ad marginem Nr. 78/79 - Humanwissenschaftliche Fakultät ...
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eschlossen, eine monarchieweite Volksliedersammlung in sechzig Bänden herauszugeben,<br />
wobei sich das Interesse auch auf volkstümliche Lieder, Lieder im<br />
Volkston, Schul- und Gesangvereinslieder, auf Volksdichtung und -musik,<br />
Volksmusikinstrumente, Tanz, Trachten, Bräuche, Sitten und Volkssprachen<br />
richtete. Oberste Prinzipien der Aufzeichnungen waren Wissenschaftlichkeit und<br />
Authentizität bzw. „fotografische Treue“, die z.B. musikalische Glättungen,<br />
„Begr<strong>ad</strong>igungen“ sowie eine „Zensur“ mancher derber Texte ausschloss.<br />
Die organisatorische Basis dieser europaweit – wahrscheinlich sogar weltweit –<br />
umfangreichsten Sammelaktion wurde durch die Gründung des Österreichischen<br />
Volksliedunternehmens, des Vorläufers des Volksliedwerkes, geschaffen.<br />
Es gliederte sich nach Ländern und Ethnien; jedes Kronland war mit einem Arbeitsausschuss<br />
vertreten, nur Ungarn ging mit Bartók und Kodály eigene Wege.<br />
Aufgrund der politischen Ereignisse – des Ersten Weltkriegs und des Zerfalls<br />
der Donaumonarchie – kam das Projekt aber schon wenige Jahre nach seiner<br />
Entstehung zum Stillstand. Der „Ankündigungsband“, der 1918 erscheinen<br />
sollte, wurde erst 2004 in erweiterter Form veröffentlicht.<br />
Im Gedenken an das historische Datum und nicht zuletzt auch aus aktuellem<br />
Anlass – der EU-Erweiterung – fand im November 2004 ein Symposion zum<br />
Thema Kulturelles Erbe bewahren, vermitteln und entdecken. Das Österreichische<br />
Volksliedwerk und ethnomusikologische Archive und Sammlungen in europäischen<br />
Nachbarländern statt, zu dem FachvertreterInnen aus den ehemaligen<br />
Kronländern Bosnien-Herzegowina (Tamara Karača Beljak), Italien (Barbara<br />
Kostner), Kroatien (Jerko Bezić), Polen (Ewa Dahlig-Turek), Rumänien<br />
(Sabina Ispas), Slowenien (Marija Klobčar, Marjetka Golež Kaučič, Drago Kunej),<br />
Ungarn (Lujza Tari) und Österreich (Gerlinde Haid, Dietrich Schüller, Eva<br />
Maria Hois, Iris Mochar-Kircher, Michaela Brodl, Sonja Ortner, Marialuise<br />
Koch) zu einem Gedankenaustausch zusammentrafen.<br />
Der vorliegende Band des Jahrbuchs des Österreichischen Volksliedwerkes versammelt<br />
die Vorträge dieser Veranstaltung, erweitert um Darstellungen zur Geschichte<br />
der Volksmusiksammlung und -forschung in der Ukraine von Iryna<br />
Dovhal’uk und in Tschechien von Lubomír Tyllner sowie einen Vortrag von<br />
Dietrich Schüller über die technischen Aspekte des Sammelns, Bewahrens und<br />
Verbreitens immateriellen Kulturgutes.<br />
In ihrem einleitenden Beitrag hebt Gerlinde Haid die Größe, Weite und Sprachenvielfalt<br />
des Volksliedunternehmens angesichts der damals bereits „zerbröselnden“<br />
Donaumonarchie hervor, wobei sie allerdings einschränkt, dass die<br />
Pfründe ungleich verteilt waren und manche Ethnien und Sprachgruppen unterrepräsentiert<br />
blieben. Trotz aller Mängel verfolgte das Unternehmen ein hohes<br />
Ziel, das Eva Maria Hois folgendermaßen umschreibt: „Volksmusik und insbesondere<br />
Volkslied sollten, da sie ja angeblich unpolitisch sind, zur regionalen<br />
Identitätsstiftung und zugleich zur zwischenmenschlichen wie überregionalen<br />
Verständigung und Versöhnung beitragen sowie aufgrund ihrer emotionalen<br />
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