Mein 1968 - Gerd Koenen

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auch die NPD mit wachsendem Zulauf und hohen Wählerziffern (bis
über 10%) Züge einer militanten Gegenbewegung annahm, machte
das politische Tableau nur noch alarmierender. War Bonn doch
Weimar?
Das schien allerdings fast noch harmlos, verglichen mit dem, was
sich einen Monat später in Frankreich abspielte, als
Studentendemonstrationen in Paris in tagelangen
Barrikadenschlachten klassischen Zuschnitts mündeten und bald
darauf ein politischer Generalstreiks das ganze Land lahmlegte –
wie man das seit Jahrzehnten in Europa nicht gesehen hatte. Der
Staatschef General de Gaulle eilte (oder flüchtete?) zu den
Fallschirmjägertruppen nach Baden-Baden, die womöglich Paris
wieder einnehmen sollten. Aber der General und Vater der IV.
Republik trug sich auch mit Rücktrittsgedanken. So mündete der
„Pariser Mai“ in einer Staatskrise, die erst durch eine gewaltige
Gegenmobilisierung der Gaullisten beendet wurde, als eine Million
sich unter der Trikolore auf den Champs Elysées versammelte. Und
plötzlich war alles wie ein Spuk vergangen – und doch wirklich
passiert! In der historischen Erinnerung war es gerade dieser Pariser
„Mai 68“ mit seinen etwas karnevalistischen Zügen eines kurzen
Sommers der Anarchie, das Bild der Zeit nachträglich prägte. Wenn
wir heute von „1968“ sprechen, dann bildet der Pariser Mai die
geheime, stille Achse dieser Erinnerung.
Als eine Achterbahn der Hochgefühle und Enttäuschungen erwies
sich dieses ganze Jahr 1968 für alle, die sich als Teil dieser
radikalen Jugendbewegung aller Länder sahen. Trotz aller Proteste,
und wohl auch aus diesem Grunde, gingen die Notstandsgesetze im
Mai 1968 mit übergroßer Mehrheit durch den Bundestag. Ein