Mein 1968 - Gerd Koenen

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Vietnam-Kongress entlassen. Sie wirkten lange nach, in mir
jedenfalls.
Dieser Kongress hatte im Widerschein der Tet-Offensive
stattgefunden, eines vorzeitigen Versuchs der von Nordvietnam mit
regulären, modern ausgerüsteten Divisionen aufgefüllten
Revolutionsstreitkräfte, der US-Armee und ihren
südvietnamesischen Verbündeten eine entscheidene Niederlage
beizubringen. Nur ein monströses Bombardement der vom Vietcong
besetzten Städte, die unter den Augen der Weltpresse in
Trümmerhaufen verwandelt wurden, verhinderte das – und brachte
dem Regime Ho Chi-Minhs am Ende einen propagandistischen Sieg.
Wenig später wurde in den USA der schwarze Bürgerrechtler Martin
Luther King ermordet, brannten die Ghettos, rückte Nationalgarde
mit aufgepflanztem Bajonett in die eigenen Großstädte ein. Die
Vormacht des freien Westens lieferte nicht nur ein abstoßendes Bild,
sondern sei zeigte auch Zeichen eines dramatischen Verfalls.
Auf dem Gegenpol konnte man in diesem Frühjahr 1968 ernsthaft
glauben, Teil einer globalen Aufbruchsbewegung der Jugend aller
Länder zu sein. Überall, so schien es, gärte es, von den USA
angefangen über halb Europa bis nach Asien und Lateinamerika.
Dieser Eindruck war auch nicht völlig falsch – und doch eine
Halluzination. Denn in Wirklichkeit lebten die jugendlichen Radikalen
der verschiedenen Länder in vollkommen getrennten Welten. Und
die entschlossenste „Solidarität“ war oft nur eine Form des
offensiven Desinteresses und der praktischen Entsolidarisierung.
So sympathisierten viele der jugendlichen Radikalen in der
Bundesrepublik wie in anderen westlichen Ländern mit den Roten
Garden der chinesischen Kulturrevolution, die – so meinte man zu