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Dezember - Anwaltsblatt

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DeutscherAnwaltVerein<br />

A11041<br />

Aufsätze<br />

Anwaltsgeschichte als Zeitgeschichte<br />

(Rüping) 725<br />

Auslandsdeckung und Berufshaftpflicht<br />

(Borgmann) 732<br />

Anwälte und Journalisten (Jahn) 744<br />

Satzungsversammlung<br />

Interessenkollision/Werberecht/<br />

Neue Fachanwaltschaften 752<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Fortbildungsbescheinigung des DAV 754<br />

Mitteilungen<br />

Zugang zum Recht (Heussen) 771<br />

Geschichte des Kostenrechts (Rieck) 781<br />

Rechtsprechung<br />

BGH: Ursächlichkeit des Beratungsfehlers 789<br />

BGH: Kosten des auswärtigen Anwalts 792<br />

OLG Koblenz: Terminsgebühr 793<br />

12/2005<br />

<strong>Dezember</strong> DeutscherAnwaltVerlag


AnwBl 12/2005 I<br />

EDITORIAL<br />

Anwaltsgeschichte –<br />

Spiegelbild unserer<br />

Gesellschaft<br />

Rechtsanwalt Felix Busse, Herausgeber<br />

des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />

Dass Anwälte zu fast allen Zeiten<br />

eine wichtige Rolle in unserer und für<br />

unsere Gesellschaft spielten, hat mindestens<br />

zwei tragende Gründe: Anwälte<br />

übersetzen und besorgen Recht<br />

für den Bürger. Dieser konnte zu keiner<br />

Zeit aus eigener Kraft den Umfang<br />

seiner Rechte erkennen und diese ausschöpfen.<br />

Ebenso wenig konnte er zutreffend<br />

einschätzen, ob ihm Unrecht<br />

getan wird und was dagegen zu tun<br />

ist. Das gilt heute mehr denn je.<br />

Anwälte stehen insofern überall da<br />

mitten drin, wo es Konflikte gibt, solche<br />

zu befürchten sind bzw. es sie zu<br />

vermeiden gilt. Anwälte arbeiten also<br />

hart am Puls der Gesellschaft. Andererseits<br />

tragen Anwälte durch ihre Tätigkeit<br />

zum Funktionieren der Rechtsordnung<br />

bei, die als Ordnungsprinzip<br />

eine wichtige Voraussetzung für ein<br />

gedeihliches Zusammenleben und einen<br />

funktionierenden Staat ist. Insofern<br />

ist der Staat gewissermaßen auf<br />

die Anwaltschaft angewiesen und in<br />

seinem Machtstreben von ihrer Tätigkeit<br />

betroffen.<br />

Grund genug, die Anwälte zu allen<br />

Zeiten mit lebhaftem Interesse, aber<br />

auch mit Argwohn in den Blick zu<br />

nehmen. Die Geschichte des Kampfes<br />

um eine freie Advokatur spricht davon<br />

Bände. Die Rolle führender Anwälte<br />

für das Zurückdrängen absoluter<br />

Strukturen zu Gunsten einer freiheitlichen<br />

Ordnung ebenso. Umso schlimmer,<br />

dass ein großer Teil der Anwaltschaft<br />

dem antidemokratischen,<br />

Menschen verachtenden und rassistischen<br />

Zeitgeist der Nationalsozialisten<br />

ebenso wie ihr gesellschaftliches Umfeld,<br />

insbesondere auch die Justiz, erlegen<br />

ist. Dies ist bereits Gegenstand<br />

verschiedener Untersuchungen gewesen<br />

und wird in diesem Heft (S. 725)<br />

nunmehr von Professor Dr. Hinrich<br />

Rüping auf der Grundlage neuerlicher<br />

Untersuchungen über die Verhältnisse<br />

im Bereich der Rechtsanwaltskammer<br />

Celle weiter vertieft. Dass die Anwaltschaft<br />

auch in der Zeit nach 1945 in<br />

Ost und West in vieler Hinsicht dem<br />

Zeitgeist gefolgt und zunächst der Opportunität,<br />

dann aber in mancher Hinsicht<br />

dem Opportunismus erlegen ist,<br />

MN<br />

will ich in den nächsten Jahren näher<br />

belegen.<br />

Weitere Beiträge in diesem Heft<br />

zeigen auf eine andere Facette anwaltlichen<br />

Zeitgeistes. Dr. Joachim Jahn<br />

(FAZ) beleuchtet in diesem Heft<br />

(S. 744) den Umgang zwischen Anwälten<br />

und Journalisten. Von ihm erfährt<br />

der Leser mit Schmunzeln von<br />

dem emsigen Bemühen vieler Kollegen<br />

um Erwähnung in den Medien<br />

und den dabei alltäglichen Ungeschicklichkeiten.<br />

Man mag nach dieser<br />

Lektüre kaum glauben, dass die Zeiten<br />

des anwaltlichen Werbeverbotes und<br />

seiner drakonischen Anwendung durch<br />

die Kammern erst 18 Jahre zurückliegen.<br />

Umgekehrt macht Jahn deutlich,<br />

wie sehr die Berichterstattung der Medien<br />

auf eine fruchtbare Zusammenarbeit<br />

mit Anwälten angewiesen ist. Die<br />

Anwaltschaft liefert ihnen illustratives<br />

Fallmaterial, an dem deutlich wird,<br />

was funktioniert und wo es warum<br />

hakt. Durch Hintergrundgespräche<br />

wecken Anwälte Verständnis und treten<br />

Missverständnissen entgegen.<br />

Rechtsanwalt Professor Dr. Ronald<br />

Schmid beschreibt eine weniger<br />

schöne Art, wie sich Anwälte ihre Erwähnung<br />

in den Medien sichern. Es<br />

geht um die Gruppe von Kollegen, die<br />

Tragödien und Großschadensfälle ausnutzen,<br />

um mit daran geknüpften abstrusen<br />

Schadenersatzforderungen<br />

amerikanischer Lesart und der Drohung<br />

der Anrufung amerikanischer<br />

Gerichte Aufsehen zu erregen (S.<br />

749). Dass sich hinter diesen Forderungen<br />

oft überwiegend heiße Luft<br />

und wenig Substanz befindet, zeigt<br />

Schmid an einer Reihe eindrucksvoller<br />

Beispielsfälle auf.


Editorial<br />

I Anwaltsgeschichte – Spiegelbild unserer<br />

Gesellschaft<br />

Rechtsanwalt Felix Busse, Herausgeber des<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />

Bericht aus Berlin<br />

IV Kartoffeln und Quark<br />

Bettina Mävers, Berlin<br />

Aufsätze<br />

725 Anwaltsgeschichte als Juristische Zeitgeschichte<br />

Prof. Dr. Hinrich Rüping, Hannover<br />

732 Lücken in der Auslandsdeckung der Berufshaftpflichtversicherung<br />

von Rechtsanwälten<br />

Rechtsanwältin Dr. Brigitte Borgmann, München<br />

737 Zur Verjährung altrechtlicher<br />

Schadensersatzansprüche im Zivilrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Andreas Piekenbrock,<br />

Karlsruhe/Halle (Saale)<br />

740 Datenschutzkontrolle in der Anwaltskanzlei<br />

Rechtsanwalt Dr. Hendrik Schöttle, München<br />

744 Ein bisschen Charme und Gelassenheit helfen<br />

Dr. jur. Joachim Jahn, Frankfurt/M.<br />

Kommentar<br />

748 Mit Rat und vor allem mit Tat – weil es nötig ist<br />

Rechtsanwalt Micha Guttmann, Köln<br />

Thema<br />

749 Sag mir, wo die Millionen sind! Wo sind sie<br />

geblieben?<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Ronald Schmid,<br />

Frankfurt/Main<br />

Satzungsversammlung<br />

752 Interessenkollision: Neuer § 3 BORA<br />

752 Der unverkündete § 7 BORA tritt nun doch in Kraft<br />

753 Fachanwaltschaft Nr. 15 und Nr. 16 beschlossen<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

754 „Anreiz für eine echte DAV-Fortbildungsoffensive“<br />

Rechtsanwältin Heide Krönert-Stolting, Kronberg<br />

754 Zwischenruf: Zeit sparen durch mehr Fortbildung<br />

Rechtsanwältin Verena Mittendorf, Vizepräsidentin<br />

des Deutschen Anwaltvereins<br />

755 DAV-Fortbildungsbescheinigung: Informationen<br />

756 DAV-Aktuell: Tagung zum Bologna-Prozess<br />

757 DAV-Gesetzgebungsausschüsse: Stellungnahmen<br />

758 DAV-Internetforum: Referendarausbildung<br />

758 DAV und Menschenrechte: UIA<br />

759 Deutsche Anwaltauskunft: TV-Sponsoring ergänzt<br />

Werbekampagne<br />

760 Anwaltsverein Heidelberg: Mittelstandsmesse<br />

760 Landesverband Thüringen: Landesanwaltstag<br />

Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

761 Anwaltverein Hagen: Ausstellung zur<br />

Anwaltsgeschichte<br />

761 Kölner Anwaltverein: Größter Ortsverein<br />

762 AG Verkehrsrecht: Wegweisend im Verkehrsrecht –<br />

zum 25. Mal<br />

763 AG Versicherungsrecht: Zeit fliegt – jährliches<br />

Symposium zum 10. Mal<br />

764 AG Anwaltsnotariat: Herbsttagung<br />

765 DAV-Sonderwertung beim Berlin-Marathon<br />

765 Personalien<br />

Gastkommentar<br />

766 „Cicero“ – Pressefreiheit und Geheimnisverrat<br />

Claudia Venohr, NDR-Info<br />

Europa<br />

EU-Kommission<br />

767 Der Anwaltsberuf im Visier der Wettbewerbshüter<br />

Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />

Europäischer Juristentag<br />

768 Gesellschaftsrecht, Zivilprozessrecht und<br />

Grundrechte<br />

Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />

Meinung & Kritik<br />

769 Freiheit für die Rechtsanwalts-AG!<br />

Rechtsanwalt Dr. Malte Passarge, Hamburg<br />

Mitteilungen<br />

Anwaltsmarkt<br />

771 Zugang zum Recht – Ein internationaler Vergleich<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />

Dokumentationszentrum für Europäisches<br />

Anwalts- und Notarrecht<br />

774 Die Haftung des Advokaten in Belgien<br />

Frank Groß, Göttingen<br />

Internationales<br />

779 Weltweites Netzwerk für junge Anwälte<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL. M., Berlin<br />

RVG-Frage des Monats<br />

780 Wird von der Verfahrensgebühr die teilweise<br />

anzurechnende Geschäftsgebühr abgezogen?<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Kostenrecht<br />

781 Prozessverlust und Kostentragung – ein zeitgemäßes<br />

Abhängigkeitsverhältnis?<br />

Rechtsanwältin Dr. Annette Rieck, Kiel<br />

Bücherschau<br />

783 Anwaltschaft und Geschichte<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln


Haftpflichtfragen<br />

785 Der Schadensbegriff in der Anwaltshaftung<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk, München<br />

Rechtsprechung<br />

Anwaltsrecht<br />

787 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.7.2005 – I-24 U 45/05:<br />

Aufrechnung mit Vergütungsanspruch (mit Anmerkung<br />

von Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin)<br />

788 LG Köln, Urt. v. 20.9.2005 – 33 O 87/05:<br />

Fortführung der Firma bei Rechtsanwalts-GmbH<br />

Anwaltshaftung<br />

789 BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 49/02:<br />

Ursächlichkeit des Beratungsfehlers bei Alternativen<br />

zum Handeln<br />

791 OLG Brandenburg, Urt. v. 29.9.2005 – 12 U 47/05:<br />

Übermittlung per Telefax<br />

Anwaltvergütung<br />

792 BGH, Beschl. v. 13.9.2005 – X ZB 30/04:<br />

Kosten des auswärtigen Anwalts<br />

792 KG, Beschl. v. 20.7.2005 – 1 W 285/05: Keine<br />

Kürzung der Verfahrens- durch die Geschäftsgebühr<br />

793 OLG Koblenz, Beschl. v. 20.9.2005 – 14 W 537/05:<br />

Terminsgebühr bei außergerichtlichen Vergleich<br />

794 OLG Koblenz, Beschl. v. 12.10.2005 – 14 W 620/05:<br />

Terminsgebühr für vorprozessuale Besprechung<br />

794 LG Aachen, Urt. v. 5.10.2005 – 4 O 38/04: Kosten<br />

des Anwalts aus Amtshaftung<br />

795 OLG München, Beschl. v. 31.8.2005 – 11 W<br />

1883/05: Verfahrensgebühr im Verfügungsverfahren<br />

796 AG Saarlouis, Urt. v. 7.10.2005 – 30 C 861/05:<br />

Gebühren in Bußgeldsachen<br />

Kostenrecht<br />

796 OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.6.2005 – 4 W<br />

52/05: Streitwert bei E-Mail-Werbung<br />

796 Fotonachweis, Impressum<br />

Schlussplädoyer<br />

XXXII Nachgefragt, Comic, Mitglieder-Service<br />

Auf dem Umschlag<br />

VI, VII, VIII Informationen<br />

XXIV Deutscher Anwaltverlag aktuell<br />

XXVI, XXVIII Bücher & Internet<br />

XXX, XXXI Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />

Im nächsten Heft:<br />

9 Anwaltsausbildung (Kilger)<br />

9 Juristenausbildung (Dauner-Lieb)<br />

Jahrgang 55<br />

<strong>Dezember</strong> 2005


IV<br />

MN<br />

BERICHT AUS BERLIN<br />

Kartoffeln und Quark<br />

Harmonische Koalitionsgespräche<br />

Das frugale Mahl, das bei den Koalitionsverhandlungen<br />

im Bundesjustizministerium<br />

kredenzt wurde, sorgte<br />

für mehr Diskussionsstoff als die meisten<br />

Themen, die besprochen wurden.<br />

Kartoffeln und Quark – „das gibt’s hier<br />

immer“ – fanden nicht bei allen Teilnehmern<br />

der Arbeitsgruppe Justiz uneingeschränkte<br />

Zustimmung. Ansonsten<br />

blieben nur zwei Themen, über die<br />

sich SPD und Union nicht einigen<br />

konnten: Das Lebenspartnerschaftsgesetz<br />

will die SPD um Regelungen im<br />

Einkommensteuer-, Erbschafts- und Beamtenrecht<br />

ergänzen, die bislang am<br />

Widerstand der Länder gescheitert waren.<br />

CDU und CSU lehnen dies wegen<br />

ihrer grundsätzlichen Vorbehalte gegen<br />

das Institut der Lebenspartnerschaft ab.<br />

Beim Antidiskriminierungsrecht haben<br />

sich die Koalitionäre zwar darauf verständigt,<br />

dass die europäischen Gleich-<br />

Die Autorin:<br />

Bettina Mävers<br />

war als Journalistin<br />

u. a. für das<br />

Handelsblatt tätig<br />

und erhielt 2001<br />

den DAV-Pressepreis.<br />

behandlungsrichtlinien kurzfristig „1:1“<br />

umgesetzt werden sollen. Doch bei der<br />

Umsetzung der Richtlinie zur Gleichstellung<br />

der Geschlechter außerhalb des<br />

Erwerbslebens, auch bekannt als „Unisex-Richtlinie“,<br />

wollen die Sozialdemokraten<br />

zusätzlich die Merkmale Behinderung,<br />

Alter und sexuelle Identität<br />

in den Schutz vor Diskriminierungen<br />

bei so genannten Massengeschäften<br />

aufnehmen, die Union akzeptiert allerdings<br />

nur das Merkmal der Behinderung.<br />

Insgesamt entsprachen die<br />

rechtspolitischen Vereinbarungen der<br />

Koalitionspartner dem kulinarischen<br />

Rahmen der Verhandlungen: Nichts<br />

Spektakuläres, aber sättigend und eigentlich<br />

gar nicht mal so schlecht.<br />

Justizpolitik<br />

Diskutiert wurde auch das Thema<br />

Rechtsberatung, bei dem sich die Anwälte<br />

ein übereinstimmendes „alles<br />

auf Anfang“ oder zumindest kollektives<br />

Stillschweigen erhofft hatten, damit<br />

der von vielen ungeliebte Entwurf<br />

eines Rechtsdienstleistungsgesetzes<br />

(RDG) nicht ohne erneute Diskussion<br />

in das Gesetzgebungsverfahren einge-<br />

bracht wird. Nach der Formulierung,<br />

die für den Koalitionsvertrag gefunden<br />

wurde, soll mit einer Reform der<br />

Rechtsberatung die Qualität der anwaltlichen<br />

Beratung gesichert und die<br />

Verbraucher vor unqualifiziertem<br />

Rechtsrat geschützt werden. Das kann<br />

alles und nichts heißen – Begriffe wie<br />

„erlaubte Nebenleistungen“, die einen<br />

Rückschluss auf das RDG erlauben,<br />

haben die Verhandlungspartner in der<br />

endgültigen Fassung vermieden.<br />

Fünf Landesjustizminister waren an<br />

der Koalitionsvereinbarung der Arbeitsgruppe<br />

Justiz beteiligt. So überrascht<br />

es nicht, dass das Thema Justizreform<br />

relativ viel Raum einnimmt. In<br />

den auf den ersten Blick sehr allgemeinen<br />

Absichtserklärungen verbirgt sich<br />

allerdings auf den zweiten Blick mehr<br />

Konkretes, als selbst die Justizminister<br />

aus den Ländern erwartet hatten: Die<br />

Zusammenlegung der Verwaltungsund<br />

Sozialgerichtsbarkeit wird „angestrebt“,<br />

heißt es. Und aus den Kreisen<br />

der Verhandlungspartner ist zu hören,<br />

dass damit nicht etwa eine Öffnungsklausel<br />

für die Länder gemeint sei, sondern<br />

eine bundesgesetzliche Regelung,<br />

Grundgesetzänderung inklusive. Darüber<br />

hinaus ist vereinbart, das Gerichtsverfassungs-<br />

und Verfahrensrecht zu<br />

vereinheitlichen und zu vereinfachen.<br />

Alle Streitigkeiten um Ehe, Trennung<br />

oder Scheidung sollen künftig vor einem<br />

Großen Familiengericht verhandelt<br />

werden. Außerdem soll das Zwangsvollstreckungsrecht<br />

modernisiert werden:<br />

Gläubiger sollen einen schnelleren<br />

Zugriff auf das Vermögen des Schuldners<br />

bekommen, die Vollstreckungsorgane<br />

entlastet werden – auch dies<br />

eine Forderung der Länder. Ein Schelm,<br />

wer Böses dabei denkt – die Privatisierung<br />

des Gerichtsvollzieherwesens<br />

wird nicht ausdrücklich genannt.<br />

Beim Thema Juristenausbildung befinden<br />

die Koalitionäre zwar, dass<br />

diese den ändernden Anforderungen an<br />

die juristischen Berufe gerecht werden<br />

müsse. Neue Abschlüsse, die Übertragung<br />

des „Bologna-Prozesses“ auf die<br />

Juristenausbildung, lehnen sie aber ab.<br />

Reformen im Wirtschaftsrecht<br />

Eine klare Aussage trifft die Koalitionsvereinbarung<br />

in der wirtschaftsrechtlichen<br />

Abteilung nur zur Offenlegung<br />

der Managergehälter, die kurz<br />

vor der Sommerpause mit den Stimmen<br />

von SPD, Grüne und Union für<br />

AnwBl 12 /2005<br />

börsennotierte Aktiengesellschaften<br />

beschlossen worden war. Sie soll für<br />

Unternehmen mit überwiegender Bundesbeteiligung<br />

generell Pflicht werden.<br />

Auf eine zunächst diskutierte Regelung,<br />

nach der die Hauptversammlung<br />

die Höhe der Vorstandsvergütungen bestimmen<br />

soll, wird jedoch verzichtet.<br />

Das GmbH-Gesetz soll umfassend<br />

novelliert werden. Ob und wie diese<br />

Reform dem Bedarf an Billig-GmbHs<br />

wegen der zunehmenden Konkurrenz<br />

britischer Gesellschaften Rechnung<br />

tragen wird, ist nicht konkretisiert. Im<br />

nordrhein-westfälischen Justizministerium<br />

wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet,<br />

der zusätzlich zur GmbH die<br />

Rechtsform einer Gründungsgesellschaft<br />

mit geringem Stammkapital und<br />

erleichterten Gründungsvoraussetzungen<br />

einführen will. Klar ist jedoch,<br />

dass es keine zweigeteilte Reform geben<br />

wird, die die rot-grüne Bundesregierung<br />

noch vor der Sommerpause<br />

beabsichtigte, als sie zunächst nur das<br />

Mindeststammkapital auf 10.000 Euro<br />

absenken wollte. Das Insolvenzrecht<br />

wird in der Koalitionsvereinbarung nur<br />

im Zusammenhang mit dem GmbH-<br />

Recht und beklagten Missbräuchen erwähnt,<br />

nicht jedoch als insgesamt reformbedürftig.<br />

Doch ist zu erwarten,<br />

dass das Thema bald in den Fokus geraten<br />

wird, da es bereits einen Gesetzentwurf<br />

zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge<br />

und zur Anpassung des<br />

Rechts der Insolvenzanfechtung gibt,<br />

der wegen des geplanten Vorrechts des<br />

Steuerfiskus’ und der Sozialkassen als<br />

Gläubiger in der Kritik steht. Die Stellungnahme<br />

des Bundesrates zeigt bereits,<br />

dass die Trennlinie bei der Diskussion<br />

nicht zwischen Union und<br />

SPD, sondern zwischen Finanz- und<br />

Justizressort verlaufen wird.<br />

Überprüfung beim Strafrecht<br />

Wie ein roter Faden zieht sich durch<br />

den strafrechtlichen Teil der Koalitionsvereinbarung<br />

die Absicht, die noch kurz<br />

vor der Sommerpause mit Stimmen von<br />

SPD und Union beschlossenen Gesetze<br />

beispielsweise zur akustischen Wohnraumüberwachung,<br />

DNA-Analyse oder<br />

zur Graffiti-Bekämpfung zu evaluieren<br />

und gegebenenfalls zu erweitern. Konkret<br />

vereinbart ist die Wiedereinführung<br />

der Kronzeugenregelung. Reformieren<br />

will die neue Bundesregierung<br />

auch Bestimmungen zum Maßregelvollzug<br />

und zum Jugendstrafvollzug –<br />

vorausgesetzt, die Föderalismus-Reformer<br />

überlassen diesen Bereich nicht<br />

den Ländern.


VI<br />

MN<br />

INFORMATIONEN<br />

DAV-Pressemitteilung<br />

Föderalismus:<br />

Kein Flickenteppich<br />

beim Strafvollzug<br />

In einem beispiellosen gemeinsamen<br />

Appell von Richtern, Anstaltsleitern<br />

im Strafvollzug, Anwälten,<br />

Strafvollzugsbediensteten und anderen,<br />

die mit Strafvollzug zu tun haben, ist<br />

eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz<br />

für den Strafvollzug vom<br />

Bund auf die Länder abgelehnt worden.<br />

Der Deutsche Anwaltverein hat davor<br />

gewarnt, dieses Vorhaben bei den Koalitionsverhandlungen<br />

zur Föderalismusreform<br />

umzusetzen.<br />

„Der Strafvollzug muss bundesweit<br />

einheitlich geregelt sein“, betont<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident<br />

des DAV. Es dürfe keinen Flickenteppich<br />

in der Bundesrepublik<br />

beim Strafvollzug geben. Nur so<br />

könne der deutsche Strafvollzug weiterhin<br />

eine Vorbildfunktion im internationalen<br />

Vergleich behalten. Unterschiedliche<br />

Mindeststandards beim<br />

Strafvollzug seien abzulehnen.<br />

„Es muss auch vermieden werden,<br />

dass in den Bundesländern unterschiedliche<br />

Vollzugsziele durch Strafvollzug<br />

bestimmen“, so Kilger weiter.<br />

Der Resozialisierungsauftrag müsse<br />

einheitlich ausgestaltet bleiben. „Strafvollzug<br />

eignet sich nicht für populistische<br />

oder wahltaktische Maßnahmen.“<br />

Die an den Koalitionsverhandlungen<br />

Beteiligten werden aufgefordert, diese<br />

Maßnahme zu streichen.<br />

Den gemeinsamen Appell an die<br />

Verhandlungsdelegationen der Großen<br />

Koalition von CDU/CSU und SPD haben<br />

neben dem DAV-Präsidenten u. a.<br />

auch Wolfgang Arenhövel (Vorsitzender<br />

des Deutschen Richterbundes),<br />

Prof. Dr. Bernd-Rüdeger Sonnen (Vorsitzender<br />

der Deutschen Vereinigung<br />

für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen<br />

e. V.), Klaus Winchenbach<br />

(Vorsitzender der Bundesvereinigung<br />

der Anstaltsleiter im<br />

Strafvollzug), Prof. Dr. Heinz Cornel<br />

und über hundert weitere Professorinnen<br />

und Professoren für Strafrecht und<br />

Kriminologie in Deutschland sowie<br />

Rechtsanwalt Dr. Bernhard Dombek<br />

(Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer)<br />

unterzeichnet.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 38/05<br />

DAV-Pressemitteilung<br />

AnwBl 12/2005<br />

Anwälte gegen<br />

Kronzeugenregelung<br />

Nach Presseveröffentlichungen von<br />

Ende Oktober soll sich die Große Koalition<br />

auf eine Kronzeugenregelung<br />

verständigt haben. Der Deutsche Anwaltverein<br />

(DAV) lehnt die Kronzeugenregelung<br />

entschieden ab und fordert<br />

alle Politiker auf, auf eine<br />

Neuauflage der Kronzeugenregelung<br />

zu verzichten. Mit einer Kronzeugenregelung<br />

seien die Risiken für die<br />

Richtigkeit und die Gerechtigkeit der<br />

Entscheidung der Justiz, insbesondere<br />

die Gefahr von Falschbelastungen erheblich.<br />

Quelle: DAV-Pressemitteilung 37/05<br />

Anwaltsvergütung<br />

10. und 11. Änderung<br />

des RVG<br />

Kurz vor Ende der Bundestags-<br />

Wahlperiode haben noch zwei Gesetze<br />

den Bundestag und den Bundesrat passiert,<br />

die auch Änderungen des RVG<br />

enthalten: Das „Gesetz zur Unternehmensintegrität<br />

und Modernisierung<br />

des Anfechtungsrechts“ (UMAG) vom<br />

22.9.2005 (BGBl 2005, Teil I, 2802)<br />

verändert im Wesentlichen die Rahmenbedingungen<br />

für Aktiengesellschaften.<br />

Die RVG-Änderung trat<br />

nach Art. 3 des UMAG am 1. Novmeber<br />

2005 in Kraft.<br />

Eine Reihe von Änderungen beim<br />

RVG bringt auch das „Kapitalanleger-<br />

Musterverfahrensgesetz“ (KapMuG)<br />

vom 16.8.2005 (BGBl 2005, Teil I,<br />

2437, 2444), mit dem ein Musterverfahren<br />

für geschädigte Kapitalanleger<br />

wegen falscher, irreführender oder unterlassener<br />

Kapitalmarktinformationen<br />

– etwa in Jahresabschlüssen oder Börsenprospekten<br />

– eingeführt wurde.<br />

Nach Art. 9 des KapMuG traten die<br />

Änderungen zum 1. Novmeber 2005<br />

in Kraft.<br />

Hen<br />

Einzelheiten über die beiden RVG-<br />

Änderungen finden Sie in einer Zusammenfassung<br />

unter http://www.an<br />

waltverein.de/Gebuehrenrecht/rvgaend10-11.pdf.


AnwBl 12/2005 VII<br />

MN<br />

INFORMATIONEN<br />

Institut für Anwaltsrecht<br />

(Humboldt-Universität)<br />

Werben für die<br />

Partnerschaft<br />

Die persönliche Haftung des Anwalt<br />

ist die Regel. Für die Güte seiner<br />

Leistung steht er ein – bis hin<br />

zum persönlichen Ruin. Doch gibt<br />

es einen Ausweg? Mit „Rechtsformen<br />

anwaltlicher Tätigkeit und Berufshaftung“<br />

beschäftigte sich Ende<br />

Oktober eine Tagesveranstaltung<br />

des Instituts für Anwaltsrecht an<br />

der Berliner Humboldt-Universität.<br />

Die BGB-Gesellschaft hat – wie<br />

die Veranstaltung zeigte – für die<br />

Freien Berufe ausgedient: „Wer die<br />

BGB-Gesellschaft eingeht handelt<br />

grob fahrlässig, vor allem wenn es<br />

sich um unbeabsichtigte Gesellschaften<br />

in Formen von Kooperationen<br />

oder Bürogemeinschaften handelt“,<br />

sagte Rechtsanwältin Dr. Brigitte<br />

Borgmann, die über die anwaltliche<br />

Haftung referierte. Sie warb für die<br />

Partnerschaftsgesellschaft. Vorteil:<br />

Für berufliche Fehler haftet neben<br />

der Partnerschaft nur der handelnde<br />

Partner. Das private Vermögen der<br />

anderen Partner bleibt unberührt.<br />

Die Partnerschaftsgesellschaft<br />

liegt nach dem Bericht von Prof.<br />

Dr. Christine Windbichler (Humboldt-Universität)<br />

auch international<br />

im Trend. In den „common<br />

law“-Ländern setze sich die Partnerschaftsgesellschaft<br />

durch. Die be-<br />

Institut für Anwaltsrecht<br />

München<br />

Veranstaltungen im<br />

Wintersemester<br />

Das Institut für Anwaltsrecht an der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

bietet im Wintersemester<br />

2004/2005 wieder ein umfangreiches<br />

Programm zu anwaltsrelevanten Themen<br />

an.<br />

Über typische Anwaltsfehler auf<br />

dem Gebiet des Wirtschaftsrechts wird<br />

zum Beispiel Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />

Robert Schweizer am Mittwoch, den<br />

11. Januar 2005 (14 bis 17 Uhr, Karl-<br />

Neumayer-Saal, Veterinärstr. 5<br />

schränkte Haftung einer Kapitalgesellschaft<br />

passe dagegen nicht zu<br />

den Freien Berufe. „Anwälte verharren<br />

erstaunlicherweise in den ihnen<br />

angestammten Formen“, sagte<br />

Windbichler.<br />

Auf mögliche neue Gesellschaftsformen<br />

wies Rechtsanwalt<br />

Dr. Volker Römermann hin. Seiner<br />

Meinung nach sei auch die Anwalts-KG<br />

zulässig, weil seit 1998<br />

die Ausübung eines Gewerbe keine<br />

Voraussetzung mehr für die offene<br />

Handelsgesellschaft sei. Die Rechtsprechung<br />

des BGH zur Anwalts-<br />

AG kritisierte er.<br />

In welcher Rechtsform der Anwalt<br />

auch immer praktiziert, die<br />

Haftungsmaßstäbe der Rechtsprechung<br />

sind streng. Das erläuterte<br />

der Vorsitzende des für die Anwalts-<br />

und Steuerberaterhaftung zuständigen<br />

IX. Zivilsenates des BGH<br />

Dr. Gero Fischer in seinen informativen<br />

und instruktiven Bericht zur<br />

Rechtsprechung seines Senates.<br />

Tröstlich war immerhin sein Hinweis,<br />

das bei der Haftung des Anwalts<br />

für Fehler des Gerichts noch<br />

nicht alle Fragen abschließend geklärt<br />

seien.<br />

Die erste Tagung des Instituts für<br />

Anwaltsrecht war zusammen mit<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer,<br />

der Rechtsanwaltskammer Berlin<br />

und dem Berliner Anwaltsverein organisiert<br />

worden.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />

Berlin<br />

(1. Stock), 80539 München) sprechen.<br />

Anwaltliche Berufsfelder werden in<br />

einer Vortragsreihe von Anwälten an<br />

vier Abenden vorgestellt. Das Strafund<br />

Strafprozessrecht in der Anwaltspraxis<br />

wird in einer Vortrags- und Diskussionsreihe<br />

unter Leitung von Prof.<br />

Dr. Bernd Schünemann behandelt.<br />

Anwaltliche Praxis wird in Seminaren<br />

(zur Erstellung von Schriftsätzen<br />

im Zivilprozess) sowie in vielen<br />

Workshops (u. a. zu Rhetorik und<br />

Kommunikation sowie zum Kanzleimanagement,<br />

aber auch zum Mandantengespräch)<br />

vermittelt.<br />

Nähere Hinweise zum Programm und<br />

zu den Veranstaltungen im Internet<br />

unter www.anwaltsrecht.de.


