites in<br />

Berlin gehörten, trugen Broschen mit dem roten Kreuz auf<br />

weissemailliertem Silber, <strong>und</strong> die Damen <strong>des</strong> Hilfskomites,<br />

<strong>des</strong>sen Vorsitz die Königin Augusta führte, verehrten dieser<br />

als Zeichen ihrer Dankbarkeit für den Eifer <strong>und</strong> die Hingebung,<br />

die sie in <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> Frauenvereine bewiesen<br />

hatte, eine solche reich mit Diamanten geschmückte Brosche.<br />

Die Königin Augusta hatte durch ihre persönliche<br />

Thätigkeit eine mächtige Anregung gegeben; sie hatte an


— 347 —<br />

den Arbeiten <strong>der</strong> Komites persönlich grossen Anteil genommen<br />

<strong>und</strong> die Armbinde während <strong>des</strong> ganzen Feldzugs nicht<br />

abgelegt. Täglich besuchte sie die Ambulanzen <strong>und</strong> Spitäler,<br />

kam stets mit einem fre<strong>und</strong>lichen Wort <strong>und</strong> verstand es,<br />

einem jeden ohne Unterschied <strong>der</strong> Volksangehörigkeit Mut<br />

<strong>und</strong> Trost zu spenden. Oft begab sie sich zweimal täglich<br />

mitten unter die Verw<strong>und</strong>eten o<strong>der</strong> die Kranken, die an<br />

Fieber, Typhus <strong>und</strong> Cholera danie<strong>der</strong>lagen. Ueberall wurde<br />

ihr Erscheinen mit Segenswünschen begrüsst. Sie begab<br />

sich nach Magdeburg, um die vielen Spitäler daselbst zu besuchen;<br />

sie liess sich dabei von Dolmetschern begleiten,<br />

welche <strong>der</strong> verschiedenen Sprachen <strong>der</strong> östreichischen Monarchie<br />

mächtig waren, damit je<strong>der</strong> feindliche Soldat sie verstehen<br />

könne, liess jedem <strong>der</strong> letzteren einen Dukaten einhändigen<br />

<strong>und</strong> die Dolmetscher, die sie begleitet hatten, reich<br />

belohnen. Sie überzeugte sich selbst davon, dass die Komites<br />

für die Verw<strong>und</strong>eten auf keinerlei Hin<strong>der</strong>nis von seiten <strong>der</strong><br />

Verwaltung stiessen: kurz, man kann sagen, dass sie die<br />

Seele <strong>des</strong> Werks in Preussen war, <strong>und</strong> alle Prinzessinnen<br />

<strong>des</strong> königlichen Hauses ahmten ihrem Beispiel nach. Sie<br />

war die erste internationale Samariterin in<br />

Deutschland.<br />

Als ich Sans-Souci verliess, schweiften meine Gedanken<br />

noch einmal zurück zu jenem Fürsten berühmten Angedenkens,<br />

<strong>der</strong>, als er gegen das Ende seines Lebens sich dorthin<br />

zurückzog, es trotz seines phantastischen <strong>und</strong> <strong>des</strong>potischen<br />

Geistes verstand, einzig <strong>und</strong> allein darauf zu sinnen, wie er<br />

die Leiden <strong>des</strong> Kriegs wie<strong>der</strong> gut machte, die Finanzen<br />

wie<strong>der</strong> in Ordnung brachte <strong>und</strong> seine Staaten, in welchen er<br />

die Verfolgten an<strong>der</strong>er Nationen gastfre<strong>und</strong>lich aufnahm, als<br />

Weiser regierte. Dann musste ich nochmals an jenen an<strong>der</strong>n<br />

Fürsten denken, <strong>der</strong>, gleichfalls ein ruhmbedeckter Greis,<br />

geruht hatte, mich so gütig in Berlin aufzunehmen; denn er<br />

war leutselig gegen je<strong>der</strong>mann, ich mitss dies wie<strong>der</strong>holen,


— 348 —<br />

jener tugendreiche, unermüdliche, wachsame, thätige <strong>und</strong><br />

hingebende Fürst, aus dem ein hochdenken<strong>der</strong> Geist <strong>und</strong> ein<br />

nie erlahmen<strong>des</strong> Pflichtgefühl einen <strong>der</strong> ernstesten Könige<br />

gemacht haben, die jemals lebten, <strong>und</strong> einen <strong>der</strong> würdigsten,<br />

als Vorbild hingestellt zu werden, denn sein Königtum war<br />

eine ununterbrochene Selbstverleugnung.<br />

Als ich an jenem selben Tage nach Berlin zurückkehrte,<br />

hatte ich das Glück, in den Strassen <strong>der</strong> Stadt an dem ehrwürdigen<br />

Oberhaupt <strong>des</strong> Hauses Hohenzollern vorbeizufahren.<br />

Er sass mit einer Person von seinem Gefolge in einer bescheidenen<br />

offenen Droschke; beide waren bürgerlich gekleidet.<br />

Mit seiner patriarchalischen <strong>und</strong> wohlwollenden Miene geruhte<br />

er, mich mit einem jener Griisse voll Herzensgüte zu<br />

beehren, die ihm aller Herzen gewannen.<br />

Hätte ich damals einen Blick in die Zukunft thun können,<br />

so hätte ich den erlauchten Enkel Wilhelms I., den<br />

mächtigen <strong>und</strong> friedliebenden Kaiser Wilhelm II., gesehen,<br />

wie er bemüht ist, das Glück Deutschlands zu mehren<br />

<strong>und</strong> den Frieden Europas zu wahren, <strong>und</strong> wie er es, seinem<br />

Ahnherrn gleich, versteht, durch nützliche <strong>und</strong> weise Einrichtungen<br />

den Fortschritt von oben aus zu verbreiten. Ich<br />

hätte ihn die Bahn friedlicher Eroberungen beschreiten <strong>und</strong><br />

die Welt mit ruhmreichen Arbeiten von unbestreitbarer internationaler<br />

Wichtigkeit beschenken sehen. Dann wären mir<br />

jene Worte, Avelche die Königin Augusta einige Tage zuvor<br />

zu mir sprach: „<strong>der</strong> König ist sehr international," mit mehr<br />

Nachdruck <strong>und</strong> grösserer Klarheit wie<strong>der</strong> in den Sinn gekommen.<br />

— Als <strong>der</strong> Enkel Wilhelms <strong>des</strong> Grossen diesen in<br />

Kiel ehrte, ehrte er ihn doppelt dadurch, dass er einem zur<br />

Wohlfahrt aller Völker bestimmten Werke die Weihe gab;<br />

<strong>und</strong> nicht umsonst wird die Berliner internationale Konferenz<br />

vom Jahre 1890 einen edelmütigen Anstoss zu menschenfre<strong>und</strong>lichem<br />

Wirken gegeben haben, — Mögen alle Fürsten,<br />

alle Oberhäupter <strong>der</strong> Völker überall einem so edeln Beispiele<br />

folgen! Ist es nicht dringend notwendig, die falsche


— 341) —<br />

Iuternationalität, die <strong>der</strong> Anarchie, durch die walire,<br />

gute Internationalität zu bekämpfen! Heutzutage,<br />

wo alles in Frage gestellt wird, wo an den durch ihr Alter<br />

geheiligten gesellschaftlichen Einrichtungen gerüttelt wird,<br />

wo <strong>der</strong> Boden fast überall untergraben ist, wo die Zügellosigkeit<br />

<strong>der</strong> Geister so gross ist, dass die altersschwache<br />

Welt inmitten <strong>der</strong> moralischen Verwirrung, in welcher ein<br />

Teil <strong>der</strong> Menschheit sich herumstreitet, den Glauben an sich<br />

selbst verloren zu haben scheint, — da ist es diese weise,<br />

friedliche Internationalität, die Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

im wahrsten Sinne <strong>des</strong> Worts, die allein jetzt im stände<br />

zu sein scheint, uns gegen die uns drohenden Umwälzungen<br />

zu schützen. Ihre Verbreitung <strong>und</strong> ihr Reich beschleunigen,<br />

heisst so viel, als den Fortschritt nach unten hin ausbreiten,<br />

die Selbstsucht, welche die Völker wie die Individuen zuletzt<br />

verblendet, abstumpft, verknöchert, bekämpfen, die körperliche,<br />

geistige <strong>und</strong> sittliche Wohlfahrt aller Völker mehren,<br />

<strong>und</strong> vielleicht die über unsern Häuptern drohende Flut von<br />

Blut fernehalten.<br />

Dieses Werk <strong>der</strong> Friedensstiftung, <strong>der</strong> Beruhigung, <strong>des</strong><br />

Mitleids, <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit unter den Menschen, <strong>der</strong> wohlwollenden<br />

Neutralität gegen alle <strong>und</strong> gegen jeden, ohne Rücksicht<br />

auf seine Nationalität, seinen Glauben, seine Rasse,<br />

seine Partei, seine Meinungen o<strong>der</strong> seine gesellschaftliche<br />

Sjtellung, kommt vor allem den Samaritern zu. Die Samariter<br />

sind die Apostel <strong>der</strong> Güte: ein edler <strong>und</strong> ruhmvoller<br />

Titel, welcher auch Verpflichtungen auferlegt.<br />

Die Samariter haben sich zu Aposteln alles <strong>des</strong>sen zu machen,<br />

was irgend die Menschheit unter dem Gesichtspunkt edler,<br />

weitherziger, duldsamer Gedanken berührt, ebenso wie sie<br />

in materieller Hinsicht die Nächstenliebe gegen je<strong>der</strong>mann<br />

üben. Die Samariter <strong>und</strong> Samariterinnen <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong><br />

sollen in allen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt die Apostel <strong>der</strong> Güte<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong> Friedens sein; das heisst, sie sollen persönlich über<br />

die Vorurteile <strong>und</strong> vorgefassten Meinungen, welche sich im


— 350 —<br />

alltäglichen Leben <strong>der</strong> Nächstenliebe in den Weg stellen,<br />

erhaben sein, sie sollen in dieser Hinsicht die Lehrer <strong>des</strong><br />

Volkes werden. Samariter <strong>und</strong> Samariterinnen sollen die<br />

Apostel <strong>des</strong> Friedens im weitesten Sinne <strong>des</strong> Wortes<br />

sein. Sie sollen alles von einem höheren Standpunkt aus zu<br />

betrachten <strong>und</strong> einen grösseren Gesichtskreis zu überschauen<br />

suchen, als <strong>der</strong> grosse Haufe. Thun wir alle unser möglichstes,<br />

um jedem Lande die Erfahrungen <strong>der</strong> übrigen Län<strong>der</strong><br />

zu gut kommen zu lassen, in allem, was die guten Beziehungen<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Gesellschaftsklassen <strong>und</strong> die internationalen<br />

Beziehungen, die dem Wohlergehen aller in Friedenszeiten<br />

am günstigsten sind, zu för<strong>der</strong>n geeignet ist, denn<br />

seinem Nebenmenschen helfen, ihn unterstützen, heilen, trösten,<br />

sind an sich schon erhabene Werke, aber gleichzeitig führen<br />

sie dazu, den Uebeln selbst zu steuern <strong>und</strong> sie zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Im April 1896, beim Besuch <strong>des</strong> deutschen Kaiserpaars<br />

in Venedig, wo es vom König <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Königin von<br />

Italien so herzlich empfangen wurde, wurde dem internationalen<br />

Banner <strong>der</strong> Menschenhebe von Wilhelm II. eine bemerkenswerte<br />

Huldigung erwiesen. Am Sonntag, dem 12.<br />

April, liess <strong>der</strong> junge <strong>und</strong> edle Monarch während <strong>des</strong> an Bord<br />

<strong>des</strong> „Hohenzollern" stattfindenden Gottesdienstes das weisse<br />

Banner <strong>des</strong> ßoten <strong>Kreuzes</strong> über <strong>der</strong> deutschen Nationalflagge<br />

am hinteren Flaggenmast <strong>der</strong> majestätischen schneeweissen<br />

Kaiserjaclit hissen. Kaiser Wilhelm I. <strong>und</strong> die Kaiserin<br />

Augusta wären glücklich über dieses Zeugnis gewesen,<br />

welches ihr erhabener Enkel damit einem AVerke <strong>des</strong> Friedens,<br />

<strong>der</strong> Menschlichkeit, <strong>der</strong> Nächstenliebe, <strong>des</strong> allgemeinen<br />

Wohlwollens ausstellte, <strong>des</strong>sen Gelingen beiden so sehr am<br />

Herzen lag. Der deutsche Kaiser zeigte damit, dass die<br />

internationale Brü<strong>der</strong>lichkeit in <strong>der</strong> Nächstenliebe etwas Edles<br />

<strong>und</strong> für ihn etwas Wirkliches ist: er zeigte sich wahrhaft<br />

als einen Jünger <strong>des</strong> Friedensfürsten.


— 351 —<br />

An den auf meinen Besuch in Sans-Souci folgenden<br />

Tagen hatten <strong>der</strong> Prinz <strong>und</strong> die Prinzessin Boguslaw Radziwill,<br />

in Begleitung <strong>des</strong> Generals von Wildenbruck,<br />

eines Verwandten von ihnen <strong>und</strong>, wie sie, Mitglieds <strong>des</strong> Komites<br />

für die Verw<strong>und</strong>eten, die Güte, mich in ihrem Wagen<br />

nach den Hauptspitälern von Berlin zu führen: nach dem<br />

St. Hedwigs-Spital, dem Diakonissenliaus, dem Spital <strong>der</strong><br />

katholischen barmherzigen Schwestern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en. Die<br />

Prinzessin Leontine Radziwill, eine Tochter <strong>des</strong> Fürsten<br />

Clary-Aldringen, war eine Oestreicherin. Sie hatte während<br />

<strong>des</strong> Kriegs moralisch sehr gelitten, <strong>und</strong> hatte jetzt die Güte,<br />

mich überall mit dem grössten Wohlwollen einzuführen. Ihr<br />

Gemahl, <strong>der</strong> im Jahre 1809 geboren war, war <strong>der</strong> ausgezeichnetste<br />

Mann, den man treffen kann; man erzählt von<br />

ihm eine Menge zartfühlen<strong>der</strong> <strong>und</strong> rühren<strong>der</strong> Züge von<br />

Herzensgüte. Die barmherzigen Schwestern <strong>und</strong> die Diakonissinnen<br />

nahmen den Vertreter <strong>des</strong> Gedankens von internationalen<br />

Hilfeleistungen für die Verw<strong>und</strong>eten mit einer<br />

Begeisterung auf, die mich ebenso tief rührte, als sie mich<br />

demütig <strong>und</strong> bescheiden stimmte. Wie hoch stehen diese<br />

kleinen, sich jeden Tag erneuernden häuslichen Pflichten,<br />

diese im Verborgenen bleibenden Opfer, die von den wackern,<br />

edeln Frauen bescheiden, geduldig <strong>und</strong> treu, wie vor Gott<br />

<strong>und</strong> für ihn gebracht werden, in Wirklichkeit über den von<br />

<strong>der</strong> Geschichte so hoch gepriesenen Beispielen von Heldenmut,<br />

über den grossartigen Arbeiten, den glänzenden Deklamationen<br />

vieler <strong>und</strong> selbst <strong>der</strong> besten Menschenfre<strong>und</strong>e!<br />

Die Gräfin von Lüttichau lud mich zu sich zu einer<br />

Komitesitzung <strong>der</strong> Damen ein, welche die Aufgabe hatten,<br />

die mit Verw<strong>und</strong>eten angefüllten Spitäler von Berlin zu besuchen.<br />

In jedem Spital befanden sich beständig drei Damen<br />

<strong>des</strong> Komites, welche die Aufsicht führten <strong>und</strong> die dort beschäftigten<br />

Diakonissinnen, Krankenwärterinnen <strong>und</strong> weiblichen<br />

Dienstboten leiteten. Die Gräfin von Itzenplitz<br />

war die Vorsitzende <strong>des</strong> Vereins von Frauen <strong>und</strong> Jungfrauen,


— 352 —<br />

die, mehr als dreih<strong>und</strong>ert, unaufhörlich an dem Weisszeug<br />

für die Verw<strong>und</strong>eten arbeiteten. — Während <strong>des</strong> Feldzugs<br />

hatten viele reiche <strong>und</strong> hingebende Frauen Berlin verlassen,<br />

um die Verw<strong>und</strong>eten in Hannover <strong>und</strong> in Böhmen zu pflegen.<br />

Seit den Kämpfen <strong>des</strong> Jahrs 1866 haben die deutschen<br />

Offiziere dem menschenfre<strong>und</strong>lichen Werke grosses Wohlwollen<br />

bewiesen. Eine einfache kleine Thatsache möge als<br />

Massstab dienen. Im September 1868 fand in Bonn in Rheinpreussen<br />

ein Kongress für Geschichte <strong>und</strong> Altertumsk<strong>und</strong>e<br />

statt. Eine erst kurz zuvor gegründete wissenschaftliche<br />

<strong>und</strong> litterarische Gesellschaft in Paris bat mich, auf ihre<br />

Kosten dorthin zu reisen, um den Kongress mit ihren Zwecken<br />

bekannt zu machen. Es handelte sich darum, die Meisterwerke<br />

<strong>des</strong> Menschengeistes aller Sprachen <strong>und</strong> aller Zeiten<br />

in einer grossen, von den Fürsten <strong>und</strong> den gelehrten Gesellschaften<br />

aller Län<strong>der</strong> zu unterstützenden Sammlung herauszugeben<br />

<strong>und</strong> unter dem Volke zu verbreiten. Die Kongressmitglie<strong>der</strong><br />

machten einen Ausflug nach Eolandseck, an dem<br />

ich mich gleichfalls beteiligte. Gleichzeitig mit uns stieg die<br />

Offiziersschule von Koblenz zu dem Pavillon von Eolandseck<br />

hinauf; es waren etwa h<strong>und</strong>ert Kriegsschüler unter Aufsicht<br />

zweier Majore. Diese hörten meinen Namen aussprechen <strong>und</strong><br />

erk<strong>und</strong>igten sich, ob ich „<strong>der</strong> Herr Dunant sei, welcher das<br />

Werk für die Verw<strong>und</strong>eten begründet habe", <strong>und</strong> als ihnen<br />

dies bejaht wurde, kam <strong>der</strong> ältere <strong>der</strong> beiden auf mich zu<br />

<strong>und</strong> bat mich um die Erlaubnis, mir die Zöglinge gemeinschaftlich<br />

vorstellen zu dürfen, da er sich die Gelegenheit<br />

nicht entgehen lassen wollte, um diese zu belehren <strong>und</strong> über<br />

das, was in Genf zu ihren Gunsten geschehen war, zu unterrichten.<br />

Der Vorfall spielte sich auf dem zuckerhutförmigen<br />

Gipfel <strong>des</strong> Hügels ab, <strong>der</strong> von einer schattigen Anlage gekrönt<br />

ist <strong>und</strong> einen prächtigen Ausblick auf die malerischen<br />

Euinen <strong>des</strong> Drachenfelsen, auf alle die Gipfel <strong>des</strong> Siebengebirges<br />

<strong>und</strong> auf den majestätischen, die Eomantik <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong>


— 353 —<br />

vervollständigenden Rhein gewährt. — Es bildete sich also<br />

ein Kreis um mich; <strong>der</strong> ältere <strong>der</strong> beiden Majore stellte mich<br />

vor <strong>und</strong> hielt eine feurige Ansprache an seine Zöglinge, die<br />

mit gespannter Aufmerksamkeit <strong>und</strong> achtungsvoll zuhörten;<br />

er sprach begeistert von den „Sendboten <strong>des</strong> Friedens inmitten<br />

<strong>des</strong> Kriegs", angesichts jenes Stromes <strong>und</strong> jener Felsen,<br />

welche so oft Zeugen schrecklicher Kämpfe, entsetzlicher<br />

Metzeleien, Verwüstungen <strong>und</strong> Plün<strong>der</strong>ungen gewesen waren.<br />

Alsdann luden mich die beiden Majore zu einem Glas Moselwein<br />

ein, <strong>und</strong> wir gingen zur Bahnhofwirtschaft hinunter,<br />

wo in Wirklichkeit ein ausgezeichnetes Frühstück für die<br />

gastfre<strong>und</strong>lichen Herren bereitet war.<br />

Die Erinnerungen an den Krieg von 1870—71 sind selbst<br />

nach einem Vierteljahrh<strong>und</strong>ert noch zu frisch, als dass wir<br />

den Gegenstand berühren möchten. Um jedoch zu beweisen,<br />

dass die herzliche Teilnahme <strong>der</strong> regierenden Familien <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Völker Deutschlands an dem Werke in jener unseligen<br />

Zeit glückliche Ergebnisse von unberechenbarer Tragweite<br />

gezeitigt hat, genügt es, eine Seite aus dem Buche eines sehr<br />

bekannten französischen Schriftstellers, den „Erinnerungen<br />

eines Verw<strong>und</strong>eten" von Hector Malot anzuführen.<br />

„Die Ueberlegenheit <strong>der</strong> deutschen ärztlichen Einrichtungen,"<br />

schreibt Malot, „habe ich in Pont-ä-Mousson persönlich<br />

erfahren. Mitten unter den französischen <strong>und</strong> bayrischen<br />

Verw<strong>und</strong>eten gingen freiwillige Krankenpfleger, Bitter<br />

<strong>des</strong> Johanniterordens, Diakonissinnen <strong>und</strong> barmherzige Schwestern<br />

umher, die aus Württemberg <strong>und</strong> Bayern herbeigeeilt x<br />

waren; denn während man bei uns (in Frankreich) <strong>der</strong> Privatthätigkeit<br />

tausend Hin<strong>der</strong>nisse in den Weg legte, indem taan<br />

die einen entmutigte, die an<strong>der</strong>n verspottete <strong>und</strong> allen die<br />

Antwort gab, die Kriegsverwaltung könne die Verw<strong>und</strong>eten<br />

selbst pflegen <strong>und</strong> brauche niemand, hatte man in Deutschland<br />

dringend um die Einrichtung von freien Ambulanzen<br />

gebeten, welche dem Heere folgten <strong>und</strong> den Militärambulanzen<br />

zu Hilfe kamen.<br />

23


— 354 —<br />

„Nach Forbach <strong>und</strong> Fröschweiler waren diese freiwilligen<br />

Samariter, w<strong>und</strong>erbar organisiert <strong>und</strong> mit allem versehen;<br />

auf das Schlachtfeld geeilt, <strong>und</strong> dank ihnen hatten die<br />

Verw<strong>und</strong>eten eine verständige Pflege erhalten, ohne dass man<br />

sich um ihre Nationalität kümmerte. Wie viele unserer unglücklichen<br />

Soldaten wären ohne sie verlassen gestorben!<br />

Unsere Militärchirurgen, welche die internationale Konvention<br />

von Genf nicht kannten o<strong>der</strong> missachteten, mussten sich in<br />

Fröschweiler gefangen nehmen lassen, weil sie das <strong>Genfer</strong><br />

Kreuz nicht angelegt hatten, <strong>und</strong> die paar (fliegenden) Ambulanzen,<br />

welche die französische Hilfsgesellschaft für die<br />

Verw<strong>und</strong>eten ins Leben gerufen hatte, konnte die zahllosen<br />

Opfer von Gravelotte, Saint-Privat <strong>und</strong> Sedan nicht auflesen.<br />

„Es wäre ungerecht, wollte ich nichts von <strong>der</strong> Pflege<br />

sagen, die ich in Pont-ä-Housson genossen habe, <strong>und</strong> doch<br />

scheint es, das in jenem Augenblick wenigstens sieben- bis<br />

achttausend Verw<strong>und</strong>ete in diesem Städtchen lagen. Was<br />

mich <strong>und</strong> meine Kameraden betrifft, so verlangt es die Wahrheit<br />

zu sagen, dass wir so gut als möglich, mit Teilnahme<br />

<strong>und</strong> sogar mit Wohlwollen behandelt wurden."<br />

Ein an<strong>der</strong>es ähnliches Zeugnis, gleichfalls von einem<br />

Franzosen, dem stellvertretenden Direktor <strong>der</strong> Ecole <strong>des</strong><br />

Hautes Etu<strong>des</strong> in Paris, herrührend, welcher als Freiwilliger<br />

in einer <strong>der</strong> französischen Ambulanzen in Metz, Sedan <strong>und</strong><br />

an <strong>der</strong> Loire gedient hatte, ist 1872 in einem Band, betitelt<br />

„Deutsche <strong>und</strong> Franzosen, Feldzugserinnerungen"<br />

veröffentlicht worden. Es heisst dort:<br />

„Bei den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> deutschen Ambulanzen haben<br />

wir für gewöhnlich mehr als blosse Aufmerksamkeiten, fast<br />

brü<strong>der</strong>liche Gefühle gef<strong>und</strong>en. Stets waren sie bereit, uns<br />

mit allen Kräften beizustehen, <strong>und</strong> ihre Hingebung machte<br />

keinen Unterschied zwischen den Soldaten <strong>der</strong> beiden Nationen.<br />

Ich wünschte, ich könnte von <strong>der</strong> vortrefflichen" Einrichtung<br />

<strong>des</strong> Sanitätsdienstes im deutschen Heere ausführlich<br />

berichten, wie er es verdient. . . . Wie viele Ambulanzen


— 355 —<br />

habe ich gesehen, die Muster einer guten Einrichtung waren,<br />

<strong>und</strong> in denen die Verw<strong>und</strong>eten bei<strong>der</strong> Nationen unter <strong>der</strong><br />

Leitung geschickter Chirurgen, wie <strong>der</strong> Doktoren Langenbeck<br />

von Berlin, Volkmann von Halle, Löffler, Böhm, Müller<br />

die hingehendste Pflege fanden. In ihrer Aufgabe wurden<br />

sie unterstützt durch die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> beiden grossen<br />

Hospitalitervereine, die Ritter <strong>des</strong> Malteserordens <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Johanniterordens. Mehrere von diesen, den Fürsten von<br />

Taxis, den Fürsten von Wied, den Grafen von Alvensleben<br />

habe ich bei <strong>der</strong> Arbeit gesehen. Sie rechtfertigten durch<br />

ihren Eifer <strong>und</strong> durch ihre Hingebung die Vorrechte <strong>und</strong> die<br />

hohe Stellung, die sie ihrer Geburt verdankten. Nach diesen<br />

Ambulanzen müssen wir blicken, wenn wir einigen Trost für<br />

die Trübsale dieses unheilvollen Kriegs finden wollen. In<br />

Beaumont, Sommauthe, Mouzon, Sedan, Orleans, Oucques<br />

Avurden wir stets mit <strong>der</strong> grössten Aufmerksamkeit behandelt.<br />

In Ouzouer-le-Marche insbeson<strong>der</strong>e verzichtete <strong>der</strong> General<br />

von Mannstein wegen <strong>des</strong> Feldlazaretts auf jede Requisition<br />

im Dorfe. Seine Offiziere gewährten uns alle möglichen Erleichterungen<br />

bezüglich unserer Verproviantierung; sie speisten<br />

an den kleinen Tischen <strong>des</strong> Kaffeehauses, um uns nicht aus<br />

dem grossen Speisesaal <strong>des</strong> Gasthofs, in welchem wir unsere<br />

Mahlzeiten einnahmen, zu verdrängen. Ueberall haben wir<br />

gef<strong>und</strong>en, dass das deutsche Heer darauf eingeschult war,<br />

den Feldlazaretten die ihnen gebührende vorgeschriebene<br />

Achtung zu erweisen."<br />

Beson<strong>der</strong>s befriedigt äussert sich <strong>der</strong> Verfasser <strong>des</strong> Buchs<br />

„Deutsche <strong>und</strong> Franzosen" über das Wohlwollen Dr. Loefflers,<br />

welchen er „unsern Kollegen von <strong>der</strong> Internationale"<br />

nennt. Man redete nämlich damals noch von den „Ambulanzen<br />

<strong>der</strong> Internationale in Frankreich" <strong>und</strong> von denen „<strong>der</strong><br />

Internationale in Deutschland"; später kam die einheitliche<br />

Bezeichnung „Ambulanzen <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>" auf, beson<strong>der</strong>s<br />

während <strong>des</strong> Kriegs zwischen Russen <strong>und</strong> Türken, obwohl<br />

die letzteren in ihrem muhammedanischen Fanatismus auf <strong>der</strong>


— 356 —<br />

weissen Flagge ihrer Feldlazarette <strong>und</strong> Spitäler einen roten<br />

Halbmond angebracht haben. Der Pariser Direktor <strong>der</strong> Ecole<br />

<strong>des</strong> Hautes Etu<strong>des</strong> erzählt, zwanzig Kilometer von Doncourt,<br />

welches von Preussen besetzt gewesen sei <strong>und</strong> wo eine französische<br />

Ambulanz soeben bei ihrem Durchgang vergebens<br />

nach Lebensmitteln gesucht habe, seien sie von einer berittenen<br />

Ordonnanz eingeholt worden, die mit verhängtem Zügel<br />

einhersprengte <strong>und</strong> ihnen im Auftrage <strong>des</strong> guten Dr. Loeffler<br />

ein ungeheures Brot <strong>und</strong> drei Würste überbrachte.<br />

Derselbe französische Schriftsteller erklärt, er habe es mit<br />

angesehen, wie Brandenburger, Sachsen, Hannoveraner <strong>und</strong><br />

Rheinpreussen die Lan<strong>des</strong>bewohner, unter denen sie weilten,<br />

fre<strong>und</strong>lich behandelt hätten. Die Sachsen beson<strong>der</strong>s hätten sich<br />

durch ihre Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit ausgezeichnet. — Diese<br />

Worte eines Fein<strong>des</strong> sind ein zu ehrenvolles Zeugnis, als<br />

dass es mit Stillschweigen übergangen werden dürfte. „Ausserdem<br />

muss man," fügt er hinzu, „anerkennen, dass <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>wille<br />

gegen den Krieg, die Achtung gegen die Frauen <strong>und</strong><br />

die Liebe zu den Kin<strong>der</strong>n Tugenden waren, die sich fast im<br />

ganzen deutschen Heere fanden."<br />

Inmitten <strong>der</strong> rohen Gewalttaten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Greuel, die<br />

<strong>der</strong> Krieg unvermeidlich nach sich zieht, verdienen <strong>der</strong>artige<br />

Zeugnisse ehrenvolle Erwähnung. Und es liessen sich <strong>der</strong>en<br />

noch viele anführen. — Die Königin Augusta hatte Eecht,<br />

als sie sagte, wenn ein Krieg mit Frankreich ausbräche, so<br />

würden die Deutschen den französischen Verw<strong>und</strong>eten ebenso<br />

viel Teilnahme entgegenbringen, als sie den verw<strong>und</strong>eten<br />

Oestreiehern bewiesen hatten.<br />

Als einige Jahre später in Russland „die Männer,<br />

Söhne <strong>und</strong> Brü<strong>der</strong> die Ebenen Bulgariens mit ihrem Blute<br />

tränkten, da fanden," wie ein russischer Schriftsteller schreibt,<br />

„die schwer geprüften Herzen ein weites Feld für die Wohlthätigkeit<br />

zu Füssen <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>, dieser erhabenen<br />

Einrichtung christlicher Bru<strong>der</strong>liebe. Von allen Ecken


— 357<br />

<strong>und</strong> Enden Kusslands liefen Gaben in Menge ein. Wer kein<br />

Geld hatte, war glücklich, seine Müheleistungen anbieten zu<br />

können. Diesem allgemeinen Streben, das alsbald zu einem<br />

gebieterischen Bedürfnis wurde, entsprang <strong>der</strong> Gedanke, die<br />

„Skiaden" o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lagen mit unentgeltlich arbeitenden<br />

Schnei<strong>der</strong>werkstätten einzurichten. Eine fieberhafte Thätigkeit<br />

herrschte an diesen Tischen, die mit den gewöhnlichsten Stoffen<br />

beladen waren, <strong>und</strong> an welchen ungeübte aristokratische<br />

Hände es <strong>der</strong> Arbeiterin, die von Kindheit an daran gewöhnt<br />

war, mit <strong>der</strong> Nadel ihr hartes Stück Brot zu verdienen, in<br />

Handfertigkeit gleichzuthun suchten. Niemand hätte unserer,<br />

sich sonst so streng abschliessenden vornehmen Welt ein so<br />

einträchtiges Zusammenwirken, eine so vollständige Hintansetzung<br />

<strong>der</strong> gesellschaftlichen Unterschiede im Schatten dieses<br />

schönen Werkes <strong>der</strong> Nächstenliebe <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hingebung zugetraut.<br />

„Die Grossfürstin-Thronfol gerin (jetzt verwitwete<br />

Kaiserin, geb. Prinzessin Dagmar von Dänemark) war eine<br />

<strong>der</strong> ersten, welche die grossen Säle ihres Palastes öffnete<br />

<strong>und</strong> sie für die Bedürfnisse <strong>des</strong> Tags herrichten liess. Schon<br />

in frühester Morgenst<strong>und</strong>e fuhr eine lange Eeihe von Kutschen<br />

vor <strong>der</strong> stattlichen Säulenhalle auf; aber noch viel zahlreicher<br />

waren in den Regentagen jenes denkwürdigen Sommers (1877)<br />

die im Klei<strong>der</strong>raum abgelegten Regenschirme <strong>und</strong> Galoschen.<br />

Es wäre kaum möglich anzugeben, wie viele Leute im Laufe<br />

weniger St<strong>und</strong>en dorthin kamen. In einem <strong>der</strong> Säle nahm<br />

man die Gaben in Empfang, die sofort in das grosse Buch<br />

eingetragen wurden, <strong>und</strong> dabei fand das Scherflein <strong>des</strong> Armen<br />

dieselbe zuvorkommende <strong>und</strong> dankbare Aufnahme, wie<br />

die Gabe <strong>des</strong> Reichen. Aus dem Nebensaal vernahm man<br />

das Geräusch <strong>der</strong> Gaze, die man zerriss, um lange Binden<br />

daraus anzufertigen, die man zum Verbinden <strong>der</strong> W<strong>und</strong>en<br />

brauchte, o<strong>der</strong> das einförmige Rasseln einer Strickmaschine.<br />

Weiter weg konnte man einen ungeheuren Tisch sehen, auf<br />

welchem aus grossen Leinwandstücken Hemden, Betttücher-


— 358 —<br />

<strong>und</strong> Kissenüberzüge zugeschnitten wurden; auf einem an<strong>der</strong>n<br />

