Vollständiges Gutachten vom 20. Juni 2012 im PDF-Format
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3. Dass der Begriff „freie“ Wohlfahrtspflege in § 84 Abs. 1 SGB XII, dessen Wortlaut keine<br />
Einschränkung auf best<strong>im</strong>mte Träger enthält, jedenfalls einen größeren Kreis als die in<br />
§ 5 SGB XII hervorgehobenen Verbände umschreibt, gibt auch die historische Grundlage<br />
der Best<strong>im</strong>mung zu erkennen. Die Best<strong>im</strong>mung geht zurück auf § 8 Abs. 4 der<br />
„Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGr.) <strong>vom</strong><br />
4. Dezember 1924“. In dieser Best<strong>im</strong>mung 8 wurde zur Rechtsfolge nicht danach<br />
differenziert, ob die Zuwendung von der freien Wohlfahrtspflege oder von einem anderen<br />
erbracht wird.<br />
4. Wenn der Gesetzgeber überhaupt (ergänzende) Zuwendungen zulässt bzw. von der<br />
Einkommensanrechnung ausn<strong>im</strong>mt, ist die mit dem BSHG eingeführte Differenzierung bzw.<br />
Ungleichbehandlung danach, von wem diese erbracht werden 9 , so zu verstehen, dass<br />
Zuwendungen, die – typisch für Wohltätigkeit – einem nicht individualisierten Kreis von<br />
Empfängern erbracht werden, zu unterscheiden sind von solchen, die der<br />
Zuwendungsgeber von vorneherein nur einer best<strong>im</strong>mten Person oder einem eng<br />
gefassten Personenkreis erbringt. 10 Folgerichtig ist der Begriff „freie Wohlfahrtspflege“ in<br />
§ 84 Abs.1 SGB XII von seinem Ansatz her weit zu verstehen.<br />
5. „Wohlfahrtspflege“ ist nach der Definition in § 66 Abs. 2 AO die planmäßige, zum Wohle<br />
der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder<br />
gefährdete Mitmenschen. 11 Zur Handhabbarmachung des Merkmals „frei“, es müsse sich<br />
um Wohlfahrtspflege handeln, die nicht von Gebietskörperschaften erbracht wird, ist<br />
eingewendet worden, diese Abgrenzung bleibe zu ungenau, denn frei sei nur die<br />
Wohlfahrtspflege, die gesetzlich nicht gebunden ist, und dies treffe auf juristische Personen<br />
des öffentlichen Rechts – eine solche ist die anfragende Stiftung – zwar grundsätzlich<br />
nicht 12 , jedoch unter der Ausnahme zu, dass kirchliche Träger und kirchliche Stiftungen <strong>im</strong><br />
Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft tätig sind 13 .<br />
zu werden und dass andererseits das gegen ein enges Verständnis des – bis auf eine redaktionelle Änderung<br />
mit § 84 Abs. 1 SGB XII identischen – § 78 Abs. 1 BSHG vorgebrachte Argument, dort spreche das Gesetz<br />
von der „freien Wohlfahrtspflege“ und nicht von den „Verbänden der freien Wohlfahrtspflege“, zu kurz greift,<br />
weil bei dieser Unterscheidung die in § 10 BSHG (§ 5 SGB XII) auch der freien Wohlfahrtspflege<br />
zugeordneten Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts aus dem Anwendungsbereich<br />
des § 84 Abs. 1 SGB XII ausgegrenzt würden.<br />
8 Reichsgesetzbl. I, S. 765 („Bei Prüfung der Hilfsbedürftigkeit, der Art und des Umfanges der Hilfe bleiben<br />
Zuwendungen außer Ansatz, die die freie Wohlfahrtspflege oder ein Dritter zur Ergänzung der öffentlichen<br />
Fürsorge gewährt, ohne dazu eine rechtliche oder eine besondere Pflicht zu haben. Dies gilt nicht, wenn die<br />
Zuwendung die wirtschaftliche Lage des Unterstützten so günstig beeinflußt, daß öffentliche Fürsorge<br />
ungerechtfertigt wäre.“); in den amtlichen Erläuterungen zu den RGr. <strong>vom</strong> 13. Dezember 1924 (RABl. S. 494)<br />
ist dazu ausgeführt: „§ 8 Abs. 4 soll verhindern, daß eine mit dem Geberwillen in Widerspruch stehende<br />
Verwendung freiwilliger Gaben die Tätigkeit der freien Wohlfahrtspflege beeinträchtigt und die<br />
Gebefreudigkeit Dritter hemmt.“<br />
9 Die mit dem BSHG eingeführte Differenzierung der Rechtsfolgen hat zur Begründung (BT-Drs. 3/1799, S.<br />
52, zu § 74 des Regierungsentwurfs): „Die Best<strong>im</strong>mung des Absatzes 2 ist neu. Durch ihn soll der<br />
Ermessensspielraum der Träger der Sozialhilfe erweitert werden. Er gilt vor allem für freiwillige Zuwendungen<br />
von Arbeitgebern an frühere Beschäftigte.“<br />
10 Vgl. Gitter, a.a.O., S. 400.<br />
11 Zeitgemäßer ausgedrückt: Wohlfahrtspflege ist die Betreuung, Unterstützung, Beratung sozial<br />
benachteiligter Personen, die nicht aus Gewinnerzielungsabsicht, sondern zum Wohle der Allgemeinheit<br />
ausgeübt wird (vgl. Münder in LPK-SGB XII, a.a.O., § 5 Rn. 6; LSG NRW, Urteil <strong>vom</strong> 31.03.2011, L 9 SO<br />
34/09).<br />
12 Gitter, a.a.O., S. 397 mit dem folgerichtigen Hinweis (dort Anm. 22), dass eine solche Nichtbindung bei<br />
privatrechtlicher Organisierung öffentlicher Verwaltung nicht besteht und diese auch in einem solchen Fall<br />
nicht als „freie“ Wohlfahrtspflege subsumiert werden kann. Danach erscheint die Aussage des LSG NRW<br />
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