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Ueber die letzten Dinge (1904), von Otto Weininger - Natural Thinker

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Auferstehung des Weibes, an ein höheres, der niederen Sphäre entrücktes<br />

Zusammenleben zwischen Mann und Weib, an das Sakrament der Ehe als eines<br />

metaphysischen Symboles einer Unio mystica. Nicht ist ihm mehr das Weib eine<br />

Paradoxie der Natur, dem Manne aufgebürdet, daß er sie wider ihren eigenen Willen<br />

mitnehme; für ihn selbst zwar stets <strong>die</strong>, gefährlichste Gefahr, aber doch nicht ein<br />

dauerndes, ewiges Hindernis dem Streben nach dem Ideal der höheren Menschheit.<br />

Zwar ist nach Ibsen selbst <strong>die</strong> sublimste Erotik des Künstlers bislang immer<br />

egoistisch gewesen; Mann und Weib aber können beide zur Setzung ihrer beider als<br />

Individualität gelangen. Und so ist und nur so ist ihm eine Vereinigung beider unter<br />

der Idee möglich. Das ist der Sinn <strong>von</strong> „Wenn wir Toten er-wachen“.<br />

Einen merkwürdig analogen Entwicklungsgang wie Ibsen hat in <strong>die</strong>ser Frage<br />

jener Mann genommen, dessen Vergleich mit ihm vielen einer Entschuldigung zu<br />

bedürfen scheinen könnte, nämlich Richard Wagner. Zieht man zunächst den jungen<br />

Wagner allein in Betracht, so,gibt es keine nicht-Wagnerische Dichtung, <strong>die</strong> so ganz<br />

wagnerisch wäre, wie der „Peer Gynt“ in seinem ganz dem „Fliegenden Holländer“<br />

und dem „Tannhäuser“ gleichenden Schlusse mit dem Mysterium der Erlösung durch<br />

das Weib es ist. Im „Holländer“ und im „Tannhäuser“ glaubt Wagner wie der junge<br />

Ibsen im „Peer Gynt“ an <strong>die</strong> Erlösung des Mannes durch das Weib, der Sehnsucht<br />

und des Leidens im Menschen durch <strong>die</strong> Liebe zu <strong>die</strong>sem Weibe.<br />

Die Nibelungensage hat beide, Ibsen und Wagner, in ihrer nordischen,<br />

mythischen Form zur Erfüllung mit selbständigem Geiste gelockt (Ibsens „Helden auf<br />

Helgeland“ oder „Nordische Heerfahrt“), während Hebbel weit mehr Sucher als<br />

Wagner, und selbst als Ibsen, der kein sehr tiefes Verhältnis zur Natur besaß, <strong>die</strong><br />

zivilisiertere süddeutsche Fassung 49 vorzog. Wagners „Ring des Nibelungen“<br />

entspricht etwa wie bei Ibsen „Rosmersholm“ der gleichen mittleren Phase im<br />

Denken beider. Brünnhilde wird zwar jetzt <strong>von</strong> Siegfried erweckt aus dem Schlafe,<br />

der den Tod im metaphysischen Sinne symbolisiert; aber auch Siegfried feiert erst in<br />

seiner Hochzeit mit der „heiligen Braut“ sterbend <strong>die</strong> Vereinigung mit dem All. Es ist<br />

sozusagen <strong>die</strong> kosmische Begegnung des männlichen und weiblichen Prinzipes im<br />

Weltall damit angedeutet. Dabei erinnert an den „Peer Gynt“ und <strong>die</strong> am Schlusse<br />

desselben erfolgende Identifikation der Solveig, und Aase, daß Brünnhild sich auch<br />

als Siegfrieds Mutter bezeichnet. Sie repräsentiert <strong>die</strong> Ewigkeit der Gattung, mit der<br />

das Individuum Siegfried als „Wecker des Lebens“ <strong>die</strong> Vereinigung eingeht. 50 Auch<br />

bei Ibsen ist <strong>die</strong> In-Eins-Setzung <strong>von</strong> Mutter und Geliebter kein gedankenloser<br />

Versöhnungseffekt noch knapp vor dem Tode, sondern deutet auf das hin, was Mutter<br />

und Geliebte immer gemeinsam haben, Sicherlich steht das liebende Mädchen zu dem<br />

Manne, den es liebt, sehr oft (wenn auch nicht immer) im Verhältnis einer gewissen<br />

Mütterlichkeit: auch der Mann, <strong>von</strong> dem sie ein Kind bekommen kann, ist selbst<br />

schon in gewissem Sinne ihr Kind; auf der anderen Seite wird der liebende Mann<br />

<strong>die</strong>sem Mädchen gegenüber selbst zum Kinde und kann sie als eine Mutter<br />

apostrophieren. Es ist eben der Genius der unsterblichen Gattung, der Peer in Solveig<br />

vor dem Tode entgegentritt. Ibsens Meinung klingt hier an <strong>die</strong> Schopenhauers über<br />

<strong>die</strong> Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich, das nur der Lebenswille der Gattung<br />

sei, merklich an; später hat Ibsen <strong>die</strong>se <strong>die</strong> Logik des einzelnen Menschenlebens<br />

negierende Weltanschauung überwunden und ist nie mehr auf sie zurückgekommen.<br />

49 Ibsen steht als Charakter überhaupt in der Mitte zwischen Hebbel und Wagner, Fichte und Schopenhauer. Er ist<br />

zudem in vielem Kaut ähnlicher als irgend ein anderer historischer Mensch außer ihm.<br />

50 „Ewig war ich, ewig in süß sehnender Wonne“ u. s. w. (Siegfried 3. Akt).<br />

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