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FluSi205.V5.qxp - Luftwaffe

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Editorial<br />

Termine, Termine, Termine. Das Berufsleben ist hektisch.<br />

So neigt sich der Tag seinem Ende entgegen und ich frage mich, was habe ich erledigt, was ist noch offen und<br />

bedarf einer Initiative meinerseits? Es fehlt die Zeit, entspannt im Stuhl nach hinten gelehnt, Gedanken wandern<br />

zu lassen. Gedanken zum Beispiel um die Schnelllebigkeit, die wir im Alltag allgegenwärtig gezeigt bekommen.<br />

Große Entfernungen werden in kurzen Zeiten bewältigt, Kommunikation und Informationsaustausch findet<br />

in Echtzeit, also mit minimalen Zeitverzögerungen, statt. Mit Hilfe der Computer lassen sich komplexe und<br />

umfangreiche Arbeitsschritte bei richtiger Anwendung zeitlich so optimieren, dass uns die Ergebnisse schneller<br />

vorliegen bzw. einholen, als es manchmal gewünscht ist. Dies sind die Sonnen- und Schattenseiten der heutigen<br />

Zeit. Überraschenderweise ist es im Trend, keine Zeit zu haben. Wie oft hören wir, dass aus zeitlichen<br />

Gründen Treffen oder persönliche Gespräche nicht stattfinden können. Mal ehrlich unter uns gesprochen, wann<br />

haben Sie sich bewusst die Zeit genommen, ein „unbequemes“ Thema aufzugreifen und dem Gesprächspartner<br />

gesagt: Ich habe Zeit für ein Gespräch.<br />

Für die Flugsicherheit, ich hoffe ein „angenehmes“ Thema, müssen wir uns Zeit nehmen, als aktives und passives<br />

Mitglied im Flugbetrieb. Es gilt mit offenen Augen die Umwelt zu beobachten und zeitgerecht Missstände,<br />

aber auch die Entstehung dieser, zu erkennen und mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterbinden.<br />

Nehmen Sie sich ebenfalls die Zeit, diese Ausgabe der Flugsicherheit zu lesen. Da hat u. a. der Autor des<br />

Berichtes Eurocontrol eine Übersicht der sicherheitsrelevanten Veränderungen im europäischen Luftverkehrsmanagement<br />

erstellt, die sich in der letzten der Zeit etabliert haben bzw. etablieren werden.<br />

In dem folgenden Artikel „Eine verpasste Gelegenheit“ beschreibt ein Flugsicherheitsoffizier, wie er feststellen<br />

musste, dass die eingereichte Zwischenfallmeldung einige offene Fragen beinhaltete und dass der verantwortliche<br />

Pilot sich besser etwas mehr Zeit genommen hätte, diese Zwischenfallmeldung zu erstellen.<br />

Es gibt nichts, was es nicht gibt, stellte ein Luftfahrzeugnachprüfer eines ArtAufklBtl fest und konnte bei seiner<br />

Recherche feststellen, dass der Hersteller seines Einsatzmittels einen Fehler beging und der anschließende<br />

Kontroll- und Prüfablauf von luftfahrzeugtechnischem Zubehör nicht fehlerfrei funktionierte.<br />

„Die Gefahr high zu sein“ ist ein Bericht aus dem Flying Safety Magazine, der sich mit dem Thema Drogen<br />

befasst. Die Bundeswehr ist Teil der Bevölkerung und wird ebenfalls mit diesem Problemfeld konfrontiert, der<br />

Kasernenzaun schützt uns nicht vor dieser Gefahr. Wichtig bei diesem Thema (das gilt natürlich auch für die oft<br />

nicht ernst genommene Droge Alkohol): Nehmen Sie sich Zeit für das eigene persönliche Umfeld und beobachten<br />

Sie dieses aufmerksam.<br />

Es folgen interessante Berichte zu den Themen Taktile Anzeigen, Vögel im Flugbetrieb und von einem (nicht)<br />

ganz normalen Tag in einem CRC.<br />

Der Sommer steht vor der Tür. Ich wünsche denen, die es betrifft, eine schöne Urlaubszeit, aus der Sie erholt<br />

um dann wieder frohen Mutes in Ihren Arbeitsbereich zurückkehren. Diejenigen, die die Stellung halten, fordere<br />

ich zu besonderer Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft auf. Für Sie wird in den nächsten zwei<br />

Monaten das Thema „Zeit“ eine besondere Qualität erhalten. Nicht nur Ihre eigenen Aufgaben gilt es zu bewältigen,<br />

sondern auch die Ihrer Kameraden im Urlaub. Nehmen Sie sich die Zeit zu priorisieren, umfangreich zu<br />

analysieren und den Überblick zu bewaren. In der Ruhe liegt die Kraft.<br />

Nehmen Sie sich jetzt die Zeit für Ihren Beitrag zur Flugsicherheit.<br />

In diesem Sinne, fly safe<br />

1


Flugsicherheit<br />

Eurocontrol<br />

Umsetzung von EUROCONTROL Safety<br />

Regulatory Requirements (ESARR) in<br />

die Bundeswehr<br />

Der nachfolgende Beitrag von<br />

Oberstleutnant Mennen ist der erste<br />

in einer Reihe von Berichten über<br />

sicherheitsrelevante Veränderungen<br />

im europäischen Luftverkehrsmanagement.<br />

Die im Artikel getroffenen<br />

Bewertungen geben ausschließlich die<br />

Meinung des Verfassers wieder.<br />

Allgemeines<br />

Als Romano Prodi 1999 Präsident<br />

der Europäischen Kommission wurde,<br />

benannte er zwei Bereiche, auf die<br />

seiner Meinung nach die Europäische<br />

Union (EU) verstärkt einwirken sollte,<br />

um den Bürgern Europas zu verdeutlichen,<br />

dass man sich ihrer Sorgen bewusst<br />

sei: die Sicherung einer gleich<br />

bleibenden Lebensmittelqualität und<br />

die Beseitigung des „Chaos in der<br />

Luft“.<br />

Auf die Bemühungen der EU hinsichtlich<br />

Lebensmittelqualität/-sicherheit<br />

wird in diesem Artikel nicht näher<br />

eingegangen, wohl aber auf die Sicherheit<br />

im Luftverkehr.<br />

Die EU hatte endlich begriffen, dass<br />

der Zersplitterung des europäischen<br />

Luftraums und der Uneinheitlichkeit<br />

der Verfahren und Zuständigkeiten<br />

ein Ende gesetzt werden muss, will<br />

man den Anforderungen an den beständig<br />

expandierenden Luftverkehr<br />

auch in Zukunft gerecht werden.<br />

Gleichzeitig galt und gilt es weiterhin,<br />

erkannte Sicherheitsmängel und -<br />

Gefahren zu beseitigen sowie trotz<br />

steigender Ölpreise die Kosten auf ein<br />

vernünftiges Level zu halten.<br />

Folglich haben die Verkehrsminister<br />

der EU im Jahr 2000 die Annahme der<br />

„ATM (Air Traffic Management) STRA-<br />

TEGY FOR THE YEAR 2000+“ beschlossen.<br />

Diese Strategie legt einheitliche<br />

Sicherheitsstandards und<br />

Verfahren für ein Risikomanagement<br />

mit dem Ziel einer Bewertung und<br />

Steigerung der Sicherheit und Effizienz<br />

im europäischen Luftverkehrsmanagement<br />

fest.<br />

EUROCONTROL Safety<br />

Regulatory Requirements<br />

(ESARR)<br />

Ausgehend von diesen Vorgaben<br />

hat EUROCONTROL unter Beteiligung<br />

der Mitgliedsländer Anforderungen<br />

für Sicherheitsstandards (ESARR) entwickelt.<br />

Diese betreffen alle drei<br />

Elemente des ATM-Systems:<br />

Personal, Verfahren und<br />

Ausrüstung.<br />

Im Rahmen des im Frühjahr 2004<br />

vom Europäischen Parlament gebilligten<br />

und in Kraft gesetzten Projektes<br />

SINGLE EUROPEAN SKY werden die<br />

ESARR wiederum in EU-Recht überführt.<br />

Die gesetzlichen<br />

Regelungen der EU sind<br />

für die Mitgliedsstaaten<br />

unmittelbar verbindlich.<br />

Nach Veröffentlichung<br />

sind die ESARR in der<br />

Regel innerhalb von drei<br />

Jahren umzusetzen<br />

(Ausnahme:<br />

ESARR 2).<br />

Diese für<br />

die zivile<br />

Seite<br />

geltenden<br />

ESARR<br />

sind<br />

2<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT


in unterschiedlicher Form und Ausprägung<br />

allerdings auch durch militärische<br />

ATM Service Provider zu beachten.<br />

Sie betreffen diese dann, wenn<br />

für zivile Luftfahrzeuge Dienste erbracht<br />

werden.<br />

Militärische Dienststellen, die ausschließlich<br />

für militärische Luftfahrzeuge<br />

in rein militärischen Lufträumen<br />

Dienste leisten, sind davon nicht betroffen.<br />

Sie sind aber eingeladen, die<br />

ESARR auf freiwilliger Basis zu erfüllen.<br />

BMVg hat angewiesen, die<br />

ESARR umzusetzen, sofern militärische<br />

Anforderungen dem nicht entgegenstehen.<br />

Begründet wird dies mit der engen<br />

Einbindung der militärischen Flugsicherung<br />

der Bundeswehr (MilFS) in<br />

das Gesamtsystem Flugsicherung, mit<br />

der teilweise vorhandenen Zuständigkeit<br />

für die Kontrolle zivilen Luftverkehrs<br />

(Stichworte: Durchlässigkeit<br />

militärisch genutzter Lufträume und<br />

zivile Mitnutzung von Militärflugplätzen)<br />

und nicht zuletzt mit der Schaffung<br />

einer harmonisierten Grundlage<br />

für den Einsatz der MilFS in Krisenszenarien<br />

im Ausland bzw. im Verbund<br />

mit anderen Streitkräften.<br />

Derzeit wird durch das Amt für<br />

Flugsicherung der Bundeswehr<br />

(AFSBw) geprüft, welche Bereiche der<br />

Streitkräfte in welcher Weise von der<br />

Umsetzung der ESARR betroffen sind.<br />

Neben den hier vorgestellten ESARR<br />

ist zudem eine ESARR in Vorbereitung,<br />

die sich mit den Anforderungen<br />

an Global Navigation Satellit<br />

Systems (GNSS) befasst. Außerdem ist<br />

daran gedacht, eine weitere ESARR zu<br />

entwickeln, die auf die Systeme, das<br />

operationelle Management sowie auf<br />

die verfahrenstechnischen Aspekte<br />

von ATM abzielt.<br />

Umsetzung in der<br />

Bundeswehr<br />

Nachfolgend wird erläutert, in wieweit<br />

ESARR auch die MilFS betreffen.<br />

Ferner wird der Stand der Umsetzung<br />

in der Bundeswehr dargestellt.<br />

Die Nummerierung der ESARR’s ist<br />

etwas irreführend. Die wichtigste und<br />

daher auch als Erste veröffentlichte<br />

ESARR ist zweifelsohne die ESARR 3<br />

„Use of Safety Management Systems<br />

by ATM Service Providers“. Sie<br />

beschreibt die Sicherheitsarchitektur,<br />

die ATM - Organisationen einzunehmen<br />

haben (s. Abbildung Seite 4)<br />

Übersicht über derzeit vorhandene ESARR<br />

ESARR Title Released Implementation Date(s)<br />

ESARR 1 Safety Oversight in ATM 05.11.2004 05.11.2007<br />

ESARR 2 Reporting & Assessment 03.11.2000 01.01.2000 (Phase 1)<br />

of Safety Occurrences in ATM 01.01.2001 (Phase 2)<br />

01.01.2002 (Phase 3)<br />

ESARR 3 Use of Safety Management 13.07.2000 13.07.2003<br />

Systems by ATM Service Providers<br />

ESARR 4 Risk Assessment and Mitigation 05.04.2001 05.04.2004<br />

in ATM<br />

ESARR 5 Safety Regulatory Requirements 10.11.2000 10.11.2003 (ATCO&Gen.)<br />

for ATM Services Personnel<br />

11.04.2005 (ATSEP)<br />

ESARR 6 Software in ATM systems 06.11.2003 06.11.2006<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT 3