Tisch lagen Flanellstücke ausgebreitet, aus welchen man<br />

Schutzbinden <strong>und</strong> Krankenhausklei<strong>der</strong> anfertigte."<br />

So kann ausUeblemGutes entstehen. AusdemKrieg,<br />

<strong>der</strong> ein Uebel ist, <strong>und</strong> zwar <strong>der</strong> grössten eines, kann künftig<br />

durch diese brü<strong>der</strong>liche Einrichtung eine gewisse, durch die Tage<br />

<strong>der</strong> Prüfung besiegelte, gegenseitige Annäherung zwischen<br />

den verschiedenen Klassen <strong>der</strong> Gesellschaft hervorgehen, eine<br />

gewisse Beschwichtigung <strong>des</strong> Kastengeistes, eine Vermin<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> gesellschaftlichen Vorurteile, <strong>und</strong> bei<br />

den Frauen <strong>und</strong> Jungfrauen <strong>der</strong> höheren Stände ein geschärftes<br />

Bewusstsein für die ernsten Pflichten<br />

<strong>des</strong> Lebens. Die Frauen, die unter solch feierlichen Umständen<br />

gemeinsam diese Regungen <strong>des</strong> Mitgefühls <strong>und</strong> glühen<strong>der</strong><br />

Nächstenliebe erfahren haben, können <strong>und</strong> müssen es<br />

verstehen, sich bei immer zahlreicheren Gelegenheiten wie<strong>der</strong><br />

zusammenzufinden, um von neuem gemeinsam zu handeln <strong>und</strong><br />

so allerlei Gutes zu thun. Dies ist das tutti fratelli <strong>der</strong><br />

guten lombardischen Frauen in Castiglione, angewandt auf<br />

die mitfühlenden Herzen aller Län<strong>der</strong>, aller Religionen, aller<br />

Parteien <strong>und</strong> aller Klassen. Warum sollten nicht, ohne die<br />

unseligen Tage abzuwarten, wo im Osten wie im Westen,<br />

im Norden wie im Süden die Metzeleien von neuem beginnen<br />

werden, die Mütter, die Frauen, die Schwestern <strong>der</strong>er, die<br />

zu kämpfen berufen sein werden, unter dem Schutze <strong>der</strong><br />

Herrscher Europas <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gönnerschaft <strong>der</strong> vornehmsten<br />

<strong>und</strong> ehrenwertesten Frauen <strong>der</strong> alten wie <strong>der</strong> neuen Welt,<br />

einen internationalen B<strong>und</strong> zur Verteidigung <strong>der</strong> Familie, <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>lage von all dem, w r as hier auf Erden noch Achtung<br />

verdient, zum Schutze <strong>der</strong> Frauen <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>, zur Heilung<br />

<strong>der</strong> durch das Elend verbitterten Herzen, zur Verbreitung<br />

von allerlei guten Werken schliessen, wobei die einen sich<br />

die Fortschritte <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n zu nutze machen könnten? Diese<br />

heilige Solidarität, dieses brü<strong>der</strong>liche Band würde,<br />

wenn einmal fest begründet, eine wirkliche Macht zw Ver-


— 359 —<br />

breitung <strong>des</strong> Guten darstellen, <strong>und</strong> ihre Thätigkeit würde in<br />

einem sittlichen <strong>und</strong> friedlichen Kampf gegen Selbstsucht,<br />

Willkür, Hass, Gewaltthat, gegen den Gr<strong>und</strong>satz .<strong>der</strong> rohen<br />

Kraft bestehen, <strong>und</strong> zwar durch die Verbindung <strong>der</strong>jenigen<br />

Frauen, die den Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong> Hingebung, <strong>der</strong> Selbstverleugnung,<br />

<strong>der</strong> Liebe <strong>und</strong> den Geist <strong>der</strong> Aufopferung, den<br />

Geist Christi vertreten; sie würde so die Frauen von Herz<br />

<strong>und</strong> gutem Willen, die Samariterinnen aller Völker im Interesse<br />

aller <strong>und</strong> zum "Wohl <strong>der</strong> Menschheit zusammenführen.<br />

Sagt doch schon Goethe: „Ein edler Mann wird<br />

durch ein gutes "Wort <strong>der</strong> Frauen weit geführt."<br />

Wenn irgend etwas im stände ist, die doppelte Gefahr<br />

zu beschwören, die unserem Geschlechte droht, die Anarchie<br />

<strong>und</strong> den "Weltkrieg, so ist es gewiss ein <strong>der</strong>artiges menschenfre<strong>und</strong>liches<br />

Unternehmen, wenn es einmal eben durch<br />

seinen internationalen Charakter dazu gelangt ist, einen weitgehenden,<br />

wohlwollenden <strong>und</strong> friedlichen Einfluss auszuüben.<br />

Man kann <strong>der</strong> Anarchie wohl kaum an<strong>der</strong>s entgegenarbeiten,<br />

als dadurch, dass man ihr eine grosse internationale<br />

Partei zur Erhaltung <strong>der</strong> gesellschaftlichen Ordnung<br />

entgegensetzt, eine Partei, die sich an die Spitze je<strong>der</strong><br />

sozialen Verbesserung <strong>und</strong> je<strong>des</strong> wahren Fortschrittes stellt<br />

<strong>und</strong> die über alle wesentlichen Punkte eine internationale<br />

Vereinbarung getroffen hat. Mehr als alle Gewalt ohne richtiges<br />

Gegengewicht wäre ein Wohlfahrtsb<strong>und</strong> von Frauen<br />

unter dem Vorsitze <strong>der</strong> Fürstinnen im stände, <strong>der</strong> steigenden<br />

Flut, die alles, was ebenso festgegründet als gegen ihre<br />

Wogen gesichert schien, zu überschwemmen <strong>und</strong> wegzufegen<br />

droht, einen sittlichen Damm entgegenzustellen. Und<br />

wenn es das Unglück will, dass die Völker sich von <strong>der</strong> Wut<br />

jener entsetzlichen zerstörenden Macht, <strong>der</strong>en Werkzeuge sie<br />

mit soviel Sorgfalt, so viel Liebe <strong>und</strong> so viel Aufwand von<br />

Wissenschaft vervollkommnen, hinreissen lassen, so sind es<br />

wie<strong>der</strong>um die unter dem Schutze <strong>der</strong> weissen Flagge in den


— 360 —<br />

Herbergen <strong>des</strong> Leidens zusammengescliarten Samariterinnen,<br />

welche den sich vorbereitenden Uebeln Lin<strong>der</strong>ung bringen.<br />

Alle gesitteten Völker haben sicherlich die Pflicht <strong>und</strong><br />

den Wunsch, emsig an <strong>der</strong> Herstellung <strong>des</strong> gesellschaftlichen<br />

Friedens zu arbeiten. Eine aufrichtige<br />

<strong>und</strong> wirkliche Friedensstiftung aber ist bei <strong>der</strong> leidigen Spannung,<br />

die allenthalben herrscht, künftig kaum noch möglich<br />

ohne die durchgreifende Bewegung einer durch den Einfluss<br />

<strong>der</strong> Frau hervorzurufenden aufsteigenden Entwicklung. Diese<br />

grosse aufsteigende Entwicklung eines sittlichen Fortschritts,<br />

<strong>der</strong> dazu bestimmt ist, das Ideal <strong>der</strong> rohen Gewalt durch<br />

das <strong>der</strong> Sanftmut <strong>und</strong> Güte zu ersetzen, soll aber nicht nur<br />

ihren friedlichen Ausgang von <strong>der</strong> Frau nehmen, son<strong>der</strong>n<br />

durch weiblichen Einfluss soll das dem Gerechtigkeitsgefühl<br />

mehr entsprechende Ideal einer besseren, gegen die Schwachen<br />

<strong>und</strong> Enterbten teilnehmenden Gesellschaft auch verbreitet<br />

<strong>und</strong> seiner Verwirklichung entgegengeführt werden.<br />

Indem sie den künftigen Mann vorbereitet, wird die<br />

Frau, vermöge ihrer segensreichen Wirksamkeit am häuslichen<br />

Herde, <strong>des</strong>sen soli<strong>des</strong> Element sie bildet, die Familie,<br />

diese einzig richtige Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Gesellschaft, vor Schaden<br />

bewahren, <strong>und</strong> sie wird um so eher in <strong>der</strong> Lage sein, durch<br />

ihre Wirksamkeit dem sozialen Elend zu steuern <strong>und</strong> durch<br />

Begründung <strong>des</strong> internationalen Friedens das Keich <strong>des</strong> Guten<br />

herbeizuführen, je mehr ihr moralischer Einfluss bei allen<br />

Völkern an Stärke gewinnt.<br />

Aber all dies hat nichts mit <strong>der</strong> Politik o<strong>der</strong> mit dem<br />

Eingen um politische Rechte zu thun; die sozialen Pflichten<br />

<strong>der</strong> Frau haben, richtig verstanden, auf einem ganz an<strong>der</strong>en<br />

Gebiete ihre hohe Bedeutung, wenn es auch, wie ein berühmter<br />

christlicher Philosoph 1 ) hinsichtlich <strong>der</strong> Verbesserung <strong>des</strong><br />

Loses <strong>der</strong> Frauen erklärt, „berechtigte <strong>und</strong> erfüllbare For-<br />

i) Professor ErnestNaville, <strong>des</strong>sen Werke die Kaiserin Augusta<br />

bewan<strong>der</strong>te.


— 361 —<br />

<strong>der</strong>ungen" giebt, die vor allem auf das „Familienreelit" gegründet<br />

sind.<br />

Der Schutz <strong>der</strong> Gesellschaft gebührt heutzutage den<br />

Frauen mehr als den zwei<strong>und</strong>zwanzig Millionen europäischer<br />

Soldaten, <strong>der</strong>en Bajonette von Gibraltar bis zuin Ural, von<br />

Palermo bis zur Ostsee blitzen. Wenn das allgemeine Blutbad<br />

einmal vorüber ist, dann wird man die „Utopie" zu verwirklichen<br />

suchen, dann wird sie kein Hirngespinst mehr<br />

sein. Warum sollte man also nicht versuchen, dies schon<br />

vorher zu thun?<br />

„Die Völker in ihrer Kurzsichtigkeit blicken," wie ein<br />

Mann von hohem <strong>und</strong> edlem Verstände 1 ) sagt, „nicht über<br />

die gegenwärtige St<strong>und</strong>e hinaus." — Wer redet da noch von<br />

Friedenstiftung in <strong>der</strong> Welt? Was uns die Zukunft bringt,<br />

ist nicht <strong>der</strong> milde Hauch <strong>des</strong> Friedens, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> wilde<br />

Sturm <strong>des</strong> Kriegs. Ach! <strong>der</strong> Krieg ist noch nicht tot! Hat<br />

er auch seine Gestalt gewechselt, so ist er doch nur um so<br />

furchtbarer geworden. Alles was den Stolz unserer Zivilisation<br />

bildet, wird ihm dienstbar gemacht. Eure elektrischen Bahnen,<br />

eure lenkbaren Luftschiffe, eure unterseeischen Boote <strong>und</strong><br />

fliegenden Brücken, eure Augenblicksphotographien, eure Telegraphen,<br />

Telephone <strong>und</strong> Photoplione <strong>und</strong> so viele an<strong>der</strong>e w<strong>und</strong>erbare<br />

Erfindungen werden ihm neben euren menschenmordenden<br />

Werkzeugen treffliche Dienste leisten. Und was erfindet<br />

man nicht noch alles, um das Morden noch leichter<br />

<strong>und</strong> sicherer zu machen! so schnell sind die „Menschlichen"<br />

mit Hand <strong>und</strong> Herz bereit, das Blut <strong>des</strong> Nebenmenschen zu<br />

vergiessen!<br />

Eichtet nur eure edlen Kenner für die Schlachten ab,<br />

zieht eure unschuldigen Tauben zu Boten <strong>des</strong> Ver<strong>der</strong>bens<br />

heran, zähmet Kriegsvögel aus den lieblichen Schwalben,<br />

gebraucht die Pferde, Maultiere, Ochsen, Elefanten, Kamele<br />

') S. Kgl. Hoheit <strong>der</strong> Herzog von Anmale; Revue <strong>des</strong> Dens<br />

Mon<strong>des</strong>, 1. Februar 1888,


— 362 —<br />

<strong>und</strong> Dromedare für eure Militärtransporte <strong>und</strong> als Kampfgenossen<br />

im Felde,' ziehet auch noch die armen H<strong>und</strong>e zum<br />

Dienste im Heere heran <strong>und</strong> lehret sie, den vorgeschobenen<br />

Posten mitten im Kampfe todbringende Munition zu bringen!<br />

macht euch die ganze Schöpfung für eure Metzeleien dienstbar!<br />

treibet sie alle zusammen mit euch in das Blutbad!<br />

aber schnell! damit je<strong>der</strong>mann für den Tag <strong>der</strong> grossen<br />

Metzelei gerüstet sei! Spornet die sinnreichen Erfin<strong>der</strong> an,<br />

die ihre Zerstörungsmittel mit solcher Freude, solcher Begeisterung<br />

vervollkommnen! Ueberhäuft sie mit Ehren, stopft<br />

sie voll mit Gold! Zerstöret um die Wette die schönsten<br />

Meisterwerke, den Stolz <strong>der</strong> Zivilisation: Paläste <strong>und</strong> Schlösser,<br />

Uferbauten <strong>und</strong> Häfen, Wasserleitungen, Viadukte, Gebäude<br />

<strong>und</strong> Denkmäler aller Art! Aber vergesst nicht, dass dann<br />

auch diese Zivilisation, auf die ihr euch so viel zu gute thut,<br />

unfehlbar in Trümmer geht, <strong>und</strong> mit ihr euer Wohlstand,<br />

euer Handel, eure Industrie, euer Ackerbau <strong>und</strong> vielleicht<br />

auch eure nationale Freiheit <strong>und</strong> euer häusliches Glück!<br />

Die Fürstinnen <strong>und</strong> Prinzessinnen von königlichem<br />

Blut haben das ruhmreiche Vorrecht, die Gefühle <strong>des</strong> Wohlwollens<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Güte, die sie beseelen, offen k<strong>und</strong>geben zu<br />

können: sie sind rechtlich <strong>und</strong> thatsächlich die erhabenen<br />

Beschützerinnen aller internationalen Werke <strong>der</strong> Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit<br />

<strong>und</strong> Wohlthätigkeit. Von Kindheit <strong>und</strong> Jugend<br />

auf daran gewöhnt, die Herrscherfamilien aller europäischen<br />

Län<strong>der</strong> als eine grosse königliche Verwandtschaft anzusehen,<br />

können sie alle Völker mit gleich wohlwollendem <strong>und</strong> teilnehmendem<br />

Auge betrachten. Sie stehen über den engen<br />

Vorurteilen, den ärmlichen vorgefassten Meinungen <strong>der</strong> gewöhnlichen<br />

Menschenkin<strong>der</strong>. Sie begreifen nicht die gemeinen<br />

Gefühle, welche das nie<strong>der</strong>e Volk verleiten, sich hinter einen<br />

blinden, dummen Kirchturmsegoismus zu verschanzen, einen<br />

Egoismus, <strong>der</strong> sie dazu führt, die Nachbarn zu verachten, zu<br />

verunglimpfen o<strong>der</strong> zu hassen. Sie wissen nichts von jenem


— 363 —<br />

falschen, engherzigeu, kurzsichtigen Patriotismus, <strong>der</strong> überhaupt<br />

kein Patriotismus mehr ist, son<strong>der</strong>n ein Ueberrest von<br />

Barbarei, <strong>der</strong> von dem christlichen Geist ebenso verdammt<br />

wird, wie vom Bewusstsein <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Menschheit. Sie<br />

stehen dem selbstsüchtigen Interessenkampf fern <strong>und</strong> sind,<br />

wegen <strong>der</strong> natürlichen Höhe ihrer geistigen Atmosphäre, eher<br />

als irgend jemand imstande, die ganze ünermessliche Bedeutung<br />

dieser wertvollen internationalen Solidarität zu erfassen.<br />

Sie wissen diese zu schätzen, teils im wohlverstandenen Interesse<br />

<strong>der</strong> Völker, teils im Interesse <strong>der</strong> königlichen Familien<br />

Europas. Ihre zartfühlende <strong>und</strong> überlegene Natur führt sie<br />

dazu, alles was gut <strong>und</strong> menschlich ist, zu beschützen, <strong>und</strong><br />

die Ausbreitung von Werken, welche die gegenseitige Annäherung<br />

<strong>der</strong> Völker anstreben, zu begünstigen. Heutzutage<br />

legen sie mehr Wert auf das Glück ihrer Völker als auf<br />

eiteln Kriegsruhm, da dieser vermeintliche Ruhm oft nichts<br />

weiter ist als Eoheit, die immer unfruchtbaren <strong>und</strong> verzehrenden<br />

Hass im Gefolge hat.<br />

„Ihre Gnade ist wie <strong>der</strong> Tau auf dem Grase," sagt ein<br />

Sprichwort <strong>der</strong> Heiligen Schrift (Sprüche Salom. 19, 12). Darum<br />

warb man einst vor allem um ihr Wohlwollen, als es<br />

galt die Opfer <strong>des</strong> Kriegs zu schützen, <strong>und</strong> später für die,<br />

welche im Kampf ums Dasein W<strong>und</strong>en erleiden. Der Schutz,<br />

den die Herrscher <strong>und</strong> ihre Familienangehörigen einem guten<br />

Werke zuwenden, ist in <strong>der</strong> That einem geistigen Taue vergleichbar,<br />

<strong>der</strong> es wachsen <strong>und</strong> gedeihen lässt, insofern diese<br />

lobenswerten Gefühle auch auf ihre vornehme Umgebung<br />

übergehen. Wenn aber die vornehmen Damen mit gutem<br />

Beispiele vorangehen, so beeilen sich auch die Frauen <strong>der</strong><br />

höheren Stände <strong>und</strong> <strong>der</strong> bürgerlichen Kreise, aus Nachahmungstrieb<br />

o<strong>der</strong> aus wirklicher Herzensgüte, die gegebene Anregung<br />

weiterzupflegen, da die Regungen wahren Gefühls alsdann<br />

nicht mehr durch eine thörichte <strong>und</strong> falsche Scheu vor<br />

dem Urteile <strong>der</strong> Welt gelähmt sind. Im Mittelalter erinnerten<br />

sich die vornehmsten Edelfrauen daran, dass „<strong>der</strong>jenige Gott


— 364 —<br />

leiht, welcher sich <strong>des</strong> Armen annimmt"; daher verschmähten<br />

sie es auch als wahre Samariterinnen nicht, sich in liebevollster<br />

Pflege den Opfern <strong>der</strong> Kämpfe <strong>und</strong> ihren eigenen<br />

von irgend einem Unfall betroffenen Vasallen zu widmen. Sie<br />

spendeten eigenhändig Almosen an Bettler, an „Landstreicher",<br />

arme Schlucker, die in jenen guten alten Zeiten noch<br />

nicht, wie dies heutzutage allgemein <strong>der</strong> Brauch ist, wegen<br />

harmloser Landstreicherei, wegen „einfachen Bettels" unerbittlich<br />

zu mehrmonatlichem Gefängnis verurteilt werden. —<br />

Auch heute noch nimmt sich eine Fürstin, eine vornehme<br />

Dame <strong>des</strong> Armen an, während nur zu oft <strong>der</strong> Mann von<br />

niedriger Herkunft, <strong>der</strong> eine gewisse Macht bekleidet, hart<br />

<strong>und</strong> roh denkt: für ihn ist oft <strong>der</strong> Arme eine Null. Und<br />

nicht an<strong>der</strong>s denkt man von einem unglücklichen Weib, <strong>des</strong>sen<br />

einziges Verbrechen vielleicht darin bestand, dass es zu viel<br />

vertraute.<br />

Diesen Geist gilt es zu bekämpfen <strong>und</strong> zu än<strong>der</strong>n,<br />

denn es ist sicher nicht <strong>der</strong> Geist Christi, auch nicht <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Menschlichkeit. Die, welche im Kampf ums Dasein<br />

Schiffbruch gelitten haben, haben ein Anrecht<br />

auf das grösste von allen Samariterwerken. An<br />

wahrhaft guten Frauen <strong>und</strong> an Männern von Herz fehlt es<br />

in keinem Lande; die Hauptsache ist, sie auf internationalem<br />

Boden für den Zweck, den wir im Auge haben, zusammenzufassen,<br />

die schon vorhandenen örtlichen Vereine heranzuziehen<br />

<strong>und</strong> ihnen doch dabei freie Hand zu lassen.<br />

Dieses Streben nach Vervollkommnung ist nicht ein Son<strong>der</strong>recht<br />

<strong>der</strong> Frauen; es ist Sache aller, — aller <strong>der</strong>er, für<br />

welche Güte, Mitleid, wahre sittliche Schönheit <strong>und</strong> die Vereinigung<br />

von Herz <strong>und</strong> Verstand nicht blosse Hirngespinste<br />

sind.<br />

Auch jetzt, wo <strong>der</strong> Abend unseres Jahrh<strong>und</strong>erts angebrochen<br />

ist <strong>und</strong> wir schon die Morgenröte <strong>des</strong> zwanzigsten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts dämmern sehen, herrscht doch noch immer <strong>und</strong><br />

vielleicht heftiger als je in den grossen Städten <strong>der</strong> herbe


— 365 —<br />

.Kampf ums Dasein, allzuherb für viele, die „<strong>der</strong> Kummer<br />

drückt <strong>und</strong> die Not bedrängt", denen qualvolle Angst das<br />

Herz beklemmt, <strong>und</strong> <strong>der</strong>en armes Hirn nach langem <strong>und</strong><br />

schmerzlichem Bingen um das tägliche Brot für sich <strong>und</strong> die<br />

Ihrigen zuletzt unterliegt. Der Kampf ums Dasein fegt sie<br />

weg, Männer wie Frauen; er wirft sie zu Boden, <strong>und</strong> über<br />

sie schreiten die Tausende hinweg <strong>und</strong> treten sie in den<br />

Staub. Und bald sind die Unglücklichen unter dem wahnwitzigen<br />

Drängen <strong>der</strong> Massen zerdrückt <strong>und</strong> zermalmt. Hier<br />

vor allem sind Samariter <strong>und</strong> Samariterinnen vonnöten. Und<br />

die, welche man von <strong>der</strong> Verzweiflung <strong>und</strong> vom Hungertod<br />

rettet, sollen auch wissen, dass ihre Retter sich nicht durch<br />

Gründe religiöser, politischer <strong>und</strong> sozialer Propaganda haben<br />

leiten lassen, wie erhaben diese Gründe im übrigen auch sein<br />

mögen. Den wahren Samariter, die wahre Samariterin soll<br />

— <strong>und</strong> diese Lehre stammt aus hohem, aus sehr hohem<br />

M<strong>und</strong>e — <strong>des</strong> Nächsten jammern, damit sie Barmherzigkeit<br />

an ihm tliun. Aber wie ist dies möglich, wenn sie das Uebel<br />

<strong>und</strong> seine Grösse nicht kennen? — Machen wir's nicht wie<br />

<strong>der</strong> Priester <strong>und</strong> <strong>der</strong> Levite im Gleichnis, die vorübergingen!<br />

Sehen wir vielmehr mit eigenen Augen, wie <strong>der</strong> Samariter,<br />

„den, da er ihn sähe, sein jammerte, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Barmherzigkeit<br />

an ihm tliat". — Gehet hin <strong>und</strong> thut <strong>des</strong>gleichen!<br />

Ein zwischen verständigen, willensstarken <strong>und</strong> namentlich<br />

guten Frauen, ohne Unterschied <strong>der</strong> Nationalität, <strong>des</strong><br />

Bekenntnisses, <strong>der</strong> Gesellschaftsklasse, <strong>der</strong> Parteien <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Meinungen, hergestelltes Einvernehmen von immer ausgeprägterem<br />

internationalem Charakter, zu dem<br />

Zwecke, Gutes zu thun, kann in <strong>der</strong> Zukunft durch seine<br />

sittliche Macht einen ges<strong>und</strong>en, friedlichen, versöhnenden <strong>und</strong><br />

sittlich hebenden Einflnss ausüben. In den Vereinigten Staaten<br />

z. B. musste die Trunksucht vor dem Wi<strong>der</strong>stand <strong>und</strong> <strong>der</strong> Missbilligung<br />

<strong>der</strong> Hausmütter weichen, <strong>und</strong> in den Nordstaaten<br />

allein zählte die Wohlthätigkeit während <strong>des</strong> Sezessionskrieges<br />

32000 Gruppen von Damen, darunter 7000 regelrechte Frauen-


— 366 —<br />

vereine, welche 400 Millionen für die Verw<strong>und</strong>eten ausgaben.<br />

<strong>und</strong> dabei noch eifrig zu ihren Gunsten arbeiteten.<br />

Ueber Erwarten viel Gutes werden die Frauen in sozialer<br />

Hinsicht mit ihrem Herzen, ihrem Zartgefühl, ihrem Verstände<br />

zuwege bringen können, wenn sie unter das Banner eines<br />

festbegrenzten Programms geschart, in ihrer Gesamtheit durch<br />

die erhabensten, edelsten <strong>und</strong> heiligsten Gr<strong>und</strong>sätze geleitet<br />

<strong>und</strong> zu einem B<strong>und</strong>e behufs allgemeiner <strong>und</strong> dauern<strong>der</strong> Betätigung<br />

<strong>der</strong> Nächstenliebe vereinigt sind. Dadurch, dass<br />

sie in jedem einzelnen Lande eine edle patriotische Thätigkeit<br />

entfalten, die durch eine sich ganz von selbst ergebende<br />

internationale Vereinigungzusammengefasst wird, können<br />

auserlesene Frauenherzen, indem sie sich zweckmässig zu<br />

werkthätiger Ausübung <strong>der</strong> Nächstenliebe zusammenschliessen,<br />

in Europa <strong>und</strong> überall den Beweis liefern, dass viele Ungerechtigkeiten,<br />

die noch in so vielen Gegenden unseres Erdenrun<strong>des</strong><br />

herrschen, mit den Jahren eingeschränkt, verbessert,<br />

ausgerottet werden können, wenn die Thätigkeit dieses Bun<strong>des</strong><br />

sich fortdauernd fühlbar macht <strong>und</strong> sich in ihrer ganzen Fülle<br />

bethätigt.<br />

Wenn man so den unleugbaren sittlichen Einfluss, den<br />

die Frauen auf die Gesellschaft ausüben, nutzbar macht, aber<br />

offen, edel <strong>und</strong> ohne Hintergedanken, ohne dass die Frauen<br />

sich in Dinge zu mengen hätten, die sie nichts angehen, <strong>und</strong><br />

ohne dass sie in die persönliche Freiheit <strong>des</strong> Nebenmenschen<br />

eingreifen, so trägt man damit zur Erhaltung <strong>des</strong> guten<br />

Einvernehmens zwischen den verschiedenen Völkern,<br />

Klassen <strong>und</strong> Individuen bei, so gelangt man<br />

dazu, eine Menge internationaler <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Zwistigkeiten,<br />

Prozesse <strong>und</strong> soziale sowie persönliche Schwierigkeiten aller<br />

Art auf gütlichem Wege durch Schiedsspruch zum Austrag<br />

zu bringen, Zwietracht beizulegen, Rassen- <strong>und</strong> Klassenhass<br />

zu beschwichtigen, die Sitten friedlicher, reiner <strong>und</strong> mil<strong>der</strong><br />

zu gestalten, das Los ihrer unglücklichen o<strong>der</strong> enterbten<br />

Schwestern zu verbessern, denen, welche noch die Opfer


— 367 —<br />

menschlicher Willkür <strong>und</strong> Roheit sind, eine bessere Zukunft<br />

zu bereiten, kurz ein Werk sozialen <strong>und</strong> internationalen<br />

Friedens zu schaffen, welches alles überragen wird,<br />

was man bisher auf diesem unermesslichen Arbeitsgebiet erlebt<br />

<strong>und</strong> gethan hat.<br />

Ein Beispiel, das wir ans vielen herausgreifen, möge zeigen, wie<br />

viel Gutes in nationaler <strong>und</strong> internationaler Hinsicht geschehen kann. Zahllose<br />

Erauen <strong>und</strong> Jungfrauen aus allen Län<strong>der</strong>n verlassen im Drange <strong>der</strong><br />

Arbeit, die so viele Existenzen aufreibt, ihren Geburts- o<strong>der</strong> Wohnort,<br />

<strong>und</strong> stehen nun infolge dieses Ortswechsels ohne Stütze, ohne Führer <strong>und</strong><br />

Berater einsam da. Sie haben niemand, an den sie sich wenden können,<br />

<strong>und</strong> sind dem Elend <strong>und</strong> allen schlimmen Einflüssen preisgegeben. Es<br />

wäre also angezeigt, in allen grossen europäischen Städten <strong>und</strong> in den<br />

Kolonien ständige, <strong>der</strong> Privatanregung entspringende Wohlthätigkeitsausschüsse<br />

ins Leben zu rufen. Diese Ausschüsse würden möglichst in die<br />

Augen fallende Bureaux für weiblichen Schutz eröffnen, welche<br />

für je<strong>der</strong>mann leicht erkenntlich sein müssten, indem sie äusserlich ein<br />

gleichmässiges, überall angenommenes auffallen<strong>des</strong> Zeichen trügen, z. B.<br />

ein grünes Kreuz auf weissem purpurgerän<strong>der</strong>tem Schild,<br />

o<strong>der</strong> irgend ein an<strong>der</strong>es leicht erkenntliches <strong>und</strong> überall eingeführtes Abzeichen.<br />

Diese Bureaux würden, durch die Bande <strong>der</strong> Nächstenliebe brü<strong>der</strong>lich<br />

untereinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en, stets geöffnet <strong>und</strong> zugänglich sein <strong>und</strong> als<br />

Sammelpunkte dienen. Sie würden von Damen, die freiwillig diesen Ausschüssen<br />

angehörten, „den Damen vom Grünen Kreuze" unentgeltlich<br />

geleitet. Die Aufgabe dieser Bureaux wäre es, Frauen, <strong>und</strong><br />

zwar schutzlose Familienmütter ebenso wie junge alleinstehende Mädchen,<br />

die oft vom Lande kommen <strong>und</strong> den verschiedensten Nationen angehören,<br />

zu beschützen, zu ermutigen, zu stützen <strong>und</strong> zu leiten. Alle, welchem<br />

Lande sie auch entstammen mögen, haben ein gleiches Anrecht auf die<br />

Teilnahme aller; die wahre Samariterliebe kennt keinen Kirchturmsegoismus.<br />

So würde je<strong>der</strong> Sammelpunkt für sie zu einem Mittelpunkt <strong>der</strong><br />

Teilnahme, <strong>des</strong> Wohlwollens, Schutzes, Trostes <strong>und</strong> einer weisen <strong>und</strong> nützlichen<br />

Leitung werden. Diese internationalen Wohlthätigkeitsbureaux<br />

wären gleichsam Oasen sittlicher <strong>und</strong> materieller Rettung für<br />

Tausende von Personen in den grossen <strong>und</strong> gefährlichen Bevölkerungsffiittelpunkten<br />

aller Län<strong>der</strong>.<br />

Meist sind diese armen Frauen ratlos, wissen nicht, an wen sie sich<br />

wenden sollen, wenn sie in Verlegenheit sind, <strong>und</strong> befinden sich oft in<br />

qualvoller Angst <strong>und</strong> in peinlichen Schwierigkeiten inmitten <strong>der</strong> selbstsüchtigen<br />

Bevölkerungen so vieler Grossstädte, die voll sind von Schlingen,<br />

von Betrug, Roheit <strong>und</strong> Willkür. — Der Län<strong>der</strong>, welche menschenfre<strong>und</strong>-


— 368 —<br />

liehe Einrichtungen zu Gunsten <strong>der</strong> Frauen <strong>und</strong> Mädchen besitzen, sind<br />

es allerdings viele; aber in den grossen Hauptstädten findet sich keine<br />

Einrichtung, welche genau <strong>der</strong> hier beschriebenen entspricht, d. h. den<br />

Stempel unbedingter Neutralität trägt <strong>und</strong> sich von nationalen, konfessionellen<br />

o<strong>der</strong> Partei-Vorurteilen frei hält, die recht in die Augen fallende,<br />

im Namen <strong>der</strong> Menschlichkeit geöffnete Bureaux besitzt, die endlich<br />

ein leicht erkennbares, allgemein angenommenes Zeichen trägt <strong>und</strong> wo<br />

ein ehrbares, sittsames <strong>und</strong> rechtlich denken<strong>des</strong> Mädchen sicher sein kann,<br />

zu je<strong>der</strong> St<strong>und</strong>e <strong>des</strong> Tages wohlwollende <strong>und</strong> hingebende Damen anzutreffen,<br />

welche bereit sind, ihm mit nützlichen Ratschlägen, einem aufrichtigen<br />

Zeichen <strong>des</strong> Mitgefühls, einem guten Wink an die Hand zu<br />

gehen, es zu leiten, ihm beizustehen <strong>und</strong> Arbeit zu verschaffen. Zahllos<br />

sind die Fälle aller Art, in welchen die Wohlthätigkeitsbureaux <strong>der</strong><br />

„Damen'vom Grünen Kreuz" wertvolle Dienste leisten könnten. In<br />

seinen vielfachen Verzweigungen scheint <strong>der</strong> Gegenstand, <strong>der</strong> hier kaum<br />

gestreift ist, eine <strong>der</strong> ernstesten Tagesfragen zu sein; er sollte auf internationalem<br />

Wege ausgearbeitet werden. Alle Frauen ohne Unterschied<br />

<strong>der</strong> Beligion, Partei, Meinung <strong>und</strong> Nationalität bringen dieser Frage ihre<br />