VIII<br />

MN<br />

INFORMATIONEN<br />

AG Transport- und<br />

Speditionsrecht<br />

1. Fachtagung zum<br />

Transport- und<br />

Versicherungsrecht<br />

In Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis<br />

Transportversicherung der<br />

Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht<br />

im DAV veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft<br />

Transport- und Speditionsrecht<br />

im DAV am 1. Februar 2006<br />

in Hamburg in den Räumen der<br />

Kravag-Logistic Vers.-AG, Heidenkampsweg<br />

102, 20097 Hamburg, ihre<br />

1. Fachtagung (von 13.00 bis<br />

17.00 Uhr).<br />

Hochkarätige Referenten und überaus<br />

interessante Themen gewährleisten,<br />

dass es sich lohnt, an dieser Tagung<br />

teilzunehmen. Überdies wird die<br />

Teilnahme gemäß § 15 FAO (Fachanwalt<br />

für Transport- und Speditionsrecht,<br />

Fachanwalt für Versicherungsrecht)<br />

bescheinigt werden.<br />

Referiert werden wird über „Haftungs-<br />

und Versicherungsfragen bei<br />

Vermischungsschäden und fehlerhafter<br />

Ablieferung des Frachtgutes“ (Dr.<br />

Karl-Heinz Thume, Nürnberg), „Das<br />

unbekannte Risiko: Klauseln für die<br />

Versicherung von Güterfolgeschäden<br />

und reinen Vermögensschäden“ (Dr.<br />

Henning C. Ehlers, Köln), „Wo endet<br />

die See? Der Seefrachtvertrag als geborener<br />

Multimodalvertrag. Folgen für<br />

Haftung und Versicherung“ (Dr. Carsten<br />

Harms, Hamburg) sowie „Havarie<br />

Grosse – Grundlagen im Schifffahrtsund<br />

im Versicherungsrecht“ (Dr. Dieter<br />

Schwampe, Hamburg).<br />

Die Teilnahmegebühr wird<br />

E 150,00 für Mitglieder der Arbeitsgemeinschaften<br />

Transport- und Speditionsrecht<br />

bzw. Versicherungsrecht sowie<br />

E 210,00 für Nichtmitglieder<br />

betragen. Falls der Beitritt zu einer<br />

dieser Arbeitsgemeinschaften mit der<br />

Anmeldung erfolgt, wird lediglich der<br />

ermäßigte Tagungsbeitrag fällig. Nähere<br />

Auskünfte erteilt, Rechtsanwalt<br />

Dieter Janßen, Bremen, Telefon<br />

04 21/36 60 0162, Fax 04 21/36 60<br />

055, E-Mail janssen@bmt-law.de.<br />

AG Insolvenzrecht und<br />

Sanierung<br />

AnwBl 12/2005<br />

Deliktische Forderung<br />

in der Verbraucherinsolvenz<br />

Die Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz<br />

und Restschuldbefreiung in<br />

der AG Insolvenzrecht und Sanierung<br />

veranstaltet am Freitag, 20.1.2006, in<br />

Hamburg ihr 9. Treffen. Schwerpunktthema<br />

wird diesmal die deliktische<br />

Forderung sein.<br />

Zunächst wird Richter am OLG Dr.<br />

Gerhard Pape aus instanzrichterlicher<br />

Sicht zu den Themen Forderungsanmeldung,<br />

Belehrung durch das<br />

Gericht, Widerspruch des Schuldners,<br />

Verjährung und deliktische Steuerforderungen<br />

vortragen. Anschließend<br />

wird Rechtsanwalt Dr. Henner Kahlert,<br />

Karlsruhe als anwaltlicher Vertreter einer<br />

großen Krankenkasse aus Gläubigersicht<br />

zu den Themen § 266 a StGB,<br />

Forderungsanmeldung, Darlegungspflichten<br />

und Beweislasten im Feststellungsverfahren<br />

und Verjährung referieren.<br />

Inhalt weiterer Vorträge am Nachmittag<br />

werden die aktuelle Rechtsprechung<br />

und die anstehenden<br />

Gesetzesänderungen sowie die familienrechtlichen<br />

Ansprüche im Insolvenzverfahren<br />

sein: Rechtsanwalt und<br />

Insolvenzverwalter Uwe Kassing,<br />

Hamburg und Rechtsanwältin und<br />

Fachanwältin für Insolvenzrecht/Fachanwältin<br />

für Familienrecht Annegret<br />

Schwarz, Gotha vortragen.<br />

Eine Teilnahmebescheinigung zur<br />

Vorlage gem. § 15 FAO wird erteilt.<br />

Die Arbeitsgruppe wurde als Untergruppierung<br />

der AG Insolvenzrecht und<br />

Sanierung 2001 gegründet. Die Arbeitsgruppe<br />

bietet Schuldner- und Gläubigervertretern,<br />

Insolvenzverwaltern<br />

und Treuhändern ein Diskussions- und<br />

FortbildungsforumzuFragenderInsolvenzverfahren<br />

natürlicher Personen.<br />

Die Teilnahmegebühr beträgt<br />

150 E (einschl. der Kosten für Getränke<br />

und das Mittagessen). Anmeldungen<br />

an Deutsche Anwaltakademie,<br />

Anja Hoffmann, Littenstr. 11, 10179<br />

Berlin, Tel. 0 30/7 26 15 31 83, Fax<br />

0 30/7 26 15 31 88, hoffmann@anwalt<br />

akademie.de, Infos: www.arge-insol<br />

venzrecht.de


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Anwaltsgeschichte als<br />

Juristische Zeitgeschichte<br />

Prof. Dr. Hinrich Rüping, Universität Hannover*<br />

Q<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Jahrgang 55<br />

<strong>Dezember</strong> 2005<br />

Die Rolle der Anwaltschaft im Dritten Reich hat in der juristischen<br />

Zeitgeschichte lange keine Rolle gespielt, wenn<br />

einmal von den Forschungen und Erinnerungen an verfolgte,<br />

insbesondere jüdische Anwälte abgesehen wird. Die<br />

„Freiheit der Advokatur“ soll – so eine häufig verwendete<br />

Formel – die Anwaltschaft vor zuviel Staatsnähe bewahrt<br />

haben. Der Aufsatz – er beruht vor allem auf der Auswertung<br />

von Personalakten von Rechtsanwälten und Notaren<br />

im Archiv des OLG Celle und der Rechtsanwaltskammer<br />

Celle – wirft einen differenzierten Blick auf anwaltliche<br />

Karrieren und Antikarrieren im Nationalsozialismus.<br />

1. Forschungsperspektiven<br />

Juristische Zeitgeschichte ist für die Zeit des Nationalsozialismus<br />

zunächst nur Justizgeschichte gewesen. Das Interesse<br />

galt „der Justiz“, damit einzelnen prominenten Gerichten,<br />

wie dem Reichsgericht oder dem Volksgerichtshof,<br />

dann den politischen Gerichten, schließlich dem Richterstand<br />

und der Profession der Staatsanwaltschaft. 1<br />

Kein eigenes Thema zeitgeschichtlicher Forschung bildet<br />

zunächst der Stand der Rechtsanwaltschaft, obwohl die<br />

Angehörigen nach Ausbildung und Zugang zum Beruf vergleichbare<br />

Voraussetzungen aufweisen. Die Frage einer<br />

Mitverantwortung für das als Terrorjustiz gebrandmarkte<br />

System des Nationalsozialismus stellt sich nicht für Angehörige<br />

eines freien Berufs. 2 So geht es zunächst um regional<br />

inspirierte Erinnerung an das Schicksal der unter dem<br />

Nationalsozialismus verfolgten, insbesondere der jüdischen<br />

Anwälte, 3 damit um einzelne Biographien. 4<br />

Ende der 80er Jahre erweitert sich die Perspektive. Die<br />

Auswertung einschlägiger Archivbestände ermöglicht, das<br />

Berufsfeld des Strafverteidigers nachzuzeichnen, 5 damit<br />

auch seinen Handlungsspielraum im totalen Staat. Auf<br />

diese Weise wird der eine Pol für anwaltliches Handeln bestimmend,<br />

der staatliche Druck in Richtung auf eine<br />

Gleichschaltung. 6 Bald folgen erste Untersuchungen zum<br />

Gegenpol, dem eigenen Verhalten der Anwälte. So zuerst<br />

durch Auswertung einzelner Personalakten für die Haltung<br />

der Berliner Anwälte in dem umfassenden Sinn, auch „die<br />

Facetten der Täter, der Dulder, der Wegseher und nicht nur<br />

die der Opfer“ einzubeziehen. 7<br />

2. Das Projekt der Rechtsanwaltskammer Celle<br />

In diesem Kontext ist auch das Projekt der Rechtsanwaltskammer<br />

Celle zu sehen: „Rechtsanwälte im Bezirk<br />

Celle während des Nationalsozialismus“. Das Projekt beruht<br />

entscheidend auf der Auswertung der reichhaltigen<br />

Celler Aktenbestände, die bereits wiederholt zeitgeschichtliche<br />

Untersuchungen ermöglicht haben. 8 Den Kern bilden<br />

Personalakten von Rechtsanwälten und Notaren im Archiv<br />

des OLG, ergänzend im Archiv der Rechtsanwaltskammer<br />

und vereinzelt wie auch für einzelne Entnazifizierungs- und<br />

Wiedergutmachungsvorgänge im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv.<br />

Hinzu kommen die vollständig erhaltenen Bestände<br />

an Generalakten des OLG als Provinzialjustizbehörde<br />

„betr. die Rechtsanwaltschaft“, einzelne Vorgänge im<br />

Archiv der Kammer sowie als dessen Hauptstück die weitgehend<br />

vollständigen Protokolle von Sitzungen des Kammervorstandes.<br />

Die bei Beginn des Projekts (2002) ca. 20.000 im Archiv<br />

des OLG lagernden Personalakten betreffen zum größ-<br />

* Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsgeschichte<br />

der Universität Hannover. Der Beitrag ist ein Nachdruck aus<br />

dem Jahrbuch 6 (2004/2005) für Juristische Zeitgeschichte (S. 591–612), hrsg.<br />

vom Institut für juristische Zeitgeschichte der FernUniversität Hagen, erschienen<br />

im Herbst 2005 im Berliner Wissenschafts-Verlag.<br />

1 Zur eigenen Geschichte des Forschungsfeldes Rüping in Pauli/Vormbaum, Justiz<br />

und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität, 2003, S. 3, 6 ff.<br />

2 Nach Ostler, AnwBl 1983, 50, 59 kommt „der Ungeist von Unterwerfung und<br />

Willkür“ nur schwer an den freien Beruf heran.<br />

3 Für Berlin Leich/Lundt, RuP 1988, 221 ff. und Ladwig-Winters, Anwalt ohne<br />

Recht, 1998, für Hamburg Fritzsche, Vom Rechtsanwalt zum „jüdischen Konsulenten“,<br />

1997 und Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg 1933–1945,<br />

2003, für Bonn Bonner Anwaltverein, Jüdische Rechtsanwälte im Dritten Reich,<br />

1994, für Dortmund Anwalt- und Notarverein Dortmund, Das Schicksal der jüdischen<br />

Rechtsanwälte und Notare während der Zeit des Nationalsozialismus, o.<br />

J. [um 1993], für Bochum Bochumer Anwalt- und Notarverein, „Zeit ohne<br />

Recht“, 2002, für Hannover Schulze in Brand, Vergangenes heute, 2. Aufl. 2004,<br />

S. 215 ff., für Köln Luig, „... weil er nicht arischer Abstammung ist“, 2004, für<br />

Preußen Krach, Jüdische Rechtsanwälte in Preußen, 1991 und RuP 1993, 84 ff.<br />

4 Beer, Dr. Horst Berkowitz, 2004 (unter anderem Titel zuerst 1979) sowie Brand,<br />

Vergangenes heute (Fn. 3), S. 136 ff., als Selbstzeugnis Güstrow, Tödlicher Alltag:<br />

Strafverteidiger im Dritten Reich, 1981.<br />

5 König, Vom Dienst am Recht: Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus,<br />

1987.<br />

6 Helling, Gleichschaltung und Ausgrenzung: Der Weg der bremischen Anwaltschaft<br />

ins Dritte Reich, 1990, Frank, Der Kampf um die freie Advokatur und<br />

die Gleichschaltung der Anwaltschaft im Dritten Reich, in: Justiz, Juristen und<br />

politische Polizei in Sachsen, 1996, S. 5 ff., Douma, Deutsche Anwälte zwischen<br />

Demokratie und Diktatur 1930–1955, 1998, Rüping, AnwBl 2002, 615ff.,<br />

Majer, Jb. Jur. Zeitgesch. 5 (2003/2004), 1, 8 ff.<br />

7 Kärgel im Vorwort (S. 7) zu Königseder, Recht und nationalsozialistische Herrschaft:<br />

Berliner Anwälte 1933–1945, 2001.<br />

8 Bestände des OLG sind ausgewertet von R. Schröder, „... aber im Zivilrecht<br />

sind die Richter standhaft geblieben!“, 1988, Bestände der Generalstaatsanwaltschaft<br />

von Rüping, Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung im Dritten<br />

Reich, 1990 sowie: Staatsanwälte und Parteigenossen, 1994.


726<br />

MN<br />

ten Teil den Justizdienst und nur mit etwa 600 Akten<br />

Rechtsanwälte und Notare. Einzelne Akten sind vom<br />

Staatsarchiv übernommen, andere offenbar mangels „Archivwürdigkeit“<br />

vernichtet oder während der Auslagerung<br />

im Krieg abhanden gekommen. 400 Personalakten erweisen<br />

sich nach den Jahrgängen 1886–1903 als einschlägig, um<br />

Aussagen über eine häufig nur bis Kriegsbeginn währende<br />

Berufstätigkeit im Nationalsozialismus machen zu können.<br />

Die Akten bestehen selten nur aus einzelnen Blättern,<br />

etwa einer bloßen Abschrift des Entnazifizierungsbescheides,<br />

im Regelfall dagegen im Volumen von einem bzw. einem<br />

weiteren Band aus den dienstlichen Vorgängen zur Tätigkeit<br />

als Rechtsanwalt und wegen des Anwaltsnotariats<br />

überwiegend zugleich als Notar. Beiakten können Prüfungsvorgänge<br />

enthalten, Strafverfahren, Ehrengerichtsverfahren<br />

bei Rechtsanwälten bzw. Dienststrafverfahren bei Notaren<br />

betreffen sowie die Entnazifizierungsvorgänge nach 1945.<br />

Eine vollständig erhaltene Personalakte beginnt mit der<br />

ersten Zulassung als Rechtsanwalt bzw. bei Nur-Notaren<br />

mit der Bestellung und wird bis 1945 weitergeführt. Sie<br />

enthält nach dieser Zäsur das Ergebnis der Entnazifizierung,<br />

teilt sich entsprechend den Gesuchen um Wiederzulassung<br />

bzw. Wiederbestellung in einen Rechtsanwaltsund<br />

Notarteil, enthält Ehrungen zu Berufsjubiläen und endet<br />

mit der Verzichtserklärung bzw. dem Tod.<br />

Lose eingelegt finden sich Personal- und Befähigungsnachweise<br />

der Justizverwaltung sowie Personalbögen. Sie<br />

erweisen sich als wichtige zeitgeschichtliche Quellen. Das<br />

gilt für die nach einheitlichen Vordrucken im damaligen<br />

Deutschen Reich wie für die ab 1948 im Bezirk Celle erforderlichen<br />

Angaben. Die Bögen aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />

enthalten nicht nur die Grunddaten zur Person,<br />

sondern auch zu den Ergebnissen der Staatsexamina, zur<br />

„deutschblütigen Abstammung“, zum sozialen Umfeld (Familienverhältnisse,<br />

Berufe des Vaters und des Schwiegervaters)<br />

9 und zum Dienst im alten Heer, in Freikorps sowie<br />

in der Wehrmacht. Anzugeben waren auch die frühere Zugehörigkeit<br />

zu politischen Parteien, Verbänden und Logen<br />

wie später die zur Partei, ihren Gliederungen sowie angeschlossenen<br />

Verbänden und Vereinigungen.<br />

Vor allem interessiert die obligatorische Äußerung über<br />

Befähigung, dienstliche Leistungen, Führung, Charakter<br />

und politische Haltung durch die Justizverwaltung, d. h.<br />

den Landgerichtspräsidenten sowie mit Sichtvermerk, vereinzelt<br />

auch eigener Stellungnahme des Oberlandesgerichtspräsidenten.<br />

Die Beurteilungen datieren einheitlich<br />

aus dem Jahr 1944, nachdem Ende 1943 im Reichsjustizministerium<br />

sämtliche Verzeichnisse über Rechtsanwälte<br />

und Notare durch Kriegseinwirkungen vernichtet und sofort<br />

wiederherzustellen waren. 10 Dass das Ministerium Anfang<br />

1944 gesondert die aus der Aufsicht durch die Justizverwaltung<br />

abgeleitete Pflicht der Rechtsanwälte einschärft, alle<br />

für die Personalakten notwendigen Erklärungen und Nachweise<br />

einzureichen, 11 lässt auf Schwierigkeiten, wenn nicht<br />

auf Widerstände schließen.<br />

Die Fortführung der Akten nach 1945 beginnt häufig<br />

mit dem Fragebogen der Militärregierung. Der Fragebogen<br />

zum Gesuch um Wiederzulassung an den Oberlandesgerichtspräsidenten<br />

ersetzt die früher für die politische Beurteilung<br />

vorgesehene Spalte durch Angaben zur Zulassung<br />

in Niedersachsen, zur Anerkennung als Flüchtling, zur früheren<br />

Zugehörigkeit zur NSDAP und ihren Gliederungen<br />

sowie zum Ergebnis der politischen Überprüfung. Ergänzt<br />

werden die Angaben durch häufig umfangreiche Lebens-<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

läufe der Bewerber. Die in ihnen enthaltenen Deutungen,<br />

Selbsteinschätzungen und -rechtfertigungen werden aufschlussreich,<br />

vergleicht man sie mit den 1944 gemachten<br />

Angaben und Beurteilungen.<br />

3. Zur „Freiheit der Advokatur“ im Nationalsozialismus<br />

Was die Haltung der Anwaltschaft im Nationalsozialismus<br />

angeht, haben lange Zeit subjektive Einschätzungen<br />

der Art die Diskussion bestimmt, kollegiale Verbundenheit<br />

und lautere Berufsauffassung hätten sich auch in „dunkler<br />

Zeit“ bewährt. 12 Eine kritische Position zum Berufsstand in<br />

der jüngsten Vergangenheit erscheint damit ausgeschlossen.<br />

Anders, wenn der durch das Erlebte, Erahnte, aber auch<br />

Verdrängte gezogene Rahmen überwunden wird durch nähere<br />

Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem Typus<br />

nationalsozialistischer Herrschaft. Sieht man das Charakteristische,<br />

wie es einer verbreiteten Sicht in der Geschichtswissenschaft<br />

entspricht, unter Rückgriff auf Max Webers<br />

Herrschaftssoziologie im Typus charismatischer Herrschaft,<br />

geraten beide Seiten in den Blick: der Führer als Träger des<br />

Charismas und die von ihm Geführten, deren Beitrag in der<br />

Anerkennung des Charismas liegt. 13<br />

Eine derartige gemeinsame Ausrichtung innerhalb einer<br />

berufsständischen Elite, der Anwaltschaft, schafft eine<br />

weitgehende Homogenität und trägt die Ausschaltung der<br />

rassisch oder politisch „Unzuverlässigen“. Einer Gleichschaltung<br />

kommt auch die Entwicklung der Anwaltschaft<br />

in Deutschland zu Hilfe. Charakteristisch für den Stand<br />

bleibt in der Sicht der Rechtssoziologie eine staatlich konzessionierte<br />

Freiheit. 14 Sie öffnet sich eher als in anderen<br />

Ländern staatlicher Intervention, wenn die Selbstverwaltung<br />

von Kammern als Körperschaften des öffentlichen<br />

Rechts getragen wird und in der Standesgerichtsbarkeit<br />

staatliche Organe der Verbrechensverfolgung an der Ahndung<br />

beteiligt sind. 15<br />

So legitimiert auch die stete Warnung vor der Überfüllung<br />

des Berufsstandes den Ruf nach staatlichen Zulassungsbeschränkungen.<br />

Symbolhaft beschließt sie noch 1930<br />

vor der Gleichschaltung der Kammern und der Auflösung<br />

des DAV eine aus Vertretern beider zusammengesetzte<br />

Kommission. 16<br />

9 Mißverständlich erwähnt Heinrich, 100 Jahre RAK München, 1979, S. 141,<br />

nur, die Bögen über die arische Abstammung enthielten keine Angaben zu<br />

Stand und Beruf der Vorfahren.<br />

10 Auf den Erlaß des RMJ v. 15.12.1943 beruft sich der LGPr Oels in einem mit<br />

„Geheim!“ gekennzeichneten Schreiben an einen Rechtsanwalt, Personalakte<br />

im Archiv des OLG Celle [künftig: PA OLG Celle] 10 S 201, Anl. Hülle Bl. 7.<br />

11 Rv v. 27.3.1944 an die Präsidenten des RG, der OLGe und der RRAK, lose in:<br />

Generalakten im Archiv des OLG Celle [künftig: GA OLG Celle] 3170 E 1,<br />

Bl. 141.<br />

12 Göhmann in: Festschr. zur 150-Jahr-Feier des Rechtsanwaltsvereins Hannover<br />

(1831–1981), o. J. [1981], S. 1, 15.<br />

13 Zur Anwendung des Typus bei Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft,<br />

5. Aufl. 1972, S. 140: „Über die Geltung des Charisma entscheidet die durch<br />

Bewährung ... gesicherte freie, aus Hingabe an Offenbarung, Heldenverehrung,<br />

Vertrauen zum Führer geborene, Anerkennung durch die Beherrschten.“) auf<br />

den Nationalsozialismus Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 95 ff.,<br />

Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914–1949, 2. Aufl. 2003, S. 552 ff.,<br />

597 f.<br />

14 Zu den folgenden Aspekten Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1996,<br />

S. 617 ff., 627 ff., 645, 686 ff.<br />

15 Zur Diskussion bei der Schaffung der Rechtsanwaltsordnung Feuerbach/<br />

Braun, Kommentar zur BRAO, 4. Aufl. 1999, § 120 Rz. 1 ff.; zur Kritik am<br />

preußischen System, den Staatsanwalt zu beteiligen, in der Beratung des Entwurfs<br />

die Abg. v. Schmid und Windthorst (bei Siegel, Die gesamten Materialien<br />

zu der RAO vom 1. Juli 1870, 1883, S. 381, 389).<br />

16 Erwähnt im Geschäftsbericht des Vorstandes der RAK Celle 1930 (Mitt. 3<br />

[1931] Nr. 1, S. 6 f. im Archiv der RAK).


AnwBl 12/2005 727<br />

Aufsätze MN<br />

4. Der Primat des Politischen im Berufsrecht der Anwälte<br />

und Notare<br />

Wie der nationalsozialistische Staat durch eine neue<br />

Ausbildungsordnung, durch Selektion der künftigen Anwälte<br />

im Probe- und Anwärterdienst, 17 durch die von der<br />

Justizverwaltung im Einvernehmen mit dem BNSDJ ausgesprochene<br />

Zulassung sowie die Gleichschaltung der<br />

Kammern, 18 durch Ausgrenzung der jüdischen, der „politisch<br />

unzuverlässigen“ Kollegen wie der Anwältinnen, 19<br />

schließlich durch Unterwerfung der Anwälte unter die<br />

staatliche Disziplinargewalt20 die Angehörigen eines freien<br />

Berufs zu disziplinieren sucht, ist als normativer Rahmen<br />

der neu definierten „Freiheit der Advokatur“ wiederholt<br />

dargestellt.<br />

Belege aus den Personalakten vermögen die Umsetzung<br />

anhand einzelner Biographien anschaulich zu machen. Eine<br />

mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen aus dem Jahr<br />

1937 nennt als Themen im Staatsrecht u. a. den Aufbau der<br />

Partei, das Reichsstatthalter- und das Reichsbürgergesetz,<br />

und im Strafrecht die Sicherungsverwahrung sowie das<br />

„Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen<br />

Ehre“. 21<br />

Bei Referendaren bildet der vereinzelt erhaltene „Fragebogen<br />

zur Erforschung der wirtschaftlichen Lage“ eine<br />

zeitgeschichtliche Quelle von Rang, mit Angaben zur eigenen<br />

Person (auch der gehaltenen Fachzeitschriften), zu Familie,<br />

Studium, Vorbereitungsdienst und Assessorenzeit. 22<br />

Ein Referendar mit „wirklichem Verständnis für die Bedürfnisse<br />

des Rechtsverkehrs und das Rechtsempfinden des<br />

Volkes“ kann mit einem Unterhaltszuschuss rechnen, da er<br />

den erhöhten Anforderungen an einen nationalsozialistischen<br />

Richter gerecht wird, und gilt durch seine Mitgliedschaft<br />

in Partei, SA und NSRB für den anwaltlichen Probedienst<br />

als geeignet. 23 Als Gegenbeispiel eröffnet der<br />

Oberlandesgerichtspräsident Celle im Auftrag des Reichsministers<br />

der Justiz einem Assessor bei Übernahme in den<br />

Probedienst, seine Nichtzughörigkeit zur Partei und ihren<br />

Gliederungen werde als „staatsfeindlich“ ausgelegt, worauf<br />

sich der Betroffene in der NSV und als Parteianwärter meldet.<br />

24<br />

Das neue Gesicht der Kammern zeigt sich darin, dass<br />

sie sich die Ausgrenzung von Juden angelegen sein lassen.<br />

Die Mitteilungen schärfen ein, dass Partei-, SA- und<br />

NSRB-Mitglieder Juden nicht vertreten dürfen und Ehrengerichte<br />

ihre Rechtsprechung nicht auf jüdische Kommentare<br />

stützen. 25 Umgekehrt wenden Volksgenossen, damit<br />

auch deutsche Anwälte, den „deutschen Gruß“ wie vorgeschrieben<br />

an, wollen sie nicht in Verdacht geraten, „dem<br />

nationalsozialistischen Staate ablehnend gegenüber zu stehen“.<br />

26 Außergewöhnlich bleibt, dass ein Richter als jüdischer<br />

Mischling entlassen werden muss, der Oberlandesgerichtspräsident<br />

den Preußischen Minister der Justiz<br />

jedoch bittet, ihn wegen seiner überragenden Qualifikation<br />

„mit möglichster Schonung zu behandeln“. Der Minister<br />

lässt ihn 1933 als Rechtsanwalt zu, – gegen das ausfallende<br />

Votum der Kammer27 , „der Einfluss des Judentums in der<br />

Anwaltschaft des Bezirkes“ sei noch nicht genügend zurückgedrängt.<br />

Für den sensiblen Bereich der Strafverteidigung vor allem<br />

in politischen Sachen gilt eine Tätigkeit im Grundsatz<br />

nach wie vor als legitim und gerade durch Parteigenossen<br />

wegen ihrer politischen Zuverlässigkeit als erwünscht. 28 In<br />

der Praxis kann eine offensive Verteidigung allerdings die<br />

Gefahr eigener Verfolgung begründen; 29 sie soll in der Sicht<br />

nach 1945 den Eintritt in die Partei legitimieren, um damals<br />

wirksam Interessen der Mandanten wahrzunehmen. 30<br />

5. Karrieren und Antikarrieren im Nationalsozialismus<br />

Die Generation der ab 1886 Geborenen bildet nach ihrem<br />

Alter zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft<br />

das Hauptkontingent der Untersuchung. Ihre Zeit ist geprägt<br />

durch den Dienst in der Wehrmacht im 1. Weltkrieg,<br />

zwei Jahrzehnte des Aufbaus und der Sicherung der beruflichen<br />

Existenz, die Einberufung zur Wehrmacht im 2. Weltkrieg,<br />

danach den mühsamen Neuanfang, häufig nach<br />

Flucht und Vertreibung, und den Neuaufbau im Westen.<br />

Die politische Haltung gründet sich nur vereinzelt auf<br />

Anschauungen liberal-demokratischer Parteien, der SPD<br />

oder des Zentrums. 31 Ganz überwiegend bleibt sie im Bezirk<br />

über die verschiedenen politischen Systeme hinweg national-konservativ,<br />

in der pointierten Darstellung eines Betroffenen:<br />

„Ich habe mich bemüht, stets ein guter<br />

Deutscher und rechtlich denkender und handelnder Staatsbürger<br />

zu sein gemäss meiner Erziehung im Elternhaus und<br />

in der Burschenschaft. Die Erhaltung und der Bestand des<br />

Reiches waren für meine Entschlüsse maßgebend. Deshalb<br />

habe ich mich nach dem Zusammenbruch im Jahre 1918<br />

der Regierung von Ebert und Noske bei Bekämpfung des<br />

kommunistischen Aufstandes im Freikorps ebenso zur Verfügung<br />

gestellt, wie ich Mai 1933 Parteigenosse der<br />

NSDAP wurde, um mit allen Nationalgesinnten das Deut-<br />

17 König (Fn. 5), S. 158, Rüping in Festschr. Hans-Ludwig Schreiber, 2003,<br />

S. 405 f.<br />

18 König (Fn. 5), S. 37 ff., Königseder (Fn. 7), S. 61 ff.<br />

19 Rüping, AnwBl 2002, 615, 616 f.<br />

20 Zur Praxis König (Fn. 5), S. 224.<br />

21 Ges. v. 15.9.1935, RGBl 1935 I, 1146 f.; Beiakten [künftig: BA] JPA OLG Rostock<br />

in OLG Celle, PA 10 S 290, Bl. 17.<br />

22 Z. B. in OLG Celle, PA 12 F 229; die Fragebögen datieren offenbar aus der<br />

Zeit nach 1936.<br />

23 OLG Celle, PA 10a O 1, Zeugnisheft OLG Hamm, Bl. 10 (1937), LGPr Bochum<br />

v. 24.1.1938 in BA betr. Unterhaltszuschuß, Stellungnahme des NSRB v.<br />

6.6.1939 (Hauptakte [künftig: HA], Bl. 4).<br />

24 OLG Celle, PA 10a W 8, Bl. 11 (RMJ v. 23.9.1940), 25 (zu den Hintergründen<br />

Gesuch v. 24.5.1946 an den OLGPr).<br />

25 Z. B. Anordnungen der RAK Wien (Mitt. RRAK 1938, 239) und Köln (Mitt.<br />

RRAK 1937, 101) sowie RRAK (Mitt. 1936, 49); dazu Morisse, Rechtsanwälte<br />

im Nationalsozialismus: Zur Funktion der Ehrengerichtsbarkeit, dargestellt am<br />

Beispiel des Oberlandesgerichtsbezirks Hamburg, 1995.<br />

26 RAK Dresden (Mitt. RRAK 1937, 99); entgegen Hüttenberger in: Hirschfeld/<br />

Kettenacker, Der „Führerstaat“, 1981, S. 429, 434, 443, 455, erscheint der berufsständische<br />

Lobbyismus der Kammern gegenüber ihrer die Mitglieder disziplinierenden<br />

Funktion sekundär.<br />

27 OLG Celle, PA 9 D 53, PA Richter Bl. 117, 118 (Bericht des OLGPr v.<br />

16.6.1933), PA Rechtsanwalt Bl. 6, 4 (Zulassung durch den PrMJ v. 1.8.1933<br />

und abl. Votum der RAK v. 19.7.1933).<br />

28 Offiziell Becker (StA), Mitt. RRAK 1937, 130 f. und zur Notwendigkeit der<br />

Verteidigung auch Bogenrieder (StA) auf einer Tagung für Nachwuchskräfte<br />

1944 auf der Reichsburg Kochem (Bundesarch. 3001/262, Bl. 12, 14). Die<br />

RAK Braunschweig teilt mit, das Reichsrechtsamt habe Parteigenossen nicht<br />

die Übernahme von Verteidigungen vor dem Sondergericht verboten (Mitt.<br />

RRAK 1938, 75).<br />

29 Für einen Nicht-Pg. als Verteidiger vor dem VGH Zeugnis des DGB v.<br />

6.8.1945 (OLG Celle, PA 10 F 64, Bl. 13 R ).<br />

30 So die Selbstrechtfertigung eines Verteidigers im Lebenslauf v. 13.9.1945<br />

(OLG Celle, PA 10 J 27, Bl. 2 R ).<br />

31 Nach einem Lebenslauf v. 3.6.1947 war der Betroffene Referendar, dann Hilfsarbeiter<br />

bei Max Alsberg (OLG Celle, PA 10 K 66, Notariat [künftig: Not.]<br />

Bl. 5); nach dem Fragebogen [künftig: FB] der MR v. 20.6.1945 in PA 10 E 34<br />

gehörte der Betroffene früher als Richter der Demokratischen Partei sowie<br />

dem Republikanischen Richterbund an. In einem Schriftsatz von 1957 (Nds.<br />

HStA Nds. 110 W Acc. 14/99, Nr. 118203, Bl. 9) bezeichnet RA L. sich und<br />

seinen Sozius 1932 als die einzigen sozialdemokratischen Anwälte im Großraum<br />

Hannover. Die Zugehörigkeit zum Zentrum spielt im Bezirk praktisch<br />

keine Rolle; doch war z. B. RA Pfad von 1927–1933 Zentrumsabgeordneter<br />

im Provinziallandtag (PA 10 P 10, PB v. 2.2.1945 und von 1950 sowie Kurzbiographie<br />

bei Brand [Fn. 3], S. 190).