Flugsicherheit<br />

ter Zwang zur<br />

Anwendung für<br />

die Bundeswehr<br />

ergibt, empfiehlt<br />

es sich wegen<br />

der oben beschriebenen<br />

Einbindung<br />

der<br />

MilFS in das Gesamtsystem<br />

Flugsicherung<br />

und<br />

der praktizierten<br />

Dienstleistung<br />

für zivile Luftfahrzeuge<br />

die<br />

ESARR 3 in Gänze<br />

umzusetzen.<br />

Elemente von<br />

ESARR 3 sind<br />

zweifelsohne<br />

bereits jetzt in<br />

der MilFS vorhanden,<br />

jedoch<br />

gibt es kein zusammenhängendes,<br />

alle Aspekte<br />

abdeckendes<br />

Konzept. Die<br />

Umsetzung von<br />

ESARR 3 wird anfänglich mit einem<br />

hohen organisatorischen Aufwand<br />

verbunden sein, zudem erwachsen<br />

daraus möglicherweise auch personelle<br />

Mehrforderungen (zumindest die<br />

Wahrnehmung von Zweitfunktionen).<br />

So ist z.B. für jede FS-Dienststelle ein<br />

Safety Manager zu benennen.<br />

Dennoch halte ich den Mehraufwand<br />

für absolut berechtigt, weil der<br />

ganzheitliche Ansatz Schwachstellen<br />

im Air Traffic Management klarer als<br />

bislang erkennen lassen wird.<br />

Als nächstes wurde im November<br />

2000 die ESARR 2 „Reporting and<br />

Assessment of Safety Occurences in<br />

ATM“ veröffentlicht. Sie befasst sich<br />

mit der Meldung und Bewertung von<br />

sicherheitsrelevanten Vorfällen im<br />

Luftverkehrs-Management. Zur Erreichung<br />

eines beständig hohen<br />

Sicherheitsstands im (europäischen)<br />

Luftverkehr ist es erforderlich, harmo-<br />

Die Einführung eines formalen<br />

Safety Management Systems (SMS)<br />

wird als zentrales Schlüsselkonzept für<br />

eine Verbesserung der Sicherheit im<br />

Luftverkehrs-Management angesehen.<br />

Im Vergleich zu den kürzlich von<br />

der ICAO im Annex 11 (und Doc.<br />

4444 PANS-RAC) veröffentlichten<br />

ATM-Sicherheitskonzepten, die nur<br />

einige wenige ausgesuchte Einzelaspekte<br />

beschreiben, handelt es sich<br />

bei ESARR 3 um ein gut durchdachtes<br />

Rahmengebilde, das ausgehend von<br />

einer Safety Policy alle sicherheitsrelevanten<br />

Aspekte des Luftverkehrsmanagements<br />

umfassend abbildet.<br />

Diese ESARR ist gemäß Ziffer 3 von<br />

allen ATM- Dienstleistungsunternehmen<br />

umzusetzen „that fall within the<br />

jurisdiction of the national ATM safety<br />

regulatory body“.<br />

Auch wenn sich aus diesem Text<br />

nach meiner Einschätzung kein direknisierte<br />

Melde- und Bewertungsschemata<br />

für sicherheitsrelevante Vorfälle<br />

einzuführen. Nur so ist eine systematische<br />

Erkennbarkeit von Vorfällen<br />

und deren Ursachen sowie die Einleitung<br />

von Korrekturmaßnahmen auf<br />

breiter Ebene möglich. ESARR 2 ist u.<br />

a. bei allen sicherheitsrelevanten Vorfällen<br />

anzuwenden, bei denen militärische<br />

FS-Stellen oder Stellen des<br />

Einsatzführungsdienstes Dienste für<br />

zivile Luftfahrzeuge geleistet haben<br />

(vergl. Ziffer 3.3). Auf freiwilliger Basis<br />

können auch die Vorkommnisse gemeldet<br />

werden, die ausschließlich und<br />

gleichzeitig eine Kombination von<br />

militärischen Luftfahrzeugen und militärischen<br />

Dienstleistern betreffen.<br />

Weiterhin sind alle sicherheitsrelevanten<br />

Vorfälle zu erfassen, bei denen<br />

zivile FS-Stellen für zivile und/oder<br />

militärische Luftfahrzeuge Dienste geleistet<br />

haben.<br />

ESARR 2 wird bereits teilweise<br />

durch die Bundeswehr umgesetzt. Gemeldete<br />

Vorfälle werden durch LwA<br />

AbtFlBtrbBw untersucht und durch<br />

die zivil-militärisch zusammengesetzte<br />

AIRPROX EVALUATION GROUP<br />

(APEG) klassifiziert. Die relevanten<br />

Vorfälle werden jährlich an EURO-<br />

CONTROL weitergemeldet.<br />

Allerdings leidet die Aussagekraft<br />

der Meldungen derzeit allgemein noch<br />

an der hohen Dunkelziffer, d.h. es<br />

wird nur ein geringer Teil der Vorfälle<br />

bekannt und bearbeitet, so dass allgemeine<br />

Trends und übergreifende<br />

Problemstellen nur schwer zu identifizieren<br />

sind.<br />

Kurz nach der ESARR 2 wurde die<br />

ESARR 5 „ATM Services Personnel“<br />

verabschiedet, die sich mit den<br />

Anforderungen an das Personal der<br />

Luftverkehrsmanagement-Dienste befasst<br />

(sie betraf zunächst nur das<br />

Flugverkehrskontrollpersonal, jetzt<br />

auch die FS-Techniker. Leider ist das<br />

Flugberatungspersonal derzeit noch<br />

nicht ausdrücklich angesprochen).<br />

Diese EUROCONTROL-Anforderung<br />

ist aus der Notwendigkeit entstanden,<br />

4 II/2005 FLUGSICHERHEIT


die Richtlinien und Empfehlungen des<br />

ICAO-Anhangs 1 zu ergänzen und<br />

dafür zu sorgen, dass bei Erlaubnisscheinen<br />

bzw. Befähigungszeugnissen<br />

die Sicherheitsaspekte in größerem<br />

Maße mit den im Bereich der EURO-<br />

PEAN CIVIL AVIATION CONFERENCE<br />

(ECAC) zur Verfügung gestellten Flugverkehrskontrolldiensten<br />

in Einklang<br />

stehen.<br />

Die Befähigung des ATM-Personals<br />

und ggf. die Erfüllung der medizinischen<br />

Anforderungen stellen grundlegende<br />

Aspekte der Herstellung von<br />

Sicherheit im Luftverkehrsmanagement<br />

dar. Die Anwendung der EURO-<br />

CONTROL-Sicherheitsanforderungen<br />

in diesem Bereich zielt darauf ab, auf<br />

harmonisierter Basis Mindestwerte in<br />

Bezug auf die Befähigung und<br />

Leistungsfähigkeit des mit sicherheitsrelevanten<br />

Aufgaben im Flugverkehrsmanagement<br />

betrauten Personals<br />

festzulegen. Unter Befähigung ist in<br />

diesem Zusammenhang das Vorhandensein<br />

von Wissen, Fertigkeiten, Erfahrungen<br />

und, falls erforderlich, englischen<br />

Sprachkenntnissen zur sicheren<br />

und effizienten Durchführung von<br />

ATM-Dienstleistungen zu verstehen.<br />

BMVg Fü L III 4 hat in Abstimmung<br />

mit BMVBW bereits im Januar 2001<br />

die Umsetzung der Vorgaben von<br />

ESARR 5 für das ATM-Personal, das<br />

mit sicherheitsrelevanten Aufgaben<br />

betraut ist, festgelegt.<br />

Die zwischenzeitlich durch das<br />

AFSBw in der BesAnMilFS 5-100 für<br />

das Flugverkehrskontrollpersonal vorgegebenen<br />

Verfahren gehen sogar<br />

über die ursprünglichen Forderungen<br />

hinaus. Die Umsetzung ist in den<br />

Verbänden weitestgehend erfolgt.<br />

Obwohl in der ESARR 5 nicht ausdrücklich<br />

angesprochen, sind seit dem<br />

15. November 2004 auch für das<br />

Flugberatungspersonal der Bundeswehr<br />

entsprechende Regelungen für<br />

den Erwerb von Erlaubnissen und<br />

Berechtigungen in Kraft. Im nächsten<br />

Schritt werden die FS-Techniker eingebunden.<br />

ESARR 4 „Risk Assessment and<br />

Mitigation in ATM” behandelt die<br />

Nutzung der Risikobewertung und<br />

Risikoreduzierung einschließlich der<br />

Bestimmung von Gefährdungen im<br />

Luftverkehrsmanagement bei der<br />

Einführung und/oder Planung von<br />

Änderungen im System des Luftverkehrsmanagement<br />

(unter Berücksichtigung<br />

ihrer Bestandteile in der<br />

Luft und am Boden). Sie begründet<br />

sich in der zunehmenden Integration<br />

des Luftverkehrsmanagements über<br />

Ländergrenzen hinweg sowie dessen<br />

beständig wachsende Automatisierung<br />

und Komplexität, die einen<br />

systematischen und gut strukturierten<br />

Ansatz für die Risikobewertung und –<br />

reduzierung erfordert.<br />

Dieses Requirement deckt die<br />

Bereiche Personal, Verfahren und<br />

Ausrüstung (Hardware, Software) des<br />

Luftverkehrsmanagements sowie<br />

seine Betriebsumgebung ab. Es befasst<br />

sich jedoch nicht mit der Bewertung<br />

der Einführung und/oder<br />

Planung von Änderungen der Organisation<br />

oder des Managements der<br />

Bereitstellung von Luftverkehrsmanagement-Diensten<br />

(diese sind in ESARR<br />

3 abgebildet).<br />

Gemäß Ziffer 3.2 der ESARR 4 gelten<br />

deren Bestimmungen auch für<br />

militärische ATM- Dienstleister, sofern<br />

sie nicht nur und ausschließlich<br />

militärische Luftfahrzeuge in abgegrenzten<br />

militärischen Lufträumen<br />

kontrollieren.<br />

Sie werden von der MilFS bei<br />

Einführung von neuen oder Änderung<br />

von bestehenden Systemen grundsätzlich<br />

beachtet. Es ist jedoch zu prüfen,<br />

ob die Anforderungen in Gänze<br />

erfüllt werden.<br />

ESARR 6 „Software in ATM-systems“<br />

beschreibt die Requirements,<br />

die sicher stellen sollen, dass die mit<br />

der Nutzung von Software in sicherheitsrelevanten,<br />

bodengebundenen<br />

ATM- Systemen verbundenen Risiken<br />

auf ein tolerierbares Niveau reduziert<br />

werden. Sie ist letztlich eine Erweiterung<br />

und Spezifizierung der ESARR 4<br />

in Hinblick auf die Nutzung von Software<br />

im Luftverkehrsmanagement.<br />

Zur Anwendbarkeit wird lediglich ausgesagt<br />

„The ATM service-provider<br />

shall provide the required assurances,<br />

to the Designated Authority, that the<br />

requirements in section 1.2 above<br />

have been satisfied”.<br />

Auch hier ist zu prüfen, in wieweit<br />

die Anforderungen durch Bundeswehr-Dienststellen<br />

zu erfüllen sind<br />

und, falls zutreffend, ob sie erfüllt<br />

werden.<br />

ESARR 1 „SAFETY OVERSIGHT IN<br />

ATM“ ist im November 2004 verabschiedet<br />

worden. Sie enthält harmonisierte<br />

Vorgaben für nationale<br />

Aufsichts- und Regulierungsbehörden<br />

hinsichtlich der Zertifizierung und<br />

Überwachung (Safety Oversight) von<br />

ATM- Dienstleistern.<br />

Zwei Hauptprozesse bilden den<br />

Kern von ESARR 1. Ein safety regulatory<br />

audit bietet die Möglichkeit<br />

objektive Beweise darüber zu erhalten,<br />

ob die von der Regulierungsbehörde<br />

vorgegebenen Sicherheitsanforderungen<br />

erfüllt werden. Des weiteren<br />

wird beschrieben, wie hinsichtlich<br />

der Einführung von neuen Systemen<br />

oder Änderung von Systemen<br />

zu verfahren ist.<br />

ESARR 1 zielt auch auf militärische<br />

ATM-Provider (vergl. Objective im Text<br />

Teil B.1.c.iii: „enabling joint civil / military<br />

initiatives with regard to ATM<br />

safety oversight in accordance with<br />

the existing regulatory framework”).<br />

Wenngleich die Bundeswehr mit<br />

den von GenFlSichhBw durchgeführten<br />

Flugsicherheitsinspizierungen ein<br />

gut etabliertes System hat, sollte dennoch<br />

in Verbindung mit ESARR 3<br />

überprüft werden, ob der bisherige<br />

Ansatz ausreichend ist. Zudem ist die<br />

FS-Technik in die Überprüfungen einzubeziehen.<br />

<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

5


Flugsicherheit<br />

Eine verpasste Gelegenhe<br />

von Major Ted Lee,<br />

Flugsicherheitsoffizier am Standort<br />

Borden<br />

Übersetzung vom Sprachendienst<br />

LwA<br />

Heutzutage wird man<br />

mit einer Menge unnötiger<br />

und störender Informationen<br />

überschüttet,<br />

wobei Luftfahrzeugbesatzungen<br />

wahrscheinlich<br />

noch mehr davon<br />

betroffen sind als die<br />

meisten. Ich vermute<br />

deshalb, dass die meisten<br />

Luftfahrzeugbesatzungen<br />

zum eigenen<br />

Schutz ein recht engmaschiges<br />

Filtersystem entwickelt<br />

haben, damit<br />

beim Umgang mit<br />

Belanglosem die wichtigen<br />

Dinge nicht aus den<br />

Augen verloren gehen.<br />

Flugsicherheitsoffiziere sollten sich<br />

dieser Tatsache beim Verfassen von<br />

Zwischenfallberichten bewusst sein,<br />

da die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit<br />

des Lesers zu gewinnen, begrenzt<br />

ist und, wenn sie nicht genutzt wird,<br />

wahrscheinlich auch nicht wiedergewonnen<br />

werden kann. In diesem Fall<br />

geht der wichtigste Grund für<br />

Zwischenfallberichte verloren.<br />

Als Beispiel sollen die folgenden<br />

Auszüge aus dem nachstehend geschilderten<br />

Griffon (Bell Modell 412<br />

HP)-Zwischenfall (Nr. 08) dienen, bei<br />

dem es um das Auftreten einer Überdrehzahl<br />

des Rotors in Bosnien geht.<br />

Beschreibung:<br />

Vermutliche Überdrehzahl des<br />

Hauptrotors<br />

Die Luftfahrzeugbesatzung flog mit<br />

80 - 100 Knoten, etwa 500 Fuß über<br />

Grund (AGL). Das Luftfahrzeug flog<br />

mit einem Schiebewinkel von 45 Grad<br />

nach rechts bei 65 Knoten Windgeschwindigkeit<br />

mit Böen bis zu 85 Knoten<br />

(60 G85 kn), als es zu starken<br />

Turbulenzen kam. Das Luftfahrzeug<br />

gierte bis auf 90 Grad<br />

und es wurden<br />

Steig- und<br />

Sinkraten von 1.000 bis 1.500<br />

Fuß pro Minute erreicht. Dabei wurde<br />

eine Hauptrotordrehzahl (RRPM) von<br />

106 Prozent, das Aufleuchten der<br />

Warnleuchte „RRPM“ und der Anzeige<br />

für Steuerknüppel in Neutralstellung<br />

beobachtet. Die starken<br />

Turbulenzen dauerten nahezu<br />

eine Minute, ehe die Besatzung<br />

in ruhigere Luft kam und auf<br />

dem nächstgelegenen Landeplatz,<br />

ohne weitere Zwischenfälle,<br />

sicher landen konnte.<br />

Untersuchung:<br />

Nach der Landung lud<br />

die Besatzung die Daten<br />

aus dem Luftfahrzeug-<br />

Lebensdauerüberwachungssystem<br />

herunter.<br />

Es waren keine<br />

Überdrehzahlzustände<br />

aufgezeichnet worden. Die<br />

Besatzung führte eine umfangreiche<br />

Vorfluginspektion durch<br />

und flog ohne weitere Zwischenfälle<br />

zu ihrem Stützpunkt zurück.<br />

Ursachenfaktoren:<br />

Umwelt - Wetter - starke und böige<br />

Winde führten zu einer schnellen<br />

Erhöhung der Hauptrotordrehzahl.<br />

Vorbeugende Maßnahmen:<br />

Unterweisung aller Luftfahrzeugbesatzungen.<br />

Was mich hier stört, ist die falsche<br />

Anwendung des Ursachenfaktors Umweltbedingungen.<br />

Bei einem anderen<br />

abgeschlossenen<br />

Zwischenfall<br />

zerbrach ein Fenster, als eine<br />

Windböe die offene und unbeaufsichtigte<br />

Tür auf der Pilotenseite zuschlug<br />

und als alleiniger Ursachenfaktor<br />

Umwelt/Wind angegeben wurde.<br />

Ich fragte mich dennoch, wer<br />

wohl die Tür offen gelassen hatte? Im<br />

oben genannten Fall stellte ich schnell<br />

fest, dass der gesamte Zwischenfall<br />

den tatsächlich vorhandenen starken<br />

und böigen Winden zugeschrieben<br />

wurde. Man muss jedoch ein wenig<br />

tiefer graben und andere Möglichkeiten<br />

ausschließen, bevor man sich<br />

die „Umwelt“ als Ursachenfaktor festlegen<br />

kann.<br />

A-GA-135 besagt: „Umweltursachen<br />

sind nur bei solchen Ereignissen<br />

anzuführen, bei denen<br />

angemessene und sinnvolle<br />

Sorgfalt und<br />

ange-<br />

Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />

6 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Bereich Umwelt als Ursachenfaktor<br />

anzufreunden, kam ich jedoch nur bis<br />

zu dem Satz: „Welche Wetterinformationen<br />

hatte die Besatzung?“, als<br />

einer der am Briefing beteiligten<br />

Luftfahrzeugführer<br />

mich unterbrach<br />

und sich<br />

als der besagte verantwortliche<br />

Luftfahrzeugführer zu<br />

erkennen gab. Die Geschichte, die er<br />

uns erzählte, war zum Weinen. Was<br />

nun folgt ist die Schilderung des<br />

Vorfalls, den er später als Geschichte<br />

unter dem Titel „Bockiger Ritt“ zu<br />

Papier brachte, der der Geschichte<br />

jedoch kaum gerecht wird. Lesen Sie<br />

weiter, um zu erfahren, was der<br />

Luftfahrzeugführer zu erzählen hat:<br />

„Im Februar 2003 wurde unsere<br />

Staffel zur Unterstützung der<br />

multinationalen Division Nordwest<br />

nach Banja Luka, Bosnien<br />

verlegt. Im Wesentlichen fungierten<br />

wir als Taxiservice für<br />

VIPs. Der Tag begann wie jeder<br />

andere in Banja Luka. Wir erhielten<br />

unseren Flugauftrag am Vorabend.<br />

Dieses Mal sollten wir unseren VIP<br />

nach Sarajevo fliegen und zwei weitere<br />

Personen nach Bugojno, einer Basis<br />

der Niederländer auf halben<br />

Weg nach Sarajevo,<br />

jedoch etwas ab vom<br />

Kurs und im nächsten Tal<br />

gelegen. Um 06.30 Uhr<br />

waren Wetterinformationen<br />

eingeholt worden, da bei schlechtem<br />

Wetter eine lange Autofahrt notwendig<br />

gewesen wäre. Wie immer<br />

war das Wetter alles andere als ideal.<br />

Die Wolkenuntergrenzen waren so,<br />

dass man es gerade noch über die auf<br />

der Strecke nach Sarajevo liegenden<br />

Berge schaffen konnte. Unsere größte<br />

Aufmerksamkeit galt jedoch den vorhergesagten<br />

Winden - starke Turbulenzen<br />

in den Bergen, auf die wir erst<br />

gegen Ende unseres Einsatzes stoßen<br />

sollten. Trotzdem beschloss ich, den<br />

Einsatz wegen der relativ niedrigen<br />

Wolkenuntergrenze, der starken Tur-<br />

it<br />

messene und sinnvolle Vorsichtsmaßnahmen<br />

geübt wurden. Sinnvolle<br />

Vorsichtsmaßnahmen beinhalten<br />

unter anderem die umfassende Nutzung<br />

von Wetterinformationen etc.<br />

Ich fragte mich sofort, welche<br />

Wettervorhersageinformationen die<br />

Besatzung hatte. Dem Untersuchungsbericht<br />

war hierzu<br />

nichts zu entneh- men, 65G85<br />

Knoten entste- hen jedoch<br />

nicht so einfach aus dem<br />

Nichts, sodass es<br />

mehrere<br />

Möglichkeiten gab.<br />

Mindestens drei davon<br />

waren:<br />

• Es stand keine Gebietsvorhersage<br />

zur Verfügung,<br />

• die Besatzung befand sich an einem<br />

dislozierten Standort und konnte<br />

die Wettervorhersage nicht einholen<br />

oder<br />

• die Wettervorhersage wurde von<br />

der Besatzung nicht überprüft.<br />

Nach der Lektüre dieses Zwischenfalls<br />

hatte ich zwar mehr Argumente<br />

für mein Anliegen, jedoch unzureichende<br />

Erkenntnis darüber, was<br />

tatsächlich geschehen<br />

war. Routinemäßig<br />

nehme ich Einsicht in alle<br />

Griffon-Zwischenfälle und bespreche<br />

gelegentlich die Fälle von „großem<br />

Interesse“ beim morgendlichen Einsatzbriefing<br />

der 400. Staffel. An dem<br />

Tag, als ich diesen Bericht erwähnte<br />

und gerade dabei war, mich mit dem<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

