FluSi205.V5.qxp - Luftwaffe
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Editorial<br />
Termine, Termine, Termine. Das Berufsleben ist hektisch.<br />
So neigt sich der Tag seinem Ende entgegen und ich frage mich, was habe ich erledigt, was ist noch offen und<br />
bedarf einer Initiative meinerseits? Es fehlt die Zeit, entspannt im Stuhl nach hinten gelehnt, Gedanken wandern<br />
zu lassen. Gedanken zum Beispiel um die Schnelllebigkeit, die wir im Alltag allgegenwärtig gezeigt bekommen.<br />
Große Entfernungen werden in kurzen Zeiten bewältigt, Kommunikation und Informationsaustausch findet<br />
in Echtzeit, also mit minimalen Zeitverzögerungen, statt. Mit Hilfe der Computer lassen sich komplexe und<br />
umfangreiche Arbeitsschritte bei richtiger Anwendung zeitlich so optimieren, dass uns die Ergebnisse schneller<br />
vorliegen bzw. einholen, als es manchmal gewünscht ist. Dies sind die Sonnen- und Schattenseiten der heutigen<br />
Zeit. Überraschenderweise ist es im Trend, keine Zeit zu haben. Wie oft hören wir, dass aus zeitlichen<br />
Gründen Treffen oder persönliche Gespräche nicht stattfinden können. Mal ehrlich unter uns gesprochen, wann<br />
haben Sie sich bewusst die Zeit genommen, ein „unbequemes“ Thema aufzugreifen und dem Gesprächspartner<br />
gesagt: Ich habe Zeit für ein Gespräch.<br />
Für die Flugsicherheit, ich hoffe ein „angenehmes“ Thema, müssen wir uns Zeit nehmen, als aktives und passives<br />
Mitglied im Flugbetrieb. Es gilt mit offenen Augen die Umwelt zu beobachten und zeitgerecht Missstände,<br />
aber auch die Entstehung dieser, zu erkennen und mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterbinden.<br />
Nehmen Sie sich ebenfalls die Zeit, diese Ausgabe der Flugsicherheit zu lesen. Da hat u. a. der Autor des<br />
Berichtes Eurocontrol eine Übersicht der sicherheitsrelevanten Veränderungen im europäischen Luftverkehrsmanagement<br />
erstellt, die sich in der letzten der Zeit etabliert haben bzw. etablieren werden.<br />
In dem folgenden Artikel „Eine verpasste Gelegenheit“ beschreibt ein Flugsicherheitsoffizier, wie er feststellen<br />
musste, dass die eingereichte Zwischenfallmeldung einige offene Fragen beinhaltete und dass der verantwortliche<br />
Pilot sich besser etwas mehr Zeit genommen hätte, diese Zwischenfallmeldung zu erstellen.<br />
Es gibt nichts, was es nicht gibt, stellte ein Luftfahrzeugnachprüfer eines ArtAufklBtl fest und konnte bei seiner<br />
Recherche feststellen, dass der Hersteller seines Einsatzmittels einen Fehler beging und der anschließende<br />
Kontroll- und Prüfablauf von luftfahrzeugtechnischem Zubehör nicht fehlerfrei funktionierte.<br />
„Die Gefahr high zu sein“ ist ein Bericht aus dem Flying Safety Magazine, der sich mit dem Thema Drogen<br />
befasst. Die Bundeswehr ist Teil der Bevölkerung und wird ebenfalls mit diesem Problemfeld konfrontiert, der<br />
Kasernenzaun schützt uns nicht vor dieser Gefahr. Wichtig bei diesem Thema (das gilt natürlich auch für die oft<br />
nicht ernst genommene Droge Alkohol): Nehmen Sie sich Zeit für das eigene persönliche Umfeld und beobachten<br />
Sie dieses aufmerksam.<br />
Es folgen interessante Berichte zu den Themen Taktile Anzeigen, Vögel im Flugbetrieb und von einem (nicht)<br />
ganz normalen Tag in einem CRC.<br />
Der Sommer steht vor der Tür. Ich wünsche denen, die es betrifft, eine schöne Urlaubszeit, aus der Sie erholt<br />
um dann wieder frohen Mutes in Ihren Arbeitsbereich zurückkehren. Diejenigen, die die Stellung halten, fordere<br />
ich zu besonderer Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft auf. Für Sie wird in den nächsten zwei<br />
Monaten das Thema „Zeit“ eine besondere Qualität erhalten. Nicht nur Ihre eigenen Aufgaben gilt es zu bewältigen,<br />
sondern auch die Ihrer Kameraden im Urlaub. Nehmen Sie sich die Zeit zu priorisieren, umfangreich zu<br />
analysieren und den Überblick zu bewaren. In der Ruhe liegt die Kraft.<br />
Nehmen Sie sich jetzt die Zeit für Ihren Beitrag zur Flugsicherheit.<br />
In diesem Sinne, fly safe<br />
1
Flugsicherheit<br />
Eurocontrol<br />
Umsetzung von EUROCONTROL Safety<br />
Regulatory Requirements (ESARR) in<br />
die Bundeswehr<br />
Der nachfolgende Beitrag von<br />
Oberstleutnant Mennen ist der erste<br />
in einer Reihe von Berichten über<br />
sicherheitsrelevante Veränderungen<br />
im europäischen Luftverkehrsmanagement.<br />
Die im Artikel getroffenen<br />
Bewertungen geben ausschließlich die<br />
Meinung des Verfassers wieder.<br />
Allgemeines<br />
Als Romano Prodi 1999 Präsident<br />
der Europäischen Kommission wurde,<br />
benannte er zwei Bereiche, auf die<br />
seiner Meinung nach die Europäische<br />
Union (EU) verstärkt einwirken sollte,<br />
um den Bürgern Europas zu verdeutlichen,<br />
dass man sich ihrer Sorgen bewusst<br />
sei: die Sicherung einer gleich<br />
bleibenden Lebensmittelqualität und<br />
die Beseitigung des „Chaos in der<br />
Luft“.<br />
Auf die Bemühungen der EU hinsichtlich<br />
Lebensmittelqualität/-sicherheit<br />
wird in diesem Artikel nicht näher<br />
eingegangen, wohl aber auf die Sicherheit<br />
im Luftverkehr.<br />
Die EU hatte endlich begriffen, dass<br />
der Zersplitterung des europäischen<br />
Luftraums und der Uneinheitlichkeit<br />
der Verfahren und Zuständigkeiten<br />
ein Ende gesetzt werden muss, will<br />
man den Anforderungen an den beständig<br />
expandierenden Luftverkehr<br />
auch in Zukunft gerecht werden.<br />
Gleichzeitig galt und gilt es weiterhin,<br />
erkannte Sicherheitsmängel und -<br />
Gefahren zu beseitigen sowie trotz<br />
steigender Ölpreise die Kosten auf ein<br />
vernünftiges Level zu halten.<br />
Folglich haben die Verkehrsminister<br />
der EU im Jahr 2000 die Annahme der<br />
„ATM (Air Traffic Management) STRA-<br />
TEGY FOR THE YEAR 2000+“ beschlossen.<br />
Diese Strategie legt einheitliche<br />
Sicherheitsstandards und<br />
Verfahren für ein Risikomanagement<br />
mit dem Ziel einer Bewertung und<br />
Steigerung der Sicherheit und Effizienz<br />
im europäischen Luftverkehrsmanagement<br />
fest.<br />
EUROCONTROL Safety<br />
Regulatory Requirements<br />
(ESARR)<br />
Ausgehend von diesen Vorgaben<br />
hat EUROCONTROL unter Beteiligung<br />
der Mitgliedsländer Anforderungen<br />
für Sicherheitsstandards (ESARR) entwickelt.<br />
Diese betreffen alle drei<br />
Elemente des ATM-Systems:<br />
Personal, Verfahren und<br />
Ausrüstung.<br />
Im Rahmen des im Frühjahr 2004<br />
vom Europäischen Parlament gebilligten<br />
und in Kraft gesetzten Projektes<br />
SINGLE EUROPEAN SKY werden die<br />
ESARR wiederum in EU-Recht überführt.<br />
Die gesetzlichen<br />
Regelungen der EU sind<br />
für die Mitgliedsstaaten<br />
unmittelbar verbindlich.<br />
Nach Veröffentlichung<br />
sind die ESARR in der<br />
Regel innerhalb von drei<br />
Jahren umzusetzen<br />
(Ausnahme:<br />
ESARR 2).<br />
Diese für<br />
die zivile<br />
Seite<br />
geltenden<br />
ESARR<br />
sind<br />
2<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT
in unterschiedlicher Form und Ausprägung<br />
allerdings auch durch militärische<br />
ATM Service Provider zu beachten.<br />
Sie betreffen diese dann, wenn<br />
für zivile Luftfahrzeuge Dienste erbracht<br />
werden.<br />
Militärische Dienststellen, die ausschließlich<br />
für militärische Luftfahrzeuge<br />
in rein militärischen Lufträumen<br />
Dienste leisten, sind davon nicht betroffen.<br />
Sie sind aber eingeladen, die<br />
ESARR auf freiwilliger Basis zu erfüllen.<br />
BMVg hat angewiesen, die<br />
ESARR umzusetzen, sofern militärische<br />
Anforderungen dem nicht entgegenstehen.<br />
Begründet wird dies mit der engen<br />
Einbindung der militärischen Flugsicherung<br />
der Bundeswehr (MilFS) in<br />
das Gesamtsystem Flugsicherung, mit<br />
der teilweise vorhandenen Zuständigkeit<br />
für die Kontrolle zivilen Luftverkehrs<br />
(Stichworte: Durchlässigkeit<br />
militärisch genutzter Lufträume und<br />
zivile Mitnutzung von Militärflugplätzen)<br />
und nicht zuletzt mit der Schaffung<br />
einer harmonisierten Grundlage<br />
für den Einsatz der MilFS in Krisenszenarien<br />
im Ausland bzw. im Verbund<br />
mit anderen Streitkräften.<br />
Derzeit wird durch das Amt für<br />
Flugsicherung der Bundeswehr<br />
(AFSBw) geprüft, welche Bereiche der<br />
Streitkräfte in welcher Weise von der<br />
Umsetzung der ESARR betroffen sind.<br />
Neben den hier vorgestellten ESARR<br />
ist zudem eine ESARR in Vorbereitung,<br />
die sich mit den Anforderungen<br />
an Global Navigation Satellit<br />
Systems (GNSS) befasst. Außerdem ist<br />
daran gedacht, eine weitere ESARR zu<br />
entwickeln, die auf die Systeme, das<br />
operationelle Management sowie auf<br />
die verfahrenstechnischen Aspekte<br />
von ATM abzielt.<br />
Umsetzung in der<br />
Bundeswehr<br />
Nachfolgend wird erläutert, in wieweit<br />
ESARR auch die MilFS betreffen.<br />
Ferner wird der Stand der Umsetzung<br />
in der Bundeswehr dargestellt.<br />
Die Nummerierung der ESARR’s ist<br />
etwas irreführend. Die wichtigste und<br />
daher auch als Erste veröffentlichte<br />
ESARR ist zweifelsohne die ESARR 3<br />
„Use of Safety Management Systems<br />
by ATM Service Providers“. Sie<br />
beschreibt die Sicherheitsarchitektur,<br />
die ATM - Organisationen einzunehmen<br />
haben (s. Abbildung Seite 4)<br />
Übersicht über derzeit vorhandene ESARR<br />
ESARR Title Released Implementation Date(s)<br />
ESARR 1 Safety Oversight in ATM 05.11.2004 05.11.2007<br />
ESARR 2 Reporting & Assessment 03.11.2000 01.01.2000 (Phase 1)<br />
of Safety Occurrences in ATM 01.01.2001 (Phase 2)<br />
01.01.2002 (Phase 3)<br />
ESARR 3 Use of Safety Management 13.07.2000 13.07.2003<br />
Systems by ATM Service Providers<br />
ESARR 4 Risk Assessment and Mitigation 05.04.2001 05.04.2004<br />
in ATM<br />
ESARR 5 Safety Regulatory Requirements 10.11.2000 10.11.2003 (ATCO&Gen.)<br />
for ATM Services Personnel<br />
11.04.2005 (ATSEP)<br />
ESARR 6 Software in ATM systems 06.11.2003 06.11.2006<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT 3
Flugsicherheit<br />
ter Zwang zur<br />
Anwendung für<br />
die Bundeswehr<br />
ergibt, empfiehlt<br />
es sich wegen<br />
der oben beschriebenen<br />
Einbindung<br />
der<br />
MilFS in das Gesamtsystem<br />
Flugsicherung<br />
und<br />
der praktizierten<br />
Dienstleistung<br />
für zivile Luftfahrzeuge<br />
die<br />
ESARR 3 in Gänze<br />
umzusetzen.<br />
Elemente von<br />
ESARR 3 sind<br />
zweifelsohne<br />
bereits jetzt in<br />
der MilFS vorhanden,<br />
jedoch<br />
gibt es kein zusammenhängendes,<br />
alle Aspekte<br />
abdeckendes<br />
Konzept. Die<br />
Umsetzung von<br />
ESARR 3 wird anfänglich mit einem<br />
hohen organisatorischen Aufwand<br />
verbunden sein, zudem erwachsen<br />
daraus möglicherweise auch personelle<br />
Mehrforderungen (zumindest die<br />
Wahrnehmung von Zweitfunktionen).<br />
So ist z.B. für jede FS-Dienststelle ein<br />
Safety Manager zu benennen.<br />
Dennoch halte ich den Mehraufwand<br />
für absolut berechtigt, weil der<br />
ganzheitliche Ansatz Schwachstellen<br />
im Air Traffic Management klarer als<br />
bislang erkennen lassen wird.<br />
Als nächstes wurde im November<br />
2000 die ESARR 2 „Reporting and<br />
Assessment of Safety Occurences in<br />
ATM“ veröffentlicht. Sie befasst sich<br />
mit der Meldung und Bewertung von<br />
sicherheitsrelevanten Vorfällen im<br />
Luftverkehrs-Management. Zur Erreichung<br />
eines beständig hohen<br />
Sicherheitsstands im (europäischen)<br />
Luftverkehr ist es erforderlich, harmo-<br />
Die Einführung eines formalen<br />
Safety Management Systems (SMS)<br />
wird als zentrales Schlüsselkonzept für<br />
eine Verbesserung der Sicherheit im<br />
Luftverkehrs-Management angesehen.<br />
Im Vergleich zu den kürzlich von<br />
der ICAO im Annex 11 (und Doc.<br />
4444 PANS-RAC) veröffentlichten<br />
ATM-Sicherheitskonzepten, die nur<br />
einige wenige ausgesuchte Einzelaspekte<br />
beschreiben, handelt es sich<br />
bei ESARR 3 um ein gut durchdachtes<br />
Rahmengebilde, das ausgehend von<br />
einer Safety Policy alle sicherheitsrelevanten<br />
Aspekte des Luftverkehrsmanagements<br />
umfassend abbildet.<br />
Diese ESARR ist gemäß Ziffer 3 von<br />
allen ATM- Dienstleistungsunternehmen<br />
umzusetzen „that fall within the<br />
jurisdiction of the national ATM safety<br />
regulatory body“.<br />
Auch wenn sich aus diesem Text<br />
nach meiner Einschätzung kein direknisierte<br />
Melde- und Bewertungsschemata<br />
für sicherheitsrelevante Vorfälle<br />
einzuführen. Nur so ist eine systematische<br />
Erkennbarkeit von Vorfällen<br />
und deren Ursachen sowie die Einleitung<br />
von Korrekturmaßnahmen auf<br />
breiter Ebene möglich. ESARR 2 ist u.<br />
a. bei allen sicherheitsrelevanten Vorfällen<br />
anzuwenden, bei denen militärische<br />
FS-Stellen oder Stellen des<br />
Einsatzführungsdienstes Dienste für<br />
zivile Luftfahrzeuge geleistet haben<br />
(vergl. Ziffer 3.3). Auf freiwilliger Basis<br />
können auch die Vorkommnisse gemeldet<br />
werden, die ausschließlich und<br />
gleichzeitig eine Kombination von<br />
militärischen Luftfahrzeugen und militärischen<br />
Dienstleistern betreffen.<br />
Weiterhin sind alle sicherheitsrelevanten<br />
Vorfälle zu erfassen, bei denen<br />
zivile FS-Stellen für zivile und/oder<br />
militärische Luftfahrzeuge Dienste geleistet<br />
haben.<br />
ESARR 2 wird bereits teilweise<br />
durch die Bundeswehr umgesetzt. Gemeldete<br />
Vorfälle werden durch LwA<br />
AbtFlBtrbBw untersucht und durch<br />
die zivil-militärisch zusammengesetzte<br />
AIRPROX EVALUATION GROUP<br />
(APEG) klassifiziert. Die relevanten<br />
Vorfälle werden jährlich an EURO-<br />
CONTROL weitergemeldet.<br />
Allerdings leidet die Aussagekraft<br />
der Meldungen derzeit allgemein noch<br />
an der hohen Dunkelziffer, d.h. es<br />
wird nur ein geringer Teil der Vorfälle<br />
bekannt und bearbeitet, so dass allgemeine<br />
Trends und übergreifende<br />
Problemstellen nur schwer zu identifizieren<br />
sind.<br />
Kurz nach der ESARR 2 wurde die<br />
ESARR 5 „ATM Services Personnel“<br />
verabschiedet, die sich mit den<br />
Anforderungen an das Personal der<br />
Luftverkehrsmanagement-Dienste befasst<br />
(sie betraf zunächst nur das<br />
Flugverkehrskontrollpersonal, jetzt<br />
auch die FS-Techniker. Leider ist das<br />
Flugberatungspersonal derzeit noch<br />
nicht ausdrücklich angesprochen).<br />
Diese EUROCONTROL-Anforderung<br />
ist aus der Notwendigkeit entstanden,<br />
4 II/2005 FLUGSICHERHEIT
die Richtlinien und Empfehlungen des<br />
ICAO-Anhangs 1 zu ergänzen und<br />
dafür zu sorgen, dass bei Erlaubnisscheinen<br />
bzw. Befähigungszeugnissen<br />
die Sicherheitsaspekte in größerem<br />
Maße mit den im Bereich der EURO-<br />
PEAN CIVIL AVIATION CONFERENCE<br />
(ECAC) zur Verfügung gestellten Flugverkehrskontrolldiensten<br />
in Einklang<br />
stehen.<br />
Die Befähigung des ATM-Personals<br />
und ggf. die Erfüllung der medizinischen<br />
Anforderungen stellen grundlegende<br />
Aspekte der Herstellung von<br />
Sicherheit im Luftverkehrsmanagement<br />
dar. Die Anwendung der EURO-<br />
CONTROL-Sicherheitsanforderungen<br />
in diesem Bereich zielt darauf ab, auf<br />
harmonisierter Basis Mindestwerte in<br />
Bezug auf die Befähigung und<br />
Leistungsfähigkeit des mit sicherheitsrelevanten<br />
Aufgaben im Flugverkehrsmanagement<br />
betrauten Personals<br />
festzulegen. Unter Befähigung ist in<br />
diesem Zusammenhang das Vorhandensein<br />
von Wissen, Fertigkeiten, Erfahrungen<br />
und, falls erforderlich, englischen<br />
Sprachkenntnissen zur sicheren<br />
und effizienten Durchführung von<br />
ATM-Dienstleistungen zu verstehen.<br />
BMVg Fü L III 4 hat in Abstimmung<br />
mit BMVBW bereits im Januar 2001<br />
die Umsetzung der Vorgaben von<br />
ESARR 5 für das ATM-Personal, das<br />
mit sicherheitsrelevanten Aufgaben<br />
betraut ist, festgelegt.<br />
Die zwischenzeitlich durch das<br />
AFSBw in der BesAnMilFS 5-100 für<br />
das Flugverkehrskontrollpersonal vorgegebenen<br />
Verfahren gehen sogar<br />
über die ursprünglichen Forderungen<br />
hinaus. Die Umsetzung ist in den<br />
