Mein 1968 - Gerd Koenen
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Zur Verwirrung der Fronten bei unserem Bratislavaer Seminar trug<br />
wiederum eine Delegierte der Universität Budapest bei, die sich mit<br />
uns Westlinken alliierte und, wie sich herausstellte, Mitglied eines<br />
„Vietnam-Komitees“ war, hinter dem sich eine „Gruppe<br />
revolutionärer Kommunisten“ mit maoistischen Neigungen verbarg.<br />
Maoisten aus Budapest! Das alles gab es ja durchaus.<br />
Wie so oft, gingen Eros und Verblendung auch in unserem Falle eine<br />
intime Verbindung ein. Als ich die Budapester Genossin im August<br />
<strong>1968</strong> besuchen fuhr, kreuzte die Geschichte spätnachts meinen<br />
Weg – in Gestalt riesiger sowjetischer Amphibienpanzer, die gleich<br />
links im Dunkel der Donauauen verschwanden. Am nächsten<br />
Morgen war Prag von ihnen okkupiert. Wir fuhren weiter über<br />
Belgrad nach Sofia, wo es auf den Weltjugendfestspielen zu<br />
lebhaften Scharmützeln zwischen SDS-Delegierten aus Frankfurt<br />
und der bulgarischen Polizei gekommen war. Überall auf den<br />
Campingplätzen sammelten sich die tschechoslowakischen<br />
Flüchtlinge, das Ohr am Transistor. Wir fühlten aufrichtig mit ihnen.<br />
Aber als nach ein, zwei Wochen alles vorbei war und die Bilder der<br />
Demonstranten und der Panzer in den Straßen von Prag verweht<br />
waren, schwenkten wir auf eine Linie der Interpretation ein, wie sie<br />
etwa Fidel Castro formuliert hatte: Der „Prager Frühling“ war eben<br />
doch allzu bürgerlich-reformerisch gewesen, und eben deshalb hatte<br />
es auch keinen echten, revolutionären Widerstand gegeben. Somit<br />
war die Okkupation die zwangläufige Strafe für den Liberalismus der<br />
Reformer gewesen.<br />
Auf dieser Linie bewegte sich auch eine Protestdemonstration in<br />
Westberlin, zu der – in betonter Abgrenzung zu allen „reaktionären“<br />
Solidaritätsaktionen – die linken Gruppen des AStA der Freien<br />
Universität aufgerufen hatte. Ihrem Aufruf zufolge war der