728<br />

MN<br />

sche Reich vor Terror und Zusammenbruch zu bewahren.“ 32<br />

Als jüdischen Kollegen 1933 der Ausschluss aus der Anwaltschaft<br />

droht, versichern auch sie, dem deutschen Vaterland<br />

treu gedient zu haben und ihm auch unter der Regierung<br />

der nationalen Erhebung loyal weiterzudienen. 33<br />

a) Mitgliedschaft in der Partei und ihren Organisationen<br />

Nationalsozialistische Karrieren drücken sich in der Zugehörigkeit<br />

zu Partei, SA, SS und zahlreichen Verbänden<br />

aus. Wenn zwei Drittel der Anwälte und Notare den Angaben<br />

in den Fragebögen zufolge Mitglieder der NSDAP waren,<br />

muss das Bemühen in häufig stereotypen Wendungen<br />

nach 1945 dahin gehen, eigene Belastungen herunter zu<br />

spielen.<br />

Den späteren Lesarten zufolge trat man der Partei von<br />

1933 aus idealistischer Begeisterung bei, unmittelbar nach<br />

1933 in einem kollektiven nationalen Aufbruch, später unter<br />

dem Druck der Verhältnisse zur Sicherung der beruflichen<br />

Existenz. 34 Der Verbleib in der Partei wird damit gerechtfertigt,<br />

nur auf diese Weise etwas für Mandanten<br />

bewirken und überhaupt mäßigenden Einfluss ausgeübt haben<br />

zu können. 35 Eigene Parteikarrieren können bei Anwälten<br />

in einer Tätigkeit als Gaurichter liegen 36 oder durch<br />

den Einsatz, in einer Region die nationalsozialistische Revolution<br />

vorzubereiten. 37<br />

Fehlende Mitgliedschaft in der Partei kann, was die politische<br />

Zuverlässigkeit angeht, durch Zugehörigkeit zu Gliederungen<br />

und Organisationen, notfalls auch nur in der NSV,<br />

kompensiert werden. 38 Für die Mitgliedschaft in der SA<br />

kommt neben den bereits bekannten Motiven die Behauptung<br />

hinzu, ohne eigenes Zutun kollektiv aus dem Stahlhelm<br />

überführt worden zu sein. 39 Welche Möglichkeiten bestanden,<br />

die SA zu verlassen, zeigen die Fälle zweier<br />

Anwälte und SA-Führer, die nach den von der SA inszenierten<br />

Novemberpogromen 1938 ihre Entlassung durchsetzen.<br />

Beide finden mit den Argumenten, die nicht vom<br />

„Führer“ befohlene Aktion sei rechtswidrig und die Ausführung<br />

der Befehle unzumutbar gewesen, Gehör vor dem<br />

Gaugericht. 40<br />

Neben der Mitgliedschaft in der Partei und SA spielt die<br />

in der SS zahlenmäßig keine bedeutende Rolle, auch wenn<br />

sie sich nach 1945 als erhebliche Belastung darstellt. Eine<br />

fördernde Mitgliedschaft in der SS kann dazu dienen, die<br />

fehlende Zugehörigkeit zur Partei zu kompensieren, 41<br />

ebenso eine förmliche Mitgliedschaft in der Allgemeinen<br />

SS, wobei Rechtsanwälte häufig in der hauseigenen Gerichtsbarkeit<br />

der Gliederung eingesetzt werden. 42 Eine Mitarbeit<br />

im SD, z. B. als Denunziation eines Kollegen, Halbjuden<br />

vertreten zu haben, 43 kann nicht ernsthaft nach 1945<br />

als fachliche Berichterstattung vermittelt werden, „Gutachten<br />

zu fertigen ... sowie Stimmungsberichte der Bevölkerung“,<br />

„um Unrecht im eigenen Wirkungskreis zu verhindern“.<br />

44 Die Akten belegen darüber hinaus eigene Karrieren<br />

bei der Waffen-SS, bis zum Rechtsreferenten in der Haushalts-<br />

und Bauabteilung in der Verwaltung der Konzentrationslager<br />

durch Obergruppenführer Pohl. 45<br />

b) Verleihung des Titels „Justizrat“<br />

Anwälte können nur mittelbar vom Staat ausgezeichnet<br />

werden, durch Glückwünsche der Justizverwaltung zu Berufsjubiläen,<br />

46 durch Verleihung von Orden und damals des<br />

Titels „Justizrat“. Die gegenüber Orden weitaus wichtigere<br />

des begehrten Titels interessiert wegen der politisch gefärbten<br />

Kriterien der Selektion. 47<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

Hitlers 1939 bevorstehender 50. Geburtstag bewirkt eine<br />

Flut von Vorschlägen der Justizverwaltung wie der Partei<br />

und ruft den Gauleiter auf den Plan. Er erinnert an die Absprache<br />

mit der Reichsjustizverwaltung, den Titel nur bei<br />

besonderen Verdiensten in der Partei oder um das nationalsozialistische<br />

Recht zu verleihen. 48 Zum 30.1.1939 wird der<br />

Titel insgesamt 56mal verliehen, darunter an zwei Anwälte<br />

im Bezirk, und zum 20.4.1939 60mal, darunter 3mal im Bezirk.<br />

Nach den Zahlen für 1939 sind von den 733 Anwälten<br />

im Bezirk 29 (4 %) Justizräte (davon 6 „neuer Art“), entsprechend<br />

von 204 Rechtsanwälten im Landgerichtsbezirk<br />

Hannover 6 (3 %), davon 1 „neuer Art“. 49<br />

Den wenigen neu Ernannten ist „rückhaltloses Eintreten“<br />

für den nationalsozialistischen Staat bescheinigt, „aktiver<br />

Einsatz“ für die Partei oder als Verteidiger ein Selbstverständnis<br />

als Gehilfe des Gerichts bei der<br />

32 „Nationales Glaubensbekenntnis“ im Zulassungsgesuch v. 4.8.1945 (OLG<br />

Celle, PA 10 V 18, Bl. 8).<br />

33 Gesuch v. 7.4.1933 an den PrMJ (OLG Celle, PA 10 R 34, Bl. 8).<br />

34 Vgl. die Darstellung im Entnazifizierungsbescheid v. 16.9.1949 und Lebenslauf<br />

v. 17.9.1950 (OLG Celle, PA 10 V 22, Bl. 4 R ,2 R ), in einem Zulassungsgesuch<br />

v. 28.9.1945 (PA 10 B 153, Bl. 4 R ), Lebenslauf v. 18.7.1945 (PA 10a B 33,<br />

Bl. 4); was im zeitgenössischen PB als „nationale Pflicht“ erscheint, wird im<br />

Lebenslauf v. 16.8.1945 als abgenötigt dargestellt (PA 10 M 130, PB und Bl. 3).<br />

35 So die Darstellung in einem „politischen Lebenslauf“ v. 28.1.1947 (OLG Celle,<br />

PA 10 N 43, Bl. 7 R ).<br />

36 Die Musterkarriere beginnt mit dem Studium an den „Grenzlanduniversitäten“<br />

Freiburg und Kiel (Lebenslauf von 1934 in OLG Celle, PA 10 R 91, BA OLG<br />

Darmstadt Bl. 4 ff.), setzt sich fort in der Promotion über „Die öffentlich-rechtliche<br />

Gestaltung der NSDAP“ (Mitt. v. 1.9.36, Bl. 34) und der Verwaltungsstation<br />

beim Reichsrechtsamt der NSDAP (Mitt. des OLGPr v. 30.12.1936 an den<br />

RMJ, Bl. 46) und führt dann bis 1944 zu Beurlaubungen durch den RMJ für<br />

eine Tätigkeit am Gaugericht Württemberg-Hohenzollern (Schreiben des<br />

Obersten Parteigerichts v. 14.6.1940 an den OLGPr, Bl. 173).<br />

37 Der Beurteilung durch den LGPr Bückeburg im Personal- und Befähigungsnachweis<br />

[künftig: PBN] v. 18.2.1938 zufolge (lose in OLG Celle, PA 10 R 60)<br />

hat sich RA R. von allen Juristen des Landes „am ersten und am entschiedensten<br />

für die nationalsozialistische Bewegung eingesetzt“; als „Lohn“ lässt ihn<br />

der RMJ am 5.4.1938 gegen die Voten des OLGPr und der RAK (aaO, HA Bl.<br />

59, 57) gleichzeitig beim OLG zu und findet sich R. 1939 im Stab des Stellvertreters<br />

des Führers (Mitt. v. 11.3.1939, aaO Bl. 72).<br />

38 Ein PB von 1944 weist die Zugehörigkeit zu 6 Verbänden nach (OLG Celle,<br />

PA 10 K 43); auf Anordnung des OLGPr veranlaßt der LGPr Hannover in 2<br />

Fällen die Mitgliedschaft in der NSV (Bericht v. 1.6.1944 an den OLGPr in PA<br />

10 G 28, Bl. 36, und v. 30.6.1944 in PA 10 T 17, Bl. 59).<br />

39 Z. B. erwähnt in einem Lebenslauf v. 12.9.1945 (OLG Celle, PA 10a K 22, HA<br />

Bl. 2) und v. 1949 (PA 10 V 20, Bl. 2 R ).<br />

40 Zu den Verfahren Hamann in Festschr. 275 Jahre OLG Celle, 1986, S. 143,<br />

193 ff. und Rüping, Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung im Dritten<br />

Reich, 1990, S. 93.<br />

41 In einem Fall wird ein RA förderndes Mitglied der SS gegen die – später gebrochene<br />

– Zusicherung, ihn wegen seiner Ehe mit einer Jüdin in Ruhe zu lassen<br />

(Protokoll des Landesausschusses v. 8.3.1951 in der Wiedergutmachungsakte<br />

Nds. HStArch Nds. 110 WAcc. 84/90 Nr. 401/4, Bl. 21).<br />

42 Mitteilung des LGPr Lüneburg v. 3.10.1944 an den OLGPr in OLG Celle, PA<br />

10 B 148, Bl. 67 sowie Zulassungsgesuch mit Lebenslauf v. 1.1.1951 in PA 10a<br />

B 45, Bl. 1 R .<br />

43 Als Folge wird gegen den Denunzierten ein EG-Verfahren eingeleitet (OLG<br />

Celle, PA 10 M 130, Bl. 2); in einem anderen Fall wird der Denunzierte wegen<br />

defaitistischer Äußerungen vom VGH zum Tode verurteilt und hingerichtet,<br />

und der Denunziant vom EG, bestätigt vom EGHBrZ, aus der Anwaltschaft<br />

ausgeschlossen (PA 10 B 148, Urteile v. 20.12.1952 und v. 23.6.1953, Bl.<br />

108 ff., 127 ff.).<br />

44 FB der MR v. 3.7.1946, Bl. 6 R in Nds. HStArch Nds. 171 Hann. ZR 44520.<br />

45 Vgl. die Mitteilung v. 17.5.1941 an die RAK Celle (Archiv der RAK, PA RA<br />

K.); zwei Rechtsanwälte erscheinen als Hauptsturmführer der Waffen-SS (PB<br />

v. 1944 in OLG Celle, PA 10 M 58 und PB v. 1950 in PA 10 M 155), ein weiterer<br />

bei einer Umsiedlungsaktion durch einen Totenkopfverband der Waffen-<br />

SS (Bericht des LGPr Göttingen v. 25.1.1947 an den OLGPr in PA 10 S 182,<br />

RA Bl. 77).<br />

46 Z. B. spricht sich der LGPr Göttingen im Bericht v. 13.4.1938 an den OLGPr<br />

gegen Glückwünsche zum 40j. Berufsjubiläum aus, da der RA in einem Mahnschreiben<br />

die Pflicht, Schulden zu bezahlen, als Ehrenpflicht eines Nationalsozialisten<br />

bezeichnet habe, „auch wenn es sich um eine jüdische Firma handelt“<br />

(OLG Celle, PA 10 B 21, Bl. 46 m. Anl. Bl. 47).<br />

47 Siegrist (Fn. 14), S. 634 ff. stellt für den staatlichen Einfluss primär auf die<br />

Verleihung von Orden ab; zur Praxis der Titelverleihung um 1900 S. 630 f.<br />

48 Gauleiter Ost-Hannover am 6.9.1939 an den OLGPr (OLG Celle, PA 10 S 173,<br />

BA Justizrat [künftig: JR], o. P.).<br />

49 Übersichten für das Reich in Mitt. RRAK 1939, 49, 97 und den Bezirk im Entwurf<br />

eines Berichts des OLGPr v. 15.6.1939 an den RMJ in OLG Celle, PA 10<br />

B 34, Bl. 61 R .


AnwBl 12/2005 729<br />

Aufsätze MN<br />

Wahrheitsfindung. Ein Vorschlag fasst die vielfältigen Verdienste<br />

des Betroffenen um die Sache des Nationalsozialismus<br />

wie folgt zusammen: „B. steht rückhaltlos hinter dem<br />

neuen Staat. Er ist Mitarbeiter im Gaurechtsamt des Gaues<br />

Süd-Hannover-Braunschweig, SS.-Untersturmführer und<br />

Rechtsberater des SS.-Abschnitts IV in Hannover und Gauehrengerichtsvorsitzender<br />

im NSRB.“ 50<br />

Zurückgewiesen werden dagegen politisch Unzuverlässige:<br />

„Judenfreunde“, frühere Angehörige einer Loge, 51<br />

aber auch ein fachlich übereinstimmend als „bester Kenner<br />

des Wirtschaftsrechts“ geltender Notar, der jedoch nach Ermittlungen<br />

der Gestapo bei Diensthandlungen nicht den<br />

„deutschen Gruß“ anwendet. 52<br />

c) Einsatz in der Justiz und zur Reichsverteidigung<br />

Die Selektion nach Kriterien der Nähe zum politischen<br />

System zeigen schließlich der Notdienst in der Justiz und<br />

die „Freigabe“ von Rechtsanwälten und Notaren zur<br />

Reichsverteidigung. Als im Krieg Rechtsberatung und -vertretung<br />

zurückgehen, andererseits durch die Einberufung<br />

wehrpflichtiger Jahrgänge Richter und Staatsanwälte fehlen,<br />

werden Rechtsanwälte im sogenannten Notdienst als Richter<br />

und Staatsanwälte (im Bezirk 5 bzw. 7 Anwälte) abgeordnet.<br />

Die Ministerialverfügung von 1944 stellt für das<br />

Profil unmittelbar ab auf die politisch-weltanschauliche<br />

Ausrichtung, auf Rechtsgefühl und Gemeinschaftsgedanken,<br />

schließlich auf Sensibilität für volkliche und staatliche<br />

Notwendigkeiten bei der Rechtsanwendung. 53<br />

Für die kriegswichtigen Strafsachen empfehlen sich Anwälte<br />

mit der Überzeugung, auch auf Kosten von Mandanteninteressen<br />

der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. 54<br />

Ein beauftragter Richter, beschrieben als „vorzüglicher Musiker“<br />

und eine „mehr weiche als tatkräftige Natur“, jedoch<br />

„eifriger Nationalsozialist“ stellt sich dar „als ein williger,<br />

anpassungsfähiger Richter, der bemüht ist, im Geiste des<br />

Nationalsozialismus Recht zu sprechen“, und sich „eine<br />

von gesundem Volksempfinden getragene Auslegung des<br />

Gesetzes“ angelegen sein lässt. 55<br />

Qualifiziert damit völlige Angepasstheit zum Richteramt,<br />

können Versuche nicht überzeugen, die Tätigkeit nachträglich<br />

als letzte Bastion rechtsstaatlicher Unabhängigkeit<br />

zu stilisieren, indem Funktionäre unnachsichtig bestraft,<br />

Verfolgte dagegen über die Zubilligung „berechtigter Interessen“<br />

oder eines „übergesetzlichen Notstandes“ freigesprochen<br />

worden seien. 56<br />

Die zunehmende Einberufung wehrfähiger Jahrgänge erfordert<br />

schließlich die Mobilisierung aller personellen<br />

Kräfte in der Heimat für die „Reichsverteidigung“. Der entsprechende<br />

Führererlass von 1943 wird in den Bezirken<br />

umgesetzt durch die Oberlandesgerichtspräsidenten. 57 Bei<br />

Anwälten erscheint das Kriterium unverfänglich, sie als unentbehrlich<br />

anzusehen, soweit eine auf das Kriegswichtige<br />

beschränkte Rechtspflege sonst nicht aufrecht erhalten werden<br />

könnte. Bald entscheidet jedoch nicht mehr das Berufsfeld,<br />

sondern die Berufsauffassung darüber, ob „eine auf<br />

das Volksganze ausgerichtete Mitarbeit an der Rechtspflege“<br />

zu erwarten ist. Primär und restlos „freizugeben“<br />

sind jetzt die „üblichen Verdächtigen“: Mischlinge, jüdisch<br />

Versippte und wegen „staatsabträglichen Verhaltens“ Verurteilte.<br />

58 Eine als Verschlusssache gekennzeichnete Liste<br />

von Ende 1943 erfasst 10 Mischlinge unter den Anwälten<br />

im Bezirk und 1 früheres Mitglied der SPD. 59<br />

Auf der anderen Seite machen sich Anwälte als Berater<br />

von Wehrwirtschaftsbetrieben oder als politische Funktio-<br />

näre unabkömmlich. Der vollständig erhaltene Rücklauf<br />

der Anfragen veranschaulicht wirtschaftsgeschichtlich, wie<br />

die Kriegswirtschaft im 5. Kriegsjahr alle Bereiche in Handel<br />

und Industrie vereinnahmt hat, mit teils geheimen Aufträgen<br />

für die Rüstungsindustrie. 60 Mentalitätsgeschichtlich<br />

wird deutlich, wie ein Mitwissen, z. B. über umweltvernichtende<br />

chemische Verfahren oder über die Beschäftigung<br />

von Zwangsarbeitern, eine Mitverantwortlichkeit begründen<br />

kann. 61<br />

Ein politisches Engagement als Rechtsberater der SS,<br />

des NSKK, des Gaus oder des Gauleiters persönlich macht<br />

Interventionen bei der Justizverwaltung aussichtsreich, um<br />

Freistellungen zurückzunehmen, z. B. auch mit dem Ziel,<br />

die Spitzeltätigkeit für den SD fortzusetzen. 62<br />

„Freigegeben“ werden einem Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten<br />

von Anfang 1943 zufolge 50 der 320<br />

Anwälte im Bezirk, darunter auch Rechtsanwältinnen. 63 Die<br />

Wirkung leidet darunter, dass Betroffene wegen Unentbehrlichkeit,<br />

wegen Löschung in der Anwaltsliste oder wegen<br />

Einberufung zur Wehrmacht häufig nicht mehr zum Arbeitseinsatz<br />

kommen. 64 Zudem können Rechtsanwälte und<br />

Notare kaum ihrer Vorbildung entsprechend eingesetzt werden.<br />

Der Oberlandesgerichtspräsident sieht Anlass zu einem<br />

Bericht an den Minister, als ein Rechtsanwalt und Notar<br />

als einfacher Polizeibeamter Dienst tun soll und ihm<br />

darüber hinaus eröffnet wird, er könne in seiner neuen Stellung<br />

auch nicht mit einer Beförderung rechnen. 65<br />

50 OLG Celle, PA 10 B 34, Bl. 52, weiter PA 10 B 25, BA JR o.P. und zum Selbstverständnis<br />

als Verteidiger PA 10 B 64, BA JR o.P.<br />

51 Negative Voten wegen der Vertretung von und des Umgangs mit Juden durch<br />

den PrNotK Celle v. 23.3.1939 (mit dem Hinweis, der Betroffene sei bereits<br />

aus dem NSRB ausgeschlossen), PrRAK v. 10.5.1939, Gau Süd-Hannover-<br />

Braunschweig v. 15.7.1939 und GenStA v. 25.7.1939 (OLG Celle, PA 10 B 49,<br />

BA JR o.P.); in einem anderen Fall nimmt der LGPr Hildesheim v. 8.3.1939 gegenüber<br />

dem OLGPr den Vorschlag zurück (PA 10 P 14, BA JR o.P.).<br />

52 Der PrNotK begrüßt in seiner Stellungnahme v. 8.3.1939 die Verleihung an „einen<br />

der besten Rechtsanwälte und Notare“ unbedingt; dagegen negativ das politisch<br />

begründete Votum des GenStA v. 16.9.1939 gegenüber dem OLGPr<br />

(OLG Celle, PA 10 F 22, BA JR o.P.).<br />

53 Rv RMJ v. 22.4.1944 (OLG Celle, GA 3170 II, Bl. 110).<br />

54 LGPr Göttingen, politische Beurteilungen im PBN v. 5.3.1943 und PB v.<br />

7.3.1944 (OLG Celle, PA 10 K 60).<br />

55 Beurteilung durch den OLGPr Zweibrücken im PBN v. 13.6.1944 in OLG<br />

Celle, PA 10 T 42, – damit ein Beleg für die in der Lit. angenommene Angepasstheit<br />

der im Notdienst eingesetzten Anwälte (Douma in: Justizministerium<br />

NW, Justiz und Nationalsozialismus, 1993, S. 103, 129).<br />

56 So die Darstellung in einem „politischen Lebenslauf“ v. 28.1.1947 (OLG Celle,<br />

PA 10 N 43, Bl. 9 R , 11).<br />

57 VO v. 27.1.1943 § 1 (RGBl 1943 I, 67 f.), Rv RMJ v. 19.12.1943 (OLG Celle,<br />

GA 3170 E 1, Bd. 1, Bl. 1).<br />

58 Rv RMJ v. 19.3.1943 (OLG Celle, GA 3170 E 1, Bd. 1, Bl. 11).<br />

59 Unvollständig erhalten in OLG Celle, GA 3170 E 1, Bd. 1, Bl. 134 a, 135 b,<br />

136 c; Einzelfälle der „Freigabe“ jüdisch Versippter in OLG Celle, PA 10 A 36<br />

(Vermerk des OLGPr v. 28.4.1943 Bl. 80 R ), PA 10 D 27 (Vermerk des OLGPr v.<br />

13.2.1945 Bd. 2 Bl. 35), der Betroffene sei zur Organisation Todt einberufen,<br />

habe sich jedoch nicht gestellt; Freigabebescheid des OLGPr v. 27.3.1943 gegenüber<br />

einem früheren Mitglied der SPD in PA 10 E 26, Bl. 30, – der Betroffene<br />

wird 1951 Richter am BVerfG.<br />

60 Weshalb z. B. ein Rechtsanwalt jede Auskunft ablehnt (Stellungnahme v.<br />

23.3.1943 in OLG Celle, GA 3170 E 1, Bd. 1, Anlagenbd. 1, Bl. 18).<br />

61 Vgl. ein Schreiben des Rechtsanwalts E. v. 29.3.1943 an den LGPr Hannover<br />

(Einzelsachen in GA 3170 E 1, Bd. 1, Beih., Anlagenbd. 3) und des Rechtsanwalts<br />

M. IV v. 25.3.1943 (aaO Anlagenbd. 2, Bl. 36).<br />

62 Auf Grund eines geheimen Schreibens des SD-Abschnitts Braunschweig v.<br />

24.5.1943 nimmt der OLGPr am 31.5.1943 die Freistellung zurück (OLG<br />

Celle, PA 10 K 39, Bl. 40, 42); in einem anderen Fall trägt er am 10.6.1943 einem<br />

am selben Tag telefonisch übermittelten Wunsch des stellvertretenden<br />

Gauleiters Rechnung (GA 3170 E 1, Bl. 100, 101).<br />

63 Bericht des OLGPr v. 12.4.1943 (OLG Celle, GA 3170 E 1, Bl. 57 R ). Als der<br />

LGPr Verden am 18.4.1943 einen Anwalt mit „schlechter Gesundheit“ und einen<br />

anderen „ohne große geistige Kräfte“ vorschlägt, stellt der OLGPr den zuerst<br />

genannten dem Arbeitsamt zur Verfügung (Vermerk in OLG Celle, Sammelakten<br />

[künftig: SA] 3176 LG Verden, Bl. 17).<br />

64 Nach einem Vermerk des OLG v. August 1944 (lose in OLG Celle, GA 3170a<br />

1) ist die Anordnung bei den noch 33 „freigegebenen“ Rechtsanwälten und<br />

65 Bericht v. 21.4.1943 (OLG Celle, GA 3170a 1, Bl. 74).


730<br />

MN<br />

d) Strafverteidigung<br />

Das neue Bild des Strafverteidigers ist bereits wiederholt<br />

angesprochen. Er behält auch unter dem Nationalsozialismus<br />

Handlungsspielräume. Anwälte – Parteigenossen wie<br />

Nicht-Parteigenossen – 66 setzen sich wirkungsvoll für ihre<br />

Mandanten ein und nehmen bei Verteidigungen vor Sondergerichten,<br />

RKG und VGH sowie beim Eintreten für Schutzhäftlinge<br />

Behinderungen, Drohungen, Konflikte und die<br />

Gefahr in Kauf, selbst verfolgt zu werden. 67<br />

Sie können Verteidigungen in politischen Sachen vor einem<br />

OLG außerhalb des Bezirks nur übernehmen, wenn<br />

der Oberlandesgerichtspräsident in Celle nach Anhörung<br />

der Kammer fachliche und politische Bedenken verneint<br />

hat. 68 Chancen haben damit nur angepasste Anwälte, denen<br />

eine „erfreuliche Zusammenarbeit mit dem Gericht“, „verständnisvolles<br />

Eingehen“ auf seine Wünsche, Unterstützung<br />

bei der Wahrheitsfindung bescheinigt 69 und das Gütesiegel<br />

eines nationalsozialistischen Rechtswahrers verliehen ist.<br />

Mit Rücksicht auf das neue Berufsethos findet sich auch<br />

die Denunziation eines Anwalts durch einen Richter: ein<br />

Geständnis des Mandanten zu verhindern, weil das Gericht<br />

ihm die Schuld nachweisen müsse, sei „unvereinbar mit<br />

den Pflichten eines Rechtsanwalts im dritten Reich“. 70<br />

6. Notare<br />

Die jüngere Geschichte der Notare ist nicht nur kaum erforscht,<br />

sondern bleibt ausgeklammert. Sie wird für das<br />

Projekt insbesondere über die Personalakten der Anwaltsnotare<br />

zugänglich. 71<br />

Reichsrechtsführer Frank umwirbt die Notare für ein<br />

Einscheren in die einheitliche Rechtsfront des BNSDJ. 72<br />

Doch verwirklicht die Reichsnotarordnung von 1937 nur<br />

teilweise berufspolitische Forderungen nach einem reichseinheitlichen,<br />

und zwar Nur-Notariat, sowie einem Beurkundungsmonopol.<br />

Die Kodifikation verwässert das Modell<br />

eines Nur-Notariats durch weitreichende Übergangsregelungen<br />

und bringt nicht das erhoffte Monopol, sondern konstituiert<br />

Pflichten, jederzeit für den nationalsozialistischen<br />

Staat einzutreten und das Amt zum Wohl der Volksgemeinschaft<br />

zu verwalten. 73 Abgeleitet wird aus den Generalklauseln,<br />

den Notar allgemein zur Wahrung von Gemeinschaftsbelangen<br />

in Anspruch zu nehmen. 74 Die Behauptung, die –<br />

leider nicht näher benannten – „entscheidenden Punkte“ der<br />

Reichsnotarordnung seien in die Bundesnotarordnung von<br />

1961 übergegangen, 75 muss auf einer diffusen Wahrnehmung<br />

der Quellen beruhen.<br />

Da jede Bestellung zum Notar mit der Partei abgesprochen<br />

sein muss, entscheiden auch hier primär politische<br />

und nicht fachliche Gesichtspunkte. Ein politisch aktiver<br />

Bewerber kann mit einer Intervention der Gauleitung rechnen,<br />

sodass ihn der RMJ gegen das ursprüngliche Votum<br />

des Oberlandesgerichtspräsidenten zulässt. 76 Juden müssen<br />

wie Anwälte nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des<br />

Berufsbeamtentums und letztlich nach dem Reichsbürgergesetz<br />

ausscheiden. 77 Politisch unzuverlässige Bewerber,<br />

die z. B. an ihrer Ehe mit einer Jüdin festhalten, kirchlich<br />

engagiert bleiben, früher Mitglieder der SPD oder des Zentrum<br />

waren, müssen mit jahrelangen Verzögerungen der<br />

Bestellung rechnen, wenn nicht mit der Ablehnung. 78 Dass<br />

einige Notare nicht der Partei angehören, widerlegt die spätere<br />

Behauptung zur Legitimierung der eigenen Mitgliedschaft,<br />

nur Parteigenossen hätten bestellt werden können. 79<br />

Notare unterliegen im Grundsatz nur der Reichsnotarordnung,<br />

im Dienststrafrecht jedoch der für Beamte und<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

Richter geltenden Reichsdienststrafordnung (§§ 68, 69<br />

RNotO). Das förmliche Dienststrafverfahren vor der<br />

Dienststrafkammer des OLG betrifft nicht zeitgebundene<br />

Pflichtverletzungen, wie auswärtige Beurkundungen ohne<br />

die erforderliche Genehmigung, aber auch politische Verfahren.<br />

Dass ein Notar 1935 erheblichen Mut zeigt, als er<br />

öffentlich Pogrome gegen einen jüdischen Händler kritisiert<br />

und gegen Pöbeleien einschreitet, wird mit einer Geldbuße<br />

von 200,– RM geahndet. Dass derselbe Notar einige Jahre<br />

später eine Hypothek von einem Juden erworben und einen<br />

anderen traditionell noch mit „Sehr geehrter Herr Kollege“<br />

angeschrieben hat, kostet ihn fast das Amt. 80 In ebenso penibler<br />

wie unsensibler Anwendung der Vorschriften des<br />

Wiedergutmachungsrechts erhält der Betroffene 1948 durch<br />

die Dienststrafkammer die Geldbußen erstattet, durch mi-<br />

66 Zu Verteidigungen durch Nichtparteigenossen Lebenslauf v. 16.11.1947 und<br />

Zusatz zum FB der MR (OLG Celle, PA 10 L 78, Bl. 7, 18) sowie Lebenslauf<br />

v. 10.5.1947 zur Vertretung eines Stahlhelmführers gegen den Polizeipräsidenten<br />

Heines (PA 10 M 136, Bl. 3 R ).<br />

67 Zur Behinderung der Verteidigung von Bibelforschern Lebenslauf v. 1946 und<br />

Bericht des OLGPr Hamm v. 21.6.1949 an den MJ (OLG Celle, PA 10 D 60,<br />

RA Bl. 109, 177), zum Eintreten für Juden Anl. zum FB der MR und eidesstattliche<br />

Versicherung v. 27.7.1946 (PA 10 W 105, HA Bl. 16, 21), zu Verzögerungstaktiken<br />

vor dem VGH Schreiben v. 5.3.1946 an die RAK Celle (Archiv<br />

der RAK betr. RA D.), zum Eintreten für KZ-Häftlinge Lebenslauf v.<br />

1.10.1945, vor allem aber das Dankesschreiben eines Häftlings v. 25.6.1943<br />

(PA 10 G 88, Bl. 4, 8), zur Gefahr eigener Verfolgung Schreiben des DGB v.<br />

6.8.1945 betr. Verteidigungen vor dem VGH (PA 10 F 64, Bl. 13 R ) sowie der<br />

Nachweis, daß am 9.6.1937 das Hauptverfahren vor dem EG der RAK Naumburg<br />

eröffnet wurde (PA 10 T 55, BA Wiedergutmachung, Bl. 8). Zum bekannten<br />

Fall des Rechtsanwalts Gröpke in Hannover König (Fn. 5), S. 199 ff., Rüping,<br />

AnwBl 2002, 615, 618 f., Brand (Fn. 3), S. 171 ff.; allgemein Klein, Der<br />

Strafverteidiger im nationalsozialistischen Staat, 1996.<br />

68 Als Anfragen nach dem Ges. v. 24.4.1934 Art. IV § 3 S. 1, Art. III §§ 3 I, 4<br />

betr. Verfahren, die der VGH an das OLG abgegeben hat, z. B. die des OLG<br />

Hamm v. 20.5.1941 an den LGPr Hannover (m. abl. Antwort wegen eines anhängigen<br />

EG-Verfahrens in OLG Celle, PA 10 G 65, BA PA LG Hannover, Bl.<br />

119, 121) und die des OLG Kassel (m. abl. Stellungnahme der RAK wegen Beschwerden<br />

des SD, Archiv der RAK Celle, PA betr. RA H.).<br />

69 Vgl. die Wendungen in Beurteilungen durch den LGPr Hannover v. 11.12.1944<br />

(OLG Celle, PA 10 M 53, PB), LGPr Göttingen v. 7.3.1944 (PA 10 K 60, PB)<br />

und v. 13.4.1944 (PA 10 M 97, PB) sowie den LGPr Bückeburg v. 1.2.1944 (PA<br />

10 B 163, PB); zum neuen Modell des Strafverfahrens König (Fn. 5), S. 161 ff.,<br />

Rüping, AnwBl 2002, 615, 617.<br />

70 Bericht eines LGDir v. 25.9.1939 an den LGPr Hannover (OLG Celle, PA 10 K<br />

28, Bl. 84).<br />

71 Nach Abtrennung des LG-Bezirks Detmold gibt es 1944 im OLG-Bezirk nur<br />

noch 1 Notaranwalt (Bericht des OLGPr v. 2.2.1945 an den RMJ, Bundesarch.<br />

3001/792, o.P.).<br />

72 Rede Franks auf der Sitzung des Reichsfachgruppenrats Notare am 20.2.1936<br />

in DNotZ 1936, 143 ff.<br />

73 RNotO v. 13.2.1937 §§ 4, 15 I (RGBl 1937 I, 191 ff.); zum berufspolitischen<br />

Programm Wolpers (der spätere Präsident der Reichsnotarkammer) auf dem außerordentlichen<br />

Notartag am 28.5.1933 in DNotZ 1933, 320, 321.<br />

74 So bereits Seybold, DNotZ 1934, 502, 503, fortgeführt für das Dienststrafverfahren<br />

nach dem Maßstab des „gesunden Volksempfindens“ bei Wittland,<br />

Reichsdienststrafordnung, 2. Aufl. 1941, Anl. § 22 DBG Rz. 26.<br />

75 Schultze-v. Lasaulx, Geschichte des Hamburgischen Notariats, 1961, S. 126;<br />

auch Lerch in Arndt/Lerch/Sandkühler, Bundesnotarordnung, 5. Aufl. 2003,<br />

Einl. Rz. 11 klammert den politischen Gehalt der RNotO aus.<br />

76 Gauleitung Ost-Hannover v. 9.4.1941 an den OLGPr und Bestellung durch den<br />

RMJ am 21.5.1941 nach Ablehnung noch im Jahre 1939 (OLG Celle, PA 10 B<br />

148, Bl. 39, 40, 35).<br />

77 Als Beispiele Vermerk des OLGPr v. 9.6.1937 (OLG Celle, PA 10 M 13, Bl.<br />

137) und Entlassungsbescheid des RMJ v. 22.1.1936 (PA 10 R 34, Bl. 36);<br />

dazu Hamann (Fn. 40), S. 189 ff.<br />

78 Einzelschilderungen in einem Schreiben der RAK Celle v. 26.4.1956 an den<br />

OLGPr (OLG Celle, PA 10 D 27, Bd. 2 Bl. 83) sowie in Zulassungsgesuchen v.<br />

8.4.1949 (PA 10 L 76, Not. Bl. 3 R betr. die Vertretung einer katholischen Kirchengemeinde<br />

gegen den Staat), v. 4.4.1945 (PA 10 E 26, Not. Bl. 44 betr. frühere<br />

Zugehörigkeit zur SPD) und v. 24.8.1945 (PA 10 J 18, Not. Bl. 6 und PB,<br />

betr. frühere Zugehörigkeit zum Zentrum).<br />

79 So die Darstellung in einem Gesuch v. 28.8.1945 um Wiederbestellung als Notar<br />

(OLG Celle, PA 10 C 24, Bl. 120); daß ein Notar, obwohl Nichtparteigenosse,<br />

im Frühjahr 1933 seine Bestellung erhält, erwähnt er in seinem Lebenslauf<br />

aus dem Jahre 1945 (PA 10 H 134, Not. Bl. 6).<br />

80 Urteile der Dienststrafkammer v. 16.1.1937 und 14.7.1941 (OLG Celle, PA 10<br />

H 61, Bd. 1 Bl. 52 ff., 112 ff.); gemäß der allgemeinen Linie hält die RAK im<br />

Schreiben v. 31.8.1943 an den OLGPr die „Freigabe“ für den Arbeitseinsatz<br />

weder mit Rücksicht auf die Gesundheit noch die eigene Praxis für unzumutbar<br />

(aaO Bl. 133). Wie die Praxis den Umgang mit Juden im Dienststrafverfahren<br />

ahndet, zeigt RDStHE 2, 69 f.; 3, 51, 55.