Verbänden weitestgehend erfolgt.<br />
Obwohl in der ESARR 5 nicht ausdrücklich<br />
angesprochen, sind seit dem<br />
15. November 2004 auch für das<br />
Flugberatungspersonal der Bundeswehr<br />
entsprechende Regelungen für<br />
den Erwerb von Erlaubnissen und<br />
Berechtigungen in Kraft. Im nächsten<br />
Schritt werden die FS-Techniker eingebunden.<br />
ESARR 4 „Risk Assessment and<br />
Mitigation in ATM” behandelt die<br />
Nutzung der Risikobewertung und<br />
Risikoreduzierung einschließlich der<br />
Bestimmung von Gefährdungen im<br />
Luftverkehrsmanagement bei der<br />
Einführung und/oder Planung von<br />
Änderungen im System des Luftverkehrsmanagement<br />
(unter Berücksichtigung<br />
ihrer Bestandteile in der<br />
Luft und am Boden). Sie begründet<br />
sich in der zunehmenden Integration<br />
des Luftverkehrsmanagements über<br />
Ländergrenzen hinweg sowie dessen<br />
beständig wachsende Automatisierung<br />
und Komplexität, die einen<br />
systematischen und gut strukturierten<br />
Ansatz für die Risikobewertung und –<br />
reduzierung erfordert.<br />
Dieses Requirement deckt die<br />
Bereiche Personal, Verfahren und<br />
Ausrüstung (Hardware, Software) des<br />
Luftverkehrsmanagements sowie<br />
seine Betriebsumgebung ab. Es befasst<br />
sich jedoch nicht mit der Bewertung<br />
der Einführung und/oder<br />
Planung von Änderungen der Organisation<br />
oder des Managements der<br />
Bereitstellung von Luftverkehrsmanagement-Diensten<br />
(diese sind in ESARR<br />
3 abgebildet).<br />
Gemäß Ziffer 3.2 der ESARR 4 gelten<br />
deren Bestimmungen auch für<br />
militärische ATM- Dienstleister, sofern<br />
sie nicht nur und ausschließlich<br />
militärische Luftfahrzeuge in abgegrenzten<br />
militärischen Lufträumen<br />
kontrollieren.<br />
Sie werden von der MilFS bei<br />
Einführung von neuen oder Änderung<br />
von bestehenden Systemen grundsätzlich<br />
beachtet. Es ist jedoch zu prüfen,<br />
ob die Anforderungen in Gänze<br />
erfüllt werden.<br />
ESARR 6 „Software in ATM-systems“<br />
beschreibt die Requirements,<br />
die sicher stellen sollen, dass die mit<br />
der Nutzung von Software in sicherheitsrelevanten,<br />
bodengebundenen<br />
ATM- Systemen verbundenen Risiken<br />
auf ein tolerierbares Niveau reduziert<br />
werden. Sie ist letztlich eine Erweiterung<br />
und Spezifizierung der ESARR 4<br />
in Hinblick auf die Nutzung von Software<br />
im Luftverkehrsmanagement.<br />
Zur Anwendbarkeit wird lediglich ausgesagt<br />
„The ATM service-provider<br />
shall provide the required assurances,<br />
to the Designated Authority, that the<br />
requirements in section 1.2 above<br />
have been satisfied”.<br />
Auch hier ist zu prüfen, in wieweit<br />
die Anforderungen durch Bundeswehr-Dienststellen<br />
zu erfüllen sind<br />
und, falls zutreffend, ob sie erfüllt<br />
werden.<br />
ESARR 1 „SAFETY OVERSIGHT IN<br />
ATM“ ist im November 2004 verabschiedet<br />
worden. Sie enthält harmonisierte<br />
Vorgaben für nationale<br />
Aufsichts- und Regulierungsbehörden<br />
hinsichtlich der Zertifizierung und<br />
Überwachung (Safety Oversight) von<br />
ATM- Dienstleistern.<br />
Zwei Hauptprozesse bilden den<br />
Kern von ESARR 1. Ein safety regulatory<br />
audit bietet die Möglichkeit<br />
objektive Beweise darüber zu erhalten,<br />
ob die von der Regulierungsbehörde<br />
vorgegebenen Sicherheitsanforderungen<br />
erfüllt werden. Des weiteren<br />
wird beschrieben, wie hinsichtlich<br />
der Einführung von neuen Systemen<br />
oder Änderung von Systemen<br />
zu verfahren ist.<br />
ESARR 1 zielt auch auf militärische<br />
ATM-Provider (vergl. Objective im Text<br />
Teil B.1.c.iii: „enabling joint civil / military<br />
initiatives with regard to ATM<br />
safety oversight in accordance with<br />
the existing regulatory framework”).<br />
Wenngleich die Bundeswehr mit<br />
den von GenFlSichhBw durchgeführten<br />
Flugsicherheitsinspizierungen ein<br />
gut etabliertes System hat, sollte dennoch<br />
in Verbindung mit ESARR 3<br />
überprüft werden, ob der bisherige<br />
Ansatz ausreichend ist. Zudem ist die<br />
FS-Technik in die Überprüfungen einzubeziehen.<br />
<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
5
Flugsicherheit<br />
Eine verpasste Gelegenhe<br />
von Major Ted Lee,<br />
Flugsicherheitsoffizier am Standort<br />
Borden<br />
Übersetzung vom Sprachendienst<br />
LwA<br />
Heutzutage wird man<br />
mit einer Menge unnötiger<br />
und störender Informationen<br />
überschüttet,<br />
wobei Luftfahrzeugbesatzungen<br />
wahrscheinlich<br />
noch mehr davon<br />
betroffen sind als die<br />
meisten. Ich vermute<br />
deshalb, dass die meisten<br />
Luftfahrzeugbesatzungen<br />
zum eigenen<br />
Schutz ein recht engmaschiges<br />
Filtersystem entwickelt<br />
haben, damit<br />
beim Umgang mit<br />
Belanglosem die wichtigen<br />
Dinge nicht aus den<br />
Augen verloren gehen.<br />
Flugsicherheitsoffiziere sollten sich<br />
dieser Tatsache beim Verfassen von<br />
Zwischenfallberichten bewusst sein,<br />
da die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit<br />
des Lesers zu gewinnen, begrenzt<br />
ist und, wenn sie nicht genutzt wird,<br />
wahrscheinlich auch nicht wiedergewonnen<br />
werden kann. In diesem Fall<br />
geht der wichtigste Grund für<br />
Zwischenfallberichte verloren.<br />
Als Beispiel sollen die folgenden<br />
Auszüge aus dem nachstehend geschilderten<br />
Griffon (Bell Modell 412<br />
HP)-Zwischenfall (Nr. 08) dienen, bei<br />
dem es um das Auftreten einer Überdrehzahl<br />
des Rotors in Bosnien geht.<br />
Beschreibung:<br />
Vermutliche Überdrehzahl des<br />
Hauptrotors<br />
Die Luftfahrzeugbesatzung flog mit<br />
80 - 100 Knoten, etwa 500 Fuß über<br />
Grund (AGL). Das Luftfahrzeug flog<br />
mit einem Schiebewinkel von 45 Grad<br />
nach rechts bei 65 Knoten Windgeschwindigkeit<br />
mit Böen bis zu 85 Knoten<br />
(60 G85 kn), als es zu starken<br />
Turbulenzen kam. Das Luftfahrzeug<br />
gierte bis auf 90 Grad<br />
und es wurden<br />
Steig- und<br />
Sinkraten von 1.000 bis 1.500<br />
Fuß pro Minute erreicht. Dabei wurde<br />
eine Hauptrotordrehzahl (RRPM) von<br />
106 Prozent, das Aufleuchten der<br />
Warnleuchte „RRPM“ und der Anzeige<br />
für Steuerknüppel in Neutralstellung<br />
beobachtet. Die starken<br />
Turbulenzen dauerten nahezu<br />
eine Minute, ehe die Besatzung<br />
in ruhigere Luft kam und auf<br />
dem nächstgelegenen Landeplatz,<br />
ohne weitere Zwischenfälle,<br />
sicher landen konnte.<br />
Untersuchung:<br />
Nach der Landung lud<br />
die Besatzung die Daten<br />
aus dem Luftfahrzeug-<br />
Lebensdauerüberwachungssystem<br />
herunter.<br />
Es waren keine<br />
Überdrehzahlzustände<br />
aufgezeichnet worden. Die<br />
Besatzung führte eine umfangreiche<br />
Vorfluginspektion durch<br />
und flog ohne weitere Zwischenfälle<br />
zu ihrem Stützpunkt zurück.<br />
Ursachenfaktoren:<br />
Umwelt - Wetter - starke und böige<br />
Winde führten zu einer schnellen<br />
Erhöhung der Hauptrotordrehzahl.<br />
Vorbeugende Maßnahmen:<br />
Unterweisung aller Luftfahrzeugbesatzungen.<br />
Was mich hier stört, ist die falsche<br />
Anwendung des Ursachenfaktors Umweltbedingungen.<br />
Bei einem anderen<br />
abgeschlossenen<br />
Zwischenfall<br />
zerbrach ein Fenster, als eine<br />
Windböe die offene und unbeaufsichtigte<br />
Tür auf der Pilotenseite zuschlug<br />
und als alleiniger Ursachenfaktor<br />
Umwelt/Wind angegeben wurde.<br />
Ich fragte mich dennoch, wer<br />
wohl die Tür offen gelassen hatte? Im<br />
oben genannten Fall stellte ich schnell<br />
fest, dass der gesamte Zwischenfall<br />
den tatsächlich vorhandenen starken<br />
und böigen Winden zugeschrieben<br />
wurde. Man muss jedoch ein wenig<br />
tiefer graben und andere Möglichkeiten<br />
ausschließen, bevor man sich<br />
die „Umwelt“ als Ursachenfaktor festlegen<br />
kann.<br />
A-GA-135 besagt: „Umweltursachen<br />
sind nur bei solchen Ereignissen<br />
anzuführen, bei denen<br />
angemessene und sinnvolle<br />
Sorgfalt und<br />
ange-<br />
Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />
6 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bereich Umwelt als Ursachenfaktor<br />
anzufreunden, kam ich jedoch nur bis<br />
zu dem Satz: „Welche Wetterinformationen<br />
hatte die Besatzung?“, als<br />
einer der am Briefing beteiligten<br />
Luftfahrzeugführer<br />
mich unterbrach<br />
und sich<br />
als der besagte verantwortliche<br />
Luftfahrzeugführer zu<br />
erkennen gab. Die Geschichte, die er<br />
uns erzählte, war zum Weinen. Was<br />
nun folgt ist die Schilderung des<br />
Vorfalls, den er später als Geschichte<br />
unter dem Titel „Bockiger Ritt“ zu<br />
Papier brachte, der der Geschichte<br />
jedoch kaum gerecht wird. Lesen Sie<br />
weiter, um zu erfahren, was der<br />
Luftfahrzeugführer zu erzählen hat:<br />
„Im Februar 2003 wurde unsere<br />
Staffel zur Unterstützung der<br />
multinationalen Division Nordwest<br />
nach Banja Luka, Bosnien<br />
verlegt. Im Wesentlichen fungierten<br />
wir als Taxiservice für<br />
VIPs. Der Tag begann wie jeder<br />
andere in Banja Luka. Wir erhielten<br />
unseren Flugauftrag am Vorabend.<br />
Dieses Mal sollten wir unseren VIP<br />
nach Sarajevo fliegen und zwei weitere<br />
Personen nach Bugojno, einer Basis<br />
der Niederländer auf halben<br />
Weg nach Sarajevo,<br />
jedoch etwas ab vom<br />
Kurs und im nächsten Tal<br />
gelegen. Um 06.30 Uhr<br />
waren Wetterinformationen<br />
eingeholt worden, da bei schlechtem<br />
Wetter eine lange Autofahrt notwendig<br />
gewesen wäre. Wie immer<br />
war das Wetter alles andere als ideal.<br />
Die Wolkenuntergrenzen waren so,<br />
dass man es gerade noch über die auf<br />
der Strecke nach Sarajevo liegenden<br />
Berge schaffen konnte. Unsere größte<br />
Aufmerksamkeit galt jedoch den vorhergesagten<br />
Winden - starke Turbulenzen<br />
in den Bergen, auf die wir erst<br />
gegen Ende unseres Einsatzes stoßen<br />
sollten. Trotzdem beschloss ich, den<br />
Einsatz wegen der relativ niedrigen<br />
Wolkenuntergrenze, der starken Tur-<br />
it<br />
messene und sinnvolle Vorsichtsmaßnahmen<br />
geübt wurden. Sinnvolle<br />
Vorsichtsmaßnahmen beinhalten<br />
unter anderem die umfassende Nutzung<br />
von Wetterinformationen etc.<br />
Ich fragte mich sofort, welche<br />
Wettervorhersageinformationen die<br />
Besatzung hatte. Dem Untersuchungsbericht<br />
war hierzu<br />
nichts zu entneh- men, 65G85<br />
Knoten entste- hen jedoch<br />
nicht so einfach aus dem<br />
Nichts, sodass es<br />
mehrere<br />
Möglichkeiten gab.<br />
Mindestens drei davon<br />
waren:<br />
• Es stand keine Gebietsvorhersage<br />
zur Verfügung,<br />
• die Besatzung befand sich an einem<br />
dislozierten Standort und konnte<br />
die Wettervorhersage nicht einholen<br />
oder<br />
• die Wettervorhersage wurde von<br />
der Besatzung nicht überprüft.<br />
Nach der Lektüre dieses Zwischenfalls<br />
hatte ich zwar mehr Argumente<br />
für mein Anliegen, jedoch unzureichende<br />
Erkenntnis darüber, was<br />
tatsächlich geschehen<br />
war. Routinemäßig<br />
nehme ich Einsicht in alle<br />
Griffon-Zwischenfälle und bespreche<br />
gelegentlich die Fälle von „großem<br />
Interesse“ beim morgendlichen Einsatzbriefing<br />
der 400. Staffel. An dem<br />
Tag, als ich diesen Bericht erwähnte<br />
und gerade dabei war, mich mit dem<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
7
Flugsicherheit<br />
geschwindigkeit von 60G85 Knoten<br />
an und wir flogen mit einer Geschwindigkeit<br />
über Grund von etwa<br />
60 Knoten. Sogleich unterrichtete ich<br />
unseren VIP, dass wir aufgrund der<br />
Winde einen Tankstopp in Bugojno<br />
einlegen müssten. Soweit keine Beschwerden.<br />
Um von Banja Luka nach<br />
Bugojno zu gelangen, mussten wir ein<br />
kurzes Stück von etwa 15 bis 20<br />
Meilen durch eine Bergkette fliegen.<br />
Als wir in ein Tal einbogen und der<br />
Wind genau von der Seite kam, bekamen<br />
wir die Turbulenzen zum ersten<br />
Mal so richtig zu spüren. Es war<br />
schlimm, aber zu dieser Zeit noch<br />
nicht zu extrem.<br />
Unser zweiter Fehler war, den Flug<br />
fortzusetzen. Nun trafen wir auf heftige<br />
Turbulenzen, die uns mit abwechselnden<br />
Steig- und Sinkraten von<br />
2000 ft/min auf- und abwärts schleuderten.<br />
Der Hubschrauber flog bereits<br />
mit einem Schiebewinkel von 45 Grad<br />
nach rechts und wurde um 90 Grad<br />
vom Kurs gedrängt. Um den Rotor<br />
während der rapiden Wechsel auf<br />
dem Variometer unter Kontrolle zu<br />
halten, musste ich den Blattverstellhebel<br />
anziehen. Unglücklicherweise<br />
befand sich die Wolkenuntergrenze<br />
nur ein paar hundert Fuß über uns<br />
und kam näher. Es gelang uns die<br />
Steigfluggeschwindigkeit zu stabilisieren,<br />
jedoch nur auf Kosten einer<br />
Rotor-Überdrehzahl. Nachdem alle<br />
Besatzungsmitglieder die Situation mit<br />
ein paar kräftigen Bemerkungen gewürdigt<br />
hatten, gelang es mir, uns tief<br />
und nah genug zu einem Berg zu<br />
steuern, sodass die Turbulenzen etwas<br />
abflauten und eine Notlandung in<br />
Novi Travnik, einem niederländischen<br />
Lazarett, durchzuführen. Nachdem<br />
wir einige Stunden am Boden verbrachten,<br />
um unsere Fassung wiederzugewinnen<br />
und nach mehreren Telefonaten<br />
und Inspektionen, waren wir<br />
in der Lage, den Hubschrauber wieder<br />
nach Banja Luka zu fliegen, wobei wir<br />
möglichst tief flogen, um den<br />
schlimmsten Winden aus dem Weg<br />
bulenzen und der bekannten Abneigung<br />
unseres Passagiers gegen das<br />
Fliegen abzusagen. Kein Problem. Wie<br />
erwartet wurden wir gefragt, ob wir<br />
den VIP wenigstens bis Bugojno bringen<br />
könnten, das auf halber Strecke<br />
lag. Da ich immer noch bemüht war,<br />
mit meinen anderen beiden Passagieren<br />
dorthin zu gelangen, erwiderte<br />
ich, dass dies kein Problem sein<br />
dürfte, er aber mit einem sehr turbulenten<br />
Flug rechnen müsse. Er war<br />
dennoch erfreut, da die Autofahrt<br />
nun um die Hälfte kürzer würde.“<br />
(Anmerkung von Major Lee: So weit,<br />
so gut. Die Entscheidung zu fliegen<br />
basierte darauf, dass der Einsatz kürzer<br />
war und die Möglichkeit bestand,<br />
den Auftrag vor dem Einsetzen der<br />
vorhergesagten starken Turbulenzen<br />
abzuschließen). Zufälligerweise hatte<br />
es eine mit Wetterradar ausgestattete<br />
slowenische Bell 412 (eine zivile Griffon)<br />
eine halbe Stunde vor unserer<br />
Abflugzeit von Sarajevo kommend<br />
geschafft und der VIP hatte davon<br />
Wind bekommen. Als wir ankamen,<br />
um ihn und die beiden anderen Passagiere<br />
abzuholen, erklärte er, er wolle<br />
doch versuchen bis Sarajevo zu kommen,<br />
da er dort an einer sehr wichtigen<br />
Besprechung teilnehmen müsse.<br />
Ich erläuterte ihm unsere wetterbedingten<br />
schlechten Erfolgsaussichten<br />
und teilte ihm mit, dass mein<br />
Einsatzauftrag nun laute, die beiden<br />
anderen Passagiere nach Bugojno zu<br />
bringen. Im Wesentlichen erwiderte er<br />
darauf, seine Person gehe vor und<br />
alles andere müsse warten.<br />
Hier beging ich meinen größten<br />
Fehler. Ich gab nach und willigte ein,<br />
es zu versuchen, warnte ihn aber, dies<br />
werde ein turbulenter Flug und ich<br />
könne ihm nicht versprechen, dass wir<br />
es schaffen würden. Die beiden niederländischen<br />
Passagiere waren nicht<br />
allzu glücklich, flogen jedoch mit, in<br />
der Hoffnung Bugojno auf dem Rückflug<br />
zu erreichen.<br />
Nach dem Start zeigte unser Avionik-Management-System<br />
eine Windzu<br />
gehen. Zum Vergleich: wir brauchten<br />
90 Minuten bis nach Novi Travnik<br />
und weniger als 20 Minuten für den<br />
Rückflug.<br />
An diesem Tag lernte ich eine ganze<br />
Menge. Die erste Lektion war, meine<br />
Entscheidung bezüglich des Wetters<br />
nie im Nachhinein anzuzweifeln. Die<br />
Zweite war, mich nicht bei schlechten<br />
oder unsicheren Bedingungen zu<br />
einem Flugeinsatz, zumindest nicht zu<br />
einem unwichtigen, drängen zu lassen.<br />
Nebenbei bemerkt: auch der VIP-<br />