Teilnahme entgegen, denn es ist eine Frage <strong>der</strong> Menschlichkeit, die je<strong>der</strong>mann<br />

angeht. Ein je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> durch an<strong>der</strong>e lebt, sollte auch für an<strong>der</strong>e<br />

leben; dies verlangt das Gesetz <strong>der</strong> Solidarität, die nichts an<strong>der</strong>es ist als<br />

die Liebe zum Nächsten. Selbstverständlich sind diese Wohlthätigkeitsbureaux<br />

weit davon entfernt, da <strong>und</strong> dort schon bestehende Einrichtungen,<br />

die teilweise ähnliche Ziele von nationalen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Gesichtspunkten<br />

aus verfolgen, verdrängen o<strong>der</strong> ersetzen zu wollen; sie würden es sich<br />

vielmehr angelegen sein lassen, sie zu achten <strong>und</strong> ihre Bun<strong>des</strong>genossen<br />

zu werden. Aber die unbedingteste Neutralität in je<strong>der</strong> Hinsicht<br />

müsste von ihnen verlangt werden.<br />

Es ist wohl nicht nötig, die Frauen jeden Stan<strong>des</strong>, die<br />

sich als Jüngerinnen Christi betrachten, daran zu erinnern,<br />

dass das Evangelium ihnen gebietet, zu allerlei guten Werken<br />

bereit zu sein. Was ist aber dem Geiste <strong>des</strong> Evangeliums<br />

angemessener, als das Werk, um das es sich hier handelt?<br />

Es ist dies eine <strong>der</strong> wichtigsten Fragen <strong>der</strong> Barmherzigkeit,<br />

d. h. <strong>der</strong> Liebe zum Nächsten, ohne welche auch die schwärmerischste<br />

Frömmigkeit nur ist wie eine klingende Schelle.<br />

Unser Aufruf wendet sich nicht an die guten barmherzigen<br />

Schwestern noch an die hingebenden Diakonissinnen.<br />

Nicht alle Frauen können sich so ausschliesslich wie diese


— 369 —<br />

Auslese <strong>des</strong> Menschengeschlechts dem Dienste <strong>der</strong> Nächstenliebe<br />

hingeben, aber alle können bis zu einem gewissen Masse<br />

bei diesem Werke mitwirken, denn alle können Grossmut,<br />

Güte, sittliche Kraft <strong>und</strong> ein edles Ideal weiblichen Berufes<br />

in sich haben.<br />

Den Frauen kommt auch das Vorrecht zu, die Handlungen<br />

<strong>der</strong> Güte, <strong>der</strong> Menschenfre<strong>und</strong>lichkeit, Hingebung <strong>und</strong><br />

Selbstverleugnung, insbeson<strong>der</strong>e bei dem Eetter von Schiffbrüchigen,<br />

dem Samariter, dem freiwilligen Hospitaliter, kurz<br />

bei allen denjenigen zu ermuntern <strong>und</strong> zu belohnen, welche<br />

mit Gefahr ihres eigenen Lebens im Feuer, unter Waffen <strong>und</strong><br />

Kartätschen, wie inmitten wüten<strong>der</strong> Stürme <strong>und</strong> <strong>der</strong> ansteckenden<br />

Seuchen <strong>der</strong> Spitäler, heldenmütig zur Bettung<br />

ihres Nebenmenschen ausziehen <strong>und</strong> so eine Hingebung an<br />

den Tag legen, die um so verdienstlicher ist, als ihre Heldenthaten<br />

meist im Dunkeln <strong>und</strong> wie sie selbst unbekannt bleiben.<br />

Auch dies wäre ein Thätigkeitszweig für eine Gesellschaft<br />

wie die <strong>der</strong> „Damen vom Grünen Kreuz".<br />

Suchen wir die Dinge von einem höheren Standpunkte<br />

ins Auge zu fassen <strong>und</strong> zu betrachten als die Masse, <strong>und</strong><br />

einen weiteren Gesichtskreis als sie zu überschauen! Thun<br />

wir unser möglichstes, um jedem Lande die Erfahrungen <strong>der</strong><br />

übrigen Län<strong>der</strong> zu gut kommen zu lassen, in allem was die<br />

guten Beziehungen zwischen den einzelnen Gesellschaftsklassen<br />

<strong>und</strong> solche internationale Beziehungen, welche am meisten<br />

das Wohl aller in Friedenszeiten zu för<strong>der</strong>n geeignet sind,<br />

betrifft. Hilfe, Lin<strong>der</strong>ung, Heilung <strong>und</strong> Trost, die man seinen<br />

Mitmenschen spendet, sind erhabene Werke, aber gleichzeitig<br />

tragen sie auch dazu bei, den Uebeln selbst zu steuern <strong>und</strong><br />

sie zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Ein an<strong>der</strong>er wichtiger Thätigkeitszweig wäre in gewissen<br />

Län<strong>der</strong>n für die „Damen vom Grünen Kreuz" das Beschaffen<br />

von Rechtsanwälten, um die Rechte armer Witwen<br />

zu verteidigen, welche keine Stütze <strong>und</strong> keinen Berater haben,<br />

welche die Gesetze, die Geschäfts- <strong>und</strong> sonstigen Gebräuche<br />

24


— 370 —<br />

nicht kennen, <strong>und</strong> die auf das gemeinste betrogen <strong>und</strong> bestohlen<br />

werden, ohne dass sie ein Mittel haben, sich zu verteidigen.<br />

Doch fehlt es hier an Kaum, um im einzelnen alle<br />

die Thätigkeitszweige aufzuzählen, welche den Damen vom<br />

G-rünen Kreuz zukommen würden.<br />

Das Werk <strong>der</strong> Hingebung bei den Frauen ist ohne Zweifel<br />

die grösste aller Segnungen, Wenn in Kriegszeiten <strong>der</strong><br />

Soldat, von mör<strong>der</strong>ischer Waffe getroffen, verw<strong>und</strong>et nie<strong>der</strong>gesunken<br />

ist, so sind — dank dem schneeweissen Banner<br />

mit dem Purpurkreuz — seine gefährlichsten Feinde nicht<br />

mehr diejenigen, welche ihn soeben getroffen haben; seine<br />

gefährlichste Krankheit ist nicht mehr die empfangene W<strong>und</strong>e,<br />

so schwer diese auch sein mag; was am meisten zu fürchten<br />

ist, was tödlicher wirkt als die neuen Vernichtungsmittel, ist<br />

das späte Verbinden, die mangelnde Pflege, die Ansteckung<br />

infolge von Ueberfüllung, zuweilen auch <strong>der</strong> Mangel an frischer<br />

Luft, vor allem aber die moralische Abspannung <strong>und</strong><br />

die tödliche Traurigkeit, die sich <strong>des</strong> Kranken bemächtigen,<br />

<strong>der</strong> fern von allen Geliebten in frem<strong>der</strong> Umgebung weilt.<br />

Je<strong>der</strong>mann begreift dies. Was dem körperlich Leidenden,<br />

<strong>der</strong> sich in seiner Vereinsamung unglücklich fühlt, zu Herzen<br />

dringt, ist das Gefühl <strong>der</strong> Teilnahme, welche sein Unglück<br />

einflösst. Das Herz muss also von Wohlwollen <strong>und</strong> Mitgefühl<br />

durchdrungen sein; man muss den optimistischen englischen<br />

Sinnspruch zur Wahrheit machen: „das Herz braucht<br />

etwas, dem es seine Güte zeigen kann". 1 ) Dieses ausdauernde<br />

Mitgefühl, welches in thätiger Hingebung seinen Ausdruck<br />

findet, ist das Mittel, das am meisten zu seiner Heilung<br />

beitragen wird. Daher soll auch laut verkündigt werden,<br />

dass in Kriegszeiten <strong>der</strong> richtige Platz <strong>der</strong><br />

Frau neben dem Verw<strong>und</strong>eten ist. Sie ist immer mehr<br />

dazu berufen, in den Spitälern den Krankenwärter zu ersetzen,<br />

*) The heart wants sometliing 1 to be Mnd to.


— 371 —<br />

ohne dass jedoch dieser ausgeschlossen wäre. — Aber es<br />

genügt nicht bloss ein gutes Herz zu besitzen <strong>und</strong> Barmherzigkeit<br />

zu zeigen, man muss es auch verstehen, wenn es<br />

not thut, eine W<strong>und</strong>e zu verbinden. Bei den wenig tröstlichen<br />

Friedensaussichten, die uns die Zukunft bietet, sollten<br />

die Frauen das Verbinden <strong>der</strong> W<strong>und</strong>en verstehen, <strong>und</strong> man<br />

wird gut daran thun, wenn man gerade dem Werke <strong>der</strong> Samariterinnen<br />

immer kräftigere För<strong>der</strong>ung angedeihen lässt.<br />

Wo ist heutzutage das kleinste Städtchen, <strong>der</strong> kleinste Weiler,<br />

<strong>der</strong> von sich sagen könnte, dass er gegen die Leiden<br />

<strong>des</strong> Kriegs geborgen sei? Es giebt kein Dorf in.ganz Europa,<br />

welches nicht <strong>der</strong> Schauplatz blutiger Kämpfe werden kann,<br />

wo Väter, Söhne, Brü<strong>der</strong>, Gatten <strong>und</strong> Verlobte nicht in einem<br />

gegebenen Augenblick Gefahr laufen, von den Geschossen<br />

<strong>der</strong> neuen Vernichtungswaffen getroffen zu werden <strong>und</strong>, verw<strong>und</strong>et,<br />

die staatliche Hilfe entbehren zu müssen. Es wird<br />

also, angesichts einer drohenden Zukunft, von Tag zu Tag<br />

dringlicher, dass die Frauen aller Stände <strong>und</strong> in<br />

allen Län<strong>der</strong>n sich aktiv o<strong>der</strong> passiv einem Konnte<br />

vom <strong>Roten</strong> Kreuz o<strong>der</strong> einem Samariterverein<br />

anschliessen. „In einem Feldlazarett, in einem Spital",<br />

sagt Maxime Du Camp, „wendet nach ihnen <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>ete<br />

seine Blicke, sie bittet er um Hilfe, von ihnen hofft<br />

er verb<strong>und</strong>en zu werden; den Krankenwärter lässt er sich<br />

eben gefallen, nach <strong>der</strong> Krankenpflegerin ruft er; jener ist<br />

hilfreich, weil es sein Beruf mit sich bringt, diese ist barmherzig<br />

aus natürlichem Trieb. Und <strong>der</strong> Arme, <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Schlacht noch ganz ergriffen ist, noch blutig <strong>und</strong> zersch<strong>und</strong>en,<br />

täuscht sich hierin nicht: es ist ganz natürlich, dass ersieh<br />

an diejenige wendet, <strong>der</strong>en Hand leicht, <strong>der</strong>en Herz mitleidvoll<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Zuspruch teilnehmend ist. Es genügt nicht,<br />

eine Binde um einen zerschmetterten Arm zu legen, einen<br />

Knochensplitter zu entfernen, <strong>der</strong> sich am Eande <strong>der</strong> W<strong>und</strong>e<br />

zeigt, rasende Schmerzen vorübergehend durch Morphium zu<br />

betäuben; man muss mit dem Kranken spreche]), seine matte


— 372 —<br />

Seele wie<strong>der</strong> aufrichten, ihn moralisch wiegen wie ein krankes<br />

Kind, die schwindende Hoffnung wie<strong>der</strong> wecken, auf<br />

künftige Genesung <strong>und</strong> Belohnungen hinweisen, mit einem<br />

Wort, den Mut neu beleben; <strong>und</strong> das verstehen die Frauen<br />

ausgezeichnet. Während <strong>der</strong> Krankenwärter zu seinem Patienten<br />

sagt: „Was willst du, mein Junge? so geht's eben<br />

einmal; du magst dich noch so sehr abhärmen, das macht<br />

die Sache doch nicht besser!" beugt sich dagegen die Frau<br />

über den Unglücklichen nie<strong>der</strong>, trocknet ihm den Angstschweiss<br />

von <strong>der</strong> Stirne, redet so sanft <strong>und</strong> wohllautend mit<br />

ihm, dass man meinen könnte, sie Aviege ihn; sie verspricht<br />

seiner Mutter im Dorfe zu schreiben, sie beklagt ihn <strong>und</strong><br />

weckt neue Lebenslust sogar bei dem Mutlosesten. Der Arme<br />

lässt keinen Blick von ihr, <strong>und</strong> wenn er sie lächeln sieht,<br />

so fasst er sich wie<strong>der</strong>, beruhigt sich, <strong>und</strong> lässt dem Tliränenstrom,<br />

<strong>der</strong> ihm das Herz beklemmt, freien Lauf. Derselbe<br />

Mann, <strong>der</strong> sich gegen den Krankenwärter erbost <strong>und</strong> auflehnt<br />

<strong>und</strong> ihn beschimpft, gehorcht unterwürfig einem Wink<br />

<strong>der</strong> Krankenpflegerin." 1 )<br />

Die Frauen sind überall dieselben, immer liebevoll <strong>und</strong><br />

hingebend, <strong>und</strong> sie achten ihre Mühe <strong>und</strong> persönliche Sicherheit<br />

für nichts, wenn es sich darum handelt, Leidende zu<br />

trösten. Etwaige Ausnahmen, welche auf diese allgemeine<br />

glänzende Regel einen Schatten werfen, lassen sie nur in um<br />

so hellerem Glänze erstrahlen. Zartgefühl im Handeln ist<br />

bei ihnen eine natürliche Folge ihres angeborenen Zartgefühls.<br />

So besitzen sie z. B. jene aus dem Herzen kommende Höflichkeit,<br />

welche verlangt, dass man den Demütigen, den verschämten<br />

Armen, den mancherlei Unglücklichen, die fast<br />

immer schüchtern sind, entgegenkomme. All diese haben ein<br />

beson<strong>der</strong>s feines Gefühl für das, was sie wie<strong>der</strong> aufrichtet;<br />

sie haben es gerne, wenn man auf die Einzelheiten ihrer<br />

Lage eingeht <strong>und</strong> die Erzählung ihrer Leiden, Beklemmungen<br />

1 ) Maxime Du Camp, La Croix Rrragu en France.


— 373 —<br />

luid Sorgen teilnehmend anhört. Welche Dankbarkeit können<br />

Dürftige für Hilfeleistungen empfinden, welche in unhöflicher<br />

<strong>und</strong> pharisäischer Form dargebracht werden? Die Unglücklichen,<br />

die man unterstützt, haben ein feines Gefühl für<br />

„jenes unbestimmte Etwas von Feinheit, Zartgefühl <strong>und</strong> Höflichkeit,<br />

das man in den Beziehungen <strong>der</strong> ersten Christen<br />

wahrnimmt", wie sich Ernest Eenan so trefflich ausdrückt.<br />

Der Mietling, <strong>der</strong> amtlich angestellte Krankenwärter ist<br />

fast immer teilnahmlos <strong>und</strong> macht nur zu oft ein unfre<strong>und</strong>liches<br />

Gesicht, wenn er einen verw<strong>und</strong>eten Feind pflegt. Der<br />

letztere ist aber nicht nur wegen <strong>der</strong> körperlichen Schmerzen<br />

zu beklagen, die er erduldet, son<strong>der</strong>n vor allem wegen <strong>der</strong><br />

nervösen Erregung, die eine Folge seines krankhaften Zustan<strong>des</strong><br />

ist. In seiner Angst vor dem Unbekannten, mitten<br />

unter Feinden <strong>und</strong> Gegnern seines "Volkes, erschreckt ihn<br />

alles Unvorhergesehene, <strong>und</strong> diese Erregung wird zu einem<br />

neuen qualvollen Leiden, das zwar nur in seiner Einbildung<br />

besteht, aber zuweilen an Angst, Bitterkeit <strong>und</strong> To<strong>des</strong>qual<br />

die wirklicheren körperlichen Leiden übertritt. Der junge<br />

kranke Soldat, <strong>der</strong> vielleicht seinem Ende nahe ist, ist meist<br />

ein armer unwissen<strong>der</strong> Bauer o<strong>der</strong> ein bescheidener Arbeiter,<br />

<strong>der</strong> gezwungen wurde, sich zu schlagen, ohne auch nur zu<br />

wissen, warum; er hat seinen Geburtsort <strong>und</strong> sein väterliches<br />

Dach unter den Segenswünschen seiner Mutter <strong>und</strong> seiner<br />

Familie verlassen, um schliesslich während <strong>des</strong> Kampfes verw<strong>und</strong>et<br />

zu werden. Vielleicht ist er auch lange hilflos, verw<strong>und</strong>et<br />

<strong>und</strong> eine Beute <strong>des</strong> Fiebers, <strong>des</strong> Deliriums <strong>und</strong> aller<br />

Schrecken <strong>der</strong> Verlassenheit, auf dem Schlachtfelde liegen<br />

geblieben. Weiblicher Takt, die teilnehmenden Gefühle <strong>der</strong><br />

barmherzigen Schwester, <strong>der</strong> Diakonissin, <strong>der</strong> Samariterin,<br />

<strong>der</strong> Krankenpflegerin <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong>, söhnen ihn mit all<br />

dem aus; sie feilschen nicht mit ihrer Pflege, ihren Trostsprüchen<br />

gegenüber verw<strong>und</strong>eten Feinden, <strong>der</strong>en Obhut sie<br />

Übernommen haben, <strong>und</strong> die sie vom Tode zu erretten suchen.<br />

Der Lazarettsaal wie das Krankenzimmer ist ihr Gebiet;


— 374 —<br />

<strong>der</strong> Mann kann sie hier nicht ersetzen, wie gut auch seine<br />

Absichten sein mögen. Ihr Platz ist da, wo es Leiden zu<br />

trösten, Schmerzen zu lin<strong>der</strong>n giebt.<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Frauen ist es auch, für die Verbreitung<br />

<strong>des</strong> Werkes thätig zu sein, Vorurteile zu<br />

zerstreuen, die Unwissenden aufzuklären, sowie für die Hilfeleistungen,<br />

die man in Kriegszeiten braucht, durch privates<br />

Vorgehen ruhig Vorkelirungen zu treffen <strong>und</strong> im voraus emsig<br />

an ihrer Einrichtung zu arbeiten, da die Männer immer noch<br />

verblendet genug sind, um bei ihrem, Verwüstung <strong>und</strong> Zerstörung<br />

zeugenden Völkerhass zu beharren. Beim Werke<br />

vom <strong>Roten</strong> Kreuz sind sie zugleich die rufende <strong>und</strong> bittende<br />

Stimme, die helfende <strong>und</strong> gebende Hand <strong>und</strong> das sich hingebende<br />

<strong>und</strong> tröstende Herz.<br />

Die Frau begreift besser als <strong>der</strong> Mann den wahren Beruf<br />

<strong>des</strong> menschlichen Wesens, welches in erster Linie für<br />

die Seinigen <strong>und</strong> die Familie, dann für das Vaterland <strong>und</strong><br />

endlich für die Menschheit leben soll, insofern die Familie<br />

ihren Endzweck im Dienste <strong>des</strong> Vaterlan<strong>des</strong>, <strong>und</strong> dieses den<br />

seinigen im Dienste <strong>der</strong> Menschheit hat.<br />

Die italienischen Frauen, vornehme Damen <strong>und</strong> einfache<br />

Bäurinnen, sind zuerst mit gutem Beispiel auf dem Wege<br />

vorangegangen, welchen seitdem ihre Schwestern in Deutschland<br />

<strong>und</strong> Frankreich, sowie später in Russland mit so grosser<br />

Selbstverleugnung verfolgt haben. Allerdings war dem tutti<br />

fratelli <strong>der</strong> lombardischen Bäurinnen zur Zeit <strong>des</strong> Krimkriegs<br />

die schöne Entfaltung <strong>der</strong> Hingebung seitens einiger<br />

Frauen von London <strong>und</strong> St. Petersburg vorangegangen, welche<br />

diesen ruhmvollen aber dornenreichen Pfad zuerst beschritten<br />

haben.<br />

Wenn nach einem Krieg die Verw<strong>und</strong>eten verteilt <strong>und</strong><br />

in den Familien zur Pflege untergebracht werden, was für<br />

die Genesung <strong>und</strong> Heilung <strong>der</strong> Opfer <strong>der</strong> zerstörenden Wut<br />

<strong>der</strong> Kämpfe so günstig ist, dann kann, da keine militärische<br />

Autorität mehr die Regungen <strong>der</strong> Nächstenliebe hemmt, diese


— 375 —<br />

sich in voller Freiheit bethätigen <strong>und</strong> ihre ganze Fülle von<br />

glücklichen Erfindungen <strong>und</strong> selbstthätigem Vorgehen entfalten<br />

Hier vor allem vollzieht sich die barmherzige Aufgabe <strong>der</strong><br />

Frauen mit grossem Erfolg. Leben werden gerettet durch<br />

die emsige Pflege nicht nur <strong>der</strong> Samariterinnen, <strong>der</strong> barmherzigen<br />

Schwestern <strong>und</strong> Diakonissinnen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong><br />

Frauen aus den höheren Ständen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Frauen von Handwerkern,<br />

Arbeitern <strong>und</strong> Bauern; durch die Mütter, die Gattinnen,<br />

Schwestern, Töchter <strong>und</strong> Bräute <strong>der</strong> Offiziere <strong>und</strong><br />

Soldaten, welche beim Heere sind. Die letzteren, vielleicht<br />

verw<strong>und</strong>et, werden möglicherweise im selben Augenblick von<br />

<strong>der</strong> weiblichen Bevölkerung <strong>des</strong> feindlichen Lan<strong>des</strong> gütig verpflegt.<br />

Hier erfüllt <strong>der</strong> Patriotismus selbst eine Pflicht <strong>des</strong><br />

Mitleids gegenüber dem mit dem Leiden kämpfenden Gegner:<br />

die dem Fremden erwiesene Pflege wird den Söhnen <strong>des</strong> heimischen<br />

Bodens im fremden Lande wie<strong>der</strong> heimgegeben. Wie<br />

sollte man also die Landsleute, für die man sich aufopfert,<br />

<strong>und</strong> die leidenden Feinde nicht mit einem <strong>und</strong> demselben<br />

menschenfre<strong>und</strong>lichen Gefühle umfassen! Der gefallene Krieger<br />

ist kein Feind mehr; er wird nicht nur wie<strong>der</strong> zu einem<br />

menschlichen Geschöpf, son<strong>der</strong>n zu einem Bru<strong>der</strong>. Der nationale<br />

Gegensatz hört auf, <strong>der</strong> Zorn erlischt, das Recht <strong>des</strong><br />

Blutes erhebt seine Stimme, denn die menschliche Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />

kommt wie<strong>der</strong> zu ihrem Eecht. Dies hatte die Kaiserin<br />

Augusta beim Lesen <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino"<br />

so schnell' <strong>und</strong> so gut begriffen, <strong>und</strong> eben diesem Gefühle<br />

hat Kaiser Wilhelm I. zu seinem bleibenden Ruhme zuallererst<br />

zum Sieg verholfen.<br />

Um ein Gegengewicht gegen die Verheerungen zu schaffen,<br />

welche die neuen Vernichtungswaffen künftig anrichten<br />

werden, müssen die Frauen <strong>und</strong> Mädchen in jedem Lande<br />

bereit sein, sich in Masse <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten zu<br />

widmen; müssen sich an einem beliebigen Tage überall wohlausgestattete<br />

Nie<strong>der</strong>lagen vorfinden, welche den Oberärzten<br />

zur Verfügung gestellt werden können; muss ein je<strong>der</strong> im


— 376 —<br />

voraus wissen, was er zu thun liaben wird, um, wenn <strong>der</strong><br />

Augenblick gekommen ist, keine Zeit zu verlieren, <strong>und</strong> die<br />

Hilfsmittel, über die man verfügen kann, nicht zu verschleu<strong>der</strong>n.<br />

In dem Augenblick , wo die eine Hälfte <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

Soldat wird, muss die an<strong>der</strong>e barmherzige Schwester werden.<br />

Die Bestimmung <strong>der</strong> Frau, ihre Rolle, ihre hervorragendste<br />

Aufgabe ist, um es unablässig zu wie<strong>der</strong>holen, die Hingebung;<br />

das heisst auch „eine Gehilfin <strong>des</strong> Mannes" sein. Sie soll<br />

ihren Teil an <strong>der</strong> Geschichte <strong>des</strong> Menschengeschlechtes auf<br />

sich nehmen. Und thatsächlich ist ihr Anteil <strong>der</strong> schönste:<br />

noch heute reden die Männer viel von einer Brü<strong>der</strong>lichkeit,<br />

die sie nicht üben, denn beim ersten Zeichen eilen sie zum<br />

Sammelplatz <strong>der</strong> Zerstörung, um sich gegenseitig zu zerfleischen.<br />

Die Frauen dagegen werden täglich mehr zu zeigen<br />

verstehen, dass sie ein höheres Feld für ihren Wetteifer besitzen,<br />

nämlich das <strong>der</strong> „wahren Brü<strong>der</strong>lichkeit", welche<br />

sich aufopfert, um das von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Hälfte <strong>des</strong> Menschengeschlechtes<br />

verursachte Uebel wie<strong>der</strong> gut zu machen. Wie<br />

sollten auch die Frauen nicht die thätigsten, überzeugendsten<br />

<strong>und</strong> erfahrensten Vorkämpferinnen für alle grossen Gedanken<br />

sein, da doch die grossen Gedanken aus dem Herzen kommen!<br />

Im Jahre 1866, zur Zeit <strong>des</strong> preussisch-östreichischen<br />

Kriegs, befand sich unter den freiwilligen Hospitalitern<br />

eine Anzahl Studenten von 16 bis 20 Jahren, welche sich<br />

gleichfalls durch ihre Hingebung auszeichneten. Breslauer<br />

Studierende, mit Johannitern <strong>und</strong> Aerzten <strong>des</strong> Berliner Komites<br />

<strong>und</strong> mit dem Dr. Hulwa an <strong>der</strong> Spitze, fanden nicht<br />

weit von Königgrätz in einer einsamen Lichtung <strong>des</strong> finsteren<br />

Wal<strong>des</strong> von Horzitz 383 im Sterben liegende Oestreicher inmitten<br />

von mehreren h<strong>und</strong>ert Leichen. Seit zwei Tagen lagen<br />

sie da, verlassen, hilflos, ohne Arzt, ohne Nahrung <strong>und</strong> ausser<br />

Stand sich gegenseitig beizustehen. Während dieses kurzen<br />

Zeitraums waren an demselben Orte 800 an<strong>der</strong>e Verw<strong>und</strong>ete<br />

unter den Folterqualen <strong>des</strong> Durstes, <strong>des</strong> Hungers <strong>und</strong> ihrer<br />

Schmerzen <strong>und</strong> in dem quälenden Bewusstsein ihrer Ver-


— 377 —<br />

lassenheit, Hilflosigkeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Mangels an Pflege gestorben.<br />

Der Wald von Lipa, sagt <strong>der</strong> Oberarzt <strong>des</strong> preussisclien<br />

Heeres, Dr. Lceffler, barg eine solche Menge von verw<strong>und</strong>eten<br />

<strong>und</strong> sterbenden Unglücklichen, dass diejenigen, Avelclie<br />

Zeugen dieses entsetzlichen Schauspiels gewesen sind, bei <strong>der</strong><br />

blossen Erinnerung daran schauert. — Die Tochter eines<br />

böhmischen Schlossverwalters, ein sanftes <strong>und</strong> gutes Fräulein,<br />

legte, ergriffen durch den Anblick <strong>der</strong> Leiden <strong>und</strong> begeistert<br />

durch die Hingebung <strong>der</strong> Hospitaliter, eine von ihr selbst<br />

gefertigte weisse Armbinde mit dem internationalen roten<br />

Kreuze an, <strong>und</strong> nachdem sie sich den Tag über <strong>der</strong> Pflege<br />

<strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten gewidmet hatte, die schon im Schlosse aufgenommen<br />

waren, begab sie sich am Abend <strong>des</strong> 3. Juli allein<br />

in die Umgebung von Königgrätz, in <strong>des</strong>sen Nähe sie wohnte,<br />

um sich zu vergewissern, ob nicht noch lebende Verw<strong>und</strong>ete<br />

verlassen auf dem Boden lägen. Nach mühsamem <strong>und</strong> entsetzlich<br />

aufregendem Suchen während <strong>der</strong> Nacht, wobei sie<br />

sich durch die schwachen Seufzer <strong>der</strong> Opfer leiten liess,<br />

hatte sie das Glück, auf diesem ungeheuren Schlachtfelde<br />

vier verw<strong>und</strong>ete Soldaten dem Tode zu entreissen, <strong>der</strong>en<br />

W<strong>und</strong>en sie verbinden konnte, <strong>und</strong> denen sie Wasser <strong>und</strong><br />

stärkende Nahrungsmittel einflösste. Sie war so überzeugt<br />

davon, dass das Kreuz <strong>der</strong> Hospitaliter ein wirklicher Geleitsbrief<br />

für sie sei, dass kein Gefühl <strong>der</strong> Furcht auch nur einen<br />

Augenblick sie in ihrer freiwillig übernommenen Aufgabe<br />

störte.


X.<br />

Anhang.<br />

Bemerkungen <strong>und</strong> Belege, sowie sonstige Citate.


Bemerkungen.<br />

J ) Zu Seite 105.<br />

Zur Zeit bestellen im Königreich Preussen zwei grosse engverb<strong>und</strong>ene<br />

Vereine vom Koten Kreuz, ein Männer- <strong>und</strong> ein Frauen verein. Der<br />

erstere nmfasste im Jahre 1895 12 Provinzial-, 2 Bezirks- <strong>und</strong> 453 Zweigvereine.<br />

— Im September 1866 hatte die Königin Angusta in Berlin<br />

Dnnant gegenüber den Wunsch ausgedrückt, alle die Frauenvereine, die<br />

sich während <strong>des</strong> Kriegs mit Oestreieh in Preussen gebildet hatten, möchten<br />

sich in dauerndem Bestand erhalten <strong>und</strong> sich in Friedenszeiten (wie<br />

dies in <strong>der</strong> „Erinnerung an Solferino" verlangt worden war) mit<br />

Werken <strong>der</strong> Wohlthätigkeit befassen, um für den Fall unvorhergesehener<br />

Katastrophen zu sofortiger Hilfeleistung bereit zu sein. Ihr Wunsch<br />

ging in Erfüllung, <strong>und</strong> wenige Monate nachher, am 12. April 1867, rekonstituierte<br />

sich die Gesamtheit <strong>der</strong> preussischen Frauen vereine zur Pflege<br />

im Felde verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> erkrankter Krieger unter dem Patronat <strong>der</strong><br />

Königin als Vaterländischer Frauenverein mit dem Sitz in Berlin.<br />

Im Jahre 1865 zählte dieser Verein 841 Zweigvereine mit 134007 Mitglie<strong>der</strong>n.<br />

Obgleich <strong>der</strong> ursprüngliche Zweck <strong>des</strong> Vereins <strong>der</strong> war, den<br />

Opfern <strong>des</strong> Kriegs <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er öffentlicher Notstände Hilfe zu leisten, so<br />

hat sich doch allmählich sein Thätigkeitsgebiet erweitert, <strong>und</strong> er hat alle<br />

Zweige <strong>der</strong>Wohlthätigkeitin seinen Bereich gezogen, insbeson<strong>der</strong>e<br />

soweit sie Frauen <strong>und</strong>Kin<strong>der</strong> betreffen. Im Jahre 1895 beliefen sich<br />

die Einnahmen <strong>des</strong> Vereins auf 1910519 Mark <strong>und</strong> sein Gesamtvermögen<br />

beim Jaliresabschluss 1895 auf 7368582 Mark. Ein bedeuten<strong>des</strong> Moment<br />

seines Erfolgs ist die unbedingte Neutralität <strong>des</strong> Vereins in konfessioneller<br />

Hinsicht. Ausserdem sind die örtlichen Vereine in keiner Weise in ihrer<br />

selbständigen Wirksamkeit gehemmt: sie handeln vollkommen unabhängig<br />

<strong>und</strong> verwalten sich selbst. Das Centralkomite in Berlin vertritt den Verein<br />

bei dem aus Männern bestehenden Centralkomite vom Koten Kreuz. Man<br />

begreift, über welch ungeheure Hilfsmittel dieses letztere im Falle eines<br />

Kriegs verfügt.


— 382 —<br />

Schon vor dem Ausbruch <strong>des</strong> deutsch-französischen Kriegs hatte <strong>der</strong><br />

Vaterländische Franenverein bei Hungersnöten, grossen Feuersbrünsten<br />

<strong>und</strong> Ueberschwemmungen wirksame Hilfe geleistet. Während<br />

<strong>der</strong> furchtbaren Hungersnot in Preussen, beson<strong>der</strong>s in Fritzlar <strong>und</strong> im<br />

Bergwerksgebiet von Plauen hatte er viel Gutes gewirkt. Die Opfer von<br />

acht grossen Feuersbriinsten waren von ihm unterstützt, in Brandenburg,<br />

Pommern, Posen, Schlesien, Schleswig-Holstein, Rheinpreussen <strong>und</strong> im<br />

Königreich Sachsen die Leiden <strong>des</strong> Hungers gelin<strong>der</strong>t, <strong>und</strong> Anstalten für<br />

Kranke, Waisen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Unglückliche gegründet <strong>und</strong> unterhalten<br />

worden. — Nach dem Jahresbericht für 1895 besitzt <strong>der</strong> Verein 12 Krankenpflegerinneninstitute<br />

mit 585 Betten <strong>und</strong> verfügt Uber 889 Berufskrankenpflegerinnen,<br />

die auf über 200 Standorte verteilt sind, sowie 387 sonstige<br />

Pflegerinnen. Ausserdem besitzt er 34 Krankenhäuser mit 683 Betten,<br />

24 Siechenanstalten, Asyle <strong>und</strong> Mägdeherbergen, 119 Volksküchen, Suppenanstalten<br />

u. s. w., 121 Handarbeits-, Hauswirtschafts- <strong>und</strong> sonstige Schulen,<br />

27 Waisen- <strong>und</strong> Erziehungsanstalten, 176 Kin<strong>der</strong>bewahranstalten <strong>und</strong><br />

Krippen. 1 )<br />

Die gute Einrichtung <strong>der</strong> preussischen Sanitätskolonnen<br />

mit ihren freiwilligen Krankenpflegern o<strong>der</strong> Samaritern ist beachtenswert.<br />

Sie sind eine bündige Antwort auf die Zweifelsucht, welche im Anfang,<br />

als Dunant sein Buch veröffentlichte, <strong>und</strong> die erste Konferenz in Genf<br />

ihre „Beschlüsse" verkündete, so geringschätzig ihr Haupt erhob. Der<br />

diese Kolonnen von Krankenpflegern leitende Verein hat es verstanden,<br />

die Männer <strong>und</strong> Jünglinge, die ihrem Vaterlande nicht mit den Waffen<br />

. dienen können, zu vereinigen; er unterrichtet sie unter ärztlicher Leitung<br />

in <strong>der</strong> Krankenpflege, um sie im Kriegsfalle dem Heere zur Verfügung<br />

stellen zu können. Ende 1890 hatte er hiefür schon 1325 Personen gewonnen.<br />

Während <strong>der</strong> Kriege in Schleswig <strong>und</strong> Böhmen, sowie während <strong>des</strong><br />

deutsch-französischen Kriegs unterstützten die Bitter <strong>des</strong> Jolianniterordens<br />

die leitenden ärztlichen Behörden in Verbindung mit den Abgeordneten<br />

<strong>des</strong> deutschen Centralkomites, dem mehrere von ihnen angehörten,<br />

nnd .unter <strong>des</strong>sen Weisungen sie es sich selbst zur Ehre anrechneten, die<br />

weisse Binde mit dem roten Kreuz am Arm, zu wirken. Am 15. Mai<br />

1866 hatte sich <strong>der</strong> Grossmeister <strong>des</strong> Johanniterordens, Prinz Friedrich<br />

Karl von Preussen, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>des</strong> damaligen Königs Wilhelm, an den<br />

aufopfernden Sinn <strong>der</strong> Ritter dieses Ordens gewandt. Sofort richteten<br />

diese auf eigene Kosten in ihren Schlössern Lazarette ein. Mehr als 200<br />

von ihnen beeilten sich, um die Ermächtigung nachzusuchen, den Truppen<br />

!) Bericht über die 30. Generalversammlung <strong>des</strong> Vaterländischen<br />

Frauenvereins am 9. Mai 1896.