AnwBl 12/2005 731<br />

Aufsätze MN<br />

nisteriellen Bescheid aber nicht die Kosten des Verfahrens<br />

und die für seine Verteidigung im brisanten zweiten Verfahren.<br />

81<br />

7. Widerstand<br />

Jenseits nachträglicher Behauptungen, sich schon früh<br />

„innerlich vom Nationalsozialismus losgesagt“ zu haben,<br />

und über unangepasstes Verhalten sowie Verweigerung hinaus<br />

haben Anwälte bei der Verteidigung gefährdeter Mandanten<br />

Zivilcourage bewiesen. Mut gehörte auch dazu, unter<br />

eigener Gefährdung Ausschreitungen gegenüber Juden<br />

oder die nationalsozialistische Weltanschauung öffentlich<br />

zu kritisieren. 82<br />

Wer weder in der Partei, einer Gliederung oder einem<br />

Verband ist, an seiner Ehe mit einer Jüdin festhält und zu<br />

ihrer Rettung untertaucht, gefährdet sich existenziell. 83<br />

Auch ein Angehöriger der Waffen-SS kann sein Bekenntnis,<br />

politisch und rassisch Verfolgten geholfen zu haben,<br />

plausibel machen: durch einen wahrheitswidrigen Vermerk,<br />

der Fall sei erledigt, rettet er einen wegen seiner Abstammung<br />

Gefährdeten. 84<br />

„Unbeugsamer Rechtssinn“ wird einem Rechtsanwalt<br />

und Notar über alle Jahrzehnte seines öffentlichen Wirkens,<br />

nach dem Krieg als Oberbürgermeister von Göttingen und<br />

Mitglied des Niedersächsischen Landtages, bescheinigt. Ihn<br />

kennzeichnen die Mitgliedschaft nur in NSRB und NSV,<br />

die Verweigerung des „deutschen Grußes“, der Vorwurf, in<br />

Liberalismus und Begriffsjurisprudenz zu wurzeln, sowie<br />

die Rüge, einer Jüdin durch „überspitzte Rechtsausführungen“<br />

Zugriff auf ihr zurückzulassendes Vermögen gesichert<br />

zu haben. 85<br />

Schließlich verdient in einer Anwaltsbiographie der Widerstand<br />

gegen beide totalitären Systeme auf deutschem<br />

Boden festgehalten zu werden. Zunächst im Nationalsozialismus,<br />

der den Betroffenen wegen einer körperlichen<br />

Missbildung mit Verfahren vor den Erbgesundheitsgerichten<br />

verfolgt, dann in der SBZ, als die Verteidigung eines<br />

Wirtschaftsstraftäters von der SED gelenkte Protestresolutionen<br />

provoziert und nur noch die Flucht in den Westen<br />

lässt. Als Symbol rein politischer Verfolgung im Dritten<br />

Reich benennt ihn die Anklage im Nürnberger Juristenprozess<br />

als Zeugen, den einzigen aus der gesamten SBZ. 86<br />

8. Der Prozess der Erinnerung<br />

Der normative Rahmen anwaltlicher Tätigkeit schafft<br />

nach 1945 zunächst keine Zäsur. Übergangsweise bis zur<br />

Wiedererrichtung der Kammern bleibt z. B. in Hessen die<br />

staatliche Dienstaufsicht. 87 In der zentralen Frage eines numerus<br />

clausus stimmen Justizverwaltung, Kammern und<br />

DAV überein, dass die Bedürfnisprüfung im Nationalsozialismus<br />

auch politisch motiviert war, jedoch jetzt mit Rücksicht<br />

auf das drängende Problem, zahllose Flüchtlingsanwälte<br />

unterzubringen, vorerst unverzichtbar und eine<br />

davon „freie“ Advokatur nur als Fernziel erscheint. 88<br />

Bekenntnisse zur Freiheit der Advokatur im Westen können<br />

sich nur vor diesem Hintergrund entfalten. 89 Wenn der<br />

Osten alle nominellen Mitglieder der NSDAP von einer Tätigkeit<br />

in der Justiz, damit auch der Rechtsanwaltschaft ausschließt,<br />

schafft die antifaschistische Grunderneuerung<br />

doch gleichzeitig Kontinuitäten, unter Rückgriff auf Positionen<br />

im Nationalsozialismus Anwälte als „Organe der<br />

Rechtspflege“ unter anderem ideologischen Vorzeichen<br />

jetzt für die SED zu vereinnahmen. 90<br />

Im Westen gelingt nur ganz zu Beginn, durch ihre Mitgliedschaft<br />

in der Partei belastete Anwälte fernzuhalten. 91<br />

Als Ergebnis der Entnazifizierung kehren Belastete und<br />

Verfolger zurück, während Unbelastete und Verfolgte<br />

Schwierigkeiten haben, Anerkennung zu finden. Ein Betroffener<br />

stellt 1947 mit Bitterkeit fest: „In Berlin konnte<br />

ich [1940] nicht Notar werden, weil ich kein Nazi war, und<br />

hier [in Bad Pyrmont] kann ich kein Notar werden, weil ich<br />

vor gewöhnlichen Nazis zurückstehen muss.“ 92<br />

Justizverwaltung und Kammer unterliegen nicht ausnahmslos,<br />

jedoch mit wachsendem zeitlichen Abstand zur<br />

nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend dem heilenden<br />

Einfluss der Zeit. Als sich die Kammer noch 1956 gegen<br />

die Zulassung eines Anwalts ausspricht, der unrichtige<br />

Angaben über seinen Eintritt in die Partei gemacht hat, hält<br />

der Oberlandesgerichtspräsident entgegen, man solle „unter<br />

die nur aus der turbulenten Nachkriegszeit zu verstehenden<br />

Verfehlungen einen Schlussstrich machen.“ 93<br />

In umgekehrter Verteilung der Rollen macht die Kammer<br />

die Vergangenheit eines Rechtsanwalts und SS-Obersturmführers<br />

mit ihren erheblichen Belastungen vergessen.<br />

1944 wegen unangemessener Honorarforderungen vom<br />

Kammerpräsidenten mit einer Strafverfügung belegt und<br />

des ungeachtet nach Charakter und politischer Führung<br />

81 Urteil der Dienststrafkammer v. 1.12.1948 und Bescheid des MJ v. 7.9.1949<br />

(PA aaO Bd. 1 Bl. 148, 153).<br />

82 Als Rechtsberater bei der Luftwaffe sucht der Anwalt zudem politische Taten<br />

möglichst abzuschwächen (eidesstattliche Versicherung v. 1.6.1946 in OLG<br />

Celle, PA 10 S 204, Bl. 2 R ). Zum Spielraum bei der Strafverteidigung Fn. 67<br />

und zur öffentlichen Kritik eines Notars an Ausschreitungen Fn. 80.<br />

83 Negative politische Beurteilung durch den LGPr Hannover v. 28.2.1945 im PB<br />

und Vermerk des OLGPr v. 3.4.1945 auf Grund einer Mitteilung der Gestapo,<br />

der Betroffene halte sich verborgen, in OLG Celle, PA 10 D 27, Bd. 2, PB sowie<br />

Bl. 40, dazu auch Fn. 59.<br />

84 „Erklärung über die politische Einstellung“ als Anh. zum Lebenslauf v.<br />

19.12.1948 sowie Erklärung des OLGVPr Celle v. 15.11.1948 betr. seinen geretteten<br />

Bruder in OLG Celle, PA 10 M 155, Bl. 11, 21.<br />

85 Negative Beurteilungen durch den LGPr Göttingen im Bericht v. 10.5.1938 an<br />

den OLGPr, im PB v. 13.4.1944 sowie Rüge v. 19.11.1943, dagegen Würdigung<br />

zum 80. Geburtstag im Göttinger Tageblatt v. 24.2.1958 (OLG Celle, PA 10 F<br />

34, Bl. 56, PB, Bl. 89, 176).<br />

86 Dazu Erklärung Ossip Flechtheims v. 2.2.1953 in OLG Celle, PA 10 S 272,<br />

Not. o.P., vgl. weiter das Schreiben des Vorsitzenden des Erbgesundheitsgerichts<br />

Erfurt v. 4.7.1939, die Erklärung des Kreisrats in Suhl v. 1.10.1948<br />

und die Protestresolutionen im Jahre 1948 aaO RA, Bl. 7, 12, 15-17.<br />

87 Anl. zur VO v. 10.3.1948 Nr. 24 f (HessGVOBl 1948, 71), bald darauf ausgeübt<br />

durch Dienststrafgerichte (VO v. 18.8.1948 Nr. 21, HessGVOBl 1948,<br />

98); Bayern übernimmt den anwaltlichen Probedienst (RAO v. 6.11.1946<br />

§§ 2a–f, BayGVOBl 1946, 371).<br />

88 Vermerk des PrRAK v. 3.10.1947 über eine Cheftagung am 27.10.1947 mit den<br />

Kammern und Oberlandesgerichten im Ministerium (Archiv der RAK, GA Zulassung<br />

allgemein [1945-1948], o.P.), Mitgliederversammlung des DAV am<br />

9.12.1950 (Prot. S. 5 im Archiv des DAV), anschaulich zur Lage der Anwaltschaft<br />

Paulsen, Schl.-Holst. Anz. 1949, 151, 152 f.; zur Kritik des numerus<br />

clausus als undemokratisch z. B. Schreiben eines RA v. 17.3.1947 an den<br />

OLGPr (OLG Celle, PA 10 W 105, Bl. 34 R ).<br />

89 Als Beispiele Eb. Schmidt, MDR 1948, 374, 381 und der Bericht von Alexander-Katz<br />

über den Anwaltstag 1949 in Coburg, DRZ 1949, 278 f.<br />

90 So der thüringische MJ Liebler, NJ 1950, 295 f.; zu den Verboten Ges. über<br />

den Erlass von Sühnemaßnahmen v. 11.11.1949 § 2 I mit Ausführungsbestimmungen<br />

v. 1.12.1949 § 2 IV 1 (GBl DDR 1949, 59, 91).<br />

91 Nach der Mitt. des OLGPr in JBl OLG Köln 1946, 15 sind damals im LG-Bezirk<br />

Köln 127, Aachen 32 und Bonn 27 Rechtsanwälte zugelassen; bezeichnend<br />

will der Zulassungsausschuss in Celle Parteigenossen nur solange nicht<br />

zulassen, wie Nichtparteigenossen abgelehnt werden müssen (Schreiben des<br />

PrRAK v. 4.1.1946 an den OLGPr, Archiv der RAK, GA Zulassung allgemein<br />

[1945-1948], o.P.).<br />

92 Schreiben v. 10.5.1947 an den OLGPr (OLG Celle, PA 10 H 133, Not. o.P.).<br />

93 Votum der RAK v. 1.3.1956 und Entwurf des Berichts des OLGPr an den MJ v.<br />

5.3.1956 in OLG Celle, PA 10 K 179, Bl. 19, 22 R . In einem weiteren Fall sieht<br />

sich die RAK in ihrem Votum, einen Bewerber wegen unwahrer Angaben im<br />

FB abzulehnen, durch das EG bestätigt (RAK v. 1.7.1953 und Urteil des EG v.<br />

1.12.1953 in OLG Celle, PA 10 B 282, Bl. 19, 29, 34).


732<br />

MN<br />

„ohne Bedenken“ beurteilt, 1948 im Entnazifizierungsverfahren<br />

wegen seiner Denunziationen als „der gefährlichste<br />

Nationalsozialist unter den hiesigen Anwälten“ charakterisiert,<br />

findet der Betroffene trotz deutlicher Zweifel der Justizverwaltung<br />

1962 „wärmste Unterstützung“ der Kammer<br />

für Glückwünsche zum Berufsjubiläum. 94<br />

Wenn Betroffene nachträglich ihre eigene Rolle im Nationalsozialismus<br />

beschönigen, beruht das häufig auf einer<br />

Amnesie wie einer Selbstamnestierung. 1934 erreicht ein<br />

Anwalt und Notar seine Zulassung, da er 1933 trotz formeller<br />

Zugehörigkeit zur SPD als Bürgermeister entlassen sei,<br />

jedoch durch Eintritt in Arbeitsdienst, SA und BNSDJ seinen<br />

Willen zur Mitarbeit gezeigt habe. Die Kammer hatte<br />

ihn abgelehnt und als „politischen Wandervogel“ bezeichnet,<br />

„der seine Anschauungen jeweils danach einrichtet,<br />

wie es seinem persönlichen Fortkommen förderlich ist.“<br />

Konsequent erreicht er 1945 seine Wiederbestellung als<br />

Notar mit der Begründung, die Partei habe ihn als Nichtparteigenossen<br />

aus dem Amt gedrängt und seine Ernennung<br />

zum Notar verhindert. 95<br />

Als sich 1946 ein chronisch Alkoholkranker als Rechtsanwalt<br />

ausgibt, vorspiegelt, in Vernichtungslager gebracht<br />

worden zu sein, Massentötungen miterlebt, Todgeweihte gerettet<br />

zu haben und als Folge seine Zulassung erreicht,<br />

spricht ihn das Landgericht 1954 wegen Schuldunfähigkeit<br />

vom Vorwurf des versuchten Betruges frei. Auch geistig<br />

Gesunde würden „mitunter eine Begebenheit aus den verschiedensten<br />

Anlässen so oft unwahr oder übertrieben erzählen,<br />

bis sich ihr Erinnerungsbild an die Begebenheit so<br />

verwischt hat, dass sie schließlich an die Richtigkeit ihrer<br />

Erzählung selbst glauben, ja von ihr überzeugt sind.“ 96 Die<br />

Flucht in eine „bequemere Wirklichkeit“ und der schließliche<br />

Glaube an die eigene, immer wieder erzählte Geschichte<br />

sind als allgemeine Phänomene bekannt. 97 Bezogen<br />

auf das Verhalten einer Berufselite im Nationalsozialismus,<br />

geben zeitgeschichtliche Detailuntersuchungen Aufschluss<br />

über Handlungsspielräume und Mitverantwortung, über den<br />

Grad der Anpassung und Verweigerung. Sie führen zu unbequemeren,<br />

dafür um so notwendigeren Einsichten.<br />

94 Strafverfügung v. 28.8.1944, Beurteilungen durch den LGPr Hannover im PB v.<br />

1.6.1944 und wegen des Verfahrens bereits zurückhaltender durch den OLGPr<br />

v. 4.7.1944 sowie Votum der RAK v. 5.3.1962 gegenüber dem OLGPr in OLG<br />

Celle, PA 10 B 34, 90 ff., PB, 121, Aussage des RA L. am 23.11.1948 im Entnazifizierungsverfahren<br />

in Nds. HStArch, Nds. 171 Hann. Nr. 24285, o.P.<br />

95 Zulassungsgesuch v. 15.11.1934, abl. Votum der RAK v. 5.1.1935 und Zulassungsgesuch<br />

v. 22.10.1945 in OLG Celle, PA 10 J 20, Bl. 1, 19, 44.<br />

96 Urteil des LG Bückeburg v. 9.2.1954 in OLG Celle, PA 10 W 117, Bl. 108,<br />

114 R .<br />

97 Primo Levi, Ist das ein Mensch?, 1988, S. 8.<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Lücken in der Auslandsdeckung<br />

der Berufshaftpflichtversicherung<br />

von<br />

Rechtsanwälten *<br />

Rechtsanwältin Dr. Brigitte Borgmann, München<br />

Aufsätze<br />

Haftpflichtansprüche mit Auslandsdeckung sind in der Berufshaftpflichtversicherung<br />

des Anwalts regelmäßig ausgeschlossen.<br />

Die Tücke steckt im Detail. Die Lücken sind<br />

versteckt – und können auch kleinere Kanzleien treffen.<br />

Der Beitrag gibt einen Überblick.<br />

1. Pflichtversicherung<br />

1.1 Grundsätzlicher Umfang<br />

Die Berufshaftpflichtversicherung der Anwälte ist seit<br />

dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte<br />

und der Patentanwälte vom 2.9.1994 1 eine Pflichtversicherung.<br />

Nach § 51 BRAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet,<br />

eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung<br />

der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren<br />

für Vermögensschäden abzuschließen und die Versicherung<br />

während der Dauer seiner Zulassung aufrecht zu<br />

erhalten. Der Versicherer muss im Inland zugelassen sein,<br />

seine Bedingungen muss er nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsgesetzes<br />

beim Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen<br />

eingereicht haben. Die Mindestversicherungssumme<br />

beträgt 250.000 E für jeden<br />

Versicherungsfall und kann auf den vierfachen Betrag innerhalb<br />

eines Versicherungsjahres begrenzt werden (§ 51<br />

Abs. 1 u. 3 BRAO).<br />

1.2 Ausnahmen bei vom Gesetzgeber nicht als typisch eingestufter<br />

Anwaltstätigkeit<br />

Internationale Anwaltszusammenschlüsse, Anwaltsniederlassungen<br />

im Ausland und die Beschäftigung mit außereuropäischem<br />

Recht erschienen dem Gesetzgeber der<br />

BRAO von 1994 als zu exotisch, um in die alle deutschen<br />

Rechtsanwälte treffende Pflichtversicherung der Rechtsanwälte<br />

aufgenommen zu werden 2 . § 51 Abs. 3 Ziff. 2–4<br />

BRAO sehen deshalb Ausnahmemöglichkeiten vor, denen<br />

die Berufshaftpflichtversicherer ausnahmslos gefolgt sind.<br />

Für die Ausschlüsse wird in aller Regel der Wortlaut des<br />

Gesetzes verwendet. Hieran kann und muss man sich folglich<br />

bei Auslegungsschwierigkeiten halten.<br />

1.3 Ausschlüsse in § 4 Ziff. 1 AVB<br />

Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sehen regelmäßig<br />

den Ausschluss von Haftpflichtansprüchen mit<br />

Auslandsbezug vor. War dies früher in den Allgemeinen<br />

* Der Beitrag beruht auf dem Vortrag der Autorin auf dem 56. Deutschen Anwaltstag<br />

am 5. Mai 2005 in Dresden in der Veranstaltung der AG Versicherungsrecht<br />

im DAV.<br />

1 BGBl I 2278.<br />

2 BT-Drucks. 12/4993, 31.


AnwBl 12/2005 733<br />

Aufsätze MN<br />

Versicherungsbedingungen geregelt, so ist heute – zumindest<br />

in dem mir vorliegenden neuesten Bedingungswerk der<br />

Allianz (AVB-RSW gültig seit 1.1.2003) – die spezielle Regelung<br />

für die jeweiligen rechtsberatenden Berufe: Rechtsanwälte,<br />

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, in angefügten besonderen<br />

Bedingungen enthalten.<br />

Danach sind nach den Bedingungen für Rechtsanwälte<br />

und Patentanwälte (BBR-RA Nr. 2.1.) nicht versichert Haftpflichtansprüche<br />

aus Tätigkeiten<br />

9 über in anderen Staaten eingerichtete oder unterhaltene<br />

Kanzleien oder Büros,<br />

9 im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung<br />

mit außereuropäischem Recht,<br />

9 des Rechtsanwalts vor außereuropäischen Gerichten.<br />

1.4 Inanspruchnahme des Anwalts vor außereuropäischen<br />

Gerichten<br />

Nicht aus § 51 BRAO stammt hingegen eine auf die Mindestversicherungssumme<br />

– also 250.000 E – beschränkte Deckung<br />

bei Inanspruchnahme des Anwalts vor außereuropäischen<br />

Gerichten. Die BRAO verpflichtet den Anwalt<br />

jedoch nicht nur zum Abschluss eines Versicherungsvertrages<br />

mit der Mindestversicherungssumme – dies ist Voraussetzung<br />

für seine Zulassung als Rechtsanwalt in Deutschland<br />

gem. §§ 51 Abs. 3, 12 Abs. 2, 14 Abs. 2 Ziff. 9 BRAO<br />

–, sondern dazu, eine Berufshaftpflicht zur Deckung der<br />

sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren<br />

für Vermögensschäden abzuschließen (§ 51 Abs. 1 S. 1<br />

BRAO). Wer sich also unversehens einer Klage in Amerika<br />

ausgesetzt sieht, obwohl er nur in Deutschland über deutsches<br />

Recht beraten hat, mag sich fragen, ob sein Deckungsschutz<br />

zu Recht auf die Mindestversicherungssumme<br />

beschränkt ist, wenn er ansonsten eine seiner<br />

Berufstätigkeit angemessene höhere Versicherungssumme<br />

gewählt hat. Immerhin ist diese Bedingung bereits nachgebessert<br />

worden. In früheren Bedingungswerken gab es –<br />

wie es in der Standarddeckung der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer<br />

immer noch ist – überhaupt keinen Deckungsschutz<br />

bei Inanspruchnahme vor außereuropäischen Gerichten.<br />

Ein solcher Ausschluss ist für Rechtsanwälte jedoch<br />

angesichts der abschließenden Regelungen des § 51 Abs. 3<br />

BRAO nicht möglich3 . Knappmann/Voit vertreten – soweit<br />

ersichtlich als Einzige – im Kommentar von Prölss/Martin<br />

zum VVG4 die Auffassung, der Ausschluss von Ansprüchen,<br />

„welche vor ausländischen Gerichten geltend gemacht<br />

werden“, könne vernünftigerweise nicht nach Art einer<br />

auflösenden Bedingung dahin verstanden werden, dass<br />

der Versicherer Ansprüche so lange abzuwehren oder zu<br />

befriedigen habe, wie sie nicht vor einem ausländischen<br />

Gericht geltend gemacht würden, dass er aber frei werde,<br />

sobald das geschähe. Nach Sinn und Zweck erkennen die<br />

genannten Autoren hier nur eine fehlende Kostenerstattungspflicht<br />

für die Kosten des ausländischen Prozesses als<br />

gegeben und sie sehen den Versicherer an das ausländische<br />

Urteil nicht gebunden. Man mag das für diskussionswürdig<br />

halten. Angesichts der strikten Ausschlüsse für ausländisches<br />

Recht und der auf den europäischen Rechtsraum<br />

beschränkten Wiedereinschlüsse bei den anderen Berufsgruppen<br />

und angesichts der expliziten Beschränkung auf<br />

die Mindestversicherungssumme bei Rechtsanwälten erscheint<br />

eine solche Deutung kühn und die Heranziehung<br />

der Vernunft gegen den unmissverständlich zum Ausdruck<br />

gekommenen Willen der Versicherer eine gewagte Aus-<br />

legungsmethode, auch wenn das Reichsgericht sie grundsätzlich<br />

für die Auslegung von AVB anerkannt hat.<br />

Man kann festhalten, dass es hier Deckungslücken gibt,<br />

ob sie einer Inhaltsprüfung stand halten und ob sie, zumindest<br />

bei Rechtsanwälten, unter Umständen dem Verdikt der<br />

überraschenden Klausel anheim fallen, mag dahingestellt<br />

bleiben.<br />

1.5 Risikoausschlüsse<br />

Unbestritten ist, dass es sich bei den vorgenannten Ausschlüssen<br />

um echte Risikoausschlüsse und nicht um verhüllte<br />

Obliegenheiten handelt. Sie sind strikt auszulegen.<br />

Umkehrschlüsse sind deshalb erlaubt: Was nicht ausgeschlossen<br />

ist, ist grundsätzlich eingeschlossen und vom<br />

Versicherungsschutz umfasst.<br />

1.5.1 So z.B. die Tätigkeit eines deutschen Anwalts mit<br />

Büro in Brüssel, der seinen ausländischen Mandanten nicht<br />

von seinem Brüsseler Büro aus, sondern von seinem Büro<br />

in Aachen aus oder in einer Hotelsuite in Paris berät. Hier<br />

besteht Deckungsschutz, wenn keine anderweitigen Ausschlüsse<br />

greifen, weil die Beratung nicht über das ausländische<br />

Büro erfolgt ist.<br />

1.5.2 Und was ist, wenn der Anwalt nicht bemerkt, dass<br />

entgegen dem Wortlaut des Vertrages, den er für seinen<br />

Mandanten kündigen soll, amerikanisches Recht zum Zuge<br />

kommt? In der Ausschlussklausel der Ziff. 2b BBR-RA<br />

sind ausgeschlossen Haftpflichtansprüche aus Tätigkeiten<br />

in Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit<br />

außereuropäischem Recht. Hat sich dieser Zusammenhang<br />

dem Blick des deutschen Anwalts entzogen, etwa weil der<br />

Vertrag unter Kaufleuten die Anwendung deutschen Rechts<br />

und die Wahl eines deutschen Gerichtsstands vorsah, so<br />

muss also Deckung gewährt werden. Dies auch dann, wenn<br />

sich überraschenderweise herausstellt, dass ein Richter in<br />

Amerika genügend Anhaltspunkte dafür findet, seine Zuständigkeit<br />

zu bejahen und das Recht dieses Staates weder<br />

Prorogation noch Rechtswahl anerkennt. Da in Wahrheit<br />

eine Beschäftigung mit außereuropäischem Recht im wörtlichen<br />

Sinne durch den Anwalt nicht stattgefunden hat,<br />

muss Deckung nach Ziff. 2.1b BBR-RA gewährt werden.<br />

Anders lesen sich die Ausschlüsse für Steuerberater und<br />

Wirtschaftsprüfer, nach denen sich der Ausschluss an Verletzung<br />

oder Nichtbeachtung ausländischen Rechts knüpft.<br />

Die Nichtbeachtung eines fremden Rechts ist grundsätzlich<br />

etwas anderes als die Beschäftigung damit und die Beratung<br />

darüber. Die unterschiedliche Wortwahl ist, ebenso<br />

wie sonstige Deckungsunterschiede zwischen der Pflichtversicherung<br />

der Wirtschaftsprüfer, der Steuerberater und<br />

der Rechtsanwälte, vor allem historisch bedingt und auf die<br />

unterschiedlichen Vorgaben des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers<br />

zurückzuführen (§ 51 BRAO; § 4 WPBHV = Wirtschaftsprüfer-Berufshaftpflichtversicherungsverordnung;<br />

§ 53 DVStB = Verordnung zur Durchführung der Vorschriften<br />

über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften).<br />

Ob man mit unterschiedlichen Auslegungsmethoden<br />

zu einem gleichen Deckungsergebnis für<br />

alle Versichertengruppen bei Verkennung der Anwendbarkeit<br />

eines ausländischen Rechts käme, kann ich nicht voraussehen.<br />

3 Martin van Bühren, Die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte, Diss.<br />

Bonn 2003, S. 130, unter Berufung auf Brieske, Berufshaftpflichtversicherungen,<br />

AnwBl 1995, 225/229.<br />

4 27. Aufl. 2004, Rz. 2 zu § 4 AVG Vermögen/WB.


