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ad marginem Nr. 78/79 - Humanwissenschaftliche Fakultät ...

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sucht und die von jedermann gemacht werden kann. Insofern liegt ihm ein demokratisches<br />

Potential zugrunde. Durch eine strikte Antihaltung gab er sich in<br />

seinen „westlichen“ Ausprägungen jedoch meist politisch desinteressiert und<br />

ziellos. Demgegenüber war der slowenische Punk sehr stark politisch motiviert.<br />

Ursache hierfür war – so Barber-Kersovan – die Krise in Jugoslawien, in die das<br />

Land u. a. durch Präsident Titos Tod im Jahr 1980 stürzte. Diese besondere Situation,<br />

die schließlich zum Kollaps des sozialistischen Systems und zum Zerfall<br />

Jugoslawiens führte, steigerte die politische und gesellschaftliche Bedeutsamkeit<br />

der Punkbewegung. „Die Alternativszene hielt dem maroden sozialistischen Regime<br />

sein verzerrtes Spiegelbild entgegen und begann mit der ihr eigenen Kompromisslosigkeit<br />

die allgemeine Krisensituation zu explizieren“ (S. 18). Aus einem<br />

Wechselspiel zwischen Provokation und Reaktion (und teilweise auch Repression)<br />

resultierte eine starke Polarisierung: Für seine Befürworter wurde<br />

Punk zum Sinnbild künstlerischer und intellektueller Freiheit, für seine Gegner<br />

„zum Inbegriff des Faulen, Bösen, Abweichenden und Umstürzlerischen, wenn<br />

nicht sogar zu einer Brutstätte des Anarchismus, Faschismus und Nazismus“ (S.<br />

18).<br />

So avancierte der ursprünglich unpolitische Punk in Slowenien zu einem zentralen<br />

Schauplatz ideologischer und gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen,<br />

an denen sich im Vorfeld der Implosion des sozialistischen Regimes viele<br />

verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen beteiligten: „Die Bands und die<br />

Fans, die (Jugend-)Medien, führende kulturelle Organisationen und Institutionen,<br />

der Kommunistenverband Sloweniens, der Verband der Sozialistischen Jugend<br />

Sloweniens, die Polizei, der oberste Gerichtshof und nicht zuletzt auch der<br />

‚kleine Mann auf der Straße‘, der seine Meinung in Leserbriefen zum Ausdruck<br />

brachte“ (S. 18 f.).<br />

Der slowenische Punk müsse daher – so die Autorin – im Zusammenhang mit<br />

dem unter dem Begriff Slowenischer Frühling zusammengefassten Demokratisierungsprozess<br />

der 1980er Jahre gesehen werden; ja, er sei sogar der erste<br />

Sprössling dieses politischen Frühlings gewesen, der es wagte, das allgemeine<br />

Unbehagen öffentlich zu artikulieren. Weniger war es eine offene Gesellschaftskritik,<br />

die eine Erweiterung der politischen Freiräume bewirkte, als vielmehr die<br />

Art und Weise, wie der Punk „mit seinen ironischen Paraphrasen politischer<br />

Plattitüden die ideologischen Positionen des herrschenden Regimes in Frage<br />

stellte, das sozialistische Wertesystem destruierte und seine politische Symbolik<br />

enttabuisierte“ (S. 19). Er stellte keine realpolitischen Forderungen, doch er eröffnete<br />

den Meinungsaustausch über einige bislang aus dem öffentlichen Diskurs<br />

ausgeklammerte Schlüsselprobleme der sozialistischen Selbstverwaltung<br />

und gab wichtige Impulse für eine alternative Politik.<br />

P.-E.<br />

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