Passagier räumte ein, an diesem Tag<br />
seine Lektion gelernt zu haben. Er<br />
wird die Entscheidung eines Luftfahrzeugführers<br />
aufgrund von Wetterbedingungen<br />
(genauer gesagt: aufgrund<br />
von Turbulenzen) nie wieder in<br />
Frage stellen.“<br />
Die aus diesem Zwischenfall abzuleitende<br />
Präventivmaßnahme lautete:<br />
„Alle Luftfahrzeugbesatzungen sind<br />
zu informieren“. Von dieser Geschichte<br />
erfuhren die Piloten in Bosnien,<br />
darüber hinaus jedoch niemand.<br />
Dies war ein erhebliches Versäumnis<br />
insbesondere in Bezug auf die übrigen<br />
Griffon-Piloten, und ganz allgemein in<br />
Bezug auf alle Piloten. Was immer<br />
noch gesagt werden könnte, wäre der<br />
Sache nicht dienlich. Es genügt wohl,<br />
zu sagen, dass die Gelegenheit, diesen<br />
Zwischenfall dazu zu nutzen eine<br />
wichtige Botschaft an alle Piloten weiter<br />
zu geben, aus welchen Gründen<br />
auch immer, verpasst wurde. Sorgen<br />
Sie dafür, dass Sie Ihre Gelegenheiten<br />
nicht verpassen.<br />
<br />
Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />
8 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Vielleicht fand vor<br />
geraumer Zeit in einer<br />
Firma, die Fallschirme<br />
herstellt, eine angeregte<br />
und der eigentlichen<br />
Aufgabenerfüllung nicht<br />
sehr dienliche Unterhaltung<br />
zwischen zwei<br />
Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen<br />
(Näherinnen)<br />
statt und eine/<br />
einer der Beteiligten vergaß<br />
einen kleinen<br />
Arbeitschritt bei der<br />
Fertigung eines Fallschirmes<br />
für das Unbemannte<br />
Luftfahrzeug<br />
CL-289.<br />
Es gibt nichts,<br />
was es nicht<br />
gibt! von<br />
Stabsfeldwebel Wilhelm Hiller, ArtAufklBtl 121<br />
Ein unbedeutender Vorgang – sollte<br />
man meinen – geht man davon<br />
aus, dass ein derartig wichtiges<br />
System aufgrund seiner Bedeutung<br />
beim Flugbetrieb im Herstellungsgang<br />
mehrfach vor seiner Auslieferung an<br />
den Verbraucher kontrolliert wird, um<br />
Fertigungsmängel auszuschließen.<br />
Doch in diesem Falle sollte der<br />
Fehler bei keiner weiteren Firmenkontrolle<br />
entdeckt werden. Der fehlerhafte<br />
Fallschirm wanderte also in<br />
ein Depot und wartete dort einige<br />
Jahre auf seinen Einsatz.<br />
Im Jahre 2004 war es dann soweit.<br />
Eine Drohneneinheit aus Baden-<br />
Württemberg entschloss sich im<br />
Rahmen seiner Ausbildung zu einem<br />
Flugvorhaben. Für das Ausbildungsvorhaben<br />
wurde u.a. besagter Fallschirm<br />
zeitgerecht zur Verfügung<br />
gestellt. Er wurde seiner sicheren<br />
Verpackung entnommen, um auf<br />
dem Truppenübungsplatz Bergen in<br />
einer Drohne CL-289 zum Einsatz zu<br />
kommen.<br />
Vorher musste er jedoch systemtypisch<br />
noch mit dem Fallschirmraumdeckel<br />
der für den Einsatz vorgesehenen<br />
Drohne verbunden werden. Eine<br />
Montage, die von einem erfahrenen<br />
Mechaniker durchgeführt und von<br />
einem Luftfahrzeugnachprüfer kontrolliert<br />
wird.<br />
In unserem Falle war an dieser Stelle<br />
zufällig ein Nachprüferanwärter (unter<br />
Aufsicht des verantwortlichen Luftfahrzeugnachprüfers)<br />
im Rahmen seiner<br />
Ausbildung tätig.<br />
Die vorgeschriebene Nachprüftätigkeit<br />
beim Einbau des Fallschirms verlief<br />
ohne Beanstandung. Auch der<br />
erfahrene Nachprüfer konnte bei der<br />
Leinenmontage des Fallschirmes keine<br />
Mängel feststellen. Alle vorgeschriebenen<br />
Tätigkeiten wurden ordnungsgemäß<br />
durchgeführt und doch wollte<br />
das Bild, welches sich dem erfahrenen<br />
Nachprüfer bot, nicht in die Vielzahl<br />
von Bildern einer ordnungsgemäßen<br />
Montage passen. Irgendetwas störte<br />
ihn an dem was er sah und ließ ihn<br />
stutzig werden.<br />
Es fehlte etwas und plötzlich fiel es<br />
ihm wie Schuppen von den Augen:<br />
!!! Die “Leinenvernähung (Farbe)“<br />
fehlt!!! (siehe Bild).<br />
Ein fataler Mangel, der bei Verwendung<br />
dieses Fallschirms zwangsläufig<br />
zum Totalverlust des Luftfahrzeuges<br />
bei der Landung geführt<br />
hätte.<br />
Dem Nachprüferanwärter in der<br />
Ausbildung gab man mit auf den<br />
Weg:<br />
„Das nächste Mal sitzt der Fehler<br />
bestimmt an einer ganz anderen<br />
Stelle“ und „Es gibt nichts, was es<br />
nicht gibt“.<br />
<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
9
Flugsicherheit<br />
Die Gefahr, „high“ zu<br />
sein, ohne zu fliegen<br />
von Frederick V. Malmstrom, Dr.<br />
phil., USAF Academy<br />
Unsere Streitkräfte greifen hart<br />
durch, wenn es um Drogenmissbrauch<br />
geht.<br />
Als ich meine Arbeit zur Erforschung<br />
der Geschichte einer Straßendroge mit<br />
der Bezeichnung „Ecstasy“ aufnahm,<br />
war meine erste Reaktion „Oh mein<br />
Gott, nicht noch einmal so etwas!“ Als<br />
klinischer Psychologe im Strafvollzug<br />
mit zehnjähriger Erfahrung habe ich<br />
erlebt, dass es im Grunde genommen<br />
nichts gibt, was sich die Menschen in<br />
dem endlosen Verlangen, sich in einen<br />
Rausch zu versetzen, nicht in irgendeine<br />
Körperöffnung stecken, darin<br />
baden oder sich in die Venen spritzen.<br />
Ich hatte einmal einen Patienten, der<br />
sich Erdnussbutter injizierte und deswegen<br />
drei Finger wegen Gewebsnekrose<br />
verlor.<br />
Ecstasy ist inzwischen eine<br />
Kultur.<br />
Ecstasy ist jedoch keine gewöhnliche<br />
Straßendroge - es ist eine Kultur. Diese<br />
Droge verdient besondere Erwähnung,<br />
wenn auch nur aus dem einzigen<br />
Grund, dass es unlängst leider sowohl<br />
die United States Military Academy<br />
(USMA) als auch die United States Air<br />
Force Academy (USAFA) für erforderlich<br />
hielten, mehrere Kadetten wegen<br />
Missbrauchs dieser Droge vor ein<br />
Kriegsgericht zu stellen, aus dem<br />
Dienst zu entlassen oder zur Strafe in<br />
das Militärgefängnis in Leavenworth zu<br />
schicken. Jawohl, unsere Streitkräfte<br />
greifen hart durch, wenn es um<br />
Drogenmissbrauch geht.<br />
Ich war erstaunt, als ich feststellte,<br />
dass die beliebteste Variante von<br />
Ecstasy (Methylenedioxymethamphetamin<br />
oder kurz MDMA, falls Sie<br />
jemals danach gefragt werden sollten)<br />
bereits 1912 erstmals in Deutschland<br />
als Appetitzügler synthetisch hergestellt<br />
und patentiert wurde. Die US-<br />
Drogenbekämpfungsbehörde stufte<br />
jedoch MDMA erst am 1. Juli 1985 als<br />
eine besonders überwachte Substanz<br />
(Schedule 1 Controlled Substance) ein.<br />
Dies ist in den USA eine vornehme<br />
Umschreibung dafür, dass Ecstasy illegal<br />
ist.<br />
Wie unkontrollierbar ist<br />
Ecstasy?<br />
Die New York Times berichtete, dass<br />
jeden Tag rund eine Million Tabletten<br />
in die USA geschmuggelt werden. Der<br />
illegale Verbrauch von Ecstasy ist seit<br />
Anfang der 90-er Jahre schlagartig in<br />
die Höhe geschnellt, und auch die<br />
Streitkräfte bleiben nicht von Drogenmissbrauch<br />
verschont. Ecstasy ist ein<br />
Amphetamin mit Schwesterdrogen,<br />
wie MDE („Eve“), MDA („Love“), PMA<br />
(„Death“), MDEA und MBMB. Alle<br />
diese Drogen werden im Volksmund<br />
als „Rave-Drogen“ oder „Party-Drogen“<br />
bezeichnet, weil sie oft in großen<br />
Mengen auf Parties, die die ganze<br />
Nacht hindurch andauern oder auf<br />
Rave-Veranstaltungen konsumiert werden.<br />
Eine bescheidene Dosis von 75 -<br />
150 mg soll den Drogenkonsumenten<br />
in einen ein- bis dreistündigen Rausch<br />
versetzen. MDMA ist zweifelsohne die<br />
„beliebteste Droge bei jungen<br />
Männern“.<br />
Ecstasy ist harmlos?<br />
Wer sagt das?<br />
Seit ungefähr zehn Jahren hält sich<br />
ein weitverbreiteter, aber nicht begründeter<br />
Glaube in der Öffentlichkeit, dass<br />
diese Rave-Drogen verhältnismäßig<br />
ungefährlich seien und nur zu einem<br />
Gefühl von Euphorie, sozialer Nähe<br />
und leichten LSD-ähnlichen Halluzinationen<br />
führen. Ist dies tatsächlich so?<br />
Haben wir letztendlich doch die<br />
Wunderpille entdeckt, die nur Frieden<br />
und Harmonie fördert? Wenn dies tatsächlich<br />
so wäre, könnten wir unsere<br />
Streitkräfte abschaffen. (Wiedersehen<br />
mit der „Schönen neuen Welt“?)<br />
Ich bin ausgesprochen misstrauisch<br />
gegenüber dieser Behauptung, und sei<br />
es nur, weil meine jahrelangen persönlichen<br />
Erfahrungen mit Drogenmissbrauch<br />
mir sagen, dass jede Art<br />
von Amphetaminen nichts Gutes verheißt.<br />
Nach den Amphetaminen<br />
kommt immer eine Phase der Niedergeschlagenheit.<br />
Ich habe schon Patienten<br />
gehabt, die bis zu zwei Jahre<br />
brauchten, um sich von ihrem Amphetaminmissbrauch<br />
zu erholen.<br />
Amphetamine sind immer „Designer-Drogen“,<br />
eine modische Umschreibung<br />
dafür, dass die Moleküle in dieser<br />
Form nicht in der Natur vorkommen,<br />
also im Labor synthetisch hergestellt<br />
werden. Da der Körper keine<br />
natürlichen Abwehrmittel gegen diese<br />
Moleküle besitzt, treten zwangsläufig<br />
größere und unbekannte Nebenwirkungen<br />
auf. Und in der Tat bin ich bei<br />
meinen MEDLINE-Recherchen in über<br />
1200 Artikeln in Fachzeitschriften<br />
immer wieder auf Aussagen gestoßen,<br />
dass man gerade erst anfängt, die<br />
Langzeitwirkungen von Ecstasy zu erkennen.<br />
Nichtsdestotrotz ist schon eine ganze<br />
Menge über die Kurzzeitwirkung von<br />
10 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Ecstasy bekannt - und zwar bei Tieren.<br />
Von Ratten und Affen, denen MDMA<br />
verabreicht wurde, weiß man, dass sie<br />
sich häufiger impulsiv verhalten, Gefahren<br />
ignorieren, spontane Ejakulationen<br />
haben und es vorziehen, sich<br />
aneinanderzukauern (soziale Nähe?).<br />
Dies sind sicherlich Auswirkungen, die<br />
dafür sorgen, dass eine Party schneller<br />
in Schwung kommt.<br />
Amphetamine haben jedoch nur<br />
einen eng begrenzten medizinischen<br />
Nutzen. In Ausnahmefällen wurden<br />
Angehörigen der Streitkräfte Amphetamine<br />
verordnet. 1942 wurden Commander<br />
Joe Rochefort, US-Marine,<br />
Amphetamine über mehrere Wochen<br />
verordnet, als er damit beschäftigt war,<br />
den allgemeinen Einsatzkode der japanischen<br />
Marine, den JN25b, zu<br />
knacken. Auch während des Golfkriegs<br />
1990 wurden einigen Luftfahrzeugbesatzungen<br />
der Koalition sorgfältig<br />
überwachte Dosen von Amphetamin<br />
verordnet, um ihre Wachsamkeit zu<br />
erhöhen und um ihren Arbeitstag zu<br />
verlängern. Dennoch lehnten die meisten<br />
Luftfahrzeugführer dieses Angebot<br />
höflich ab.<br />
Wie wirkt Ecstasy<br />
auf den Körper?<br />
MDMA bringt, wie alle Stimulanzien,<br />
die „Lehrlaufdrehzahl“ des Körpers auf<br />
Hochtouren. Dies ist der Grund, weshalb<br />
Menschen, die eine zu hohe Dosis<br />
zu sich nehmen, manchmal an einer<br />
unkontrollierten Hyperthermie (Erhöhung<br />
der Körpertemperatur) und Tachykardie<br />
(Beschleunigung der Herzfrequenz)<br />
sterben. Wie alle Amphetamine<br />
erzeugt MDMA das typische „Wochenend-Hoch“,<br />
auf das das „Tief in der<br />
Wochenmitte“ folgt. In Tabelle 1 habe<br />
ich einige der bekannten, beim Menschen<br />
durch Missbrauch von MDMA<br />
auftretenden Wirkungen aufgeführt.<br />
Jedes Jahr gibt es in den Vereinigten<br />
Staaten ca. ein Dutzend Tote, die ausschließlich<br />
auf eine Überdosis Ecstasy<br />
zurückzuführen sind. Hinzu kommen<br />
schätzungsweise drei Tote im Jahr aus<br />
10.000 der Altersgruppe 18 - 25, die<br />
aufgrund von Verhaltensänderungen<br />
sterben, während sie noch unter dem<br />
Einfluss der Droge stehen. Ich habe<br />
einige Berichte über Fälle von wirklich<br />
idiotischen Drogenkonsumenten gelesen.<br />
Einer kam beim „Autosurfen“<br />
ums Leben (können Sie sich so etwas<br />
vorstellen?), ein anderer kletterte auf<br />
einen Hochspannungsmast. (Seine letzten<br />
Worte: „Hey Leute, seht mal!“)<br />
MDMA-Missbrauch<br />
ist leicht festzustellen.<br />
In Kürze können unsere Sanitäter<br />
schnell durch einen Urin- oder Bluttest<br />
MDMA- Missbrauch nachweisen. Noch<br />
aufschlussreicher ist die Haarprobenanalyse,<br />
um einer Person MDMA-<br />
Missbrauch in der Vergangenheit nachzuweisen.<br />
Die Haarprobenanalyse ist<br />
ziemlich genau, da sie bis in die Nanogramm-pro-Milligramm-Bereiche<br />
geht.<br />
Durch einen totalen und abrupten<br />
Drogenentzug lassen sich die Symptome<br />
von Ecstasy-Missbrauch in der<br />
Vergangenheit nicht verheimlichen.<br />
Schlussbetrachtung:<br />
Dieser Stoff ist ausgesprochen<br />
gefährlich.<br />
Ich war enttäuscht, als ich erfuhr,<br />
dass keine Experimente bekannt sind,<br />
um die Wirkungen von MDMA auf das<br />
Fliegen - geschweige auf das Autofahren-zu<br />
erforschen. Man sollte einige<br />
kontrollierte Untersuchungen durchführen,<br />
aber leider wird dies nicht<br />
gemacht. Es ist möglich, dass zahlreiche<br />
allgemeine Unfälle mit Luftfahrzeugen<br />
durch MDMA-Missbrauch herbeigeführt<br />
wurden, und dies wird für<br />
künftige Untersuchungen durch den<br />
National Transportation Safety Board<br />
(NTSB) (Nationale Transportsicherheitsbehörde<br />
(US) ein echtes Problem darstellen.<br />
In der Zwischenzeit wird gegen<br />
militärisches Flugpersonal, das MDMA<br />
oderandereAmphetaminemissbräuchlich<br />
konsumiert, mit Sicherheit sofort<br />
und auf Dauer ein Flugverbot ausgesprochen<br />
(was die Justiz mit diesen<br />
Drogenkonsumenten macht, ist eine<br />
andere Frage.) Nur ein wahnsinniger<br />
Passagier wird sich freuen, mit einem<br />
übertrieben selbstsicheren, impulsiven<br />
und unter Halluzinationen leidenden<br />
oder gar mit einem paranoiden, deprimierten<br />
und schwerfällig agierenden<br />
Piloten zu fliegen.<br />
TABELLE 1<br />
Sofortige Wirkungen von MDMA<br />
(Ecstasy)<br />
Euphorie oder Freude<br />
• Gefühle der Nähe und Kameradschaft<br />
• Gesteigerte sexuelle Erregung<br />
• Hyperthermie (erhöhte Körperkerntemperatur)<br />
• Impulsivität<br />
• Bizarres und riskantes Verhalten<br />
• Leichte, aber angenehme Halluzinationen<br />
• Längere Reaktionszeit<br />
• Erhöhter Blutdruck<br />
Kurzzeitige Entzugserscheinungen bei<br />
MDMA (Ecstasy)<br />
• Depressionen<br />
• Paranoia und unbegründeter<br />
Argwohn<br />
• Ataxie (Unfähigkeit, feine motorische<br />
Bewegungen auszuüben);<br />
Schwerfälligkeit<br />
• Beklemmungen<br />
• Feindseliges und unsoziales Verhalten<br />
• Diaphorese (unkontrolliertes Schwitzen)<br />
• Flashbacks<br />
• Schlafstörungen<br />
Langfristige Wirkungen von<br />
MDMA (Ecstasy)<br />
• Abhängigkeit<br />
• Gehirnödem<br />
• Leberschädigung<br />
• Permanent verringerter Verbal-IQ<br />
• Gehirnverletzungen<br />
(Narbenbildung)<br />
• Parkinson-Symptome<br />
(Schüttelbewegungen)<br />
• Tachykardie<br />
(Herzrhythmusstörungen)<br />
• Krampfanfälle<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
11
Flugsicherheit<br />
Stellungnahme<br />
Dr. Wolfgang<br />
Lawicki:<br />
Ich bin aufgefordert, zu diesem<br />
Bericht, der hier in dieser Ausgabe der<br />
Zeitschrift „Flugsicherheit“ abgedruckt<br />
ist, Stellung zu beziehen.<br />
Nach Durchsicht des Artikels war ich<br />
ein wenig verwirrt über den Titel ...<br />
„Unsere Streitkräfte greifen hart<br />
durch, wenn es um Drogenmissbrauch<br />
geht“.<br />
Da ist zu lesen, ich zitiere „In Ausnahmefällen<br />
wurden Angehörigen<br />
der Streitkräfte Amphetamine verordnet<br />
... auch während des Golfkrieges<br />
1990 wurden einigen Luftfahrzeugbesatzungen<br />
der Koalition sorgfältig<br />
überwachte Dosen von Amphetamin<br />
verordnet, um ihre Wachsamkeit zu<br />
erhöhen und um ihren Arbeitstag zu<br />
verlängern. Dennoch lehnten die meisten<br />
Luftfahrzeugführer dieses Angebot<br />
höflich ab.“<br />
Ist das nicht als Doppelmoral zu<br />
bewerten? Für diesen Zweck von<br />
einem begrenzten medizinischen<br />
Nutzen zu sprechen, ist nicht nachzuvollziehen.<br />
Der Autor schreibt an<br />
anderer Stelle „... dass jede Art von<br />
Amphetaminen nichts Gutes verheißt.<br />
Nach den Amphetaminen kommt<br />
immer eine Phase der Niedergeschlagenheit.<br />
Ich habe schon Patienten<br />
gehabt, die bis zu zwei Jahre brauchten,<br />