734<br />

MN<br />

1.6 Deckungserweiterung<br />

Eine rechtzeitige Deckungserweiterung oder zumindest<br />

Klarstellung des Deckungsumfangs erscheint daher für Anwälte,<br />

die in internationale Bereiche vordringen wollen, angebracht.<br />

Man kann zu Gunsten des Versicherungsnehmers<br />

den Deckungsumfang nach dessen Bedürfnissen gestalten.<br />

Es sei noch erwähnt, dass im Bedingungswerk der Allianz<br />

für Notare das Problem erkannt und (§ 4 Ziff. 1, 2. Hs.) wie<br />

oben von mir für richtig gehalten gelöst wurde. Es heißt<br />

dort: „Es sei denn, dass die Amtspflichtverletzung darin besteht,<br />

dass die Möglichkeit der Anwendbarkeit dieses<br />

Rechts nicht erkannt wurde“.<br />

2.Von den Ausschlüssen betroffen ist:<br />

2.1 Der Einzelanwalt<br />

Nicht nur weltweit operierende Sozietäten, auch Einzelanwälte<br />

können von Deckungslücken betroffen sein: Zwei<br />

Türken werden in Deutschland nach türkischem Recht geschieden<br />

– das zählt glücklicherweise zum eingeschlossenen<br />

europäischen Bereich. Aber für zwei in Deutschland lebende<br />

Japaner, Koreaner, Amerikaner, kann durchaus<br />

außereuropäisches IPR und Scheidungs- sowie Eherecht in<br />

Frage kommen, auch wenn der Gerichtsstand in Deutschland<br />

liegt.<br />

Vorsorge sollte dafür getroffen werden, dass wenigstens<br />

für den Anwaltsvertrag deutsches Recht angewendet wird<br />

und ein deutscher Gerichtsstand besteht. Das ist nicht unbedingt<br />

selbstverständlich bei Sachverhalten mit Auslandsbezug.<br />

Bei Verträgen mit Verbrauchern gibt es durch die komplizierte<br />

Vorschrift des Art. 29 EGBGB – von dem man<br />

noch immer nicht weiß, ob er für Anwälte gilt, aber er gilt<br />

jedenfalls für Dienstleistungen – Einschränkungen, die dahin<br />

zielen, dem Verbraucher, also dem Mandanten, den<br />

Schutz des Rechtes seines gewöhnlichen Aufenthalts nicht<br />

zu entziehen. Bei der Gerichtsstandsvereinbarung ist<br />

Art. 17 EuGVO zu beachten, der die Wahl des deutschen<br />

Gerichtsstandes – jedenfalls bei gewöhnlichem Aufenthalt<br />

von Anwalt und Mandant in Deutschland – nicht verhindert.<br />

Art. 27 EGBGB erlaubt im Übrigen die freie Rechtswahl,<br />

während Art. 28 EGBGB nur auf Umwegen zu dem<br />

erstrebten Ziel führt 5 .<br />

2.2 Rein inländische Anwaltssozietäten<br />

Rein inländische Anwaltssozietäten stehen vor dem selben<br />

Problem wie Einzelanwälte und sind durch die Rechtsprechung<br />

des II. Zivilsenats des BGH 6 mit der grundsätzlich<br />

akzessorischen Haftung beschwert. Die gesamtschuldnerische<br />

Haftung war allerdings bereits seit der BGH-Entscheidung<br />

vom 6.7.1971 7 anerkannt. Neu und noch nicht durch<br />

den für die Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenat bestätigt<br />

ist die Haftung neu eintretender Gesellschafter in eine<br />

BGB-Gesellschaft für bereits entstandene Haftpflichtansprüche<br />

in analoger Anwendung des § 130 HGB. Das Urteil des<br />

2. Zivilsenats vom 7.4.2003 8 lässt die Frage für den Bereich<br />

der Berufshaftpflicht offen, weil auch andere analoge Anknüpfungsmöglichkeiten<br />

bestehen, wobei vor allem auf § 8<br />

Abs. 2 PartGG abgestellt ist, d.h. auf die dort normierte alleinige<br />

Handelnden-Haftung bei Berufsversehen.<br />

2.3 Interprofessionellen Sozietäten<br />

In interprofessionellen Sozietäten dürfen nach § 59a<br />

BRAO Patentanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte,<br />

AnwBl 12 /2005<br />

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Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer mit Rechtsanwälten<br />

zusammenarbeiten.<br />

2.3.1 Haftung<br />

Bis zu den Entscheidungen des BGH zur relativen<br />

Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft hatte sich die Rechtsprechung<br />

bei interprofessionellen Sozietäten damit beholfen,<br />

dass der Anwaltsvertrag als nur mit denjenigen Mitgliedern<br />

der Sozietät abgeschlossen galt, die rechtlich in<br />

der Lage und befugt waren, den Vertrag durchzuführen9 .In<br />

dem Vertrag über eine zivilrechtliche Rechtsberatung ohne<br />

steuerrechtliche Aspekte waren die assoziierten Steuerberater<br />

also gar nicht Vertragspartner. Mit der Rechtsprechung<br />

des II. Zivilsenats hat sich dies geändert. Vertragspartner ist<br />

jetzt die Sozietät. Die vertragsrechtliche Haftung der Sozien<br />

ist durch eine analog zu den §§ 128 ff HGB gebildete<br />

gesetzliche Haftung abgelöst worden. Die Frage, ob die<br />

nicht zur Beratung befugten interprofessionellen Sozien<br />

jetzt akzessorisch mithaften oder nicht, ist offen. Canaris<br />

hält in seinem Plädoyer „Die Übertragung des Regelungsmodells<br />

der §§ 125–130 HGB auf die Gesellschaft bürgerlichen<br />

Rechts als unzulässige Rechtsfortbildung contra legem“<br />

10 eine substanzielle, d.h. materiell begründende<br />

Ausweitung der Akzessorietät auf neue Tatbestände nicht<br />

für zulässig. Auch Beuthien11 erkennt, dass die Akzessorietät<br />

an und für sich keinen selbstständigen Haftungsgrund<br />

bildet. Der Sozius einer interprofessionellen Sozietät nach<br />

bürgerlichem Recht befindet sich auf schwankendem Boden<br />

und tut gut daran, eine Haftungskonzentration auf die namentlich<br />

zu benennenden Berufsträger, die das Mandat ausführen<br />

sollen, zu vereinbaren. Wie schon angesprochen, unterscheiden<br />

sich die besonderen Bedingungen für<br />

Rechtsanwälte von denen für Steuerberater und denen für<br />

Wirtschaftsprüfer in einigen Punkten. Dazu gehört z. B. der<br />

nur für Anwälte bestehende Schutz für Auszahlungsfehler<br />

bei Anderkonten. Dazu gehören aber auch viele Bereiche<br />

der Auslandsdeckung12 .<br />

2.3.2 Deckungsschutz<br />

Für den Deckungsschutz kann maßgeblich sein, ob eine<br />

Inanspruchnahme als Gesamtschuldner erfolgt. Der Versicherer<br />

ist dann zumindest zur Abwehr verpflichtet. Die<br />

davon unabhängige Durchschnittsleistung im Versicherungsfall<br />

bezieht sich nach den AVB – jedenfalls denen der<br />

Allianz – nur auf Berufsangehörige. Das ergibt sich aus<br />

der Verweisung des § 12 AVB auf § 1 III AVB, wo Sozien<br />

im Sinne dieser Bedingungen als Berufsangehörige, die ihren<br />

Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, definiert<br />

werden. Berufsangehörige sind aber nur entweder<br />

deutsche Rechtsanwälte oder Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer.<br />

Eine Zugunsten-Versicherung der am Verstoß<br />

nicht beteiligten Sozien außerhalb der betroffenen Berufsgruppe<br />

gibt es nicht. Das bedeutet: Bei einer Inanspruchnahme<br />

wird Deckung nur nach der jeweiligen Einzelpolice<br />

gewährt. Folglich bedarf es einer Interpretation, nach welcher<br />

Police Deckung zu gewähren ist. Die Allianz hat dies<br />

5 Vgl. hierzu eingehend Lindner, AnwBl 2003, 227 ff.<br />

6 NJW 2001, 1056.<br />

7 NJW 1971, 1801.<br />

8 NJW 2003, 1803.<br />

9 BGH NJW 2000, 1333.<br />

10 ZGR 2004, 69 ff.<br />

11 NJW 2005, 855.<br />

12 S. u. 2.5.


AnwBl 12/2005 735<br />

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durch besondere Vereinbarungen (HV 929/17) gelöst. Geregelt<br />

ist, welchem der Sozien unterschiedlicher Profession<br />

der Versicherungsfall zugerechnet wird, und für den Fall,<br />

dass mehrere Sozien mit unterschiedlichen Bedingungen<br />

betroffen sind, wird eine an § 12 AVB angelehnte Durchschnittsleistung<br />

anvisiert. Ein Sozius mit Mehrfachqualifikationen<br />

erhält Deckung nach dem Bedingungswerk, nach<br />

dem der Versicherungsfall gedeckt ist.<br />

Hat ein Versicherer die gesamte Sozietät einheitlich<br />

nach dem selben Regelwerk versichert, so ist evident, dass<br />

der Versicherungsschutz angesichts der unterschiedlichen<br />

Vorgaben für die einzelnen Berufsträger von der jeweiligen<br />

Pflichtversicherung abweichen muss. Die Versicherung<br />

muss sich dann einheitlich nach den strengsten Bedingungen<br />

richten und darf nur die geringst möglichen Ausschlüsse<br />

vorsehen. Der Summe nach muss die Mindestversicherungssumme<br />

des Berufsträgers mit der höchsten<br />

Mindestpflichtversicherungssumme erreicht werden. Es ist<br />

aber genau so möglich, eine Sozietät nach Maßgabe des für<br />

die einzelnen Sozien unterschiedlicher Berufsgruppen jeweils<br />

notwendigen Mindestversicherungsschutzes zu versichern.<br />

2.4 Internationale Sozietäten<br />

Internationale Sozietäten haben notwendigerweise mit<br />

dem Recht verschiedener Staaten zu tun. Zu beachten ist,<br />

dass hier immer der Ausschluss des 2.1 a BBR-RA gilt,<br />

nach der Standarddeckung also die Tätigkeit über in anderen<br />

Staaten auch in europäischen – eingerichtete oder unterhaltene<br />

Kanzleien oder Büros nicht versichert ist.<br />

2.4.1 Der deutsche Anwalt, der in einer Salzburger Sozietät<br />

auftritt und von dort aus berät – auch wenn es im deutschen<br />

Recht ist -, hat nach der Standardpolice keinen Deckungsschutz.<br />

Sehr fraglich ist, ob er ihn über die Kanzlei<br />

der Salzburger Kollegen hat. Das wäre von dort aus zu prüfen<br />

und sollte möglichst vor Übernahme einer Beratung geschehen.<br />

Solange er als deutscher Anwalt im Ausland auftritt,<br />

muss er seine deutsche Pflichtversicherung nach § 51<br />

BRAO aufrecht erhalten, weil er ansonsten seine Zulassung<br />

als Anwalt verliert. Das gilt auch, wenn er seine Beratungstätigkeit<br />

grundsätzlich nur von seiner ausländischen Kanzlei<br />

aus ausübt. Diese gewährt ihm jedoch für die oben erwähnte<br />

Tätigkeit vom Salzburger Büro aus keine Deckung.<br />

2.4.2 Ob der deutsche Versicherer ihm nach Salzburg<br />

oder sonst ins Ausland folgen und ihn also gegen die dortigen<br />

Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden versichern<br />

kann, hängt einmal davon ab, ob das betreffende Land die<br />

Tätigkeit ausländischer Versicherer für diese Versicherungssparte<br />

überhaupt zulässt und zum anderen davon, ob sein<br />

Versicherer in diesem Land für die entsprechende Sparte<br />

eine Zulassung hat. In Ländern, in denen ausländische Versicherer<br />

nicht zugelassen sind – sog. Non-Admitted-Länder<br />

– muss für Versicherungsschutz vor Ort gesorgt werden.<br />

Im Bereich der EU scheint es kein Problem zu sein, für<br />

die Berufshaftpflichtversicherung im Ausland zugelassen<br />

zu werden. Die Versicherung „vor Ort“ kann aber schon<br />

deshalb praktikabel sein, weil der dortige Versicherer im<br />

Haftungsfall mit dem Recht seines Landes besser umgehen<br />

kann.<br />

Mit unterschiedlichen Bedingungen muss dann freilich<br />

gerechnet werden. Ein ausländischer Anwalt, der sich in<br />

Deutschland niederlässt, und der nach §§ 206f., 51 BRAO<br />

Deckungsschutz haben muss, ist deshalb gem. § 7 EuRAG<br />

gehalten nachzuweisen, dass seine Versicherung der in § 51<br />

BRAO Beschriebenen gleichwertig ist. Sofern es daran<br />

fehlt, muss er eine DIC-Zusatzversicherung abschließen<br />

(Difference-In-Conditions). Der deutsche Rechtsanwalt mit<br />

ausländischer Niederlassung kommt damit nur aus, wenn er<br />

seine Standardpolice auf die Tätigkeit vom ausländischen<br />

Standort aus erweitert hat. Das Problem, dass bisher die<br />

DIC-Policen, soviel ich weiß, bei den Zulassungsbehörde<br />

noch nicht allgemein anerkannt sind und dass auch noch<br />

keine auf dem Markt sind, ist ein anderes.<br />

2.4.3 Von der Deckung unterschieden werden muss die<br />

Frage der Haftung der internationalen Sozietät. Hier ist so<br />

gut wie alles ungeklärt. Viel kommt auf die Gesellschaftsform<br />

an, die aber meist nicht aus Haftungsgründen gewählt<br />

wird, sondern aus ganz anderen Erwägungen, wie der steuerlich<br />

günstigsten Art für Pensionsrückstellungen13 . Sogar<br />

in Deutschland gibt es Gesellschaftsformen mit gesetzlicher<br />

Haftungsbeschränkung, nämlich die Partnerschaftsgesellschaft.<br />

Sie hat sich aber trotz ihrer Vorzüge, insbesondere<br />

der haftungsrechtlichen Privilegierung und Haftungsbeschränkung<br />

auf den handelnden Anwalt, immer noch<br />

nicht durchgesetzt. Für Haftung nach allen Seiten offen ist<br />

die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der fast immer<br />

noch fast alle Anwälte in Deutschland organisiert sind. Bei<br />

internationalen Sozietäten ohne gesetzliche Haftungsbeschränkung<br />

muss ebenso mit voller gesamtschuldnerischer<br />

Haftung gerechnet werden.<br />

Die Wahl einer Gesellschaftsform mit gesetzlichen Haftungsbeschränkungen<br />

ist jedoch im Ausland verbreiteter als<br />

bei uns. Ob gesellschaftsrechtlich eine Handelnden-Haftung<br />

und gleichzeitig eine Haftungsprivilegierung für die übrigen<br />

Gesellschafter besteht, hängt jedoch vom jeweils geltenden<br />

Recht ab. Selbst in den USA sind einzelne Bundesländer<br />

in der Ausgestaltung der Rechte und Pflichten<br />

unterschiedlich. Eine LLC (Limited Liability Company)<br />

und eine LLP (Limited Liability Partnership) führt nicht in<br />

jedem Bundesstaat zu dem selben Haftungsregime14 . Der<br />

Modelcode in den USA für alle freien Berufe geht jedoch<br />

von der Unverzichtbarkeit der persönlichen Haftung des<br />

Anwalts für seine eigenen Fehler aus.<br />

Für die einzelnen europäischen Länder kann ich diese<br />

Frage hier nicht vertiefen. Deckung besteht, sofern die internationalen<br />

Teile der internationalen Sozietät auf Grund<br />

der Vereinbarung mit gedeckt sind, für die Beratung im Bereich<br />

Europas und für die Tätigkeit vor den Gerichten Europas,<br />

für weitere Beratungstätigkeit nur auf Grund besonderer<br />

Vereinbarung.<br />

Für außereuropäische Länder sind besondere Einschlüsse<br />

notwendig, wenn Deckung bestehen soll: Für die<br />

Beratung von dortigen Kanzleien aus ebenso wie für die<br />

Beratung in außereuropäischem Recht und für das Auftreten<br />

vor einem Gericht oder einer Behörde außerhalb Europas.<br />

Versicherer prüfen dabei in der Regel auch das subjektive<br />

Risiko ihrer Versicherungsnehmer.<br />

2.5 Internationale interprofessionelle Sozietäten<br />

Internationale interprofessionelle Sozietäten sind nicht<br />

überall erlaubt. In Amerika wurde zwar diskutiert, ob man<br />

sie zulassen sollte15 . Seit dem Arthur Anderson Skandal<br />

sind sie jedoch durch die Sarbanes Oxley Gesetze ausdrücklich<br />

verboten worden. Fast könnte man sagen: glück-<br />

13 Henssler, AnwBl 2002, 557, 564.<br />

14 Vgl. Henssler, AnwBl 2002, 557 ff., 564.<br />

15 Henssler, AnwBl 2002, 565.


736<br />

MN<br />

licherweise, denn nirgends sind die Bedingungen der verschiedenen<br />

Professionen so unterschiedlich wie bei der<br />

Auslandsdeckung.<br />

Sehen wir einmal von der überall gleichermaßen fehlenden<br />

Deckung bei der Beratung über ausländische (auch europäische)<br />

Niederlassungen, Beratungsstellen und Zweigstellen<br />

ab, so finden sich weitere Unterschiede im<br />

Bedingungswerk:<br />

2.5.1 Unterschiede der Deckung bei Inanspruchnahme<br />

vor ausländischen Gerichten<br />

9 Die Inanspruchnahme vor ausländischen Gerichten ist<br />

bei Rechtsanwälten in voller Höhe gedeckt, sofern es<br />

sich um europäische Gerichte handelt, in Höhe der Mindestversicherungssumme<br />

bei außereuropäischen Gerichten.<br />

9 Beim Steuerberater gibt es zunächst einen vollen Ausschluss<br />

für alle ausländischen Verfahren und Vollstreckungstitel<br />

gegen ihn, der für Europa modifiziert, aber<br />

auf die Mindestversicherungssumme beschränkt wird.<br />

9 Die Wirtschaftsprüferbedingungen haben zunächst den<br />

selben generellen Ausschluss, der jedoch für das europäische<br />

Ausland einschließlich der Türkei, der Staaten auf<br />

dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion einschließlich<br />

Litauen, Lettland und Estland, wieder zurückgenommen<br />

wird. Insoweit besteht hier volle Deckung.<br />

2.5.2 Für Beratung im außereuropäischen Recht haben<br />

9 Rechtsanwälte nach der Standardpolice keine Deckung,<br />

9 Steuerberater haben Deckung für geschäftsmäßige Hilfeleistung<br />

in Steuersachen weltweit, soweit das Versehen<br />

das Abgabenrecht des fremden Staates betrifft, und –<br />

weitere Voraussetzung – dem Beratungsvertrag deutsches<br />

Recht zu Grunde liegt. Der weltweite Schutz ist auf die<br />

Mindestversicherungssumme beschränkt. Die Beschränkung<br />

auf die Mindestversicherungssumme bezieht sich<br />

auch auf die Beratung im Recht der europäischen Staaten.<br />

Hier ist aber nicht Voraussetzung, dass dem Auftrag<br />

deutsches Recht zu Grunde liegt.<br />

9 Wirtschaftsprüfer haben europaweit unbeschränkte Deckung<br />

im Rahmen der gewählten Deckungssumme. Weltweite<br />

Deckung besteht darüber hinaus für betriebswirtschaftliche<br />

Prüfungstätigkeit und geschäftsmäßige Hilfe<br />

in Steuersachen für die Verletzung des Abgabenrechts<br />

außereuropäischer Länder, sofern dem Auftrag deutsches<br />

Recht zu Grunde gelegt ist. Hier beschränkt sich die Deckung<br />

auf die Mindestversicherungssumme.<br />

Es muss dazu gesagt werden, dass Steuerberater und<br />

Wirtschaftsprüfer zwar Deckung bei Verletzung des Abgabenrechts<br />

der außereuropäischen Staaten haben, während<br />

andere rechtliche Fehler nicht weltweit gedeckt sind, sondern<br />

nur europaweit.<br />

International tätige interprofessionelle Sozietäten haben<br />

also, wie aufgezeigt, besondere versicherungsrechtliche Deckungsprobleme,<br />

die sie tunlichst vor Aufnahme ihrer Tätigkeit<br />

oder vor Zusammenschluss mit ihrem Versicherer<br />

oder ihren jeweiligen Versicherern regeln sollten.<br />

2.6 Kooperationen<br />

Kooperationen und mit ihnen internationale Kooperationen<br />

bieten keine besonderen Deckungsprobleme, sofern sie<br />

sich deutlich als solche, also nur als Netzwerke zur Akquisition<br />

von Mandanten erkennen lassen. Wenn sie sich wie<br />

Sozietäten gerieren, was vor allem in der Gestaltung des<br />

Briefkopfs zum Ausdruck kommt, und deshalb in die Ge-<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

fahr geraten, als Sozietät angesehen zu werden, können die<br />

Haftungsprobleme allerdings erheblich werden, vor allem,<br />

weil eine solche – an sich nicht beabsichtigte – Sozietät nur<br />

als Gesellschaft mit gesamtschuldnerischer Haftung verstanden<br />

werden kann. Eine Haftungsbeschränkung durch<br />

Wahl einer Gesellschaftsform hat es ja gerade nicht gegeben.<br />

2.7 EWIV<br />

Die EWIV, das ist die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung,<br />

in der sich die Anwälte zusammenschließen<br />

können, übt selbst keine Anwaltsberufstätigkeit<br />

aus, ist nicht zur Rechtsberatung zugelassen, also selbst<br />

kein Berufsträger, und bietet insoweit haftungsrechtlich keinerlei<br />

Probleme.<br />

3. Zusammenfassung<br />

Der deutsche Anwalt: Wo hat er Standarddeckung nach<br />

den Bedingungen der Pflichtversicherung, wo nicht?<br />

3.1 Hat er ausschließlich ein inländisches Büro, so hat<br />

er jedenfalls vollen Versicherungsschutz für<br />

3.1.1 Tätigkeit im europäischen Ausland,<br />

3.1.2 Beratung im europäischen Recht,<br />

3.1.3 Tätigkeit vor europäischen Gerichten und Behörden,<br />

3.1.4 Inanspruchnahme vor europäischen Gerichten.<br />

3.2 Er hat – auch, wenn er kein ausländisches Büro hat<br />

– keine Deckung für<br />

3.2.1 Tätigkeit im außereuropäischen Ausland,<br />

3.2.2 Beratung im außereuropäischen Recht,<br />

3.2.3 Tätigkeit vor außereuropäischen Gerichten und Behörden.<br />

3.2.4 Bei Inanspruchnahme vor außereuropäischen Gerichten<br />

ist sein Deckungsschutz beschränkt auf die Mindestversicherungssumme.<br />

3.2.5 Er benötigt individuellen Deckungsschutz vom inländischen<br />

bzw. ausländischen Versicherer.<br />

3.3 Hat der Anwalt eine Kanzlei im Ausland, so besteht<br />

keine Deckung<br />

3.3.1 bei Tätigkeit über seine Kanzlei im Ausland, auch<br />

nicht im europäischen Ausland.<br />

3.3.2 Es besteht aber Deckung für Tätigkeit im europäischen<br />

Ausland, die nicht über die ausländische Kanzlei<br />

erfolgt, für Beratung im deutschen und im europäischen<br />

Recht.<br />

3.3.3 Individueller Deckungsschutz vom inländischen/ausländischen<br />

Versicherer ist stets notwendig.<br />

3.4 Zusammenarbeit mit ausländischen Anwälten: Arbeitet<br />

der Anwalt mit ausländischen Anwälten zusammen, so gibt<br />

es für die Haftung und Deckung unterschiedliche Konzepte.<br />

Bei Heranziehung eines ausländischen Anwalts durch den<br />

Mandanten selbst zur Beantwortung einer speziellen Frage<br />

des ausländischen Rechts kann sich die Haftung des deutschen<br />

Anwalts unter Umständen darauf beschränken, dass<br />

er überprüft, ob der ausländische Anwalt alle wesentlichen<br />

Fragen seines Heimatrechts behandelt hat 16 . Der deutsche<br />

Anwalt haftet dann nur für eigene Fehler seiner Überprüfungstätigkeit.<br />

Man muss sich fragen, ob insoweit eine Beschäftigung<br />

oder Beratung mit ausländischem Recht über-<br />

16 BGH NJW 1972, 1044.


AnwBl 12/2005 737<br />

Aufsätze MN<br />

haupt erfolgt. Meines Erachtens ja. Hat nicht der Mandant,<br />

sondern der Anwalt im Innenverhältnis den ausländischen<br />

Rechtsanwalt herangezogen, um dann den Mandanten<br />

selbst zu beraten, so wird er für Fehler des ausländischen<br />

Anwalts im Rahmen des § 278 BGB haften. Deckungsprobleme<br />

bestehen dann, wenn es sich um außereuropäisches<br />

Recht handelt.<br />

Dass die Zusammenarbeit mit ausländischen Sozien zu<br />

Haftungs- und damit verbunden zu Deckungsproblemen<br />

führen kann, habe ich behandelt. Möglich ist die Mithaftung<br />

des deutschen Anwalts für Fehler der ausländischen<br />

Sozien. Für diese besteht nach § 12 AVB kein Deckungsschutz<br />

beim deutschen Versicherer. Aber der deutsche Anwalt<br />

hat in einem solchen Fall auch keine zu seinen Gunsten<br />

bestehende Deckung, wie sie bei seinen inländischen<br />

Sozien gegeben wäre, weil die ausländischen Sozien keine<br />

Berufsangehörigen im Sinne des § 12 AVB sind.<br />

4.Wie weit reicht Europa?<br />

Bleibt zum Schluss die Frage: Wie weit reicht Europa?<br />

Unter Umständen muss man die Begriffe „europäisch“ und<br />

„außereuropäisch“ auslegen. Zu früheren Zeiten ist genauer<br />

definiert worden, welche Rechte welcher Länder nicht eingeschlossen<br />

zu werden brauchten und welche Rechte welcher<br />

Länder nicht eingeschlossen waren. Die Bedingungen<br />

für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind da immer noch<br />

etwas genauer, als diejenigen für Anwälte. Bei Aufzählungen<br />

wird die Türkei meist neben dem europäischen Ausland<br />

genannt und daneben auch die Staaten auf dem Gebiet<br />

der ehemaligen Sowjetunion, wobei Litauen, Lettland und<br />

Estland meist einzeln und extra erwähnt werden, als hätten<br />

sie nicht dazu gehört.<br />

Die gesetzlichen Vorgaben (z. B. § 4 Abs. 1 Ziff. 3<br />

WPBHV und § 53a DVStB) machen unterschiedliche Vorschriften.<br />

Bei den Wirtschaftsprüfern müssen nur eingeschlossen<br />

werden Ersatzansprüche, die vor Gerichten von<br />

EU- oder EWG-Staaten geltend gemacht wurden oder das<br />

Recht dieser Staaten betreffen. Bei den Steuerberatern sind<br />

in die Deckung für Rechtsberatung nur die europäischen<br />

Staaten und die Türkei einzubeziehen, während es in § 53a<br />

DVStB für die fehlende Deckung bei Inanspruchnahme einen<br />

umfangreichen Katalog möglicher auszunehmender<br />

Länder von Albanien bis Weißrussland gibt, der nicht mehr<br />

ausgeschöpft wird. Zu unterschiedlichen Zeiten haben<br />

Versicherer diesen Katalog unterschiedlich verwandt. Der<br />

jeweilige Deckungsumfang muss deshalb im Einzelfall festgestellt<br />

werden, denn es gelten die Versicherungsbedingungen,<br />

die dem Versicherungsvertrag im Verstoßzeitpunkt zu<br />

Grunde lagen.<br />

Bei Geltung der heutigen Bedingungen, die nur noch auf<br />

außereuropäische Rechte oder Tätigkeit vor außereuropäischen<br />

Gerichten abstellen, muss man sich fragen, was denn<br />

jetzt für die früher immer eigens neben Europa erwähnte<br />

Türkei gelten soll: Geographisch hat sie einen europäischen<br />

Teil bis zum Bosporus und einen außereuropäischen, nämlich<br />

Anatolien. Beratung im türkischen Recht, das einheitlich<br />

in der ganzen Türkei gilt, wäre gedeckt. Aber gilt dasselbe<br />

für eine Tätigkeit vor Gerichten oder Behörden in<br />

Ankara? Schließlich ist das geographisch nicht mehr Europa,<br />

von einer möglichen Aufnahme in die EU einmal abgesehen.<br />

Ich vermute, dass die gerichtliche Tätigkeit deutscher<br />

Anwälte in Ankara nicht so häufig sein wird, dass<br />

wir das mit Sicherheit vom IV. Zivilsenat des BGH erfahren,<br />

bevor die Türkei in die EU aufgenommen wird.<br />

Zur Verjährung altrechtlicherSchadensersatzansprüche<br />

im Zivilrecht<br />

Rechtsanwalt Priv.-Doz. Dr. Andreas Piekenbrock, Karlsruhe/Halle<br />

(Saale)*<br />

Sind Schadensersatzansprüche, von denen der Geschädigte<br />

am 1.1.2002 noch gar nichts wusste, seit dem 31.12.2004 verjährt?<br />

Diese Frage stellt sich jedem Anwalt, der erst jetzt mit<br />

der Durchsetzung eines solchen Anspruchs beauftragt wird<br />

oder sich im laufenden Prozess überraschenderweise der Einrede<br />

aus § 214 Abs. 1 BGB ausgesetzt sieht. Der folgende Beitrag<br />

zeigt, dass es für den Geschädigten noch nicht zu spät ist.<br />

1. Einführung<br />

Dass die Verjährung ob des häufig geräumigen Zeitmoments<br />

für die intertemporale Rechtskollision besonders prädestiniert<br />

ist, ist eine uralte Erkenntnis. 1 Doch muss der<br />

Statutenwechsel trotz entsprechender Übergangsregelungen,<br />

die sich in ähnlicher Form seit dem Inkrafttreten des<br />

BGB immer wieder finden, 2 keineswegs immer reibungslos<br />

verlaufen. Dies zeigt schon die Kontroverse um die Bedeutung<br />

der Ultimoverjährung in § 199 Abs. 1 BGB für altrechtliche<br />

Ansprüche. 3<br />

Dabei ist freilich vielfach übersehen worden, dass die<br />

Stichtagsregel in Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB für den<br />

Beginn der Verjährung altrechtlicher Ansprüche für die<br />

Zeit bis zum 31.12.2001 auf die sogenannte lex prior verweist<br />

und damit die Anknüpfung punktueller Ereignisse an<br />

die lex temporis actus verwirklicht. 4<br />

Da mit der Entstehung des altrechtlichen Anspruchs<br />

aber in aller Regel zugleich die Verjährung zu laufen begann<br />

(§ 198 BGB a. F.) richtet sich deren Beginn prima facie<br />

gar nicht nach § 199 Abs. 1 BGB. Zwar müssen die Voraussetzungen<br />

des § 198 S. 1 BGB a. F. bei bestehenden<br />

Ansprüchen nicht zwingend gegeben sein, weil der Anspruch<br />

dazu nach der Rechtsprechung auch fällig gewesen<br />

sein muss, 5 während es kollisionsrechtlich nur auf die Er-<br />

* Der Autor ist Rechtsanwalt in Karlsruhe und Lehrstuhlvertreter an der Matin-<br />

Luther-Universität Halle (Saale).<br />

1 Vgl. beispielhaft die entsprechenden Regelungen der (ost-)römischen Kaiser<br />

Theodosius II. und Justinian I. (C. Th. 4.14.1.4 f.; Nov. 119.8) und dazu ausführlich<br />

Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung, Verwirkung, § 23 I 1<br />

(erscheint demnächst im Verlag Mohr Siebeck in der Reihe ius privatum).<br />

2 Vgl. Art. 169, Art. 229 § 3 Abs. 7, § 6, § 12, Art. 231 § 6 EGBGB.<br />

3 Vgl. dazu nur Peters, in: Staudinger, EGBGB, Neubearb. 2003, Art. 229 § 6<br />

Rdnr. 11; Budzikiewicz/Mansel, in: Anwaltkommentar, BGB, Band 1, 2005,<br />

Art. 229 § 6 EGBGB Rdnr. 60; Kandelhard, NJW 2005, 630 ff.; Schulte-Nölke/<br />

Hawxwall, NJW 2005, 2117 (2118 f.). Dabei ist in methodischer Hinsicht bemerkenswert,<br />

dass beide Auffassungen den angeblich klaren und eindeutigen<br />

Gesetzeswortlaut für sich in Anspruch nehmen.<br />

4 Vgl. zu diesem Grundsatz nur Heß, Intertemporales Privatrecht, 1998, S. 344.<br />

5 Vgl. nur BGHZ 53, 222 (225); 55, 340 (341); 113, 188 (193). Zur Kritik vgl.<br />

Piekenbrock, Jb.J.ZivRWiss. 2001, 309 (322 f.). Demgegenüber war § 199<br />

Abs. 1 Nr. 1 BGB-RegE (BT-Drucksache 14/6040, S. 3) ausdrücklich die Anknüpfung<br />

des Verjährungsbeginns an die Fälligkeit vorgesehen.