— 383 —<br />

folgen zu dürfen, um bei <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Opfer dieses Kriegs mitzuhelfen.<br />

Vermöge ihrer gesellschaftlichen Stellung standen die edlen Johanniter<br />

auf gleichem Fuss mit den hervorragendsten Häuptern <strong>des</strong> Heeres; die<br />

vollständigste Uebereinstimmung herrschte zwischen ihnen <strong>und</strong> den Etappekoinmandanten.<br />

Weit davon entfernt, den Dienst zu erschweren, vereinfachte<br />

ihre Gegenwart vieles <strong>und</strong> rechtfertigte das Vertrauen, das man<br />

auf sie setzte, indem man ihre Dienste beim Heere annahm.<br />

Im deutsch-französischen Kriege wurden gegen 40 Mllionen Mark<br />

durch freiwillige Beiträge aufgebracht. — Die kleinen Anfänge eines guten<br />

Werkes dürfen nicht verachtet werden; manchmal ist ihnen eine riesenhafte<br />

Entwicklung beschieden. — „Um einen Verein zu gründen, <strong>und</strong> wäre<br />

er zu den höchsten Geschicken berufen, bedarf es bekanntlich zuerst nur<br />

eines Gedankens <strong>und</strong> einer geringen Anzahl von Männern, die sich durch<br />

ihn begeistern lassen. Die Gründung <strong>der</strong>artiger Dinge hat einige Aehnliclikeit<br />

mit <strong>der</strong> Kindheit <strong>der</strong> Menschen. Ihre erste Pflege ist so mühsam,<br />

dass fast Liebe dazu gehört, um sich nicht abstossen zu lassen" (aus einer<br />

Rede <strong>des</strong> Generals Grafen de Goyon, zweiten Vorsitzenden <strong>der</strong> Societe<br />

fran^aise de secours ans blesses am 8. Juli 1869 im Industriepalast zu<br />

Paris). (Nach J. H. Dunants Denkwürdigkeiten.)<br />

2 ) Zu Seite 105.<br />

Der Graf von B i p a 1 d a verlor keine Zeit: sofort nach seiner Rückkehr<br />

nach Madrid bat er, ohne auch nur einen Tag verstreichen zu lassen,<br />

die Königin Isabella II. um eine Audienz, <strong>und</strong> diese geruhte nicht nur<br />

dem Unternehmen ihren hohen Schutz zu gewähren, son<strong>der</strong>n beauftragte<br />

auch den Grafen Eipalda mit <strong>der</strong> Bildung eines ständigen spanischen<br />

Hilfsausschusses für die Verw<strong>und</strong>eten im Kriege, <strong>des</strong>sen Schriftführer er<br />

wurde. Ihre Majestät gewährte sofort den Wunsch, Spanien auf <strong>der</strong><br />

<strong>Genfer</strong> Konferenz vertreten zu sehen, <strong>und</strong> ihr Kriegsminister ernannte zu<br />

seinem Vertreter bei dieser Gelegenheit den Stabsarzt Dr. Nicasio<br />

Landa y Alvarez de Carvallo. Dr. Landa, ein Mann von Herz <strong>und</strong><br />

Verstand, war eines <strong>der</strong> hingehendsten <strong>und</strong> eifrigsten Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Werks.<br />

Er unterstützte den Grafen Eipalda kräftigst bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> spanischen<br />

Provinzialausschüsse. Diese, die dem spanischen Centralkomite<br />

untergeordnet waren, zeigten während <strong>des</strong> von Don Carlos geschürten<br />

Bürgerkriegs eine bew<strong>und</strong>erungswürdige Haltung. Zur Zeit <strong>des</strong> Statistischen<br />

Kongresses hatte die Königin Isabella schon die „Erinnerung<br />

an Solferino* erhalten, um welche, <strong>der</strong> spanische Konsul in Genf für sie<br />

gebeten hatte. Dasselbe war <strong>der</strong> Fall beim Herzog von Montpensier<br />

<strong>und</strong> beim Infanten Don Sebastian von Bourbon, welche an Dunant<br />

hatten schreiben lassen, um ihn ihrer tiefen Teilnahme an dem ge-


— 384 —<br />

planten Unternehmen zu versichern. Der Infant Don Sebastian wurde als<br />

Grossprior <strong>des</strong> Johanniterordens von Jerusalem (Kastilianische Zunge) von<br />

<strong>der</strong> Königin ermächtigt, für sich <strong>und</strong> für die Ordensritter kastilianischer<br />

Zange seinen Beitritt zu erklären. Durch königliche Verordnung vom<br />

6. Juli 1864, also schon vor dem diplomatischen Kongress vom August<br />

1864, nahm Ihre Katholische Majestät den Neutralitätsgedanken zu Gunsten<br />

<strong>der</strong> feindlichen Verw<strong>und</strong>eten auf dem Schlachtfeld an.<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> spanischen Centralkomites war zuerst S. Exc. General<br />

Don Miguel Osset, Gerechtigkeitsritter <strong>des</strong> Johanniterordens; ihm zur<br />

Seite stand <strong>der</strong> Generaldirektor <strong>des</strong> Militär-Sanitätsdepartements, Don<br />

Nicasio Garcia Britz, <strong>der</strong> Inspektor <strong>des</strong> Sanitätsdienstes <strong>des</strong> spanischen<br />

Heeres, Don Jose Maria Santucho y Marengo, eine Menge<br />

von Rittern <strong>des</strong> Johanniterordens, sowie Dr. Landa <strong>und</strong> Don Carlos<br />

de Gortari als zweiter Schriftführer neben dem Grafen von Kipalda<br />

(1865). Nach dem General Osset war Vorsitzen<strong>der</strong> Don Manuel Catala<br />

deValeriola, <strong>und</strong> dann, bis zu seinem Tode, <strong>der</strong> treffliche Graf<br />

von Ripalda. — Die gute <strong>und</strong> schöne Herzogin von Medina-<br />

Coeli wurde Vorsitzende <strong>des</strong> Frauenvereins vom <strong>Roten</strong> Kreuz in Madrid,<br />

<strong>der</strong> während <strong>des</strong> Karlistenkriegs im Jahre 1875 eine so umfassende Thätigkeit<br />

entwickelte. — Der internationale Begrün<strong>der</strong> <strong>des</strong> Werks hatte also<br />

nicht Unrecht mit seinem Wunsche, dass die Bürgerkriege von den Wohlthaten<br />

<strong>des</strong> Werks nicht ausgeschlossen bleiben sollten.<br />

(Nach J. H. Dunants Denkwürdigkeiten.)<br />

3 ) Zu Seite 111.<br />

„Es war von dem kaiserlich östreichischen Prinzen ebenso edel wie<br />

hochherzig," sagt <strong>der</strong> internationale Begrün<strong>der</strong> in seinen Denkwürdigkeiten,<br />

„dass er so kurz nach dem italienischen Kriege ein Werk mit dem<br />

Titel, wie ihn mein Buch führte, so gütig entgegennahm. — Ich hatte<br />

später die Ehre, Seiner Kaiserlichen <strong>und</strong> Königlichen Apostolischen<br />

Majestät bei einem Besuch, den <strong>der</strong> Kaiser im Jahre 1867<br />

in Paris machte, vorgestellt zu werden. Es war dies bei Gelegenheit <strong>der</strong><br />

internationalen Konferenzen, auf <strong>der</strong> Ausstellung <strong>der</strong> Vereine zur Pflege<br />

im Felde verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> erkrankter Krieger auf dem Marsfelde. Der<br />

Kaiser zeigte grosse Teilnahme an <strong>der</strong> Sache <strong>und</strong> geruhte dieselbe höchst<br />

wohlwollend auszudrücken. — Die Fürstin von Metternich, die<br />

Gemahlin <strong>des</strong> östreichischen Gesandten, <strong>der</strong>en Hingabe an dieses wahrhaft<br />

weltumfassende Werk in einer edelmütigen Thätigkeit ihren Ausdruck<br />

fand, war zugegen. Ihrer Dorchlaueht ist zu einem guten Teil <strong>der</strong> Erfolg<br />

<strong>des</strong> Festes zu verdanken, das am 9. Mai 1868 unter dem Patron at <strong>des</strong>


diplomatischen Corps, <strong>der</strong> Gesandtinnen <strong>und</strong> <strong>der</strong> französischen Marschälle<br />

<strong>und</strong> Admirale in <strong>der</strong> grossen Oper zu Paris zu Gunsten <strong>des</strong> Werkes veranstaltet<br />

<strong>und</strong> vom Kaiser Napoleon <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kaiserin Eugenie mit ihrem<br />

Besuch beehrt wurde.<br />

„0estreich, welches erst im Jahre 1866 <strong>der</strong> Konvention beitrat<br />

gehört heute zu den Län<strong>der</strong>n, die dem Werke <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> am<br />

eifrigsten ergeben sind. Die Gesamtheit <strong>der</strong> vereinigten östreichischen<br />

Gesellschaften, die unterschiedslos Männer <strong>und</strong> Frauen umfasst, <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

Spitze die Bun<strong>des</strong>leitung <strong>der</strong> Oestreichischen Gesellschaft vom<br />

<strong>Roten</strong> Kreuz bildet, zerfällt in 28 Stammvereine in den einzelnen<br />

Lan<strong>des</strong>teilen mit 446 Zweigvereinen <strong>und</strong> mit einem Gesamtvermögen von<br />

über 4 Millionen Gulden. Die Gesellschaft besitzt 31 vollständig ausgerüstete<br />

<strong>und</strong> auf 31 Militärspitäler verteilte Blessierten-Transportkolonnen;<br />

ausserdem eine Transportkolonne, welche für den Dienst bei ihrem eigenen<br />

Feldspitale bestimmt ist. Sie lässt an die Soldaten Verbandpäckchen verteilen,<br />

welche nach einem vom Kriegsministerium gebilligten Muster hergestellt<br />

sind. Es ist ein vortrefflicher Gedanke, dem Soldaten einige klare<br />

<strong>und</strong> einfache Anweisungen darüber zu geben, wie er sich selbst o<strong>der</strong> seinem<br />

Kameraden mit selbst angefertigten Hilfsmitteln beistehen kann.<br />

Dasselbe ist im russischen Heere <strong>der</strong> Fall. In den mährischen Schulen<br />

hat man ausgezeichnete Hilfsmittel gefanden, um in allen Schülern Teilnahme<br />

an <strong>der</strong> grossen Aufgabe <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> zu wecken. — In<br />

Anbetracht <strong>der</strong> Verwicklungen, die uns die Zukunft bringen kann, ist es<br />

höchst notwendig, die Gedanken <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> in allen Bevölkerungsschichten<br />

überall in Europa <strong>und</strong> sonst zu verbreiten. — Die östreichische<br />

Regierung hat in die Reichsgesetze eine Bestimmung bezüglich <strong>der</strong> Thätigkeit<br />

<strong>des</strong> Vereins zur See aufgenommen. — Im Jahre 1892 hat es die<br />

Oestreichische Gesellschaft vom <strong>Roten</strong> Kreuz übernommen, etwaige Massregeln<br />

gegen die Cholera zu treffen, indem sie im Einverständnis mit den<br />

Staatsbehörden ein zahlreiches Sanitätspersonal, Baracken, Materialnie<strong>der</strong>lagen,<br />

sowie mehrere Spitäler bereit stellte, die dazu bestimmt waren,<br />

als Reserveambulanzen zu dienen.<br />

Der östreichische Verband <strong>der</strong> Vereine vom <strong>Roten</strong> Kreuz setzt sich<br />

zusammen:<br />

I. aus dem Oe streichischen Patriotischen Hilfsverein, zugleich<br />

Lan<strong>des</strong>hilfsverein vom <strong>Roten</strong> Kreuz für Nie<strong>der</strong>-<br />

Oestreich;<br />

II. den Lan<strong>des</strong>- <strong>und</strong> Frauenhilfsvereinen vom <strong>Roten</strong> Kreuz<br />

für Galizien, Steiermark <strong>und</strong> Tirol;<br />

III. den Lan<strong>des</strong>hilfs vereinen vom <strong>Roten</strong> Kreuz für Böhmen,<br />

Bukowina, Dalmatien, Görz <strong>und</strong> Gradiska, Kärnthen, Krain, Mähren,<br />

Oberüstreich, Salzburg, Schlesien, Triest <strong>und</strong> Istrien, Vorarlberg;<br />

25


— 386 —<br />

IV. den Frauenhilfsvereinen vom Koten Kreuz für Böhmen,<br />

Bukowina, Dalmatien, Görz <strong>und</strong> Gradiska, Kärnthen, Krain, Mähren,<br />

Nie<strong>der</strong>östreich, Oberöstreich, Salzburg, Schlesien, Triest <strong>und</strong> Istrien."<br />

(Aus J. H. Dunants Denkwürdigkeiten.)<br />

*) Zu Seite 113.<br />

„Die edle Erklärung <strong>des</strong> verehrten Königs von Sachsen," berichtet<br />

Dunant in seinen Denkwürdigkeiten, „hatte auch in England Erfolg.<br />

Von Deutschland ans schrieb ich unter an<strong>der</strong>m auch an den englischen<br />

Kriegsminister Lord Grey, jetzt Marquis von Eipon, um ihn um<br />

Entsendung eines amtlichen Vertreters <strong>des</strong> britischen Eeichs zur Konferenz<br />

zu bitten, nnd begründete mein Gesuch mit den mir in Berlin, Dresden<br />

u. s. w. gemachten Hoffnungen. Lord Grey zeigte sich sehr entgegenkommend<br />

<strong>und</strong> ernannte zum Vertreter Grossbritanniens den Generalinspektor<br />

<strong>der</strong> Spitäler, Dr. Eutherford. — In London war <strong>der</strong> Major Sir<br />

Harry Verney, Baronet, Parlamentsmitglied <strong>und</strong> Schwager <strong>der</strong> Miss<br />

Nightingale, so ziemlich <strong>der</strong> einzige Englän<strong>der</strong>, welcher sich geneigt zeigte,<br />

einem ständigen Komite für England, ähnlich den festländischen Ausschüssen,<br />

beizutreten, als ich dorthin reiste, um eine <strong>der</strong>artige Einrichtung<br />

ins Leben zu rufen. Ich gab zu diesem Zweck unnötigerweise viel Geld<br />

aus; man komplimentierte mich wie<strong>der</strong> fort, unter dem Vorgeben, man<br />

werde meine Erinnerung an Solferino in englischer Sprache veröffentlichen.<br />

Doch habe ich in Genf nur eine Probe davon zu Gesicht bekommen, d. h.<br />

die Druckbogen <strong>der</strong> ersten 72 Seiten. Dann hörte ich we<strong>der</strong> etwas vom<br />

Drucker, vom Druck <strong>und</strong> vom Manuskript mehr, noch von dem Papier,<br />

das schon gekauft <strong>und</strong> im voraus bezahlt war, <strong>und</strong> von meinen Vorschüssen.<br />

— Später besorgten an<strong>der</strong>e Personen eine zweite Uebersetznng; aber<br />

diese steht mit <strong>der</strong> ersten verdriesslichen Geschichte in keinem Zusammenhang.<br />

„Am 16. März 1866 hielt <strong>der</strong> Generalinspektor Dr. Longmore<br />

(später Sir Thomas Longmore), Professor <strong>der</strong> Militärchirurgie am Victoriahospital<br />

zu Netlev bei London, in <strong>der</strong> Eoyal United Service Institution<br />

unter Vorsitz Sir Harry Verney's einen wichtigen Vortrag über die<br />

<strong>Genfer</strong> Konvention <strong>und</strong> über das Werk im allgemeinen. Dieser hervorragende<br />

Fachmann war von <strong>der</strong> englischen Regierung zu <strong>der</strong> zweiten<br />

Konferenz abgeordnet worden, welche die diplomatische Akte ausarbeitete,<br />

die dazu bestimmt war, sich zu einer grossen socialen Thatsache zu gestalten.<br />

„Der Oberstlieutenant E. Loyd-Lindsay, jetzt Lord Van tage,<br />

war im Jahre 1870 Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> nationalen englischen Vereins znr<br />

Pflege im Felde verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> erkrankter Krieger, welcher in England


— 387 —<br />

zahlreiche Millionen in Empfang nahm, die zu gleichen Teilen zwischen<br />

Deutschland <strong>und</strong> Frankreich verteilt wurden. Die Thätigkeit dieses Vereins<br />

ist in Friedenszeiten gleich Null; er hat sich seitdem von allen gemeinsamen<br />

K<strong>und</strong>gebungen <strong>der</strong> Vereine vom Koten Kreuz • ferngehalten.<br />

Die Englän<strong>der</strong>, die sehr praktisch veranlagt sind, betrachten wahrscheinlich<br />

ein Dauerkomite als überflüssig <strong>und</strong> als verlorene Zeit; sie sollten<br />

übrigens nicht vergessen, dass ihre Einseitigkeit die Missgeschicke ihrer<br />

Heere in <strong>der</strong> Krim herbeigeführt hat. Die Thätigkeit <strong>der</strong> Komites besteht<br />

nicht bloss darin, dass durch öffentliche Sammlungen ungeheure Summen<br />

aufgebracht <strong>und</strong> aufgespeichert werden: ihre Aufgabe ist viel umfassen<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> vorausschauen<strong>der</strong>, wie die erfolgreiche Thätigkeit <strong>der</strong> festländischen<br />

Vereine beweist. — Rühmend hervorzuheben ist die Hingebung verschiedener<br />

englischer Ambulanzen während <strong>des</strong> deutsch-französischen Kriegs,<br />

die aufopfernde Thätigkeit verschiedener Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Komites, <strong>des</strong><br />

Majors G. de Winton in London, sowie mehrerer Chirurgen <strong>und</strong> zahlreicher<br />

englischer Damen, die sich sogar auf dem Kriegsschauplatz <strong>der</strong><br />

Pflege <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten widmeten. Endlich begab sich <strong>der</strong> Vorsitzende<br />

<strong>des</strong> englischen Hilfsvereins mit Erlaubnis <strong>der</strong> preussischen Behörden in<br />

das belagerte Paris, um eine für die Pariser Verw<strong>und</strong>eten bestimmte halbe<br />

Million Franken zu überbringen.<br />

„Bei dieser Gelegenheit trug sich ein Ereignis zu, welches erwähnt<br />

zu werden verdient. Der Graf von Flavigny, <strong>der</strong> aufopfernde Vorsitzende<br />

<strong>der</strong> französischen Hilfsgesellschaft begleitete trotz seines vorgerückten<br />

Alters <strong>und</strong> <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Belagerung zusammenhängenden Schwierigkeiten<br />

den Obersten Loyd-Lindsay nach Versailles, um daselbst mit dem<br />

Kgl. Kommissär <strong>und</strong> Inspektor <strong>der</strong> freiwilligen Hilfsvereine, Seiner Durchlaucht<br />

dem Fürsten vonPless zusammenzutreffen <strong>und</strong> mit ihm sowie<br />

dem Vorsitzenden <strong>der</strong> englischen Gesellschaft mehrere, die Opfer dieses<br />

schrecklichen Krieges betreffende, menschenfre<strong>und</strong>liche Fragen zu besprechen.<br />

Die Herren verliessen Paris am Samstag, 15. Oktober 1870,<br />

ohne beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten; aber die Rückkehr <strong>des</strong> Grafen von Flavigny<br />

nach Paris lief nicht ohne Gefahren ab . . . Am folgenden Tag<br />

suchte mich <strong>der</strong> Graf auf <strong>und</strong> erzählte mir die Einzelheiten dieser aufopferungsvollen<br />

Reise. — Der englische Oberst hatte dem Fürsten von<br />

Pless gleichfalls eine halbe Million überbracht; er wurde von den deutschen<br />

Behörden <strong>und</strong> von dem preussischen Kronprinzen, dem nachmaligen Kaiser<br />

Friedrich III., mit Ehren überhäuft. Dieser lud ihn zu einem Gabelfrühstück<br />

ein. Auch König Wilhelm zog ihn zur Tafel <strong>und</strong> drückte ihm bei<br />

dieser Gelegenheit seinen Dank <strong>und</strong> seine Erkenntlichkeit gegenüber dem<br />

englischen Volk für seine reichen Spenden zu Gunsten <strong>der</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

Krieger aus. Sodann fügte <strong>der</strong> König, sich verneigend, hinzu: You are<br />

ver y impartial indeed! (Sie sind wirklich sehr unparteiisch.)


— 388 —<br />

„Der Bericht <strong>des</strong> Obersten Lindsay vom 24. Oktober au die englische<br />

Hilfsgesellschaft enthält folgende bemerkenswerte Würdigung <strong>des</strong><br />

Werks: „Die Thatsache, dass ich so von einem deutschen Offizier durch<br />

die Linien <strong>der</strong> preussischen Vorposten geleitet wurde, als ich mich in eine<br />

von ihnen belagerte Stadt begab, um dort ihren verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> erkrankten<br />

Feinden Hilfe zu bringen, konnte sich nur unter dem Schutze <strong>und</strong> im<br />

Geiste eines Vertrags wie <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention vollziehen. Die Reise,<br />

die. ich von Le Havre nach Paris zu machen <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> ich wohl ein<br />

Dutzend Mal die Vorposten <strong>der</strong> beiden Heere zu passieren hatte, ist für<br />

solche, die, wie ich, schon vor Festsetzung <strong>der</strong> neuen, durch diese Konvention<br />

geschaffenen Ordnung <strong>der</strong> Dinge den Krieg mitgemacht hatten,<br />

eine wirklich überraschende Thatsache. Nie habe ich, ausser bei meinem<br />

Eintritt in Paris, auch nur zwei Minuten warten müssen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> weissen<br />

Flagge mit dem roten Kreuz wurde von allen, Soldaten wie Bauern, Ehre<br />

erwiesen .... Die Anführer bei<strong>der</strong> Heere haben anerkannt, dass diese<br />

Einrichtung den Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> Kranken in diesem Krieg, <strong>der</strong> bis jetzt<br />

(Mitte Oktober) wenigstens 100000 Opfer auf je<strong>der</strong> Seite kostete, unberechenbare<br />

Dienste geleistet hat."<br />

(Aus J. H. Dunants Denkwürdigkeiten.)


Belege <strong>und</strong> sonstige Oitate.<br />

Oitatious recueillies par l'Editeur de la ciuquieme edition fran?aise.<br />

„Je voudrais que ce livre fut beaucoup lu, surtout par<br />

ceux qui aiment la guerre, par ceux qui la vantent et qui<br />

la glorifient."<br />

(Saint-Marc Girardin, de l'Academie franoaise. Journal<br />

<strong>des</strong> Dibats du 24 fevrier 1863.)<br />

„II faut lire le Souvenir de Solferino, cette saisissante<br />

revelation d'un <strong>des</strong> plus sanglants champs de bataille de<br />

notre siecle. Nous ne savions pas assez ce que c'est que le<br />

lendemain d'une bataille."<br />

(Le Pere Gratry, de l'Academie frangaise, dans le livre<br />

Vie de Henri Perreyve.)<br />

„L'auteur du Souvenir de Solferino, M. Henry Dunant,<br />

a recueilli la gloire la plus douce et la plus pure ä laquelle<br />

un ecrivain puisse pretendre: son appel ä l'humanite en faveur<br />

<strong>des</strong> blesses militaires a ete non-seulement entendu, mais suivi,<br />

et un resultat pratique presque immediat a amplement recompense<br />

cette idee genereuse."<br />

(Prevost-Paradol, de l'Academie franoaise. Journal <strong>des</strong><br />

Dibats du 31 juillet 1865.)<br />

„Belle idee cbretienne que celle de M. Henry Dunant<br />

de neutraliser les ambulances et les inflmiers sur les champs


— 390 —<br />

de bataille. Celiii qui fait le bien est de tous les pays, et<br />

il a droit ä im laissez-passer universel."<br />

(Disconrs de Monseigneur Dupanloup, eveque d'Orleans,<br />

de l'Academie frangaise, au Congres de Malines, le 31 aoüt<br />

1864.)<br />

„II faut que l'on voie par <strong>des</strong> exemples aussi palpitants<br />

que ceux que vous rapportez ce que la gloire <strong>des</strong> champs de<br />

bataille coute de tortures et de larmes. On n'est que trop<br />

porte ä ne voir que le cöte brillant d'une guerre, et ä ferner<br />

les yeux sur ses tristes consequences. II est bon d'attirer<br />

l'attention sur cette question humanitaire, et c'est ä quoi<br />

votre livre me semble eminemment propre. Un examen attentif<br />

et profond peut en amener la Solution par le concours <strong>des</strong><br />

philanthropes de tous les pays."<br />

(Lettre du general Dufour dans les premieres editions du<br />

Souvenir de Solferino.)<br />

„On trouverait difflcilement un exemple de publicite<br />

ayant produit l'effet du Souvenir de Solfirino. La bonne<br />

fortune du livre de M. Dunant a ete surtout de frapper juste,<br />

ä propos, de mettre en lumiere un besoin reel, et de se faire<br />

l'interprete d'un sentiment general."<br />

(Rapport de M. le colonel Huber-Saladin, vice-president<br />

honoraire du Comite Central de France de la Societe Internationale<br />

de secours aux Wesses <strong>des</strong> armees de terre et de<br />

mer, aux Conferences Internationales de Paris, au mois<br />

d'aoüt 1867.)<br />

„Les Souverains et les peuples ont egalement applaudi<br />

au genereux appel fait ä la charite universelle par M.<br />

Dunant."<br />

(Allocution de M. le comte Serurier, president <strong>des</strong> Conferences<br />

internationales <strong>des</strong> Societes de secours aux blesses<br />

nülitaires <strong>des</strong> arniees de terre et de mer, tenues ä Paris, en<br />

1867, ä l'onverture de ces Conferences.)


— 391 —<br />

„L'idee de M. Dunant etant une fois realisee, les resultats<br />

du concours national et international snrpasseront tout<br />

ce qu'on en a vu auparavant."<br />

(Dr. Loeffler, meclecin en chef de l'armee prussieime,<br />

delegue du ministre de la guerre de Prasse Ä la Conference<br />

internationale de Geneve, octobre 1863. Compte-rendu etc.)<br />

„L'aspect d'un champ de bataille est un de ces tableaux<br />

qu'il faut voir pour s'en faire une idee juste. M. Dunant<br />

l'a contemple ä Solferino, et il lui a arrache ce eri du coeur<br />

qui a trouve tant d'echo!"<br />

(Don Nicasio Landa y Alvarez de Carvallo, delegue de<br />

l'Espagne ä la Conference internationale de Geneve. Discours<br />

du 26 octobre 1863. Compte-rendu etc.)<br />

„Ce qui a reuni cette assemblee est un mouvement parti<br />

de l'mdividualite de M. Dunant, qui a rendu d'immenses services<br />

comme simple particulier."<br />

(Discours du capitaine van de Velde, delegue de la Hollande<br />

a la conference internationale de Genfeve, 3 m " seance,<br />

28 octobre 1863. Compte-rendu etc.<br />

„L'appel eloquent et genereux fait par M. Henry Dunant<br />

lionore tout ä la fois son auteur, non-seulement par le but<br />

eleve qu'il veut atteindre, mais encore par son heureuse<br />

initiative . . . Cette initiative prise par lui est trop louable,<br />

trop belle, trop genereuse pour etre abandonnee. L'elan est<br />

donne, il n'y a plus qu'ä perseverer pour reussir."<br />

(Dr. Boudier, delegue de la France ä la Conference internationale<br />

de Geneve, l Jr


— 392 —<br />

et süffisant ... Ce resultat sera digne <strong>des</strong> effoits admirables<br />

du fondateur de l'Oeuvre M. Henry Dunant."<br />

(Dr. Loeffler, medecin en chef de l'armee prussienne.<br />

Compte-rendu etc.)<br />

„Lors de l'explosion <strong>des</strong> mouvements affligeants qui se<br />

sont produits en Pologne (1863), madame la grande duchesse<br />

Helene Paulowna a eu l'idee d'adjoindre ä la communaute<br />

<strong>des</strong> hospitaliers volontaires momentanes; fortifiee dans cette<br />

idee par la lecture du livre de M. H. Dunant, eile la mit ä<br />

execution avec un succes complet. Beaucoup d'infirmieres<br />

yolontaires ont suivi, sur le theätre de l'insurrection, les<br />

soeurs que madame la grande duchesse s'est empressee d'y<br />

envoyer, et qui prodiguent leurs soins aux blesses polonais<br />

comme aux soldats russes."<br />

(E. Essakoff, bibliothecaire de S. A. I. madame la grande<br />

dnehesse Helene de Eussie. Compte-rendu etc. Seance du<br />

28 octobre 186B.)<br />

„M. Henry Dunant, with all his resources, mental, influential,<br />

and pecuniary, and with his courage and great<br />

energy, has been at once the pioneer, prop and successful<br />

Promoter of this work in Europe. He is at work still, and<br />

bravely the work is progressing. We must continue to do<br />

our part, and maintain thus the lead which our nation has<br />

taken in this as in other progressive movements of the civilisation<br />

of our day."<br />

(European Branch of the United States Sanitary Commission.<br />

Eeport upon the international Congress of Geneva.<br />

1863.)<br />

„Cet ouvrage (Un Souvenir de Solferino) est une de ces<br />

actions qui suffiraient ä l'honneur d'une vie, si l'on ne se<br />

proposait pas un but plus eleve encore que celui de la gloire<br />

et du renom litteraires."<br />

(Edouard Charton, Dir. du Magasin Pittm esgue, aout 1863.)