7


Flugsicherheit<br />

geschwindigkeit von 60G85 Knoten<br />

an und wir flogen mit einer Geschwindigkeit<br />

über Grund von etwa<br />

60 Knoten. Sogleich unterrichtete ich<br />

unseren VIP, dass wir aufgrund der<br />

Winde einen Tankstopp in Bugojno<br />

einlegen müssten. Soweit keine Beschwerden.<br />

Um von Banja Luka nach<br />

Bugojno zu gelangen, mussten wir ein<br />

kurzes Stück von etwa 15 bis 20<br />

Meilen durch eine Bergkette fliegen.<br />

Als wir in ein Tal einbogen und der<br />

Wind genau von der Seite kam, bekamen<br />

wir die Turbulenzen zum ersten<br />

Mal so richtig zu spüren. Es war<br />

schlimm, aber zu dieser Zeit noch<br />

nicht zu extrem.<br />

Unser zweiter Fehler war, den Flug<br />

fortzusetzen. Nun trafen wir auf heftige<br />

Turbulenzen, die uns mit abwechselnden<br />

Steig- und Sinkraten von<br />

2000 ft/min auf- und abwärts schleuderten.<br />

Der Hubschrauber flog bereits<br />

mit einem Schiebewinkel von 45 Grad<br />

nach rechts und wurde um 90 Grad<br />

vom Kurs gedrängt. Um den Rotor<br />

während der rapiden Wechsel auf<br />

dem Variometer unter Kontrolle zu<br />

halten, musste ich den Blattverstellhebel<br />

anziehen. Unglücklicherweise<br />

befand sich die Wolkenuntergrenze<br />

nur ein paar hundert Fuß über uns<br />

und kam näher. Es gelang uns die<br />

Steigfluggeschwindigkeit zu stabilisieren,<br />

jedoch nur auf Kosten einer<br />

Rotor-Überdrehzahl. Nachdem alle<br />

Besatzungsmitglieder die Situation mit<br />

ein paar kräftigen Bemerkungen gewürdigt<br />

hatten, gelang es mir, uns tief<br />

und nah genug zu einem Berg zu<br />

steuern, sodass die Turbulenzen etwas<br />

abflauten und eine Notlandung in<br />

Novi Travnik, einem niederländischen<br />

Lazarett, durchzuführen. Nachdem<br />

wir einige Stunden am Boden verbrachten,<br />

um unsere Fassung wiederzugewinnen<br />

und nach mehreren Telefonaten<br />

und Inspektionen, waren wir<br />

in der Lage, den Hubschrauber wieder<br />

nach Banja Luka zu fliegen, wobei wir<br />

möglichst tief flogen, um den<br />

schlimmsten Winden aus dem Weg<br />

bulenzen und der bekannten Abneigung<br />

unseres Passagiers gegen das<br />

Fliegen abzusagen. Kein Problem. Wie<br />

erwartet wurden wir gefragt, ob wir<br />

den VIP wenigstens bis Bugojno bringen<br />

könnten, das auf halber Strecke<br />

lag. Da ich immer noch bemüht war,<br />

mit meinen anderen beiden Passagieren<br />

dorthin zu gelangen, erwiderte<br />

ich, dass dies kein Problem sein<br />

dürfte, er aber mit einem sehr turbulenten<br />

Flug rechnen müsse. Er war<br />

dennoch erfreut, da die Autofahrt<br />

nun um die Hälfte kürzer würde.“<br />

(Anmerkung von Major Lee: So weit,<br />

so gut. Die Entscheidung zu fliegen<br />

basierte darauf, dass der Einsatz kürzer<br />

war und die Möglichkeit bestand,<br />

den Auftrag vor dem Einsetzen der<br />

vorhergesagten starken Turbulenzen<br />

abzuschließen). Zufälligerweise hatte<br />

es eine mit Wetterradar ausgestattete<br />

slowenische Bell 412 (eine zivile Griffon)<br />

eine halbe Stunde vor unserer<br />

Abflugzeit von Sarajevo kommend<br />

geschafft und der VIP hatte davon<br />

Wind bekommen. Als wir ankamen,<br />

um ihn und die beiden anderen Passagiere<br />

abzuholen, erklärte er, er wolle<br />

doch versuchen bis Sarajevo zu kommen,<br />

da er dort an einer sehr wichtigen<br />

Besprechung teilnehmen müsse.<br />

Ich erläuterte ihm unsere wetterbedingten<br />

schlechten Erfolgsaussichten<br />

und teilte ihm mit, dass mein<br />

Einsatzauftrag nun laute, die beiden<br />

anderen Passagiere nach Bugojno zu<br />

bringen. Im Wesentlichen erwiderte er<br />

darauf, seine Person gehe vor und<br />

alles andere müsse warten.<br />

Hier beging ich meinen größten<br />

Fehler. Ich gab nach und willigte ein,<br />

es zu versuchen, warnte ihn aber, dies<br />

werde ein turbulenter Flug und ich<br />

könne ihm nicht versprechen, dass wir<br />

es schaffen würden. Die beiden niederländischen<br />

Passagiere waren nicht<br />

allzu glücklich, flogen jedoch mit, in<br />

der Hoffnung Bugojno auf dem Rückflug<br />

zu erreichen.<br />

Nach dem Start zeigte unser Avionik-Management-System<br />

eine Windzu<br />

gehen. Zum Vergleich: wir brauchten<br />

90 Minuten bis nach Novi Travnik<br />

und weniger als 20 Minuten für den<br />

Rückflug.<br />

An diesem Tag lernte ich eine ganze<br />

Menge. Die erste Lektion war, meine<br />

Entscheidung bezüglich des Wetters<br />

nie im Nachhinein anzuzweifeln. Die<br />

Zweite war, mich nicht bei schlechten<br />

oder unsicheren Bedingungen zu<br />

einem Flugeinsatz, zumindest nicht zu<br />

einem unwichtigen, drängen zu lassen.<br />

Nebenbei bemerkt: auch der VIP-<br />

Passagier räumte ein, an diesem Tag<br />

seine Lektion gelernt zu haben. Er<br />

wird die Entscheidung eines Luftfahrzeugführers<br />

aufgrund von Wetterbedingungen<br />

(genauer gesagt: aufgrund<br />

von Turbulenzen) nie wieder in<br />

Frage stellen.“<br />

Die aus diesem Zwischenfall abzuleitende<br />

Präventivmaßnahme lautete:<br />

„Alle Luftfahrzeugbesatzungen sind<br />

zu informieren“. Von dieser Geschichte<br />

erfuhren die Piloten in Bosnien,<br />

darüber hinaus jedoch niemand.<br />

Dies war ein erhebliches Versäumnis<br />

insbesondere in Bezug auf die übrigen<br />

Griffon-Piloten, und ganz allgemein in<br />

Bezug auf alle Piloten. Was immer<br />

noch gesagt werden könnte, wäre der<br />

Sache nicht dienlich. Es genügt wohl,<br />

zu sagen, dass die Gelegenheit, diesen<br />

Zwischenfall dazu zu nutzen eine<br />

wichtige Botschaft an alle Piloten weiter<br />

zu geben, aus welchen Gründen<br />

auch immer, verpasst wurde. Sorgen<br />

Sie dafür, dass Sie Ihre Gelegenheiten<br />

nicht verpassen.<br />

<br />

Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />

8 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Vielleicht fand vor<br />

geraumer Zeit in einer<br />

Firma, die Fallschirme<br />

herstellt, eine angeregte<br />

und der eigentlichen<br />

Aufgabenerfüllung nicht<br />

sehr dienliche Unterhaltung<br />

zwischen zwei<br />

Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen<br />

(Näherinnen)<br />

statt und eine/<br />

einer der Beteiligten vergaß<br />

einen kleinen<br />

Arbeitschritt bei der<br />

Fertigung eines Fallschirmes<br />

für das Unbemannte<br />

Luftfahrzeug<br />

CL-289.<br />

Es gibt nichts,<br />

was es nicht<br />

gibt! von<br />

Stabsfeldwebel Wilhelm Hiller, ArtAufklBtl 121<br />

Ein unbedeutender Vorgang – sollte<br />

man meinen – geht man davon<br />

aus, dass ein derartig wichtiges<br />

System aufgrund seiner Bedeutung<br />

beim Flugbetrieb im Herstellungsgang<br />

mehrfach vor seiner Auslieferung an<br />

den Verbraucher kontrolliert wird, um<br />

Fertigungsmängel auszuschließen.<br />

Doch in diesem Falle sollte der<br />

Fehler bei keiner weiteren Firmenkontrolle<br />

entdeckt werden. Der fehlerhafte<br />

Fallschirm wanderte also in<br />

ein Depot und wartete dort einige<br />

Jahre auf seinen Einsatz.<br />

Im Jahre 2004 war es dann soweit.<br />

Eine Drohneneinheit aus Baden-<br />

Württemberg entschloss sich im<br />

Rahmen seiner Ausbildung zu einem<br />

Flugvorhaben. Für das Ausbildungsvorhaben<br />

wurde u.a. besagter Fallschirm<br />

zeitgerecht zur Verfügung<br />

gestellt. Er wurde seiner sicheren<br />

Verpackung entnommen, um auf<br />

dem Truppenübungsplatz Bergen in<br />

einer Drohne CL-289 zum Einsatz zu<br />

kommen.<br />

Vorher musste er jedoch systemtypisch<br />

noch mit dem Fallschirmraumdeckel<br />

der für den Einsatz vorgesehenen<br />

Drohne verbunden werden. Eine<br />

Montage, die von einem erfahrenen<br />

Mechaniker durchgeführt und von<br />

einem Luftfahrzeugnachprüfer kontrolliert<br />

wird.<br />

In unserem Falle war an dieser Stelle<br />

zufällig ein Nachprüferanwärter (unter<br />

Aufsicht des verantwortlichen Luftfahrzeugnachprüfers)<br />

im Rahmen seiner<br />

Ausbildung tätig.<br />

Die vorgeschriebene Nachprüftätigkeit<br />

beim Einbau des Fallschirms verlief<br />

ohne Beanstandung. Auch der<br />

erfahrene Nachprüfer konnte bei der<br />

Leinenmontage des Fallschirmes keine<br />

Mängel feststellen. Alle vorgeschriebenen<br />

Tätigkeiten wurden ordnungsgemäß<br />

durchgeführt und doch wollte<br />

das Bild, welches sich dem erfahrenen<br />

Nachprüfer bot, nicht in die Vielzahl<br />

von Bildern einer ordnungsgemäßen<br />

Montage passen. Irgendetwas störte<br />

ihn an dem was er sah und ließ ihn<br />

stutzig werden.<br />

Es fehlte etwas und plötzlich fiel es<br />

ihm wie Schuppen von den Augen:<br />

!!! Die “Leinenvernähung (Farbe)“<br />

fehlt!!! (siehe Bild).<br />

Ein fataler Mangel, der bei Verwendung<br />

dieses Fallschirms zwangsläufig<br />

zum Totalverlust des Luftfahrzeuges<br />

bei der Landung geführt<br />

hätte.<br />

Dem Nachprüferanwärter in der<br />

Ausbildung gab man mit auf den<br />

Weg:<br />

„Das nächste Mal sitzt der Fehler<br />

bestimmt an einer ganz anderen<br />

Stelle“ und „Es gibt nichts, was es<br />

nicht gibt“.<br />

<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

9


Flugsicherheit<br />

Die Gefahr, „high“ zu<br />

sein, ohne zu fliegen<br />

von Frederick V. Malmstrom, Dr.<br />

phil., USAF Academy<br />

Unsere Streitkräfte greifen hart<br />

durch, wenn es um Drogenmissbrauch<br />

geht.<br />

Als ich meine Arbeit zur Erforschung<br />

der Geschichte einer Straßendroge mit<br />

der Bezeichnung „Ecstasy“ aufnahm,<br />

war meine erste Reaktion „Oh mein<br />

Gott, nicht noch einmal so etwas!“ Als<br />

klinischer Psychologe im Strafvollzug<br />

mit zehnjähriger Erfahrung habe ich<br />

erlebt, dass es im Grunde genommen<br />

nichts gibt, was sich die Menschen in<br />

dem endlosen Verlangen, sich in einen<br />

Rausch zu versetzen, nicht in irgendeine<br />

Körperöffnung stecken, darin<br />

baden oder sich in die Venen spritzen.<br />

Ich hatte einmal einen Patienten, der<br />

sich Erdnussbutter injizierte und deswegen<br />

drei Finger wegen Gewebsnekrose<br />

verlor.<br />

Ecstasy ist inzwischen eine<br />

Kultur.<br />

Ecstasy ist jedoch keine gewöhnliche<br />

Straßendroge - es ist eine Kultur. Diese<br />

Droge verdient besondere Erwähnung,<br />

wenn auch nur aus dem einzigen<br />

Grund, dass es unlängst leider sowohl<br />

die United States Military Academy<br />

(USMA) als auch die United States Air<br />

Force Academy (USAFA) für erforderlich<br />

hielten, mehrere Kadetten wegen<br />

Missbrauchs dieser Droge vor ein<br />

Kriegsgericht zu stellen, aus dem<br />

Dienst zu entlassen oder zur Strafe in<br />

das Militärgefängnis in Leavenworth zu<br />

schicken. Jawohl, unsere Streitkräfte<br />

greifen hart durch, wenn es um<br />

Drogenmissbrauch geht.<br />

Ich war erstaunt, als ich feststellte,<br />

dass die beliebteste Variante von<br />

Ecstasy (Methylenedioxymethamphetamin<br />

oder kurz MDMA, falls Sie<br />

jemals danach gefragt werden sollten)<br />

bereits 1912 erstmals in Deutschland<br />

als Appetitzügler synthetisch hergestellt<br />

und patentiert wurde. Die US-<br />

Drogenbekämpfungsbehörde stufte<br />

jedoch MDMA erst am 1. Juli 1985 als<br />

eine besonders überwachte Substanz<br />

(Schedule 1 Controlled Substance) ein.<br />

Dies ist in den USA eine vornehme<br />

Umschreibung dafür, dass Ecstasy illegal<br />

ist.<br />

Wie unkontrollierbar ist<br />

Ecstasy?<br />

Die New York Times berichtete, dass<br />

jeden Tag rund eine Million Tabletten<br />

in die USA geschmuggelt werden. Der<br />

illegale Verbrauch von Ecstasy ist seit<br />

Anfang der 90-er Jahre schlagartig in<br />

die Höhe geschnellt, und auch die<br />

Streitkräfte bleiben nicht von Drogenmissbrauch<br />

verschont. Ecstasy ist ein<br />

Amphetamin mit Schwesterdrogen,<br />

wie MDE („Eve“), MDA („Love“), PMA<br />

(„Death“), MDEA und MBMB. Alle<br />

diese Drogen werden im Volksmund<br />

als „Rave-Drogen“ oder „Party-Drogen“<br />

bezeichnet, weil sie oft in großen<br />

Mengen auf Parties, die die ganze<br />

Nacht hindurch andauern oder auf<br />

Rave-Veranstaltungen konsumiert werden.<br />

Eine bescheidene Dosis von 75 -<br />

150 mg soll den Drogenkonsumenten<br />

in einen ein- bis dreistündigen Rausch<br />

versetzen. MDMA ist zweifelsohne die<br />

„beliebteste Droge bei jungen<br />

Männern“.<br />

Ecstasy ist harmlos?<br />

Wer sagt das?<br />

Seit ungefähr zehn Jahren hält sich<br />

ein weitverbreiteter, aber nicht begründeter<br />

Glaube in der Öffentlichkeit, dass<br />

diese Rave-Drogen verhältnismäßig<br />

ungefährlich seien und nur zu einem<br />

Gefühl von Euphorie, sozialer Nähe<br />

und leichten LSD-ähnlichen Halluzinationen<br />

führen. Ist dies tatsächlich so?<br />

Haben wir letztendlich doch die<br />

Wunderpille entdeckt, die nur Frieden<br />

und Harmonie fördert? Wenn dies tatsächlich<br />

so wäre, könnten wir unsere<br />

Streitkräfte abschaffen. (Wiedersehen<br />

mit der „Schönen neuen Welt“?)<br />

Ich bin ausgesprochen misstrauisch<br />

gegenüber dieser Behauptung, und sei<br />

es nur, weil meine jahrelangen persönlichen<br />

Erfahrungen mit Drogenmissbrauch<br />

mir sagen, dass jede Art<br />

von Amphetaminen nichts Gutes verheißt.<br />

Nach den Amphetaminen<br />

kommt immer eine Phase der Niedergeschlagenheit.<br />

Ich habe schon Patienten<br />

gehabt, die bis zu zwei Jahre<br />

brauchten, um sich von ihrem Amphetaminmissbrauch<br />

zu erholen.<br />

Amphetamine sind immer „Designer-Drogen“,<br />

eine modische Umschreibung<br />

dafür, dass die Moleküle in dieser<br />

Form nicht in der Natur vorkommen,<br />

also im Labor synthetisch hergestellt<br />

werden. Da der Körper keine<br />

natürlichen Abwehrmittel gegen diese<br />

Moleküle besitzt, treten zwangsläufig<br />

größere und unbekannte Nebenwirkungen<br />

auf. Und in der Tat bin ich bei<br />

meinen MEDLINE-Recherchen in über<br />

1200 Artikeln in Fachzeitschriften<br />

immer wieder auf Aussagen gestoßen,<br />

dass man gerade erst anfängt, die<br />

Langzeitwirkungen von Ecstasy zu erkennen.<br />

Nichtsdestotrotz ist schon eine ganze<br />

Menge über die Kurzzeitwirkung von<br />

10 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Ecstasy bekannt - und zwar bei Tieren.<br />