738<br />

MN<br />

zeugung des Anspruchs ankommt. 6 Doch spielt dies jedenfalls<br />

bei Schadensersatzansprüchen, die verjährungsrechtlich<br />

als Einheit anzusehen sind 7 und unmittelbar mit Entstehung<br />

auch fällig werden, in aller Regel keine Rolle. Wenn<br />

Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB bei Fristverkürzungen<br />

gleichwohl auf den 1.1.2002 abstellt, wird durch diese<br />

Sachnorm nicht etwa § 199 Abs. 1 BGB derogiert, sondern<br />

wiederum § 198 BGB a. F., so dass für die neu geschaffene<br />

allgemeine Ultimoregelung kein Platz ist.<br />

2. Problemstellung<br />

Gleichwohl weist diese Kontroverse, auf die hier nicht<br />

in allen Einzelheiten eingegangen werden soll, auf ein viel<br />

schwerwiegenderes, bisher noch nicht abschließend geklärtes<br />

Problem hin, 8 das in dem Paradigmenwechsel von der<br />

objektiven zur subjektiven Anknüpfung der Regelverjährung<br />

wurzelt. Dazu ein Beispiel: Ein Anleger erwirbt Mitte<br />

2001 eine Eigentumswohnung, nachdem der Verkäufer erklärt<br />

hat, der Erwerb sei ohne Eigenkapital aus Mieteinnahmen<br />

und Steuerersparnissen zu finanzieren. Diese Aussage<br />

erweist sich später, wie so häufig, als falsch.<br />

Da die persönliche Steuerersparnis keine zusicherungsfähige<br />

Eigenschaft im Sinne von § 459 Abs. 2 BGB a. F.<br />

dargestellt hat 9 und dem Anleger jedenfalls bei subjektbezogener<br />

Betrachtungsweise ein Vermögensschaden entstanden<br />

ist, 10 war mit dem Vertragsschluss ein Schadensersatzanspruch<br />

aus culpa in contrahendo (vgl. jetzt § 311 Abs. 2<br />

BGB) entstanden (§ 198 S. 1 BGB a. F.), ohne dass es dazu<br />

der Arglist des Verkäufers bedurft hätte. Dieser zunächst<br />

auf Aufhebung des Kaufvertrags und Freistellung von der<br />

Darlehensverpflichtung gerichtete Anspruch unterlag der<br />

dreißigjährigen Regelverjährung (§ 195 BGB a. F.) und<br />

konnte daher trotz Ablauf der Anfechtungsfrist des § 124<br />

Abs. 1, 2 BGB a. F. geltend gemacht werden. 11 Unklar ist jedoch,<br />

ob dieser Anspruch nunmehr verjährt ist, auch wenn<br />

der Anleger erst 2003 oder gar 2005 von den den Schadensersatzanspruch<br />

begründenden Umständen und der Person<br />

des Schuldners Kenntnis erlangt hat und zuvor ohne<br />

grobe Fahrlässigkeit auch nicht hätte erlangen müssen (vgl.<br />

§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).<br />

Die maßgeblichen Übergangsvorschriften in Art. 229 § 6<br />

EGBGB suggerieren eine positive Antwort auf diese Frage,<br />

da das neue Verjährungsrecht grundsätzlich Anwendung<br />

findet (Abs. 1 S. 1), während für die Frage des Beginns der<br />

Verjährung auf § 198 S. 1 BGB a. F. verwiesen wird (Abs. 1<br />

S. 2). 12 Da die Verjährungsfrist mit Blick auf die Abkürzung<br />

der Regelverjährung von dreißig auf drei Jahre (§ 195<br />

BGB) aber erst am 1.1.2002 zu laufen begonnen hat (Abs. 4<br />

S. 1), wäre die Verjährung, wie so häufig, mit Ablauf des<br />

31.12.2004 eingetreten. Dagegen besteht für die Berücksichtigung<br />

der Unkenntnis des Anlegers prima facie ebensowenig<br />

Raum wie für die neue Ultimoverjährung, weil<br />

§ 199 Abs. 1 BGB für altrechtliche (Schadensersatz-)Ansprüche<br />

nicht zur Anwendung berufen ist.<br />

3. Lösung<br />

a) Plausibilitätsüberlegungen<br />

Dass dieses Ergebnis nicht richtig sein kann, zeigt sich<br />

daran, dass es sowohl der lex prior als auch der lex praesens<br />

widerspricht. Denn unter der Herrschaft des alten Verjährungsrechts<br />

wäre die Verjährung Mitte 2031 eingetreten<br />

(§§ 195, 198 S. 1 BGB a. F.), unter der des neuen dagegen<br />

Ende 2006 bzw. 2008 (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Mit dem<br />

neuen Verjährungsrecht geriete diese Lösung im Übrigen<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

auch deshalb in Konflikt, weil die dreijährige Regelverjährung<br />

zu einem Zeitpunkt ablaufen könnte, in dem der Gläubiger<br />

keinerlei Kenntnis von seinem Anspruch hatte und<br />

auch nicht haben musste.<br />

Die Herabsetzung der Regelverjährungsfrist von dreißig<br />

auf drei Jahre fand aber gerade in der subjektiven Anknüpfung<br />

ihre Legitimation, weil nur auf diese Weise sichergestellt<br />

werden konnte, dass der Gläubiger im Anwendungsbereich<br />

der Regelverjährung eine faire Chance hat,<br />

seinen Anspruch durchzusetzen. 13 Wie jeder Kollisionsrechtler<br />

aber spätestens seit dem berühmten Tennessee-<br />

Wechsel-Fall14 weiß, darf weder das Internationale noch das<br />

Intertemporale Verjährungsrecht Ergebnisse hervorbringen,<br />

die beiden beteiligten (Sach-)Rechtsordnungen widersprechen.<br />

Auch wenn damit die Ausgangsfrage nach der Verjährung<br />

des Anspruchs unseres Anlegers ohne weiteres verneint<br />

werden kann, 15 bedarf es neben den bisherigen teleologischen<br />

Plausibiltätserwägungen16 einer tiefergehenden<br />

kollisionsrechtlichen Begründung. 17 Denn im Schrifttum<br />

wird auch die Gegenmeinung vertreten, wonach „im Interesse<br />

der Klarheit und Rechtssicherheit der eindeutige<br />

Wortlaut der gesetzlichen Regelung maßgebend sein“ soll. 18<br />

Ob sich die allein richtige Auffassung in der Praxis durchsetzen<br />

wird, ist daher bisher noch keineswegs gewiss.<br />

b) Kollisionsrechtliche Begründung<br />

Diese kollisionsrechtliche Begründung muss an der Auslegung<br />

des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ansetzen. Dafür<br />

ist die Rückbesinnung auf den Tennessee-Wechsel-Fall<br />

hilfreich. Denn dort war der Normenmangel nur eingetreten,<br />

weil das Reichsgericht die deutsche Kollisionsnorm,<br />

wonach sich die Verjährung nach der lex causae richtet, so<br />

verstanden hatte, dass sie sich nur auf das materielle Recht<br />

6 Vgl. Grothe, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl., Ergänzungsband,<br />

Art. 229 § 6 EGBGB Rdnr. 1. Dieser Unterschied kommt für Anwälte vor allem<br />

bei § 16 BRAGO a. F. zum Tragen.<br />

7 Vgl. dazu nur BT-Drucksache 14/7052, S. 180.<br />

8 Vgl. aber Mansel, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das neue<br />

Schuldrecht in der anwaltlichen Praxis, 2002, § 14 Rdnr. 30; Mansel/Budzikiewicz,<br />

Das neue Verjährungsrecht, 2002, § 10 Rdnr. 37; Budzikiewicz/Mansel<br />

(o. Fußn. 3), Rdnr. 62; Heß, NJW 2002, 253 (258), der dafür freilich auf deliktische<br />

Ansprüche verweist, bei denen die dreijährige Verjährung nach § 852<br />

Abs. 1 BGB a. F. noch nicht zu laufen begonnen hatte; Gsell, NJW 2002, 1297<br />

(1298 f.), wonach die dreijährige Frist (§ 195 BGB) bei altrechtlichen Ansprüchen<br />

nicht generell, sondern frühestens ab dem 1.1.2002 zu laufen begonnen<br />

hat; Schulte-Nölke/Hawxwall, NJW 2005, 2117 (2119).<br />

9 Vgl. dazu insbesondere BGHZ 114, 263 (267). Zu objektgebundenen Voraussetzungen<br />

der Steuerermäßigung vgl. dagegen BGHZ 140, 111 (115).<br />

10 Vgl. dazu insbesondere BGH NJW 1998, 302 (304). Zur berechtigten Kritik<br />

an der Aussage, der Schadensersatzanspruch setze einen Vermögensschaden<br />

voraus, vgl. Lorenz, ZIP 1997, 1053 (1055 ff.).<br />

11 Vgl. insbesondere BGH, NJW 1979, 1983 (1984); 1984, 2814 (2815); NJW-<br />

RR 1988, 744 (745). A. A. freilich OLG Hamm, NJW-RR 1995, 205 (206).<br />

12 So auch Heinrichs, in: Palandt, BGB, 64. Aufl., 2005, Art. 229 § 6 EGBGB<br />

Rdnr. 4.<br />

13 Vgl. dazu im einzelnen BT-Drucksache 14/6040, S. 103 ff.<br />

14 Vgl. RGZ 7, 21 (23 f.).<br />

15 So neben den o. Fußn. 8 genannten im Ergebnis auch Schmidt-Räntsch, in: Erman,<br />

BGB, 11. Aufl., Band 1, 2004, Anh Vor § 194 (Art. 229 § 6 EGBGB)<br />

Rdnr. 9; Grothe (o. Fußn. 6), Rdnr. 12; Karst/Schmidt-Hieber, DB 2004, 1766<br />

(1767). Zu § 852 a. F. und Art. 169 EGBGB vgl. entsprechend schon RGZ 73,<br />

434 (439 f.).<br />

16 Darauf stützt sich letztlich Gsell, NJW 2002, 1297 (1298).<br />

17 Dagegen kann man den Anwendungsbereich der Verweisung auf § 198 S. 1<br />

BGB a. F. nicht einfach, wie dies Peters (o. Fußn. 3), Rdnr. 15 suggeriert, auf<br />

vertragliche Erfüllungsansprüche beschränken.<br />

18 So U. Gottwald, Verjährung im Zivilrecht, 2005, Rdnr. 467; Assmann/Wagner,<br />

NJW 2005, 3169 (3170 f.).


AnwBl 12/2005 739<br />

Aufsätze MN<br />

bezog. Der Fehler bestand folglich in der falschen Auslegung<br />

der deutschen Kollisionsnorm, die Lösung in der<br />

Qualifizierung der prozessrechtlich ausgestalteten limitation<br />

of actions angelsächsischer Provenienz als Verjährung.<br />

Unser Beispielsfall ist dagegen nicht von einem Normenmangel<br />

geprägt, sondern von einem Normenüberschuß.<br />

DenndasinArt.229§6Abs.1S.1EGBGBfüranwendbar<br />

erklärte neue (Regel-)Verjährungsrecht kennt im Gegensatz<br />

zum alten nicht nur eine maßgebliche Frist, sondern<br />

deren drei: die subjektiv angeknüpfte dreijährige (Regel-)<br />

Verjährung (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) sowie zwei sogenannte<br />

Höchstfristen: die objektiv angeknüpfte zehnjährige<br />

Verjährung ab Entstehung des Anspruchs (§ 199 Abs. 3<br />

S. 1 Nr. 1, Abs. 4 BGB) und die an das den Schaden auslösende<br />

Ereignis anknüpfende Verjährung von dreißig Jahren<br />

(§ 199 Abs. 2, 3 S. 1 Nr. 2 BGB). Die Schwäche des<br />

maßgeblichen Übergangsregimes beruht nun aber gerade<br />

auf der unbesehenen Übernahme der tradierten Regelungen<br />

in Art. 169, 231 § 6 EGBGB, die einen vergleichbaren Statutenwechsel<br />

nicht zu bewältigen hatten. 19<br />

Vergleicht man das alte mit dem neuen Recht, stellt man<br />

fest, dass die Anknüpfung der neuen zehnjährigen Frist<br />

weitgehend mit der der alten dreißigjährigen Regelverjährung<br />

korrespondiert. Wird aber in Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2<br />

EGBGB für den Beginn der Frist auf das alte Recht und damit<br />

auf § 198 S. 1 BGB a. F. verwiesen, spricht bei der Auslegung<br />

der Verweisung auf „die Vorschriften des Bürgerlichen<br />

Gesetzbuchs über die Verjährung“ in Art. 229 § 6<br />

Abs. 1 S. 1 EGBGB alles dafür, dass damit die Regelungen<br />

gemeint sind, die als Verjährungsvorschriften im bisherigen<br />

Sinne zu qualifizieren sind; mit anderen Worten: Die in ihrer<br />

Ausgestaltung dem bisherigen Recht am weitestgehenden<br />

entsprechen. Dieses Ergebnis wäre unzweifelhaft,<br />

wenn sich der Gesetzgeber entschlossen hätte, die ihrer<br />

Ausgestaltung und Zielrichtung nach unterschiedlichen<br />

(Verjährungs-)Tatbestände in §§ 195, 199 BGB als unterschiedliche<br />

Rechtsinstitute auszugestalten. 20<br />

Aber auch wenn dies bisher nicht geschehen ist und die<br />

einzelnen Fristen nur als unterschiedliche Fallgruppen ein<br />

und desselben Rechtsinstituts erscheinen, lassen sich kollisionsrechtlich<br />

befriedigende Ergebnisse nur erzielen, wenn<br />

man beim Statutenwechsel nur die jeweils vergleichbar ausgestaltete<br />

Fallgruppe berücksichtigt. 21 Um dies auch sprachlich<br />

zum Ausdruck zu bringen, soll daher im folgenden<br />

eine im weitesten Sinne subjektiv angeknüpfte Verjährung<br />

als Verschweigung bezeichnet werden. 22 Das bedeutet konkret,<br />

dass in unserem Ausgangsfall an die Stelle der dreißigjährigen<br />

Regelverjährung nach § 195 BGB a. F. die zehnjährige<br />

Frist für Schadensersatzansprüche nach § 199<br />

Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB getreten ist, die ebenfalls ab der Entstehung<br />

des Anspruchs zu laufen beginnt. Der Anspruch<br />

unseres Anlegers aus culpa in contrahendo verjährt damit<br />

kenntnisunabhängig mit Ablauf des 31.12.2011 (vgl.<br />

Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB).<br />

Das bedeutet aber nicht, dass die Verschweigung im<br />

Sinne von § 199 Abs. 1 BGB für unseren Fall ohne Bedeutung<br />

ist. Denn die Verweisung auf die lex prior bezüglich<br />

des Beginns der Verjährung in Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2<br />

EGBGB gilt nur, wenn die Frist bereits vor dem 1.1.2002<br />

zu laufen begonnen hat. Da es im Bereich der Regelverjährung<br />

nach bisherigem Recht aber keine Verschweigung gab,<br />

die vor dem 1.1.2002 zu laufen begonnen hat, wird die nunmehr<br />

dreijährige Regelverjährung entsprechend § 199<br />

Abs. 1 BGB in Gang gesetzt. Lag die (damals rechtlich<br />

noch belanglose) Kenntnis schon vor dem 1.1.2002 vor, ist<br />

Verjährung am 1.1.2005 eingetreten; 23 lag sie noch nicht<br />

vor, beginnt die Frist zum Jahresultimo ab der Kenntnis<br />

bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis. In unserem Beispiel<br />

würde die (kenntnisabhängige) Verschweigung daher Ende<br />

2006 bzw. 2008 eintreten. Damit wird auch dem in Art. 229<br />

§ 6 Abs. 1 S. 1 EGBG ausgedrückten Anliegen des Gesetzgebers,<br />

die neurechtliche Verschweigung möglichst bald für<br />

anwendbar zu erklären, Genüge getan.<br />

4. Bedeutung für deliktische Schadensersatzansprüche<br />

Diese Lösung führt schließlich auch bei der Überleitung<br />

der deliktischen Sonderverjährung des § 852 Abs. 1 BGB<br />

a. F. zu sachgerechten Ergebnissen. Da insoweit schon die<br />

lex prior an die Entstehung des Schadens (und damit des<br />

Anspruchs) sowie die entsprechende Kenntnis angeknüpft<br />

hat, lag hier schon früher eine Verschweigung vor. Art. 229<br />

§ 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist in diesem Fall daher als Verweis<br />

auf die ebenfalls subjektiv angeknüpfte Regelverjährung<br />

nach § 195 BGB zu verstehen. Da sich an der Quantifizierung<br />

des Zeitmoments aber nichts geändert hat, zeitigt der<br />

Statutenwechsel hier keinerlei praktische Konsequenzen.<br />

Für den Beginn der dreijährigen Verschweigung kommt<br />

es bei altrechtlichen Ansprüchen nach Art. 229 § 6 Abs. 1<br />

S. 1 EGBGB dagegen bis zum 31.12.2001 auf die tatsächliche<br />

Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen<br />

an (§ 852 Abs.1 BGB a. F.), 24 während ab dem<br />

1.1.2002 auch die grob fahrlässige Unkenntnis genügt<br />

(§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Lag diese (damals rechtlich noch<br />

belanglose) grob fahrlässige Unkenntnis bereits vor dem<br />

1.1.2002 vor, sind deliktische Ansprüche am 1.1.2005 verjährt.<br />

25 Da es eine kenntnisunabhängige, nur an den Eintritt<br />

des Schadens und damit die Entstehung des Anspruchs geknüpfte<br />

Verjährung für deliktische Ansprüche bisher nicht<br />

gab, läuft es bei altrechtlichen Ansprüchen gegebenenfalls<br />

parallel auch insoweit seit dem 1.1.2002 die zehnjährige<br />

Verjährung nach § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB. 26<br />

19 So zutreffend bereits Heß, NJW 2002, 253 (258) in Fußn. 64.<br />

20 So de lege ferenda namentlich Piekenbrock (o. Fußn. 1), § 19.<br />

21 Dies korrespondiert mit der Auffassung von Heß, NJW 2002, 253 (258), das<br />

neue Verjährungssystem sei als Einheit zu sehen und dürfe bei der intertemporalen<br />

Anknüpfung nicht aufgespalten werden.<br />

22 So de lege ferenda Piekenbrock (o. Fußn. 1), § 19 III, § 26.<br />

23 Insoweit ist hier der herrschenden Meinung zu folgen, die die Jahresultimoregelung<br />

nur anwenden will, wenn die nach § 199 Abs. 1 BGB maßgeblichen<br />

Umstände im Laufe eines Jahres eingetreten sind. Dieses Ergebnis wird bei<br />

der hier vorgeschlagenen Lösung auch dadurch bestätigt, dass Art. 229 § 6<br />

Abs. 4 S. 1 EGBGB, der den 1.1.2002 statuiert, hier gar nicht anwendbar ist,<br />

weil es eine subjektiv angeknüpfte Verjährungsfrist, die durch den Statutenwechsel<br />

hätte verkürzt werden können, zuvor gar nicht gab.<br />

24 Vgl. in diesem Sinne auch Peters (o. Fußn. 3), Rdnr. 15.<br />

25 So auch Budzikiewicz/Mansel (o. Fußn. 3), Rdnr. 44.<br />

26 So auch Heß, NJW 2002, 253 (258).


740<br />

MN<br />

Datenschutzkontrolle<br />

in der Anwaltskanzlei<br />

Rechtsanwalt Dr. Hendrik Schöttle, München*<br />

Seit einiger Zeit wird die Frage diskutiert, inwieweit in<br />

der Anwaltskanzlei ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter<br />

zu bestellen ist. 1 Der Beitrag erweitert das Blickfeld<br />

etwas und nimmt die Instrumente der Datenschutzkontrolle<br />

insgesamt ins Visier. Neben dem Datenschutzbeauftragten<br />

sind dies die Aufsichtsbehörde sowie die Meldepflicht und<br />

Vorabkontrolle von Datenverarbeitung. Der Kontroverse<br />

liegt die Kernfrage zugrunde, welche Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes<br />

(BDSG) auf die anwaltliche Tätigkeit<br />

anwendbar sind – die Meinungen gehen in dieser Sache<br />

weit auseinander. 2<br />

Auf der einen Seite ist eine uneingeschränkte Anwendbarkeit<br />

des BDSG auf sämtliche Bereiche anwaltlicher Tätigkeit<br />

abzulehnen. Dem steht schon das Subsidiaritätsprinzip<br />

des § 1 Abs. 3 BDSG entgegen. Das BDSG greift als<br />

„Auffanggesetz“ nur, wenn keine anderen Gesetze einen<br />

datenschutzrechtlichen Bezug aufweisen – was etwa beim<br />

Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) der Fall ist. 3<br />

Auf der anderen Seite kommt aber auch eine vollständige<br />

Verdrängung des BDSG durch andere Regelungen<br />

nicht in Betracht. Das würde nämlich voraussetzen, dass<br />

andere, bereichsspezifische Vorschriften existieren, die in<br />

ihrer Regelungsdichte ebenso umfangreich wie das BDSG<br />

sind. Das ist jedoch – insbesondere mit Blick auf die Datenschutzkontrolle<br />

und den Datenschutzbeauftragten – nicht<br />

der Fall.<br />

Die wohl herrschende Meinung lehnt eine uneingeschränkte<br />

Anwendbarkeit des BDSG ab, geht aber davon<br />

aus, dass einzelne Vorschriften vom Rechtsanwalt zu beachten<br />

sind. 4 Nachfolgend möchte ich die wichtigsten Regelungen<br />

der Datenschutzkontrolle kurz vorstellen und auf<br />

ihre Anwendbarkeit in der Anwaltskanzlei hin untersuchen.<br />

I. Der Datenschutzbeauftragte<br />

Ein Datenschutzbeauftragter ist erforderlich, wenn in einer<br />

nicht-öffentlichen Stelle mindestens fünf Arbeitnehmer<br />

mit der automatisierten Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung<br />

personenbezogener Daten beschäftigt sind, § 4 f<br />

Abs. 1 BDSG.<br />

Nach einer Auffassung wird die interne und externe Datenschutzkontrolle<br />

– also die Regelungen zum Datenschutzbeauftragten<br />

und zur Aufsichtsbehörde – von der Regelung<br />

des § 203 StGB verdrängt. 5 Die in § 203 StGB statuierte<br />

Verschwiegenheitspflicht nehme sowohl den Anwalt als<br />

auch dessen Mitarbeiter in die Pflicht, isoliere die vorhandenen<br />

Datenbestände und bedrohe jeden Mitarbeiter generell<br />

und ohne Ansehung der Person mit Strafe. Dies würde<br />

einen besseren Schutz gewähren als die nur verfahrensmäßigen<br />

Bestimmungen des BDSG.<br />

Zwar ist zuzugeben, dass der Schutz des § 203 StGB potenziell<br />

weiter reicht, als der des BDSG im Allgemeinen<br />

und die Funktion des Datenschutzbeauftragten im Besonde-<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

ren. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass die Datenschutzkontrolle<br />

weniger wirksam ist und hinter § 203 StGB<br />

zurücktritt. Die hier verglichenen Regelungen verfolgen<br />

ganz unterschiedliche Zwecke. Die Sanktion des § 203<br />

StGB sichert die in § 43 a Abs. 2 BRAO statuierte Verschwiegenheitspflicht<br />

strafrechtlich ab, ist also eine repressive<br />

Vorschrift. Zweck der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />

ist dementgegen Prävention. Der Beauftragte<br />

soll auf die Einhaltung des Datenschutzrechts hinwirken, 6<br />

um so Verstöße gegen das BDSG im Voraus zu vermeiden.<br />

Solche Kontroll- und Überwachungsmechanismen sind dem<br />

§ 203 StGB fremd. 7 Die Vorschriften über die Bestellung<br />

eines Datenschutzbeauftragten werden somit nicht von<br />

§ 203 StGB verdrängt.<br />

Rüpke ist der Ansicht, die von der BRAO geschützten<br />

Grundsätze der freien Advokatur würden die Regelungen<br />

zum Datenschutzbeauftragten verdrängen. 8 Das Konzept<br />

der Neutralität des Datenschutzbeauftragten führe dazu,<br />

dass sich jener im Einzelfall für das Recht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung des Prozessgegners einzusetzen<br />

hätte. Das sei jedoch mit der Rolle des Anwalts als Interessenvertreter<br />

seiner eigenen Partei unvereinbar.<br />

Dem kann nicht gefolgt werden: Die Frage, welche Daten<br />

erhoben, verarbeitet und genutzt werden können, ist<br />

eine Frage des materiellen Datenschutzrechts. Zwar trifft es<br />

zu, dass eine Vielzahl der Regelungen des BDSG mit den<br />

Besonderheiten des Anwaltsberufs unvereinbar und auch<br />

unanwendbar ist. 9 Die Funktion des Datenschutzbeauftragten<br />

beschränkt sich jedoch nicht nur auf eine Befugniskontrolle<br />

beim Umgang mit personenbezogenen Daten. Seine<br />

Aufgabe ist es auch, technische und organisatorische Maßnahmen,<br />

insbesondere zum Schutz der Daten vor unbefugtem<br />

Zugriff zu treffen. 10 Gerade im Hinblick auf die<br />

Verschwiegenheitspflicht verbleibt dem Datenschutzbeauftragten<br />

damit ein wichtiges Aufgabenfeld, selbst wenn man<br />

die Kontrollpflichten bei der Erhebung, Verarbeitung und<br />

Nutzung von Daten außer Acht lässt.<br />

Der Rechtsanwalt hat folglich dann nach § 4 f BDSG einen<br />

Datenschutzbeauftragten zu bestellen, wenn in seiner<br />

Kanzlei mehr als vier Arbeitnehmer mit der Verarbeitung<br />

personenbezogener Daten beschäftigt sind. 11 Rechtsanwälte,<br />

die keine Sozien sind, sind dabei zu den Arbeitnehmern zu<br />

zählen; Auszubildende hingegen sind nicht „beschäftigt“<br />

im Sinne der Vorschrift. 12<br />

* Dr. Hendrik Schöttle ist Rechtsanwalt in der Anwaltskanzlei Hambach &<br />

Hambach, München, und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie<br />

im DAV.<br />

1 Siehe dazu Härting, AnwBl 2005, 131 f., Rüpke, AnwBl 2004, 552 ff. und<br />

Schneider, AnwBl 2004, 618 ff.<br />

2 Als Überblick dazu Schöttle, Anwaltliche Rechtsberatung via Internet, 203 ff.<br />

Siehe auch Härting, AnwBl 2005, 131 f.<br />

3 Zur Anwendung des TDDSG auf Internet-Rechtsberatung siehe Schöttle,<br />

BRAK-Mitt. 2004, 253 ff.<br />

4 So Abel, Datenschutz in Anwaltschaft, Notariat und Justiz, 2. Auflage 2003,<br />

5 f.; Auernhammer, AnwBl 1996, 517 ff.; Boecker, AnwBl 1996, 520 f.; Härting,<br />

AnwBl 2005, 131 f.; Redeker, AnwBl 1996, 512 ff.; Rüpke, AnwBl 2003,<br />

19 ff.; Schmittmann, Die Kanzlei 12/2002, 8 ff.; Schneider, AnwBl 2004,<br />

618 ff.; Zuck, AnwBl 1996, 549 ff.<br />

5 Abel, 8.<br />

6 § 4 g Abs. 1 BDSG.<br />

7 Allenfalls die Aufsicht der Anwaltskammer erfüllt eine der Aufsichtsbehörde<br />

ähnliche Funktion, vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 1 und 4 BRAO.<br />

8 Rüpke, AnwBl 2004, 554 f.<br />

9 Härting, AnwBl 2005, 131 f.; näher zu einzelnen Vorschriften Schöttle, 203 ff.<br />

10 Vgl. § 9 BDSG.<br />

11 Ebenso Schneider, AnwBl 2004, 553.<br />

12 Gola/Schomerus, BDSG, § 4 f, Rn. 12.


AnwBl 12/2005 741<br />

Aufsätze MN<br />

§ 4 f Abs. 2 BDSG verlangt, dass der Datenschutzbeauftragte<br />

die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche<br />

Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzt. Was diese Anforderungen<br />

im Einzelnen bedeuten, soll an dieser Stelle nicht<br />

vertieft werden. 13 Die Frage, ob ein externer Datenschutzbeauftragter<br />

mit der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht<br />

vereinbar ist, ist wohl zu verneinen, soll aber gleichfalls<br />

hier nicht näher ausgeführt werden. 14<br />

II. Die Aufsichtsbehörde<br />

Aufgabe der Aufsichtsbehörde ist es, als externe Kontrollinstanz<br />

über die Ausführung des Bundesdatenschutzgesetzes<br />

zu wachen, § 38 Abs. 1 BDSG. Die Aufsichtsbehörde<br />

wird durch die jeweilige Landesregierung<br />

bestimmt 15 und ist befugt, Geschäftsräume der überwachten<br />

Stelle zu betreten, dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen,<br />

insbesondere die gespeicherten personenbezogenen<br />

Daten und die Datenverarbeitungsprogramme<br />

einzusehen, § 38 Abs. 4 BDSG. Seit der Novelle des BDSG<br />

im Jahre 2001 sind auch anlassunabhängige Kontrollen<br />

möglich, hinreichende Anhaltspunkte für eine Verletzung<br />

des BDSG sind nicht mehr erforderlich.<br />

Für Rechtsanwälte problematisch ist die Einsichtnahme<br />

der Behörde in personenbezogene Daten. § 38 Abs. 4 S. 3<br />

BDSG sieht ausdrücklich vor, dass Daten, die einem Berufs-<br />

oder Amtsgeheimnis unterliegen, ebenfalls unter diese<br />

Regelung fallen. 16 Die Aufsichtsbehörde kann also anlassunabhängig<br />

die Kanzlei eines Anwalts betreten und Einsicht<br />

in die dort gespeicherten Daten verlangen. Dass diese<br />

Befugnisse im Widerspruch zum anwaltlichen Berufsgeheimnis<br />

stehen, muss nicht näher ausgeführt werden.<br />

1. Subsidiarität der Befugnis zur Dateneinsicht gegenüber<br />

anwaltlichem Berufsrecht?<br />

Rüpke löst den Konflikt über die Subsidiaritätsregelung<br />

des § 1 Abs. 3 BDSG. 17 Nach dieser Vorschrift bleibt die<br />

Verpflichtung zur Wahrung von Berufsgeheimnissen unberührt.<br />

Rüpke ist der Ansicht, dies lege eine restriktive Auslegung<br />

der Auskunftspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde<br />

nahe. Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht,<br />

die in § 43 a Abs. 2 BRAO Niederschlag gefunden hat, sei<br />

eine solche Verpflichtung im Sinne der Vorschrift. Das<br />

habe zur Folge, dass § 38 Abs. 4 S. 3 BDSG nicht entsprechend<br />

auf die Regelungen zur Auskunftspflicht anwendbar<br />

sei. Andernfalls sei der Anwalt der Exekutive gegenüber<br />

weit weniger geschützt als gegenüber gerichtlichen Untersuchungen.<br />

18<br />

Dieses Verständnis ist mit der Systematik des BDSG unvereinbar.<br />

§ 38 Abs. 4 S. 3 verweist über § 24 Abs. 6 auf<br />

§ 24 Abs. 2 Nr. 2 BDSG. Danach bezieht sich die Auskunftspflicht<br />

ausdrücklich auch auf Daten, die einem Berufsgeheimnis<br />

unterliegen. Diese spezielle Regelung würde<br />

leer laufen, wenn Berufsgeheimnisse über die allgemeine<br />

Vorschrift des § 1 Abs. 3 BDSG wieder von der Auskunftspflicht<br />

ausgenommen würden. Das widerspräche der Systematik<br />

und dem Zweck der beiden Vorschriften.<br />

2. Verletzung des Zitiergebots<br />

Soweit ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines<br />

Gesetzes eingeschränkt wird, muss das Gesetz das<br />

Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen, Art. 19<br />

Abs. 1 S. 2 GG. Rüpke ist der Ansicht, die Vorschrift des<br />

§ 38 Abs. 4 BDSG verletze das Zitiergebot und sei daher<br />

nichtig; verletzt sei das Grundrecht der Unverletzlichkeit<br />

der Wohnung. 19 Die Aufsichtsbehörde ist befugt, während<br />

der Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Geschäftsräume<br />

zu betreten und dort Prüfungen und Besichtigungen<br />

vorzunehmen, § 38 Abs. 4 BDSG. Doch ein Eingriff<br />

in den Schutzbereich des Art. 13 GG scheidet aus: 20<br />

Zwar fallen Betriebs- und Geschäftsräume unter seinen<br />

Schutz, 21 das gilt allerdings nur eingeschränkt. Gesetzliche<br />

Betretungs- und Besichtigungsrechte von Behörden tangieren<br />

den Schutzbereich des Art. 13 GG nicht, da sie lediglich<br />

ein Annex behördlicher Überwachungs- und Kontrollbefugnisse<br />

sind. 22 Folglich bedarf es auch keines Zitats<br />

nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG.<br />

3. Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung<br />

In Betracht zu ziehen ist allerdings eine Verletzung des<br />

Grundrechts, das die Grundlage des Datenschutzrechts<br />

schlechthin ist: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.<br />

23 Die Aufsichtsbehörde kann ohne konkreten Anlass<br />

Einsicht in sämtliche Daten nehmen, die der Mandant seinem<br />

Rechtsanwalt anvertraut hat. Dies stellt ohne Zweifel<br />

einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Position aus<br />

Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar.<br />

Die Qualität des Grundrechtseingriffs beurteilt sich nach<br />

dessen verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Die Anforderungen,<br />

die an eine solche Rechtfertigung gestellt werden,<br />

sind umso höher, je sensibler die betroffenen Daten sind. 24<br />

Das Bundesverfassungsgericht hatte 1972 in einem Beschluss<br />

über die Beschlagnahme von Krankenakten ohne<br />

den Willen des Betroffenen zu entscheiden. 25 Bereits damals<br />

hatte es festgestellt, dass derart sensible Daten grundrechtlich<br />

geschützt und damit einem staatlichen Zugriff entzogen<br />

sind. Die Rechtfertigung eines Eingriffs ließ das<br />

BVerfG unter engen Voraussetzungen zu: Nur wenn zwingende<br />

Belange des Gemeinwohls es geböten, müssten<br />

schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen<br />

zurücktreten.<br />

Wie sieht es im Fall der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörde<br />

aus? Die Regelungen der externen Datenschutzkontrolle<br />

dienen der effektiven Umsetzung und Einhaltung<br />

des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer<br />

bereichsspezifischer datenschutzrechtlicher Gesetze. 26<br />

Diese Aufsichtsfunktion mag zwar im Normalfall der Datenverarbeitung<br />

durch Private sinnvoll sein. Sie trägt jedoch<br />

besonderen Vertrauensverhältnissen – wie hier zwischen<br />

Mandant und Anwalt – keine Rechnung. Ein Großteil der<br />

13 Siehe dazu Schöttle, 210 ff.<br />

14 Auch dazu näher Schöttle, 212 f.<br />

15 § 38 Abs. 6 BDSG. Eine Übersicht der unterschiedlich ausgefallenen Kompetenzzuweisungen<br />

findet sich bei Gola/Schomerus, § 38, Rn. 29.<br />

16 § 38 Abs. 4 S. 3 i. V. m. § 24 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BDSG.<br />