— 393 —<br />

Le 14 janvier 1863, la celebre Miss Florence Nightingale<br />

declare „approuver hautement l'excellence du but que se propose<br />

M. Dunant"; et la meme annee, l'illustre romancier<br />

Charles Dickens, publie une partie du Souvenir de Solfirino<br />

dans sa revue mensuelle, All the Year So<strong>und</strong> (Avril, mai,<br />

juin, aout 1863).<br />

„II est hors de doute que l'element civil et cliaritable,<br />

eil penetrant dans toutes les armees europeennes, ne contribue<br />

beaucoup ä diminuer l'horreur de ces boucheries organisees,<br />

provoquees souvent par les plus futiles pretextes.<br />

Esperons qu'un temps viendra oü les hommes sauront mieux<br />

s'apprecier les uns les autres, et, au lieu de s'entre-detruire,<br />

lutteront de zele pour faire progresser tout ce qui est bon<br />

et utile.<br />

„C'est la premiere fois dans l'histoire du monde, qu'un<br />

simple particulier donne l'impulsion ä une noble idee, et<br />

qu'un congres <strong>des</strong> Puissances civilisees en soit la <strong>der</strong>niere<br />

consequence, et vienne couronner son oeuvre."<br />

(Gazette de Neuchdtel, juillet 1864.)<br />

„II faut se feliciter de voir la grande oeuvre d'humanite<br />

et d'honneur, suscitee au bon moment par un particulier<br />

genereux, se developper sous la protection <strong>des</strong> hauts gouvernements,<br />

pour arriver ä la creation d'une institution d'une<br />

force et d'une puissance internationales immenses: oeuvre qui<br />

devrait avoir l'appui de la presse entiere, car eile ne peut<br />

pas plus etre reniee par les defenseurs du christianisme que<br />

par ceux de la civilisation, non plus que meconnue ou contestee<br />

dans son caractere d'utilite pratique par les hommes<br />

impartiaux."<br />

(Allgemeine militär. Zeitung, juillet 1864. Rapport du<br />

major Brodrück, delegue de la Hesse ä la Conference internationale<br />

de Genfeye.)<br />

„Le poete du Souvenir de Solferino, entraine par ses<br />

convictions, et entendant toujours resonner ä ses oreilles le


— 394 —<br />

cri decliirant <strong>des</strong> blesses, continue sans reläche ä porter leurs<br />

sanglots aux gouvernements et aux souverains, aux amis de<br />

la paix et aux gens de coeur de tous les pays et de toutes<br />

les opinions. Qu'il nous soit permis de contempler dans sa<br />

grande valeur, ce mouveraent charitable qu'un seul liomme<br />

a su inspirer au monde civilise, car, si nous admirons cet<br />

ermite enthousiaste et chevaleresque qui, avec une foi ardente<br />

et une constance admirable, sut entrainer en Orient<br />

les armees <strong>des</strong> Souverains de l'Europe, avec les plus grands<br />

guerriers de son epoque, pour conquerir les Lieux Saints,<br />

nous n'admirons pas moins la philanthropie inspiree de M.<br />

Dunant, qui a su faire vibrer les fibres les plus sensibles du<br />

coeur humain, qui s'est devoue sans reläche au secours <strong>des</strong><br />

blesses, et qui, providentiellement, quand l'Europe prevoit<br />

un sombre avenir de luttes et de sang, quand du sein meme<br />

de la societe rugit un sinistre presage de commotions futures,<br />

prepare avec une perseverance merveilleuse, et avec l'aide<br />

de quelques hommes de coeur qu'il a su gagner ä sa cause,<br />

les moyens de diminuer les horreurs de ces guerres prochaines.<br />

Qu'il re^oive l'expression de nos plus vives sympathies,<br />

et nos felicitations les plus sinceres."<br />

(Don Jose Maria Santucho y Marengo, Inspecteur general<br />

sanitaire <strong>des</strong> annees espagnoles; Itevista de sanidad militar<br />

espanola, Madrid, juiilet 1864.)<br />

„C'est ä une seule personne de coeur, M. Henry Dunant<br />

de Geneve, que l'Europe est redevable d'une si belle oeuvre,<br />

<strong>des</strong>tinee ä rendre de tres grands services ä l'humanite."<br />

(Discours de S. A. E. Oscar, duc d'Ostrogothie, prince<br />

royal de Sufede et de Norwfege, president de la Societe de<br />

Secours aux militaires blesses <strong>des</strong> royaumes de Suede et de<br />

Norwege, a la premifere assemblee generale de cette Societe.<br />

Stockholm, 1865.)<br />

„A la suite de la campagne d'Italie, un livre plein <strong>des</strong><br />

plus nobles sentiraents, Un Souvenir de Solfh-ino, a eveille


— 395 —<br />

1'attention de toutes les nations civilisees sur la lenteur <strong>des</strong><br />

secours apportes sur le chanip de bataille. Cette question,<br />

qui interesse si vivement l'armee et les familles, s'est bientöt<br />

elevee ä la hanteur de son importance. L'henreuse initiative<br />

de M. Dunant, n'a rencontre que les sympathies les plus empressees<br />

partout. Dans toute l'Europe on a chaudement<br />

accueilli l'idee.<br />

„Je dirai: Honneur ä M. Dunant! Encore sous l'impression<br />

<strong>des</strong> profon<strong>des</strong> emotions du chanip de bataille de<br />

Solferino, il a ete assez heureux pour soulever une question<br />

d'humanite, et les succes bien merites de son livre lui prouvent<br />

l'interet general qu'il a inspire."<br />

(Dr. Chenu, m6decin principal, etc. Rapport au Conseil<br />

de sante <strong>des</strong> armees, 1865.)<br />

„Le respect toujours plus grand pour la vie humaine,<br />

est un <strong>des</strong> titres les plus reels dont s'honore la civilisation<br />

mo<strong>der</strong>ne. C'est ä ce sentiment general, ravive au premier<br />

coup de canon de chaque nouveau conflit, qu'il faut attribuer<br />

l'impression produite par un simple recit que M. Henry Dunant<br />

a publie sous le titre de Souvenir de Solßrino. Ce<br />

livre eut d'autant plus de succes que l'auteur, emu par les<br />

souffrances qu'il avait eues sous les yeux dans nos höpitaux,<br />

raconte le bon accueil fait ä quelques faibles secours volontaires,<br />

non-seulement par les blesses, mais aussi par un <strong>des</strong><br />

corps sanitaires les plus savants et les plus devoues de l'Europe.<br />

L'ouvrage fut bientöt traduit en plusieurs langues, et<br />

les conclusions, tendant ä l'organisation de secours auxiliaires,<br />

ont ete presque partout adoptees avec une admirable unanimite.<br />

„M. Dunant formulait trois propositions: obtenir <strong>des</strong> gouvernements<br />

la neutralisation complete <strong>des</strong> semces de sante;<br />

former en tous pays <strong>des</strong> coniites permanents charges de preparer<br />

<strong>des</strong> secours pour l'eventualite d'une guerre; former <strong>des</strong><br />

corps d'hospitaliers volontaires.


— 396 —<br />

„Une conference, presidee par M. le general Dufour,<br />

adopta une resolution formulee en dix articles, qui developpaient<br />

les propositions de M. Dunant ..."<br />

General duc de Hontesquiou-Fezensac,<br />

President du Comite Central de France.<br />

(Manifeste du Comite central frangais de la Societö de<br />

secours aux Wesses militaires. Paris, 11 mars 1865.)<br />

„Une medaille d'or a ete decernee par la Societe d'Etlinographie<br />

de France ä l'honorable promoteur de l'Oeuvre<br />

internationale que notre Comite central represente en France.<br />

Emanant d'une teile compagnie, composee de membres consi<strong>der</strong>ables<br />

et dont on connait les services rendus ä la science,<br />

cette distinction doit avoir pour H. Henry Dunant un prix<br />

particulier; eile est pour l'Oeuvre une reconnaissance d'une<br />

haute valeur ä nos yeux, et il nous est permis d'en etre<br />

heureux et d'en remercier pour notre part la Societe d'Etlinographie.<br />

„La lettre d'envoi ä l'honorable M. Henry Dunant porte<br />

que cette medaille ,lui est decernee pour les immenses services<br />

qu'il a rendus ä l'humanite 1 .<br />

(Bulletin de la Societe de Secours aux blesses militaires<br />

<strong>des</strong> armees de terre et de mer, publie sous la direction du<br />

Comite Central franijais. Paris, art-il 1866.)<br />

„La grandeur de cette idee consiste ä faire de tout<br />

homme ä teri-e un etre sacre pour tous. Que M. Henry<br />

Dunant, qui en a eu la noble inspiration, continue ä s'y devouer!<br />

H a dejä personnellement joint l'exemple au precepte."<br />

(Spectateur militaire, 15 mars 1863.)<br />

„II y a un droit du sang; nul maintenant n'oserait le<br />

contester ... Ce cri du sang se fait entendre d'un bout ä<br />

l'autre du Souvenir de Solferino; il s'est photographie dans<br />

chacune de ses pages."<br />

(Le droit du sang. Etu<strong>des</strong> legislatives et judiciaires, par<br />

C. Fregier, president de ti'iijunal; mai 1864.)


— 397 —<br />

„L'ceuvre internationale de secours aux blesses et aux<br />

mala<strong>des</strong> militaires, dont M. H. Dunant a pris l'initiative, enhardie<br />

par ses progres, confiante en sa fortune, a franchi<br />

bientöt. la Suisse et fait le tour du monde . . . Toujours<br />

infatigable .pour sa magnifique oeuvre, l'auteur du Souvenir de<br />

Solferino a su la faire grandir rapidement . . . Apres l'immense<br />

retentissement qu'a produit, chez toutes les nations,<br />

ce cri de douleur, et ä peine cet apötre de la charite a-t-il<br />

proclame le principe civilisateur de l'association <strong>des</strong> peuples<br />

pour attenuer les <strong>des</strong>astres de la guerre, en faire comprendre<br />

la stupide horreur, et, par suite, la rendre moins frequente,<br />

que l'Association internationale pour le progres <strong>des</strong> sciences<br />

sociales soumet ä l'examen <strong>des</strong> sections, pour la session de<br />

1865, la question de savoir s'il n'y a pas lieu d'elargir le<br />

cercle d'action <strong>des</strong> comites de secours aux blesses de la<br />

guerre et d'en generaliser les bienfaits, en venant en aide,<br />

en temps de paix aux populations, en cas d'epidemie, d'inondation,<br />

etc."<br />

(Journal beige La charite sitr les champs de bataille, Moniteur<br />

de l'ceuvre internationale de secours aux blesses et aux<br />

mala<strong>des</strong> militaires, publie sous le patronage du Comite central<br />

beige. Brnxelles, mai, juin, juillet 1865.)<br />

„En decembre 1863, l'empereur fit ecrire ä M. Dunant<br />

pour l'assurer de son <strong>des</strong>ir de concourir ä l'Oeuvre dont il<br />

est le promoteur, en favorisant la formation du Comite francais.<br />

II declarait approtxver hautement l'objet de la conference<br />

et les voeux emis pour l'accomplir. II chargeait le<br />

ministre de la guerre d'autoriser quelques officiers generaux<br />

ä faire partie du Comite organise ä Paris par les soins de<br />

M. Dunant."<br />

(Manifeste du Comite central francais, 1865.)<br />

„Mr. Dunant's work created a great sensation, and was<br />

quickly translated into several European languages . . .


— 398 —<br />

„It was <strong>und</strong>oubtedly to the direct influence of the work,<br />

written by Monsieur Henry Dunant, as well as to the personal<br />

exertions of that gentleman, tliat the movement which<br />

led to the International congress of 18G4 and his results was<br />

immediately due . . .<br />

„This is a remarkable instance of a general treaty<br />

brought about by the exertions of an individual in private<br />

life."<br />

(On the Geneva Convention. — A lecture delivered at the<br />

Royal United Service Institution, by Deputy Inspector-General<br />

T. Longmore, professor of Military Surgery at the Army<br />

Medical School. — London, raarch 16th, 1866. — Major Sir<br />

Harry Verney, Bart., 31. P., in the chair.)<br />

„M. Henry Dunant con su Recuerdo de Solferino logrö<br />

fijar la atencion publica sobre asunto tan importante. Los<br />

inspirados acentos de este bienhechor de la humanidad, ganaron<br />

ä su causa la prensa de todos los idiomas, y sus constantes<br />

gestiones cerca de las Cörtes mäs po<strong>der</strong>osas dieron<br />

por brillante resultado la reunion en Ginebra en octubre de<br />

1863 de una Conferencia internacional donde diez y seis Potencias<br />

se hallaron representadas."<br />

(El Derecho de la Guerra conforme « la moral, par Don<br />

Nicasio Landa. Madrid, 1867.)<br />

„En 1859, un simple citoyen de Geneve, M. Dunant,<br />

emu par le spectacle <strong>des</strong> souffrances <strong>des</strong> blesses de la guerre<br />

d'Italie, congut le projet de provoquer <strong>des</strong> efforts internationaux<br />

et permanents pour adoucir autant que possible, dans<br />

tout l'univers, les maux <strong>des</strong> victimes de la guerre.<br />

„Les demarches perseverantes de M. Dunant amenerent,<br />

en 1863, ä Geneve, une Conference internationale, oü seize<br />

Etats furent representes, et qui adopta les trois propositions<br />

suivantes: 1® obtenir <strong>des</strong> gouvernements la neutralisation<br />

complete <strong>des</strong> services de sante; 2® former en tous pays <strong>des</strong><br />

comites permanents; 3® former <strong>des</strong> corps d'hospitaliers vo-


— 399 ~<br />

lontaires. La premiere proposition fut consacree, en 1864,<br />

par un traite diplomatique officiel conclu entre douze Etats,<br />

traite dont le protocole resta et reste encore ouvert ä Berne."<br />

(Baron de Bictuilley, President du Comitö de Compiegne.<br />

— Circulaire du Comite de Compifgne aux habitants du departement<br />

de l'Oise. — Echo de l'Oise, 19 avril 1867. Bulletin<br />

frangais, mai 1867.)<br />

„Caldo delle impressioni ricevute alla vista del campo<br />

e nell' esercizio del pietosissimo ufficio d' infermiere, egli scrisse<br />

la sua bell' opera TJn Souvenir de Solßrino, che, pubblicata a<br />

Ginevra, fu tradotta in diverse lingue e accolta con inolto<br />

plauso in Europa. Nelle conchiusioni di quell' opera 1' autore<br />

proponeva la neutralitä pei feriti e loro assistenti, e la<br />

creazione in tutti i paesi di societä permanenti di soccorso,<br />

le quali operando ciascuna principalmente nell' interesse del<br />

proprio paese, giovassero anche agli altri in caso di guerra<br />

animate da uno spirito di solidarietä e di caritä internationale.<br />

Perocche un ferito, a qualunque nazione o bandiera<br />

appartenga, diviene inviolabile per tutti e attira le simpatie<br />

ed il soccorso dell' umanitä intera.<br />

„II signor Dunant chiedeva adunque da tutte le nazioni<br />

incivilite la neutralizzazione dei feriti e malati in guerra,<br />

dei locali in cui sono accolti, delle ambulanze, dei corpi sanitari<br />

degli eserciti, e di quanti privati prestano loro aiuto,<br />

e 1' adozione di una bandiera uniforme per ren<strong>der</strong> sacri locali<br />

e persone <strong>des</strong>tinati alla cura dei feriti e malati in guerra.<br />

„Chiedeva inoltre che si cavasse maggior profitto, nel<br />

momento delle grandi battaglie, dalle persone di buona volonte,<br />

disposte ad adoperarsi al sollievo dei feriti, si organizzasse<br />

la caritä privata e libera e il soccorso cittadino,<br />

per completare gli sforzi dell' amministrazione uffiziale, sempre<br />

perö sotto la direzione di questa.<br />

„E si augurava che i rappresentanti della scienza militare<br />

e sanitaria si riunissero in conferenza a formulare<br />

qualche principio internazionale per via di convenzione da


— 400 —<br />

ratificarsi dalle potenze, la quäle servisse di base alle soeietä<br />

internazionali permanenti di soccorso per i feriti nei diversi<br />

paesi d' Europa. Preparare in tempo di pace 1' organizzazione<br />

di queste soeietä era cosa sommamente utile, perciö<br />

che al prineipio delle ostilitä le parti belligeranti troyansi<br />

mal disposte 1' una verso 1' altra, e non consi<strong>der</strong>ano piü le<br />

quistioni se non sotto 1' aspetto esclusivo dell' interesse di<br />

ciascuna.<br />

„Lo spirito di caritä internazionale, che animava questa<br />

proposta, era tanto piü spiccato, inquantoclie ne prendeva<br />

1' iniziativa un ginevrino, cittadino cioe di un paese neutrale;<br />

lontano pifi d'ogni altro dalle previsioni di guerra.<br />

„AI primo diffon<strong>der</strong>si della proposta, specialmente per<br />

ciö che riguarda la neutralizzazione delle ambulanze, alcuni<br />

gridarono all' utopia. Ma il pensiero onesto e caritativo era<br />

<strong>des</strong>tinato a vincere, e vinse."<br />

(Relazione storica still' istitugione dei comitati di soccorso<br />

per i feriti e malati in guerra. Dr. Pietro Castiglioni, vicepresident<br />

de 1'Association medicale italienne. Florence, mai<br />

1866.)<br />

„Le comite central prussien, dont les bases avaient ete<br />

jetees en septembre 1863 par le fondateur de l'Oeuvre internationale<br />

existait donc, en 186G, ä l'etat permanent depuis<br />

trois annees, pendant lesquelles il s'etait prepare pour agir<br />

d'nne maniere efficace dans le cas oft la guerre viendrait<br />

eclater. Plus de 150 comites se formerent en tres peu de<br />

temps ..."<br />

(Bulletin de la Societe de secours aux Wesses militaires<br />

<strong>des</strong> armöes de terre et de mer, publie sous la direction dn<br />

Comite central fran^ais. Paris, mars 1869.)<br />

Societe Nationale d'Encouragement au bien.<br />

„M. Dunant a conquis les sympathies du monde entier<br />

par la publication de son Iivre: Un Souvenir de Solßrino,<br />

qui parut ä la suite de la guerre de 1859. II prit l'initiative<br />

de l'Oeuvre <strong>des</strong> societes de secours aux blesses. L'eternel


— 401 —<br />

honneur d'avoir, le premier, mis cette idee en pratique, revient<br />

pleinement ä M. Henry Dunant. L'auteur d'un Souvenir<br />

de Solfirino, sous l'impression <strong>des</strong> soufifrances qu'eurent<br />

ä supporter pendant la guerre d'Italie, ä laquelle il assistait<br />

eil simple spectateur, ou plutöt en volontaire heroi'que de la<br />

clmrite, ecrivit ce recit emouvant dans son horrible realite,<br />

qui, traduit dans toutes les langues, a fait le tour de l'Europe.<br />

C'est avec un grand bonlieur que, tout en accordant<br />

une medaille d'honneur ä l'auteur du livre, nous constituant<br />

hardiment, sans crainte d'etre <strong>des</strong>avoues, les interpretes de<br />

la reconnaissance publique, nous plagons aussi sur sa tete<br />

une couronne civique, au nom de toutes les familles, au nom<br />

de toutes les nations civilisees, au nom sacre de rhumanite. u<br />

(Seance publique et distribution solennelle <strong>des</strong> röcompenses<br />

de la Socitti Nationale d'Eneouragement au bien, le 12 juin<br />

1870, au Cirque Napoleon, ä Paris. — Rapport du Secretaire<br />

general,)<br />

„Nous avons decerne une de nos premieres medailles, ä<br />

un homme jeune encore, mais qui a dejä beaucoup fait pour<br />

rhumanite.<br />

„II n'a pas seulement decrit, sous leur vrai jour, les<br />

consequences funestes de ce fleau <strong>des</strong>tructeur qu'on appelle<br />

la guerre, mais le premier, il a mis en oeuvre l'institution<br />

internationale <strong>des</strong> secours aux blesses militaires; c'est un<br />

immense service, un bienfait universel."<br />

(Le senateur Elie-de Beaumont, Secretaire perpetnel de<br />

l'Academie <strong>des</strong> Sciences, membre de l'Institut, president de<br />

la Socie'te d'encouragement au bien. Assemblee annuelle au<br />

Cirque Kapoleon, ä Paris, le 12 juin 1870.)<br />

Den obigen, <strong>der</strong> fünften franz. Ausgabe <strong>der</strong> Erinnerung an<br />

Solferino entnommenen Citaten fügen wir noch folgende bei,<br />

die gleichfalls aus den ersten Jahren <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Hilfsvereine<br />

für Verw<strong>und</strong>ete stammen:<br />

26


— 402 —<br />

Die Societe d'Econotnie charitable besprach in ihrer Sitzung<br />

vom 7. März 1864 unter Vorsitz <strong>des</strong> Yicomte de Melun die<br />

Schlussfolgerungen <strong>des</strong> Berichtes <strong>des</strong> Grafen de Lyonne über<br />

Verbesserungen, <strong>der</strong>en <strong>der</strong> Sanitätsdienst <strong>der</strong> Heere im Felde<br />

etwa fähig wäre. Dieser Bericht, <strong>des</strong>sen Schlussfolgerungen<br />

einstimmig angenommen wurden, beginnt folgen<strong>der</strong>massen:<br />

„Messieurs, d'apres le <strong>des</strong>ir qui m'a ete exprime, j'ai<br />

examine avec un grand soin le livre de M. Henry Dunant,<br />

Souvenir de Solfirino, ainsi que le compte-rendu de la conference<br />

internationale reunie ä Geneve au mois d'octobre<br />

1863, pour etudier les moyens de pourvoir ä l'insuffisance du<br />

service sanitaire dans les armees en campagne. — Ce Congres<br />

a ete reuni ä Geneve ä la suite <strong>des</strong> nombreuses demarches<br />

de M. H. Dunant. Cette pensee fait honneur ä ses sentiments;<br />

eile montre toute la bonte de son coeur. H a reuni<br />

d'abord ä Geneve un comite forme d'hommes honorables et<br />

animes du meilleur esprit. Un projet de Concordat en dix<br />

articles fut elabore et soumis ä une conference internationale,<br />

oi toutes les Puissances envoyerent <strong>des</strong> delegues ... M.<br />

Dunaat a voulu voir les suites d'une grande bataille; et<br />

quand il a vu cette immense quantite de blesses son coeur<br />

s'est emu; il s'est mele aux infirmiers, il a visite les ambulances;<br />

partout il a cherche ä soulager ceux qui souffraient,<br />

et il s'est demande si ce secours individuel qu'il apportait<br />

ne pouvait etre generalise. Sa charite lui a peut-etre fait<br />

voir le mal plus grand qu'il n'etait; il a voulu y porter remede,<br />

et le Congres international de Geneve fut cree par<br />

son active initiative."<br />

Dieser Bericht <strong>des</strong> Grafen de Lyonne wurde fünf Monate<br />

vor <strong>der</strong> diplomatischen Konferenz verfasst, aus welcher die<br />

<strong>Genfer</strong> Konvention hervorging. Um jene selbe Zeit (1864)<br />

fand eine Zusammenkunft <strong>des</strong> vorläufigen Komites <strong>des</strong> von<br />

Dunant gegründeten französischen Hilfsvereins für Verw<strong>und</strong>ete<br />

bei dem Vorsitzenden <strong>des</strong> Vereins, dem General de<br />

Fezensac, in <strong>der</strong> rue d'Astorg statt. Als die Eede auf den


— 403 —<br />

Bericht <strong>des</strong> Grafen de Lyonne kam, richtete General Trochu,<br />

welcher Mitglied <strong>des</strong> Komites war, um Dunant, seinem Buch<br />

<strong>und</strong> seinen Arbeiten für Gründung <strong>des</strong> Werks seine Anerkennung<br />

auszusprechen, folgende Worte an den <strong>der</strong> Zusammenkunft<br />

anwohnenden Begrün<strong>der</strong>: „Tout ce qu'a dit M.<br />

Dunant dans son livre est parfaitement exact. II est meine<br />

reste au-<strong>des</strong>sous de la verite."<br />

Im Anschluss hieran wies General Trochu dem Pariser<br />

Komite die Notwendigkeit <strong>und</strong> Dringlichkeit eines <strong>der</strong>artigen<br />

Werks nach.<br />

„II y a dans la mo<strong>der</strong>ation avec laquelle ce livre est<br />

ecrit plus d'eloquence et quelque chose qui donne plus ä<br />

penser que si, de plein saut, l'auteur avait conclu ä l'aholition<br />

de la guerre entre nations eclairees et civilisees."<br />

(Professeur et I'asteiir Petavel, pere, de Neuchätel, 1862.)<br />

„Je suis penetre de reconnaissance envers le Dieu de<br />

charite pour vous avoir mis au coeur de reveler au monde,<br />

comme vous l'avez fait, apres avoir ete temoin <strong>des</strong> soufirances<br />

de vos semblables et vous etre porte courageusement sur<br />

place pour les soulager, de reveler, dis-je, les horreurs et les<br />

inhumanites qui se cachent sous ce manteau de gloire dont<br />

on se plait ä les revetir. Mieux que tous les traites et les<br />

raisonnements que l'on a faits contre la guerre, votre livre<br />

plaide contre ce fruit manifeste du peche et en fait savourer<br />

l'amertume. L'energie de vos <strong>des</strong>criptions et le sentiment<br />

dont vous etes penetre et qui se communique irresistiblement<br />

ä vos lectem's me font esperer que vous obtiendrez bien<br />

plus encore que vous n'avez ose deman<strong>der</strong>. Yotre ouvrage<br />

a tout ce qu'il faut pour reussir; il touche, il entraine. Que<br />

uos VCBUX pour son succes soient combles et au-delä!"<br />

(Le prof. & pasteur Petavel pere ä J. H. D. 13 janvier 1863.)<br />

„Que les amis de l'humanite, que les meres surtout lisent<br />

ce petit livre. M. Dunant verra son idee se realiser, car


— 404 —<br />

nous ne craignous pas de l'affirmer, il est indispensable,<br />

impossible que la lecture d'un Souvenir de SolfSrino laisse<br />

froid le coeur meine le plus dur ä emouvoir."<br />

(„Le Disciple de Jims Christmai 1863.)<br />

Fre<strong>der</strong>ic Passy ä Henry Dunant.<br />

.... „Je viens, ce matin meme, d'ecrire ä M. St. Marc<br />

Girardiu pour le remercier de m'avoir fait connaitre l'existence<br />

de cet excellent ecrit (Un Souvenir de SolfSrino) et<br />

pour lui dire que la 3 me edition se trouve ä Paris comme<br />

ailleurs. C'est assez vous dire, Monsieur, quel interet j'ai<br />

pris ä cette lecture et combien je souhaiterais qu'elle fftt<br />

faite par tout le monde. Elle est penible, penible jusqu'ä<br />

la plus douloureuse et la plus violente emotion: mais c'est<br />

lä sa vertu et sa force. H faut, comme le dit energiquement<br />

le Pere Gratry dans son livre sur la Paix, que nous arrivions<br />

ä sentir le mal lointain comme s'il etait sous nos yeux,<br />

et ä ne plus emousser par la distance et l'irreflexion le remords<br />

ou la douleur <strong>des</strong> calamites et <strong>des</strong> injustices qui ne<br />

nous touchent pas directement, C'est cette sensation presente<br />

et vive que donne votre livre. H fait voir et toucher dans<br />

toute son horreur, le mal de la guerre; et, en meme temps<br />

qu'il convie les ämes bienveillantes ä s'unir pour venir en<br />

aide aux victimes de nos discor<strong>des</strong> nationales, il souleve<br />

contre ces discor<strong>des</strong> elles-memes, cause de tant de souflrances,<br />

toutes les fibres de la compassion physique et de la mansuetude<br />

morale. C'est par ce soulevement plus que par tout<br />

autre sentiment, que la gnerre si eile doit un jour disparaitre<br />

enfin, sera rejetee du sein <strong>des</strong> peuples civilises. C'est par<br />

lui au moins qu'elle sera faite plus ä regret et plus douloureusement<br />

subie. Je dois dans peu de jours, en terminant<br />

les legons d'Economie Politique que je fais ici, parier de la<br />

Guerre, cette forme ruineuse entre toutes de la consommation<br />

<strong>des</strong>tructive. Je ne manquerai pas cette occasion de faire<br />

connaitre votre livre et de m'appuyer sur lui.. C'est un se-


— 405 —<br />

cours trop precieux et trop opportun. Merci de me l'avoir<br />

fourni; merci au nom de tous les hommes dont le coeur n'estpas<br />

endurci. Et permettez-moi, Monsieur, en terminant ces<br />

lignes rapi<strong>des</strong>, de ne pas traiter en inconnu l'homme qui m'a<br />

emu d'une utile emotion et de vous serrer cordialement la<br />

main avec un sentiment de profonde et j'oserai dire d'affgctueuse<br />

gratitude. Fre<strong>der</strong>ic Passy.<br />

„Cau<strong>der</strong>an, pres Bordeaux ; 12 mars 18G3.<br />

„Je vous adresse une petite brocliure qui peut-etre ne<br />

vous est pas connue et dans laquelle il est dit quelques mots<br />

de votre ceuvre. Ce n'est pas la premiere fois que j'en parle,<br />

il s'en faut. Mais au delä de votre oeuvre, je l'ai dit souvent,<br />

j'en vois une autre. Dil moment oü l'on ne se hait<br />

plus, la guerre n'est plus qu'une absurdite. Elle doit etre<br />

atroce, ou eile n'est qu'un duel ridicule, pour satisfaire au<br />

point d'honneur. L'oeuvre d'assistance internationale appelle<br />

l'oeuvre de reconciliation universelle. C'est ä celle-lä que je<br />

voudrais pouvoir travailler avec le meine bonheur que vous.<br />

Yos conseils m'y pourront ai<strong>der</strong>, et votre nom, si vous nous<br />

le donniez, serait pour nous une precieuse acquisition . . .<br />

„Fre<strong>der</strong>ic Passy. Paris-Neuilly, 31 dec. 18(57.<br />

Conference sur la Paix et la Guerre,<br />

faite ä l'Ecole de Medecine de Paris, le 21 mai 1807,<br />

par Monsieur Fre<strong>der</strong>ic Passy,<br />

membre de l'Institut de France.<br />

„Que serait-ce, Messieurs, si, profitant de l'inevitable<br />

emotion qu'inspirent de tels sujets, je mettais devant vous,<br />

apres le releve <strong>des</strong> morts et <strong>des</strong> ruines, le spectacle,. le veritable<br />

spectacle <strong>des</strong> souffrances, <strong>des</strong> miseres, <strong>des</strong> mutilations<br />

et <strong>des</strong> plaies hideuses par lesquelles la guerre fait son oeuvre;<br />

si je presentais ä vos yeux, dans toute son horreur, le tableau,<br />

la photograpliie, pour ainsi parier, d'un champ de<br />

carnage? Cette photographie, il y a un livre, que beaucoup


— 406 —<br />

d'entre vous connaissent peut-etre, qui reellement la met sous<br />

nos yeux: c'est Un Souvenir de Solferino. En verite, je ne<br />

sais si j'oserais sans crainte de voir vos cceurs faiblir et de<br />

sentir moi-meme faiblir le mien, essayer de citer ici quelques-unes<br />

de ces pages navrantes. Et dans ce livre pourtapt,<br />

il n'y a pas la moindre trace de declamation; pas un<br />

mot pour l'effet, pas de mise en scene, pas de phrases, pas,<br />

pour ainsi dire de reflexions: la verite, rien que la verite;<br />

la verite teile que l'a vue, teile que l'a consignee, presque<br />

comme un proces-verbal, un spectateur qui a eu le courage<br />

de regar<strong>der</strong> et de raconter.<br />

„Ce spectateur, vous le savez, ne s'est pas borne ä regar<strong>der</strong><br />

et ä raconter. Sur le champ de bataille, ä l'ambulance,<br />

dans ces granges ou ces eglises transformees en cliarniers,<br />

oü se trouvaient entasses cöte ä cöte les ennemis de<br />

la veille, exhalant ensemble leurs plaintes et leurs cris de<br />

<strong>des</strong>espoir, il a, avec une admirable presence d'esprit, aide<br />

de quelques volontaires comme lui, porte de son mieux le<br />

secours et la consolation. Puis, frappe de rinsuffisance de<br />

ce qui se fait encore dans ce sens, epouvante de l'abandon<br />

dans lequel restent fatalement une grande partie <strong>des</strong> blesses<br />

de chaque nation, de l'hesitation <strong>des</strong> habitants ä les recueillir,<br />

de leur promptitude ä s'en debarrasser, ä les depouiller, ä<br />

les achever quelquefois, il a voulu, par un grand effort, porter<br />

un remede efflcace ä tant de maux. II ne s'est pas<br />

attaque directement ä la guerre, qui cause ces maux; non,<br />

il a et6 au plus presse, au soulagement <strong>des</strong> blesses et <strong>des</strong><br />

mala<strong>des</strong>. H a fait appel ä la pitie, ä l'emotion de ceux-lä<br />

meme qui font ou ordonnent la guerre: et une oeuvre d'assistance<br />

et de fraternite internationales pour les blesses, une<br />

oeuvre qu'a consacree en 1804 un traite, le traiU de Geneve,<br />

et ä laquelle ont successivement adhere, ä leur honneur,<br />

tous les gouvernements de l'Europe, est sortie de ses efforts.<br />

Desormais, du moins, en attendant mieux, les blesses, les<br />

höpitaux, les ambulances et le personnel infirmier tout entier,


— 407 —<br />

a quelque nation qn'ils appartiennent, sont sacres pour toutes<br />

les nations. Voilä ce qu'a fait M. H. Dunant."<br />

Extrait du Journal <strong>des</strong> Dibats du 5 aoüt 1868.<br />

„L'appel adresse par M. Henri Dunant dans son livre:<br />

Ln Souvenir de Solferino a ete entendu et, dans plusieurs<br />

pays de l'Europe, la question de la creation de Societes internationales<br />

et permanentes de secours pour les blesses militaires,<br />

en temps de guerre, a rencontre les plus vives sympathies.<br />

Ce livre a ete traduit en allemand, en anglais, en<br />

hollandais, en italien, et actuellement Mlle. Fre<strong>der</strong>ica Braemer<br />

le traduit en suedois. En Suisse, la Societe genevoise d'utilite<br />

publique, dans sa seance du 9 fevrier 1863, a decide de<br />

patronner cette question si importante; eile sera placee ä<br />

l'ordre du jour du Congres international de bienfaisance qui<br />

doit avoir lieu ä Berlin au commencement du mois de septembre<br />

procliain. Elle doit exprimer le <strong>des</strong>ir de voir le<br />

Congres appuyer fortement cette idee: 1° pour en preoccuper<br />

l'opinion publique en Europe, et 2° pour deman<strong>der</strong> aux Gouvernements<br />

leur avis et leur appui.<br />

Dans ehaque pays, l'idee a naturellement revetu un<br />

caractere special particulier ä la nation. Ainsi par exemple,<br />

le prince Fre<strong>der</strong>ic <strong>des</strong> Pays-Bas fait examiner et etudier<br />

actuellement en Hollande comment 1'oeuvre internationale <strong>des</strong><br />

Societes de secours aux blesses militaires pourrait s'allier et<br />

recevoir un commencement d'execution immediate pour les<br />

pays du Nord dans l'ceuvre et les reglements nouveaux de<br />

l'ordre actuel de Saint-Jean.<br />

Cette ceuvre, eminemment humanitaire, dans le sens le<br />

plus eleve du mot, convie tout le monde, ä quelque nation,<br />

ä quelque culte, ä quelque opinion qn'il appartienne; les<br />

Soeurs de charite catholiques s'y trouveront ä l'aise ä cote<br />

<strong>des</strong> diaconesses protestantes et <strong>des</strong> inflrmieres juives. Le<br />

Russe, l'Anglais, l'Autrichien et le Francis s'y rencontreront<br />

sur un terrain commun, celui de la charite et de la vraie


— 408 —<br />

civilisation. L'ceuvre a dejä recu un commeucement d'execution:<br />

l'idee etait partie de Geneve; c'est ä Geneve que le<br />

premier comite a ete forme sous la presidence du venerable<br />

general Dufour, commandant en chef <strong>des</strong> forces helvetiques.<br />