Von Ratten und Affen, denen MDMA<br />

verabreicht wurde, weiß man, dass sie<br />

sich häufiger impulsiv verhalten, Gefahren<br />

ignorieren, spontane Ejakulationen<br />

haben und es vorziehen, sich<br />

aneinanderzukauern (soziale Nähe?).<br />

Dies sind sicherlich Auswirkungen, die<br />

dafür sorgen, dass eine Party schneller<br />

in Schwung kommt.<br />

Amphetamine haben jedoch nur<br />

einen eng begrenzten medizinischen<br />

Nutzen. In Ausnahmefällen wurden<br />

Angehörigen der Streitkräfte Amphetamine<br />

verordnet. 1942 wurden Commander<br />

Joe Rochefort, US-Marine,<br />

Amphetamine über mehrere Wochen<br />

verordnet, als er damit beschäftigt war,<br />

den allgemeinen Einsatzkode der japanischen<br />

Marine, den JN25b, zu<br />

knacken. Auch während des Golfkriegs<br />

1990 wurden einigen Luftfahrzeugbesatzungen<br />

der Koalition sorgfältig<br />

überwachte Dosen von Amphetamin<br />

verordnet, um ihre Wachsamkeit zu<br />

erhöhen und um ihren Arbeitstag zu<br />

verlängern. Dennoch lehnten die meisten<br />

Luftfahrzeugführer dieses Angebot<br />

höflich ab.<br />

Wie wirkt Ecstasy<br />

auf den Körper?<br />

MDMA bringt, wie alle Stimulanzien,<br />

die „Lehrlaufdrehzahl“ des Körpers auf<br />

Hochtouren. Dies ist der Grund, weshalb<br />

Menschen, die eine zu hohe Dosis<br />

zu sich nehmen, manchmal an einer<br />

unkontrollierten Hyperthermie (Erhöhung<br />

der Körpertemperatur) und Tachykardie<br />

(Beschleunigung der Herzfrequenz)<br />

sterben. Wie alle Amphetamine<br />

erzeugt MDMA das typische „Wochenend-Hoch“,<br />

auf das das „Tief in der<br />

Wochenmitte“ folgt. In Tabelle 1 habe<br />

ich einige der bekannten, beim Menschen<br />

durch Missbrauch von MDMA<br />

auftretenden Wirkungen aufgeführt.<br />

Jedes Jahr gibt es in den Vereinigten<br />

Staaten ca. ein Dutzend Tote, die ausschließlich<br />

auf eine Überdosis Ecstasy<br />

zurückzuführen sind. Hinzu kommen<br />

schätzungsweise drei Tote im Jahr aus<br />

10.000 der Altersgruppe 18 - 25, die<br />

aufgrund von Verhaltensänderungen<br />

sterben, während sie noch unter dem<br />

Einfluss der Droge stehen. Ich habe<br />

einige Berichte über Fälle von wirklich<br />

idiotischen Drogenkonsumenten gelesen.<br />

Einer kam beim „Autosurfen“<br />

ums Leben (können Sie sich so etwas<br />

vorstellen?), ein anderer kletterte auf<br />

einen Hochspannungsmast. (Seine letzten<br />

Worte: „Hey Leute, seht mal!“)<br />

MDMA-Missbrauch<br />

ist leicht festzustellen.<br />

In Kürze können unsere Sanitäter<br />

schnell durch einen Urin- oder Bluttest<br />

MDMA- Missbrauch nachweisen. Noch<br />

aufschlussreicher ist die Haarprobenanalyse,<br />

um einer Person MDMA-<br />

Missbrauch in der Vergangenheit nachzuweisen.<br />

Die Haarprobenanalyse ist<br />

ziemlich genau, da sie bis in die Nanogramm-pro-Milligramm-Bereiche<br />

geht.<br />

Durch einen totalen und abrupten<br />

Drogenentzug lassen sich die Symptome<br />

von Ecstasy-Missbrauch in der<br />

Vergangenheit nicht verheimlichen.<br />

Schlussbetrachtung:<br />

Dieser Stoff ist ausgesprochen<br />

gefährlich.<br />

Ich war enttäuscht, als ich erfuhr,<br />

dass keine Experimente bekannt sind,<br />

um die Wirkungen von MDMA auf das<br />

Fliegen - geschweige auf das Autofahren-zu<br />

erforschen. Man sollte einige<br />

kontrollierte Untersuchungen durchführen,<br />

aber leider wird dies nicht<br />

gemacht. Es ist möglich, dass zahlreiche<br />

allgemeine Unfälle mit Luftfahrzeugen<br />

durch MDMA-Missbrauch herbeigeführt<br />

wurden, und dies wird für<br />

künftige Untersuchungen durch den<br />

National Transportation Safety Board<br />

(NTSB) (Nationale Transportsicherheitsbehörde<br />

(US) ein echtes Problem darstellen.<br />

In der Zwischenzeit wird gegen<br />

militärisches Flugpersonal, das MDMA<br />

oderandereAmphetaminemissbräuchlich<br />

konsumiert, mit Sicherheit sofort<br />

und auf Dauer ein Flugverbot ausgesprochen<br />

(was die Justiz mit diesen<br />

Drogenkonsumenten macht, ist eine<br />

andere Frage.) Nur ein wahnsinniger<br />

Passagier wird sich freuen, mit einem<br />

übertrieben selbstsicheren, impulsiven<br />

und unter Halluzinationen leidenden<br />

oder gar mit einem paranoiden, deprimierten<br />

und schwerfällig agierenden<br />

Piloten zu fliegen.<br />

TABELLE 1<br />

Sofortige Wirkungen von MDMA<br />

(Ecstasy)<br />

Euphorie oder Freude<br />

• Gefühle der Nähe und Kameradschaft<br />

• Gesteigerte sexuelle Erregung<br />

• Hyperthermie (erhöhte Körperkerntemperatur)<br />

• Impulsivität<br />

• Bizarres und riskantes Verhalten<br />

• Leichte, aber angenehme Halluzinationen<br />

• Längere Reaktionszeit<br />

• Erhöhter Blutdruck<br />

Kurzzeitige Entzugserscheinungen bei<br />

MDMA (Ecstasy)<br />

• Depressionen<br />

• Paranoia und unbegründeter<br />

Argwohn<br />

• Ataxie (Unfähigkeit, feine motorische<br />

Bewegungen auszuüben);<br />

Schwerfälligkeit<br />

• Beklemmungen<br />

• Feindseliges und unsoziales Verhalten<br />

• Diaphorese (unkontrolliertes Schwitzen)<br />

• Flashbacks<br />

• Schlafstörungen<br />

Langfristige Wirkungen von<br />

MDMA (Ecstasy)<br />

• Abhängigkeit<br />

• Gehirnödem<br />

• Leberschädigung<br />

• Permanent verringerter Verbal-IQ<br />

• Gehirnverletzungen<br />

(Narbenbildung)<br />

• Parkinson-Symptome<br />

(Schüttelbewegungen)<br />

• Tachykardie<br />

(Herzrhythmusstörungen)<br />

• Krampfanfälle<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

11


Flugsicherheit<br />

Stellungnahme<br />

Dr. Wolfgang<br />

Lawicki:<br />

Ich bin aufgefordert, zu diesem<br />

Bericht, der hier in dieser Ausgabe der<br />

Zeitschrift „Flugsicherheit“ abgedruckt<br />

ist, Stellung zu beziehen.<br />

Nach Durchsicht des Artikels war ich<br />

ein wenig verwirrt über den Titel ...<br />

„Unsere Streitkräfte greifen hart<br />

durch, wenn es um Drogenmissbrauch<br />

geht“.<br />

Da ist zu lesen, ich zitiere „In Ausnahmefällen<br />

wurden Angehörigen<br />

der Streitkräfte Amphetamine verordnet<br />

... auch während des Golfkrieges<br />

1990 wurden einigen Luftfahrzeugbesatzungen<br />

der Koalition sorgfältig<br />

überwachte Dosen von Amphetamin<br />

verordnet, um ihre Wachsamkeit zu<br />

erhöhen und um ihren Arbeitstag zu<br />

verlängern. Dennoch lehnten die meisten<br />

Luftfahrzeugführer dieses Angebot<br />

höflich ab.“<br />

Ist das nicht als Doppelmoral zu<br />

bewerten? Für diesen Zweck von<br />

einem begrenzten medizinischen<br />

Nutzen zu sprechen, ist nicht nachzuvollziehen.<br />

Der Autor schreibt an<br />

anderer Stelle „... dass jede Art von<br />

Amphetaminen nichts Gutes verheißt.<br />

Nach den Amphetaminen kommt<br />

immer eine Phase der Niedergeschlagenheit.<br />

Ich habe schon Patienten<br />

gehabt, die bis zu zwei Jahre brauchten,<br />

um sich von ihrem Amphetaminmissbrauch<br />

zu erholen.“<br />

Diese Bewertung ist absolut richtig.<br />

Zur Frage der Abhängigkeitsentwicklung<br />

schreibt die Deutsche Hauptstelle<br />

gegen Suchtgefahren (DHS): Amphetamine<br />

können sehr schnell zu einer<br />

starken psychischen Abhängigkeit<br />

führen. In den ersten Monaten des<br />

Konsums erfährt der Konsument aufgrund<br />

seiner positiv wirkenden Ausstrahlung<br />

meist Bestätigung und<br />

Bewunderung, doch in der Folge<br />

schränkt er zunehmend seine sozialen<br />

Aktivitäten ein. Um die gewünschten<br />

Wirkungen schneller und intensiver zu<br />

erleben, wird häufig zu einer schneller<br />

wirksamen Verabreichungsform<br />

übergegangen, beispielsweise zum<br />

Rauchen oder Injizieren. Dies ändert<br />

jedoch auch die Wirkungen: So dominieren<br />

nun beispielsweise die sich<br />

gleichförmig wiederholenden Handlungen,<br />

das Gedankenfixieren und die<br />

Mümmelbewegungen im Mundbereich.<br />

Gleichzeitig entwickelt sich<br />

gegenüber den blutdrucksteigernden,<br />

appetitdämpfenden und euphorisierenden<br />

Wirkungen eine Toleranz, was<br />

wiederum zu Dosissteigerungen führt.<br />

Zu den Entzugssymptomen beim Absetzen<br />

der Substanz gehören Schlaflosigkeit,<br />

Mundtrockenheit und Unruhe,<br />

aber auch psychische Symptome<br />

wie Stimmungsschwankungen,<br />

Angststörungen und Depressivität.<br />

Der Zweck heiligt die Mittel? Mögliche<br />

Bagatellisierungen könnten sein:<br />

... nur ab und zu, ... wenn es sein<br />

muss, dann auch nur kurzfristig. Sind<br />

das aber nicht auch typische Bagatellisierungstendenzen<br />

der User?<br />

Sicher ist: Eine Verordnung von<br />

Amphetaminen für Flugzeugführer -<br />

zu welchem Zweck auch immer - ist in<br />

der Bundeswehr nicht zulässig. Die<br />

Erlasslage ist eindeutig. Das gilt für<br />

alle Drogen, für alle Bereiche, ohne<br />

Ausnahme.<br />

Der Autor beschränkt sich in seinem<br />

Bericht auf die Designerdroge „Ecstasy“.<br />

Seine Darstellung bringt die Problematik<br />

dieser Droge außerordentlich<br />

gut an das Publikum.<br />

Hier einige wichtige Ergänzungen<br />

bezogen auf Deutschland:<br />

Nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums<br />

konsumieren in<br />

Deutschland ca. 500.000 Jugendliche<br />

die Partydroge Ecstasy.<br />

Im Umfeld der Technoszene und<br />

Partykultur besteht eine deutlich erhöhte<br />

Drogenerfahrung unter Jugendlichen.<br />

In der entsprechenden<br />

Stichprobe lagen die Prävalenzwerte<br />

um ein Vielfaches höher als in einer<br />

vergleichbaren Repräsentativstichprobe.<br />

So betrug die Lebenszeitprävalenz<br />

des Cannabiskonsums 1997 in der<br />

Gesamtbevölkerung zwischen 23%<br />

und 26%, während unter dem befragten<br />

18- bis 29-jährigen Technopublikum<br />

ca. 51-75% Erfahrungen<br />

mit Cannabis hatten. Ebenso deutlich<br />

waren die Unterschiede bezogen auf<br />

die Lebenszeitprävalenz des Ecstasykonsums.<br />

Hier wiesen 26-61% der<br />

Befragten der Technostudie, aber nur<br />

3-7% der Repräsentativstichprobe<br />

Drogenkonsumerfahrung auf.<br />

Wer auf Technopartys illegale Drogen<br />

konsumiert, betreibt in aller Regel<br />

einen Mischkonsum mehrerer Substanzen.<br />

Zusätzlich zu Ecstasy ist der<br />

Beikonsum von Cannabis am wahrscheinlichsten<br />

(65%), gefolgt von<br />

Alkohol (56%) und Speed (42,2%).<br />

Der zusätzliche Konsum von Kokain<br />

(14,8%) und Halluzinogenen (9,4%)<br />

ist innerhalb der Partykontexte weniger<br />

wahrscheinlich. Die subjektiven<br />

Begründungen für den Mischkonsum<br />

von Ecstasy mit Cannabis, Alkohol,<br />

Speed, Kokain und Halluzinogenen<br />

variieren stark. Den meisten Formen<br />

des Mischkonsums liegen szenebezogene<br />

soziale Konventionen und das<br />

Motiv einer differenzierten Stimmungsregulation<br />

zugrunde.<br />

Zu den vorrangig genannten Gründen<br />

für das Einstellen des Ecstasykonsums<br />

gehören das Auftreten negativer<br />

Erlebnisse und Nachlassen<br />

positiver Erfahrungen, die Inkompatibilität<br />

des Drogenkonsums mit dem<br />

(aktuellen) Lebensentwurf und soziale<br />

Motive.<br />

Zur Nachweisbarkeit von Ecstasy: im<br />

Urin ca. 1-4 Tage, im Blut ca. 1 Tag, in<br />

den Haaren noch nach Monaten.<br />

Zusammenfassung<br />

Unsere Streitkräfte greifen hart<br />

durch, wenn es um Drogenmissbrauch<br />

geht. Das gilt für die Streitkräfte<br />

der USA wie der Bundesrepu-<br />

12 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Illustration: Renate Wachsmann-Kerp IMZBw<br />

blik Deutschland<br />

natürlich aufgrund<br />

der Gesetzeslage<br />

in unterschiedlicher<br />

Weise und<br />

Ausprägung. Hier ist<br />

auch eher der Missbrauch<br />

illegaler Drogen<br />

gemeint. Ein Einsatz<br />

von Amphetaminen<br />

in unserer Armee<br />

- z.B. bei Luftfahrzeugbesatzungen<br />

- zur Steigerung<br />

der Wachsamkeit und<br />

zur Verlängerung des Arbeitstages,<br />

wie in den US-<br />

Streitkräften beschrieben, ist<br />

aufgrund unserer Erlasslage<br />

unmöglich. Mit den „Richtlinien<br />

zur Koordinierung<br />

und Steuerung von<br />

Maßnahmen der<br />

Suchtbekämpfung von Soldaten“<br />

vom 08. Juli1999<br />

sind theoretisch die Weichen<br />

für eine effektive Suchtprävention<br />

und Suchtbekämpfung<br />

in den Streitkräften gestellt,<br />

wobei illegale und<br />

legale Suchtmittel in die<br />

Prävention einbezogen sind.<br />

Ein Drogenscreening ist nur für<br />

Anwärter des fliegerischen<br />

Dienstes vorgeschrieben. Für alle<br />

anderen Bereiche ist die Freiwilligkeit<br />

mit schriftlichem Einverständnis<br />

vorausgesetzt.<br />

Auf der Website der Bundeswehr<br />

www.suchtpraevention-bundeswehr.<br />

de wird ausführlich das Thema „Drogen<br />

und Sucht in der Bundeswehr“<br />

behandelt, wobei neben einer allgemeinen<br />

Information zu den einzelnen<br />

Drogen auch die Erlasslage und die<br />

dienstrechtlichen Aspekte beleuchtet<br />

werden.<br />

<br />

Suchtprävention<br />

und<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

13


Flugsicherheit<br />

Sei vernünftig,<br />

Vögel sind es nicht!<br />

von Major Lancaster, GenFlSichhBw<br />

Vögel sind dumm. Immer<br />

wieder passiert es, dass<br />

Vögel vor Flugzeuge fliegen:<br />

auf Landepisten,<br />

während eines Anflugs<br />

oder im Tiefflug mit<br />

hoher Geschwindigkeit.<br />

Man kann die Reaktion<br />

eines Vogels nie vorhersehen.<br />

Großvögel würden<br />

wahrscheinlich ihre<br />

Flügel einziehen und in<br />

den Sturzflug übergehen,<br />

aber nicht unbedingt.<br />

Wenn sich Kleinvögel<br />

(z. B. von einem<br />

Raubvogel) bedroht<br />

fühlen, fliegen sie im<br />

engen Verband, ändern<br />

ihre Flugrichtung und<br />

können dann ganz plötzlich<br />

direkt vor der<br />

Maschine auftauchen.<br />

Was kann ein Pilot von<br />

einem dummen Vogel<br />

erwarten? Was tun,<br />

wenn man mit dieser<br />

Dummheit konfrontiert<br />

wird?<br />

Der erste Schritt im Kampf gegen<br />

die Vögel wird in der Flugvorbereitung<br />

gemacht. Hier kann die größte Arbeit<br />

geleistet werden im Vermeiden von<br />

Vogelschlägen. Das gilt besonders für<br />

Tiefflüge, bei deren Planung der Pilot<br />

auf ein wichtige Hilfsmittel zugreifen<br />

kann: BIRDTAMs (aufgeklärte Bereiche<br />

erhöhter Vögelschlaggefahr, die auf<br />

Karten dargestellt sind). In Gebieten<br />

mit hohem Vogelschlagrisiko sollte<br />

man nicht tiefer als 3.000 Fuß fliegen<br />

oder die geplante Tiefflugroute ändern.<br />

Vogelzugrouten sind zu vermeiden.<br />

Jeder weiß es, und jetzt muss<br />

sich jeder auch in<br />

der Praxis an<br />

diese Regeln halten.<br />

Das ist auch<br />

vernünftig und<br />

logisch!<br />

Was kann man sonst noch tun?<br />

Man muss einfach mit einem Vogelschlag<br />

rechnen. Man kann während<br />

des Fluges nicht viel gegen einen<br />

Vogelschlag tun. Das ist durch drei<br />

Faktoren bedingt: die Sichtweite, die<br />

Vorhersehbarkeit und die Manövrierfähigkeit.<br />

Sichtweite<br />

Es ist schwierig, Vögel wahrzunehmen.<br />

Piloten fliegen oft durch Gebiete<br />

mit höchster Vogelschlaggefahr, ohne<br />

einen einzigen Vogel gesehen zu<br />

haben. Wo haben sich die Vögel versteckt?<br />

Sie waren da, blieben aber<br />

außer Sicht. In Hinsicht auf Vogelwahrnehmung<br />

ist unser Sehvermögen<br />

sehr begrenzt. Das kann auf drei<br />

Faktoren zurückgeführt werden: das<br />

Sehvermögen des Auges selbst, den<br />

Kontrast und das Licht. Vor ein paar<br />

Jahren erschien in einem Buch „Flugsicherheit<br />

und Vogelschlag“ ein Artikel<br />

zu diesem Thema. Der Titel hieß<br />

„Grenzen der visuellen Erfassung ziehender<br />

Vögel“. Daraus entnehmen wir<br />

folgende Fakten: Unter optimalen Zuständen<br />

kann man einen Großvogel,<br />

wie eine Gans, frühestens aus zwei<br />

Kilometer Entfernung wahrnehmen.<br />

Ein Bussard kann aus 1,9 Kilometer<br />

Entfernung gesehen werden, Silbermöwe<br />

aus 1,5, Lachmöwe aus 0,9<br />

und eine Schwalbe aus 300 Meter.<br />

Optimaler Zustand heißt hier aber<br />

optimaler Kontrast, gute Beleuchtung<br />

und gute Sichtweite.<br />

Unter<br />

nicht optimalen<br />

VFR-Sichtbedingungen<br />

(Sonnenblendung,<br />

Dunst, wenig Kontrast) kann sich aber<br />

das Erkennen eines Großvogels auf<br />

500 Meter verringern, besonders bei<br />

Frontalsicht. Die meisten Jets fliegen<br />

im Tiefflug mit einer Geschwindigkeit<br />

von 200 Meter/Sekunde (400 Knoten),<br />

die Reaktionszeit kann am<br />

besten in Sekunden gemessen werden<br />

und liegt zwischen 2 und 7 Sekunden.<br />

Während eines Tiefflugs war vor zehn<br />

Jahren ein Vogelschlag die Todesursache<br />

des Piloten im vorderen Cockpit<br />

einer T-38. Die Reaktionszeit wurde<br />

damals auf 3,6 Sekunden geschätzt,<br />

leider blieb der Vogel (ein großer<br />

Geier) bis zum Aufschlag unsichtbar.<br />

14 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Ein Pilot muss bei einem Tiefflug mit<br />

nicht mehr als 3 Sekunden Reaktionszeit<br />

zwischen dem Moment der Vogelwahrnehmung<br />

und des Aufschlags<br />

rechnen.<br />

Vorhersehbarkeit<br />

Hat der Pilot die Vögel visuell erfasst,<br />

muss man aber auch ihre Flugrichtung<br />

kennen, um ihnen ausweichen<br />

zu können. Vögel auf oder<br />

neben der Piste sind am schwierigsten<br />

einzuschätzen. Beim Start und Abflug<br />

hat man keine Möglichkeit, das<br />

Flugzeug so zu steuern, dass man die<br />

Vögel vermeidet. Das einzige, was<br />

bleibt, ist die Wahl zwischen<br />

Startabbruch oder<br />

einer Startfortsetzung.<br />

Aus diesem Grund ist in<br />

einem solchen Fall der<br />

Kontrollturm anzuspre-<br />

Punkt in diesem Artikel: Wenn neben<br />

oder auf der Piste Vögel sind: DELAY<br />

YOUR TAKEOFF.<br />

Man vermutet, dass die Vögel in der<br />

gleichen Zeit abfliegen, wie das Flugzeug,<br />

man muss aber mit dem<br />

Schlimmsten rechnen, nämlich dass<br />

sie direkt vor das Flugzeug fliegen.<br />

Wie geht man mit Vögeln um,<br />

denen man während des Fluges<br />

begegnet? Das ist die schwierigste<br />

Frage, weil sie die Kenntnisse der<br />

Vogelreaktionen erfordert. Wie bei<br />

allen taktischen Fragen lautet die<br />

Antwort: „Es kommt drauf an“. Diese<br />

Reaktionen sind nur wenig erforscht.<br />

Die erfahrenen Piloten behaupten,<br />

Vögel würden einen Sturzflug<br />

machen, um ein Flugzeug<br />

zu vermeiden. Das ist<br />

oft so,<br />

aber<br />

falls ist eine Vorhersage der Reaktionen<br />

der Vögel durch das Aufschrecken<br />

nicht möglich.<br />

Manöverfähigkeit<br />

Wenn ein Vogelschwarm unmittelbar<br />

im Anflug des Flugzeugs auffliegt,<br />

hat man die Wahl zwischen einer<br />

Anflugfortsetzen oder des Durchstartens.<br />

Was ist jetzt besser? Die Antwort<br />

ist von verschiedenen Faktoren<br />

abhängig, unter anderen ist der Flugzeugtyp<br />

entscheidend. Ist kein Schleudersitz<br />

vorhanden, setzt man den<br />

Anflug fort. Es kann passieren, dass<br />

die Vögel in die Triebwerke einfliegen.<br />

Dies ist ebenfalls beim Durchstarten<br />

möglich, aber mit schlimmeren Folgen<br />

wegen des höheren Schubbedarfs,<br />

der dann erforderlich ist. Befindet<br />

man sich schon auf dem<br />

Gleitpfad unmittelbar<br />

Bild: M. Buschmann, Nationalpark Wattenmerer<br />

chen und die Vögel sind zu verscheuchen.<br />

Der Abflug muss verschoben<br />

werden. Ähnlich wie ein Gewitter, bilden<br />

Vögel eine echte Gefahr und bis<br />

diese behoben ist, muss man den Abflug<br />

auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.<br />

Die Unfälle von einer E-3 in Elmendorf<br />

AFB, Alaska 1995, und einer<br />

NATO E-3 in Griechenland<br />

1996 erteilten eine lebenswichtige<br />

Lehre: man kann<br />

Menschenleben retten,<br />

wenn man seinen Abflug<br />

aufgrund einer Vogelschlaggefahr<br />

verschiebt. Das ist der wichtigste<br />

nicht immer. Oft trifft dies bei Großvögeln<br />

wie dem Bussard oder den<br />

Wasservögeln zu, es ist aber nicht die<br />

Regel bei den kleinen, schwärmenden<br />

Vögeln; ihre Reaktionen sind unberechenbar.<br />

Es ist oft der Fall, dass ein Vogelschwarm<br />

eine enge Formation bildet,<br />

um Raubvögel abzuhalten (das Flugzeug<br />

wird auch als solches betrachtet).<br />

Die Flugrichtung bleibt aber<br />

kaum zu erraten, auch als Schutz vor<br />

dem drohenden Angriff.<br />

Sieht man den Vogelschwarm, ist in<br />

der Regel der Abstand zu gering, um<br />

effektiv reagieren zu können, eben-<br />

vor der Landebahn, sollte man am<br />

besten den Anflug bis zum Fullstop<br />

vollenden. Diese Lehre resultiert aus<br />

zwei Unfallbeispielen.<br />

1996 stürzt eine belgische C-130<br />

bei einem Durchstartversuch in Eindhoven<br />

(Niederlande) ab. Die Besatzung<br />

beabsichtigte eine Abschlusslandung,<br />

aber ein Schwarm Stare befand<br />

sich im Anflug und die C-130 startete<br />

durch. Dabei wurden drei Triebwerken<br />

stark beschädigt und die Kontrolle<br />

über das Flugzeug ging verloren,<br />

denn die Seitenruderwirksamkeit war<br />

zu gering. Hätte die Besatzung ihren<br />

Anflug wie geplant fortgesetzt, wäre<br />

der Absturz wahrscheinlich nicht passiert<br />

und 34 Menschen wären noch<br />

am Leben.<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

15


Flugsicherheit<br />

Vor kurzem ist eine C-5 Besatzung<br />

während des Anflugs durchgestartet,<br />

um einem Schwarm von Wasservögeln<br />

auszuweichen. Trotz des Durchstartens<br />

ist das Flugzeug von mehreren<br />

Vögeln getroffen worden. Das<br />

Ergebnis waren zwei beschädigte<br />

Triebwerke und ein Class A-Unfall<br />

wegen Triebwerkbeschädigung.<br />

Fliegt man einen Endanflug in einem<br />

Luftfahrzeug mit Schleudersitz, kann<br />

man einen Durchstart erwägen mit<br />

der Absicht auf bessere Ausstiegsparameter.<br />

Man sollte aber nicht denken,<br />

dass ein kleines, wendiges Flugzeug<br />

im Endanflug leicht manövriert<br />

werden kann, um einen Vogelschlag<br />

zu vermeiden. Ein Ausweichversuch<br />

ist bei niedriger Flughöhe und niedriger<br />

Geschwindigkeit sehr gefährlich,<br />

wie auch ein T-38 Unfall neulich gezeigt<br />

hat. Der Pilot hatte während des<br />

Endanflugs versucht, einen Vogel zu<br />

unterfliegen. Dabei hatte er aber so<br />

viel an Höhe verloren, dass er den<br />

Flughafenbegrenzungszaun erwischte<br />

und dabei sein rechtes Fahrwerk abgerissen<br />

wurde. Zum Glück war nichts<br />

Schlimmeres passiert.<br />

Entscheidungen, die man während<br />

des Abflugs bei Vogelgefahr treffen<br />

muss, sind noch schwieriger und setzten<br />

eine gründliche Flugvorbereitung<br />

voraus. Die wichtigsten Faktoren, die<br />

dabei berücksichtigt werden müssen,<br />

sind Flugzeugtyp, Pistenlänge und<br />

Fangkabelausrüstung. Man soll die<br />

Notverfahren entsprechend dem Flugbetriebshandbuch<br />

genau kennen und<br />

anwenden. Für den Fall, dass sich ein<br />

Vogelschlag im Abflug ereignet, sollte<br />

man vorbereitet sein. Falls man<br />

während des Rollens Vögel auf oder<br />

neben der Piste bemerkt, ist sofort der<br />

Kontrollturm zu informieren (die Kontroller<br />

können oft die Vogelsituation<br />

nicht so überblicken wie der Pilot).<br />

Gegebenenfalls ist der Abflug abzubrechen<br />

und dieser erst durchzuführen,<br />

wenn alle Vögel verscheucht sind.<br />

Besondere Vorsicht ist im Tiefflug<br />

oder in den Schiessgebieten angesagt,<br />

da hier eine besonders hohe Vogelschlaggefahr<br />

besteht und die größten<br />

Beschädigungen pro Vogelschlag verursacht<br />

werden. Oft fehlt die nötige<br />

Aufmerksamkeit Richtung 12 Uhr weil<br />

der Pilot auf die Tiefflugkarte oder auf<br />

Referenzen des Schiessgebietes achtet.<br />

Der Zeitraum, einen Vogel zu erfassen<br />

und auszuweichen, verkürzt<br />

sich enorm. Es kann sein, dass man<br />

Zeit für ein Ausweichmanöver hat. Ist<br />

diese Zeit gegeben, dann sollte man<br />

nur nach links, rechts oder nach oben<br />

ausweichen. Niemals den Steuerknüppel<br />

nach vorne drücken! Sofern<br />

es für ein Ausweichmanöver zu spät<br />

sein sollte, ist es auf jeden Fall wichtig,<br />

eine Art Schutzhaltung einzunehmen,<br />

um Kopf und Oberkörper vor<br />

Verletzungen zu schützen. Beachte,<br />

man kann auch etwas ganz Wichtiges<br />

vom Vogel Strauß lernen! Wie der<br />

Vogel Strauß seinen Kopf in den Sand<br />

steckt, genau so sollte man mit seinem<br />

Kopf in Deckung gehen. Sehr<br />

klug!<br />

<br />

Bild: Archiv GenFlSichhBw Bild: M. Buschmann<br />

16 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />

Bravo gut<br />

gemacht<br />

Am 09. März meldete sich Stabsfeldwebel Schade (LTG 62) als<br />

zuständiger Am 09. März Flugplatzmeister meldete sich Stabsfeldwebel beim Flugsicherheitsoffizier, Schade (LTG weil 62) als er<br />