17 Rüpke, AnwBl 2003, 21.<br />

18 Rüpke, AnwBl 2003, 21.<br />

19 Rüpke, AnwBl 2003, 21.<br />

20 Anders jedoch Zuck in: Abel, 34 f.<br />

21 Papier in: Maunz-Dürig, GG, Art. 13, Rn. 13.<br />

22 Papier in: Maunz-Dürig, Art. 13, Rn. 15; BVerfG, Entscheidung vom<br />

13.10.1971, 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 75.<br />

23 BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a., BVerfGE 65, 43 („Volkszählungsurteil“).<br />

24 Di Fabio in: Maunz-Dürig, Art. 2, Rn. 181.<br />

25 BVerfG, Beschluss vom 8.3.1972, 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373.<br />

26 Vgl. § 38 Abs. 1 BDSG.


742<br />

MN<br />

Vorschriften des BDSG ist auf die anwaltliche Tätigkeit<br />

nicht anwendbar. 27 Der Anwalt kann Daten erheben, die,<br />

was ihre Vertraulichkeit und ihren Umfang angeht, nicht<br />

mit denen zu vergleichen sind, die ein einfacher Handelsbetrieb<br />

im Rahmen seiner täglichen Geschäfte erheben darf.<br />

Eine Situation, in der gegen gesetzliche Erhebungsbefugnisse<br />

oder gegen den Willen des Mandanten Informationen<br />

gesammelt werden, ist kaum vorstellbar. Aufgrund dieser<br />

erheblichen Einschränkungen der Anwendbarkeit des<br />

BDSG hat eine Datenschutzaufsicht nahezu keinen Regelungsgehalt.<br />

28 Die Aufsichtstätigkeit würde sich größtenteils<br />

auf technisch-organisatorische Einzelheiten beschränken. 29<br />

Das Interesse des Staates an einer effektiven Datenschutzkontrolle<br />

ist allerdings nicht das einzige, welches<br />

hier in die Waagschale zu werfen ist. Auch der Mandant<br />

hat in vielen Fällen ein erhebliches Interesse am Schutz seiner<br />

Daten vor dem Zugriff der Aufsichtsbehörde, etwa im<br />

Fall der Strafverteidigung. Die anlassunabhängigen Kontrollrechte<br />

der Aufsichtsbehörde gehen erheblich weiter als<br />

die Befugnisse eines Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren,<br />

denn dieser benötigt eine richterliche Durchsuchungsanordnung.<br />

30<br />

Natürlich sind der Aufsichtsbehörde im Umgang mit<br />

den erhobenen Daten Grenzen gesetzt. § 38 Abs. 1 S. 2<br />

BDSG bestimmt, dass die Daten nur für Zwecke der Aufsicht<br />

verarbeitet und genutzt werden dürfen. Dennoch<br />

steckt in derart weitgehenden Machtbefugnissen auch ein<br />

Missbrauchspotenzial. Ob allein eine Zweckbindungsvorchrift<br />

einer zweckwidrigen Verwendung von Daten Einhalt<br />

gebieten kann, ist fraglich.<br />

Im Ergebnis kann die Abwägung von öffentlichen Interessen<br />

an einer Datenschutzaufsicht und dem Interesse des<br />

Bürgers an der Geheimhaltung seiner Informationen nur zu<br />

Lasten des BDSG ausfallen. Der Datenschutz wird zum<br />

bloßen Selbstzweck – wenn nicht gar in sein Gegenteil verkehrt<br />

–, wenn Informationen, die hoheitlichem Zugriff seit<br />

jeher aufgrund der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht<br />

entzogen waren, durch staatliche Aufsichtsbehörden eingesehen<br />

werden können, ohne dass im konkreten Fall eine<br />

Verletzung des Datenschutzrechts zu befürchten ist, geschweige<br />

denn überhaupt möglich wäre.<br />

4. Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit<br />

Neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

des Mandanten ist auch das Grundrecht der Berufsfreiheit<br />

des Rechtsanwalts verletzt. Die von Art. 12 GG geschützte<br />

anwaltliche Berufsausübung wird, so das Bundesverfassungsgericht,<br />

durch den „Grundsatz der freien Advokatur<br />

gekennzeichnet, der einer staatlichen Kontrolle und Bevormundung<br />

grundsätzlich entgegensteht“ 31 . Zur Unabhängigkeit<br />

des Rechtsanwalts von staatlichen Kontrollen führt das<br />

Gericht aus:<br />

„Es entspricht dem Rechtsstaatsgedanken und dient der<br />

Rechtspflege, dass dem Bürger schon aus Gründen der<br />

Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Verfügung<br />

stehen, zu denen er Vertrauen hat und die seine Interessen<br />

möglichst frei und unabhängig von staatlicher Einflußnahme<br />

wahrnehmen können.“ 32<br />

Die latente Gefahr jederzeitiger und anlassunabhängiger<br />

behördlicher Überprüfungen steht einer nachhaltigen Entwicklung<br />

eines Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant<br />

und Anwalt im Wege. 33 Es ist dem Anwalt dann nicht möglich,<br />

dem Mandanten gegenüber als Garant eigener staatlicher<br />

Unabhängigkeit aufzutreten, was mit seinem berufli-<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

chen Selbstverständnis letztlich nicht vereinbar ist. Dies<br />

stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit<br />

des Anwalts dar, der sich, angesichts des nur<br />

eingehschränkt anwendbaren BDSG, nicht mit der Notwendigkeit<br />

staatlicher Kontrollbefugnisse rechtfertigen lässt.<br />

5. Zwischenergebnis<br />

Ein vollständiger Verzicht auf eine Datenschutzkontrolle<br />

ließe zwar das Recht des Mandanten auf informationelle<br />

Selbstbestimmung unangetastet, würde aber den Datenschutz<br />

allein der Selbstkontrolle in der Kanzlei überantworten.<br />

Eine externe Prüfung kann jedoch sinnvoll sein, etwa<br />

um die Einhaltung organisatorischer Pflichten sicherzustellen,<br />

beispielsweise die Sicherung von Daten vor dem Zugriff<br />

durch Unbefugte.<br />

Eine zu begrüßende Lösung wäre es, die Datenschutzaufsicht<br />

in die Hand der Anwaltskammern zu legen. 34<br />

Schon vor einiger Zeit wurde vorgeschlagen, die BRAO um<br />

eine solche Regelung zu ergänzen 35 Ein einzufügender<br />

§ 50 a BRAO ermächtigt die Anwaltskammern, bei hinreichendem<br />

Missbrauchsverdacht die Datenverarbeitung und<br />

-nutzung eines Rechtsanwalts zu überprüfen. Wie auch in<br />

§ 38 BDSG wird der Anwaltskammer ein Besichtigungsund<br />

Prüfungsrecht eingeräumt. Eine Einsichtnahme in gespeicherte<br />

personenbezogene Daten setzt allerdings einen<br />

dringenden Missbrauchsverdacht voraus und ist nur nach<br />

Anordnung durch das Anwaltsgericht zulässig.<br />

Eine solche Regelung trägt sowohl den Belangen des<br />

Datenschutzes als auch dem Interesse des Mandanten an<br />

der vertraulichen Behandlung seiner Daten Rechnung.<br />

Durch das Erfordernis des Missbrauchsverdachts werden<br />

Routinekontrollen und damit unnötige Eingriffe in die<br />

Rechte der Mandanten vermieden. Die Einsetzung der Anwaltskammern<br />

als unabhängige Aufsichtsorgane lässt Missbrauchspotenziale<br />

durch staatliche Behörden gar nicht erst<br />

entstehen. Trotzdem bleibt eine effiziente Datenschutzkontrolle<br />

in begründeten Fällen möglich.<br />

Zwar ist § 50 a BRAO (immer) noch Zukunftsmusik,<br />

dennoch ist auch die derzeitige Regelung einzuschränken:<br />

In verfassungskonformer Auslegung greifen die Befugnisse<br />

der Aufsichtsbehörde zur Einsicht in personenbezogene Daten<br />

nicht, soweit ihnen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />

entgegensteht.<br />

III. Die Meldepflicht<br />

Nach § 4 d Abs. 1 BDSG haben nicht-öffentliche Stellen<br />

automatisierte Datenverarbeitungen vor ihrer Inbetriebnahme<br />

der zuständigen Aufsichtsbehörde zu melden. Von<br />

der Meldepflicht gibt es Ausnahmen bei Bestellung eines<br />

27 Näher dazu Schöttle, 203 ff.<br />

28 Das gilt auch für den Schutz von Daten Dritter. Auch hier ist eine Erhebung,<br />

Verarbeitung und Nutzung von Daten in großem Umfang zulässig, siehe<br />

Schöttle, 207 ff.<br />

29 Rüpke, AnwBl 2003, 25.<br />

30 Vgl. § 105 StPO. Zuck ist allerdings der Ansicht, auch im hier geschilderten<br />

Fall werde eine Durchsuchungsanordnung benötigt, Zuck in: Abel, 34 f.<br />

31 BVerfG, Beschluss vom 8.11.1978, 1 BvR 589/72, BVerfGE 50, 16, 29.<br />

32 BVerfG, Beschluss vom 8.3.1983, 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 284.<br />

33 So auch Rüpke, AnwBl 2003, 24; Rüpke, RDV 2003, 77 f.<br />

34 Ebenso Rüpke, AnwBl 2003, 21 ff.<br />

35 Siehe den Entwurf des BRAK-Rechtsausschusses in BRAK-Mitt. 1997, 16 ff.<br />

Zu einer neueren Fassung des § 50 a BRAO siehe Rüpke, AnwBl 2003, 25.


AnwBl 12/2005 743<br />

Aufsätze MN<br />

Datenschutzbeauftragten bzw. bei Datenverarbeitung in<br />

kleinen Betrieben. 36 Diese Ausnahmen gelten jedoch nicht,<br />

soweit automatisierte Verarbeitungen existieren, in denen<br />

geschäftsmäßig personenbezogene Daten zum Zweck der<br />

Übermittlung gespeichert werden, § 4 d Abs. 4 Nr. 1<br />

BDSG.<br />

Der Rechtsanwalt speichert die erhobenen Daten zunächst<br />

für den eigenen Gebrauch. Hat er einen Datenschutzbeauftragten<br />

bestellt, trifft ihn die Meldepflicht in<br />

diesem Fall nicht. 37 Doch folgt der internen Speicherung<br />

eine Übermittlung, sei es an den Gegner oder an das Gericht,<br />

dann bleibt es bei der Meldepflicht.<br />

Den Inhalt der Meldung bestimmt § 4 e BDSG. Zu melden<br />

sind Daten zur Identifikation der verantwortlichen<br />

Stelle, Zweckbestimmung der Datenverarbeitung, sowie<br />

Angaben zu betroffenen Personengruppen und den diesbezüglichen<br />

Daten. Was bedeutet das für den Rechtsanwalt?<br />

Die von ihm erhobenen Daten lassen sich angesichts der<br />

Vielfältigkeit anwaltlicher Tätigkeit nur schwer konkretisieren;<br />

es dürfte ein allgemeiner Hinweis auf die Anwaltstätigkeit<br />

genügen. Weiter anzugeben sind Regelfristen für<br />

die Löschung der Daten – etwa die Aufbewahrungsfrist für<br />

Handakten gem. § 50 Abs. 2 BRAO. Zuletzt ist über eine<br />

geplante Datenübermittlung in Drittstaaten zu informieren<br />

sowie über getroffene bzw. geplante Maßnahmen zur Datensicherung.<br />

IV. Die Vorabkontrolle<br />

Eine weitere Frage ist, ob der Rechtsanwalt den Regelungen<br />

zur so genannten Vorabkontrolle unterliegt. Die Vorabkontrolle<br />

soll zum einen die Zulässigkeit der Erhebung<br />

von besonders sensiblen Daten prüfen, zum anderen klären,<br />

wie den „besonderen Risiken“ durch organisatorische Maßnahmen<br />

begegnet werden kann. 38 Sie ist nach § 4 d Abs. 5<br />

Nr. 1 BDSG dann durchzuführen, wenn eine automatisierte<br />

Verarbeitung besondere Risiken für die Rechte und Freiheiten<br />

des Betroffenen aufweist. Das ist insbesondere bei der<br />

Verarbeitung „besonderer Arten personenbezogener Daten“<br />

der Fall. Sie sind in § 3 Abs. 9 BDSG definiert als Angaben<br />

über die rassische und ethnische Herkunft, politische<br />

Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen,<br />

Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben.<br />

Keine Vorabkontrolle ist erforderlich, wenn Datenverarbeitung<br />

eine gesetzliche Verpflichtung oder eine Einwilligung<br />

des Betroffenen zugrunde liegt oder wenn sie der Zweckbestimmung<br />

eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen<br />

Vertrauensverhältnisses mit dem Betroffenen dient,<br />

§ 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG.<br />

Es ist fraglich, ob der Anwalt dieser Regelung unterliegt.<br />

Der unbestimmte Rechtsbegriff des „besonderen Risikos“<br />

ist äußerst schwammig und nahezu beliebig interpretierbar.<br />

39 Angesichts der Bandbreite anwaltlicher Tätigkeit<br />

ist jedoch nicht auszuschließen, dass der Anwalt solche Daten<br />

erhebt. 40 Damit bestünde zunächst die Pflicht zur Vorabkontrolle.<br />

Der Ausnahmetatbestand des § 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG<br />

greift zumindest dann nicht, wenn Daten Dritter (etwa des<br />

Prozessgegners) erhoben werden. Eine Einwilligung wird<br />

in der Regel fehlen, ein Vertrag mit dem Dritten, dem die<br />

Erhebung dienen könnte, existiert nicht. Eine gesetzliche<br />

Verpflichtung zur Datenerhebung gibt es ebenso wenig. Es<br />

ist allerdings zu berücksichtigen, dass zahlreiche Einschränkungen<br />

des BDSG bei der Datenverarbeitung für den<br />

Rechtsanwalt nicht gelten. Er ist befugt, Informationen<br />

fremder Personen zu speichern, ohne dass es auf eine Interessenabwägung<br />

oder eine Zustimmung des Dritten ankäme.<br />

41 Dieser Fall wird von der Ausnahmevorschrift des<br />

§ 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG jedoch nicht erfasst. Die Regelung<br />

stellt zwar auf eine gesetzliche Pflicht zur Erhebung ab,<br />

lässt aber die bloße Befugnis außer Acht. Diesem Manko<br />

kann mit einer teleologischen Ausweitung des Ausnahmetatbestands<br />

begegnet werden: Wenn schon die Pflicht zur<br />

Erhebung von Daten von der Vorabkontrolle befreit, dann<br />

muss dies erst recht bei der bloßen Befugnis dazu gelten<br />

– letztere greift ja weitaus weniger in die Rechte des Betroffenen<br />

ein. Die derzeit existierende Regelung macht jedenfalls<br />

keinen Sinn: Eine Vorabkontrolle, die lediglich<br />

prüfen würde, ob ein Anwalt auch wirklich befugt ist, besonders<br />

vertrauliche Daten zu erheben, wäre eine bloße<br />

Formalie. Die Befugnis des Rechtsanwalts zur Erhebung<br />

vertraulicher Daten ist daher den Ausnahmetatbeständen<br />

des § 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG gleichzustellen; eine Vorabkontrolle<br />

ist folglich nicht erforderlich.<br />

V. Fazit<br />

Die im Bundesdatenschutzgesetz verankerte Datenschutzkontrolle<br />

wird dem besonderen Vertrauensverhältnis<br />

zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten nicht gerecht,<br />

welches die Grundlage jeder anwaltlichen Tätigkeit<br />

bildet und zu dem der Umgang mit sensiblen Informationen<br />

gehört. Ob das BDSG insgesamt einen zu restriktiven Umgang<br />

mit personenbezogenen Daten vorsieht, soll an dieser<br />

Stelle nicht erörtert werden. Festzuhalten ist jedenfalls,<br />

dass das enge Korsett der Datenschutzaufsicht mit den Formen<br />

anwaltlicher Beratungstätigkeit in weiten Teilen unvereinbar<br />

ist.<br />

Nicht alle der daraus resultierenden Probleme lassen<br />

sich über die Subsidiaritätsregelung des BDSG lösen. Reibungspunkte<br />

gibt es insbesondere dort, wo eine solche<br />

Nachrangigkeit aufgrund ausdrücklicher Regelungen ausgeschlossen<br />

scheint; zu nennen ist das Verhältnis des<br />

Rechts der Aufsichtsbehörde auf Dateneinsicht zur Verschwiegenheitspflicht<br />

des Rechtsanwalts. Die derzeit gebotene<br />

Lösung der verfassungskonformen Auslegung des<br />

BDSG im Lichte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung<br />

des Mandanten kann dabei keine dauerhafte<br />

sein. An dieser Stelle ist der Gesetzgeber gefordert, den<br />

Konflikt zu entschärfen. Eine gute Möglichkeit wäre der<br />

Vorschlag, die Datenschutzaufsicht den Anwaltskammern<br />

zu übertragen.<br />

36 Vgl. § 4 d Abs. 2 und 3 BDSG.<br />

37 So auch Schneider, AnwBl 2004, 620.<br />

38 Gola/Schomerus, § 4 d, Rn. 17.<br />

39 Gola/Schomerus, § 4 d, Rn. 9.<br />

40 Schneider nennt als Beispiel arbeits- oder sozialrechtliche Fälle, Schneider,<br />

AnwBl 2004, 620 f.<br />

41 Ausführlich dazu Schöttle, 206 f.


744<br />

MN<br />

Ein bisschen Charme und<br />

Gelassenheit helfen<br />

Vom Umgang zwischen Anwälten und<br />

Journalisten *<br />

Dr. jur. Joachim Jahn, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung und Lehrbeauftragter der Universität<br />

Mannheim, Frankfurt/M.<br />

Die einen wollen rein, kommen aber nicht zum Zuge. Die<br />

anderen wollen nicht rein, hätten aber etwas zu sagen.<br />

Das Verhältnis von Anwälten und Journalisten ist immer<br />

noch ein schwieriges. Als Werbeinstrument wollen viele<br />

Anwälte die Medien gerne nutzen – doch wenn der Redakteur<br />

bei ihnen anruft, wird die Verschwiegenheit hoch gehalten.<br />

Der Beitrag gibt Einblicke in die journalistische<br />

Praxis – und kritisiert mit Charme und Gelassenheit Kanzleien<br />

und Anwälte. Der Autor betreut in der Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung die Seite „Recht und Steuern“.<br />

I.<br />

Zum Glück brauchen (bislang) meist weder die lokalen<br />

noch die überregionalen Tageszeitungen einen Anwalt als<br />

Rechtsvertreter, wenn sie ihrer publizistischen Arbeit nachgehen.<br />

Die Kooperation erstreckt sich im Normalfall vielmehr<br />

auf die Berichterstattung über einzelne Fälle, über<br />

den Berufsstand der Anwälte und über deren Rechtsauskünfte.<br />

Und dass Anwälte und Journalisten zum Wohl des<br />

Gemeinwesens prächtig zusammen arbeiten können, wäre<br />

am ehesten Stoff für eine Sonntagsrede. Diese böte sicher<br />

manchen Anlass für Betrachtungen darüber, wie Medien<br />

ihre Themen nach ganz eigenen Gesetzen auswählen, wie<br />

viele von ihnen sie oft aufbauschen und über Gebühr personalisieren.<br />

Oder darüber, wie Anwälte geschickt Zeitungen,<br />

Funk und Fernsehen dafür einspannen, um Druck im<br />

Interesse ihrer Mandanten auszuüben – sei das nun der<br />

Strafverteidiger einer Mutter, die ihre Kinder umgebracht<br />

haben soll, oder eines Top-Managers. Oder (neuerdings) der<br />

Wirtschaftsanwalt, der einen Hedge-Fonds oder einen<br />

Großaktionär vertritt.<br />

Anwälte dürften sich aber eher für konkrete und praktische<br />

Hinweise von journalistischer Seite interessieren.<br />

Denn vor allem wissen sie natürlich, dass es für eine Kanzlei<br />

von Nutzen sein kann, wenigstens ab und zu in der<br />

Die Erwähnung in der Zeitung hilft<br />

(fast immer) Anwalt und Kanzlei<br />

Presse aufzutauchen, zumindest in den Wirtschaftsmedien<br />

– von der Berichterstattung über Niederlagen und Kunstfehler<br />

einmal abgesehen. Nach 15 Jahren im Journalisten-Beruf<br />

ist man wirklich frei von falsch verstandener Eitelkeit<br />

oder von einer Überschätzung der Rolle der Medien als<br />

„vierter Gewalt“. Aber wenn eine Sozietät ein distinguiertes<br />

Geschäftsmodell von Exklusivität und Diskretion praktizieren<br />

würde, nach dem sie möglichst niemals öffentlich<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

erwähnt werden wollte, hielte dies den möglichen Mandantenstamm<br />

doch ziemlich klein. Dass jüngst etwa das „Manager-Magazin“<br />

abermals zwei Anwälte zu den 50 wichtigsten<br />

Menschen der gesamten Wirtschaft in der<br />

Bundesrepublik gezählt hat, wird den beiden und ihren<br />

Partnern nicht abträglich gewesen sein. Und in Anwaltskreisen<br />

ist längst bekannt, welche „Einflugschneisen“ die<br />

Zeitungen für die Erwähnung einzelner Rechtsberater und<br />

Kanzleien bieten – viel mehr übrigens, als die elektronischen<br />

Medien dies mit ihrer Kürze, ihrer Hektik und<br />

Flüchtigkeit tun.<br />

II.<br />

Die „Einfallstore“ für Advokaten sind beispielsweise<br />

spektakuläre Fälle, in denen sie prominente Mandanten vertreten.<br />

Dazu gehören ferner Interviews, in denen sie als Experten<br />

um Auskunft gebeten werden. Das gilt nicht nur für<br />

die Erläuterung aktueller Rechtsstreitigkeiten, die gerade<br />

die Schlagzeilen beherrschen. Sondern das betrifft auch<br />

nützliche und geldwerte Tipps für Entscheider in den Betrieben<br />

oder für Verbraucher, Kapitalanleger und Steuerpflichtige<br />

– Lebenshilfe in Alltagsfragen. Gefragt sind<br />

ebenso Gastbeiträge, in denen Rechtsberater ein aktuelles<br />

Problem von seiner rechtlichen Seite beleuchten (und bei<br />

denen sie vielleicht noch zusätzlich im Foto abgebildet werden<br />

oder ihre Kontaktdaten mit abgedruckt werden). Eine<br />

Chance zur eigenen Publizität bieten schließlich Pressekonferenzen<br />

oder Hintergrundgespräche, in denen die Paragrafenkenner<br />

über die geschäftliche Entwicklung ihrer eignen<br />

Sozietät berichten.<br />

Nicht zu unterschätzen sind aber auch jene Gelegenheiten,<br />

bei denen die Advokaten zunächst im Hintergrund bleiben,<br />

weil sie schlicht einem Journalisten eine kleine<br />

Rechtsauskunft für einen aktuellen Bericht geben: etwa<br />

zum Aktienrecht, wenn eine turbulente Hauptversammlung<br />

bevorsteht. Das führt nicht immer gleich zu einem namentlichen<br />

Zitat. Noch unsichtbarer bleiben die rechtskundigen<br />

Freiberufler naturgemäß, wenn sie einem Reporter ein vertrauliches<br />

Papier weiter reichen. Das gibt es nicht selten,<br />

und das muss keineswegs einen Bruch ihres Berufsrechts<br />

oder der ethischen Regeln des journalistischen Berufsstands<br />

darstellen. Auch wenn die meisten Redakteure dabei nicht<br />

mit dem Scheckbuch wedeln können und wollen – ein<br />

Lohn winkt dennoch: Vielleicht ein halbes Jahr später,<br />

wenn kein Leser mehr den Kontext erahnt, wird der Informant<br />

beispielsweise aus Dankbarkeit in einer ganz anderen<br />

Angelegenheit zitiert werden. Bei manchen Artikeln ahnt<br />

niemand, warum sie in Wirklichkeit geschrieben worden<br />

sind – oder jedenfalls, nach welchen Kriterien die Gesprächspartner<br />

ausgewählt wurden. Und ein guter Journalist<br />

wird schon aus eigenem Interesse die verabredete Vertraulichkeit<br />

über seine Quelle wahren, weil er sonst selbst „verbrannt“<br />

ist und ihm niemand mehr etwas verraten wird.<br />

Sein Recht zur Verweigerung der Aussage ist bekanntlich<br />

ohnehin gesetzlich geschützt.<br />

Juristen und Journalisten, die im Berufsleben stehen,<br />

wissen natürlich längst, was hinter den Kulissen vor sich<br />

geht. Der Anwalt, der nur altruistisch für die Gerechtigkeit<br />

oder die Interessen seines Mandanten kämpft, ist genauso<br />

ein schöner Schein wie der Redakteur oder Reporter, der<br />

sich seine Themen, Gesprächspartner und Formulierungen<br />

* Überarbeitete Fassung eines Vortrags auf dem Europatreffen der State Capital<br />

Law Firm Group in Hamburg auf Einladung der Kanzlei Graf von Westphalen<br />

Bappert & Modest.


AnwBl 12/2005 745<br />

Aufsätze MN<br />

stets frei von persönlichen Beweggründen und Emotionen<br />

aussucht. Dennoch brauchen viele Anwälte immer noch<br />

eine Ermunterung, die möglichen Kanäle zur Öffentlichkeit<br />

auch tatsächlich zu nutzen. Oft ist erstaunlich, wie unprofessionell<br />

manche großen Sozietäten da immer noch agieren<br />

– und wie geschickt, geradezu ausgebufft manche anderen<br />

mittlerweile auf der Medienklaviatur spielen. Neben<br />

der Kenntnis von Alltags-Erfahrungen aus der Redaktionsstube<br />

mögen den weniger Geschickten da ein paar pragmatische<br />

Hinweise helfen. Verbunden mit einer Warnung vor<br />

jenen kleinen, im Endergebnis jedoch mitunter fatalen Fehlern,<br />

die Kanzleien und ihre so genannten Berater nicht selten<br />

machen.<br />

All diese Offenbarungen kommen keineswegs ohne Eigennutz.<br />

Denn eine Zeitungsseite wird nicht von alleine<br />

voll. Redakteure brauchen Themen, Informationen, Gesprächspartner.<br />

Und wenn sie überdies eine regelmäßig er-<br />

Kein Anwalt ist nur altruistisch – welcher<br />

Journalist ist nicht beeinflussbar?<br />

scheinende Spezialseite zu betreuen haben – und über eine<br />

solche verfügen mittlerweile fast alle bundesweiten Zeitungen<br />

für das Themenfeld Recht und Steuern –, brauchen sie<br />

obendrein fachkundige Gastautoren. Schließlich: Ein Journalist,<br />

der einen exklusiven Artikel oder auch nur einen besonders<br />

gut lesbaren Bericht zu einer komplizierten Materie<br />

geschrieben hat, wird von seiner Redaktionskonferenz gelobt.<br />

Helfen Sie ihm also dabei! Den meisten Menschen<br />

gilt die Juristerei nun einmal als eine Geheimwissenschaft.<br />

Ohne fachkundige Lotsen glauben sie sich im Gestrüpp von<br />

Paragrafen, Aktenzeichen und gefährlichen Fußangeln verloren.<br />

III.<br />

Aus purem Egoismus sollen Hinweise am Anfang stehen,<br />

was Schreiberlingen und Skribenten in den Redaktionen<br />

am meisten am Herzen liegt. Daraus lässt sich zugleich<br />

ersehen, wie ein Kontakt mit den Medien am besten nicht<br />

eingefädelt werden sollte. Das Problem eines etablierten<br />

Rechtsredakteurs ist nämlich sicher nicht, dass er zu wenig<br />

Anrufe oder E-Mails bekäme. Aber es sind nicht immer die<br />

richtigen, und vieles ließe sich wesentlich effektiver bewerkstelligen.<br />

Eine Grundsatzfrage für jede Kanzlei, die<br />

ihre Öffentlichkeitarbeit ausbauen will, ist dabei zunächst:<br />

Arbeiten wir mit einer externen Dienstleistungsagentur zusammen<br />

– oder bauen wir uns die entsprechenden Kompetenzen<br />

und Kapazitäten im eigenen Haus auf? Sicherlich<br />

haben beide Wege gute Argumente für sich. Entschieden<br />

werden sollte dies im Zweifel also nach betriebswirtschaftlichen<br />

Kriterien (oder, wenn die Entscheidung schon gefallen<br />

ist, später einmal hinterfragt werden).<br />

Die konkreten Erfahrungen mit PR-Agenturen gestalten<br />

sich allerdings im Durchschnitt deutlich schlechter als die<br />

mit sozietätseigenen Ansprechpartnern. Da bekommt man<br />

nicht selten von einer Agentur E-Mails mit Angeboten für<br />

Interviews oder Gastbeiträge, in denen es wörtlich heißt:<br />

„Der Autor wäre ein Anwalt aus einer der von uns betreuten<br />

renommierten Sozietäten.“ Das ist, mit Verlaub, der<br />

blanke Hohn. Als Redakteur hat man auch mit Beiträgen<br />

von Fremdautoren einen Ruf zu verlieren; da weiß man,<br />

was es heißt, wenn ein Text von einer Flut von Leserbriefen,<br />

E-Mails, Faxen und Telefonanrufen attackiert wird,<br />

weil der Verfasser einen groben Schnitzer gemacht hat.<br />

Deshalb ist das Mindeste, was ein Redakteur erwarten darf,<br />

dass er erfährt, welche Kanzlei ihm da angepriesen wird.<br />

Dass namhafte Sozietäten sich solch eine „Konfektionsware“<br />

überhaupt bieten lassen, lässt sich nur damit erklären,<br />

dass sie schlichtweg von derartigen Schnitzern nichts<br />

mitbekommen.<br />

Dies gilt gleichermaßen für den konkreten Autoren. Mit<br />

manchen Schreibern hat man nämlich so schlechte Erlebnisse<br />

gehabt, dass man nie wieder mit ihnen zusammenarbeiten<br />

möchte. Es ist übrigens verblüffend, wie einig sich<br />

da im konkreten Fall meist der kleine Kreis der in Betracht<br />

kommenden Rechtsredakteure ist. Schließlich tauschen<br />

auch sie – trotz aller Konkurrenz – ihre Erlebnisse untereinander<br />

aus und begegnen sich immer wieder auf einschlägigen<br />

Tagungen etwa von Anwaltsverein oder Anwaltskammer.<br />

Besonders ungünstig ist es obendrein, wenn eine<br />

solche Mail von Tippfehlern wimmelt: Schließlich liegt ein<br />

möglicher Nutzen für den Betreuer einer Rechtsseite aus<br />

der Zusammenarbeit mit PR-Profis in der Hoffnung, dass<br />

sie einen Text so übermitteln, dass er annähernd „1 : 1“ abgedruckt<br />

werden kann. Das entsprechende Vertrauen ist<br />

aber dahin, wenn schon die vorgelagerte Korrespondenz<br />

mit allen Regeln der Orthografie auf Kriegsfuß steht. Und<br />

ganz besonders fatal ist es, wenn einem etwa für einen bestimmten<br />

Termin ein Interview oder ein Gastbeitrag angetragen<br />

wird,<br />

Der Anwalt als Gastautor – Redaktionen<br />

lassen sich ungern für dumm verkaufen<br />

weil an jenem Tag angeblich der Europäische Gerichtshof<br />

entscheidet – obwohl in Wirklichkeit zu diesem Termin nur<br />

der Generalanwalt seinen Schlussantrag stellt. Auch wenn<br />

hier natürlich keine Namen genannt und keine Adressen angedeutet<br />

werden sollen – über all dies wäre keine Silbe zu<br />

verlieren, wenn man all das nicht etliche Male mit den<br />

Dienstleistern von Top-Kanzleien hätte erleben müssen.<br />

Nicht ganz ohne Grund setzen „Handelsblatt“ oder „Financial<br />

Times Deutschland“ auf ihren Rechtsseiten erkennbar<br />

zunehmend auf Journalisten statt Anwälte als Gastautoren<br />

auf ihren Rechtsseiten.<br />

IV.<br />

Aber auch der kanzleiinterne PR-Beauftragte ist zunächst<br />

nur ein Hoffnungswert. Bei der F.A.Z. etwa bekommt<br />

man täglich bis zu zehn Vorschläge für Gastbeiträge,<br />

von denen schon aus statistischen Gründen die<br />

allermeisten abgelehnt werden müssen. Der Platz reicht<br />

nun einmal nicht annähernd für alle geeigneten Bewerber<br />

und für alle interessanten Themen. Da ist es sehr hilfreich,<br />

wenn nicht jeder der paar hundert Anwälte einer jeden<br />

Wirtschaftskanzlei sich einzeln meldet, sondern wenn dies<br />

von der eigenen Pressestelle gebündelt wird. Das bietet<br />

dann auch die Chance, dass ein echter Sprach-Profi den<br />

Text bearbeitet, bevor der an die Zeitung weiter geleitet<br />

wird. Gegen den trockenen und drögen „Kanzleistil“ der<br />

Juristen sind mittlerweile in den führenden juristischen<br />

Fachverlagen etliche Ratgeberbücher für die Verfasser von<br />

Anwaltstexten erschienen.<br />

Zudem: Kein Tageszeitungsjournalist betreut seine<br />

Rechtsseiten als „full-time job“. Seine Zeit ist also entsprechend<br />

knapp – besonders nachmittags, wenn er selbst viel-


746<br />

MN<br />

leicht etwas Aktuelles über ein frisches Grundsatzurteil<br />

schreiben muss. Dann rückt unerbittlich der Redaktionsschluss<br />

heran. Oder wenn er – auch das bleibt den Fachredakteuren<br />

seit der Wirtschaftskrise nationaler Tageszeitungen<br />

nicht immer erspart – für ein paar Stunden in ein<br />

Großraumbüro umziehen und mithelfen muss, beispielsweise<br />

die allesamt gleichzeitig einlaufenden Texte der Auslandskorrespondenten<br />

zu redigieren. Von den Lesern, die zu<br />

wirklich jeder Tageszeit wegen ihrer privaten Rechtsfragen<br />

anrufen oder über die Steuerpolitik der Regierung diskutieren<br />

wollen, ganz zu schweigen.<br />

Ideal aus Mediensicht ist somit ein Ansprechpartner, der<br />

ein voll ausgebildeter Jurist und Journalist gleichzeitig ist.<br />

Der kennt die Arbeitsprozesse auf beiden Seiten und ist<br />

deshalb der optimale Intermediär. Er weiß, wie man eingängig,<br />

lesbar und verständlich schreibt. Er kann aber bei<br />

der Vermarktung auch kompetent erklären, worum es in<br />

dem avisierten Text gehen soll. All das hilft allerdings<br />

nichts, wenn er sich bei den Partnern seiner Sozietät nicht<br />

durchsetzen kann. Diese glauben nämlich als gestandene<br />

Wirt-<br />

Lesbar und verständlich schreiben –<br />

auch gestandene Anwälte scheitern<br />

schaftsanwälte oft, an ihren Texten wäre aus publizistischer<br />

Sicht rein gar nichts zu verbessern und schon gar nichts zu<br />

kürzen. Und ein Beitrag ließe sich gleichsam auf Geheiß in<br />

einer Zeitung „platzieren“. Gewiefte PR-Leute aus Kanzleien<br />

bitten dann übrigens schon einmal im Interesse ihres<br />

internen Standings ausdrücklich darum, einen solchen Text<br />

als „nicht abdruckfähig“ zurück zu schicken – als pädagogische<br />

Lektion für unbelehrbare Senior-Partner.<br />

Was rein gar nicht hilft, sind Ellenbogen-Methoden, mit<br />

denen es manche Anwälte gelegentlich höchstpersönlich<br />

am Telefon versuchen. Eine Zeitung ist zum Glück keine<br />

öffentlich-rechtliche Badeanstalt, die an das Gleichheitsgebot<br />

des Grundgesetzes gebunden wäre: Sie muss nicht jeden<br />

„reinlassen“. Und sie ist auch kein taff zu behandelnder<br />

Verhandlungspartner bei einer M&A-Transaktion. Beschwerden<br />

bei Vorgesetzten haben da noch nie etwas ausgerichtet,<br />

wenn jemand glaubte, der eigene Gastbeitrag sei<br />

für die Leser unverzichtbar, eine andere Kanzlei komme zu<br />

häufig ins Blatt oder nach dem eigenen (abgelehnten) Vorschlag<br />

eines Textes hätte die Redaktion nicht statt dessen<br />

ein Interview zu demselben (in der Luft liegenden) Thema<br />

mit einer wissenschaftlichen Kapazität führen dürfen.<br />

Ebenso nutzlos blieb das unverhohlene Angebot einer<br />

Geldzahlung. Wenig bringt es auch, eine ablehnende Mail<br />

quasi als Rechtsbehelfsbelehrung aufzufassen und postwendend<br />

dagegen an zu argumentieren. Es ist eigentlich<br />

schade, aber mittlerweile greift man als Redakteur deshalb<br />

immer mehr auf Textbausteine zurück und verzichtet auf<br />

eine inhaltliche Begründung für eine Absage, weil man für<br />

solchen Disput schlicht keine Zeit hat – auch wenn ein potenzieller<br />

Gastautor daraus vielleicht etwas hätte lernen<br />

können. Eine Tageszeitung ist eben keine wissenschaftliche<br />

Fachzeitschrift, wo ein Schriftleiter nichts anderes zu tun<br />

hat, als Autoren zu hegen und zu pflegen. Nicht förderlich<br />

ist auch die häufig aufgestellte (und nur gelegentlich zutreffende)<br />

Behauptung, ein anderer Gastautor oder eine Redaktion<br />

selbst habe irgendein Rechtsproblem dermaßen falsch<br />

dargestellt, dass nun prompt ein korrigierender „Gegenbeitrag“<br />

durch den Einsender zu publizieren sei.<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Aufsätze<br />