um sich von ihrem Amphetaminmissbrauch<br />
zu erholen.“<br />
Diese Bewertung ist absolut richtig.<br />
Zur Frage der Abhängigkeitsentwicklung<br />
schreibt die Deutsche Hauptstelle<br />
gegen Suchtgefahren (DHS): Amphetamine<br />
können sehr schnell zu einer<br />
starken psychischen Abhängigkeit<br />
führen. In den ersten Monaten des<br />
Konsums erfährt der Konsument aufgrund<br />
seiner positiv wirkenden Ausstrahlung<br />
meist Bestätigung und<br />
Bewunderung, doch in der Folge<br />
schränkt er zunehmend seine sozialen<br />
Aktivitäten ein. Um die gewünschten<br />
Wirkungen schneller und intensiver zu<br />
erleben, wird häufig zu einer schneller<br />
wirksamen Verabreichungsform<br />
übergegangen, beispielsweise zum<br />
Rauchen oder Injizieren. Dies ändert<br />
jedoch auch die Wirkungen: So dominieren<br />
nun beispielsweise die sich<br />
gleichförmig wiederholenden Handlungen,<br />
das Gedankenfixieren und die<br />
Mümmelbewegungen im Mundbereich.<br />
Gleichzeitig entwickelt sich<br />
gegenüber den blutdrucksteigernden,<br />
appetitdämpfenden und euphorisierenden<br />
Wirkungen eine Toleranz, was<br />
wiederum zu Dosissteigerungen führt.<br />
Zu den Entzugssymptomen beim Absetzen<br />
der Substanz gehören Schlaflosigkeit,<br />
Mundtrockenheit und Unruhe,<br />
aber auch psychische Symptome<br />
wie Stimmungsschwankungen,<br />
Angststörungen und Depressivität.<br />
Der Zweck heiligt die Mittel? Mögliche<br />
Bagatellisierungen könnten sein:<br />
... nur ab und zu, ... wenn es sein<br />
muss, dann auch nur kurzfristig. Sind<br />
das aber nicht auch typische Bagatellisierungstendenzen<br />
der User?<br />
Sicher ist: Eine Verordnung von<br />
Amphetaminen für Flugzeugführer -<br />
zu welchem Zweck auch immer - ist in<br />
der Bundeswehr nicht zulässig. Die<br />
Erlasslage ist eindeutig. Das gilt für<br />
alle Drogen, für alle Bereiche, ohne<br />
Ausnahme.<br />
Der Autor beschränkt sich in seinem<br />
Bericht auf die Designerdroge „Ecstasy“.<br />
Seine Darstellung bringt die Problematik<br />
dieser Droge außerordentlich<br />
gut an das Publikum.<br />
Hier einige wichtige Ergänzungen<br />
bezogen auf Deutschland:<br />
Nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums<br />
konsumieren in<br />
Deutschland ca. 500.000 Jugendliche<br />
die Partydroge Ecstasy.<br />
Im Umfeld der Technoszene und<br />
Partykultur besteht eine deutlich erhöhte<br />
Drogenerfahrung unter Jugendlichen.<br />
In der entsprechenden<br />
Stichprobe lagen die Prävalenzwerte<br />
um ein Vielfaches höher als in einer<br />
vergleichbaren Repräsentativstichprobe.<br />
So betrug die Lebenszeitprävalenz<br />
des Cannabiskonsums 1997 in der<br />
Gesamtbevölkerung zwischen 23%<br />
und 26%, während unter dem befragten<br />
18- bis 29-jährigen Technopublikum<br />
ca. 51-75% Erfahrungen<br />
mit Cannabis hatten. Ebenso deutlich<br />
waren die Unterschiede bezogen auf<br />
die Lebenszeitprävalenz des Ecstasykonsums.<br />
Hier wiesen 26-61% der<br />
Befragten der Technostudie, aber nur<br />
3-7% der Repräsentativstichprobe<br />
Drogenkonsumerfahrung auf.<br />
Wer auf Technopartys illegale Drogen<br />
konsumiert, betreibt in aller Regel<br />
einen Mischkonsum mehrerer Substanzen.<br />
Zusätzlich zu Ecstasy ist der<br />
Beikonsum von Cannabis am wahrscheinlichsten<br />
(65%), gefolgt von<br />
Alkohol (56%) und Speed (42,2%).<br />
Der zusätzliche Konsum von Kokain<br />
(14,8%) und Halluzinogenen (9,4%)<br />
ist innerhalb der Partykontexte weniger<br />
wahrscheinlich. Die subjektiven<br />
Begründungen für den Mischkonsum<br />
von Ecstasy mit Cannabis, Alkohol,<br />
Speed, Kokain und Halluzinogenen<br />
variieren stark. Den meisten Formen<br />
des Mischkonsums liegen szenebezogene<br />
soziale Konventionen und das<br />
Motiv einer differenzierten Stimmungsregulation<br />
zugrunde.<br />
Zu den vorrangig genannten Gründen<br />
für das Einstellen des Ecstasykonsums<br />
gehören das Auftreten negativer<br />
Erlebnisse und Nachlassen<br />
positiver Erfahrungen, die Inkompatibilität<br />
des Drogenkonsums mit dem<br />
(aktuellen) Lebensentwurf und soziale<br />
Motive.<br />
Zur Nachweisbarkeit von Ecstasy: im<br />
Urin ca. 1-4 Tage, im Blut ca. 1 Tag, in<br />
den Haaren noch nach Monaten.<br />
Zusammenfassung<br />
Unsere Streitkräfte greifen hart<br />
durch, wenn es um Drogenmissbrauch<br />
geht. Das gilt für die Streitkräfte<br />
der USA wie der Bundesrepu-<br />
12 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Illustration: Renate Wachsmann-Kerp IMZBw<br />
blik Deutschland<br />
natürlich aufgrund<br />
der Gesetzeslage<br />
in unterschiedlicher<br />
Weise und<br />
Ausprägung. Hier ist<br />
auch eher der Missbrauch<br />
illegaler Drogen<br />
gemeint. Ein Einsatz<br />
von Amphetaminen<br />
in unserer Armee<br />
- z.B. bei Luftfahrzeugbesatzungen<br />
- zur Steigerung<br />
der Wachsamkeit und<br />
zur Verlängerung des Arbeitstages,<br />
wie in den US-<br />
Streitkräften beschrieben, ist<br />
aufgrund unserer Erlasslage<br />
unmöglich. Mit den „Richtlinien<br />
zur Koordinierung<br />
und Steuerung von<br />
Maßnahmen der<br />
Suchtbekämpfung von Soldaten“<br />
vom 08. Juli1999<br />
sind theoretisch die Weichen<br />
für eine effektive Suchtprävention<br />
und Suchtbekämpfung<br />
in den Streitkräften gestellt,<br />
wobei illegale und<br />
legale Suchtmittel in die<br />
Prävention einbezogen sind.<br />
Ein Drogenscreening ist nur für<br />
Anwärter des fliegerischen<br />
Dienstes vorgeschrieben. Für alle<br />
anderen Bereiche ist die Freiwilligkeit<br />
mit schriftlichem Einverständnis<br />
vorausgesetzt.<br />
Auf der Website der Bundeswehr<br />
www.suchtpraevention-bundeswehr.<br />
de wird ausführlich das Thema „Drogen<br />
und Sucht in der Bundeswehr“<br />
behandelt, wobei neben einer allgemeinen<br />
Information zu den einzelnen<br />
Drogen auch die Erlasslage und die<br />
dienstrechtlichen Aspekte beleuchtet<br />
werden.<br />
<br />
Suchtprävention<br />
und<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
13
Flugsicherheit<br />
Sei vernünftig,<br />
Vögel sind es nicht!<br />
von Major Lancaster, GenFlSichhBw<br />
Vögel sind dumm. Immer<br />
wieder passiert es, dass<br />
Vögel vor Flugzeuge fliegen:<br />
auf Landepisten,<br />
während eines Anflugs<br />
oder im Tiefflug mit<br />
hoher Geschwindigkeit.<br />
Man kann die Reaktion<br />
eines Vogels nie vorhersehen.<br />
Großvögel würden<br />
wahrscheinlich ihre<br />
Flügel einziehen und in<br />
den Sturzflug übergehen,<br />
aber nicht unbedingt.<br />
Wenn sich Kleinvögel<br />
(z. B. von einem<br />
Raubvogel) bedroht<br />
fühlen, fliegen sie im<br />
engen Verband, ändern<br />
ihre Flugrichtung und<br />
können dann ganz plötzlich<br />
direkt vor der<br />
Maschine auftauchen.<br />
Was kann ein Pilot von<br />
einem dummen Vogel<br />
erwarten? Was tun,<br />
wenn man mit dieser<br />
Dummheit konfrontiert<br />
wird?<br />
Der erste Schritt im Kampf gegen<br />
die Vögel wird in der Flugvorbereitung<br />
gemacht. Hier kann die größte Arbeit<br />
geleistet werden im Vermeiden von<br />
Vogelschlägen. Das gilt besonders für<br />
Tiefflüge, bei deren Planung der Pilot<br />
auf ein wichtige Hilfsmittel zugreifen<br />
kann: BIRDTAMs (aufgeklärte Bereiche<br />
erhöhter Vögelschlaggefahr, die auf<br />
Karten dargestellt sind). In Gebieten<br />
mit hohem Vogelschlagrisiko sollte<br />
man nicht tiefer als 3.000 Fuß fliegen<br />
oder die geplante Tiefflugroute ändern.<br />
Vogelzugrouten sind zu vermeiden.<br />
Jeder weiß es, und jetzt muss<br />
sich jeder auch in<br />
der Praxis an<br />
diese Regeln halten.<br />
Das ist auch<br />
vernünftig und<br />
logisch!<br />
Was kann man sonst noch tun?<br />
Man muss einfach mit einem Vogelschlag<br />
rechnen. Man kann während<br />
des Fluges nicht viel gegen einen<br />
Vogelschlag tun. Das ist durch drei<br />
Faktoren bedingt: die Sichtweite, die<br />
Vorhersehbarkeit und die Manövrierfähigkeit.<br />
Sichtweite<br />
Es ist schwierig, Vögel wahrzunehmen.<br />
Piloten fliegen oft durch Gebiete<br />
mit höchster Vogelschlaggefahr, ohne<br />
einen einzigen Vogel gesehen zu<br />
haben. Wo haben sich die Vögel versteckt?<br />
Sie waren da, blieben aber<br />
außer Sicht. In Hinsicht auf Vogelwahrnehmung<br />
ist unser Sehvermögen<br />
sehr begrenzt. Das kann auf drei<br />
Faktoren zurückgeführt werden: das<br />
Sehvermögen des Auges selbst, den<br />
Kontrast und das Licht. Vor ein paar<br />
Jahren erschien in einem Buch „Flugsicherheit<br />
und Vogelschlag“ ein Artikel<br />
zu diesem Thema. Der Titel hieß<br />
„Grenzen der visuellen Erfassung ziehender<br />
Vögel“. Daraus entnehmen wir<br />
folgende Fakten: Unter optimalen Zuständen<br />
kann man einen Großvogel,<br />
wie eine Gans, frühestens aus zwei<br />
Kilometer Entfernung wahrnehmen.<br />
Ein Bussard kann aus 1,9 Kilometer<br />
Entfernung gesehen werden, Silbermöwe<br />
aus 1,5, Lachmöwe aus 0,9<br />
und eine Schwalbe aus 300 Meter.<br />
Optimaler Zustand heißt hier aber<br />
optimaler Kontrast, gute Beleuchtung<br />
und gute Sichtweite.<br />
Unter<br />
nicht optimalen<br />
VFR-Sichtbedingungen<br />
(Sonnenblendung,<br />
Dunst, wenig Kontrast) kann sich aber<br />
das Erkennen eines Großvogels auf<br />
500 Meter verringern, besonders bei<br />
Frontalsicht. Die meisten Jets fliegen<br />
im Tiefflug mit einer Geschwindigkeit<br />
von 200 Meter/Sekunde (400 Knoten),<br />
die Reaktionszeit kann am<br />
besten in Sekunden gemessen werden<br />
und liegt zwischen 2 und 7 Sekunden.<br />
Während eines Tiefflugs war vor zehn<br />
Jahren ein Vogelschlag die Todesursache<br />
des Piloten im vorderen Cockpit<br />
einer T-38. Die Reaktionszeit wurde<br />
damals auf 3,6 Sekunden geschätzt,<br />
leider blieb der Vogel (ein großer<br />
Geier) bis zum Aufschlag unsichtbar.<br />
14 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Ein Pilot muss bei einem Tiefflug mit<br />
nicht mehr als 3 Sekunden Reaktionszeit<br />
zwischen dem Moment der Vogelwahrnehmung<br />
und des Aufschlags<br />
rechnen.<br />
Vorhersehbarkeit<br />
Hat der Pilot die Vögel visuell erfasst,<br />
muss man aber auch ihre Flugrichtung<br />
kennen, um ihnen ausweichen<br />
zu können. Vögel auf oder<br />
neben der Piste sind am schwierigsten<br />
einzuschätzen. Beim Start und Abflug<br />
hat man keine Möglichkeit, das<br />
Flugzeug so zu steuern, dass man die<br />
Vögel vermeidet. Das einzige, was<br />
bleibt, ist die Wahl zwischen<br />
Startabbruch oder<br />
einer Startfortsetzung.<br />
Aus diesem Grund ist in<br />
einem solchen Fall der<br />
Kontrollturm anzuspre-<br />
Punkt in diesem Artikel: Wenn neben<br />
oder auf der Piste Vögel sind: DELAY<br />
YOUR TAKEOFF.<br />
Man vermutet, dass die Vögel in der<br />
gleichen Zeit abfliegen, wie das Flugzeug,<br />
man muss aber mit dem<br />
Schlimmsten rechnen, nämlich dass<br />
sie direkt vor das Flugzeug fliegen.<br />
Wie geht man mit Vögeln um,<br />
denen man während des Fluges<br />
begegnet? Das ist die schwierigste<br />
Frage, weil sie die Kenntnisse der<br />
Vogelreaktionen erfordert. Wie bei<br />
allen taktischen Fragen lautet die<br />
Antwort: „Es kommt drauf an“. Diese<br />
Reaktionen sind nur wenig erforscht.<br />
Die erfahrenen Piloten behaupten,<br />
Vögel würden einen Sturzflug<br />
machen, um ein Flugzeug<br />
zu vermeiden. Das ist<br />
oft so,<br />
aber<br />
falls ist eine Vorhersage der Reaktionen<br />
der Vögel durch das Aufschrecken<br />
nicht möglich.<br />
Manöverfähigkeit<br />
Wenn ein Vogelschwarm unmittelbar<br />
im Anflug des Flugzeugs auffliegt,<br />
hat man die Wahl zwischen einer<br />
Anflugfortsetzen oder des Durchstartens.<br />
Was ist jetzt besser? Die Antwort<br />
ist von verschiedenen Faktoren<br />
abhängig, unter anderen ist der Flugzeugtyp<br />
entscheidend. Ist kein Schleudersitz<br />
vorhanden, setzt man den<br />
Anflug fort. Es kann passieren, dass<br />
die Vögel in die Triebwerke einfliegen.<br />
Dies ist ebenfalls beim Durchstarten<br />
möglich, aber mit schlimmeren Folgen<br />
wegen des höheren Schubbedarfs,<br />
der dann erforderlich ist. Befindet<br />
man sich schon auf dem<br />
Gleitpfad unmittelbar<br />
Bild: M. Buschmann, Nationalpark Wattenmerer<br />
chen und die Vögel sind zu verscheuchen.<br />
Der Abflug muss verschoben<br />
werden. Ähnlich wie ein Gewitter, bilden<br />
Vögel eine echte Gefahr und bis<br />
diese behoben ist, muss man den Abflug<br />
auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.<br />
Die Unfälle von einer E-3 in Elmendorf<br />
AFB, Alaska 1995, und einer<br />
NATO E-3 in Griechenland<br />
1996 erteilten eine lebenswichtige<br />
Lehre: man kann<br />
Menschenleben retten,<br />
wenn man seinen Abflug<br />
aufgrund einer Vogelschlaggefahr<br />
verschiebt. Das ist der wichtigste<br />
nicht immer. Oft trifft dies bei Großvögeln<br />
wie dem Bussard oder den<br />
Wasservögeln zu, es ist aber nicht die<br />
Regel bei den kleinen, schwärmenden<br />
Vögeln; ihre Reaktionen sind unberechenbar.<br />
Es ist oft der Fall, dass ein Vogelschwarm<br />
eine enge Formation bildet,<br />
um Raubvögel abzuhalten (das Flugzeug<br />
wird auch als solches betrachtet).<br />
Die Flugrichtung bleibt aber<br />
kaum zu erraten, auch als Schutz vor<br />
dem drohenden Angriff.<br />
Sieht man den Vogelschwarm, ist in<br />
der Regel der Abstand zu gering, um<br />
effektiv reagieren zu können, eben-<br />
vor der Landebahn, sollte man am<br />
besten den Anflug bis zum Fullstop<br />
vollenden. Diese Lehre resultiert aus<br />
zwei Unfallbeispielen.<br />
1996 stürzt eine belgische C-130<br />
bei einem Durchstartversuch in Eindhoven<br />
(Niederlande) ab. Die Besatzung<br />
beabsichtigte eine Abschlusslandung,<br />
aber ein Schwarm Stare befand<br />
sich im Anflug und die C-130 startete<br />
durch. Dabei wurden drei Triebwerken<br />
stark beschädigt und die Kontrolle<br />
über das Flugzeug ging verloren,<br />
denn die Seitenruderwirksamkeit war<br />
zu gering. Hätte die Besatzung ihren<br />
Anflug wie geplant fortgesetzt, wäre<br />
der Absturz wahrscheinlich nicht passiert<br />
und 34 Menschen wären noch<br />
am Leben.<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
15
Flugsicherheit<br />
Vor kurzem ist eine C-5 Besatzung<br />
während des Anflugs durchgestartet,<br />
um einem Schwarm von Wasservögeln<br />
auszuweichen. Trotz des Durchstartens<br />
ist das Flugzeug von mehreren<br />
Vögeln getroffen worden. Das<br />
Ergebnis waren zwei beschädigte<br />
Triebwerke und ein Class A-Unfall<br />
wegen Triebwerkbeschädigung.<br />
Fliegt man einen Endanflug in einem<br />
Luftfahrzeug mit Schleudersitz, kann<br />
man einen Durchstart erwägen mit<br />
der Absicht auf bessere Ausstiegsparameter.<br />
Man sollte aber nicht denken,<br />
dass ein kleines, wendiges Flugzeug<br />
im Endanflug leicht manövriert<br />
werden kann, um einen Vogelschlag<br />
zu vermeiden. Ein Ausweichversuch<br />
ist bei niedriger Flughöhe und niedriger<br />
Geschwindigkeit sehr gefährlich,<br />
wie auch ein T-38 Unfall neulich gezeigt<br />
hat. Der Pilot hatte während des<br />
Endanflugs versucht, einen Vogel zu<br />
unterfliegen. Dabei hatte er aber so<br />
viel an Höhe verloren, dass er den<br />
Flughafenbegrenzungszaun erwischte<br />
und dabei sein rechtes Fahrwerk abgerissen<br />
wurde. Zum Glück war nichts<br />
Schlimmeres passiert.<br />
Entscheidungen, die man während<br />
des Abflugs bei Vogelgefahr treffen<br />
muss, sind noch schwieriger und setzten<br />
eine gründliche Flugvorbereitung<br />
voraus. Die wichtigsten Faktoren, die<br />
dabei berücksichtigt werden müssen,<br />
sind Flugzeugtyp, Pistenlänge und<br />
Fangkabelausrüstung. Man soll die<br />
Notverfahren entsprechend dem Flugbetriebshandbuch<br />
genau kennen und<br />
anwenden. Für den Fall, dass sich ein<br />
Vogelschlag im Abflug ereignet, sollte<br />
man vorbereitet sein. Falls man<br />
während des Rollens Vögel auf oder<br />
neben der Piste bemerkt, ist sofort der<br />
Kontrollturm zu informieren (die Kontroller<br />
können oft die Vogelsituation<br />
nicht so überblicken wie der Pilot).<br />