bei zuständiger einer Kontrollfahrt Flugplatzmeister Ölspuren beim auf der Flugsicherheitsoffizier, Taxiway und der Runway weil er<br />

bemerkt bei einer hatte. Kontrollfahrt Ölspuren auf dem Taxiway und der<br />

Aufgrund Runway der bemerkt zeitlichen hatte. Zuordnung (die Ölspuren waren kurz vorher<br />

Aufgrund noch nicht der da) zeitlichen konnte Zuordnung ein Luftfahrzeug (die Ölspuren im Platzflugbetrieb waren kurz<br />

ermittelt vorher noch werden. nicht da) konnte ein Luftfahrzeug im Platzflugbetrieb<br />

der ermittelt Landung werden. stellte das technische Personal der Wartung<br />

Nach<br />

einen Nach starken der Landung Ölverlust stellte an das Triebwerk technische II fest. Personal Bei der der folgenden Wartung<br />

Kontrolle einen starken wurde Ölverlust eine defekte an Triebwerk Dichtung II fest. am Deckel Bei der der folgenden dritten<br />

Ölleitung Kontrolle (PCU) wurde ermittelt. eine defekte Dichtung am Deckel der dritten<br />

Durch Ölleitung das (PCU) umsichtige ermittelt. und verantwortungsvolle Handeln des<br />

Flugplatzmeisters Durch das umsichtige konnte und wahrscheinlich verantwortungsvolle ein Zwischenfall Handeln oder des<br />

Schlimmeres Flugplatzmeisters verhindert konnte werden. wahrscheinlich ein Zwischenfall oder<br />

Der Schlimmeres Vorfall zeigt verhindert aber auch, werden. dass eine Lösung des „PCU-Problems“<br />

dringend Der Vorfall notwendig zeigt aber ist (siehe auch, Zwischenfall dass eine 04/027 Lösung vom des LTG „PCU- 62).<br />

Problems“ dringend notwendig ist (siehe Zwischenfall 04/027<br />

vom LTG 62).<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

17


Flugsicherheit<br />

Taktile Anzeigenereich<br />

Zusammengestellt von Hauptmann<br />

Peter Harazin<br />

Die Informationen zu<br />

den Entwicklungsergebnissen<br />

im Bereich<br />

„Taktile Anzeigen“ wurden<br />

während des<br />

Survival and Flight<br />

Equipment (SAFE) -<br />

Symposiums 2004 in<br />

Lyon zusammengetragen.<br />

Schwerpunkt dieser<br />

Veranstaltung war das<br />

Thema Situational<br />

Awareness. Eine Kurzinformation<br />

zur SAFE<br />

Organisation befindet<br />

sich der Vollständigkeit<br />

halber zu Beginn dieser<br />

Information.<br />

SAFE ist eine internationale Organisation,<br />

die sich der Gewährleistung<br />

der Sicherheit und des Schutzes des<br />

Einzelnen an Land, auf See, in der Luft<br />

und im Weltraum widmet. Im regelmäßigen<br />

Wechsel finden Symposien<br />

der Organisation in Europa und den<br />

Vereinigten Staaten von Amerika<br />

statt. In den Vereinigten Staaten von<br />

Amerika ist der Austausch von Erfahrungen<br />

und Informationen umfangreicher<br />

durch einen wesentlich größeren<br />

Teilnehmerkreis sowie einer längeren<br />

Symposiumsdauer. Je nach Austragungsort<br />

erhalten die Symposien<br />

Mögliche Anbringung von Taktoren (Vibrationsgeber)<br />

in der Fliegersonderkleidung<br />

den Zusatz -US bzw. -Europe. Gegründet<br />

wurde die Organisation im<br />

Jahr 1956 als Space and Flight<br />

Equipment Association (Vereinigung<br />

für Weltraum- und Flugausrüstung).<br />

Am 02.10.1969 erfuhr sie eine Umbenennung<br />

in Survival and Flight<br />

Equipment Association (Vereinigung<br />

für Not- und Flugausrüstung).<br />

Am 24.11.1976 wurde die Organisation<br />

in SAFE Association benannt.<br />

Ziele der SAFE Organisation<br />

Der Zusammenschluss aller Mitglieder<br />

und die Durchführung von<br />

europäischen und amerikanischen<br />

Symposien dient der Förderung von<br />

Wissenschaft und Technologie zur<br />

Verbesserung von Sicherheitsvorrichtungen,<br />

Lebenserhaltungssystemen,<br />

Schutzausrüstungen und Mensch-<br />

Maschine-Schnittstellen weltweit. Als<br />

Forum für die Förderung neuer Kon-<br />

zepte und Produkte dient sie dem<br />

Austausch technischer Informationen<br />

und der Erörterung von Fragen von<br />

besonderem Interesse in den o. a.<br />

Fachbereichen. Den Mitgliedern soll<br />

hierbei auch eine größere Gelegenheit<br />

für die berufliche Weiterentwicklung<br />

und den ständigen Erfahrungsaustausch<br />

unter Experten ermöglicht<br />

werden. Des Weiteren sollen im Rahmen<br />

von Weiterbildungsveranstaltungen<br />

die Effektivität und Sicherheit bei<br />

der Auslegung und im Betrieb von<br />

Rettungssystemen kontinuierlich verbessert<br />

werden. Dabei soll auch der<br />

Einfluss dieser Vereinigung auf militärische<br />

Dienststellen erhöht werden,<br />

um die Hauptziele der Organisation<br />

umzusetzen. Nicht zuletzt ist es das<br />

Ziel die Wertstellung der Vereinigung<br />

nach außen und innen sowie die<br />

Gemeinschaft SAFE stetig zu steigern.<br />

18 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Aktivitäten<br />

Jährlich findet jeweils ein internationales<br />

Symposium in den USA und in<br />

Europa mit der Vorstellung von<br />

Bildungs- und Fachinformationen,<br />

aktiven Gerätedemonstrationen und<br />

einer begleitenden Ausstellung von<br />

neuen Entwicklungen statt. Regelmäßig<br />

erfolgt die Ausgabe des SAFE<br />

Journals, der SAFE Newsletter und der<br />

SAFE Proceedings. SAFE ist eine gemeinnützige<br />

Vereinigung. SAFE-Regionalgruppen<br />

unterstützen Tagungen<br />

und Seminare. Hierbei wird schwerpunktmäßig<br />

folgende Zielsetzung<br />

beschrieben:<br />

Mikroprozessor<br />

• Austausch von Ideen und<br />

Informationen über die Aktivitäten<br />

der Mitglieder,<br />

• die Vorstellung neuer Ausrüstung<br />

und neuer Verfahren und<br />

• die staatliche, militärische und gewerbliche<br />

Anwendung auf dem<br />

Gebiet der Sicherheit und des Überlebens.<br />

Taktile Anzeigen zur Verbesserung<br />

von Leistungsverhalten<br />

und Sicherheit<br />

Es gibt zurzeit drei Hauptanwendungen<br />

für Taktile Anzeigen:<br />

räumliche Orientierung, Navigation<br />

und Kommunikation. Die meist verbreitete<br />

Anwendung ist das vibrierende<br />

Mobiltelefon. Taktile Anzeigen<br />

wurden in einer Reihe von Szenarien<br />

erfolgreich demonstriert, darunter<br />

Taktile Anzeigen für die räumliche<br />

Orientierung bei Starr- und Drehflüglern<br />

und die Navigation beim Fallschirmspringen,<br />

bei Hochgeschwindigkeitsbooten<br />

und beim Tauchen<br />

Taktile Reizübermittlung<br />

sowie dem Marsch zu Fuß. Zu den<br />

nicht militärischen Anwendungen<br />

gehört die Unterstützung von Blinden<br />

und Sehbehinderten, z. B. wurde<br />

beim Aufstellen des ersten Geschwindigkeitsweltrekords<br />

für Blinde auf<br />

dem Wasser eine taktile Navigationsanzeige<br />

verwendet und es wurde ein<br />

Blindenstock entwickelt, der dem<br />

Benutzer eine taktile Rückmeldung<br />

gibt.<br />

Was ist eine Taktile<br />

Anzeige?<br />

Wir alle sind mit Sichtanzeigen (dem<br />

Betrachten von Informationen) und<br />

Audio-Anzeigen (dem Hören von<br />

Informationen) vertraut. Die heutige<br />

Technologie, vor allem die Entwicklung<br />

rechnergestützter Systeme,<br />

macht es wahrscheinlicher, dass es<br />

bei der Verarbeitung visueller und<br />

akustischer Informationen zur Überlastung<br />

kommt. Diese Überlastung<br />

kann zu einer verminderten Leistungsfähigkeit<br />

und möglicherweise<br />

zu Einbußen bei der Sicherheit<br />

führen. Das Potenzial für Probleme<br />

bei Sichtanzeigen wurde erkannt,<br />

und Konstruktionsnormen wie die<br />

ISO1-Norm 13407 sind ein Versuch,<br />

diese Probleme zu überwinden. Eine<br />

Alternative besteht darin, Informationen<br />

über den „wenig genutzten“<br />

Tastsinn zur Verfügung zu stellen,<br />

welcher spezifischer auch als haptischer<br />

Sinn bezeichnet wird. Dies kann<br />

in Form eines Hautreizes (taktile oder<br />

Tastkörperchenrezeption), eines in<br />

den Körperstrukturen (z. B. Muskeln)<br />

gefühlten Drucks (Propriozeption),<br />

einer Oberflächentemperatur (Thermorezeption)<br />

oder in Form von<br />

Schmerz (Nozizeption) erfolgen. Das<br />

gebräuchlichste Verfahren zur Reizung<br />

der Haut für die Bereitstellung<br />

taktiler Signale ist die Erzeugung von<br />

Schwingungen, wie sie beim vibrierenden<br />

Mobiltelefon zur Anwendung<br />

kommen. Es gibt jedoch auch andere<br />

Verfahren wie Stechen, Kratzen,<br />

Streicheln, elektrische Reizung usw.<br />

Die für die Erzeugung dieser taktilen<br />

Signale gefertigten Vorrichtungen<br />

sind als Taktor (Tastgeber) bekannt.<br />

Die Merkmale eines idealen Taktors<br />

sind minimale Größe, sehr niedriges<br />

Gewicht, geringe Leistungsaufnahme<br />

und hohe Ausgangsleistung (z. B.<br />

Schwingungen).<br />

Sicherheit und Leistungsfähigkeit<br />

der Besatzung jeder Plattform (z. B.<br />

Luftfahrzeug, Landfahrzeug, Schiff/<br />

Boot und Unterseeboot) hängen<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

19


Flugsicherheit<br />

maßgeblich davon ab, inwieweit<br />

Informationen zur räumlichen Orientierung<br />

und für das Lagebewusstsein<br />

zur Verfügung gestellt werden können.<br />

Dies erfolgt normalerweise über<br />

Sicht- und Audio-Anzeigen. Sichtanzeigen<br />

sind zwar normalerweise<br />

problemlos in der Anwendung, jedoch<br />

bietet die Entwicklung rechnergesteuerter<br />

Sichtanzeigen die Möglichkeit,<br />

eine riesige Menge visueller<br />

Informationen zur Verfügung zu stellen,<br />

die das Informationsverarbeitungsvermögen<br />

des Einzelnen<br />

überfordern kann. Audio-Anzeigen<br />

sind zwar ideal für bestimmte Informationen<br />

geeignet, ihre Verwendung<br />

hat jedoch Nachteile in einer sehr lauten<br />

Umgebung und unter Umgebungsbedingungen,<br />

für die minimale<br />

Geräuschpegel gefordert sind.<br />

Eine wirksame Alternative zu Sichtund<br />

Audio-Anzeigen stellt die taktile<br />

Anzeige dar. Solche Anzeigen können<br />

höchst effektiv und in bestimmten<br />

Szenarien von Vorteil sein. Sie<br />

bieten die Möglichkeit, die kognitive<br />

Überlastung zu verringern, die sich<br />

durch rechnergestützte Sichtanzeigen<br />

ergeben kann und stellen sowohl bei<br />

Umgebungsbedingungen mit hohem<br />

als auch mit niedrigem Geräuschpegel<br />

eine wirksame Alternative zu<br />

akustischen Anzeigen dar. Die Entwicklung<br />

und Einführung taktiler<br />

Anzeigen wird durch die Schlussfolgerung<br />

gestützt, die auf dem von<br />

der Forschungs- und Technologieorganisation<br />

der NATO durchgeführten<br />

Symposium zum Thema „Räumliche<br />

Desorientierung in Militärfahrzeugen:<br />

„Ursachen, Folgen und Abhilfen“<br />

(La Coruna, Spanien, 2002)<br />

gezogen wurde. Dort wurde folgende<br />

Feststellung getroffen:<br />

„Der bedeutendste Fortschritt der<br />

letzten Jahre, der der räumlichen Desorientierung<br />

entgegenwirken kann,<br />

ist die Verwendung taktiler Reize für<br />

die Übermittlung von Informationen<br />

zur räumlichen Orientierung.“<br />

Leistungsbeschreibung C-2 Taktor<br />

Physikalische Beschreibung: Durchmesser 1,2 Zoll, Höhe 0,31 Zoll,<br />

Gewicht 17 Gramm, eloxiertes Aluminium.<br />

Elektrische Verkabelung: Flexibel, isoliert, verdrilltes Leiterpaar,<br />

US-Drahtstärke Nr. 24. Steckverbinder optional.<br />

Haut-Kontaktgeber: Durchmesser 0,3 Zoll, mit einem Vorstand von<br />

0,025 Zoll zum Gehäuse,<br />

auf die Haut aufgebracht.<br />

Elektrische Merkmale: 7,0 Ohm in Reihe geschaltet,<br />

Nenninduktivität 1,1 mH.<br />

Empfohlene Ansteuerung: Sinuswellen Tonimpulse von 50 bis 200 ms Dauer<br />

im Frequenzbereich 150 bis 300 Hz bei Nennstromstärken<br />

bis 0,25 A effektiv und kurzzeitig<br />

0,5 A effektiv max.<br />

Maximale Ausgangsleistung bei ca. 230 Hz.<br />

Reizamplitude:<br />

Frequenz Typische in die Hauteingeleitete Typische in die Haut eingeleitete<br />

Amplitude mit 0,25 A Amplitude mit 0,5 A<br />

effektiver Ansteuerung effektiver Ansteuerung<br />

150 Hz Amplitudenspitze 0,06 Zoll Amplitudenspitze 0,12 Zoll<br />

230 Hz Amplitudenspitze 0,25 Zoll Amplitudenspitze 0,50 Zoll<br />

(Kappung möglich)<br />

280 Hz Amplitudenspitze 0,06 Zoll Amplitudenspitze 0,12 Zoll<br />

Anwendungen Taktiler<br />

Anzeigen<br />

Taktile Anzeigen gibt es schon seit<br />

vielen Jahren, jedoch wurde erst in<br />

jüngster Zeit ihr Potential erkannt und<br />

ihre Nutzung eingeleitet. Die vielleicht<br />

bekannteste Anwendung ist der<br />

Vibrationsalarm beim Mobiltelefon,<br />

der typischerweise verwendet wird,<br />

wenn ein akustisches Signal nicht<br />

annehmbar ist (z. B. in Besprechungen<br />

oder im Theater). Andere taktile<br />

Signale gibt es schon seit Hunderten<br />

von Jahren, z. B. verrät Ihnen ein<br />

Klopfen auf die Schulter instinktiv,<br />

dass jemand hinter Ihnen steht, in<br />

welcher Richtung er sich befindet und<br />

dass er Sie um Ihre Aufmerksamkeit<br />

bittet. Es gibt derzeit drei Hauptanwendungen<br />

für Taktile Anzeigen, für<br />

die diese Anzeigen als höchst effektiv<br />

angesehen werden: räumliche Orientierung,<br />

Navigation und Kommunikation.<br />

Räumliche Orientierung<br />

Die Entwicklung taktiler Anzeigen<br />

zur räumlichen Orientierung wurde<br />

teilweise durch die Erkenntnis gefördert,<br />

dass über 25 Prozent der<br />

Verluste von US-Militärluftfahrzeugen<br />

direkt auf den Verlust der räumlichen<br />

Orientierung und des Lagebewusstseins<br />

des Luftfahrzeugführers zurückzuführen<br />

sind. Unter räumlicher<br />

Orientierung versteht man die<br />

Fähigkeit eines Menschen, genau zu<br />

wissen, wo er oder sein Fahrzeug/ein<br />

Objekt sich im Raum befindet, normalerweise<br />

im Verhältnis zur Senkrechten.<br />

So wird vom Forschungslaboratorium<br />

für Luft- und Raumfahrtmedizin<br />

der US-Marine (NAMRL2) ein<br />

dem Körper gegebenes Bodenrichtungssignal<br />

dazu verwendet, Luftfahrzeugführern<br />

die Aufrechterhaltung<br />

der räumlichen Orientierung<br />

und die Durchführung von<br />

Kunstflugmanövern ohne externe<br />

20 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Fotos: Two subways kisses fiv<br />