La commission nommee par la Societe genevoise d'utilite<br />

publique, presentera un memoire au Congres de Berlin. La<br />

Societe neuchäteloise pour l'avancement <strong>des</strong> sciences sociales<br />

a decide, dans sa seance du 12 fevrier <strong>der</strong>nier, de se joindre<br />

ii la Societe d'utilite publique de Geneve, afin d'appuyer anpres<br />

du Congres de bienfaisance le projet de la creation <strong>des</strong><br />

societes <strong>des</strong>tinees au soin <strong>des</strong> blesses sur le champ de bataille,<br />

dans les ambulances et les liopitaux militaires. Une deputation<br />

hollandaise doit aussi se rendre ä Berlin pour y secon<strong>der</strong><br />

les propositions <strong>des</strong> Societes suisses.<br />

L'opinion de l'auteur du Souvenir de SolfArino ainsi que<br />

celle de la commission genevoise, c'est que dans chaque pays,<br />

il faut former <strong>des</strong> comites, especes de cadres ä l'etat permanent,<br />

qui, durant la paix, se tiendront constamment au courant<br />

de toutes les ameliorations relatives aux ambulances,<br />

<strong>des</strong> inventions nonvelles pour le transport <strong>des</strong> blesses, etc.<br />

et qui devront eliercher ä propager autant que possible, dans<br />

les populations (d'oü sortent les armees), <strong>des</strong> sentiments<br />

d'humanite. Un blesse a terre doit etre un individu sacre.<br />

En temps de guerre, ces comites dirigeront les personnes<br />

douees de bonne volonte et surtout de charite qui seraient<br />

disposees ä venir en aide dans les ambulances et les liopitaux,<br />

et qui pourraient meme etre placees, dans ce but, ä<br />

la disposition <strong>des</strong> etats-majors. — Des comites organises en<br />

differentes contrees et en diverses localites, quoique independants<br />

les uns <strong>des</strong> autres, sauraient bien s'entendre et<br />

communiquer ensemble lors d'une guerre. — Les comites et<br />

leurs delegues devront etre officiellement reconnus et agrees<br />

par les gouvernements. Les corps d'infirmiers volontaires<br />

seront toujours justiciables de l'autorite militaire, sous la<br />

discipline de laquelle ils se mettront rigoureusement, lors


- 400 —<br />

d'une entree en campagne. Oes Corps devrout etre composes<br />

d'ai<strong>des</strong> bien qualifies, qui se tiendront en arriere <strong>des</strong> armees,<br />

sans donner d'embarras, sans causer la moindre perturbation,<br />

et sans occasionner aueuns frais aux intendances.<br />

En un mot, ces volontaires ne coüteront rien aux armees<br />

belügerantes; on les appellera quand on voudra, et on les<br />

congediera de meme. Ces detachements bien organises auront<br />

un chef, une hierarchie; ils auront leurs moyens de transport,<br />

leurs vivres, lenr provision de medicaments et de secours<br />

de tout genre. Les comites directeurs tiendront les<br />

infirmiers ä la disposition <strong>des</strong> chefs d'armee.<br />

Le general Dufour voudrait, de plus, que l'on adoptät<br />

dans toute l'Europe un signe conventionnel et reconnu de<br />

chacun pour les infirmiers volontaires: soit un uniforme, un<br />

brassard, ou tout autre chose de ce genre, qui les <strong>des</strong>ignät<br />

et les fit distinguer partout. La Reine de Prusse, comme<br />

l'avait dejä fait la Reine de Hollande pour les Pays-Bas,<br />

a bien voulu prendre aussi cette question sous son patronage<br />

et encourager la formation de cette nouvelle et bienfaisante<br />

institution.<br />

Les grands journaux de France patronnent ä l'envi cette<br />

oeuvre eminemment chretienne, et le Sjpectateur Militaire,<br />

entre autres, en parle avec de grands eloges. En Hollande,<br />

plusienrs journaux ont consacre ä la question <strong>des</strong> articles oii<br />

eile etait etudiee ä fond, et l'auteur a regu d'officiers generaux<br />

de toutes armes et du rang le plus eleve, tant en France<br />

qu'en Allemagne, <strong>des</strong> temoignages de Sympathie auxquels se<br />

sont associes un grand nombre de chirurgiens d'armee . .<br />

Der berühmte National-Oekonom G. de Molinari sagt in<br />

einem wichtigen Artikel <strong>des</strong> Journal <strong>des</strong> Debats vom 17. Juli<br />

18G9 über das <strong>der</strong> Friedensgesellschaft von Paris gewidmete<br />

Buch Becherches economiques, historiques et slatistiques sur les<br />

guerres contemporaines von Paul Leroy-Beaulieu: „Une reaction<br />

visible s'opere contre la guerre . . . Le fait est que la note


— 410 —<br />

pacifique succede ä la note belliqueuse au theätre, dans les<br />

journaux et dans les livres." G. de Molinari weist nach, dass<br />

sich die öffentliche Meinung in Frankreich damals einstimmig<br />

für den Frieden aussprach <strong>und</strong> jede kriegerische Politik verurteilte,<br />

<strong>und</strong> fragt sodann: „A quoi tient ce changement<br />

dans les dispositions <strong>des</strong> esprits? Faut-il en faire honneur<br />

aux predications <strong>des</strong> amis de la paix, aux romans populaires<br />

de H. M. Erkmann-Chatrian, au Souvenir de Solßrino de<br />

M. Henry Dunant?".<br />

Aus dieser ehrenvollen Erwähnung <strong>der</strong> Erinnerung an<br />

Solferino kann man ersehen, welch grosser friedenstiften<strong>der</strong><br />

Einfluss ihr von <strong>der</strong> vorhergehenden Generation beigemessen<br />

wurde.<br />

Extrait du Bulletin de la Sociiti genevoise d'utilite publique,<br />

No. 25, tome IV.<br />

Seance du 9 decembre 1863.<br />

Fin du rapport de M. Gustave Moynier, President, sur les<br />

travaux de la Societe pendant l'annee 1803.<br />

„Enfin, Messieurs, vers la fln de l'annee, non contents<br />

d'avoir ete frapper ä la porte de nos Confe<strong>der</strong>es de tous les<br />

cantons, nous avons franchi d'un bond la frontiere suisse<br />

dans toutes les directions ä la fois, et avons adresse dans<br />

toute l'Europe un appel aux individus, aux societes, aux<br />

Gouvernements, pour les convier ä venir discuter avec nous<br />

les moyens de pourvoir ä l'insuffisance du service sanitaire<br />

dans les armees en campagne. Yous savez dejä, Messieurs,<br />

que cette tentative quelque peu temeraire a ete couronnee<br />

de succes, mais je vous dois ä ce sujet une explication, ou<br />

plutot un rapport au nom de la commission que vous avez<br />

nommee dans votre seance du 9 fevrier <strong>der</strong>nier. — A cette<br />

date, le livre si emouvant de M. Dunant, Un Souvenir de<br />

Solßrino, venait de paraitre; l'auteur fort de son experience<br />

personnelle, demandait s'il n'y aurait pas moyen d'utiliser<br />

davantage qu'on ne le fait, au moment <strong>des</strong> gran<strong>des</strong> batailles,


— 411 —<br />

les liommes de bonne volonte disposes ä s'einployer au soulagement<br />

<strong>des</strong> blesses, et de niettre ä profit les teiaps de paix<br />

pour organiser <strong>des</strong> secours eventuels en temps de guerre.<br />

II me sembla qu'une pensee aussi genereuse devait rencontrer<br />

parmi vous un bon accueil, et je yous proposai de l'examiner<br />

attentivement, pour savoir dans quelle mesure eile serait<br />

applicable. Un premier tour de preconsultation ne permit<br />

pas de concevoir de gran<strong>des</strong> esperances sur 1 a suite ä donner<br />

ä l'objet en question, toutefois il fut decide qu'on le soumettrait<br />

ä une epreuve decisive. Le Congres international de<br />

bienfaisance devant sieger ä Berlin au mois de septembre,<br />

l'affaire lui fut renvoyee, comme ä l'autorite la plus competente<br />

en pareille matiere. C'est alors que fut nommee la<br />

cominission dont j'ai parle, laquelle regut <strong>des</strong> pleins pouvoirs<br />

pour patronner l'idee de M. Dunant, et l'appuyer ä Berlin,<br />

avec recommandation de ne l'abandonner que si son impraticabilite<br />

etait clairement demontree. Mais, Messieurs, nous<br />

avions compte sans les evenements; par suite de diverses<br />

circonstances, le congres projete n'eut pas lieu et vos commissaires,<br />

qui ne pouvaient se resigner ä abandonner le plan<br />

qu'ils avaient elabore, congurent la pensee liardie de convoquer<br />

ä Geneve menie une conference pour s'en occuper.<br />

Depuis leur nomination, ils s'etaient frequemment assembles,<br />

et quoiqu'ils n'eussent point ete unanimes au premier abord<br />

sur ce qu'il y avait ä faire, ils avaient reussi ä formuler<br />

leurs vues dans un projet de concordat en dix articles, qu'ils<br />

estimaient acceptable et realisable, et auquel il ne manquait<br />

plus que Tassentiment <strong>des</strong> diverses nations. H fallait d'ailleurs<br />

saisir l'occasion propice qui se presentait pour s'en<br />

occuper; en effet, les vues de M. Dunant avaient alors un<br />

certain retentissement et il eut ete regrettable de laisser<br />

echapper le moment oü l'on etait encore sous l'impression<br />

recente de la lecture de son ouvrage. Une convocation ä<br />

bref delai fut lancee par votre commission, et le 26 octobre<br />

<strong>des</strong> representants de presque tous les pays de l'Europe se


— 412 —<br />

rencontraient dans les salles de l'Athenee, mises obligeamment<br />

ä leur disposition par Madame Eynard et par la Societe <strong>des</strong><br />

Arts. ; L'Assemblee se composait de 36 personnes, dont 18<br />

delegues officiels representant 14 Gouvernements, G delegues<br />

de diverses associations, 7 etrangers non accredites et 5<br />

membres du comite genevois ... Aujourd'hui, Messieurs, votre<br />

commission a accompli sa täche, et je suppose que la maniere<br />

dont eile s'en est acquittee aura votre approbation. Mais si<br />

nous la declarons dissoute, eile n'en continuera pas moins ä<br />

subsister. En effet, eile s'est constituee d'office en comite<br />

permanent de secours pour les militaires blesses et, ä ce<br />

titre, eile a ete revetue d'un caractere international. C'est<br />

ä ce comite qu'incombe le soin de veiller ä l'execution <strong>des</strong><br />

decisions de la conference, mandat essentiellement temporaii'e,<br />

mais non moins lionorable, et dont il s'oceupe actuellement.<br />

„Messieurs, les <strong>der</strong>nieres paroles qui ont ete prononcees<br />

au sein de la conference sont aussi Celles par lesquelles je<br />

terminerai ce rapport. Elles vous etaient adressees et je<br />

n'aurais garde de negliger de vous les transmettre, car elles<br />

sont ä la fois la recompense de nos efforts et nn titre de<br />

noblesse qui oblige. Les membres de la conference, avant<br />

de se separer, ont deelare solennellement, sur la proposition<br />

de M. le docteur Basting, de la Haye:<br />

„Que M. Henry Dunant, en provoquant, par ses<br />

efforts perseverants, l'etude internationale <strong>des</strong> moyens<br />

ä appliquer pour l'assistance efficace <strong>des</strong> blesses sur le<br />

champ de bataille, et la Societe genevoise d'utilite<br />

publique, en appnyant de son concours la genereuse<br />

pensee dont M. Dunant s'est f'ait l'organe, ont bien merite<br />

de rhumanite et se sont acquis <strong>des</strong> titres eclatants<br />

ä la reconnaissance universelle."<br />

Victor Hugo ä Henry Dunant.<br />

„Monsieur, je vous remercie. J'ai lu votre ceuvre avec<br />

un profond interet. Vous armez rhumanite et vous servez


— 413 —<br />

la liberte ... J'applaudis ä vos nobles efforts et je vous<br />

envoie mes plus cordiales felicitations.<br />

7 fevrier 1871.<br />

Victor Hugo."<br />

„Alma fuerte y constante, genio providencial fue el<br />

ginebrino Mr. Enrique Dunant, iniciador y f<strong>und</strong>ador de la<br />

Asociacion international de socorro d heridos en campana.<br />

Sentia el genero humano una necesidad prof<strong>und</strong>a, urgente,<br />

y Dunant quiso remediar esta necesidad: era la conciencia<br />

humana presa de un grave remordimiento, y vino Dunant ä<br />

libertarla de este aguijon.<br />

„Por cuantos medios le sugiriera su perseverancia, no<br />

se cansö Dunant de poner de manifiesto con los matices müs<br />

vivos, los horrores de que habia sido testigo y cuyo recuerdo<br />

le <strong>des</strong>garraba el corazon. Su obra maestra Le Souvenir de<br />

Solferino basta para inmortalizarle. Hubo de probar con<br />

hechos harto elocuentes y con estadisticas harto fünebres,<br />

que lo triste de una batalla no es tanto la temeridad con<br />

que miituamente pugnan por diezmarse los ejercitos beligerantes,<br />

cuanto el inconcebible martirio del que solo y abandonado<br />

perece en medio de la ingratitud de un yermo y de la<br />

oscuridad de la noche, victima de un tenaz <strong>des</strong>angraraiento,<br />

de una gangrena prematura 6 de otra causa cualquiera fäcil<br />

de prevenir ....<br />

„Improbos fueron los trabajos de Mr. Dunant, activa e<br />

incesante su propaganda; pero ni sus trabajos liabian de ser<br />

esteriles, ni su propaganda inelicaz, que al empren<strong>der</strong> el celebre<br />

filäntropo su generosa obra, no hacia mäs que dar Interpretation<br />

fiel y contestacion cumplida ä los clamores que se<br />

oian resonar universaluiente.''<br />

(Anales de la Cruz Boja. — Barcelona.)<br />

„Un nuevo Pedro el Ermitano apareciö en Europa, y<br />

echando en cara ä las naciones civilizadas el liorroroso


— 414<br />

espectäculo de las guerras de nuestros dias, las emplazö para<br />

remediar tamaila infamia. Oidas fueron sus predicaciones;<br />

aplaudida con entnsiasmo la idea que arrojö ä los vientos de<br />

la discusion y el exämen."<br />

(Anales de la Cruz Roja.)<br />

„A peine M. Dunant, cet infatigable apötre de la charite,<br />

a-t-il proclame le principe civilisateur de l'Association<br />

<strong>des</strong> peuples pour attenuer les <strong>des</strong>astres de la guerre, en faire<br />

comprendre la stupide horreur et, par le fait, la rendre moins<br />

frequente, que l'Association internationale pour le progres<br />

<strong>des</strong> sciences sociales, soumet ä l'examen <strong>des</strong> .sections, pour<br />

la session de 1865, la question de savoir s'il n'y a pas lieu<br />

d'elargir le cercle d'action <strong>des</strong> Comites de secours aux blesses<br />

de la guerre et d'en generaliser les bienfaits, en venant en<br />

aide, en temps de paix, aux populations, en cas d'epidemie,<br />

d'inondations, etc. (entsprechend den in <strong>der</strong> Erinnerung<br />

an Solferino aufgestellten For<strong>der</strong>ungen). Cette question<br />

est, en effet, le complement logique de la genereuse pensee<br />

qui a inspire le fondateur de l'Oeuvre. A cöte <strong>des</strong> soldats<br />

de la guerre, ne voit-on pas les soldats de la paix, de l'industrie,<br />

de la civilisation? Les uns et les autres ne sont-ils<br />

pas les enfants de la meme famille, ne sont-ils pas tous<br />

freres? .... L'utilite si bien constatee, si generalement<br />

reconnue <strong>des</strong> Comites de secours pour les blesses militaires,<br />

n'est-elle pas egalement evidente pour les blesses civils ? Les<br />

travaux de l'industrie mo<strong>der</strong>ne avec ses moteurs puissants,<br />

la vapeur et les gaz explosibles qu'elle utilise et exploite, ne<br />

constituent-ils pas une espece de guerre incessante que les<br />

dangers et les accidents fönt ä l'liomme et qui jonchent trop<br />

souvent de morts et de blesses le carreau <strong>des</strong> usines, les<br />

galeries <strong>des</strong> mines, le pave <strong>des</strong> rues et les rails <strong>des</strong> chemins<br />

de fer? Queis services ne rendi-aient pas, ä Phumanite, dans<br />

les diverses circonstances que nous venons d'enumerer, quelques<br />

hommes devoues, hospitaliers volontaires, formes et


415 —<br />

aguerris, qui donneraient et dirigeraient les premiers soins<br />

aux yictimes de ces trop frequentes catastroplies?<br />

„A un point de vue plus releve, au point de vue de<br />

l'utilite morale, les services que l'Oeuvre est appelee ä rendre<br />

dans cet ordre d'idees ä la civilisation, sont inappreciables.<br />

L'etude <strong>des</strong> <strong>des</strong>astres qu'entraine la guerre, en en faisant<br />

comprendre toute l'liorreur, doit la rendre moins frequente.<br />

Cette etude doit amener l'adoucissement graduel <strong>des</strong> mceurs<br />

et <strong>des</strong> lois, nous rendre plus sensibles aux dures et sanglantes<br />

epreuves <strong>des</strong> armees, et creer l'habitude de la bienfaisance,<br />

sous toutes ses formes, tout en nous inspirant un respect<br />

toujours plus grand pour la vie humaine, ce qui est l'un <strong>des</strong><br />

titres les plus reels dont s'honore la civilisation."<br />

(La Charitt sur les champs de bataille; jonrnal beige.<br />

Bruxelles, 2 juillet 1865.)<br />

„Par les conclusions de son livre Henry Dunant, l'auteur<br />

immortel ä'Un Souvenir de Solßrino, reclame la neutralisation<br />

<strong>des</strong> Wesses, celle <strong>des</strong> corps sanitaires <strong>des</strong> diverses<br />

armees et l'adoption d'un drapeau uniforme pour les ambulances<br />

et les liöpitaux militaires de toutes les nations civilisees,<br />

puis la creation dans tous les pajs de l'Europe de<br />

societes permanentes de secours aux blesses, agissant chacune<br />

dans l'interet de son Service respectif, mais dans un esprit<br />

d'liumanite internationale (sagt Dr. Andre Uytterhoeven in<br />

<strong>der</strong> Novembernummer 1865 <strong>der</strong> belgischen Zeitung La ChariU<br />

sur les champs de bataille). Es heisst dort weiter: „Les<br />

coniites de secours sont <strong>des</strong>tines encore ä rendre d'inealculables<br />

services pendant la paix (epidemies, inondations, etc.):<br />

ils ont un beau röle ä remplir. Tout en preparant les secours<br />

pour la guerre, ils s'occuperont serieusement de l'hygiene<br />

publique et agiront activement chaque fois que leur<br />

intervention sera necessaire. En d'autres termes, les comites<br />

de secours seront pendant la paix <strong>des</strong> comites de salut<br />

public."


— 416 —<br />

„Les guerres finiront-elles jamais? ... La fraternite,<br />

premiere raison <strong>des</strong> peuples, ne detruira-t-elle pas enfln la<br />

guerre, qu'ils ont faussement nommee „leur <strong>der</strong>niere raison?"<br />

Dieu seul le sait, et l'avenir seul peut le dire: mais eri attendant<br />

cette grande epoque de reconciliation et d'harmonie<br />

universelle, la guerre existe; eile enleve au travail, ä la<br />

production, aux nobles oeuvres de Pintelligence <strong>des</strong> masses<br />

innombrables d'hommes utiles, qu'elle jette, qu'elle mutile et<br />

qu'elle tue sur les champs de bataille. Ne pouvant en suppriraer<br />

le principe, il faut, s'il est possible en diminuer les <strong>des</strong>astres.<br />

H s'est fonde, dans ce but, sous l'influence d'une<br />

belle pensee religieuse, une ceuvre internationale qui se developpe<br />

chaque jour et qui a pris dejä les proportions d'un<br />

grand fait social ... Un homme de foi et de devouement<br />

s'en est fait l'apötre infatigable, et, comme toutes les idees<br />

justes et elevees, eile a promptement reussi. Les gouvernements<br />

frappes de sa portee morale et de son but civilisateur,<br />

l'ont unanimement reconnue comme une grande entreprise<br />

d'interet universel, et une Convention, signee par toutes<br />

les gran<strong>des</strong> puissances, l'a placee au rang <strong>des</strong> institutions<br />

qui forment les bases du nouveau droit <strong>des</strong> gens . . .<br />

„Belligerants et neutres, tous sont tenus de prendre<br />

part ä l'assistance, car lorsque deux peuples se battent, tous<br />

les peuples doivent tressaillir dans l'emotion de l'universelle<br />

fraternite. C'est ainsi que s'est fondee une <strong>des</strong> plus belies<br />

institutions de notre temps. Les liommes devoues qui la<br />

composent et qui appartiennent dans tous les pays aux rangs<br />

les plus eleves de l'ordre social, pourraient s'appeler ä juste<br />

titre: „les freres de la charite militaire." Mais comme il<br />

arrive pour toute ceuvre de generosite et de sentiment exquis,<br />

la noble pensee qui les inspire, est allee frapper le<br />

coeur <strong>des</strong> femmes et <strong>des</strong> meres, et en a fait partout les<br />

auxiliaires de cette entreprise d'humanite."<br />

(J. Cohen. Journal La France. Paris, 21 juin 1867.)


— 417 —<br />

„Jamals recit plus emouvant ne fut fait du champ de<br />

bataille, <strong>des</strong> scenes du combat, mais surtout <strong>des</strong> scenes plus<br />

tristes et plus emouvantes encore <strong>des</strong> ambulances provisoires<br />

. . . Le livre de II. Dunant est une bonne murre. H a ete<br />

traduit en allemand, en anglais, en italien, en hollandais .. .<br />

Honneur ä M. Dunant! Une bonne pensee, un bon sentiment<br />

sont <strong>des</strong> graines que l'liomme seme et que Dieu fait fructifler."<br />

(J. Carvallo. Journal VOpinion Nationale, Paris 10 juin 1863.)<br />

„The Geneva Convention does not in any way touch<br />

lipon the legality of warfare. Its object, in the words of the<br />

fo<strong>und</strong>er, M. Henry Dunant, was to „alleviate the misery of<br />

battle-fields"; and the various Governments who adhered to<br />

it and signed it through their delegates, could never have<br />

intended that in civil wars, often the most cruel of all, the<br />

„misery of battle-fields" should be left absolutely uncared for."<br />

(The Daily News, augnst 9 th , 1876.)<br />

„Les vers que je vous envoie, eher Monsieur Dunant,<br />

ont ete, hier soir, admirablement interpretes au Theätre<br />

Frangais par Coquelin et Mademoiselle Favart, pour la representation<br />

au profit <strong>des</strong> blesses. Ces vers, et l'abandon de<br />

tous mes droits sur cette soiree oü l'on jouait egalement mes<br />

„ Ouvriers u , sont une faQon aussi de secourir tant de victimes!<br />

— Yous verrez que dans ces vers, j'ai täche de m'inspirer<br />

de vos genereux sentiments; l'Oeuvre est si grande, et<br />

malheureusement si necessaire!"<br />

(Eugene Manuel. Paris, Dimanche 7 aoftt 1870.)<br />

„ Jamais oeuvre de la pensee humaine ne preoccupa plus<br />

vivement l'esprit du public que le livre de notre concitoyen<br />

Henri Dunant, ecrit sous le titre de Souvenir de Solfirino.<br />

La, dans quelques pages d'une realite effrayante, et depouillees<br />

de ces voiles trompeurs qu'on appelle triomphe et gloire militaire,<br />

etaient mises ä na toutes les horreurs de ces vastes<br />

27


— 418 —<br />

egorgements. Ce fut comme une secousse electrique pour la<br />

philanthropie. Toute l'Europe fremit. A la lecture de ces<br />

scenes effroyables, le pere, la mere songeaient ä leur Als, la<br />

soeur au frere, la femme ä l'epoux, et, de ee mouvement <strong>des</strong><br />

consciences sortit une revolution qui restera ä l'eternel honneur<br />

du XIX e siecle et de ceux qui en furent les promoteurs.<br />

„Dejä l'auteur du Souvenir de SolfSrino, faisant marcher<br />

de concert la theorie et la pratique, avait pose certains<br />

principes <strong>des</strong>tines ä venir en aide par leur realisation aux<br />

militaires Wesses. II formulait le <strong>des</strong>ir de voir se fon<strong>der</strong><br />

dans chaque pays <strong>des</strong> comites et donner ä l'ensemble un<br />

certain caractere international <strong>des</strong>tine ä ecarter les fäclieux<br />

effets de l'egoi'sme national.<br />

„Le general Dufour saisit un <strong>des</strong> premiers cette noble<br />

idee pour la faire entrer dans le domaine de la realite ..."<br />

(Le Petit Genevois. 15 juillet 1875. Biographie du general<br />

Dufour, decede le 14 juillet 1875.)<br />

Zwei Briefe <strong>des</strong> Generals Trochu an H. Dunant:<br />

„Paris, le 24 mai 18G4. — Monsieur, J'aurai le regret<br />

de ne pouvoir assister ä la reunion preparatoire pour laquelle,<br />

par lettre en date du 21 mai, vous avez bien voulu me convoquer.<br />

Mais je me rallie ä l'avance aux dispositions qui<br />

seraient arretees par l'assemblee dans le but d'amener la<br />

realisation de l'Oeuvre ä laquelle vous consacrez si genereusement<br />

votre temps et vos efforts. — Je vous offre l'assurance<br />

de mes sentiments les plus sinceres et les plus distingues.<br />

General Trochu."<br />

„Paris, le 20 aoüt 1870. — Cher Monsieur Dunant, je<br />

suis empörte par un tourbillon d'affaires et de preoccupations<br />

qui ne me laisse pas le loisir pour l'examen <strong>des</strong> questions<br />

qui me sont soumises. Celle dont vous voulez bien m'entretenir<br />

ne sera pas cependant oubliee. Des que j'aurai retrouve


— 419 —<br />

«n peu d'equilibre, je vous informerai de ce qui aura pu<br />

etre fait.<br />

Votre bien affectionne<br />

General Trocliu."<br />

Anm. Es handelte sich vor allem (lamm, die <strong>Genfer</strong> Konvention<br />

im Moniten rüniversel, dem damaligen Amtsblatt <strong>der</strong> französischen<br />

Regierung zu veröffentlichen.<br />

Note adressee ä Sa Majeste l'Imperatrice Eugenie, Kegente,<br />

par H. Dunant, le 20 aoüt 1870.<br />

„Sa Majeste l'Imperatrice ne croirait-elle pas essentiellement<br />

utile de proposer ä la Prasse la neutralisation d'un<br />

certain nombre de villes sur lesquelles on dirigerait les<br />

Wesses?<br />

„Ceux-ci se trouveraient, par ce fait, ä l'abri <strong>des</strong> hasards<br />

<strong>des</strong> combats; et les populations qui Ieur donneraient <strong>des</strong><br />

soins beneflcieraient de la sauvegarde accordee en pareil cas<br />

par la Convention diplomatique."<br />

Paris, le 20 aout 1870. H. Dunant.<br />

Maison de l'Imperatrice.<br />

„Palais <strong>des</strong> Tuileriesi le 20 aoüt 1870.<br />

„Monsieur, J'ai place sous les yeux de l'Imperatrice la<br />

note que vous m'avez remise pour Elle. Sa Majeste ne pouvant<br />

prendre directement les mesures que vous proposez dans<br />

l'interet <strong>des</strong> blesses, j'adresse par Son ordre vos observations<br />

au Ministre de l'Interieur en les recommandant ä son at-<br />

tention.<br />

1<br />

„Veuillez etc.<br />

A Monsieur H. Dunant. Lezay-Marnesia."<br />

„Vous avez une grande pensee, dout je vous felicite.. .<br />

L'opinion publique vous appuiera."<br />

Paris, 24 aoüt 1870.<br />

Comte Serurier, vice-president<br />

de la Societe frangaise de secours aux blesses militaires.


— 420 —<br />

„Je serai bieii aise, Monsieur, de causer avec vous de<br />

votre proposition . . .<br />

Paris, 24 aoüt 1870.<br />

Comte de Flavigny, president<br />

de la Societe fran^aise de secours anx blesses militaires."<br />

Maison de l'Imperatrice.<br />

„Monsieur, J'ai mis sous les yeux de l'Imperatrice la<br />

note que vous avez confiee ä mes soius. Sa Majeste m'ordonne<br />

de vous faire savoir qu'elle sera communiquee au<br />

Conseil <strong>des</strong> Ministres.<br />

„Veuillez etc.<br />

A Monsieur H. Dunant. Lezay-Marnesia."<br />

Anm. Der Graf Lezay-Marnesia war Kammerherr <strong>der</strong> französischen<br />

Kaiserin.<br />

Wortlaut <strong>der</strong> zweiten von H. Dunant an die Kaiserin-<br />

Kegentin Eugenie übersandten Note.<br />

„Le Gouvernement Francis ne croit-il pas opportun<br />

dans les circonstances qui se preparent de faire executer<br />

ponctuellement les diverses clauses de la „Convention pour<br />

l'amelioration du sort <strong>des</strong> militaires blesses dans les arraees<br />

en campagne", conclue ä Geneve, le 22 aoüt 1864, et ratifiee<br />

diplomatiquement par toutes les Puissances europeennes?<br />

„Les clauses les plus importantes sont:<br />

„1® La mise ä l'ordre du jour de toute l'armee (armee<br />

active, garde nationale, garde mobile, corps francs) de la<br />

substance de cette Convention afin qu'elle soit connue de<br />

cbaque homme portant les armes.<br />

„2° Faire prendre ä tout le personnel officiel <strong>des</strong> höpitaux<br />

et <strong>des</strong> ambulances de l'armee (comprenant l'Intendance,<br />

le service de sante, d'administration, de transport <strong>des</strong> blesses,<br />

ainsi que les aumoniers,) le brassard blanc ä croix rouge<br />

reconnu diplomatiquement, le tout conformement ä l'article<br />

2 de la Convention.


- 421 —<br />

„3° Infoimer les populations frangaises et notamment<br />

le peuple de Paris de la teneur de l'article 5 de la Convention,<br />

Iequel est ainsi congu: ,Les habitants du pays qui porteront<br />

secours aux blesses seront respectes et demeureront<br />

libres etc. etc.'<br />

„4° La guerre ayant necessite la formation de nouveaux<br />

corps militaires, tels que les corps francs, et l'liabillement si<br />

rapide d'une partie de la garde mobile que tous les uniformes<br />

sont ou incomplets ou non-identiques, faire deelarer immediatement<br />

par la voie de la diplomatie et par la voix de la<br />

presse que ces divers corps sont commissionnes dans les regles<br />

ordinaires par le Ministere de la guerre, qu'ils font partie<br />

de l'armee frangaise et qu'ils ne sauraient etre consi<strong>der</strong>es<br />

par les Puissances ennemies comme <strong>des</strong> habitants indument<br />

armes pour la defense du territoire.<br />

„5° Enfin, et seulement apres l'execution <strong>des</strong> articles<br />

precedents, proposer ä Sa Majeste le Eoi de Prusse la neutralisation<br />

d'un certain nombre de villes <strong>des</strong> environs de<br />

Paris, sur lesquelles on dirigerait les blesses. Ceux-ci se<br />

trouveraient par ce fait ä l'abri <strong>des</strong> hasards <strong>des</strong> combats, et<br />

les populations qui leur donneraient <strong>des</strong> soins beneficieraient<br />

de la sauvegarde accordee en pareil cas par la Convention<br />

diplomatique.<br />

H. Dunant."<br />

Anm. Eine gleichlautende Note wurde von Dunant am 11. September<br />

1870 dem Minister <strong>des</strong> Auswärtigen in <strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong> „nationalen<br />

Verteidigung", Jules Favre, persönlich überreicht. — Der letztere liess<br />

sofort am 12. September den Artikel 5 <strong>der</strong> Konvention im Journal<br />

Officiel <strong>der</strong> französischen Republik veröffentlichen.<br />

Brief <strong>der</strong> Frau Jules Simon über denselben Gegenstand.<br />

„Monsieur, vos notes ont ete remises au general Trochu<br />

par mon mari qui lui a demande instamment d'acce<strong>der</strong> au<br />

plus tot ä toutes vos propositions. Le general lui a dit que


— 422 —<br />

l'Oeuvre presentait im tel interet qu'on ne pouvait douter de<br />

toute sa bonne volonte. Vous pouvez etre certain que je<br />

ferai tout ce qui dependra de moi pour que le general ne<br />

puisse oublier au milieu du torrent qui l'emporte en ce moment<br />

<strong>des</strong> promesses qu'il faut realiser au plus vite dans<br />

l'interet de l'humanite toute entiere.<br />

„Veuillez etc.<br />

E. J. Simon."<br />

Paris, 11 septembre 1870.<br />

Anm. Jules Simon war damals Staatsminister in <strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong><br />

„Nationalen Verteidigung".<br />

Ministere <strong>des</strong> Affaires Etrangeres,<br />

cabinet.<br />

„Paris, le 28 septembre 1870.<br />

„Monsieur, Le Ministre <strong>des</strong> Affaires Etrangeres me Charge<br />

de vous informer qu'il a conserve la note que vous lui avez<br />

remise au sujet de la Convention de Geneve. H l'a communiquee<br />

au Gouvernement et une note inseree au Journal Officiel<br />

a rappele au public les dispositions de l'article 5 de la<br />

Convention. Le Ministre vous remercie de votre obligeante<br />

communication et sera heureux de toutes celles que vous<br />

voudrez bien lui faire encore. Agreez etc.<br />

„Le secretaire particulier du Ministre,<br />

Ernest Hendle."<br />

A Monsieur Dunant.<br />

Anm. Herr Ernest Hendle, Kommandenr <strong>des</strong> Ordens <strong>der</strong> Ehrenlegion,<br />

ist jetzt Präfeet <strong>des</strong> Departement de la Seine Inferienre in Ronen.<br />

Ministere de l'Instruction Publique.<br />

„Paris, le 13 septembre 1870.<br />

„Monsieur, J'ai 1'honnenr de vous apprendre que la<br />

C'ommission Medicale annexee au Comite de la Defense Na-


— 423 —<br />

tionale, vous a iiomme ä l'unanimite membre honoraire de<br />

la Commission.<br />

„Veuillez etc.<br />

„Poxir le Comite Medical annexe ä la Defense Nationale.<br />

Germain See."<br />

Anm. Diese Kommission bestand ans den Professoren an <strong>der</strong> medizinischen<br />

Fakultät zu Paris: Germain See, Mitglied <strong>der</strong> Akademie, Vorsitzen<strong>der</strong>;<br />

Wurtz, Mitglied <strong>des</strong> Instituts; Bfehier, Bouchavdat, Gnbler,<br />

Gosselin, Bouley, Verneuil <strong>und</strong> Leon Labbe.<br />

Der Daily Telegraph vom 8. Mai 1871 veröffentlicht folgenden<br />

Artikel seines Spezialkorrespondenten in Paris:<br />

„M. Henry Dunant, promoteur de la Convention de<br />

Geneve et <strong>des</strong> Societes de Secours en Europe, est ici dans<br />

le <strong>des</strong>ir de chercher ä sauver les femmes et les enfants residant<br />

ä Paris <strong>des</strong> horreurs d'un prochain embrasement plus<br />

ou moins general de cette grande cite, embrasement pouvant<br />

resulter soit du bombardement par le Gouvernement, soit <strong>des</strong><br />

intentions meines de la Commune de Paris, qui se propose<br />

de faire sauter au besoin, et pour sa defense, <strong>des</strong> rues entieres<br />

sur plusieurs points.<br />

„M. Dunant, comme Suisse, et par sa position humanitaire<br />

universellement reconnue, s'est trouve bien place pour<br />

communiquer avec tous les partis sans porter ombrage ä qui<br />

que ce soit. Personnellement connu du prince royal de Saxe,<br />

dont le caractere genereux et humain est notoire, M. Dunant<br />

a pu se convaincre ä Compiegne, et par lui-meme, <strong>des</strong> facilites<br />

qui pourraient lui etre accordees par les autorites alleman<strong>des</strong><br />

pour arriver ä la realisation d'un projet si humain.<br />

Puis, il a obtenu du gouvernement, ä Versailles (M. Barthelemy<br />

Saint Hilaire, secretaire general du gouvernement de<br />

Monsieur Thiers), l'expression de ses plus chaleureuses sympathies<br />

et de son concours empresse pour le cas <strong>des</strong> eventualites<br />

que l'on redoute. D'autre part, il a reQU <strong>des</strong> temoignages<br />

analogues de plusieurs membres influents de la Commune.