Gegebenenfalls ist der Abflug abzubrechen<br />
und dieser erst durchzuführen,<br />
wenn alle Vögel verscheucht sind.<br />
Besondere Vorsicht ist im Tiefflug<br />
oder in den Schiessgebieten angesagt,<br />
da hier eine besonders hohe Vogelschlaggefahr<br />
besteht und die größten<br />
Beschädigungen pro Vogelschlag verursacht<br />
werden. Oft fehlt die nötige<br />
Aufmerksamkeit Richtung 12 Uhr weil<br />
der Pilot auf die Tiefflugkarte oder auf<br />
Referenzen des Schiessgebietes achtet.<br />
Der Zeitraum, einen Vogel zu erfassen<br />
und auszuweichen, verkürzt<br />
sich enorm. Es kann sein, dass man<br />
Zeit für ein Ausweichmanöver hat. Ist<br />
diese Zeit gegeben, dann sollte man<br />
nur nach links, rechts oder nach oben<br />
ausweichen. Niemals den Steuerknüppel<br />
nach vorne drücken! Sofern<br />
es für ein Ausweichmanöver zu spät<br />
sein sollte, ist es auf jeden Fall wichtig,<br />
eine Art Schutzhaltung einzunehmen,<br />
um Kopf und Oberkörper vor<br />
Verletzungen zu schützen. Beachte,<br />
man kann auch etwas ganz Wichtiges<br />
vom Vogel Strauß lernen! Wie der<br />
Vogel Strauß seinen Kopf in den Sand<br />
steckt, genau so sollte man mit seinem<br />
Kopf in Deckung gehen. Sehr<br />
klug!<br />
<br />
Bild: Archiv GenFlSichhBw Bild: M. Buschmann<br />
16 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />
Bravo gut<br />
gemacht<br />
Am 09. März meldete sich Stabsfeldwebel Schade (LTG 62) als<br />
zuständiger Am 09. März Flugplatzmeister meldete sich Stabsfeldwebel beim Flugsicherheitsoffizier, Schade (LTG weil 62) als er<br />
bei zuständiger einer Kontrollfahrt Flugplatzmeister Ölspuren beim auf der Flugsicherheitsoffizier, Taxiway und der Runway weil er<br />
bemerkt bei einer hatte. Kontrollfahrt Ölspuren auf dem Taxiway und der<br />
Aufgrund Runway der bemerkt zeitlichen hatte. Zuordnung (die Ölspuren waren kurz vorher<br />
Aufgrund noch nicht der da) zeitlichen konnte Zuordnung ein Luftfahrzeug (die Ölspuren im Platzflugbetrieb waren kurz<br />
ermittelt vorher noch werden. nicht da) konnte ein Luftfahrzeug im Platzflugbetrieb<br />
der ermittelt Landung werden. stellte das technische Personal der Wartung<br />
Nach<br />
einen Nach starken der Landung Ölverlust stellte an das Triebwerk technische II fest. Personal Bei der der folgenden Wartung<br />
Kontrolle einen starken wurde Ölverlust eine defekte an Triebwerk Dichtung II fest. am Deckel Bei der der folgenden dritten<br />
Ölleitung Kontrolle (PCU) wurde ermittelt. eine defekte Dichtung am Deckel der dritten<br />
Durch Ölleitung das (PCU) umsichtige ermittelt. und verantwortungsvolle Handeln des<br />
Flugplatzmeisters Durch das umsichtige konnte und wahrscheinlich verantwortungsvolle ein Zwischenfall Handeln oder des<br />
Schlimmeres Flugplatzmeisters verhindert konnte werden. wahrscheinlich ein Zwischenfall oder<br />
Der Schlimmeres Vorfall zeigt verhindert aber auch, werden. dass eine Lösung des „PCU-Problems“<br />
dringend Der Vorfall notwendig zeigt aber ist (siehe auch, Zwischenfall dass eine 04/027 Lösung vom des LTG „PCU- 62).<br />
Problems“ dringend notwendig ist (siehe Zwischenfall 04/027<br />
vom LTG 62).<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
17
Flugsicherheit<br />
Taktile Anzeigenereich<br />
Zusammengestellt von Hauptmann<br />
Peter Harazin<br />
Die Informationen zu<br />
den Entwicklungsergebnissen<br />
im Bereich<br />
„Taktile Anzeigen“ wurden<br />
während des<br />
Survival and Flight<br />
Equipment (SAFE) -<br />
Symposiums 2004 in<br />
Lyon zusammengetragen.<br />
Schwerpunkt dieser<br />
Veranstaltung war das<br />
Thema Situational<br />
Awareness. Eine Kurzinformation<br />
zur SAFE<br />
Organisation befindet<br />
sich der Vollständigkeit<br />
halber zu Beginn dieser<br />
Information.<br />
SAFE ist eine internationale Organisation,<br />
die sich der Gewährleistung<br />
der Sicherheit und des Schutzes des<br />
Einzelnen an Land, auf See, in der Luft<br />
und im Weltraum widmet. Im regelmäßigen<br />
Wechsel finden Symposien<br />
der Organisation in Europa und den<br />
Vereinigten Staaten von Amerika<br />
statt. In den Vereinigten Staaten von<br />
Amerika ist der Austausch von Erfahrungen<br />
und Informationen umfangreicher<br />
durch einen wesentlich größeren<br />
Teilnehmerkreis sowie einer längeren<br />
Symposiumsdauer. Je nach Austragungsort<br />
erhalten die Symposien<br />
Mögliche Anbringung von Taktoren (Vibrationsgeber)<br />
in der Fliegersonderkleidung<br />
den Zusatz -US bzw. -Europe. Gegründet<br />
wurde die Organisation im<br />
Jahr 1956 als Space and Flight<br />
Equipment Association (Vereinigung<br />
für Weltraum- und Flugausrüstung).<br />
Am 02.10.1969 erfuhr sie eine Umbenennung<br />
in Survival and Flight<br />
Equipment Association (Vereinigung<br />
für Not- und Flugausrüstung).<br />
Am 24.11.1976 wurde die Organisation<br />
in SAFE Association benannt.<br />
Ziele der SAFE Organisation<br />
Der Zusammenschluss aller Mitglieder<br />
und die Durchführung von<br />
europäischen und amerikanischen<br />
Symposien dient der Förderung von<br />
Wissenschaft und Technologie zur<br />
Verbesserung von Sicherheitsvorrichtungen,<br />
Lebenserhaltungssystemen,<br />
Schutzausrüstungen und Mensch-<br />
Maschine-Schnittstellen weltweit. Als<br />
Forum für die Förderung neuer Kon-<br />
zepte und Produkte dient sie dem<br />
Austausch technischer Informationen<br />
und der Erörterung von Fragen von<br />
besonderem Interesse in den o. a.<br />
Fachbereichen. Den Mitgliedern soll<br />
hierbei auch eine größere Gelegenheit<br />
für die berufliche Weiterentwicklung<br />
und den ständigen Erfahrungsaustausch<br />
unter Experten ermöglicht<br />
werden. Des Weiteren sollen im Rahmen<br />
von Weiterbildungsveranstaltungen<br />
die Effektivität und Sicherheit bei<br />
der Auslegung und im Betrieb von<br />
Rettungssystemen kontinuierlich verbessert<br />
werden. Dabei soll auch der<br />
Einfluss dieser Vereinigung auf militärische<br />
Dienststellen erhöht werden,<br />
um die Hauptziele der Organisation<br />
umzusetzen. Nicht zuletzt ist es das<br />
Ziel die Wertstellung der Vereinigung<br />
nach außen und innen sowie die<br />
Gemeinschaft SAFE stetig zu steigern.<br />
18 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Aktivitäten<br />
Jährlich findet jeweils ein internationales<br />
Symposium in den USA und in<br />
Europa mit der Vorstellung von<br />
Bildungs- und Fachinformationen,<br />
aktiven Gerätedemonstrationen und<br />
einer begleitenden Ausstellung von<br />
neuen Entwicklungen statt. Regelmäßig<br />
erfolgt die Ausgabe des SAFE<br />
Journals, der SAFE Newsletter und der<br />
SAFE Proceedings. SAFE ist eine gemeinnützige<br />
Vereinigung. SAFE-Regionalgruppen<br />
unterstützen Tagungen<br />
und Seminare. Hierbei wird schwerpunktmäßig<br />
folgende Zielsetzung<br />
beschrieben:<br />
Mikroprozessor<br />
• Austausch von Ideen und<br />
Informationen über die Aktivitäten<br />
der Mitglieder,<br />
• die Vorstellung neuer Ausrüstung<br />
und neuer Verfahren und<br />
• die staatliche, militärische und gewerbliche<br />
Anwendung auf dem<br />
Gebiet der Sicherheit und des Überlebens.<br />
Taktile Anzeigen zur Verbesserung<br />
von Leistungsverhalten<br />
und Sicherheit<br />
Es gibt zurzeit drei Hauptanwendungen<br />
für Taktile Anzeigen:<br />
räumliche Orientierung, Navigation<br />
und Kommunikation. Die meist verbreitete<br />
Anwendung ist das vibrierende<br />
Mobiltelefon. Taktile Anzeigen<br />
wurden in einer Reihe von Szenarien<br />
erfolgreich demonstriert, darunter<br />
Taktile Anzeigen für die räumliche<br />
Orientierung bei Starr- und Drehflüglern<br />
und die Navigation beim Fallschirmspringen,<br />
bei Hochgeschwindigkeitsbooten<br />
und beim Tauchen<br />
Taktile Reizübermittlung<br />
sowie dem Marsch zu Fuß. Zu den<br />
nicht militärischen Anwendungen<br />
gehört die Unterstützung von Blinden<br />
und Sehbehinderten, z. B. wurde<br />
beim Aufstellen des ersten Geschwindigkeitsweltrekords<br />
für Blinde auf<br />
dem Wasser eine taktile Navigationsanzeige<br />
verwendet und es wurde ein<br />
Blindenstock entwickelt, der dem<br />
Benutzer eine taktile Rückmeldung<br />
gibt.<br />
Was ist eine Taktile<br />
Anzeige?<br />
Wir alle sind mit Sichtanzeigen (dem<br />
Betrachten von Informationen) und<br />
Audio-Anzeigen (dem Hören von<br />
Informationen) vertraut. Die heutige<br />
Technologie, vor allem die Entwicklung<br />
rechnergestützter Systeme,<br />
macht es wahrscheinlicher, dass es<br />
bei der Verarbeitung visueller und<br />
akustischer Informationen zur Überlastung<br />
kommt. Diese Überlastung<br />
kann zu einer verminderten Leistungsfähigkeit<br />
und möglicherweise<br />
zu Einbußen bei der Sicherheit<br />
führen. Das Potenzial für Probleme<br />
bei Sichtanzeigen wurde erkannt,<br />
und Konstruktionsnormen wie die<br />
ISO1-Norm 13407 sind ein Versuch,<br />
diese Probleme zu überwinden. Eine<br />
Alternative besteht darin, Informationen<br />
über den „wenig genutzten“<br />
Tastsinn zur Verfügung zu stellen,<br />
welcher spezifischer auch als haptischer<br />
Sinn bezeichnet wird. Dies kann<br />
in Form eines Hautreizes (taktile oder<br />
Tastkörperchenrezeption), eines in<br />
den Körperstrukturen (z. B. Muskeln)<br />
gefühlten Drucks (Propriozeption),<br />
einer Oberflächentemperatur (Thermorezeption)<br />
oder in Form von<br />
Schmerz (Nozizeption) erfolgen. Das<br />
gebräuchlichste Verfahren zur Reizung<br />
der Haut für die Bereitstellung<br />
taktiler Signale ist die Erzeugung von<br />
Schwingungen, wie sie beim vibrierenden<br />
Mobiltelefon zur Anwendung<br />
kommen. Es gibt jedoch auch andere<br />
Verfahren wie Stechen, Kratzen,<br />
Streicheln, elektrische Reizung usw.<br />
Die für die Erzeugung dieser taktilen<br />
Signale gefertigten Vorrichtungen<br />
sind als Taktor (Tastgeber) bekannt.<br />
Die Merkmale eines idealen Taktors<br />
sind minimale Größe, sehr niedriges<br />
Gewicht, geringe Leistungsaufnahme<br />
und hohe Ausgangsleistung (z. B.<br />
Schwingungen).<br />
Sicherheit und Leistungsfähigkeit<br />
der Besatzung jeder Plattform (z. B.<br />
Luftfahrzeug, Landfahrzeug, Schiff/<br />
Boot und Unterseeboot) hängen<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
19
Flugsicherheit<br />
maßgeblich davon ab, inwieweit<br />
Informationen zur räumlichen Orientierung<br />
und für das Lagebewusstsein<br />
zur Verfügung gestellt werden können.<br />
Dies erfolgt normalerweise über<br />
Sicht- und Audio-Anzeigen. Sichtanzeigen<br />
sind zwar normalerweise<br />
problemlos in der Anwendung, jedoch<br />
bietet die Entwicklung rechnergesteuerter<br />
Sichtanzeigen die Möglichkeit,<br />
eine riesige Menge visueller<br />
Informationen zur Verfügung zu stellen,<br />
die das Informationsverarbeitungsvermögen<br />
des Einzelnen<br />
überfordern kann. Audio-Anzeigen<br />
sind zwar ideal für bestimmte Informationen<br />
geeignet, ihre Verwendung<br />
hat jedoch Nachteile in einer sehr lauten<br />
Umgebung und unter Umgebungsbedingungen,<br />
für die minimale<br />
Geräuschpegel gefordert sind.<br />
Eine wirksame Alternative zu Sichtund<br />
Audio-Anzeigen stellt die taktile<br />
Anzeige dar. Solche Anzeigen können<br />
höchst effektiv und in bestimmten<br />
Szenarien von Vorteil sein. Sie<br />
bieten die Möglichkeit, die kognitive<br />
Überlastung zu verringern, die sich<br />
durch rechnergestützte Sichtanzeigen<br />
ergeben kann und stellen sowohl bei<br />
Umgebungsbedingungen mit hohem<br />
als auch mit niedrigem Geräuschpegel<br />
eine wirksame Alternative zu<br />
akustischen Anzeigen dar. Die Entwicklung<br />
und Einführung taktiler<br />
Anzeigen wird durch die Schlussfolgerung<br />
gestützt, die auf dem von<br />
der Forschungs- und Technologieorganisation<br />
der NATO durchgeführten<br />
Symposium zum Thema „Räumliche<br />
Desorientierung in Militärfahrzeugen:<br />
„Ursachen, Folgen und Abhilfen“<br />
(La Coruna, Spanien, 2002)<br />
gezogen wurde. Dort wurde folgende<br />
Feststellung getroffen:<br />
„Der bedeutendste Fortschritt der<br />
letzten Jahre, der der räumlichen Desorientierung<br />
entgegenwirken kann,<br />
ist die Verwendung taktiler Reize für<br />
die Übermittlung von Informationen<br />
zur räumlichen Orientierung.“<br />
Leistungsbeschreibung C-2 Taktor<br />
Physikalische Beschreibung: Durchmesser 1,2 Zoll, Höhe 0,31 Zoll,<br />
Gewicht 17 Gramm, eloxiertes Aluminium.<br />
Elektrische Verkabelung: Flexibel, isoliert, verdrilltes Leiterpaar,<br />
US-Drahtstärke Nr. 24. Steckverbinder optional.<br />
Haut-Kontaktgeber: Durchmesser 0,3 Zoll, mit einem Vorstand von<br />
0,025 Zoll zum Gehäuse,<br />
auf die Haut aufgebracht.<br />
Elektrische Merkmale: 7,0 Ohm in Reihe geschaltet,<br />
Nenninduktivität 1,1 mH.<br />
Empfohlene Ansteuerung: Sinuswellen Tonimpulse von 50 bis 200 ms Dauer<br />
im Frequenzbereich 150 bis 300 Hz bei Nennstromstärken<br />
bis 0,25 A effektiv und kurzzeitig<br />
0,5 A effektiv max.<br />
Maximale Ausgangsleistung bei ca. 230 Hz.<br />
Reizamplitude:<br />
Frequenz Typische in die Hauteingeleitete Typische in die Haut eingeleitete<br />
Amplitude mit 0,25 A Amplitude mit 0,5 A<br />
effektiver Ansteuerung effektiver Ansteuerung<br />
150 Hz Amplitudenspitze 0,06 Zoll Amplitudenspitze 0,12 Zoll<br />
230 Hz Amplitudenspitze 0,25 Zoll Amplitudenspitze 0,50 Zoll<br />
(Kappung möglich)<br />
280 Hz Amplitudenspitze 0,06 Zoll Amplitudenspitze 0,12 Zoll<br />
Anwendungen Taktiler<br />
Anzeigen<br />
Taktile Anzeigen gibt es schon seit<br />
vielen Jahren, jedoch wurde erst in<br />
jüngster Zeit ihr Potential erkannt und<br />
ihre Nutzung eingeleitet. Die vielleicht<br />
bekannteste Anwendung ist der<br />
Vibrationsalarm beim Mobiltelefon,<br />
der typischerweise verwendet wird,<br />
wenn ein akustisches Signal nicht<br />
annehmbar ist (z. B. in Besprechungen<br />
oder im Theater). Andere taktile<br />
Signale gibt es schon seit Hunderten<br />
von Jahren, z. B. verrät Ihnen ein<br />
Klopfen auf die Schulter instinktiv,<br />
dass jemand hinter Ihnen steht, in<br />
welcher Richtung er sich befindet und<br />
dass er Sie um Ihre Aufmerksamkeit<br />
bittet. Es gibt derzeit drei Hauptanwendungen<br />
für Taktile Anzeigen, für<br />
die diese Anzeigen als höchst effektiv<br />
angesehen werden: räumliche Orientierung,<br />
Navigation und Kommunikation.<br />
Räumliche Orientierung<br />
Die Entwicklung taktiler Anzeigen<br />
zur räumlichen Orientierung wurde<br />
teilweise durch die Erkenntnis gefördert,<br />
dass über 25 Prozent der<br />
Verluste von US-Militärluftfahrzeugen<br />
direkt auf den Verlust der räumlichen<br />
Orientierung und des Lagebewusstseins<br />
des Luftfahrzeugführers zurückzuführen<br />
sind. Unter räumlicher<br />
Orientierung versteht man die<br />
Fähigkeit eines Menschen, genau zu<br />
wissen, wo er oder sein Fahrzeug/ein<br />
Objekt sich im Raum befindet, normalerweise<br />
im Verhältnis zur Senkrechten.<br />
So wird vom Forschungslaboratorium<br />
für Luft- und Raumfahrtmedizin<br />
der US-Marine (NAMRL2) ein<br />
dem Körper gegebenes Bodenrichtungssignal<br />
dazu verwendet, Luftfahrzeugführern<br />
die Aufrechterhaltung<br />
der räumlichen Orientierung<br />
und die Durchführung von<br />
Kunstflugmanövern ohne externe<br />
20 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Fotos: Two subways kisses fiv<br />
Taktor C-2 der Firma<br />
Engineering Acoustics<br />
Aufgabe, die bei einer sehr<br />
großen Zahl von Anwendungen<br />
durchgeführt werden<br />
muss. Navigationssignale<br />
übermitteln im Allgemeinen<br />
auch Informationen darüber,<br />
wie man zum gewünschten<br />
Ort gelangt. Deshalb kann<br />
die Anzeige so ausgelegt<br />
werden, dass sie Informationen<br />
über Kursfehler und<br />
Kurskorrekturanweisungen<br />
gibt. Dass die Navigation<br />
nach Wegepunkten unter<br />
Verwendung taktiler Signale<br />
möglich ist, wurde unter<br />
zahlreichen, unterschiedlichen<br />
Umgebungsbedingungen<br />
nachgewiesen.<br />
Dazu gehören<br />
diverse Unterwassereinsätze,<br />
Hochgeschwindigkeitsboote,<br />
der Marsch zu Fuß,<br />