Taktor C-2 der Firma<br />

Engineering Acoustics<br />

Aufgabe, die bei einer sehr<br />

großen Zahl von Anwendungen<br />

durchgeführt werden<br />

muss. Navigationssignale<br />

übermitteln im Allgemeinen<br />

auch Informationen darüber,<br />

wie man zum gewünschten<br />

Ort gelangt. Deshalb kann<br />

die Anzeige so ausgelegt<br />

werden, dass sie Informationen<br />

über Kursfehler und<br />

Kurskorrekturanweisungen<br />

gibt. Dass die Navigation<br />

nach Wegepunkten unter<br />

Verwendung taktiler Signale<br />

möglich ist, wurde unter<br />

zahlreichen, unterschiedlichen<br />

Umgebungsbedingungen<br />

nachgewiesen.<br />

Dazu gehören<br />

diverse Unterwassereinsätze,<br />

Hochgeschwindigkeitsboote,<br />

der Marsch zu Fuß,<br />

Kraftfahrzeuge und<br />

Hubschrauber.<br />

Anbringungsmöglichkeit unter der<br />

Fliegersonderbekleidung<br />

Orientierungspunkte oder interne<br />

Instrumentenanzeigen zu ermöglichen.<br />

In ähnlicher Weise wurde vom<br />

NAMRL nachgewiesen, dass Hubschrauberpiloten<br />

eine feste Schwebeflugposition<br />

halten können wiederum<br />

ohne externe Orientierungspunkte<br />

oder interne Instrumentenanzeigen.<br />

Dies zeigt, dass Taktile Anzeigen ein<br />

wirksames Mittel gegen räumliche<br />

Desorientierung sind. Unter Wasser<br />

und den Bedingungen der Mikrogravitation<br />

kann es bei Tauchern bzw.<br />

Astronauten zu extremer Desorientierung<br />

kommen. Es wurden und werden<br />

Forschungsarbeiten zur Verwendung<br />

Taktiler Anzeigen im Zustand<br />

der Mikrogravitation durchgeführt,<br />

wobei dazu in der Vergangenheit<br />

vom Nationalen Amt für<br />

Luft- und Raumfahrt (NASA3) der<br />

USA durchgeführte Parabelflüge<br />

genutzt wurden. Zurzeit werden weitere<br />

Untersuchungen dieser Umgebungsbedingungen<br />

von Forschern der<br />

TNO (NL) auf der Internationalen<br />

Weltraumstation durchgeführt.<br />

Navigation<br />

Bei anderen orientierungsbezogenen<br />

Anwendungen geht es um die<br />

Fähigkeit, jemanden über eine Richtung<br />

von Interesse im Verhältnis zu<br />

dessen gegenwärtiger Position zu<br />

informieren. So könnten zum Beispiel<br />

taktile Signale einen Luftfahrzeugführer<br />

über den Seitenwinkel eines<br />

Lenkflugkörpers informieren, der sich<br />

auf ein Luftfahrzeug aufgeschaltet<br />

hat oder über die Richtung eines<br />

Notsammelpunkts. Dies mag treffender<br />

eher als Navigation im Raum<br />

denn als räumliche Orientierung an<br />

sich bezeichnet werden und bei der<br />

Navigation handelt es sich um eine<br />

Kommunikation<br />

Die Übermittlung von anderen<br />

Informationen als denen zur räumlichen<br />

Orientierung/Navigation kann<br />

auf einer sehr einfachen oder sehr<br />

komplexen Ebene erfolgen. Allgemein<br />

gilt, dass eine Anzeige, die hoch effektiv<br />

sein soll, nur sehr einfache Informationen<br />

übermitteln sollte. Durch<br />

den Vibrationsalarm bei einem Mobiltelefon<br />

wird einfach nur mitgeteilt,<br />

dass jemand mit dem Benutzer des<br />

Telefons sprechen möchte. Bei dieser<br />

Anwendung besteht jedoch die Möglichkeit,<br />

mehr Informationen zur Verfügung<br />

zu stellen, ob der Anruf geschäftlicher<br />

oder persönlicher Art ist<br />

oder das Telefon eine Textnachricht erhalten<br />

hat. Deshalb ist es erforderlich,<br />

zwischen unterschiedlichen taktilen<br />

Signalen zu differenzieren. Aus akustischer<br />

Sicht lässt sich dies leicht erreichen,<br />

durch unterschiedliche Freitöne<br />

zum Beispiel. Das taktile Äquivalent<br />

für hörbare Freitöne könnten unter-<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

