Ueber die letzten Dinge (1904), von Otto Weininger - Natural Thinker
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„ – – München hat noch keinen großen Mann hervorgebracht: alle angezogen,<br />
keinen festgehalten. - Ich komme eben aus der Schack-Galerie. Dort hängt eine Kopie<br />
des großartigsten Bildes der Welt, des Jeremias <strong>von</strong> Michel Angelo. Ich habe bisher<br />
nicht gewußt, daß es so etwas geben kann, daß <strong>von</strong> einem Bilde soviel ausstrahlen<br />
kann. – – “<br />
Dresden, 12.8.02.<br />
„– – Ich habe jetzt <strong>die</strong> Überzeugung, daß ich doch zum Musiker geboren bin.<br />
Noch am ehesten wenigstens. Ich habe heute eine spezifisch musikalische Phantasie<br />
an mir entdeckt, <strong>die</strong> ich mir nie zugetraut hätte, und <strong>die</strong> mich mit einem starken<br />
Respekt erfüllt hat. – –<br />
– –. Ich habe jetzt <strong>die</strong> leibhaftige sixtinische Madonna gesehen. Sie ist – schön.<br />
Aber nicht bedeutend; nicht großartig, nicht irgendwie erschütternd. Und <strong>die</strong> Leute<br />
davor! Ich habe mich herzlich amusiert. Es gibt weit hervorragendere Bilder hier.<br />
Einen hab’ ich entdeckt, einen tiefen Kenner des Weibes: Palma vecchio! – – “<br />
Fredrikshaven (Nordspitze Jütlands), 21. August 1902.<br />
„– – – Ich habe also jetzt 14 Stunden Seefahrt hinter mir, darunter fast <strong>die</strong> ganze<br />
Nacht auf Deck zugebracht, bei ziemlichem Sturme und bis 4 m hohen Wellen; und<br />
bin seefest! wie ich’s <strong>von</strong> mir nicht anders erwartet hatte. Ich glaube, durch nichts<br />
kann <strong>die</strong> Würde des Menschen so leiden wie durch <strong>die</strong> Seekrankheit. Bezeichnend<br />
genug ist’s, daß <strong>die</strong> Frauen alle seekrank werden. – – “<br />
Syrakus, 3.August 1903.<br />
„– – Statt in Ancona auf ein Schiff lange zu warten, bin ich über Rom, Neapel,<br />
Messina, Taormina (einen der schönsten Punkte der Erde), Catania (Ätna) hierher<br />
gereist.<br />
In Rom hörte ich den Trovatore, in dem <strong>die</strong> großartigste Darstellung des<br />
Herzschlages sich findet, und bin mehr als je der Meinung, daß Verdi ein Genie<br />
gewesen ist; hier hörte ich vorgestern abends in einer zauberischen Gegend, am<br />
Strande des mondbeschienenen jonischen Meeres, zwischen der papyrusbestandenen<br />
Quelle Arethusa und den Segelschiffen des Hafens, <strong>von</strong> der Corso-Militärmusik <strong>die</strong><br />
Cavalleria rusticana spielen.<br />
Als er <strong>die</strong> schrieb, damals war Mascagni groß. Ich habe jetzt <strong>die</strong> ganze Gegend<br />
gesehen, in der sie spielt, bin unweit Francofonte gewesen, und habe mich sehr<br />
gefreut, wie vollkommen richtig ich sie mir vorgestellt hatte: das blondeste Getreide<br />
(la cirāsa). Es ist <strong>die</strong> fruchtbarste Gegend Europas. Über <strong>die</strong> sizilianischen Duelle der<br />
Bauern habe ich reiche Belehrung gesucht und gefunden, und über eine Art selbst den<br />
Unterricht eines Ziegenhirten genossen, der wirklich und wahrhaftig auf der<br />
selbstgeschnitzten Syrinx blies - allerdings, und zwar sehr schlecht, eine Melo<strong>die</strong> aus<br />
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