Kraftfahrzeuge und<br />
Hubschrauber.<br />
Anbringungsmöglichkeit unter der<br />
Fliegersonderbekleidung<br />
Orientierungspunkte oder interne<br />
Instrumentenanzeigen zu ermöglichen.<br />
In ähnlicher Weise wurde vom<br />
NAMRL nachgewiesen, dass Hubschrauberpiloten<br />
eine feste Schwebeflugposition<br />
halten können wiederum<br />
ohne externe Orientierungspunkte<br />
oder interne Instrumentenanzeigen.<br />
Dies zeigt, dass Taktile Anzeigen ein<br />
wirksames Mittel gegen räumliche<br />
Desorientierung sind. Unter Wasser<br />
und den Bedingungen der Mikrogravitation<br />
kann es bei Tauchern bzw.<br />
Astronauten zu extremer Desorientierung<br />
kommen. Es wurden und werden<br />
Forschungsarbeiten zur Verwendung<br />
Taktiler Anzeigen im Zustand<br />
der Mikrogravitation durchgeführt,<br />
wobei dazu in der Vergangenheit<br />
vom Nationalen Amt für<br />
Luft- und Raumfahrt (NASA3) der<br />
USA durchgeführte Parabelflüge<br />
genutzt wurden. Zurzeit werden weitere<br />
Untersuchungen dieser Umgebungsbedingungen<br />
von Forschern der<br />
TNO (NL) auf der Internationalen<br />
Weltraumstation durchgeführt.<br />
Navigation<br />
Bei anderen orientierungsbezogenen<br />
Anwendungen geht es um die<br />
Fähigkeit, jemanden über eine Richtung<br />
von Interesse im Verhältnis zu<br />
dessen gegenwärtiger Position zu<br />
informieren. So könnten zum Beispiel<br />
taktile Signale einen Luftfahrzeugführer<br />
über den Seitenwinkel eines<br />
Lenkflugkörpers informieren, der sich<br />
auf ein Luftfahrzeug aufgeschaltet<br />
hat oder über die Richtung eines<br />
Notsammelpunkts. Dies mag treffender<br />
eher als Navigation im Raum<br />
denn als räumliche Orientierung an<br />
sich bezeichnet werden und bei der<br />
Navigation handelt es sich um eine<br />
Kommunikation<br />
Die Übermittlung von anderen<br />
Informationen als denen zur räumlichen<br />
Orientierung/Navigation kann<br />
auf einer sehr einfachen oder sehr<br />
komplexen Ebene erfolgen. Allgemein<br />
gilt, dass eine Anzeige, die hoch effektiv<br />
sein soll, nur sehr einfache Informationen<br />
übermitteln sollte. Durch<br />
den Vibrationsalarm bei einem Mobiltelefon<br />
wird einfach nur mitgeteilt,<br />
dass jemand mit dem Benutzer des<br />
Telefons sprechen möchte. Bei dieser<br />
Anwendung besteht jedoch die Möglichkeit,<br />
mehr Informationen zur Verfügung<br />
zu stellen, ob der Anruf geschäftlicher<br />
oder persönlicher Art ist<br />
oder das Telefon eine Textnachricht erhalten<br />
hat. Deshalb ist es erforderlich,<br />
zwischen unterschiedlichen taktilen<br />
Signalen zu differenzieren. Aus akustischer<br />
Sicht lässt sich dies leicht erreichen,<br />
durch unterschiedliche Freitöne<br />
zum Beispiel. Das taktile Äquivalent<br />
für hörbare Freitöne könnten unter-<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
21
Flugsicherheit<br />
schiedliche Schwingungsrhythmen<br />
oder -frequenzen oder eine Kombination<br />
aus beidem sein. Für diese<br />
Technologie ist die Bildung intuitiver<br />
„taktiler Melodien“ oder „taktiler<br />
Symbole“ erforderlich, die ohne oder<br />
mit nur geringem kognitiven Verarbeitungsbedarf<br />
sofort erkannt werden<br />
können. Für die Nutzung taktiler Signale<br />
zur Kommunikation gibt es weitreichende<br />
Anwendungsmöglichkeiten,<br />
darunter solche für Menschen, die<br />
Informationen „verdeckt“ ohne Hörschall<br />
oder Licht empfangen wollen,<br />
oder für diejenigen, die nicht mittels<br />
Schall oder Licht kommunizieren können<br />
wie Taucher, Infanteristen und<br />
Menschen mit einer Seh-/Hörschädigung<br />
usw.<br />
Unterstützung von Blinden<br />
und Sehbehinderten<br />
Blinde und Sehbehinderte verlassen<br />
sich stark auf durch Berührung verursachte<br />
Rückmeldungen, während blinde<br />
und taube Menschen vollkommen<br />
auf ihren Tastsinn angewiesen sind.<br />
Ein Beispiel dafür, wie taktile Technologie<br />
die Fähigkeiten von Sehbehinderten<br />
stärken kann, ist die Verbesserung<br />
ihrer Eigenständigkeit bei<br />
der Navigation. Bei der Aufstellung<br />
des ersten Geschwindigkeitsweltrekords<br />
für Blinde auf dem Wasser von<br />
~ 118 km/h kam unterstützend eine<br />
taktile Anlage zur Navigation nach<br />
Wegepunkten zum Einsatz, die GPS-<br />
Technologie verwendete. Die immer<br />
erfolgreichere Nutzung Taktiler Anzeigen<br />
zeigt sich auch im jüngst von<br />
der Firma Sound Foresight Ltd entwickelten<br />
Blindenstock, der dem Benutzer<br />
taktile Rückmeldungen vom am<br />
Stock angebrachten Ultraschalltranspondern<br />
liefert. Das heißt, dass Benutzer<br />
sowohl über die Richtung des<br />
Objekts in ihrer Nähe als auch über<br />
dessen Entfernung informiert werden<br />
können. Die Verwendung der Taktilen<br />
Anzeige bedeutet, dass sie diese<br />
Informationen sowohl effektiv als auch<br />
diskret erhalten.<br />
Taktile Anzeigeanlagen<br />
Die Komplexität einer taktilen<br />
Anzeige hängt von der beabsichtigten<br />
Verwendung ab. Ein einfaches Kommunikationsgerät<br />
kann über einen<br />
Taktor verfügen, eine Navigationsanlage<br />
dagegen über zwei oder mehr<br />
Taktoren. Im letzteren Fall wird allgemein<br />
davon ausgegangen, dass sich<br />
mit acht oder zwölf Taktoren ein ausreichender<br />
Genauigkeitsgrad erreichen<br />
lässt. Eine Anlage zur räumlichen<br />
Orientierung, insbesondere für 3-D-<br />
Anwendungen, könnte jedoch potenziell<br />
über mehr als 100 Taktoren verfügen.<br />
Die Zahl der in ein Gerät eingebauten<br />
Taktoren hat leicht ersichtlich<br />
Auswirkungen auf die Gesamtgröße,<br />
das Gewicht, die Stromversorgung<br />
und die Bedienung des Geräts. Es erübrigt<br />
sich, darauf hinzuweisen, dass<br />
für die vollständige Entwicklung einer<br />
taktilen Anzeigeanlage eine beträchtliche<br />
Menge an Zeit und Mitteln investiert<br />
werden muss. Der größten<br />
Einschränkung unterliegen Taktile<br />
Anzeigen aufgrund der Forderung,<br />
dass der Taktor Körperkontakt haben<br />
muss. Dazu bedarf es eines Verfahrens,<br />
das den Taktor an der Haut<br />
hält, was bei Anordnungen aus mehreren<br />
Taktoren eine beträchtliche technische<br />
Herausforderung darstellen<br />
kann, vor allem, wenn die komplexen<br />
Formen des Körpers berücksichtigt<br />
werden müssen. Verliert einer oder<br />
mehrere Taktoren den Kontakt mit<br />
dem Körper, kann die Anlage je nach<br />
dem bei der Konstruktion berücksichtigten<br />
Redundanzgrad unwirksam<br />
werden. Deshalb sollte die Anlage so<br />
ausgelegt sein, dass diesem potenziellen<br />
Problem begegnet wird.<br />
Weitere Forschungsund<br />
Entwicklungsarbeit<br />
Genauso wie die fortgesetzte Entwicklung<br />
von Taktoren und Verfahren<br />
zu ihrer Befestigung am Körper bedürfen<br />
auch eine Reihe grundlegender<br />
ergonomischer Faktoren der weiteren<br />
Untersuchung, um den Erfolg taktiler<br />
Anzeigen in der Zukunft sicherzustellen.<br />
Zur Steigerung der Wirksamkeit<br />
von Taktoren und um sicherzustellen,<br />
dass sie mit größtmöglichem Nutzen<br />
am Körper verwendet werden, werden<br />
auch weiterhin Informationen<br />
über die Eigenschaften der Haut und<br />
darüber, wie diese sich an unterschiedlichen<br />
Stellen des Körpers verändern,<br />
benötigt. Dahin gehende<br />
Forschungsarbeiten werden zurzeit an<br />
der Universität Princeton in Zusammenarbeit<br />
mit dem Forschungslaboratorium<br />
für Luft- und Raumfahrtmedizin<br />
der US-Marine (NAMRL)<br />
durchgeführt. Da taktische Anzeigen<br />
auf Plattformen eingesetzt werden,<br />
22 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />
die gegenwärtig noch Eigenschwingungen<br />
unterliegen, besteht<br />
die Gefahr, dass auf Schwingungen<br />
basierende (vibro)-taktile Signale nicht<br />
von den Hintergrundschwingungen<br />
unterschieden werden können. Zurzeit<br />
werden Arbeiten zu diesem Punkt am<br />
QuinetiQ Centre for Human Sciences<br />
durchgeführt, die vom britischen<br />
Verteidigungsministerium finanziert<br />
werden. Es besteht die Hoffnung, dass<br />
die Ergebnisse vibrotaktile Schwellenwertdaten<br />
liefern, aus denen die<br />
Anlagenkonstrukteure die erforderliche<br />
Spezifikation für Taktile Anzeigen,<br />
die in einer Schwingungsumgebung<br />
verwendet werden sollen, ableiten<br />
können. Ein Beispiel für die Notwendigkeit<br />
dieser Arbeiten zeigte sich<br />
während der Entwicklung der Navigationsanlage,<br />
die für die Aufstellung<br />
des Geschwindigkeitsweltrekords für<br />
Blinde auf dem Wasser verwendet<br />
wurde. Es stellte sich heraus, dass kleine<br />
vibrotaktile Vorrichtungen während<br />
der Versuche mit einem Hochgeschwindigkeitsboot<br />
nicht wahrgenommen<br />
werden konnten, da die vom<br />
Boot bei der Bewegung über die<br />
Wasseroberfläche und die von den<br />
großen Bootsmotoren verursachten<br />
Schwingungen die Anlage unwirksam<br />
machten. Dieses Problem wurde<br />
dadurch gelöst, dass die Taktoren an<br />
Körperstellen befestigt wurden, die<br />
von den Stellen entfernt lagen, an<br />
denen sich der Bootsführer an der<br />
Bootstruktur festhielt, d. h. die<br />
Taktoren wurden von den Händen/<br />
Armen zum Körperrumpf verlegt. Es<br />
sind weitere Arbeiten erforderlich, um<br />
festzustellen, welche taktilen Signale<br />
mit der größten Effektivität wahrgenommen<br />
werden. Wie wird zum<br />
Beispiel eine Anweisung zur Fahrtrichtungsänderung<br />
nach rechts gegeben;<br />
wie wird angezeigt, wie weit<br />
nach rechts die Fahrtrichtung geändert<br />
werden soll und wie wird über zu starke<br />
Korrekturen der Kursrichtung informiert?<br />
Des Weiteren werden mehr<br />
Informationen über die Fähigkeit zur<br />
Unterscheidung unterschiedlicher taktiler<br />
Melodien bei nur geringer<br />
Ausbildung benötigt. Das Szenario ist<br />
vielleicht dem beim Morsecode vergleichbar.<br />
Zwei oder drei Buchstaben<br />
lassen sich leicht voneinander unterscheiden<br />
und verstehen, es bedarf<br />
aber eines großen Ausbildungsaufwands,<br />
um zwischen 26 Buchstaben<br />
genau und schnell unterscheiden zu<br />
können. Um die Entwicklung Taktiler<br />
Anzeigen unterstützend zu erleichtern,<br />
wurde von der Forschungs- und<br />
Technologieagentur der NATO eine<br />
technische Arbeitsgruppe eingerichtet.<br />
Zurzeit setzt sich die Arbeitsgruppe<br />
aus Vertretern Großbritanniens, der<br />
Niederlande, der USA und Kanadas<br />
zusammen. Zu den Zielen der Arbeitsgruppe<br />
gehören:<br />
• Identifizierung gegenwärtiger taktiler<br />
Anlagen und Anwendungen,<br />
• Identifizierung einschlägiger Normen<br />
und Richtlinien für taktile Anlagen,<br />
• Erstellung einer Datenbank des veröffentlichten<br />
wissenschaftlichen<br />
Wissens über taktile Wahrnehmung,<br />
• Bestimmung von Versuchsmethoden<br />
für Forschungsvorhaben auf dem<br />
Gebiet der taktilen Wahrnehmung,<br />
• Bestimmung von Versuchsmethoden<br />
zur Schaffung taktiler Referenzbedingungen,<br />
• Identifizierung von Sicherheitsfragen<br />
in Zusammenhang mit taktilen Anlagen,<br />
• Unterstützung der Vernetzung von<br />
Forschergruppen, Dienststellen und<br />
Fachleuten, die sich mit der taktilen<br />
Wahrnehmung befassen und<br />
• Verteilung von Informationen über<br />
taktile Anlagen.<br />
Schlussfolgerung<br />
Bei Taktilen Anzeigen handelt es sich<br />
um ein relativ neues Produkt auf dem<br />
Anzeigegerätemarkt. Diese Anzeigen<br />
haben das Potenzial sowohl die<br />
Leistungsfähigkeit als auch die Sicherheit<br />
zu verbessern, was unter allen<br />
möglichen Umgebungsbedingungen,<br />
von Bedingungen unter Wasser bis hin<br />
zur Mikrogravitation, erfolgreich nachgewiesen<br />
wurde. Es sind weitere<br />
Arbeiten zur Weiterentwicklung der<br />
Taktorauslegung im Hinblick auf die<br />
Anforderungen spezifischer Anwendungen<br />
erforderlich. Forschungsarbeiten<br />
zu den ergonomischen<br />
Faktoren der taktilen Wahrnehmung<br />
werden dabei helfen, die Auslegung<br />
der Anzeigen zu optimieren und die<br />
Wirksamkeit taktiler Anzeigen zu verbessern,<br />
um so die Leistungsfähigkeit<br />
und Sicherheit der Bediener zu<br />
erhöhen.<br />
<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
23
Flugsicherheit<br />
Ein (nicht) ganz normaler<br />
Tag ...<br />
von Leutnant Alexander Baumbach,<br />
Einsatzführungsbereich 3<br />
Control and Reporting Center<br />
Holzdorf/Schönewalde - SUNRISE<br />
Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />
Vorwort<br />
Der Einsatzführungsdienst der <strong>Luftwaffe</strong><br />
stellt die Integrität des Luftraums<br />
über der Bundesrepublik<br />
Deutschland sicher. Dazu überwachen<br />
im Rahmen des NATO Integrated Air<br />
Defence Networks die Gefechtsstände<br />
Holzdorf/Schönewalde (Einsatzführungsbereich<br />
3), Messstetten,<br />
Erndtebrück, Brockzetel und Cölpin<br />
den Luftraum über der Bundesrepublik<br />
Deutschland.<br />
Unter der NATO-Führung von<br />
CAOC 2 in Kalkar und CAOC 4 in<br />
Messstetten erstellen diese Verbände<br />
ein aktuelles identifiziertes Luftlagebild,<br />
welches als Entscheidungsgrundlage<br />
der militärischen und politischen<br />
Führung dient. Hierzu wird der Himmel<br />
über Deutschland mit einem<br />
umfassenden Netzwerk ziviler und<br />
militärischer Radarsensoren abgedeckt.<br />
Bei Einsätzen unter nationaler<br />
Führung leitet die Führungszentrale<br />
Nationale Luftverteidigung (FüZNatLV)<br />
in Kalkar das Teamwork der Einsatzführer<br />
und Jagdgeschwader.<br />
Die Komponente Waffeneinsatz-/-<br />
Jägerleitsektion stellt mit ihren Einsatzführungsoffizieren<br />
die Überwachung<br />
und Führung des militärischen<br />
Übungsflugbetriebs und die Bereitschaft<br />
für den Einsatz der beiden<br />
NATO-Alarmrotten in Neuburg an der<br />
Donau und Wittmundhafen sicher.<br />
Sobald sich ein Luftfahrzeug im zugewiesenen<br />
Überwachungsraum auffällig<br />
verhält, wird dies den übergeordneten<br />
Dienststellen gemeldet.<br />
Sollte dann ein Alarmstart befohlen<br />
werden, führt ein Team aus Controller<br />
und Assistent die ihnen zugeordneten<br />
Flugzeuge unter Beachtung<br />
aller nationalen Flugsicherheitsbestimmungen<br />
und taktischer Gesichtspunkte<br />
an das Ziel heran und ermöglicht<br />
über eine Sichtidentifizierung<br />
weitere Maßnahmen wie zum Beispiel<br />
Abdrängen, das Zwingen zur Landung<br />
oder auch einfach nur Hilfe bei<br />
Luftnotlagen. Einfach nur? Der folgende<br />
Artikel zeigt, dass man einen<br />
solchen Einsatz nie unterschätzen<br />
darf...<br />
Der Wochenenddienst als Einsatzführungsoffizier<br />
mit Jagdlizenz ist das,<br />
was man allgemein hin als „QRA-<br />
Bereitschaft“ 1 bezeichnet. An Wochenenden<br />
und Feiertagen herrscht in<br />
Deutschland kein militärischer Übungsflugbetrieb<br />
- was den Dienst in unserem<br />
Bunker (im dienstlichen Sprachgebrauch<br />
auch <strong>Luftwaffe</strong>nkampfführungsanlage<br />
genannt) als überschaubare<br />
Tätigkeit erscheinen lässt.<br />
NOTAMs 2 werden auf den aktuellen<br />
Stand der nächsten Woche gebracht,<br />
Karten können im großen Maßstab<br />
aktualisiert werden - ja auch dem<br />
Tagesgeschäft eines <strong>Luftwaffe</strong>noffiziers<br />
mit allen seinen Nebentätigkeiten<br />
kann hier geordnet nachgegangen<br />
werden. Durchaus planbare<br />
Dienstzeit also. So könnte man denken...<br />
So dachte ich auch an diesem<br />
Pfingstmontag, als ich nachmittags<br />
zur Nachtschicht erschien. Die obligatorische<br />
Übergabe mit dem Tagschicht-Controller<br />
fand in der gewohnten<br />
Ruhe und Professionalität<br />
24<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Lt Baumbach<br />
statt, und die ersten Routine-Arbeiten<br />
einer Controller-Schicht konnten beginnen<br />
- bis nach nicht ganz einer<br />
Stunde in der Operationszentrale eine<br />
LOOP-Durchsage 3 meine Aufmerksamkeit<br />
erregte. Die tschechische<br />
Luftraumüberwachung in Stara Boleslav<br />
meldete ein Flugzeug, welches<br />
ohne Funkkontakt und Sekundärradar<br />
4 vom polnischen in den tschechischen<br />
Luftraum einflog.<br />