21


Flugsicherheit<br />

schiedliche Schwingungsrhythmen<br />

oder -frequenzen oder eine Kombination<br />

aus beidem sein. Für diese<br />

Technologie ist die Bildung intuitiver<br />

„taktiler Melodien“ oder „taktiler<br />

Symbole“ erforderlich, die ohne oder<br />

mit nur geringem kognitiven Verarbeitungsbedarf<br />

sofort erkannt werden<br />

können. Für die Nutzung taktiler Signale<br />

zur Kommunikation gibt es weitreichende<br />

Anwendungsmöglichkeiten,<br />

darunter solche für Menschen, die<br />

Informationen „verdeckt“ ohne Hörschall<br />

oder Licht empfangen wollen,<br />

oder für diejenigen, die nicht mittels<br />

Schall oder Licht kommunizieren können<br />

wie Taucher, Infanteristen und<br />

Menschen mit einer Seh-/Hörschädigung<br />

usw.<br />

Unterstützung von Blinden<br />

und Sehbehinderten<br />

Blinde und Sehbehinderte verlassen<br />

sich stark auf durch Berührung verursachte<br />

Rückmeldungen, während blinde<br />

und taube Menschen vollkommen<br />

auf ihren Tastsinn angewiesen sind.<br />

Ein Beispiel dafür, wie taktile Technologie<br />

die Fähigkeiten von Sehbehinderten<br />

stärken kann, ist die Verbesserung<br />

ihrer Eigenständigkeit bei<br />

der Navigation. Bei der Aufstellung<br />

des ersten Geschwindigkeitsweltrekords<br />

für Blinde auf dem Wasser von<br />

~ 118 km/h kam unterstützend eine<br />

taktile Anlage zur Navigation nach<br />

Wegepunkten zum Einsatz, die GPS-<br />

Technologie verwendete. Die immer<br />

erfolgreichere Nutzung Taktiler Anzeigen<br />

zeigt sich auch im jüngst von<br />

der Firma Sound Foresight Ltd entwickelten<br />

Blindenstock, der dem Benutzer<br />

taktile Rückmeldungen vom am<br />

Stock angebrachten Ultraschalltranspondern<br />

liefert. Das heißt, dass Benutzer<br />

sowohl über die Richtung des<br />

Objekts in ihrer Nähe als auch über<br />

dessen Entfernung informiert werden<br />

können. Die Verwendung der Taktilen<br />

Anzeige bedeutet, dass sie diese<br />

Informationen sowohl effektiv als auch<br />

diskret erhalten.<br />

Taktile Anzeigeanlagen<br />

Die Komplexität einer taktilen<br />

Anzeige hängt von der beabsichtigten<br />

Verwendung ab. Ein einfaches Kommunikationsgerät<br />

kann über einen<br />

Taktor verfügen, eine Navigationsanlage<br />

dagegen über zwei oder mehr<br />

Taktoren. Im letzteren Fall wird allgemein<br />

davon ausgegangen, dass sich<br />

mit acht oder zwölf Taktoren ein ausreichender<br />

Genauigkeitsgrad erreichen<br />

lässt. Eine Anlage zur räumlichen<br />

Orientierung, insbesondere für 3-D-<br />

Anwendungen, könnte jedoch potenziell<br />

über mehr als 100 Taktoren verfügen.<br />

Die Zahl der in ein Gerät eingebauten<br />

Taktoren hat leicht ersichtlich<br />

Auswirkungen auf die Gesamtgröße,<br />

das Gewicht, die Stromversorgung<br />

und die Bedienung des Geräts. Es erübrigt<br />

sich, darauf hinzuweisen, dass<br />

für die vollständige Entwicklung einer<br />

taktilen Anzeigeanlage eine beträchtliche<br />

Menge an Zeit und Mitteln investiert<br />

werden muss. Der größten<br />

Einschränkung unterliegen Taktile<br />

Anzeigen aufgrund der Forderung,<br />

dass der Taktor Körperkontakt haben<br />

muss. Dazu bedarf es eines Verfahrens,<br />

das den Taktor an der Haut<br />

hält, was bei Anordnungen aus mehreren<br />

Taktoren eine beträchtliche technische<br />

Herausforderung darstellen<br />

kann, vor allem, wenn die komplexen<br />

Formen des Körpers berücksichtigt<br />

werden müssen. Verliert einer oder<br />

mehrere Taktoren den Kontakt mit<br />

dem Körper, kann die Anlage je nach<br />

dem bei der Konstruktion berücksichtigten<br />

Redundanzgrad unwirksam<br />

werden. Deshalb sollte die Anlage so<br />

ausgelegt sein, dass diesem potenziellen<br />

Problem begegnet wird.<br />

Weitere Forschungsund<br />

Entwicklungsarbeit<br />

Genauso wie die fortgesetzte Entwicklung<br />

von Taktoren und Verfahren<br />

zu ihrer Befestigung am Körper bedürfen<br />

auch eine Reihe grundlegender<br />

ergonomischer Faktoren der weiteren<br />

Untersuchung, um den Erfolg taktiler<br />

Anzeigen in der Zukunft sicherzustellen.<br />

Zur Steigerung der Wirksamkeit<br />

von Taktoren und um sicherzustellen,<br />

dass sie mit größtmöglichem Nutzen<br />

am Körper verwendet werden, werden<br />

auch weiterhin Informationen<br />

über die Eigenschaften der Haut und<br />

darüber, wie diese sich an unterschiedlichen<br />

Stellen des Körpers verändern,<br />

benötigt. Dahin gehende<br />

Forschungsarbeiten werden zurzeit an<br />

der Universität Princeton in Zusammenarbeit<br />

mit dem Forschungslaboratorium<br />

für Luft- und Raumfahrtmedizin<br />

der US-Marine (NAMRL)<br />

durchgeführt. Da taktische Anzeigen<br />

auf Plattformen eingesetzt werden,<br />

22 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />

die gegenwärtig noch Eigenschwingungen<br />

unterliegen, besteht<br />

die Gefahr, dass auf Schwingungen<br />

basierende (vibro)-taktile Signale nicht<br />

von den Hintergrundschwingungen<br />

unterschieden werden können. Zurzeit<br />

werden Arbeiten zu diesem Punkt am<br />

QuinetiQ Centre for Human Sciences<br />

durchgeführt, die vom britischen<br />

Verteidigungsministerium finanziert<br />

werden. Es besteht die Hoffnung, dass<br />

die Ergebnisse vibrotaktile Schwellenwertdaten<br />

liefern, aus denen die<br />

Anlagenkonstrukteure die erforderliche<br />

Spezifikation für Taktile Anzeigen,<br />

die in einer Schwingungsumgebung<br />

verwendet werden sollen, ableiten<br />

können. Ein Beispiel für die Notwendigkeit<br />

dieser Arbeiten zeigte sich<br />

während der Entwicklung der Navigationsanlage,<br />

die für die Aufstellung<br />

des Geschwindigkeitsweltrekords für<br />

Blinde auf dem Wasser verwendet<br />

wurde. Es stellte sich heraus, dass kleine<br />

vibrotaktile Vorrichtungen während<br />

der Versuche mit einem Hochgeschwindigkeitsboot<br />

nicht wahrgenommen<br />

werden konnten, da die vom<br />

Boot bei der Bewegung über die<br />

Wasseroberfläche und die von den<br />

großen Bootsmotoren verursachten<br />

Schwingungen die Anlage unwirksam<br />

machten. Dieses Problem wurde<br />

dadurch gelöst, dass die Taktoren an<br />

Körperstellen befestigt wurden, die<br />

von den Stellen entfernt lagen, an<br />

denen sich der Bootsführer an der<br />

Bootstruktur festhielt, d. h. die<br />

Taktoren wurden von den Händen/<br />

Armen zum Körperrumpf verlegt. Es<br />

sind weitere Arbeiten erforderlich, um<br />

festzustellen, welche taktilen Signale<br />

mit der größten Effektivität wahrgenommen<br />

werden. Wie wird zum<br />

Beispiel eine Anweisung zur Fahrtrichtungsänderung<br />

nach rechts gegeben;<br />

wie wird angezeigt, wie weit<br />

nach rechts die Fahrtrichtung geändert<br />

werden soll und wie wird über zu starke<br />

Korrekturen der Kursrichtung informiert?<br />

Des Weiteren werden mehr<br />

Informationen über die Fähigkeit zur<br />

Unterscheidung unterschiedlicher taktiler<br />

Melodien bei nur geringer<br />

Ausbildung benötigt. Das Szenario ist<br />

vielleicht dem beim Morsecode vergleichbar.<br />

Zwei oder drei Buchstaben<br />

lassen sich leicht voneinander unterscheiden<br />

und verstehen, es bedarf<br />

aber eines großen Ausbildungsaufwands,<br />

um zwischen 26 Buchstaben<br />

genau und schnell unterscheiden zu<br />

können. Um die Entwicklung Taktiler<br />

Anzeigen unterstützend zu erleichtern,<br />

wurde von der Forschungs- und<br />

Technologieagentur der NATO eine<br />

technische Arbeitsgruppe eingerichtet.<br />

Zurzeit setzt sich die Arbeitsgruppe<br />

aus Vertretern Großbritanniens, der<br />

Niederlande, der USA und Kanadas<br />

zusammen. Zu den Zielen der Arbeitsgruppe<br />

gehören:<br />

• Identifizierung gegenwärtiger taktiler<br />

Anlagen und Anwendungen,<br />

• Identifizierung einschlägiger Normen<br />

und Richtlinien für taktile Anlagen,<br />

• Erstellung einer Datenbank des veröffentlichten<br />

wissenschaftlichen<br />

Wissens über taktile Wahrnehmung,<br />

• Bestimmung von Versuchsmethoden<br />

für Forschungsvorhaben auf dem<br />

Gebiet der taktilen Wahrnehmung,<br />

• Bestimmung von Versuchsmethoden<br />

zur Schaffung taktiler Referenzbedingungen,<br />

• Identifizierung von Sicherheitsfragen<br />

in Zusammenhang mit taktilen Anlagen,<br />

• Unterstützung der Vernetzung von<br />

Forschergruppen, Dienststellen und<br />

Fachleuten, die sich mit der taktilen<br />

Wahrnehmung befassen und<br />

• Verteilung von Informationen über<br />

taktile Anlagen.<br />

Schlussfolgerung<br />

Bei Taktilen Anzeigen handelt es sich<br />

um ein relativ neues Produkt auf dem<br />

Anzeigegerätemarkt. Diese Anzeigen<br />

haben das Potenzial sowohl die<br />

Leistungsfähigkeit als auch die Sicherheit<br />

zu verbessern, was unter allen<br />

möglichen Umgebungsbedingungen,<br />

von Bedingungen unter Wasser bis hin<br />

zur Mikrogravitation, erfolgreich nachgewiesen<br />

wurde. Es sind weitere<br />

Arbeiten zur Weiterentwicklung der<br />

Taktorauslegung im Hinblick auf die<br />

Anforderungen spezifischer Anwendungen<br />

erforderlich. Forschungsarbeiten<br />

zu den ergonomischen<br />

Faktoren der taktilen Wahrnehmung<br />

werden dabei helfen, die Auslegung<br />

der Anzeigen zu optimieren und die<br />

Wirksamkeit taktiler Anzeigen zu verbessern,<br />

um so die Leistungsfähigkeit<br />

und Sicherheit der Bediener zu<br />

erhöhen.<br />

<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

23


Flugsicherheit<br />

Ein (nicht) ganz normaler<br />

Tag ...<br />

von Leutnant Alexander Baumbach,<br />

Einsatzführungsbereich 3<br />

Control and Reporting Center<br />

Holzdorf/Schönewalde - SUNRISE<br />

Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />

Vorwort<br />

Der Einsatzführungsdienst der <strong>Luftwaffe</strong><br />

stellt die Integrität des Luftraums<br />

über der Bundesrepublik<br />

Deutschland sicher. Dazu überwachen<br />

im Rahmen des NATO Integrated Air<br />

Defence Networks die Gefechtsstände<br />

Holzdorf/Schönewalde (Einsatzführungsbereich<br />

3), Messstetten,<br />

Erndtebrück, Brockzetel und Cölpin<br />

den Luftraum über der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

Unter der NATO-Führung von<br />

CAOC 2 in Kalkar und CAOC 4 in<br />

Messstetten erstellen diese Verbände<br />

ein aktuelles identifiziertes Luftlagebild,<br />

welches als Entscheidungsgrundlage<br />

der militärischen und politischen<br />

Führung dient. Hierzu wird der Himmel<br />

über Deutschland mit einem<br />

umfassenden Netzwerk ziviler und<br />

militärischer Radarsensoren abgedeckt.<br />

Bei Einsätzen unter nationaler<br />

Führung leitet die Führungszentrale<br />

Nationale Luftverteidigung (FüZNatLV)<br />

in Kalkar das Teamwork der Einsatzführer<br />

und Jagdgeschwader.<br />

Die Komponente Waffeneinsatz-/-<br />

Jägerleitsektion stellt mit ihren Einsatzführungsoffizieren<br />

die Überwachung<br />

und Führung des militärischen<br />

Übungsflugbetriebs und die Bereitschaft<br />

für den Einsatz der beiden<br />

NATO-Alarmrotten in Neuburg an der<br />

Donau und Wittmundhafen sicher.<br />

Sobald sich ein Luftfahrzeug im zugewiesenen<br />

Überwachungsraum auffällig<br />

verhält, wird dies den übergeordneten<br />

Dienststellen gemeldet.<br />

Sollte dann ein Alarmstart befohlen<br />

werden, führt ein Team aus Controller<br />

und Assistent die ihnen zugeordneten<br />

Flugzeuge unter Beachtung<br />

aller nationalen Flugsicherheitsbestimmungen<br />

und taktischer Gesichtspunkte<br />

an das Ziel heran und ermöglicht<br />

über eine Sichtidentifizierung<br />

weitere Maßnahmen wie zum Beispiel<br />

Abdrängen, das Zwingen zur Landung<br />

oder auch einfach nur Hilfe bei<br />

Luftnotlagen. Einfach nur? Der folgende<br />

Artikel zeigt, dass man einen<br />

solchen Einsatz nie unterschätzen<br />

darf...<br />

Der Wochenenddienst als Einsatzführungsoffizier<br />

mit Jagdlizenz ist das,<br />

was man allgemein hin als „QRA-<br />

Bereitschaft“ 1 bezeichnet. An Wochenenden<br />

und Feiertagen herrscht in<br />

Deutschland kein militärischer Übungsflugbetrieb<br />

- was den Dienst in unserem<br />

Bunker (im dienstlichen Sprachgebrauch<br />

auch <strong>Luftwaffe</strong>nkampfführungsanlage<br />

genannt) als überschaubare<br />

Tätigkeit erscheinen lässt.<br />

NOTAMs 2 werden auf den aktuellen<br />

Stand der nächsten Woche gebracht,<br />

Karten können im großen Maßstab<br />

aktualisiert werden - ja auch dem<br />

Tagesgeschäft eines <strong>Luftwaffe</strong>noffiziers<br />

mit allen seinen Nebentätigkeiten<br />

kann hier geordnet nachgegangen<br />

werden. Durchaus planbare<br />

Dienstzeit also. So könnte man denken...<br />

So dachte ich auch an diesem<br />

Pfingstmontag, als ich nachmittags<br />

zur Nachtschicht erschien. Die obligatorische<br />

Übergabe mit dem Tagschicht-Controller<br />

fand in der gewohnten<br />

Ruhe und Professionalität<br />

24<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT


Bild: Lt Baumbach<br />

statt, und die ersten Routine-Arbeiten<br />

einer Controller-Schicht konnten beginnen<br />

- bis nach nicht ganz einer<br />

Stunde in der Operationszentrale eine<br />

LOOP-Durchsage 3 meine Aufmerksamkeit<br />

erregte. Die tschechische<br />

Luftraumüberwachung in Stara Boleslav<br />

meldete ein Flugzeug, welches<br />

ohne Funkkontakt und Sekundärradar<br />

4 vom polnischen in den tschechischen<br />

Luftraum einflog.<br />

So weit so gut - die Tschechen hatten<br />

in der Nähe von Prag Primärradarauffassung<br />

5 zu diesem Luftfahrzeug,<br />

welches auch noch ziemlich langsam<br />

zu fliegen schien - eigentlich kann<br />

man sich in dieser Situation zurücklehnen<br />

und den Kollegen auf der<br />

anderen Seite der Grenze die Arbeit<br />

überlassen. Außerdem hatten wir eh<br />

keinen Radarkontakt an der bezeichneten<br />

Position.<br />

Unsere Identifizierungssektion arbeitete<br />

dennoch an dem Problem und<br />

eröffnete uns dann, dass das (vermutete)<br />

Flugzeug laut Flugplan eigentlich<br />

wenige Minuten zuvor in Stuttgart<br />

hätte gelandet sein müssen. Eine<br />

Nachfrage dorthin ergab aber das nun<br />

schon erwartete Ergebnis: dort ist<br />

kein Flugzeug mit diesen Daten gelandet,<br />

sondern wird erst in zwei Stunden<br />

erwartet. Dies passte ja genau<br />

auf „unser“ nicht identifiziertes<br />

Luftziel, welches sich nach Aussage<br />

der tschechischen Luftverteidigung<br />

immer noch schnurstracks Richtung<br />

Grenze bewegte. Wir besetzten die<br />

Alarmposition und trafen wie immer<br />

alle Vorbereitungen für den Einsatz.<br />

Mein Assistent, Oberfeldwebel<br />

Sören Eidner, unterstützte mich beim<br />

schnellen Aktualisieren und Überprüfen<br />

aller eventuell benötigten Frequenzen<br />

und Funkgeräte (die zentral<br />

verwaltet werden) - und so hatten wir<br />

auch zügig einen Alarmstatus eingenommen,<br />

der sofortiges Eingreifen<br />

ermöglicht. Die Alarmrotte in Neuburg,<br />

zwei F-4F Phantom, wurde vom<br />

Bereitschaftsgrad 15 Minuten in 5<br />

Minuten befohlen - die Piloten eilten<br />

zu ihren Maschinen, und gingen ihre<br />

Checklisten durch. Nach der Klarmeldung<br />

des neuen Status erging<br />

vom CAOC 6 die Anweisung, die beiden<br />

bewaffneten Maschinen in 2-<br />

Minuten-Bereitschaft zu setzen.<br />

Die F-4Fs rollten jetzt zur Number<br />

One-Position - dem Haltepunkt direkt<br />

vor der Startbahn. Bis dahin auch<br />

noch kein Grund zur Unruhe.<br />

Seit dem 11. September ist man<br />

eben sensibler geworden, wenn es<br />

um ungewöhnliche Flugsituationen<br />

geht.<br />

Etwa dreißig Meilen vor der Grenze<br />

erfasste unser Radarverbund das<br />

suspekte Flugzeug erstmals in einer<br />

Höhe von 20.000 Fuß (ca. 6.000 m).<br />

Der Rundruf an alle Flugsicherungsstellen<br />

ergab dann auch, dass wir die<br />

einzige Flugsicherungskontrollstelle<br />

waren, die diese Maschine auf dem<br />

Bildschirm sah.<br />

Der Ausfall des Sekundärradars<br />

(Transponder) in einem Flugzeug ist<br />

im allgemeinen ärgerlich für die Flugsicherung<br />

- weil diese dann das dazugehörige<br />

Luftziel weder identifizieren<br />

noch vernünftig verfolgen kann -<br />

auch die Höheninformation, welche<br />

der Höhenmesser im Cockpit über<br />

den Transponder an die Bodenstelle<br />

sendet, entfällt damit naturgemäß. Im<br />

schlimmsten Fall sieht man das Flugziel<br />

auf ziviler Seite gar nicht mehr.<br />

Genau dies war jetzt passiert!<br />

Im militärischen Bereich - dem Einsatzführungsdienst<br />

der <strong>Luftwaffe</strong> -<br />

arbeitet man seit jeher mit Primärund<br />

Sekundär-Radardaten, weil in<br />

einem Krisen- oder Konfliktszenario<br />

der Gegner ja auch nicht munter pfeifend<br />

seine Identität preisgeben möchte.<br />

Ein Primärradar ermittelt die<br />

Position eines Flugzieles durch den<br />

Empfang der reflektierten Radarwelle<br />

und berechnet dessen Höhe aus dem<br />

Erfassungswinkel und der Entfernung<br />

zu diesem Ziel - ist also vollkommen<br />

unabhängig von aktiven Antwortgeräten<br />

des Flugzeuges. Da jedes<br />

militärische Radar an einem anderen<br />

Punkt der Republik steht und damit<br />

andere Auffassungsbedingungen hat,<br />

zeigten mir alle Sensoren, die ich für<br />

die Auffassung meines „unidentifizierten<br />

Flugobjektes“ einsetzte, auch<br />

eine entsprechend andere Höhe des<br />

Flugzieles über Grund. Zusätzlich erschwerend<br />

kamen noch die Wetterbedingungen<br />

hinzu: Wolken zwischen<br />

12.000 und 20.000 Fuß ...<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT 25


Flugsicherheit<br />

Doch Oberfeldwebel Eidner unterstützte<br />

mich auch hierbei hervorragend.<br />

Der zeitraubende Abgleich der<br />

Höhendaten war, neben den sonstigen<br />

Aufgaben rund um den Kontrollschirm,<br />

eine wichtige flugsicherheitsrelevante<br />

Leistung - denn Zeit war<br />

jetzt das, was ich nicht hatte.<br />

Um 16:24 Z überflog das Kleinflugzeug<br />

bei Cheb die deutsch-tschechische<br />

Grenze ...<br />

flüge gegen so genannte „entführte“<br />

Linienmaschinen begannen nicht<br />

so ...<br />

Es wird ernst ...<br />

Start beim JG 74 in Neuburg um<br />

16:39 Z.<br />

Koordinierte Flugfläche 200 und<br />

Richtung 010°.<br />

Das Target (also das Zielflugzeug)<br />

kurz vor Nürnberg.<br />

Alles passt „wie die Faust aufs<br />

Auge“.<br />

Der Vorhaltewinkel zum Ziel stimmt<br />

überein mit den errechneten Parametern.<br />

Die Phantoms steigen gut durch,<br />

der Luftraum um das „Theater“ wird<br />

sukzessive leerer. Doch was ist das:<br />

kein Anruf der Flugsicherung. Die<br />

Piloten kommen nicht zu mir auf die<br />

Frequenz - die erste „non-standardsituation“.<br />

Der Anruf beim verantwortlichen<br />

Sektor der zivilen Flugsicherung<br />

ergibt, dass dieser scheinbar<br />

gar nicht so recht weiß, wann er<br />

denn die „Luftpolizei“ in militärische<br />

Hand geben soll. Kurze Koordination<br />

und wenig später der vertraute Satz<br />

im linken Ohr: „Sunrise, Sunrise, Lima<br />

Kilo 56 flight on your freq!“. Kurze<br />

Identifizierung, erste Zielansprache<br />

und der Hinweis aus den uns zur<br />

Verfügung stehenden Quellen, dass<br />

Letzte Vorbereitungen ...<br />

In- und externe Kontrollinstanzen<br />

prüften nun alle Kriterien für die<br />

Rechtfertigung des Einsatzes der<br />

Alarmrotte und befahlen schließlich<br />

zehn Minuten nach Überflug der<br />

Grenze den Start der zwei F-4Fs aus<br />

Neuburg. Diese bekamen mit dem<br />

Startbefehl (vom CRC 7 ) ihre zugewiesene<br />

Flugrichtung und -höhe, die<br />

mit dem Wachleiter der jeweiligen<br />

überörtlichen Flugsicherungsstelle<br />

koordiniert und von den Sektorlotsen<br />

freigehalten wurden.<br />

Jetzt geht´s also los, dachte ich<br />

noch. Zweimal vorher hatte ich ähnliche<br />

Alarmeinsätze geführt. Den<br />

ersten Einsatz bestand ich drei<br />

Wochen nach meiner „örtlichen<br />

Zulassung“ (also quasi der endgültigen<br />

Erlaubnis, ohne Aufsicht Flugzeuge<br />

zu führen).<br />

Der zweite Einsatz folgte vier<br />

Wochen später - ein Airliner hatte<br />

sich nicht bei der zuständigen Flugsicherung<br />

gemeldet. Kurz vor dem<br />

Abheben der Kampfflugzeuge konnte<br />

der Einsatz aber gestoppt werden,<br />

da der Pilot der B737 den Knopf für<br />

das Mikrofon wieder gefunden<br />

hatte.<br />

Doch heute war alles anders. Geschätzte<br />

200 Meilen ohne Funkkontakt<br />

ließen darauf schließen, dass der<br />

Pilot echte Probleme hatte. Auch das<br />

Fehlen der Sekundärradardaten<br />

brachte mich ins Grübeln. Irgendetwas<br />

schien bei diesem Einsatz anders<br />

zu sein, als in der Ausbildung.<br />

Die dutzendfach geübten Schutzes<br />

sich bei dem Ziel wahrscheinlich<br />

um eine Piper Malibu (einmotorige,<br />

sechssitzige Turboprop-Maschine)<br />

handelt.<br />

Und schon hatte ich meine zweite<br />

„non-standard-situation“: die Phantoms<br />

mit ihren Außentanks brauchen<br />

eine höhere Geschwindigkeit als die<br />

des Kleinflugzeugs, um nicht vom<br />

Himmel zu fallen.<br />

Auch wenn bis hierhin alles noch<br />

halbwegs vertraut war, so brachte<br />

mich der Hinweis des Rottenführers<br />

schon einigermaßen ins Schwitzen,<br />

dass „IMC between flightlevel 080 and<br />

200“, also zwischen 8.000 und<br />

20.000 Fuß Instrumentenflugbedingungen<br />

- also dichte Wolken - herrschten.<br />

Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />

Dumm nur, dass meine Propellermaschine<br />

nach allen mir zur Verfügung<br />

stehenden Angaben dabei<br />

war, von 20.000 Fuß zu sinken - und<br />

die mir anvertrauten Piloten der<br />

Luftverteidigung gerade in dieser<br />

Höhe angekommen waren - meine<br />

dritte „non-standard-situation“! D. h.<br />

in nächster Zeit spielt sich alles in den<br />

Wolken ab !<br />

And there I was ...<br />

Die Situation stellte sich mir wie<br />

folgt dar: ein Kleinflugzeug mit<br />

geschätzten 200 Knoten Geschwin-<br />

26 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Bild: Lt Baumbach<br />

digkeit, im permanenten Sinkflug<br />

durch 12.000 Fuß dichte Wolken,<br />

zwei bis zur Halskrause betankte und<br />

bewaffnete Jagdflugzeuge, die in<br />

Radar-Trail-Formation (der Rottenflieger<br />

Bravo ca. eins bis zwei Meilen<br />

mit Radarkontakt auf seinen Rottenführer<br />

Alpha) auf ihr Ziel eindrehten<br />

...- und jetzt kam meine vierte „nonstandard-situation“:<br />

Trotz ständiger Zielzuweisung meldete<br />

mir der Rottenführer fehlenden<br />

Radarkontakt zum Ziel („Kunststück“,<br />

dachte ich mir, „der wird wahrscheinlich<br />

Murphy’s Gesetz und seiner<br />

Größe entsprechend von deinem<br />

Radar auch nur als Vogel behandelt -<br />

und ist dem gleichen Gesetz folgend<br />

wahrscheinlich weit jenseits des Auffassungskegels<br />

der Phantom-Radarkeule“)<br />

- wenig später war der Grund<br />

klar: Alpha meldete den kompletten<br />

Systemausfall seines Radars.<br />

Nun muss man eins wissen - die Gewährleistung<br />

der Flugsicherheit geht<br />

über den Luftverteidigungsauftrag.<br />

Wir befinden uns im tiefsten Frieden<br />

- und Menschenleben gehen vor!<br />

Der unmotivierte Zusammenstoß<br />

zwischen Jäger und Gejagtem ist<br />

nicht der Sinn eines Abfangeinsatzes<br />

- sondern die Gewährleistung der<br />

Sicherheit im Luftraum. Die reine<br />

Flugsicherheit steht also über der<br />

Erfüllung des Einsatzauftrags zur<br />

Wahrung der Lufthoheit.<br />

Auf der einen Seite stand ich vor<br />

der Aufgabe, dieses Flugzeug<br />

schnellstmöglich abzufangen - und<br />

nach getaner Sicht-Identifizierung<br />

weitere Entscheidungen der lufthoheitlich<br />

verantwortlichen Stellen<br />

(CAOC auf NATO-Seite, FüZNatLV 8<br />

auf nationaler Seite) zu erwarten, auf<br />

der anderen Seite hatte ich die Flugsicherheit<br />

zu gewährleisten. Es nützt<br />

niemanden, wenn vielleicht der gute<br />

Wille da ist, aber durch einen Crash in<br />

der Luft Opfer zu beklagen sind.<br />

Das waren sie also - meine drei Probleme:<br />

Der Auftrag, die Gegebenheiten<br />

in der Luft und mein Ziel ...<br />

und alles ist unter einen Hut zu bringen.<br />

Bis jetzt waren alle drei Flugzeuge<br />

auf meinem Radarschirm sicher horizontal<br />

gestaffelt, doch mit dem Sinkflug<br />

des Zieles und der höheren Geschwindigkeit<br />

der Phantoms war es<br />

notwendig geworden, zusätzlich eine<br />

vertikale Staffelung zu gewährleisten.<br />

Inzwischen ging der Rottenführer in<br />

eine Linkskurve, um seine Radarprobleme<br />

zu lösen und nicht in brenzlige<br />

Situationen mit diesem ungewissen<br />

Propeller-Flieger zu kommen.<br />

Genau jetzt war der Bravo in einer<br />

taktisch sehr günstigen Position zum<br />

Ziel, er konnte mit seinem wesentlich<br />

genaueren Jäger-Radar unser Luftziel<br />

sehen und im Sinkflug der Propellermaschine<br />

hinterherfliegen.<br />

Nachdem dieses „Sortieren“ dann<br />

abgeschlossen war, meldete Bravo<br />

erneut Zielauffassung (diesmal unter<br />

der vermuteten Wolkenuntergrenze)<br />

und setzte den Anflug fort - sein<br />

Auftrag lautete ja Sichtidentifizierung.<br />

Ohne eine verlässliche Aussage über<br />

die genaue Höhe und Position des<br />

Ziels darf und kann man den Jäger<br />

aber nicht an das Ziel heranführen.<br />

Deshalb verglich ich ständig die<br />

Radarhöhen der QRA mit der bodenseitig<br />

bestimmten Höhe des Kleinflugzeuges<br />

und gab diese an die<br />

Piloten weiter.<br />

Dabei wäre automatisch eine „inflight-separation“,<br />

also eine räumliche<br />

Trennung der beiden Phantoms her-<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