— 424 —<br />

„Ayant ainsi prepare les voies, M. Dunant a forme un<br />

Comite, ä Paris, (preside par M. Firmin Marbeau, fondateur<br />

de l'oeuyre <strong>des</strong> Creches) dans lequel figurent plusieurs etrangers<br />

de distinction."<br />

(Moniteur Universel.)<br />

Der Moniteur Universel fügt seiner Uebersetzung dieses<br />

Artikels aus demi Daily Telegraph noch bei:<br />

„Malheureusement les travaux effectues ä Paris, depuis<br />

plusieurs semaines, nous preparent une guerre de rue epouvantable<br />

<strong>der</strong>riere <strong>des</strong> barrica<strong>des</strong> trop bien construites. Aujourd'hui<br />

Paris est une ville capitonnee de picrate de potasse<br />

et de dynamite, de fougasses et de torpilles. Un incendie<br />

peut en alluxner un autre; les secours <strong>des</strong>organises manqueront<br />

certainement au moment critique, et plaise au ciel que<br />

le vent ne vienne pas ä souffler en ees jours nefastes! Oü<br />

les femmes et les enfants se refugieront-ils? Paris, cerne<br />

par les troupes de Versailles, bombarde en maints endroits,<br />

n'aura pas de refuge. Oes femmes, ces enfants, ces victimes<br />

innocentes, mourant peut-etre de faim, oü iront-ils ? Qui les<br />

recevra? Qui leur donnera du pain? Ah! sans doute, le<br />

projet de M. Dunant doit etre pris en serieuse consi<strong>der</strong>ation."<br />

(Moniteur Universel.)<br />

Congres universel <strong>des</strong> Amis de la Civilisation,<br />

par Firmin Marbeau, fondateur de la Societe <strong>des</strong> Creches.<br />

Paris 1871.<br />

„Un philanthrope genevois, M. Dunant, assistait ä la<br />

sanglante bataille de Solferino. Emu <strong>des</strong> souffrances <strong>des</strong> blesses,<br />

prives de soins, il resolut d'agir aupres <strong>des</strong> nations, pour<br />

leur faire comprendre qu'il leur serait utile de faciliter et<br />

favoriser les secours aux blesses, meine sur le champ de<br />

bataille; et, apres cinq annees d'efforts incessants, il y<br />

parvont


— 425 —<br />

„La Convention de Geneve, adoptee par vingt-deux<br />

Puissances <strong>des</strong> 1864, vient de sauver la vie ä plus de 60000<br />

victimes, dans l'atroce guerre franeo-prussienne!<br />

„L'heureux promoteur de ce grand progres humanitaire,<br />

voyant qu'il existe encore plusieurs lacunes dans le droit <strong>des</strong><br />

gens, fonda le 21 septembre 1870, ä Paris, en plein <strong>des</strong>astre,<br />

une Alliance universelle de prevoyance et de civilisation,<br />

dont la mission eminemment civilisatrice est de mettre.ces<br />

lacunes en lumiere, et de provoquer les ameliorations que<br />

reclame le bien general de l'humanite.<br />

„La plus importante de toutes les ameliorations qu'elle<br />

etudie, serait l'institution d'un grand jury international<br />

auquel pourraient etre deferees toutes contestations assez<br />

graves pour determiner une guerre. L'interet d.e tous les<br />

peuples, grands ou petits, est de prevenir, ä tout prix, ces<br />

affreuses tueries; et c'est en leur puissance: ils n'ont qu'ä<br />

vouloir.<br />

„Un jury dans lequel tous les peuples adherants auraient<br />

leur elu, ou leurs elus, suivant le chiffre de la population,<br />

ne porterait aucune atteinte ä l'independance nationale, et,<br />

au contraire, la garantirait completement. II ne pourrait<br />

avoir d'inconvenients, et il aurait <strong>des</strong> avantages immenses<br />

pour le developpement <strong>des</strong> richesses et <strong>des</strong> forces dans chaque<br />

Etat fe<strong>der</strong>e: ce serait la fraternite <strong>des</strong> peuples en action,<br />

pour le bonheur de tous. Chacun, en travaillant pour luimeme<br />

avec securite, augmenterait le bien general de la grande<br />

famille humaine.<br />

„La Convention de Geneve et ses effets, apprecies ä leur<br />

valeur <strong>des</strong> aujourd'hui, ont rendn possible une entente que<br />

les grands publicistes anciens et mo<strong>der</strong>nes appelaient de tous<br />

leurs voeux, mais qu'ils n'osaient esperer."<br />

(Moniteur Universel dn 16 avril 1871.)


— 426 —<br />

Frieden <strong>und</strong> Internationale Schiedsgerichte,<br />

vorbereitet durch das Humanitätswerk zu Grünsten <strong>der</strong> Verw<strong>und</strong>eten.<br />

„A la suite de diverses reunions ayant pour but l'organisation<br />

de V Alliance Universelle de Civilisation dont M. Henry Dunant<br />

est le fondateur, il a 6te decide, sur son initiative, qu'il<br />

serait fait <strong>des</strong> demarches dans les divers pays de l'Europe,<br />

pour obtenir l'adhesion, en faveur de l'Alliance, <strong>des</strong> differentes<br />

associations de ces pays."<br />

(La- Charite sur les champs de bataille; Moniteur de<br />

l'Oeuvre internationale de secours aux blesses militaires.<br />

Bruxelles, septembre 1871.)<br />

„In Paris a new Association has been also recently<br />

forraed, <strong>und</strong>er the title of The Universal Alliance of Or<strong>der</strong><br />

and Civilisation, numbering many very distinguished names,<br />

political and ecclesiastical. They have issued an invitation<br />

to a congress which they propose to hold in Paris, commencing<br />

on the 3 rd of June. In their Programme the subject<br />

of Inteniational Arbitration occupies a prominent place."<br />

(The Herald of Peace. June l st 1872.) . I<br />

„Another gathering (partly on the subject of International<br />

Arbitration) has just taken place in Paris <strong>und</strong>er the<br />

auspices of the Universal Alliance of Or<strong>der</strong> and Civilisation<br />

(which numbers amongst its chief members the Archbishop of<br />

Paris, Bisliop Dupanloup, M. de Remusat, M. de Lesseps and<br />

M. Henry Dunant). On that occasion, interesting speeclies<br />

were delivered by M. Fre<strong>der</strong>ic Passy, M. Marbeau, and other<br />

well-known friends of Peace."<br />

(The Herald of Peace. September 2 nd 1872.)<br />

„One of the most interesting of the various Associations<br />

formed upon the European continent, (said the special correspondent<br />

of The Times writing from Paris) is called VAlli-


- 427 —<br />

ance Universelle de l'Ordre et de la Civilisation. According<br />

to its Programme its principles are tlie legitimate interest of<br />

the family, of labour and of property, and the regulär progress<br />

of civilisation. Its aim is to prevent all violent social<br />

disturbances by the moral and or<strong>der</strong>ly Solution of social<br />

questions ... The flrst general congress is to meet in Paris<br />

on the 3 rd of Jane 1872. Among the subjets to be discussed<br />

is an historical study of the questions of Arbitration in international<br />

disputes. .<br />

(The Times, April 8*1», 1872.)<br />

Scheine for a Court of International Arbitration.<br />

Social Science Congress at Plymouth:<br />

„One of the most important papers read was by Mr.<br />

Henry Dunant (of Switzerland) fo<strong>und</strong>er of the ,Red Cross'<br />

and of the Convention of Geneva. He made a proposal for<br />

introducing among the civilised Powers a High Court of International<br />

Arbitration with a view to avoid war. Mr. Dunant<br />

said — „A new world has been discovered in our days, and<br />

every day reveals its extent: it is the world of international<br />

ideas . . . ."<br />

(The Globe, September 13 th , 1872.)<br />

Hie Plymouth Social Science Congress.<br />

„We are glad to find that, among the discussions of the<br />

ensuing Social Science Congress, to be held this year at<br />

Plymouth (from September the ll th to the 18 th ), the subject<br />

of International Arbitration will occupy a prominent place.<br />

It will be opened on Thursday, the 12 th of September, by<br />

papers by Professor Leone Levi and Mr. Thomas Beggs, and<br />

an address by Mr. Henry Dunant (Fo<strong>und</strong>er of the work of<br />

the ,Red Cross'). We rely lipon the friends of the Peace<br />

Society (especially in Devon and Cornwall) making every<br />

effort to secure a numerous and influential attendance."<br />

(The Herald of Peace. September 2 ail , 1872.)


— 428 —<br />

Brief von Miss Florence Nightingale<br />

bezüglich eines am 6. August 1872 in London gehaltenen<br />

Vortrags.<br />

„Londres, le 4 septembre 1872.<br />

„Veuillez bien agreer, Monsieur, l'expression de ma tres<br />

sincere reconnaissance pour l'envoi de la Lecture que vous<br />

avez donnee ä Londres sous la presidence de Lord Eleho.<br />

Permettez-moi en meme ^emps de vous feliciter de la reussite<br />

de votre noble.Oeuvre — oeuvre vraiment de Dieu et de la<br />

Civilisation de Dieu.<br />

„Je reconnais avec plaisir votre bonte en rattachant<br />

mon pauvre nom ä la grande Oeuvre, parce qu'il me semble<br />

que c'est reconnaitre la maniere dont toutes les femmes<br />

anglaises, depuis la plus pauvre jusqu'ä la plus riche, ont<br />

travaille lors de la <strong>der</strong>niere guerre sous vos auspices, disonsle<br />

bien, et ceux de la Croix. Elles ont donne non seulement<br />

de leur superflu mais jusqu'ä leur necessaire . . .<br />

.... „Agreez, Monsieur, l'expression de ma profonde<br />

admiration.<br />

Florence Nightingale."<br />

A Monsieur Henry Punant.<br />

„Brighton, le 17 aoüt 1872.<br />

„Monsieur, L'Imperatrice a regu votre lettre ainsi que<br />

la conference que vous lui avez envoyee, et je suis chargee<br />

par Sa Majestö de vous remercier de sa part et de vous<br />

dire encore une fois combien Elle apprecie tont ce que vous<br />

avez fait pour une Oeuvre qui vous doit tiänt et dont la<br />

reussite et les resultats si heureux ont vivement interesse<br />

Sa Majeste ...<br />

Marie de Laminat."<br />

A Monsieur Henry Dunant.<br />

Du Prince Imperial, par le comte Clary; (de Cliislehurst.)<br />

. Son Altesse me Charge de vous dire combien Elle<br />

apprecie cet envoi, venant d'un liomme qui a attache son


— 429 —<br />

liom ä une <strong>des</strong> ceuvres les plus interessantes et les plus<br />

utiles ä l'humanite de ce temps-ci ... Le Prince forme le<br />

souhait que Ja Providence benisse de plus en plus vos nobles<br />

efforts ..."<br />

„Tliere are no people in the world so much interested<br />

in the success of Mr. Dunant's philanthropic projects as soldiers<br />

in every country where war is possible. Already tliat<br />

intrepid warrior' of the Eed Cross has done much to alleviate<br />

the sufferings of the wo<strong>und</strong>ed, and he now proposes to<br />

lighten up the captive's dungeon, and ren<strong>der</strong> tolerable in<br />

some measure, the hard fate of prisoners of war. Let him<br />

go on and prosper."<br />

(The Army and Navy Gazette; August 10 t] >, 1872.)<br />

„Tliere is probably no man Irving who can advance such<br />

Claims to be consi<strong>der</strong>ed a great public benefactor as M. Henry<br />

Dnnant, the originator of the Geneva Convention and the<br />

fo<strong>und</strong>er of the institution of the Eed Cross. To his individual<br />

exertions in the cause of humanity is due the fact that<br />

the greatest war of mo<strong>der</strong>n times was stripped of many of<br />

the horrors which must otherwise have been incidental to it,<br />

and that many thousands of sick and wo<strong>und</strong>ed were enabled<br />

to beneflt by the generous co-operation of both belligerents<br />

and neutrals in providing for their wants ... To M. Dunant<br />

it is due that those ideas of humanity came to be practically<br />

and systematically realised . . . From the year 1859<br />

to 1863 M. Dunant went from Court to Court in Europe<br />

pressing his proposal on the acceptance of the various Powers<br />

.... We sincerely wish M. Dunant God-speed in this his<br />

latest effort in the cause of humanity."<br />

(The Moming Post, September 19t 11 , 1873. — Proposed<br />

Convention for Prisoners of war.)<br />

„The Peter the Hermit of the new Eed Cross, Mr. Henry<br />

Dunant." (The Standard, May 22»«', 1874.)


— 430 —<br />

„Prisoners of war. — In former remarks <strong>und</strong>er this title<br />

we have made onr rea<strong>der</strong>s acquainted with the illustrious<br />

originator of the Geneva Convention, and fo<strong>und</strong>er of the Eed<br />

Cross societies wliich have spread over all Europe. We have<br />

explained that M. Dunant has now taken upon himself tlie<br />

arduous task of persuading all the Governments of the civilised<br />

world to unite in a conference wliich shall have for<br />

its object the addition of another benevolent chapter to tlie<br />

code of international law in favour of all — soldiers, sailors,<br />

or civilians — whose misfortune it may be, at some futnre<br />

time, to become prisoners of war.... It were better that<br />

we endeavour by all possible means to secure some such garantee<br />

for the future as M. Dunant so humanely and so<br />

courageously, after his many years' toil in the cause of humanity<br />

proposes... An offleer of our headquarter staff<br />

(captain Brackenbury, to day general Brackenbury) conclnded<br />

by saying (at Mr. Dunant's lecture): If anything could be<br />

done to promote the scheine of M. Dunant, in God's name let<br />

us try to do it."<br />

(The Broad Arrow: a Paper for the Services; September<br />

18«>, 1873.)<br />

„Prevention of Cruelty to animals. — Yesterday an international<br />

Congress of societies from various parts of the world<br />

similar to our own Society for the Prevention of Cruelty to<br />

Animals opened at the rooms of the Society of Arts, Lord<br />

Harrowby presiding, and there were present Lady Burdett<br />

Coutts and other distinguished persons . . . „while there was<br />

much to deplore (said the Earl of Harrowby) in the devotion<br />

of science to the discovery of the means for the <strong>des</strong>truetion<br />

of human life, at the sanie time they liad the consolation of<br />

seeing how much that same science contributed to mitigate<br />

those evils. A memorable instance of this would shortly<br />

been seen at Brüssels <strong>und</strong>er the patronage of the Emperor<br />

of Eussia, and they also remembered how, <strong>und</strong>er the care


— 431 —<br />

of M. Dunant, means liad been devised to enable the spirit<br />

of benevolence to attend upon the field of battle, and to pour<br />

oil and wine into the wo<strong>und</strong>s which science herseif had been<br />

the means of inflicting."<br />

(The Times, June 18 u ', 1874.)<br />

Projet special de Convention en faveur <strong>des</strong> Prisonniers de guerre.<br />

(Resume propose par H. Dunant comme premiere base de<br />

deliberation.) 1872.<br />

„Un projet de Convention diplomatique, aussi couvt que<br />

possible, sera elabore et se composera d'articles generaux, en<br />

prenant pour base la Convention signee pendant la guerre de<br />

Crimee entre l'Angleterre et la France, relativement aux<br />

prisonniers russes. Ce projet fixerait, autant que faire se<br />

peut, et pour toutes les nations civilisees, l'obligation d'un<br />

traitement uniforme envers les officiers et les soldats prisonniers<br />

de guerre. II les place, dans chacun <strong>des</strong> pays belligerants,<br />

sous la haute protection du corps diplomatique et consulaire."<br />

Bruchstücke aus Briefen <strong>des</strong> Grafen Serurier, Vizepräsidenten<br />

<strong>der</strong> Societe frangaise de Secours aux blesses <strong>des</strong><br />

armees de terre et de mer, Vorsitzenden bei den Internationalen<br />

Konferenzen <strong>der</strong> Hilfsgesellschaften in Paris im Jahre<br />

1867, an Henry Dunant:<br />

„Paris, 17 decembre 1870. Monsieur et eher fondateur,<br />

Je vous felicite du devouement avec lequel vous vous consacrez<br />

entierement ä votre grande Oeuvre d'humanite, <strong>des</strong>tinee<br />

ä soulager tant de maux pendant la guerre. Votre experience<br />

et votre perseverance seront aussi d'un grand prix<br />

apres la guerre . .. Allez-vous pouvoir vous mettre ä ecrire<br />

l'histoire de l'oeuvre depuis le moment oü vous l'avez coiigue<br />

et mise au monde? . . . Votre devoue, comte Serurier."


— 432 —<br />

Im Jahre 1871 schreibt <strong>der</strong> Graf Serurier von London<br />

ans: „Hon eher collegue, Lisez de Times de ce matin; vous<br />

y verrez que le; comte de Flavigny a parle de vous dans son<br />

discours au banquet de Dublin comme je l'avais fait ä Londres<br />

dans mon discours au banquet <strong>des</strong> chirurgiens. Votre devoue,<br />

comte Serurier."<br />

„Paris, 2 aoüt 1873. Mon eher collegue, je suis heureux<br />

de vous voir continuer votre grande mission d'humanite. H<br />

vous appartient plus qu'ä tout autre de retracer les resultats<br />

immenses obtenus depuis 1863 jusqu'ä aujourd'hui par la charite<br />

active unissant tous les peuples .. . Votre bien devoue,<br />

comte Serurier."<br />

„Paris, 7 septembre 1873 ... Je vous remercie de votre<br />

Sympathie si fidele pour la societe franqaise de secours aux<br />

blesses. Comment ne l'aimeriez-vous pas, apres tout ce que<br />

vous avez fait dans notre pays! N'etes-vous pas le fondateur<br />

de la Societe et l'un de ses vice-presidents honoraires?<br />

.'.... J'ajoute que nous avons eu plus de 350 comites<br />

auxiliaires affilies pendant la guerre; que de nombreuses<br />

ambulances volantes se sont formees de tous cötes pendant<br />

que le conseil central etait investi dans Paris; que plus de<br />

200000 blesses et mala<strong>des</strong> (frangais et ennemis) ont ete recueillis<br />

et soignes par nous et que nos ambulances volantes<br />

et sedentaires ont compte plus de deux millions de journees<br />

de mala<strong>des</strong>. . Si nous n'avions pas deploye partout notre<br />

activite, que seraient devenues toutes ces victimes de la<br />

guerre? . . . Votre tout devoue, comte Serurier."<br />

„Paris, 25 janvier 1874. Mon eher Collegue,... comptez<br />

sur moi pour suivre en tout l'exemple du comte de Flavigny,<br />

qui, devant moi, au banquet de Londres, en 1871, a rendu<br />

hommage ä votre devouement et ä vos actes ..."<br />

„Paris, 2 juillet 1874. J'ai suivi avec une vive sollicitude<br />

et une grande joie la marehe heureuse de votre nouvelle<br />

ceuvre. Vos efforts vont etre couronnes de succes comme<br />

pour la Croix Eouge. Personne ne peut vous ravir l'honueur


- 433 —<br />

de la Convention de 1864; il n'est au pouvoir de qui que ce<br />

soit de vous empecher d'etre le promoteur de la Convention<br />

qui ameliore la Situation <strong>des</strong> prisonniers de guerre. Le travail<br />

que vous avez fait ä l'occasion de la Conference de<br />

Paris en 18G7 prouve que vous n'avez jamais neglige une<br />

oceasion importante pour traiter la question <strong>des</strong> prisonniers<br />

. . . Yotre bien devoue, comte Serurier."<br />

„Paris, 7 mars 1875. ... Je vous ai suivi au milieu<br />

de vos travaux de congres . . . Yous avez reussi. . . J'espere<br />

que l'Alliance prendra une grande part au Congres de 1876,<br />

ä Bruxelles."<br />

„Paris, 15 avril 1875. . . . Apres avoir fonde en France<br />

comme ensuite dans les autres pays la Croix-Rouge, vous<br />

creez aujourd'hui une Croix-Rouge pour combattre les fleaux<br />

de la paix comme ceux de la guerre et cette noble et sainte<br />

ligue sera plus feconde et plus forte encore, Dieu le veuille!<br />

que la premiere ..."<br />

„Paris, 3 mai 1877. Mon eher Collegue, Au mome'nt oü<br />

la guerre eclate et oü chaque Croix-Rouge fait appel dans<br />

les divers paj r s en faveur <strong>des</strong> blesses russes et turcs, nous<br />

allons agir avec beaueoup d'elan en France ..."<br />

Presidence de la Bepublique.<br />

Versailles, le 9 mars 1873.<br />

Monsieur, vous ne pouvez douter que Monsieur le President<br />

de la Republique ne porte le plus vif et le plus sincere<br />

interet ä toutes les ceuvres de charite et de civilisation qui<br />

peuvent conjurer ou adoucir les maux de la guerre . . . .<br />

Pour la Convention internationale qui mettrait les prisonniers<br />

de guerre sous la, protection diplomatique, c'est une tres heureuse<br />

idee qui completerait de la maniere la plus utile la<br />

noble Convention de Geneve, qui vous doit tant ....<br />

Bartheiemy Saint-Hilaire.<br />

28


— 434 —<br />

In einer Vorlesung, die <strong>der</strong> berühmte Physiker Tyndall<br />

am 13. Januar 1875 in <strong>der</strong> „British Association" vor einer<br />

auserlesenen <strong>und</strong> zahlreichen Versammlung über die „Wärme"<br />

hielt, fand <strong>der</strong> hervorragende Gelehrte Gelegenheit, den Namen<br />

Henry Dunants zu erwähnen, „einen Namen, <strong>der</strong> allen<br />

Fre<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Menschheit teuer sei" (a name dear to all the<br />

friends of humanity).<br />

„So sind es Dunant <strong>und</strong> die seiner Idee sich Anschliessenden<br />

gewesen, welche die <strong>Genfer</strong> Konvention mittelbar<br />

veranlasst, welche den Anstoss zu ihr gegeben haben.<br />

Dieser Eulim lässt sich zunächst Dunant, sodann den Männern<br />

<strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Gemeinnützigen Gesellschaft nicht, nehmen,<br />

<strong>und</strong> Dunant ist in diesem Sinne berechtigt, sich „Promoteur<br />

de la Convention de Geneve" <strong>und</strong> ähnlich zu nennen.<br />

Lue <strong>der</strong>, Die <strong>Genfer</strong> Konvention. S. 48.<br />

„Dunant — un nom qui merite d'appartenir ä l'histoire."<br />

(Discours prononce par S. G. Monseigneur Freppel, Eveque<br />

d'Angers, ä, la messe annuelle de requiem celebree en l'eglise<br />

Sainte-Madeleine le 13 fem er 1889.)<br />

„Pourquoi donc tout le monde ne vient-il pas ä nous<br />

(les Societes de la Croix Eouge, en tous pays,) quand, ainsi<br />

que le dit si bien M. Dunant dans une de ses <strong>der</strong>nieres<br />

lettres: Dans l'oeuvre de la Societe de secours, dont le Symbole<br />

est l'etendard blanc ä croix rouge, il n'y a plus ni castes,<br />

ni sectes, ni riches, ni pauvres, ni Orientaux, ni Occidentaux;<br />

tous ont le meine cceur et le meme sentiment cliaritable."<br />

(Discours de M. le Dr. A. Deces, President du Comite de<br />

Reims, ä l'assemblee generale de la Croix Eouge, ä Keims,<br />

le 26 octobre 1890.) ,<br />

„Je ne craindrai pas, Messieurs, de nommer ici l'auteur<br />

de ce progres dans la pitie humaine. C'est un citoyen suisse.<br />

Tous les membres de la Croix-Rouge le connaissent et le


— 435 —<br />

venerent; il faut que son nom arrive jusqu'ä la foule: il<br />

s'appelle Henry Dunant. II avait assiste en curieux ä la bataille<br />

de Solferino II commenga" une veritable~campagne<br />

d'humanite; il y depensa son temps, son talent, ses<br />

ressources; il fit appel ä l'opinion publique de toute l'Europe;<br />

il provoqua une conference internationale et il eut le bonheur<br />

de faire signer cette Convention de Geneve que vous connaissez,<br />

ä laquelle adhererent tous les Etats de l'Europe et<br />

qui restera devant l'histoire une <strong>des</strong> plus gran<strong>des</strong> conquetes<br />

de la raison sur la force brutale. Quand un liomme a<br />

accompli une teile ceuvre, Messieurs, il appartient moins ä<br />

une nation qu'ä l'humanite tout entiere."<br />

(I)iscours prononce par 31. l'abbe Broye dans la cathedrale<br />

de Keims, le 20 mars 1892, en presence de son Eininence<br />

le cardinal Langenieux, archeveqne de Reims etc.)<br />

„Quand on vint offrir la presidence de la Societe de secours<br />

aux blesses au marechal de Mac-Mahon, il n'hesita pas:<br />

„Me yoici, dit-il, car cela est encore le devoir." II accepta<br />

de porter le drapeau de la Croix-liouge, apres avoir porte le<br />

drapeau national, afln d'achever l'ceuvre de ce gi-and homme<br />

mo<strong>des</strong>te qui s'appelle H. Dunant, afln de ne pas laisser inutiles<br />

les resolutions de la Convention de Geneve, et afln<br />

d'epargner <strong>des</strong> flots de sang frangais."<br />

(Service ä la memoire du marechal de Mac-Mahon, President<br />

de la Croix Rouge, le 17 decembre 1893, 4 Rethel.)<br />

„Mais, Messieurs, pouvons-nous terminer une assemblee<br />

de la Croix-liouge sans rappeler le souvenir de celui qui l'a<br />

creee? Yous me le reprocheriez justement, si je n'invoquais<br />

le souvenir de M. Henry Dunant, l'apotre de notre ceuvre,<br />

de cet houime


— 436 —<br />

sauve <strong>des</strong> milliers de precieuses existences! Aujourd'hui,<br />

retire dans un canton de montagnes en Suisse, pauvre, souvent<br />

triste, car il connait l'ingratitude, il pense encore aux<br />

vietimes de la guerre et se preoccupe toujours de leur sort.<br />

Envoyons lui de loin un souvenir emu, une Adele et respectueuse<br />

Sympathie. II y a quelques mois, notre zele secretaire,<br />

M. F. Lambert, est alle le yoir, causer avec lui et s'inspirer<br />

de son chaud et vaillant apostolat. M. Dunant l'a assure<br />

qu'il suivait nos travaux avec interet et nous avait cites<br />

sonvent comme Organisation. Pourquoi ne profiterions-nous<br />

pas de cette assemblee pour le nommer par acclamation President<br />

honoraire du Comite Remois? Je ne sais, mais il me<br />

semble qu'en le priant d'accepter ce titre, nous lui ferions<br />

plaisir, et que ce souvenir d'une petite branche du grand<br />

arbre qu'il a plante lui serait agreable. En tous cas, ce<br />

temoignage de sincere estime ne pourrait que nous honorer<br />

et ne serait qu'un juste tribut merite ä tous egards par le<br />

createur de la Croix-Rouge. (Applaudissements prolongis.)"<br />

(Assemblöe generale <strong>des</strong> membres fondateurs et souscripteurs<br />

du Comite de l'Arrondissement de Keims de la Croix<br />

Eonge frangaise, sous la presidence de M. le general marquis<br />

de Colbert; discours de 31. le doctenr Decfes, president,<br />

11 mars 1894.)<br />

Die „brancardiers" (Samariter) <strong>des</strong> Arrondissements von<br />

Reims schickten Henry Dunant nach ihrer Jahresversammlung<br />

vom 3. März 1895 eine Medaille aus vergoldetem Silber<br />

„comme souvenir" (wie es-in dem vom Vizepräsidenten Huet<br />

unterzeichneten Begleitschreiben heisst) „de notre admiration<br />

pour votre belle oeuvre de la Croix Rouge et de notre veneration<br />

pour votre personne."<br />

„Combien nous aurions ete heureux d'entendre la voix<br />

de l'apötre qui a fonde l'Oeuvre de secours aux blesses en<br />

Europe, du promoteur de la Convention de Geneve! Que du<br />

moins il sache combien nous pensons ä lui, combien nous<br />

l'aimons et combien nous tenons ä meriter son affection. Bien


— 437 —<br />

reconfortante doit etre pour lui la pensee du bien qu'il a fait.<br />

Les bienfaits de son neuvre semblent meine ä cette henre<br />

rendus plus manifestes encore par la guerre Sino-Japonaise."<br />

(Discoiirs du president du Comite de Keims, 3 mars 1895.)<br />

( SociäS bernoise de la Croix Rouge.<br />

Appel au peuple bernois!<br />

„ C'est un Suisse, le citoyen genevois J. Henry<br />

Dunant, qui a ete le promoteur de la Convention de Geneve;<br />

c'est de lui que nous est venu l'idee de fon<strong>der</strong> la Societe de<br />

la Croix-Rouge .... C'est une Oeuvre populaire dans tonte<br />

l'acception du terme .... Nous, Bernois, nous ne resterons<br />

pas en arriere, le jour oü il s'agira de panser les plaies ouvertes<br />

par la main brutale de la guerre, le jour oü il s'agira<br />

de calmer les douleurs <strong>des</strong> blesses et <strong>des</strong> mala<strong>des</strong> et de porter<br />

la consolation au chevet <strong>des</strong> agonisants; nous ne laisserons<br />

pas partir nos peres, nos Als et nos freres, que la patrie<br />

appelle ä son secours, sans leur donner la conviction rassurante<br />

qu'ils ne seront pas abandonnes si le sort leur reserve<br />

<strong>des</strong> blessures ou <strong>des</strong> maladies ....<br />

„Le comite du Bazar en faveur de la Croix-Rouge.<br />

Berne, le 25 juin 1895."<br />

Das Rote Kreuz, Offizielles Organ <strong>des</strong> Schweiz.<br />

Centraivereins vom <strong>Roten</strong> Kreuz, <strong>des</strong> sclnveiz.<br />

Militärsanitätsvereins <strong>und</strong> <strong>des</strong> Samariterbun<strong>des</strong>,<br />

Bern, schreibt am 1. Juni 1896:<br />

„Unser Herr Henry Dunant feierte am 8. Mai abhin<br />

seinen 68. Geburtstag, wozu ihm von allen Seiten Gratulationen<br />

entgegengebracht wurden. Von einer Menge Beglückwünschungsschreiben<br />

<strong>und</strong> Telegrammen erwähnen wir dasjenige<br />

vom <strong>Roten</strong> Kreuz Russlands; ferner diejenigen vom<br />

nissischen Verein für öffentliche Ges<strong>und</strong>heitspflege <strong>und</strong> vom<br />

Verein litterarischer Institutionen, beide in Petersburg, sowie<br />

das Begliickwünschungstelegramm <strong>des</strong> in Kiew versammelten


VI. russischen Aerztekongresses. Der Tagespresse ist ferner<br />

zu entnehmen, dass Bischof Egger in St. Gallen dem Herrn<br />

Dunant im Auftrage <strong>des</strong> Papstes Leo XIII. <strong>des</strong>sen Porträt<br />

mit eigenhändiger Widmung nebst einem ehrenden Schreiben<br />

Übermacht hat."<br />

„Anschliessend an obigen kurzen Bericht über die wohlverdienten<br />

Ehrungen, welche Herrn Henry Dunant anlässlich<br />

seines GS. Geburtstages entgegengebracht worden sind, sind<br />

wir im Falle, unsern Lesern den Wortlaut einiger an denselben<br />

gerichteter Glückwunschtelegramme mitzuteilen, welche<br />

beweisen, wie sehr man im Auslande die Verdienste <strong>des</strong> Herrn<br />

Dunant zu schätzen weiss:<br />

„Kiew, 6 mai 1896. Le sixieme congres de la societe<br />

<strong>des</strong> medecins russes, en memoire du celebre Pirogoff, envoie<br />

ses gratulations les plus sinceres ä Henry Dunant, le grand<br />

bienfaiteur de l'liumanite, le fondateur de la Convention internationale<br />

de Geneve, en lui exprimant la gratitude de tous<br />

les medecins russes pour son grand ceuvre de bienfaisance.<br />

„President lionoraire du congres: Prof. Sklifosowsky.<br />

„President du comite organisateur du congres: Prof. Marosoff.<br />

„President du comite permanent de la societe: Prof. Erismann."<br />

„Petersbourg, 8 mai 1896. Henry Dunant, Heiden,<br />

Suisse. La societe russe pour la protection de la sante<br />

publique vous prie d'agreer, le jour de votre naissance, ses<br />

plus respectueuses felicitations, comme un faible temoignage<br />

de sa profonde admiration pour le rare devouement et le<br />

zele infatigable que vous avez mis pendant de longues annees,<br />

comme fondateur de la societe de la Croix-Rouge, au service<br />

de l'oeuvre sublime du soulagement <strong>des</strong> souffrances humaines.<br />

