„Zwangsheirat verhindern“ Konzept für die Landeshauptstadt ... - RIS
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Es gibt durchaus Verheiratungsprozedere, in denen es gewährleistet ist, dass<br />
<strong>die</strong> beiden <strong>für</strong> einander vorgesehenen Brautleute so einbezogen sind, dass<br />
sie <strong>die</strong>/den Partner/-in unverbindlich kennenlernen können, <strong>die</strong> Möglichkeit<br />
haben auch ohne Gesichtsverlust eine Liaison abzulehnen und somit ihre<br />
eigene Entscheidung ausschlaggebend ist. Bei der arrangierten Ehe werden<br />
im gesamten Verlauf Grundregeln eingehalten und es ist jederzeit möglich,<br />
den Prozess von Seiten der Braut oder des Bräutigams zu stoppen. 7 Allerdings<br />
scheinen auch hier „<strong>die</strong> männlichen Jugendlichen viel mehr Wahlmöglichkeiten<br />
als <strong>die</strong> Mädchen zu haben. Ein ,Nein´ von ihnen würde viel schneller<br />
akzeptiert.“ 8<br />
Die Grenze zwischen arrangierter Ehe und Zwangsheirat ist nicht immer eindeutig<br />
zu ziehen. Der psychische und soziale Druck durch <strong>die</strong> Familie kann<br />
so subtil und gewohnt sein, <strong>die</strong> emotionalen und ökonomischen Abhängigkeiten<br />
so massiv, dass <strong>die</strong> jungen Frauen und Männer gar nicht wahrnehmen<br />
können, dass ihre Entscheidung manipuliert ist. Die Kompetenz, Entscheidungen<br />
<strong>für</strong> sich und das eigene Leben zu treffen, wird im Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung<br />
als Kind und Jugendliche/-r herausgebildet und kann bei<br />
restriktivem Erziehungsstil stark beeinträchtigt sein oder sogar ganz fehlen.<br />
Hier manifestiert sich auch eine geschlechtstypische Ausprägung: besonders<br />
Mädchen, <strong>die</strong> stark kontrolliert aufwachsen, haben nicht gelernt, ihre eigenen<br />
Bedürfnisse und Wünsche wahr- und ernst zu nehmen, geschweige denn sie<br />
zu kommunizieren. Mädchen und junge Frauen unterliegen angesichts der<br />
innerfamiliären Machtverhältnisse einem hohen Konformitätsdruck und sind<br />
besonders gefährdet sich schnell zu fügen, um das Ansehen der Familie nicht<br />
zu beschädigen.<br />
Letztlich wird man nicht umhin kommen, im Einzelfall sehr genau zu eruieren,<br />
in wieweit der freie Wille überhaupt vorhanden ist und respektiert wurde oder<br />
ob <strong>die</strong> Heirat primär durch das familiäre Kollektiv inten<strong>die</strong>rt und entschieden<br />
wird. Ausschlaggebend <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bewertung ist dabei immer <strong>die</strong> subjektive Einschätzung<br />
der/des Betroffenen: „A person knows when they are being forced<br />
into a marriage against their will – that must be the starting point.“ 9 Aber<br />
manchmal erkennen <strong>die</strong> Betroffenen auch erst Jahre später, dass sie einem<br />
subtilem Zwang unterlagen, der ihnen zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht<br />
bewusst war und müssen sich eingestehen, dass sie <strong>die</strong> arrangierte Ehe<br />
nicht aus freien Stücken eingegangen sind. Die Möglichkeit, dass insbesondere<br />
Mädchen und Frauen unter dem Mäntelchen von arrangierten Ehen in<br />
eine Zwangsehe gezwungen werden, ist Teil der Thematik und muss in der<br />
Beratungsarbeit z.B. auch in Trennungsphasen sensibel mitbedacht und aufgegriffen<br />
werden.<br />
7 Vgl. G. Straßburger in BFSFJ: Zwangsverheiratung in Deutschland; Berlin 2007; S. 76<br />
8 Th. Mirbach, T. Schaak, K. Triebl: Zwangsverheiratung in Deutschland, Anzahl und Analyse von Beratungsfällen; im<br />
Auftrag des Bundesministeriums <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Berlin 2011; S. 111<br />
9 Ebd.; S. 34<br />
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