27


Flugsicherheit<br />

gestellt worden: Bravo auf Westkurs<br />

(hoch) hinter dem Ziel, Alpha (tief) auf<br />

Ostkurs.<br />

Nach der Anfrage, ob der Rottenflieger<br />

Bravo das Abfangen übernehmen<br />

könnte, folgte dieser seinem Alpha - was<br />

dazu führte, dass der (durch Radarausfall<br />

und Wolken komplett „erblindete“) taktische<br />

Führer in der Luft (Alpha) nun ein<br />

sinkendes Flugzeug zu verfolgen hatte,<br />

von dem ich keine exakte Höhe,<br />

geschweige denn eine Sinkrate bestimmen<br />

konnte.<br />

Jetzt aber befanden sich die beiden<br />

Maschinen in einer Situation, die<br />

Alpha (sehr richtig aus seinem situativen<br />

Bild) als sehr gefährlich einschätzte.<br />

Da vorher versäumt wurde, ein<br />

koordiniertes Airborne-TACAN 9 in den<br />

beiden Maschinen einzustellen, kannte<br />

er die Position seines Flügelmannes<br />

nicht und beharrte auf der<br />

Herstellung einer Höhenstaffelung<br />

durch mich, den Radarleitoffizier.<br />

Zu keiner Zeit aber war die Staffelung<br />

der beiden Flieger (die ich ja<br />

auch zu überwachen habe) ein Problem,<br />

da sich aus den beiden (sehr<br />

guten) Radarkontakten die horizontale<br />

Separierung ableiten ließ.<br />

Dem Wunsch kam ich trotzdem<br />

nach, indem ich mir von Bravo den<br />

Radarkontakt zum Rottenführer bestätigen<br />

ließ und anschließend ein<br />

Steig- und ein Sinkflugkommando<br />

erteilte, das den Bravo nach unten,<br />

Alpha hingegen nach oben brachte.<br />

Damit hätte ich dann mit dem<br />

„sehenden“ Flugzeug die noch tiefer<br />

fliegende Propellermaschine erreichen<br />

können, ohne noch einmal die Flughöhen<br />

„meiner“ Flieger zu kreuzen.<br />

Auf Wiedersehen unter den Wolken...<br />

Der Anflug erfolgte nach den ICAO-<br />

Regeln 10 mit wenigen Knoten Fahrtüberschuss<br />

- welches anscheinend genau<br />

die Minimalgeschwindigkeit der<br />

Phantom war - und endete mit einer<br />

Sichtidentifizierung. „Super“, dachte<br />

ich, „ab hier haben wir endlich wieder<br />

Standardverfahren!“ - erst mal<br />

das Ergebnis der Identifizierung ans<br />

CAOC übermitteln, in der Zwischenzeit<br />

den Kampfjet nebenher fliegen<br />

lassen und dann die Entscheidung der<br />

vorgesetzten Dienststellen wieder an<br />

die QRA übermitteln. Doch auch hier<br />

machte mir Murphy einen Strich<br />

durch die Rechnung.<br />

Der geplante Seite-an-Seite-Flug der<br />

Piper Malibu (Geschwindigkeit: geschätzte<br />

150 Knoten) und der Phantom<br />

war in der Form nicht möglich.<br />

Bravo flog Kurven, um seine zu hohe<br />

Fahrt in mehr Weg zu investieren und<br />

damit effektiv langsamer zu werden,<br />

scheiterte aber daran und brach wieder<br />

nach links weg, um eine Verzögerungskurve<br />

zu fliegen. Im selben<br />

Moment aber übernahm der von hinten<br />

anfliegende Alpha wieder den<br />

Einsatz und flog - mit dem „Gott sei<br />

Dank“ wieder funktionsfähigen Radar<br />

- von hinten an das Target.<br />

Unterdessen - so erfuhr ich jetzt -<br />

hatte der Pilot der Propellermaschine<br />

über Handy Verbindung mit Stuttgart<br />

Tower aufgenommen. Er bat darum,<br />

von den ihn umkreisenden Kampfjets<br />

zum Flugplatz geführt zu werden.<br />

Scheinbar war ein elektrischer Fehler<br />

im Cockpit schuld an dem Ausfall desselben<br />

- inklusive aller Navigationseinrichtungen<br />

und Hilfssysteme. „Upps!“<br />

dachte ich, „das kann ja heiter werden<br />

mit solch einem Geschwindigkeitsüberschuss!“<br />

Doch die QRA löste<br />

das Problem ganz elegant mit Hilfe<br />

eines Racetrack-Pattern - also ständig<br />

abwechselnd am Ziel vorbeifliegen,<br />

um dem Piloten so den Weg zu weisen.<br />

Nach dem Einflug in den Zuständigkeitsbereich<br />

der Stuttgarter Anflugkontrolle<br />

koordinierte ich mit eben<br />

diesem Radararbeitsplatz das weitere<br />

Vorgehen. Diese sehr gute Zusammenarbeit<br />

war beeindruckend. Mir<br />

wurden alle „Wünsche“ erfüllt und<br />

anschließend die „Kontrolle und<br />

Kommunikation“ mit der Alarmrotte<br />

übernommen. Zeit zum Durchatmen<br />

- dachte ich.<br />

Das Flugverhalten der Phantoms<br />

unter ziviler Kontrolle kam mir recht<br />

merkwürdig vor für den Anflug auf<br />

Stuttgart. Diverse Anrufe bei Stuttgart<br />

Tower aber ließen mich erfahren, dass<br />

die Piper Malibu auch Probleme hatte,<br />

ihr Fahrwerk auszufahren und deswegen<br />

mehrere Anflüge abbrechen musste.<br />

Währenddessen drehten „meine<br />

Phantoms“ über Stuttgart Kreise und<br />

ließen die immer noch suspekte<br />

Maschine nicht aus den Augen. Auch<br />

die Parameter für die Rückführung<br />

der QRA nach Neuburg wurde in diesen<br />

Minuten koordiniert - sowie die<br />

eine oder andere Nachfrage unserer<br />

vorgesetzten Dienststellen weitergeleitet,<br />

Nachfragen der Phantoms an<br />

mich beantwortet und nicht zuletzt<br />

auch militärische Flugverfahren mit<br />

dem Anfluglotsen besprochen - an<br />

dieser Stelle sieht man schon, wie hier<br />

Stress aufgebaut werden kann. Ein<br />

Luftnotfall mit Landeproblemen, zwei<br />

Kampfflugzeuge auf der Frequenz<br />

und dutzendweise Telefonate mit<br />

dem Kollegen von der Luftverteidigung.<br />

Meinem Kollegen bei der zivilen<br />

Flugsicherung ging es nicht anders<br />

als mir!<br />

Der lange Weg nach Hause ...<br />

Für die Rückführung nach Hause<br />

ging mein Plan auch an Murphy<br />

zugrunde. Die gemeldete Landung<br />

der Piper in Stuttgart kam nicht so<br />

schnell bei der Führung an, wie ich<br />

wieder Funkkontakt zur Alarmrotte<br />

hergestellt hatte. Den bei mir im Kopf<br />

abgeschlossenen Einsatz wollte ich<br />

nun durch die Rückführung nach Neuburg<br />

beenden, als aus dem CAOC der<br />

Auftrag kam, weiterhin über Stuttgart<br />

zu kreisen. Also wieder Approach<br />

anrufen, diesem mein Anliegen klarmachen<br />

(Kreise ziehen), Piloten zum<br />

Frequenzwechsel auffordern, zurücklehnen<br />

- gerade nach dem Wechsel<br />

der Kontrollfrequenz erging dann der<br />

nächste Befehl zum Heimflug.<br />

Anruf, kurze Darstellung der neuen<br />

Situation, LK56 zurück auf meine<br />

28 II/2005 FLUGSICHERHEIT


Frequenz 11 . Keine Minute später wird<br />

dann der Schutzflug aber auch noch<br />

in einen Übungsschutzflug umgewandelt.<br />

Diesen darf ich aber nicht über<br />

Flugfläche 100 kontrollieren (dieser<br />

Luftraum „gehört“ der zivilen Flugsicherung),<br />

da fast alle Sonderrechte<br />

der Maschinen hinfällig werden. Der<br />

letzte Anruf nach Stuttgart, zum<br />

Schluss ein „Sorry, für die Umstände<br />

...“ und das sichere Gefühl, mein Gesprächspartner<br />

hat gerade so viel<br />

Falten in der Stirn wie ich unter den<br />

Augen ...<br />

Die QRA setzt ihren Heimflug nach<br />

dem ich-weiß-nicht-wievielten Frequenzwechsel<br />

in der letzten Viertelstunde<br />

ohne Probleme unter Münchner<br />

Kontrolle fort und schließt diese<br />

Mission mit einer normalen Landung<br />

dort ab ...<br />

... wenigstens gab es etwas Normales<br />

- die sichere Landung meiner<br />

Pantoms - an diesem Pfingstmontagabend.<br />

Um 18:00 Z konnte die Nachtschicht<br />

beginnen ...<br />

Fazit<br />

Auch wenn der Einsatz der Luftverteidigung<br />

seit Bestehen der<br />

Bundeswehr fast täglich geübt wird,<br />

auch wenn es beinahe wöchentlich zu<br />

Einsätzen der Alarmrotte auf suspekte<br />

Flugziele im Luftraum kommt - man<br />

darf nie in festgefügte Schemen verfallen.<br />

Jede Mission hat ihre Eigenheiten.<br />

Und auch wenn man denkt,<br />

alles in irgendeiner Form schon einmal<br />

erlebt zu haben, sollte man nicht<br />

damit rechnen, dass mal für alle<br />

Fallkombinationen das passende<br />

Denkschema parat hat.<br />

Der Abfangeinsatz unter Instrumentenflugbedingungen<br />

auf ein sehr<br />

langsames Flugzeug - mit einem nur<br />

ungenauen Radarbild kann meines<br />

Erachtens nach schon als „worst-casemission“<br />

angesprochen werden. Ich<br />

habe daraus gelernt, dass meine<br />

Ausbilder sehr gut daran getan<br />

haben, mir Flugsicherheit als oberstes<br />

Gebot zu verinnerlichen.<br />

In dieser Situation kommt man<br />

schnell an einen Punkt, in dem der<br />

innere Schweinehund namens „Ehrgeiz“<br />

versucht, den Auftrag mit allen<br />

möglichen Mitteln durchzuführen.<br />

Und hier muss man sich selbst zurückpfeifen.<br />

Der Auftrag „Sicherstellung<br />

der Integrität des Luftraums“ (also<br />

einer eher abstrakten Größe) muss<br />

unter solchen Voraussetzungen zurückstehen,<br />

bis die konkrete Größe<br />

„Flugsicherheit“ nicht mehr gefährdet<br />

ist.<br />

Gegenseitige Hilfe ist hier kein<br />

Zeichen von Unprofessionalität, sondern<br />

einfach das bestmögliche Ausnutzen<br />

aller zur Verfügung stehenden<br />

Mittel. Als Einsatzführungsoffizier<br />

habe ich den Gesamtüberblick über<br />

die Situation, überwache den Anflug<br />

an das Ziel, stelle die Trennung der<br />

beiden F-4F untereinander sicher und<br />

beobachte den Luftraum um das<br />

„Theater“. Daneben bin ich für die<br />

taktische Leitung des Gesamteinsatzes<br />

zuständig.<br />

Die Piloten haben, mit ihren<br />

wesentlich höheren Abtastraten am<br />

Flugzeugradar aber das bessere Detailbild.<br />

Wenn wir nun gegenseitig die<br />

vollen Fähigkeiten der jeweiligen<br />

Systeme kennen und im Ernstfall auch<br />

deren Grenzen beachten - dann können<br />

wir das Optimum für den Einsatz<br />

(eine schnelle Identifizierung) und die<br />

bestmögliche Flugsicherheit gewährleisten.<br />

Wir müssen die Kommunikation<br />

zwischen den Piloten und Einsatzführern<br />

intensivieren. Jeder Nutzer<br />

militärischer Radarführung sollte sich<br />

im Klaren sein, welche Informationen<br />

(mit welcher Glaubwürdigkeit) er vom<br />

CRC erwarten kann, genauso wie wir<br />

uns in das Cockpit des Abfangjägers<br />

versetzen müssen. Dazu gehören<br />

nicht nur die obligatorischen telefonischen<br />

Besprechungen vor und nach<br />

jeder Mission, sondern auch regelmäßige<br />

Besuche beim jeweils anderen<br />

- zum Kennenlernen der Systeme.<br />

Menschenleben gehen über alles.<br />

Unsere Piloten in den F-4F haben ihres<br />

riskiert, um der Besatzung der Piper<br />

Malibu zu helfen. Das Risiko kann nur<br />

minimiert werden - und dafür müssen<br />

wir alle lernen, den anderen besser zu<br />

verstehen.<br />

<br />

1) QRA – Quick Reaction Alert, Alarmrotte zur Luftverteidigung. Deutschland hält je zwei bewaffnete Abfangjäger in einer fünfzehnminütigen Bereitschaft in Wittmundhafen<br />

und Neuburg an der Donau.<br />

2) Notice to Airmen – Nachrichten für Luftfahrer<br />

3) LOOP ist die Fernsprechkonferenz, in der alle diensthabenden CRCs und CAOCs miteinander Informationen von allgemeinem Interesse austauschen<br />

4) aktives Gerät, welches auf die Abfrage eines bodenseitigen Radars einen vierstelligen Zahlencode und die Flughöhe übermittelt und damit die Identifizierung ermöglicht.<br />

Die zivile Flugsicherung arbeitet fast ausschließlich mit Sekundärradarzielen.<br />

5) d. h. die Radarwelle wird nur vom Objekt reflektiert, von der hierbei ermittelten Position und Höhe abgesehen, werden keinen weiteren Informationen bereitgestellt<br />

6) CAOC – Combined Air Operations Center, vorgesetzte NATO-Dienststelle der Luftverteidigung, die übergreifend alle CRCs und diensthabende Alarmrotten der<br />

Jagdgeschwader führen<br />

7) CRC – Control and Reporting Center, militärische Radarüberwachungsstation und Flugleitstelle<br />

8) FüZNatLV – Führungszentrum nationale Luftverteidigung, eine Koordinierungsstelle, die nach dem 11. September eingeführt wurde, um bei Bedrohungen aus der Luft<br />

Vertreter der Ministerien für Inneres, Verteidigung und Verkehr zu haben. Stationiert in Kalkar leistet dieser „Krisenstab“ auf Abruf 24 Stunden Dienst an sieben Tagen in<br />

der Woche – also genau wie wir im CRC.<br />

9) Airborne TACAN – System, das ermöglicht, Richtung und Entfernung zum eingestellten Sender abzulesen. Wird benutzt, um bei der Auftrennung („split“) einer Rotte und<br />

Verlust des Sichtkontakts dessen Position genau bestimmen zu können.<br />

10) Von hinten dem Ziel nähern und mit 20 Knoten „Überholgeschwindigkeit“ bis an dessen Position herankommen, anschließend verlangsamen und parallel fliegen.<br />

11) da ein Schutzflug von mir als Militärlotsen geführt wird, sollte die zivile Flugsicherung ihn nur so wenig wie nötig kontrollieren, um das Übermitteln von<br />

Führungsentscheidungen so schnell wie möglich zu ermöglichen<br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

29


Fighter. Es war sehr mühsam, dem<br />

Controller auf dem Tower wegen dessen<br />

schlechter Beherrschung der englischen<br />

Sprache - Stückchen für Stückchen<br />

- die Absicht der Crew zu übermitteln.<br />

Kurz um, beim ersten Run<br />

zeigte sich, dass es noch zu Vibrationen<br />

am Bugrad kam - dieses Mal aber<br />

bei einer anderen Geschwindigkeit als<br />

beim ersten Mal. Der Bitte an den<br />

Tower, die Runway am Ende verlassen<br />

zu können, wurde mit Cleared for<br />

take-off? beantwortet. Mittlerweile<br />

kamen aber Fighter auf dem Taxiway<br />

entgegen, was für die E-3A ein Verlassen<br />

der Runway nicht mehr ermöglichte!<br />

Der Kommandant beschloss deshalb,<br />

das Luftfahrzeug mit einer 180°-<br />

Drehung auf der Bahn zu wenden,<br />

beim ersten Rollweg die Bahn zu verlassen<br />

und zum Liegeplatz zurückzurollen.<br />

Nach dem Wenden schob er<br />

die Gashebel nach vorn um zu rollen,<br />

um sie dann überraschend auf beinahe<br />

Volllast zu schieben! Dies zusammen<br />

mit der Bemerkung: “Lasst uns<br />

sehen, wann nun die Vibration beginnt“.<br />

Es spricht für sich selbst, dass<br />

dieses Manöver jeden im Cockpit<br />

erstaunte ... Am anderen Ende der<br />

Bahn angekommen, fragte der Tower,<br />

ob es Probleme gab und ob Hilfe<br />

erforderlich sei, was durch den Kommandanten<br />

verneint wurde. Das wiederum<br />

stürzte den Tower-Controller<br />

sichtlich in Verwirrung. Von diesem<br />

Moment an hielt er sich (in türkischer<br />

Sprache) allein an seine Fighter im<br />

Traffic Pattern. Auf unsere Calls reagierte<br />

er darauf nicht mehr!<br />

Beim Zurückrollen erklärte uns der<br />

Kommandant, dass er diesen extra<br />

Run gemacht habe, um präzise festzustellen,<br />

was mit diesem Flugzeug<br />

los sei. Auf die Frage, ob er die zusätzliche<br />

Beanspruchung der Bremsen<br />

berechnet habe, reagierte er mit<br />

einem Bremsversuch, um diese zu<br />

checken. Sowohl Co-Pilot als auch<br />

Bordingenieur waren sich einig, dass<br />

die Limits der Bremsanlage bei weitem<br />

überschritten wurden! Es musste<br />

mit Hot Brake - und allem was dazu<br />

gehört - gerechnet werden. Versuche,<br />

über den Tower Hilfe von der Feuerwehr<br />

zu erhalten, wurden ignoriert.<br />

Der Controller beschäftigte sich -<br />

noch immer in türkischer Sprache -<br />

mit dem Airborne Traffic. Die Mission-<br />

Crew der AWACS wurde per Intercom<br />

auf eine eventuelle Evakuierung des<br />

Flugzeuges auf Weisung des Kommandanten<br />

vorbereitet.<br />

Nun befand sich also eine soeben<br />

abgestellte NATO E-3A Sentry mit Hot<br />

Brakes und vollgetankt auf dem Liegeplatz.<br />

Zu großen Erstaunen der Crew<br />

sahen diese - noch bevor dazu ein<br />

Zeichen gegeben wurde - ein Mitglied<br />

der Mission-Crew weglaufen! Darauf<br />

folgte - auf Weisung des Kommandanten<br />

– ein Emergency Ground<br />

Egress für den Rest der Mission Crew.<br />

Derweil neigte sich das Flugzeug zur<br />

Seite, was auf einen (oder mehrere)<br />

drucklose(n) Reifen hin deutete. Vor<br />

dem Abschalten der Bordspannung<br />

wurde noch versucht, über Ground<br />

Control die Feuerwehr zu verständigen,<br />

was aber auch vergeblich war.<br />

Draußen am Fahrwerk zeigte sich,<br />

dass bei acht Hauptfahrwerkrädern -<br />

um eine Explosion der Reifen wegen<br />

Überdruckszuverhindern-dieSchmelzsicherungen<br />

ausgelöst hatten. Der<br />

Rauch, der sich durch das Schmelzen<br />

der Sicherungen wegen der Überhitzung<br />

der Felgen entwickelte, wurde<br />

durch die türkische Ground Crew als<br />

Brandherd interpretiert. Sie beschlossen,<br />

diesen Brand mit Hilfe von kaltem<br />

Wasser zu löschen, was gemäß<br />

Vorschrift wegen der Explosionsgefahr<br />

des Reifens und der Felge ausdrücklich<br />

verboten ist! Gott sei Dank<br />

konnte der Bordingenieur das Löschen<br />

mit Wasser aber verhindern.<br />

Nachdem die Räder auf natürliche<br />

Weise abgekühlt waren, wurde eine<br />

Inspektion des Fahrwerks durchgeführt.<br />

Es zeigte sich, dass mehrere<br />

Reifen platt waren und einige Felgen<br />

bombenfest auf den Achsen saßen.<br />

Lessons learned?<br />

Aus diesem Vorfall kann eine Anzahl<br />

von Lesson Learned gezogen<br />

werden. Weil wir überzeugt sind, dass<br />

sie das selbst gut können, belassen<br />

wir es dabei. Zwei wichtige Lessons<br />

wollen wir ihnen aber trotzdem - zur<br />

Abrundung dieses Artikels - nicht vorenthalten:<br />

Stick to your plan! Aber wenn davon<br />

abgewichen wird oder abgewichen<br />

werden muss, dann lassen Sie<br />

das die übrigen Besatzungsmitglieder<br />

wissen.<br />

Be prepaired to raise the bulsh..<br />

flag! D.h.: Weisen Sie darauf hin, dass<br />

Ihrer Meinung oder Ihrem Wissensstand<br />

nach etwas so nicht geht oder<br />

anders sein muss. Dies gilt für jedes<br />

Mitglied der Besatzung. <br />

II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />

31


Flugsicherheit<br />

Wir begrüßen<br />

Dezernat C wurde seit dem 01. April 2005 durch Major Norbert Burmeister<br />

verstärkt. Im Sommer 1978 trat er in die Bundeswehr ein und durchlief die Ausbildung<br />

zum Hubschrauberpiloten. Von 1981 an war er als Einsatzpilot für fast acht Jahre beim<br />

HFlgRgt 6 in Itzehoe, es folgte die Versetzung zum mTrspHubschrRgt 15 in Rheine. Hier<br />

war er als stv Schwarmführer, S3-Offizier, Schwarmführer und Einsatzstabsoffizier eingesetzt<br />

worden. Die gesammelten Erfahrungen, besonders während den beiden Einsätzen<br />

im Rahmen ISAF (Kabul und Termez), möchte er in seiner neuen Tätigkeit als Sachbearbeiter<br />

CH-53 einfliesen lassen und u. a. mit einem offenen Dialog zur Truppe flugsicherheitsrelevante<br />

Probleme lösen.<br />

Wir verabschieden<br />

Oberstleutnant Eugen Weiss hat zum 31.03.2005 die Bundeswehr verlassen.<br />

Sein beruflicher Werdegang in der Bundeswehr begann 1972 mit der Grundausbildung<br />

in Fritzlar. Nach der Offizierausbildung an der Infanterieschule Hammelburg absolvierte<br />

er ein Hochschulstudium der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften in München<br />

mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann. Für zwei Jahre führte er einen Zug beim<br />

PzGrenBtl 142 in Koblenz bevor seine fliegerische Laufbahn begann. Der Hubschraubergrundausbildung<br />

in Bückeburg schlossen sich Verwendungen als Verbindungshubschrauberpilot<br />

auf dem Luftfahrzeugmuster Al II in Mendig, als Einsatzoffizier einer<br />

Al II - Staffel in Niederstetten, als Schwarmführer auf PAH in Roth, mit der Umschulung<br />

auf LTH/MTH (incl. die Berechtigung als IFR Rotary Wing Examiner) die Versetzung nach<br />

Mendig an. In den Jahren 1991 bis 1996 flog er zahlreiche Einsätze im Irak für UNSCOM<br />

und im Kosovo für KFOR. Seit dem Oktober 2000 war er der FlSichhOffz im HFlgRgt 35.<br />

Seine letzte Versetzung führte ihn in das <strong>Luftwaffe</strong>namt, zur Abteilung FlSichhBw. Hier<br />

war er Sachbearbeiter für die Unfall- und Zwischenfalluntersuchungen, verantwortlich<br />

im Bereich der Hubschrauber für die Waffensysteme CH-53 und UH-Tiger.<br />

Wir wünschen für den nun kommenden Lebensabschnitt alles Gute.<br />

Frau Brigitte Massa ist in den Ruhestand gegangen, nachdem sie 42 Jahre für die<br />

Bundeswehr gearbeitet hat, davon alleine 32 Jahre bei der Dienststelle GenFlSichhBw im<br />

Vorzimmer des Generals. Der „Besen der Abteilung“- wie sie sich selbst nannte - hat<br />

sich in dieser Zeit besonders als Wächterin aller schriftlichen Ausarbeitungen hervorgetan.<br />

Darüberhinaus hat sie mit subtilem Nachdruck die Steuerung der Termine der<br />

Führung der Abteilung bewältigt.<br />

Im nun folgenden Lebensabschnitt wünscht die Abteilung Gesundheit und Zufriedenheit.<br />

32 II/2005 FLUGSICHERHEIT

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