So weit so gut - die Tschechen hatten<br />
in der Nähe von Prag Primärradarauffassung<br />
5 zu diesem Luftfahrzeug,<br />
welches auch noch ziemlich langsam<br />
zu fliegen schien - eigentlich kann<br />
man sich in dieser Situation zurücklehnen<br />
und den Kollegen auf der<br />
anderen Seite der Grenze die Arbeit<br />
überlassen. Außerdem hatten wir eh<br />
keinen Radarkontakt an der bezeichneten<br />
Position.<br />
Unsere Identifizierungssektion arbeitete<br />
dennoch an dem Problem und<br />
eröffnete uns dann, dass das (vermutete)<br />
Flugzeug laut Flugplan eigentlich<br />
wenige Minuten zuvor in Stuttgart<br />
hätte gelandet sein müssen. Eine<br />
Nachfrage dorthin ergab aber das nun<br />
schon erwartete Ergebnis: dort ist<br />
kein Flugzeug mit diesen Daten gelandet,<br />
sondern wird erst in zwei Stunden<br />
erwartet. Dies passte ja genau<br />
auf „unser“ nicht identifiziertes<br />
Luftziel, welches sich nach Aussage<br />
der tschechischen Luftverteidigung<br />
immer noch schnurstracks Richtung<br />
Grenze bewegte. Wir besetzten die<br />
Alarmposition und trafen wie immer<br />
alle Vorbereitungen für den Einsatz.<br />
Mein Assistent, Oberfeldwebel<br />
Sören Eidner, unterstützte mich beim<br />
schnellen Aktualisieren und Überprüfen<br />
aller eventuell benötigten Frequenzen<br />
und Funkgeräte (die zentral<br />
verwaltet werden) - und so hatten wir<br />
auch zügig einen Alarmstatus eingenommen,<br />
der sofortiges Eingreifen<br />
ermöglicht. Die Alarmrotte in Neuburg,<br />
zwei F-4F Phantom, wurde vom<br />
Bereitschaftsgrad 15 Minuten in 5<br />
Minuten befohlen - die Piloten eilten<br />
zu ihren Maschinen, und gingen ihre<br />
Checklisten durch. Nach der Klarmeldung<br />
des neuen Status erging<br />
vom CAOC 6 die Anweisung, die beiden<br />
bewaffneten Maschinen in 2-<br />
Minuten-Bereitschaft zu setzen.<br />
Die F-4Fs rollten jetzt zur Number<br />
One-Position - dem Haltepunkt direkt<br />
vor der Startbahn. Bis dahin auch<br />
noch kein Grund zur Unruhe.<br />
Seit dem 11. September ist man<br />
eben sensibler geworden, wenn es<br />
um ungewöhnliche Flugsituationen<br />
geht.<br />
Etwa dreißig Meilen vor der Grenze<br />
erfasste unser Radarverbund das<br />
suspekte Flugzeug erstmals in einer<br />
Höhe von 20.000 Fuß (ca. 6.000 m).<br />
Der Rundruf an alle Flugsicherungsstellen<br />
ergab dann auch, dass wir die<br />
einzige Flugsicherungskontrollstelle<br />
waren, die diese Maschine auf dem<br />
Bildschirm sah.<br />
Der Ausfall des Sekundärradars<br />
(Transponder) in einem Flugzeug ist<br />
im allgemeinen ärgerlich für die Flugsicherung<br />
- weil diese dann das dazugehörige<br />
Luftziel weder identifizieren<br />
noch vernünftig verfolgen kann -<br />
auch die Höheninformation, welche<br />
der Höhenmesser im Cockpit über<br />
den Transponder an die Bodenstelle<br />
sendet, entfällt damit naturgemäß. Im<br />
schlimmsten Fall sieht man das Flugziel<br />
auf ziviler Seite gar nicht mehr.<br />
Genau dies war jetzt passiert!<br />
Im militärischen Bereich - dem Einsatzführungsdienst<br />
der <strong>Luftwaffe</strong> -<br />
arbeitet man seit jeher mit Primärund<br />
Sekundär-Radardaten, weil in<br />
einem Krisen- oder Konfliktszenario<br />
der Gegner ja auch nicht munter pfeifend<br />
seine Identität preisgeben möchte.<br />
Ein Primärradar ermittelt die<br />
Position eines Flugzieles durch den<br />
Empfang der reflektierten Radarwelle<br />
und berechnet dessen Höhe aus dem<br />
Erfassungswinkel und der Entfernung<br />
zu diesem Ziel - ist also vollkommen<br />
unabhängig von aktiven Antwortgeräten<br />
des Flugzeuges. Da jedes<br />
militärische Radar an einem anderen<br />
Punkt der Republik steht und damit<br />
andere Auffassungsbedingungen hat,<br />
zeigten mir alle Sensoren, die ich für<br />
die Auffassung meines „unidentifizierten<br />
Flugobjektes“ einsetzte, auch<br />
eine entsprechend andere Höhe des<br />
Flugzieles über Grund. Zusätzlich erschwerend<br />
kamen noch die Wetterbedingungen<br />
hinzu: Wolken zwischen<br />
12.000 und 20.000 Fuß ...<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT 25
Flugsicherheit<br />
Doch Oberfeldwebel Eidner unterstützte<br />
mich auch hierbei hervorragend.<br />
Der zeitraubende Abgleich der<br />
Höhendaten war, neben den sonstigen<br />
Aufgaben rund um den Kontrollschirm,<br />
eine wichtige flugsicherheitsrelevante<br />
Leistung - denn Zeit war<br />
jetzt das, was ich nicht hatte.<br />
Um 16:24 Z überflog das Kleinflugzeug<br />
bei Cheb die deutsch-tschechische<br />
Grenze ...<br />
flüge gegen so genannte „entführte“<br />
Linienmaschinen begannen nicht<br />
so ...<br />
Es wird ernst ...<br />
Start beim JG 74 in Neuburg um<br />
16:39 Z.<br />
Koordinierte Flugfläche 200 und<br />
Richtung 010°.<br />
Das Target (also das Zielflugzeug)<br />
kurz vor Nürnberg.<br />
Alles passt „wie die Faust aufs<br />
Auge“.<br />
Der Vorhaltewinkel zum Ziel stimmt<br />
überein mit den errechneten Parametern.<br />
Die Phantoms steigen gut durch,<br />
der Luftraum um das „Theater“ wird<br />
sukzessive leerer. Doch was ist das:<br />
kein Anruf der Flugsicherung. Die<br />
Piloten kommen nicht zu mir auf die<br />
Frequenz - die erste „non-standardsituation“.<br />
Der Anruf beim verantwortlichen<br />
Sektor der zivilen Flugsicherung<br />
ergibt, dass dieser scheinbar<br />
gar nicht so recht weiß, wann er<br />
denn die „Luftpolizei“ in militärische<br />
Hand geben soll. Kurze Koordination<br />
und wenig später der vertraute Satz<br />
im linken Ohr: „Sunrise, Sunrise, Lima<br />
Kilo 56 flight on your freq!“. Kurze<br />
Identifizierung, erste Zielansprache<br />
und der Hinweis aus den uns zur<br />
Verfügung stehenden Quellen, dass<br />
Letzte Vorbereitungen ...<br />
In- und externe Kontrollinstanzen<br />
prüften nun alle Kriterien für die<br />
Rechtfertigung des Einsatzes der<br />
Alarmrotte und befahlen schließlich<br />
zehn Minuten nach Überflug der<br />
Grenze den Start der zwei F-4Fs aus<br />
Neuburg. Diese bekamen mit dem<br />
Startbefehl (vom CRC 7 ) ihre zugewiesene<br />
Flugrichtung und -höhe, die<br />
mit dem Wachleiter der jeweiligen<br />
überörtlichen Flugsicherungsstelle<br />
koordiniert und von den Sektorlotsen<br />
freigehalten wurden.<br />
Jetzt geht´s also los, dachte ich<br />
noch. Zweimal vorher hatte ich ähnliche<br />
Alarmeinsätze geführt. Den<br />
ersten Einsatz bestand ich drei<br />
Wochen nach meiner „örtlichen<br />
Zulassung“ (also quasi der endgültigen<br />
Erlaubnis, ohne Aufsicht Flugzeuge<br />
zu führen).<br />
Der zweite Einsatz folgte vier<br />
Wochen später - ein Airliner hatte<br />
sich nicht bei der zuständigen Flugsicherung<br />
gemeldet. Kurz vor dem<br />
Abheben der Kampfflugzeuge konnte<br />
der Einsatz aber gestoppt werden,<br />
da der Pilot der B737 den Knopf für<br />
das Mikrofon wieder gefunden<br />
hatte.<br />
Doch heute war alles anders. Geschätzte<br />
200 Meilen ohne Funkkontakt<br />
ließen darauf schließen, dass der<br />
Pilot echte Probleme hatte. Auch das<br />
Fehlen der Sekundärradardaten<br />
brachte mich ins Grübeln. Irgendetwas<br />
schien bei diesem Einsatz anders<br />
zu sein, als in der Ausbildung.<br />
Die dutzendfach geübten Schutzes<br />
sich bei dem Ziel wahrscheinlich<br />
um eine Piper Malibu (einmotorige,<br />
sechssitzige Turboprop-Maschine)<br />
handelt.<br />
Und schon hatte ich meine zweite<br />
„non-standard-situation“: die Phantoms<br />
mit ihren Außentanks brauchen<br />
eine höhere Geschwindigkeit als die<br />
des Kleinflugzeugs, um nicht vom<br />
Himmel zu fallen.<br />
Auch wenn bis hierhin alles noch<br />
halbwegs vertraut war, so brachte<br />
mich der Hinweis des Rottenführers<br />
schon einigermaßen ins Schwitzen,<br />
dass „IMC between flightlevel 080 and<br />
200“, also zwischen 8.000 und<br />
20.000 Fuß Instrumentenflugbedingungen<br />
- also dichte Wolken - herrschten.<br />
Bild: Archiv GenFlSichhBw<br />
Dumm nur, dass meine Propellermaschine<br />
nach allen mir zur Verfügung<br />
stehenden Angaben dabei<br />
war, von 20.000 Fuß zu sinken - und<br />
die mir anvertrauten Piloten der<br />
Luftverteidigung gerade in dieser<br />
Höhe angekommen waren - meine<br />
dritte „non-standard-situation“! D. h.<br />
in nächster Zeit spielt sich alles in den<br />
Wolken ab !<br />
And there I was ...<br />
Die Situation stellte sich mir wie<br />
folgt dar: ein Kleinflugzeug mit<br />
geschätzten 200 Knoten Geschwin-<br />
26 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Lt Baumbach<br />
digkeit, im permanenten Sinkflug<br />
durch 12.000 Fuß dichte Wolken,<br />
zwei bis zur Halskrause betankte und<br />
bewaffnete Jagdflugzeuge, die in<br />
Radar-Trail-Formation (der Rottenflieger<br />
Bravo ca. eins bis zwei Meilen<br />
mit Radarkontakt auf seinen Rottenführer<br />
Alpha) auf ihr Ziel eindrehten<br />
...- und jetzt kam meine vierte „nonstandard-situation“:<br />
Trotz ständiger Zielzuweisung meldete<br />
mir der Rottenführer fehlenden<br />
Radarkontakt zum Ziel („Kunststück“,<br />
dachte ich mir, „der wird wahrscheinlich<br />
Murphy’s Gesetz und seiner<br />
Größe entsprechend von deinem<br />
Radar auch nur als Vogel behandelt -<br />
und ist dem gleichen Gesetz folgend<br />
wahrscheinlich weit jenseits des Auffassungskegels<br />
der Phantom-Radarkeule“)<br />
- wenig später war der Grund<br />
klar: Alpha meldete den kompletten<br />
Systemausfall seines Radars.<br />
Nun muss man eins wissen - die Gewährleistung<br />
der Flugsicherheit geht<br />
über den Luftverteidigungsauftrag.<br />
Wir befinden uns im tiefsten Frieden<br />
- und Menschenleben gehen vor!<br />
Der unmotivierte Zusammenstoß<br />
zwischen Jäger und Gejagtem ist<br />
nicht der Sinn eines Abfangeinsatzes<br />
- sondern die Gewährleistung der<br />
Sicherheit im Luftraum. Die reine<br />
Flugsicherheit steht also über der<br />
Erfüllung des Einsatzauftrags zur<br />
Wahrung der Lufthoheit.<br />
Auf der einen Seite stand ich vor<br />
der Aufgabe, dieses Flugzeug<br />
schnellstmöglich abzufangen - und<br />
nach getaner Sicht-Identifizierung<br />
weitere Entscheidungen der lufthoheitlich<br />
verantwortlichen Stellen<br />
(CAOC auf NATO-Seite, FüZNatLV 8<br />
auf nationaler Seite) zu erwarten, auf<br />
der anderen Seite hatte ich die Flugsicherheit<br />
zu gewährleisten. Es nützt<br />
niemanden, wenn vielleicht der gute<br />
Wille da ist, aber durch einen Crash in<br />
der Luft Opfer zu beklagen sind.<br />
Das waren sie also - meine drei Probleme:<br />
Der Auftrag, die Gegebenheiten<br />
in der Luft und mein Ziel ...<br />
und alles ist unter einen Hut zu bringen.<br />
Bis jetzt waren alle drei Flugzeuge<br />
auf meinem Radarschirm sicher horizontal<br />
gestaffelt, doch mit dem Sinkflug<br />
des Zieles und der höheren Geschwindigkeit<br />
der Phantoms war es<br />
notwendig geworden, zusätzlich eine<br />
vertikale Staffelung zu gewährleisten.<br />
Inzwischen ging der Rottenführer in<br />
eine Linkskurve, um seine Radarprobleme<br />
zu lösen und nicht in brenzlige<br />
Situationen mit diesem ungewissen<br />
Propeller-Flieger zu kommen.<br />
Genau jetzt war der Bravo in einer<br />
taktisch sehr günstigen Position zum<br />
Ziel, er konnte mit seinem wesentlich<br />
genaueren Jäger-Radar unser Luftziel<br />
sehen und im Sinkflug der Propellermaschine<br />
hinterherfliegen.<br />
Nachdem dieses „Sortieren“ dann<br />
abgeschlossen war, meldete Bravo<br />
erneut Zielauffassung (diesmal unter<br />
der vermuteten Wolkenuntergrenze)<br />
und setzte den Anflug fort - sein<br />
Auftrag lautete ja Sichtidentifizierung.<br />
Ohne eine verlässliche Aussage über<br />
die genaue Höhe und Position des<br />
Ziels darf und kann man den Jäger<br />
aber nicht an das Ziel heranführen.<br />
Deshalb verglich ich ständig die<br />
Radarhöhen der QRA mit der bodenseitig<br />
bestimmten Höhe des Kleinflugzeuges<br />
und gab diese an die<br />
Piloten weiter.<br />
Dabei wäre automatisch eine „inflight-separation“,<br />
also eine räumliche<br />
Trennung der beiden Phantoms her-<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
27
Flugsicherheit<br />
gestellt worden: Bravo auf Westkurs<br />
(hoch) hinter dem Ziel, Alpha (tief) auf<br />
Ostkurs.<br />
Nach der Anfrage, ob der Rottenflieger<br />
Bravo das Abfangen übernehmen<br />
könnte, folgte dieser seinem Alpha - was<br />
dazu führte, dass der (durch Radarausfall<br />
und Wolken komplett „erblindete“) taktische<br />
Führer in der Luft (Alpha) nun ein<br />
sinkendes Flugzeug zu verfolgen hatte,<br />
von dem ich keine exakte Höhe,<br />
geschweige denn eine Sinkrate bestimmen<br />
konnte.<br />
Jetzt aber befanden sich die beiden<br />
Maschinen in einer Situation, die<br />
Alpha (sehr richtig aus seinem situativen<br />
Bild) als sehr gefährlich einschätzte.<br />
Da vorher versäumt wurde, ein<br />
koordiniertes Airborne-TACAN 9 in den<br />
beiden Maschinen einzustellen, kannte<br />
er die Position seines Flügelmannes<br />
nicht und beharrte auf der<br />
Herstellung einer Höhenstaffelung<br />
durch mich, den Radarleitoffizier.<br />
Zu keiner Zeit aber war die Staffelung<br />
der beiden Flieger (die ich ja<br />
auch zu überwachen habe) ein Problem,<br />
da sich aus den beiden (sehr<br />
guten) Radarkontakten die horizontale<br />
Separierung ableiten ließ.<br />
Dem Wunsch kam ich trotzdem<br />
nach, indem ich mir von Bravo den<br />
Radarkontakt zum Rottenführer bestätigen<br />
ließ und anschließend ein<br />
Steig- und ein Sinkflugkommando<br />
erteilte, das den Bravo nach unten,<br />
Alpha hingegen nach oben brachte.<br />
Damit hätte ich dann mit dem<br />
„sehenden“ Flugzeug die noch tiefer<br />
fliegende Propellermaschine erreichen<br />
können, ohne noch einmal die Flughöhen<br />
„meiner“ Flieger zu kreuzen.<br />
Auf Wiedersehen unter den Wolken...<br />
Der Anflug erfolgte nach den ICAO-<br />
Regeln 10 mit wenigen Knoten Fahrtüberschuss<br />
- welches anscheinend genau<br />
die Minimalgeschwindigkeit der<br />
Phantom war - und endete mit einer<br />
Sichtidentifizierung. „Super“, dachte<br />
ich, „ab hier haben wir endlich wieder<br />
Standardverfahren!“ - erst mal<br />
das Ergebnis der Identifizierung ans<br />
CAOC übermitteln, in der Zwischenzeit<br />
den Kampfjet nebenher fliegen<br />
lassen und dann die Entscheidung der<br />
vorgesetzten Dienststellen wieder an<br />
die QRA übermitteln. Doch auch hier<br />
machte mir Murphy einen Strich<br />
durch die Rechnung.<br />
Der geplante Seite-an-Seite-Flug der<br />
Piper Malibu (Geschwindigkeit: geschätzte<br />
150 Knoten) und der Phantom<br />
war in der Form nicht möglich.<br />
Bravo flog Kurven, um seine zu hohe<br />
Fahrt in mehr Weg zu investieren und<br />
damit effektiv langsamer zu werden,<br />
scheiterte aber daran und brach wieder<br />
nach links weg, um eine Verzögerungskurve<br />
zu fliegen. Im selben<br />
Moment aber übernahm der von hinten<br />
anfliegende Alpha wieder den<br />
Einsatz und flog - mit dem „Gott sei<br />
Dank“ wieder funktionsfähigen Radar<br />
- von hinten an das Target.<br />
Unterdessen - so erfuhr ich jetzt -<br />
hatte der Pilot der Propellermaschine<br />
über Handy Verbindung mit Stuttgart<br />
Tower aufgenommen. Er bat darum,<br />
von den ihn umkreisenden Kampfjets<br />
zum Flugplatz geführt zu werden.<br />
Scheinbar war ein elektrischer Fehler<br />
im Cockpit schuld an dem Ausfall desselben<br />
- inklusive aller Navigationseinrichtungen<br />
und Hilfssysteme. „Upps!“<br />
dachte ich, „das kann ja heiter werden<br />
mit solch einem Geschwindigkeitsüberschuss!“<br />
Doch die QRA löste<br />
das Problem ganz elegant mit Hilfe<br />
eines Racetrack-Pattern - also ständig<br />
abwechselnd am Ziel vorbeifliegen,<br />
um dem Piloten so den Weg zu weisen.<br />
Nach dem Einflug in den Zuständigkeitsbereich<br />
der Stuttgarter Anflugkontrolle<br />
koordinierte ich mit eben<br />
diesem Radararbeitsplatz das weitere<br />
Vorgehen. Diese sehr gute Zusammenarbeit<br />
war beeindruckend. Mir<br />
wurden alle „Wünsche“ erfüllt und<br />
anschließend die „Kontrolle und<br />
Kommunikation“ mit der Alarmrotte<br />
übernommen. Zeit zum Durchatmen<br />