„President: Koudrine. Secretaire: Hubert."<br />

„Petersbourg, 8 mai 1896.<br />

„Monsieur Dunant, Heiden, canton d'Appenzell.<br />

„Le comite central de la Croix-Rouge russe se fait un


— 439 —<br />

devoir de celebrer la fete de celui qui seul a droit au titre<br />

honorifique de promoteur et de fondateur de la Croix-Eouge,<br />

de cette grande oeuvre philanthropique qui fait l'honneur de<br />

notre siecle et constitue im bienfait, pour l'humanite. La<br />

Croix-Eouge rnsse, nne <strong>des</strong> branches de la grande Croix-Rouge<br />

du monde civilise, profite de cette occasion pour vous exprimer<br />

ses sentiments les plus sinceres de sa haute estime et<br />

de sa profonde reconnaissance.<br />

„Pour le Comite Central,<br />

President: General de Kaufmann."<br />

„Schweizerischer Samariterb<strong>und</strong>. Samaritersektion<br />

<strong>des</strong> Militärsanitätsvereins Zürich. — Sektion Zürich I.<br />

— An den Gratulationen anlässlicli <strong>des</strong> G8. Geburtstages <strong>des</strong><br />

Herrn Henry Dunant beteiligte sich <strong>der</strong> Verein durch Absendung<br />

eines prä clitig garnierten Korbes mit herrlichen<br />

weissen Blumen, aus dem ein rotes Ivretiz von roten Blumen<br />

hervorleuchtete."<br />

(„Das Eote Kreuz". Bern, 1. Juni 1896.)<br />

„Das Rote Kreuz", offizielles Organ <strong>des</strong> Schweiz.<br />

Centraivereins vom <strong>Roten</strong> Kreuz etc. 1. August 1896.<br />

. „Ehrung Dunant. — Anschliessend an unseren letzthin<br />

gebrachten Bericht über die Ehrungen, welche Herrn<br />

J. H. Dunant aulässlich seines (38. Geburtstages entgegengebracht<br />

worden sind, haben wir das Vergnügen, auch das<br />

Glückwunschschreiben, welches <strong>der</strong> Bischof von St. Gallen<br />

namens <strong>des</strong> heiligen Vaters an Herrn Dunant gerichtet hat,<br />

im Wortlaute wie<strong>der</strong>zugeben. Das Handschreiben lautet:<br />

„St. Gall, le 24 mai 1S96.<br />

„Monsieur, II m'est tres agreable de pouvoir<br />

vous presenter le portrait de Sa Saintete Leon XIII.,<br />

avec lequel il veut vous rendre honneur. Le dictum<br />

Fiat pax in vir Inte tua Dens et la signature de sa


— 440 —<br />

propre main vous prouveront combien il apprecie la<br />

Convention de Geneve et les merites de son auteur.<br />

Par un billet de son Eminence le Cardinal Rampolla,<br />

secretaire d'Etat, il m'a Charge de vous exprimer son<br />

interet bienveillant pour le grand oeuvre auquel vous<br />

avez voue, avec si grand zele, vos forces et vos annees.<br />

En m'acquittant de cette charge j'y unis mes sentiments<br />

personnels: Qu'il vous soit donne de voir dans<br />

une longue serie d'annees le developpement de 1'oeuvre<br />

de la Croix-Rouge, mais sans que notre patrie soit<br />

contrainte ä profiter de ses bienfaits! Agreez, Monsieur,<br />

les sentiments d'estime, avec lesquels je suis<br />

votre devoue.<br />

Augustin Egger, eveque de St. Gall."<br />

A Monsieur J. H. Dunant.<br />

Dieses Glückwunschschreiben lautet im deutschen Texte<br />

wie folgt:<br />

„St. Gallen, 24. Mai 1896.<br />

„Geehrter Herr! Es freut mich, Ihnen anbei das Bild<br />

Seiner Heiligkeit <strong>des</strong> Papstes übergeben zu können, mit<br />

welchem er Ihnen Ehre zu erweisen wünscht. Das Dictum<br />

„Fiat pax in virtute tua I)eus" <strong>und</strong> die Namensunterzeichnung<br />

von eigener Hand wird Ihnen beweisen, wie sehr er<br />

die <strong>Genfer</strong> Konvention <strong>und</strong> die Verdienste ihres Grün<strong>der</strong>s<br />

schätzt. In einem Billet <strong>des</strong> Kardinals Kampolla beauftragt<br />

mich <strong>der</strong>selbe, Ihnen die Versicherung <strong>des</strong> wohlwollenden<br />

Interesses Seiner Heiligkeit für das grosse Werk zu geben,<br />

dem Sie mit so viel Eifer Ihre Kräfte <strong>und</strong> Ihre Jahre gewidmet<br />

haben. Indem ich mich dieses Auftrages entledige,<br />

füge ich den Ausdruck meiner eigenen Gefühle hinzu: Möge<br />

es Ihnen vergönnt sein, in einer langen Reihe von Jahren


— 441 —<br />

die Entwicklung <strong>des</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Kreuzes</strong> zu sehen, aber ohne dass<br />

unser Vaterland gezwungen wäre, <strong>des</strong>sen Wohlthaten an sieh<br />

zu erfahren. Empfangen Sie etc.<br />

August Egger, Bischof von St. Gallen."<br />

„Le Cardinal LantjSnieux,<br />

Archeveque de Reims, profondement touche du souvenir que<br />

lui garde l'homme de bien, grand bienfaiteur de l'humanite<br />

qni a laisse dans une oeuvre admirable un nom que Dieu<br />

voudra glorifier, meme ici-bas. II m'est doux de le louer, ce<br />

nom qui se cache et que benissent tous les jours et dans<br />

l'univers entier les victimes de la guerre. Agreez donc, eher<br />

Monsieur, avec mes felicitations l'hommage de mon bien affectueux<br />

devouement<br />

Prieure du B. Urbain II (pres Reims); le 28 mai 189ß."<br />

A Monsieur J. H. Dunant<br />

Promoteur de la Convention de Geneve,<br />

Fondateur de l'oeuvre de la Croix-Rouge,<br />

ä Heiden.<br />

Deutscher Samariterverein.<br />

(Unter dem Allerhöchsten Protektorate Ihrer Majestät <strong>der</strong><br />

Kaiserin-Königin Friedrich.)<br />

„Kiel, den 8. Juli 1896. Hochverehrter Herr! Es gereicht<br />

mir zur ganz beson<strong>der</strong>en Freude, Ihnen heute endlich<br />

die Anzeige machen zu können, dass <strong>der</strong> Deutsche Samariterverein<br />

Sie zu seinem Ehrenmitgliede ernannt hat.<br />

„Mit dem herzlichen Wunsche, dass es Ihnen vergönnt<br />

sein möge, sich noch viele Jahre <strong>der</strong> Anerkennung zu erfreuen,<br />

welche Ihren unsterblichen Verdiensten um die Menschheit<br />

jetzt von allen Seiten gezollt wird, verbleibe ich in bekannter<br />

hoher Verehrung<br />

Ihr ergebener<br />

Friedlich von Esmarch."<br />

Herrn J. Hemy Dunant, Heiden.


— 442 -<br />

Eine prächtige, gedruckte Adresse in grossem Format<br />

wurde Dunant am 22. August 1896 zur Erinnerung an den<br />

22. August 1864 von Italien aus zugesandt. Sie lautet:<br />

Sotto-Comitato Locale della Croce Rossa Italiana Seravezza.<br />

XXII Agösto.<br />

„In questo giorno memorabile, trentadue anni or sono,<br />

fu instituita la Croce Eossa, secondo la Convenzione di Ginevra.<br />

L' utilitä pratica di questa istituzione, affermata sui<br />

campi di battaglia, e gloriosamente confermata nella infausta<br />

e dolorosa guerra Africana, ci da 1' obbligo di ricordarne<br />

1' anniversario di fondazione.<br />

„AI primo e fecondo ispiratore, Enrico Dunant, che nella<br />

mo<strong>des</strong>tia della vita, raccoglie oggi gli allori dei quali tutto<br />

il mondo civile lo onora, mandiamo un saluto affettuoso, riconoscente.<br />

„Seravezza, 22 Agösto 189G.<br />

II Presidente: Cav. Dott. Dario Cal<strong>der</strong>ai.<br />

H Segretario: 6, Delmotti."<br />

. La Tribüne Mklicale. Revue frangaise de medecine.<br />

„A 1'hGpital communal d'une petite localite de Suisse, 1 )<br />

dans une chambre proprette, mais dennee comme nne cellnle,<br />

vit et travaille un homme dont voici le Signalement: G8 ans,<br />

longue barbe blanche, doux regard, fagon d'un parfait homme<br />

du monde, finesse d'esprit, parole eloquente et chaude . . .<br />

„Peut-etre vraiment, oui peut-etre, maintenant que 1'ceuvre<br />

grandiose qui a jete la clarte d'une aurore dans les heures<br />

entenebrees que l'homme verra encore s'etendre par delä<br />

l'Europe jusqu'aux terres africaines, — peut-etre serait-il<br />

J J Herr Dunant, welcher bis vor kurzem nur 3 Frcs. täglich aus<br />

einer Familienpension zu verzehren hatte, hatte sich im Krankenhans in<br />

Heiden (bei Eorschach) nie<strong>der</strong>gelassen, wo er um diesen bescheidenen Preis<br />

eine Unterkunft fand.


— 443 —<br />

temps d'adresser ii celui qui la crea, avant que la mort<br />

n'arrive, un solennel salut de reconnaissance et de respect!<br />

Paris, 7 octobre 1896."<br />

' Schweiz. Porträt-Galerie. „Das neueste Heft <strong>der</strong><br />

Schweiz. Porträt-Galerie, das 60 te (1895), mit welchem die<br />

Zahl <strong>der</strong> Porträts dieser Sammlung auf 480 angewachsen ist,<br />

beginnt mit dem Bild <strong>des</strong> <strong>Genfer</strong>s Jean Henry Dunant, <strong>des</strong>sen<br />

grossartiges "Werk, die <strong>Genfer</strong> Konvention <strong>und</strong> das ,Rote<br />

Kreuz', seinen Namen unsterblich macht."<br />

(National-Zeitung, 10. November 1895.)<br />

Die St. Galler Sektion <strong>des</strong> Schweizer Vereins vom <strong>Roten</strong><br />

Kreuz lässt in <strong>der</strong> Münzanstalt von L. Chr. Lauer in Nürnberg<br />

eine Medaille mit dem Bilde Dunants <strong>und</strong> <strong>der</strong> lateinischen<br />

Umschrift: „Joannes Henricus Dunant, Promotor<br />

Conventionis Genevensis, F<strong>und</strong>ator Operis Crucis Rubrae.<br />

Natus 1828" prägen. Auf <strong>der</strong> Reversseite ist in ergreifen<strong>der</strong><br />

Weise <strong>der</strong> Moment dargestellt, wo ein schwerverw<strong>und</strong>eter<br />

Krieger mitten im Schlachtgewühl von einem Träger <strong>der</strong><br />

internationalen Armbinde gestützt <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en wird; über<br />

dieser Gruppe schwebt <strong>der</strong> Genius <strong>der</strong> Humanität, auf das<br />

im Strahlenglanze sich präsentierende rote Kreuz zeigend.<br />

(Das Rote Kreutz; Bern, 1. Dezember 1896.)<br />

„Le Souvenir de Solßrino exerqa dans un autre domaine<br />

une infhience comparable ä celle de la publication de la Case<br />

de Voncle Tom. -C'est en effet ce livre dans lequel H. Dunant<br />

exposait toutes les horreurs d'un champ de bataille et<br />

reclamait une meilleure Organisation <strong>des</strong> secours, qui fut le<br />

point de depart <strong>des</strong> negociations qui aboutirent ä.la fondation<br />

<strong>des</strong> societes de la Croix-Rouge et en 1864 ä la Convention<br />

internationale, de Geneve, en vertu de laquelle les ambulances,<br />

leur materiel et leur personnel sont declares neutres<br />

et doivent etre respectes par tous les belligerants. C'est lä


— 444 —<br />

un immense progres et le genereux citoyen (le Geneve, qui<br />

en a en la premiere idee et qui a lie le nom de'sa ville natale<br />

ä la proclamation <strong>des</strong> grands principes de l'humanite et<br />

de la charite s'est acquis ainsi la gloire hl plus pure qui<br />

puisse etre ambitionnee et les droits les plus legitimes ä la<br />

reconnaissance de tous. Nous ne voulons pas terminer ces<br />

lignes sans rendre hommage ä la mo<strong>des</strong>tie, disons ä l'humilite<br />

non moins qu'au complet <strong>des</strong>interessement de M. Henry<br />

Dunant. II a sacrifie ses forces, son activite, beaueoup<br />

d'argent ä la grande pensee de sa vie, s'effagant lä oü il<br />

aurait pu briller, gardant pour lui les travaux, les soucis,<br />

les peines et laissant ä d'autres les reeompenses et la gloire.<br />

Les caracteres de ce genre sont trop rares pour qu'il ne<br />

vaille pas la peine de les donner en exemple ä nos compatriotes."<br />

(La Veillee, 19 decerabre 1896; joiirnal genevois redige<br />

par M. le Pasteur Second, pasteur ä Celigny, pres Geneve.)<br />

„L'fOstschiveiz' publie dans un de ses <strong>der</strong>niers numeros,<br />

un chaleureux appel en faveur du fondateur, aujourd'hui<br />

oublie de la Societe internationale de la Croix-Kouge. Cet<br />

liomme de bien est un Genevois, Henry Dunant, qui le Premier,<br />

dans une brocliure celebre ä son heure ,Un Souvenir<br />

de Solferino' denonga la* barbarie avec laquelle la guerre<br />

etait conduite alors, l'abandon <strong>des</strong> blesses, les malheurs incalculables<br />

qui en resultaient. Cette brocliure agita les consciences.<br />

Mais Henry Dunant fit plus: il parcourut l'Europe,<br />

sollicitant <strong>des</strong> audiences, visitant rois, empereurs, chefs de<br />

gouvernements, gagnant ä sa cause les hommes de science,<br />

et reunissant enfin, apres cinq annees d'efforts et de lüttes,<br />

ä faire conclure, le 22 aout 1864, cette memorable entente<br />

internationale connue sous le nom de Convention de Geneve.<br />

H est inutile d'insister sur 1'mcalcnlable portee de cette<br />

ceuvre, une <strong>des</strong> plus glorieuses et <strong>des</strong> plus fecon<strong>des</strong> de notre<br />

sieele. Mais comme cela arrive souvent aux bienfaiteurs,


— 445 —<br />

Henry Dunant a ete oublie ... Un jour peut-etre elevera-ton<br />

une statue ä celui qui, le premier, a fait entendre <strong>des</strong><br />

paroles de charite, d'amour, de devouement sur les champs<br />

de bataille; n'est-ce pas un devoir plus pressant que d'assurer<br />

ä ses <strong>der</strong>nieres annees un peu de securite, de bien-etre et si<br />

possible de joie?"<br />

(La Semaine litteraire, de Genfeve.)<br />

Von den zahlreichen Beglückwünschungstelegrammen,<br />

die H. Dunant zum Neujahr 1897 erhielt, erwähnen wir<br />

folgende:<br />

Stuttgart, 31. Dez. 1896.<br />

Herrn Henry Dunant, Heiden.<br />

„Le comite pour la .Fondation H. Dunant' vous prie<br />

d'agreer comme un faible temoignage de sa reconnaissance et<br />

de sa profonde admiration pour le grand bienfaiteur de l'humanite<br />

ses plus respectueux compliments de bonne annee.<br />

Le President, Rümelin, maire<br />

de la ville de Stuttgart."<br />

Jalt/i, Criuiee; le 30 decembre 1896.<br />

„Les medecins de Jalta envoient souliaits et vceux clialeureux<br />

ä Henry Dunant, dont la grande idee chretienne, les<br />

labeurs et l'energie ont sauve <strong>des</strong> milliers et soulage bien<br />

<strong>des</strong> souiFrances."<br />

„Tiflis; le 5 janvier 1897. — La Societe imperiale midicale<br />

du Caucase felicite sincerement Monsieur Dunant. Elle vient<br />

d'avoir l'honneur de le choisir comme son membre lionoraire.<br />

Le President: Sakharoff.<br />

Ekaterinburg, Eussie; le 6 janvier 1897.<br />

„La SocietS ouralienne de medecine d'Ekaterinburg, <strong>des</strong>irant<br />

vous exprimer son respect et sa reconnaissance pour


— 44Ci —<br />

les immenses services rendus ä l'liumanite, vous a elu membre<br />

honoraire.<br />

President: Rousskikh.<br />

Secre taire: Dewenson."<br />

Briansk, Eussie; le 31 decembre 189G.<br />

„Monsieur Dunant. La Societi mddicale de Briansk, en<br />

vous presentant ses respectueux hommages et felicitations ä<br />

cause du nouvel an, fait <strong>des</strong> voeux pour que votre vie dure<br />

de longues annees pour le bien de l'liumanite.<br />

Pour le President, Povarnin."<br />

Petersbourg, 31 decembre 1896.<br />

„Henry Dimant. — SociM russe de la Croix-Rouge felicite<br />

le promoteur de la grande ceuvre et lui souhaite le<br />

jour du nouvel an longue vie et tous les biens si merites par<br />

celui qui a toujours travaille pour le bien de l'humanite.<br />

Vice-president du ComiU Central: Röhrberg."<br />

Ekaterinbui'g, 31 decembre 189G.<br />

„Le comite de la Societt russe de la Croix-Rouge d'Ekaterinburg<br />

m'a Charge de l'honneur de vous feliciter comme<br />

initiateur de la fondation vraiment philanthropique et chretienne<br />

de la Croix-Rouge. La bonne ceuvre que vous avez<br />

commencee a lance ses graines parmi tous les peuples civilises.<br />

Chez nous aussi, au-delä de l'Oural, <strong>des</strong> humbles ämes<br />

y travaillant avec devouement, — les soeurs de charite<br />

d'Ekaterinburg, — vous prient de vouloir bien les benir dans<br />

leur penible täche de charite chretienne pour l'liumanite<br />

souffrante et supplient le Tout-Puissant de vous accor<strong>der</strong><br />

encore de longues annees de bonheur et de sante. Je joins<br />

nies v«ux aux leurs et vous prie d'agi - eer, Monsieur, l'assurance<br />

du plus profond respect que votre nom m'inspire.<br />

La Presidente: Lidie Otenfeld."


— 447 —<br />

Jalta, 30 decembre 1896.<br />

„Henry Dunant, Heiden. — Entrainee par elan general<br />

de veneration respectueuse pour l'auteur de l'ceuvre de la<br />

Croix-Rouge, je viens repeter avec les malheureux que j'ai<br />

soignes en 1870, 1876, 1877, sous le drapeau de la Croix-<br />

Rouge: Beni soit celui qui a trouve moyen de pallier, d'adoucir<br />

les horreurs de la guerre et d'en diminuer les souffrances<br />

par la plus belle et chretienne ceuvre sur la terre.<br />

Baronne Marie de Fre<strong>der</strong>iksz,"<br />

The Fo<strong>und</strong>er of the Bed Cross.<br />

The British Medical Journal. March 6^, 1897.<br />

„The Yery name of the fo<strong>und</strong>er of the Red Cross has<br />

been forgotten in Iiis lifetime . . . That is the way of the<br />

World ... (es folgt eine kurze <strong>Entstehungsgeschichte</strong> <strong>des</strong> Werks).<br />

„Berlin, le 7 avril 1896. Tres honore Monsieur, J'ai<br />

häte de vous transmettre, sous ce pli, un exemplaire d'un<br />

ouvrage que j'ai compose ä l'occasion de la fete commemorative<br />

de la Croix-Rouge, ordonnee par Sa Majeste l'Imperatrice<br />

d'Allemagne. C'est votre portrait, comme vous voyez,<br />

qui se trouve ä la tete de mon livre et qui lui sert de drapeau.<br />

Cela veut dire, que j'ai voulu honorer ä cette occasion<br />

solennelle, les services eminents que vous avez rendus ä cette<br />

ceuvre d'humanite et de charite. Cela veut dire egalement<br />

que j'ai tenu ä rappeler votre nom ä la generation presente<br />

comme un nom qui appartient ä l'histoire et qui est grave<br />

sur les tables de l'Histoire contemporaine.<br />

„L'arbre que vous avez plante, il y a trente trois ans,<br />

a etendu ses branches sur toute la surface du globe, et c'est<br />

avec orgueil que vous pouvez recolter les fruits que cet arbre<br />

a produit dans le cours du temps.<br />

„En attendant, le bätiment auquel vous avez donne la<br />

base, a pris un developpement ulterieur. A cöte de l'ceuvre<br />

que vous avez creee dans le but de combattre le fleau de la


— 448 —<br />

guerre, se place une nouvelle Organisation que l'on peut<br />

nommer la croix-rouge de la paix. C'est le complement de<br />

l'organisme auquel vous avez donne la vie par la Convention<br />

de Geneve, et <strong>des</strong>tine ä soutenir, ä ai<strong>der</strong> les invali<strong>des</strong> du<br />

travail. Sorti de la meine pensee genereuse qui vous a inspire<br />

dans le temps, cette croix sera encore un titre de gloire<br />

pour le fondateur de la Convention de 18G4 et ajoutera ä<br />

ses merites .... V. von Strantz,<br />

. (Sekretär <strong>des</strong> Central-Komites <strong>der</strong>Deutschen<br />

Vereine vom Koten Kreuz. — Berlin.)"<br />

A Monsieur H. Punant ä Heiden.<br />

Aus einem Briefe J. H. Dunants an Herrn Major V. von<br />

Strantz in Berlin:<br />

... „Je n'ai pu vous envoyer que peu de lignes ayant<br />

ete fort souffrant de la gorge et de rhumatisme. — Je saisis<br />

avec empressement cette occasion ponr vous reiterer l'expression<br />

de mes sentiments de gratitude pour toute votre bienveillante<br />

correspondance, ainsi que pour les pages obligeantes<br />

mises ä mon sujet dans votre interessant livre ,Das internationale<br />

Kote Kreuz'. J'y ai trouve mon portrait, et j'ai<br />

ete heureux de le voir place ä cöte de celui d'un ancien<br />

collegue, 1'eminent Monsieur Gustave Moynier, ancien President<br />

de la Societe genevoise d'ntilite publique, qui, avec une<br />

perseverance admirable a su rendre tant de services ä l'oeuvre,<br />

comme President du comite international apres la demission<br />

du bon et venerable general Dufour, — duquel j'ai re


— 449 —<br />

„J'ai eu l'inestimable avantage de trouver, ä Geneve,<br />

<strong>des</strong> collaborateurs devoues, avec lesquels j'ai toujours ete<br />

d'accord. Je ine plais ä leur rendre hommage, sans oublier<br />

feu Monsieur le Docteur Theodore Maiinoir et Monsieur le<br />

Doctenr Appia, qui a paye de sa personne en diverses occasions<br />

et dans plusieurs guerres. Oes deux medecins, avec le<br />

general Dufour, ainsi qne l'lionorable Monsieur Moynier et<br />

moi-meme, formions la commission primitive, nommee le 9<br />

fevrier 18C>o par la Societe geuevoise d'utilite publique sur<br />

la propositiou de son president. II s'agissait d'examiner<br />

attentivement une <strong>des</strong> pensees du Souvenir de Solfirino, pour<br />

savoir dans quelle mesure eile serait applicable: „utiliser au<br />

moment <strong>des</strong> gran<strong>des</strong> batailles les liommes de bonne volonte<br />

disposes ä s'employer au soulagement <strong>des</strong> blesses et mettre<br />

ä profit les temps de paix pour organiser <strong>des</strong> secours eventuels<br />

en temps de guerre." Quoique un premier tour de<br />

preconsultation ne perait pas de concevoir de gran<strong>des</strong> esperances<br />

sur la suite ä donner ä l'objet en question, il fut<br />

decide toutefois qu'on le soumettrait ä une epreuve decisive.<br />

La perseverance de mes quatre collaborateurs du comite me<br />

fut bien precieuse: ils ont tous, ainsi que la Societe genevoise<br />

d'utilite publique, bien merite la reconnaissance universelle<br />

. .<br />

(A Monsieur le Major de Strantz, Secretaire du Comite<br />

Central <strong>des</strong> societes alleman<strong>des</strong> de la Croix-Eonge.)<br />

Eine prächtige Adresse erhielt Dunant im April 1897<br />

von <strong>der</strong> Medizinischen Gesellschaft in O<strong>des</strong>sa, zusammen<br />

mit einem Diplom <strong>der</strong> genannten Gesellschaft. In<br />

einem grossen, von dem Wappen <strong>der</strong> Stadt O<strong>des</strong>sa gekrönten<br />

roten Kreuz befindet sich folgende Inschrift:<br />

„Au bienfaiteur de l'humanite Jean Henry Dunant. En<br />

epargnant les souffrances ä un grand nombre d'individus et en<br />

en sauvant un non moins grand nombre d'une mort prematuree,<br />

vous avez rendu ä l'humanite d'inappreciables et d'im-<br />

29


— 450 —<br />

mortels services. Votre ceuvre philanthropique occupe une<br />

place eminente parmi les plus importantes decouvertes de la<br />

medecine ä laquelle eile se rattaclie par un lien si etroit.<br />

— L'Association m&licale d'O<strong>des</strong>sa, en temoignage de la<br />

veneration qu'elle vous porte, vous a elu membre honoraire<br />

et vous prie de vouloir bien accepter de sa part le diplöme<br />

ci-inclus.<br />

Le President de l'Association: A. Douchnovsky.<br />

Le Vice-President: M. Progrebinsky."<br />

Von einer grossen Anzahl von Vereinen vom <strong>Roten</strong> Kreuz<br />

wurde Dunant zum Ehrenmitglied ernannt: so unter an<strong>der</strong>em<br />

zum:<br />

President honoraire du ComiU Central de VAssociation<br />

Beige de secours aux militaires blesses en temps de guerre.<br />

Bruxelles, (nomine en 1805). General Renard, aide de camp<br />

du Roi, President.<br />

Vice-president honoraire du ComiU Central de la Soc'Me<br />

franqaise de secours aux blesses militaires <strong>des</strong> armees de terre<br />

et de mer; Paris; (nomme en 18 (>)•<br />

President d'honneur du ComiU de Navarre de la „Asamblea<br />

Espanola de la Asociacion internacional de socorros a<br />

heridos en campana." Pamplona; (nomme en 1806).<br />

Zum Ehrenmitglied <strong>des</strong> Oestreichischen patriotischen<br />

Hilfsvereins für verw<strong>und</strong>ete Krieger, Militär-<br />

Witwen <strong>und</strong> Waisen. — Wien, den 18. Juni 18(>7- (Mit einem<br />

prächtig ausgeführten Diplom, unterzeichnet von dem Vorsitzenden,<br />

S. Duichl. demFürsten JosephColloredo-Mansfeld u. a.)<br />

Premier Membre d'Honneur du „ComiU Supdrieur <strong>des</strong><br />

Associations Nterlandaises de secours aux blesses militaires",<br />

nomme par sa Majeste Guillaume III, roi <strong>des</strong> Pays-Bas, par<br />

deeret royal en date de la Haye, le 19 juillet 18(57.


— 451 —<br />

Zum Ehrenpräsidenten <strong>des</strong> „Württembergischen<br />

Sanitäts-Vereins", unter dem Patronat Ihrer Majestät<br />

<strong>der</strong> Königin Olga. — Stuttgart, April 1868. — Vorsitzen<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Komites: Pfarrer Dr. C. U. Hahn.<br />

President honoraire du Comite Florentin de la „Associazione<br />

Italiana di soccorso pei militari feriti e malati in tempo<br />

di guerra" (Croix-Kouge d'Italie). Florence, le 24 juin 1868.<br />

— Le secretaire general: Guido Corsini. Un <strong>des</strong> secretaires:<br />

Ciacchi.<br />

Honorary meniber of „ The American Association for tlie<br />

Relief of the misery of Battie Fields." Central committee<br />

in New-York. 18(58. President Henry W. Bellows (formerly<br />

President of the United States Sanitary Commission).<br />

President d'Honneur .du Comite sectionnaire de Molenbeek-<br />

Laeken de l'Association Nationale Beige de la Croix Rouge;<br />

le 7 juin 1875.<br />

President d'Honneur du ÜomiU de Lihje de la Croix-<br />

Rouge de Belgiiiue; novembre 1876. Le President: de Wandre.<br />

Le Secretaire general: F. de Grandvoir.<br />

Zum Ehrenpräsidenten von dem Verein vom <strong>Roten</strong> Kreuz<br />

Heiden, Kanton Appenzell, Schweiz; 27. Februar 1890.<br />

Die Sekretärin: Clara Son<strong>der</strong>egger. (Verziertes Diplom.)<br />

Premier membre honoraire du Comite uni de la Croix<br />

Rouge et <strong>des</strong> Samaritains de la ville de Wwterthur, canton<br />

de Zürich, le 1 er juillet. 1S ( ,)2. Le President: Hauptmann<br />

J. Pfau; Le Secretaire: J. Pfister.<br />

President honoraire du Comite de Reims de la Croix Rouge;<br />

France, le 11 mars 1894.


— 452 —<br />

Ehrenmitglied <strong>des</strong> Schweizerischen Samariterbun<strong>des</strong>;<br />

ernannt in <strong>der</strong> Generalversammlung <strong>der</strong> Schweizer<br />

Kantonskomites am 16. Juni 1895 in Burgdorf, Kanton Bern.<br />

Verziertes Diplom. Zürich, den 24. Juni 1895. Der Präsident:<br />

Louis Cramer. Der Schriftführer: Hans Sieber.<br />

Ehrenmitglied <strong>des</strong> Schweizer Central-Yereins vom<br />

<strong>Roten</strong> Kreuz; ernannt in <strong>der</strong> Generalversammlung <strong>der</strong><br />

Delegierten aller Schweizer Kantone zu Ölten am 11. Juli<br />

1895. Der Präsident <strong>des</strong> Schweizer Centrai-Vereins vom<br />

<strong>Roten</strong> Kreuz: Dr. Staehelin.<br />

Ehrenmitglied <strong>der</strong> „Schweizerischen Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft". (Generalversammlung aller Schweizer<br />

Kantone in Schaffhausen am 5. September 1895.)<br />

Ehrenmitglied <strong>des</strong> Bernischen Samariterinneuvereins.<br />

Bern, November 1895. Der Präsident: Dr. E.<br />

Jordy. Die Vice-Präsidentin: Frau E. von Steiger.<br />

Ehrenmitglied <strong>des</strong> Samaritervereins vom <strong>Roten</strong><br />

Kreuze Schwyz. Schwyz, den 22. Mai 1890. Der Präsident<br />

: Dr. med. C. Real. Die Schriftführerin: Ida von Rediug.<br />

(Mit einem prächtigen, von dem Vicepräsidenten B. Boos<br />

künstlerisch ausgeführten Diplom.)<br />

Ehrenmitglied <strong>der</strong> S a m a r i t e r - S e k t i o n Z ii r i c h I <strong>des</strong><br />

Militär-Sanitätsveveins Zürich. Oktober 189(5. Der Präsident:<br />

K. Duggener. Die Aktuarin: A. Conrad. (Mit einem prächtigen,<br />

höchst, künstlerisch ausgeführten, mit Sinnbil<strong>der</strong>n verzierten<br />

Diplom.)<br />

Der von dem berühmten Professor Friedlich von Esmarch<br />

gegründete Deutsche Samariter verein übersandte Dunant<br />

ein prächtiges verziertes Diplom folgenden Inhalts:


— 453 —<br />

„Der Deutsche Samariterverein zu Kiel ernennt hierdurch<br />

den Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Genfer</strong> Konvention <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vereine<br />

vom Eoten Kreuz, Herrn Henry Dunant in Heiden, Kanton<br />

Appenzell in <strong>der</strong> Schweiz, in Anerkennung seiner Verdienste<br />

um das Wohl <strong>der</strong> leidenden Menschheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> ihr zu leistenden<br />

Hilfe zu seinem Ehrenmitglied. — Kiel, im Mai 1890.<br />

Der geschäftsführende Vorstand: Friedrich von Esmarch,<br />

Vorsitzen<strong>der</strong>; Dr. Ferd. Petersen, stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong>;<br />

L. von Bremen, Schriftführer <strong>und</strong> Schatzmeister.


— 454 —<br />

Liste <strong>des</strong> Etats<br />

dans lesquels la<br />

Convention de Geneve<br />

est aetuellement en vigueur.<br />

189G.<br />

(Aus <strong>der</strong> Broschüre: Notions Essentielles sur la Croix-Rouge,<br />

par G. Moynier; Geneve 1896.)<br />

N.B. — L'ast^rique cUsigne ceux de ces Etats qui possedent une Soci6t6<br />

de la Croix-Rouge.<br />

Alleiuagne. 1 ) Luxembourg.<br />

Argentine (Republiqne). * Montenegro.<br />

Autriche. * Norvege.<br />

Belgique. *Pays-Bas.<br />

Bolivie. *Perou.<br />

Bulgarie. Perse.<br />

Chili. * Portugal.<br />

Congo. * ßoumanie.<br />

Danemark. * Russie.<br />

Espagne. San Salvador.<br />

Etats-Unis. * Serbie.<br />

France. Siara.<br />

Grande Bretagne. * Suede.<br />

Grece. * Suisse.<br />

Hongrie. * Tiu-quie.<br />

Italie. * Venezuela.<br />

Mapon.<br />

i) Vgl. die Liste auf S. 222 f.


Berichtigungen.<br />

S. 71, Zeile 19. — Mit Freuden tragen wir nach, dass anf den Vorschlag<br />

<strong>der</strong> Generaldirektion <strong>des</strong> rassischen Vereins vom <strong>Roten</strong> Kreuz<br />

die hohe Protektoriii dieses Vereins, die Kaiserin-AVitwe Maria<br />

Feodorowna, vor kurzem Herrn Duiiant eine hochherzig bemessene<br />

lebenslängliche Rente ausgesetzt hat, die dem hochverdienten Manne<br />

wenigstens einen sorgenfreien Lebensabend bereitet.<br />

S. 77, Anm. 1, lies „Denkwürdigkeiten" statt „Aufzeichnungen", (ebenso<br />

in einigen späteren Anmerkungen).<br />

S. 84, Ueberschrift, lies „Gnillanme Henri Dnfour" statt „Henri Diifonr".<br />

S. 165, letzte Zeile, lies „S. 99 ff." statt „S. 97 ff.".<br />

S. 166, Anm. 1, lies „S. 102* statt „S. 87".<br />

S. 389, Zeile 2, lies: Citations recueillies par l'Editeur de la cimjuieme<br />

edition frangaise du Souvenir de Solferino.


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