02.11.2013 Aufrufe

Ueber die letzten Dinge (1904), von Otto Weininger - Natural Thinker

Ueber die letzten Dinge (1904), von Otto Weininger - Natural Thinker

Ueber die letzten Dinge (1904), von Otto Weininger - Natural Thinker

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ausgelebt – das heißt, das Deine!<br />

All Dein Du, inbrünstiglich,<br />

Willenlos mir hingegeben,<br />

Sei erfüllt <strong>von</strong> meinem Ich.“<br />

Aber alles Verhältnis des Mannes zur Frau ist Enteignung, Entrechtung, soweit es<br />

erotisch ist. Das ist Ibsen später klar geworden; der erste Schritt hierzu ist im<br />

„Puppenheim“ gemacht. Man hat <strong>die</strong> Nora für das Wahlrecht der Frauen nutzbar<br />

gemacht und Ibsen, den Mann, der Zeit seines Lebens weniger als alle anderen<br />

Künstler vor und seit ihm sich selbst über das Weib zu belegen versucht hat, zum<br />

typischen Vertreter der psychologischen Gleichheitslehre gestempelt, den Schöpfer<br />

der Hedda Gabler das lebende Weib (seinen tatsächlichen Qualitäten nach) ebenso<br />

hoch einschätzen lassen, wie den Mann. Darin liegt aber gerade <strong>die</strong> ganze sittliche<br />

Größe Ibsens und sein reiner Heroismus, daß er vom Manne verlangt, das Weib als<br />

selbständiges menschliches Wesen zu schätzen, <strong>die</strong> Idee der Menschheit auch in der<br />

Person des Weibes zu ehren, es nicht, wie in jeder Erotik, bloß als Mittel zum Zweck<br />

zu gebrauchen, obwohl <strong>die</strong> Realität gerade dem <strong>von</strong> der erotischen Dunstwolke<br />

ungetrübten Blicke <strong>die</strong> Achtung vor dem Weibe – <strong>die</strong> das Weib der Wirklichkeit vom<br />

Manne freilich gar nie verlangt – so sehr erschwert.<br />

So ist auch seine Nora nichts Wirkliches und <strong>die</strong> berühmte Umwandlung <strong>von</strong> der<br />

kindischen, verlogenen und genäschigen Schwätzerin zum Menschen mit freiem<br />

Entschluß kein ableitbarer Charakterzug irgend einer wirklichen Frau, sondern eben<br />

das Mysterium der Umwandlung, welche Ibsen für das Weib aus allgemein<br />

moralischem Grunde notwendig scheint. In der Nora begrüßt Ibsen <strong>die</strong> erste<br />

weibliche Individualität, er zeigt, wie <strong>die</strong> Frau handeln sollte, nicht wie sie wirklich<br />

handelt. Die Veränderung in Nora ist eben das Wunder, aus dem früheren durchaus<br />

unbegreiflich; und niemand mißversteht <strong>die</strong>ses Schauspiel so gründlich, als gerade<br />

der, welcher den Umschlag zu vermitteln und aus der Nora der ersten Akte zu<br />

motivieren sucht. In der „Frau vom Meer“, welche endlich in Freiheit wählen darf<br />

und kann, hierdurch vom äußeren sinnlichen Zwange sich befreit, aber zugleich <strong>die</strong><br />

Verantwortung und somit <strong>die</strong> Pflicht auf sich nimmt, kehrt das Nora-Problem wieder.<br />

„Rosmersholm“ bezeichnet nach dem „Peer Gynt“ den zweiten Gipfel der<br />

Entwicklung, <strong>die</strong> Ibsens Gedanken über seine Probleme genommen haben. Zum<br />

zweiten Mal kehrt er zum Problem der Erlösung in seinem Verhältnis zum Problem<br />

der Geschlechtsliebe zurück. Hier liegt aber <strong>die</strong> Sache schon sehr viel anders als im<br />

„Peer Gynt“. Die Wiedergeburt erfährt vor allem das Weib unter dem Einfluß des<br />

Mannes. Rosmersholm, das ist symbolisch <strong>die</strong> Burg der reinen Sittenstrenge, <strong>die</strong><br />

Stätte der moralischen Güter, habe sie gebrochen, ihre wilden Triebe bezwungen, sagt<br />

<strong>die</strong> ehemals gänzlich amoralische Rebekka. Aber auch sie hat auf Rosmer im ganzen<br />

doch einen läuternden, reinigenden Einfluß zur Befreiung seines reinen Selbst geübt.<br />

und ihr junges Schuldbewußtsein ist fast heftiger als <strong>die</strong> Reue Rosmers über seine<br />

unbewußte Begünstigung ihres Vorgehens gegen Beate. So schließt <strong>die</strong> Dichtung mit<br />

der Frage: „Das eine sag mir noch, gehst Du mit mir, oder gehe ich mit Dir?“ und <strong>die</strong><br />

Antwort, <strong>die</strong> Ibsen darauf gibt, lautet: „Der Frage werden wir wohl in Ewigkeit nicht<br />

auf den Grund kommen.“<br />

Aber auch hier auf <strong>die</strong>ser zweiten Stufe ist Ibsen nicht stehen geblieben. In „Klein<br />

Eyolf“ wird das Schuldproblem an Rosmersholm neu aufgenommen. Hier handelt es<br />

sich aber nicht um eine Beate, nicht um <strong>die</strong> frühere Frau, wie in Rosmersholm,<br />

26

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!