- dachte ich.<br />
Das Flugverhalten der Phantoms<br />
unter ziviler Kontrolle kam mir recht<br />
merkwürdig vor für den Anflug auf<br />
Stuttgart. Diverse Anrufe bei Stuttgart<br />
Tower aber ließen mich erfahren, dass<br />
die Piper Malibu auch Probleme hatte,<br />
ihr Fahrwerk auszufahren und deswegen<br />
mehrere Anflüge abbrechen musste.<br />
Währenddessen drehten „meine<br />
Phantoms“ über Stuttgart Kreise und<br />
ließen die immer noch suspekte<br />
Maschine nicht aus den Augen. Auch<br />
die Parameter für die Rückführung<br />
der QRA nach Neuburg wurde in diesen<br />
Minuten koordiniert - sowie die<br />
eine oder andere Nachfrage unserer<br />
vorgesetzten Dienststellen weitergeleitet,<br />
Nachfragen der Phantoms an<br />
mich beantwortet und nicht zuletzt<br />
auch militärische Flugverfahren mit<br />
dem Anfluglotsen besprochen - an<br />
dieser Stelle sieht man schon, wie hier<br />
Stress aufgebaut werden kann. Ein<br />
Luftnotfall mit Landeproblemen, zwei<br />
Kampfflugzeuge auf der Frequenz<br />
und dutzendweise Telefonate mit<br />
dem Kollegen von der Luftverteidigung.<br />
Meinem Kollegen bei der zivilen<br />
Flugsicherung ging es nicht anders<br />
als mir!<br />
Der lange Weg nach Hause ...<br />
Für die Rückführung nach Hause<br />
ging mein Plan auch an Murphy<br />
zugrunde. Die gemeldete Landung<br />
der Piper in Stuttgart kam nicht so<br />
schnell bei der Führung an, wie ich<br />
wieder Funkkontakt zur Alarmrotte<br />
hergestellt hatte. Den bei mir im Kopf<br />
abgeschlossenen Einsatz wollte ich<br />
nun durch die Rückführung nach Neuburg<br />
beenden, als aus dem CAOC der<br />
Auftrag kam, weiterhin über Stuttgart<br />
zu kreisen. Also wieder Approach<br />
anrufen, diesem mein Anliegen klarmachen<br />
(Kreise ziehen), Piloten zum<br />
Frequenzwechsel auffordern, zurücklehnen<br />
- gerade nach dem Wechsel<br />
der Kontrollfrequenz erging dann der<br />
nächste Befehl zum Heimflug.<br />
Anruf, kurze Darstellung der neuen<br />
Situation, LK56 zurück auf meine<br />
28 II/2005 FLUGSICHERHEIT
Frequenz 11 . Keine Minute später wird<br />
dann der Schutzflug aber auch noch<br />
in einen Übungsschutzflug umgewandelt.<br />
Diesen darf ich aber nicht über<br />
Flugfläche 100 kontrollieren (dieser<br />
Luftraum „gehört“ der zivilen Flugsicherung),<br />
da fast alle Sonderrechte<br />
der Maschinen hinfällig werden. Der<br />
letzte Anruf nach Stuttgart, zum<br />
Schluss ein „Sorry, für die Umstände<br />
...“ und das sichere Gefühl, mein Gesprächspartner<br />
hat gerade so viel<br />
Falten in der Stirn wie ich unter den<br />
Augen ...<br />
Die QRA setzt ihren Heimflug nach<br />
dem ich-weiß-nicht-wievielten Frequenzwechsel<br />
in der letzten Viertelstunde<br />
ohne Probleme unter Münchner<br />
Kontrolle fort und schließt diese<br />
Mission mit einer normalen Landung<br />
dort ab ...<br />
... wenigstens gab es etwas Normales<br />
- die sichere Landung meiner<br />
Pantoms - an diesem Pfingstmontagabend.<br />
Um 18:00 Z konnte die Nachtschicht<br />
beginnen ...<br />
Fazit<br />
Auch wenn der Einsatz der Luftverteidigung<br />
seit Bestehen der<br />
Bundeswehr fast täglich geübt wird,<br />
auch wenn es beinahe wöchentlich zu<br />
Einsätzen der Alarmrotte auf suspekte<br />
Flugziele im Luftraum kommt - man<br />
darf nie in festgefügte Schemen verfallen.<br />
Jede Mission hat ihre Eigenheiten.<br />
Und auch wenn man denkt,<br />
alles in irgendeiner Form schon einmal<br />
erlebt zu haben, sollte man nicht<br />
damit rechnen, dass mal für alle<br />
Fallkombinationen das passende<br />
Denkschema parat hat.<br />
Der Abfangeinsatz unter Instrumentenflugbedingungen<br />
auf ein sehr<br />
langsames Flugzeug - mit einem nur<br />
ungenauen Radarbild kann meines<br />
Erachtens nach schon als „worst-casemission“<br />
angesprochen werden. Ich<br />
habe daraus gelernt, dass meine<br />
Ausbilder sehr gut daran getan<br />
haben, mir Flugsicherheit als oberstes<br />
Gebot zu verinnerlichen.<br />
In dieser Situation kommt man<br />
schnell an einen Punkt, in dem der<br />
innere Schweinehund namens „Ehrgeiz“<br />
versucht, den Auftrag mit allen<br />
möglichen Mitteln durchzuführen.<br />
Und hier muss man sich selbst zurückpfeifen.<br />
Der Auftrag „Sicherstellung<br />
der Integrität des Luftraums“ (also<br />
einer eher abstrakten Größe) muss<br />
unter solchen Voraussetzungen zurückstehen,<br />
bis die konkrete Größe<br />
„Flugsicherheit“ nicht mehr gefährdet<br />
ist.<br />
Gegenseitige Hilfe ist hier kein<br />
Zeichen von Unprofessionalität, sondern<br />
einfach das bestmögliche Ausnutzen<br />
aller zur Verfügung stehenden<br />
Mittel. Als Einsatzführungsoffizier<br />
habe ich den Gesamtüberblick über<br />
die Situation, überwache den Anflug<br />
an das Ziel, stelle die Trennung der<br />
beiden F-4F untereinander sicher und<br />
beobachte den Luftraum um das<br />
„Theater“. Daneben bin ich für die<br />
taktische Leitung des Gesamteinsatzes<br />
zuständig.<br />
Die Piloten haben, mit ihren<br />
wesentlich höheren Abtastraten am<br />
Flugzeugradar aber das bessere Detailbild.<br />
Wenn wir nun gegenseitig die<br />
vollen Fähigkeiten der jeweiligen<br />
Systeme kennen und im Ernstfall auch<br />
deren Grenzen beachten - dann können<br />
wir das Optimum für den Einsatz<br />
(eine schnelle Identifizierung) und die<br />
bestmögliche Flugsicherheit gewährleisten.<br />
Wir müssen die Kommunikation<br />
zwischen den Piloten und Einsatzführern<br />
intensivieren. Jeder Nutzer<br />
militärischer Radarführung sollte sich<br />
im Klaren sein, welche Informationen<br />
(mit welcher Glaubwürdigkeit) er vom<br />
CRC erwarten kann, genauso wie wir<br />
uns in das Cockpit des Abfangjägers<br />
versetzen müssen. Dazu gehören<br />
nicht nur die obligatorischen telefonischen<br />
Besprechungen vor und nach<br />
jeder Mission, sondern auch regelmäßige<br />
Besuche beim jeweils anderen<br />
- zum Kennenlernen der Systeme.<br />
Menschenleben gehen über alles.<br />
Unsere Piloten in den F-4F haben ihres<br />
riskiert, um der Besatzung der Piper<br />
Malibu zu helfen. Das Risiko kann nur<br />
minimiert werden - und dafür müssen<br />
wir alle lernen, den anderen besser zu<br />
verstehen.<br />
<br />
1) QRA – Quick Reaction Alert, Alarmrotte zur Luftverteidigung. Deutschland hält je zwei bewaffnete Abfangjäger in einer fünfzehnminütigen Bereitschaft in Wittmundhafen<br />
und Neuburg an der Donau.<br />
2) Notice to Airmen – Nachrichten für Luftfahrer<br />
3) LOOP ist die Fernsprechkonferenz, in der alle diensthabenden CRCs und CAOCs miteinander Informationen von allgemeinem Interesse austauschen<br />
4) aktives Gerät, welches auf die Abfrage eines bodenseitigen Radars einen vierstelligen Zahlencode und die Flughöhe übermittelt und damit die Identifizierung ermöglicht.<br />
Die zivile Flugsicherung arbeitet fast ausschließlich mit Sekundärradarzielen.<br />
5) d. h. die Radarwelle wird nur vom Objekt reflektiert, von der hierbei ermittelten Position und Höhe abgesehen, werden keinen weiteren Informationen bereitgestellt<br />
6) CAOC – Combined Air Operations Center, vorgesetzte NATO-Dienststelle der Luftverteidigung, die übergreifend alle CRCs und diensthabende Alarmrotten der<br />
Jagdgeschwader führen<br />
7) CRC – Control and Reporting Center, militärische Radarüberwachungsstation und Flugleitstelle<br />
8) FüZNatLV – Führungszentrum nationale Luftverteidigung, eine Koordinierungsstelle, die nach dem 11. September eingeführt wurde, um bei Bedrohungen aus der Luft<br />
Vertreter der Ministerien für Inneres, Verteidigung und Verkehr zu haben. Stationiert in Kalkar leistet dieser „Krisenstab“ auf Abruf 24 Stunden Dienst an sieben Tagen in<br />
der Woche – also genau wie wir im CRC.<br />
9) Airborne TACAN – System, das ermöglicht, Richtung und Entfernung zum eingestellten Sender abzulesen. Wird benutzt, um bei der Auftrennung („split“) einer Rotte und<br />
Verlust des Sichtkontakts dessen Position genau bestimmen zu können.<br />
10) Von hinten dem Ziel nähern und mit 20 Knoten „Überholgeschwindigkeit“ bis an dessen Position herankommen, anschließend verlangsamen und parallel fliegen.<br />
11) da ein Schutzflug von mir als Militärlotsen geführt wird, sollte die zivile Flugsicherung ihn nur so wenig wie nötig kontrollieren, um das Übermitteln von<br />
Führungsentscheidungen so schnell wie möglich zu ermöglichen<br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
29
Fighter. Es war sehr mühsam, dem<br />
Controller auf dem Tower wegen dessen<br />
schlechter Beherrschung der englischen<br />
Sprache - Stückchen für Stückchen<br />
- die Absicht der Crew zu übermitteln.<br />
Kurz um, beim ersten Run<br />
zeigte sich, dass es noch zu Vibrationen<br />
am Bugrad kam - dieses Mal aber<br />
bei einer anderen Geschwindigkeit als<br />
beim ersten Mal. Der Bitte an den<br />
Tower, die Runway am Ende verlassen<br />
zu können, wurde mit Cleared for<br />
take-off? beantwortet. Mittlerweile<br />
kamen aber Fighter auf dem Taxiway<br />
entgegen, was für die E-3A ein Verlassen<br />
der Runway nicht mehr ermöglichte!<br />
Der Kommandant beschloss deshalb,<br />
das Luftfahrzeug mit einer 180°-<br />
Drehung auf der Bahn zu wenden,<br />
beim ersten Rollweg die Bahn zu verlassen<br />
und zum Liegeplatz zurückzurollen.<br />
Nach dem Wenden schob er<br />
die Gashebel nach vorn um zu rollen,<br />
um sie dann überraschend auf beinahe<br />
Volllast zu schieben! Dies zusammen<br />
mit der Bemerkung: “Lasst uns<br />
sehen, wann nun die Vibration beginnt“.<br />
Es spricht für sich selbst, dass<br />
dieses Manöver jeden im Cockpit<br />
erstaunte ... Am anderen Ende der<br />
Bahn angekommen, fragte der Tower,<br />
ob es Probleme gab und ob Hilfe<br />
erforderlich sei, was durch den Kommandanten<br />
verneint wurde. Das wiederum<br />
stürzte den Tower-Controller<br />
sichtlich in Verwirrung. Von diesem<br />
Moment an hielt er sich (in türkischer<br />
Sprache) allein an seine Fighter im<br />
Traffic Pattern. Auf unsere Calls reagierte<br />
er darauf nicht mehr!<br />
Beim Zurückrollen erklärte uns der<br />
Kommandant, dass er diesen extra<br />
Run gemacht habe, um präzise festzustellen,<br />
was mit diesem Flugzeug<br />
los sei. Auf die Frage, ob er die zusätzliche<br />
Beanspruchung der Bremsen<br />
berechnet habe, reagierte er mit<br />
einem Bremsversuch, um diese zu<br />
checken. Sowohl Co-Pilot als auch<br />
Bordingenieur waren sich einig, dass<br />
die Limits der Bremsanlage bei weitem<br />
überschritten wurden! Es musste<br />
mit Hot Brake - und allem was dazu<br />
gehört - gerechnet werden. Versuche,<br />
über den Tower Hilfe von der Feuerwehr<br />
zu erhalten, wurden ignoriert.<br />
Der Controller beschäftigte sich -<br />
noch immer in türkischer Sprache -<br />
mit dem Airborne Traffic. Die Mission-<br />
Crew der AWACS wurde per Intercom<br />
auf eine eventuelle Evakuierung des<br />
Flugzeuges auf Weisung des Kommandanten<br />
vorbereitet.<br />
Nun befand sich also eine soeben<br />
abgestellte NATO E-3A Sentry mit Hot<br />
Brakes und vollgetankt auf dem Liegeplatz.<br />
Zu großen Erstaunen der Crew<br />
sahen diese - noch bevor dazu ein<br />
Zeichen gegeben wurde - ein Mitglied<br />
der Mission-Crew weglaufen! Darauf<br />
folgte - auf Weisung des Kommandanten<br />
– ein Emergency Ground<br />
Egress für den Rest der Mission Crew.<br />
Derweil neigte sich das Flugzeug zur<br />
Seite, was auf einen (oder mehrere)<br />
drucklose(n) Reifen hin deutete. Vor<br />
dem Abschalten der Bordspannung<br />
wurde noch versucht, über Ground<br />
Control die Feuerwehr zu verständigen,<br />
was aber auch vergeblich war.<br />
Draußen am Fahrwerk zeigte sich,<br />
dass bei acht Hauptfahrwerkrädern -<br />
um eine Explosion der Reifen wegen<br />
Überdruckszuverhindern-dieSchmelzsicherungen<br />
ausgelöst hatten. Der<br />
Rauch, der sich durch das Schmelzen<br />
der Sicherungen wegen der Überhitzung<br />
der Felgen entwickelte, wurde<br />
durch die türkische Ground Crew als<br />
Brandherd interpretiert. Sie beschlossen,<br />
diesen Brand mit Hilfe von kaltem<br />
Wasser zu löschen, was gemäß<br />
Vorschrift wegen der Explosionsgefahr<br />
des Reifens und der Felge ausdrücklich<br />
verboten ist! Gott sei Dank<br />
konnte der Bordingenieur das Löschen<br />
mit Wasser aber verhindern.<br />
Nachdem die Räder auf natürliche<br />
Weise abgekühlt waren, wurde eine<br />
Inspektion des Fahrwerks durchgeführt.<br />
Es zeigte sich, dass mehrere<br />
Reifen platt waren und einige Felgen<br />
bombenfest auf den Achsen saßen.<br />
Lessons learned?<br />
Aus diesem Vorfall kann eine Anzahl<br />
von Lesson Learned gezogen<br />
werden. Weil wir überzeugt sind, dass<br />
sie das selbst gut können, belassen<br />
wir es dabei. Zwei wichtige Lessons<br />
wollen wir ihnen aber trotzdem - zur<br />
Abrundung dieses Artikels - nicht vorenthalten:<br />
Stick to your plan! Aber wenn davon<br />
abgewichen wird oder abgewichen<br />
werden muss, dann lassen Sie<br />
das die übrigen Besatzungsmitglieder<br />
wissen.<br />
Be prepaired to raise the bulsh..<br />
flag! D.h.: Weisen Sie darauf hin, dass<br />
Ihrer Meinung oder Ihrem Wissensstand<br />
nach etwas so nicht geht oder<br />
anders sein muss. Dies gilt für jedes<br />
Mitglied der Besatzung. <br />
II/2005 FLUGSICHERHEIT<br />
31
Flugsicherheit<br />
Wir begrüßen<br />
Dezernat C wurde seit dem 01. April 2005 durch Major Norbert Burmeister<br />
verstärkt. Im Sommer 1978 trat er in die Bundeswehr ein und durchlief die Ausbildung<br />
zum Hubschrauberpiloten. Von 1981 an war er als Einsatzpilot für fast acht Jahre beim<br />
HFlgRgt 6 in Itzehoe, es folgte die Versetzung zum mTrspHubschrRgt 15 in Rheine. Hier<br />
war er als stv Schwarmführer, S3-Offizier, Schwarmführer und Einsatzstabsoffizier eingesetzt<br />
worden. Die gesammelten Erfahrungen, besonders während den beiden Einsätzen<br />
im Rahmen ISAF (Kabul und Termez), möchte er in seiner neuen Tätigkeit als Sachbearbeiter<br />
CH-53 einfliesen lassen und u. a. mit einem offenen Dialog zur Truppe flugsicherheitsrelevante<br />
Probleme lösen.<br />
Wir verabschieden<br />
Oberstleutnant Eugen Weiss hat zum 31.03.2005 die Bundeswehr verlassen.<br />
Sein beruflicher Werdegang in der Bundeswehr begann 1972 mit der Grundausbildung<br />
in Fritzlar. Nach der Offizierausbildung an der Infanterieschule Hammelburg absolvierte<br />
er ein Hochschulstudium der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften in München<br />
mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann. Für zwei Jahre führte er einen Zug beim<br />
PzGrenBtl 142 in Koblenz bevor seine fliegerische Laufbahn begann. Der Hubschraubergrundausbildung<br />
in Bückeburg schlossen sich Verwendungen als Verbindungshubschrauberpilot<br />
auf dem Luftfahrzeugmuster Al II in Mendig, als Einsatzoffizier einer<br />
Al II - Staffel in Niederstetten, als Schwarmführer auf PAH in Roth, mit der Umschulung<br />
auf LTH/MTH (incl. die Berechtigung als IFR Rotary Wing Examiner) die Versetzung nach<br />
Mendig an. In den Jahren 1991 bis 1996 flog er zahlreiche Einsätze im Irak für UNSCOM<br />
und im Kosovo für KFOR. Seit dem Oktober 2000 war er der FlSichhOffz im HFlgRgt 35.<br />
Seine letzte Versetzung führte ihn in das <strong>Luftwaffe</strong>namt, zur Abteilung FlSichhBw. Hier<br />
war er Sachbearbeiter für die Unfall- und Zwischenfalluntersuchungen, verantwortlich<br />
im Bereich der Hubschrauber für die Waffensysteme CH-53 und UH-Tiger.<br />
Wir wünschen für den nun kommenden Lebensabschnitt alles Gute.<br />
Frau Brigitte Massa ist in den Ruhestand gegangen, nachdem sie 42 Jahre für die<br />
Bundeswehr gearbeitet hat, davon alleine 32 Jahre bei der Dienststelle GenFlSichhBw im<br />
Vorzimmer des Generals. Der „Besen der Abteilung“- wie sie sich selbst nannte - hat<br />
sich in dieser Zeit besonders als Wächterin aller schriftlichen Ausarbeitungen hervorgetan.<br />
Darüberhinaus hat sie mit subtilem Nachdruck die Steuerung der Termine der<br />
Führung der Abteilung bewältigt.<br />
Im nun folgenden Lebensabschnitt wünscht die Abteilung Gesundheit und Zufriedenheit.<br />
32 II/2005 FLUGSICHERHEIT