Ein bisschen Charme und Gelassenheit helfen jedenfalls<br />

überall im Leben eher weiter als die Penetranz eines Staubsaugervertreters.<br />

Diese begegnet einem selbst bei namhaften<br />

Anwälten, die gelegentlich aus dem Auto heraus mit ihrem<br />

knacksenden Handy anrufen oder über ihre Sekretärin<br />

auf dem Anrufbeantworter der Redaktion ohne nähere Angaben<br />

einen Rückruf erbitten lassen. Wenig effektiv ist es<br />

aber auch, wenn eine Kanzleiangestellte im Auftrag ihres<br />

Chefs anruft, um dem Redakteur ein Thema schmackhaft<br />

zu machen.<br />

Keinen besonders guten Eindruck macht es, wenn ein<br />

neuer Kanzleibeauftragter seinen Antrittsbesuch mit der<br />

Bitte verbindet, ihm doch einmal eine Rechtsseite der Zeitung<br />

zu zeigen. Ist die Vorstellung wirklich so abwegig,<br />

dass er sich das Presseorgan schon einmal anschaut, bevor<br />

er sich nach langfristiger Terminvereinbarung auf die weite<br />

Fahrt in dessen Redaktion macht? Wenig Erfolg verspricht<br />

es auch, stets prompt jene Themen anzubieten, die man an<br />

demselben Vormittag gerade auf den Rechtsseiten anderer<br />

Tageszeitungen entdeckt hat. Der Redakteur könnte sogar<br />

ein wenig in seinem Stolz verletzt sein, wenn er selbst dasselbe<br />

Thema bereits in der Woche zuvor groß rausgebracht<br />

hat. Gehen diese Kanzleien eigentlich genauso geschickt<br />

auch auf Mandanten-Akquise? Und zumindest nicht sonderlich<br />

elegant ist es, wenn in einer Mail die angeschriebene<br />

F.A.Z. als das bestmögliche Forum für einen Gastbeitrag<br />

oder ein Interview angepriesen wird, das Attachment aber<br />

beispielsweise „boersenzeitung.doc“ heißt. Unangebracht<br />

wirken auch Schreiben mit Fristsetzung und Aktenzeichen,<br />

als wäre die Redaktion der eigene Mandant oder ein Beklagter.<br />

Über die Länge eines Beitrags verhandeln zu wollen,<br />

ist überdies Journalisten gegenüber, denen von der Lay-<br />

Out-Abteilung im eigenen Haus mittlerweile klare<br />

Vorgaben für die Gestaltung ihrer Seiten gemacht werden<br />

(„Form vor Inhalt“), eine schlichte Zumutung.<br />

Die Medien interessieren sich beileibe nicht nur für populistische<br />

Sex- und Crime-Fälle – selbst Feinheiten des<br />

Sozialrechts haben manchen Anwalt in die Nachrichtenspalten<br />

gebracht. Doch Themenvorschläge sollten vom Advokaten<br />

selbst kommen; pauschale Anfragen nach etwaigen<br />

Arbeitsaufträgen führen wohl nie zum Erfolg. Wenig effektiv<br />

ist es auch, Gastbeiträge oder Stellungnahmen zu aktuellen<br />

Rechtsfragen mit einem aufwendigen Mechanismus der<br />

Autorisierung von Zitaten oder Redigaturen zu verbinden.<br />

So berechtigt diese Wünsche zur Vermeidung journalistischer<br />

Fehler wahrlich sein können, müssen sie doch in ihrer<br />

Umsetzung mit dem knappen Zeitbudget und dem Aktualitätsdruck<br />

eines tagesaktuellen Mediums vereinbar sein –<br />

und sollten daher nicht jedes Komma mit erfassen. Vor allem:<br />

Nicht jede inhaltliche Eventual-Absicherung und Ausnahmeklausel<br />

lässt sich in einem lesbaren Zitat mit übermitteln.<br />

Den berüchtigten „Kanzleistil“ werden Journalisten<br />

ihren Lesern, redigierenden Kollegen und Ressortleitern<br />

ohnehin nicht vermitteln können.<br />

V.<br />

Soweit dazu, wie man als Experte mit seinen Themen in<br />

die Zeitung kommt und wie nicht. Vielleicht bringen diese<br />

Erfahrungsberichte manchen ein wenig zum Schmunzeln.<br />

Wie steht es nun mit der Kanzlei als Wirtschaftsunternehmen,<br />

mit dem Anwaltsstand als Branche? Auch das ist zunehmend<br />

ein Fall für die Wirtschaftspresse – auch in<br />

Deutschland, wo das Bundesverfassungsgericht vor knapp<br />

20 Jahren die strengen Richtlinien der Zunft kassiert hat.


AnwBl 12/2005 747<br />

Aufsätze MN<br />

Europaweit und sogar transatlantisch schließen sich seither<br />

Kanzleien zusammen – sei es durch Fusionen oder zu Netzwerken.<br />

Dass dabei richtig große Firmen heraus kommen<br />

mit immensen Umsätzen und einer spannenden Tätigkeit,<br />

haben angelsächsische Medien sehr viel eher begriffen als<br />

kontinental-europäische. Dass aber auch Deutschland hier<br />

publizistisch den Anschluss gewonnen hat, hat zu allererst<br />

das Magazin „Juve“ gezeigt.<br />

Hinzu kommt die voran schreitende Verrechtlichung des<br />

Wirtschaftslebens, die von der Europäischen Union noch-<br />

Anwälte und ihre Branche sind längst selbst<br />

Thema der Wirtschaftspresse<br />

mals beschleunigt wird. Ein Zeitungsbericht beispielsweise<br />

über eine Firmenfusion ist in der Qualitätspresse kaum<br />

noch denkbar, ohne dass zahlreiche Anwälte und zusätzlicheine<br />

Handvoll von Professoren die Rechtsregeln erläutern.<br />

Dies kommt dem Aufmerksamkeitswert der gesamten<br />

Beraterbranche ebenfalls zugute. Und schließlich ist die<br />

Anwaltschaft ein ziemlich großer Berufsstand mit hohem<br />

Bildungsniveau, den Qualitätszeitungen deshalb gern als<br />

Leser für sich gewinnen möchten. Und wer liest ein Blatt<br />

emsiger als jemand, der dort ab und zu etwas über sich<br />

selbst oder – wichtiger noch – seine Konkurrenten entdeckt?<br />

Einigermaßen langsam entwickelt sich allerdings in<br />

Deutschland noch eine Einrichtung, die in anderen Wirtschaftszweigen<br />

völlig normal ist: die jährliche Bilanz-Pressekonferenz.<br />

Noch längst nicht alle größeren Sozietäten haben<br />

diese etabliert. Mitunter war der publizistische Output<br />

vielleicht auch enttäuschend, weil das Berufsrecht die Nennung<br />

von Zahlen verbot. Das war für jeden echten Wirtschaftsredakteur<br />

ein großes Handicap. Wenn jede Kanzlei<br />

aber nur erklärt: „Wir wollen aus eigener Kraft weiter<br />

wachsen, Fusionen und Übernahmen sind jedoch auch nicht<br />

ausgeschlossen“, ist das wenig bedeutsam. Trotzdem haben<br />

manche Praxen durchaus die Möglichkeit gefunden, sich zu<br />

profilieren und eigene Botschaften an Tageszeitungen auszusenden.<br />

Zudem hat kürzlich die Kanzlei Rödl ein (rechtskräftiges)<br />

Urteil erstritten, nach dem sie mit ihren Umsätzen<br />

werben darf. Dazu hat zwar<br />

Wenn „Deal-Meldungen“ und Personalien<br />

zur Plage werden ...<br />

noch nicht der Bundesgerichtshof das letzte Wort gesprochen,<br />

immerhin hat aber schon ein Oberlandesgericht entsprechend<br />

entschieden. Andere wie Clifford Chance schließen<br />

sich nun vorsichtig an. Ob man für so etwas zu einer<br />

offiziellen Pressekonferenz einladen sollte oder zu einem<br />

gemeinsamen Hintergrundgespräch mit mehreren Medien<br />

beim Mittagessen oder aber nach und nach Einzelgespräche<br />

mit der Handvoll bundesweit in Betracht kommender Presseleute<br />

veranstalten sollte, ist dagegen zweitrangig.<br />

Weniger von Bedeutung ist für Tageszeitungen allerdings<br />

das, was sie besonders häufig als E-Mail bekommen<br />

– die ewigen „Deal-Meldungen“ (Original-Beispiel einer<br />

Top-Kanzlei: „Katjes übernimmt von Ragolds Lizenz zur<br />

Herstellung von Granini-Bonbons“) und die Personalien<br />

über neue Partner, über Aussteiger, Einsteiger und Bürowechsler.<br />

Die meisten dieser Nachrichten über Firmen-<br />

Transaktionen hätten die Medien allenfalls interessiert, bevor<br />

sie von den Mandanten selbst bekannt gegeben worden<br />

sind. Dass Anwälte da nicht vorpreschen können, versteht<br />

sich von selbst. Doch damit sind diese Meldungen „Schnee<br />

von gestern“, wenn sie die Presse erreichen. Ganz gelegentlich<br />

bringen zwar einzelne Tageszeitungen doch einmal<br />

eine solche Nachricht. Das steht aber ganz und gar in keinem<br />

Verhältnis zu der Dimension, in der sie ständig mit<br />

solchen Presseerklärungen bombardiert werden. Ein radikales<br />

Plädoyer dafür, ganz von den Verteilern gestrichen zu<br />

werden, wäre übertrieben. Aber zumindest bombastische<br />

Ankündigungen wie „Frei zur sofortigen Veröffentlichung“<br />

sollten einem erspart bleiben. Oder die Lästigkeit, dass man<br />

oft nicht aus der Betreff-Zeile der Mail, sondern erst durch<br />

weiteres Herum-Klicken erkennen kann, worum es jeweils<br />

geht. Dann entwickelt sich das Ganze zu einer echten<br />

Plage.<br />

VI.<br />

Eine Gelegenheit zur Positionierung bringt schließlich<br />

die Berichterstattung über Entwicklungen, die die gesamte<br />

Branche betreffen. Die Lage der Anwaltschaft bietet<br />

schließlich Stoff für Reportagen und Nachrichten im Überfluss:<br />

Nach der Fusionswelle kam die Ernüchterung. Anwaltskanzleien<br />

näherten sich Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

an und nabelten sich nach dem<br />

Sarbanes-Oxley-Act wieder von ihnen ab. Der Berufsstand<br />

wächst und wächst – und unternimmt dennoch enorme Anstrengungen,<br />

um gute Nachwuchskräfte zu rekrutieren.<br />

Symbiose zum beiderseitigen Nutzen –<br />

das sollte das Ziel sein<br />

Der Anwaltsmarkt erhält Konkurrenz aus Nachbarberufen,<br />

und zumindest die rot-grüne Bundesregierung wollte das<br />

Quasi-Monopol der Anwälte im Einklang mit der Rechtsprechung<br />

des Bundesverfassungsgerichts weiter lockern.<br />

Die Honorarvorschriften hatte sie bereits liberalisiert. Aus<br />

Brüssel weht den Standesregeln in ganz Europa der (wenngleich<br />

derzeit abflauende) Wind der Deregulierung ins Gesicht.<br />

Eine Aufspaltung des Berufsstandes zeichnet sich ab.<br />

Die deutschen Anwaltsorganisationen kämpfen für die Interessen<br />

ihrer Gilde – und sind dennoch in wesentlichen<br />

Punkten wie der Aus- oder Fortbildung untereinander zerstritten.<br />

Da wäre es ein Jammer, wenn sich einzelne Anwälte<br />

und Kanzleien nicht stärker einmischen würden. Nicht nur,<br />

um die Interessen ihrer Zunft offensiv zu vertreten. Sondern<br />

auch, um diese vielen Themen, die sozusagen auf der<br />

Straße herumliegen, für sich persönlich zu nutzen: dafür,<br />

dass sie als konkreter Anbieter von Rechtsdienstleistungen<br />

in die Medien kommen. Ohne Anregungen aus der Praxis<br />

gingen die besten Geschichten an den Journalisten vorbei.<br />

Und die Zeitungen blieben langweilig, würden sie nur mit<br />

„B-Themen“ gefüllt. Das Verhältnis zwischen Juristen und<br />

Journalisten ist, wenn es sich ordentlich entfaltet, eine Symbiose<br />

zum beiderseitigen Nutzen. Advokaten sollten diese<br />

botanische Besonderheit zum Wachsen und Blühen bringen.


748<br />

MN KOMMENTA R<br />

Mit Rat und vor<br />

allem mit Tat –<br />

weil es nötig ist<br />

Rechtsanwalt Micha Guttmann, Köln, Vorsitzender<br />

des Kuratoriums der DAV Stiftung<br />

contra Rechtsextremismus und Gewalt.<br />

Sie sind nicht im Bundestag und<br />

sie haben keine Chancen, Einfluss auf<br />

wichtige politische Entscheidungen zu<br />

nehmen. Die Rechtsextremisten gehören<br />

zu den eindeutigen Verlierern der<br />

Bundestagswahl. Dies ist ein gutes Ergebnis,<br />

das in der Analyse der Experten<br />

und der Kommentatoren in den<br />

Medien viel zu kurz kam.<br />

Doch beruhigen darf uns dieses Ergebnis<br />

nicht. Denn in einigen Landesparlamenten<br />

und einer Reihe von<br />

Kommunen sind sie weiter vertreten.<br />

Auch wenn sie ihren öffentlichen Auftritt<br />

verändert haben und heute nicht<br />

mehr in Springerstiefeln, sondern mit<br />

Anzug und Krawatte auftreten, bleibt<br />

doch, dass Programm und Personen<br />

des gesamten rechtsextremen Spektrums<br />

unserem demokratischen und<br />

auf Toleranz beruhenden Staats- und<br />

Gesellschaftsverständnis diametral entgegen<br />

stehen. Und ihre menschenverachtenden<br />

Thesen haben immer noch<br />

Erfolg – mehr als wir ahnen und aus<br />

den Medien erfahren.<br />

Die Meldungen stehen zwar nur<br />

noch selten auf der ersten Seite der Tageszeitungen.<br />

Und in den Fernseh-<br />

Gegen Rechtsextremismus<br />

und Gewalt – Anwälte<br />

engagieren sich<br />

Nachrichtensendungen erscheinen sie<br />

überhaupt nicht mehr. Doch die gewalttätigen<br />

Übergriffe sind nicht weniger<br />

geworden und die Vorfälle gehören<br />

heute schon fast zum Alltag, so dass<br />

wir sie so richtig kaum noch zur<br />

Kenntnis nehmen: Mit der Frage „Was<br />

willst Du Neger hier?“, schlagen nach<br />

einem Diskothekenbesuch sechs junge<br />

Männer einen Sudanesen zusammen<br />

und verletzen ihn schwer. Mehrere Jugendliche<br />

bespucken in der Bahn einen<br />

Mann aus Angola, greifen ihn tätlich<br />

an und verletzen ihn am Kopf und<br />

am Brustkorb. Und eine junge Studentin<br />

– Deutsche, Tochter eines äthiopischen<br />

Vaters und einer deutschen<br />

Mutter – wird zum zweiten Mal wegen<br />

ihrer Hautfarbe Opfer brutaler Gewalt,<br />

als sie mit ihrer Mutter in der<br />

Berliner S-Bahn fährt. „Du Scheißausländer“<br />

hört sie noch, dann trifft sie<br />

eine 1,5 Literflasche am Kopf. „Die<br />

Erfahrung, ganz allein zu sein, ist am<br />

schlimmsten“, sagt die junge Frau<br />

nach der brutalen Tat.<br />

Menschenverachtende Vorfälle dieser<br />

Art können und dürfen Anwälte<br />

nicht abseits stehen lassen, gerade<br />

weil sie sich als Teil der dritten Gewalt<br />

verstehen, deren Aufgabe es ist, hier<br />

lebenden Menschen Schutz vor Willkür<br />

und Gewalt zu garantieren. Hier<br />

wollen, hier müssen wir helfen. Der<br />

Deutsche Anwaltverein hat deshalb<br />

die „DAV Stiftung contra Rechtsextremismus<br />

und Gewalt“ gegründet. Sie<br />

hilft den Opfern, anwaltlichen Rat zu<br />

bekommen. Die Stiftung legt großen<br />

Wert darauf, dass die Gewaltopfer einen<br />

Anwalt ihres Vertrauens wählen<br />

können. Wer weiß es besser als An-<br />

AnwBl 12/2005<br />

wälte, dass Menschen, die Opfer von<br />

Gewalt wurden, Vertrauenspersonen<br />

dringend benötigen. Gerade weil die<br />

Betroffenen sich oft kaum artikulieren<br />

können und auch keine Erfahrungen<br />

mit unserem Justizsystem haben, ist es<br />

wichtig, dass Anwälte beraten und Nebenklagen<br />

vertreten – und letztlich<br />

auch zivilrechtliche Ansprüche geltend<br />

machen. Vor allem aber: Die Anwaltschaft<br />

sorgt mit der Stiftung dafür,<br />

dass die Opfer schnell und ohne bürokratische<br />

Hürden den notwendigen<br />

Rechtsbeistand erhalten können.<br />

Die Stiftung trägt die Kosten, wenn<br />

es keine gesetzliche Kostenübernahme<br />

gibt. Ein Kuratorium überprüft die Vorgänge.<br />

Der DAV hat der Stiftung einen<br />

Grundbetrag von 51.000 E zur Verfügung<br />

gestellt. Doch die Erträge reichen<br />

für die zahlreichen Anfragen<br />

nicht aus. Die Stiftung ist auf Spenden<br />

und Zahlungen aus Auflagen angewiesen.<br />

So können auch die Gerichte über<br />

§ 153 a Strafprozessordnung die Not<br />

der Opfer extremistischer Gewalt lindern.<br />

Wir würden es begrüßen, wenn<br />

die Gerichte hiervon verstärkt Gebrauch<br />

machen.<br />

Doch die Stiftung ist mehr als nur<br />

ein juristisches Konstrukt, das Gelder<br />

verwaltet und finanzielle Hilfen zur<br />

Verfügung stellt. Die DAV Stiftung ist<br />

Beweis dafür, dass Anwälte sich für<br />

eine wehrhafte Gesellschaft engagieren,<br />

die nicht dulden wird, dass rechtsextremistische<br />

Gewalttaten für uns<br />

zum Alltag gehören. Die im Deutschen<br />

Anwaltverein organisierten Anwälte<br />

wollen daher bewusst nicht wegschauen<br />

und die Opfer mit sich allein<br />

lassen: Sie wollen vielmehr, dass in<br />

Deutschland lebende Menschen wissen,<br />

dass Anwälte in vorderster Linie<br />

stehen, wenn es darum geht, sich in<br />

unserer Gesellschaft öffentlich und aktiv<br />

für Toleranz und gegen Gewalt zu<br />

engagieren.<br />

Setzen auch Sie ein Zeichen<br />

Das Engagement der gemeinnützigen<br />

„DAV Stiftung contra Rechtsextremismus<br />

und Gewalt“ können<br />

Sie mit Ihrer Spende unterstützen:<br />

Dresdner Bank Bonn,<br />

Konto-Nr. 2 078 296 01,<br />

BLZ 370 800 40.


AnwBl 12/2005 749<br />

THEMA<br />

Sag mir, wo die Millionen<br />

sind! Wo sind sie geblieben?<br />

Was „Opferanwälte“ in Großschadensfällen<br />

angekündigt und was sie erreicht haben<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Ronald Schmid, Frankfurt am Main<br />

Über die Amerikanisierung des Anspruchsdenkens hatte<br />

der Autor in AnwBl 2003, 672 geschrieben. In diesem Beitrag<br />

schildert er, was aus den häufig vollmundigen Ankündigungen<br />

der Rechtsanwälte geworden ist.<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt in<br />

Frankfurt am Main und Honorar-Professor<br />

für Luftverkehrsrecht<br />

und Reiserecht an den<br />

Technischen Universitäten<br />

Darmstadt und Dresden.<br />

I. Einleitung<br />

Was haben Djerba, Erfurt, Eschede, Ramstein und Kaprun<br />

gemeinsam? Sie stehen als Synonym für Anschläge<br />

auf menschliches Leben oder Unfälle, die viel Leid gebracht<br />

haben. Mit diesen Namen verbindet der Fachmann<br />

aber auch Versprechen von „Opferanwälten“, die in allen<br />

Fällen den Hinterbliebenen hohe Schadensersatz- und<br />

Schmerzensgeldansprüche („Forderungen in Millionenhöhe“)<br />

in Aussicht gestellt haben. Dabei wird – aus Unwissenheit<br />

oder bestimmten Kalkül heraus – auch mit abwegiger<br />

Begründung ein künstlicher Anknüpfungspunkt<br />

gesucht, um Zugang zur US-amerikanischen Justiz zu finden,<br />

obwohl dies bei sachkundiger Betrachtung häufig nicht<br />

möglich ist.<br />

Ich will hier nicht erneut1 zweifelhafte Aktionen bestimmter<br />

Anwälte kritisieren. Es scheint mir jedoch an der<br />

Zeit, einmal sachlich, aber kritisch zu beleuchten, was versprochen<br />

und was erreicht wurde. Zweck des Beitrages ist<br />

es, deutlich zu machen, dass es leicht ist, einen Prozess in<br />

den USA anzukündigen, es aber um ein Vielfaches schwerer<br />

ist, dieses auch erfolgreich zu tun. Und dass es nicht immer<br />

zum Vorteil der Geschädigten gereichen muss, mit der<br />

Klage in den USA zu drohen, wenn nicht ein klarer Anknüpfungspunkt<br />

an das US-Rechtssystem gegeben ist. 2<br />

Denn einen Rechtstreit erfolgreich vor einem US-Gericht<br />

zu führen, bedarf besonderer Kenntnisse. 3<br />

II. Sieben exemplarische Fälle<br />

1. Die Flugschau-Katastrophe von Ramstein am 28.8.1988<br />

Mehr als zehn Jahre nach der Flugschau-Katastrophe in<br />

Ramstein (Pfalz) haben im April 2001 zwei deutsche Anwälte,<br />

die nach ihren Angaben 84 der Verletzten und Hin-<br />

MN<br />

terbliebenen vertraten, in einem Interview verbreitet, dass<br />

sie die Vereinigten Staaten als für die Durchführung der<br />

Flugschau auf der US-amerikanischen Airbase Verantwortliche<br />

auf Schadensersatz in Höhe von 50 Mio. DM verklagen<br />

wollten – natürlich in den USA. 4 Nur ein halbes Jahr<br />

später war dann in der Presse5 zu lesen, dass (nur) Klagen<br />

gegen die Bundesregierung vor dem LG Koblenz eingereicht<br />

wurden. Und für die posttraumatischen Verletzungen<br />

und seelischen Störungen wurden nunmehr in fünf exemplarischen<br />

Klagen (nur) 100.000 DM pro Opfer eingeklagt,<br />

obwohl ersichtlich war, dass die Ansprüche verjährt waren<br />

bzw. einige der Opfer schon Abfindungserklärungen unterschrieben<br />

hatten. Dem Hinweis der Richter, dass nach dem<br />

NATO-Truppenstatut Ansprüche auf Schadensersatz spätestens<br />

nach drei Jahren angemeldet werden mussten, begegnete<br />

der Klägeranwalt mit dem Argument, dass die psychischen<br />

Spätfolgen erst in den Jahren 1998 und 1999<br />

eingetreten seien. 6<br />

Noch am 28. August 2003 kündigte einer der beiden<br />

Opferanwälte an, „notfalls vor dem OLG Koblenz oder in<br />

den USA weiter zu klagen, wenn das Landgericht die Entschädigung<br />

versagt“. 7 Gefordert wurden laut diesem Pressebericht<br />

übrigens inzwischen fünf Mio. EUR für rund 100<br />

Betroffene.<br />

Am 4. September 2003 wurden dann die Klagen abgewiesen,<br />

weil die Forderungen bereits verjährt waren. 8 Am<br />

Tag der Urteilsverkündung wurde wiederum angekündigt,<br />

man werde „erneut eine Schadensersatzklage in den USA<br />

prüfen“. 9 Die dann beim OLG Koblenz zunächst eingelegte<br />

Berufung hat der Klägeranwalt zurückgezogen, weil sie<br />

„nur wenig Erfolgsaussichten“ habe. Auch die zunächst erwogene<br />

Klage in den Vereinigten Staaten von Amerika<br />

habe nur „geringe Aussichten auf Erfolg“. 10 Der Einschätzung<br />

kann nicht widersprochen werden. Man fragt sich allerdings,<br />

warum diese Erkenntnis erst jetzt gekommen ist.<br />

2. Der ICE-Unfall bei Eschede am 3.6.1998<br />

Auch nach dem Unfall des ICE 884 am 3. Juni 1998 bei<br />

Eschede, bei dem insgesamt 101 Menschen ums Leben gekommen<br />

und 105 weitere verletzt worden waren, hat ein<br />

deutscher Anwalt der Deutschen Bahn eine Klage in den<br />

USA in Aussicht gestellt. 11 Der von ihm zugezogene US-<br />

Anwalt drohte dann kurz darauf, „Schadensersatzzahlun-<br />

1 Siehe dazu z. B. Schmid, Anwalt 2001, 6 ff.; AnwBl. 2003, 672 ff.; Anwaltsrevue<br />

(Schweiz) 2004, 149 ff. Siehe auch Die Welt vom 14.3.2203 („Opferanwälte<br />

– eine neue Plage“).<br />

2 So z. B: im Fall Concorde durch Art. 28 WA.<br />

3 Allgemein dazu: Koch, in: Koch/Willingmann, Modernes Schadensmanagement<br />

bei Großschäden (Baden-Baden 2002), S. 23 ff.; Klicka, VersR 2001, 173<br />

= ZVR 2002, 182; Willingmann, in: Koch/Willingmann, Modernes Schadensmanagement<br />

bei Großschäden (Baden-Baden 2002), S. 15 ff.<br />

4 Rhein-Zeitung vom 15.4.2001; Tagesspiegel (Berlin) vom 15.4.2001.<br />

5 Berliner Zeitung vom 26.10.2001 (Rubrik Vermischtes).<br />

6 AP-Meldung vom 31.1.2002, 11:14 Uhr.<br />

7 Jutta Steinhoff, in: Frankfurter Neue Presse vom 28.8.2003.<br />

8 ZLW 2004, 277.<br />

9 AP-Meldung in: Stuttgarter Nachrichten vom 4.9.2003.<br />

10 Siehe FAZ vom 2.3.2004, S. 11.<br />

11 Mannheimer Morgen vom 21.2.2002; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom<br />

3.9.2002, S. 9.


750<br />

MN<br />

gen in Milliardenhöhe“ zu erstreiten, wenn sich die Deutsche<br />

Bahn nicht außergerichtlich einige. Für eine solche<br />

Vereinbarung erwarte er zwei bis vier Millionen USD (ca.<br />

1,8 – 3,7 Mio. EUR) für jedes der 100 bis 200 Opfer. 12<br />

Als dann das LG Berlin am 18. September 2002 die<br />

Klage von sechs Familienangehörigen von Opfer auf Zahlung<br />

von je 125.00 EUR Schmerzensgeld abwies, weil die<br />

bereits erfolgte Zahlung von ca. 15.000 EUR als ausreichend<br />

angesehen wurde, kündigten die Rechtsvertreter wiederum<br />

an, dass sich die deutschen Hinterbliebenen an eine<br />

Anfang August vor einem New Yorker Gericht zugelassene<br />

Klage einer US-Amerikanerin anhängen könnten. 13 Dass<br />

auch ein US-Gericht nicht unberücksichtigt lassen würde<br />

und könnte, dass ein Rechtstreit bereits andernorts anhängig<br />

ist, wurde nicht weiter bedacht.<br />

Im Juni 2003 forderte der US-Anwalt die Bundesregierung<br />

auf, einen Opferfonds einzurichten; andernfalls werde<br />

er sie in den USA verklagen. 14 Danach hat er sich nach Angaben<br />

der Hinterbliebenen aber offensichtlich nicht mehr<br />

gemeldet. „Wir müssen wohl davon ausgehen, dass diese<br />

Geschichte in den USA zu Ende ist und wahrscheinlich nie<br />

richtig angegangen wurde“, lässt sich ein Vertreter der<br />

Hinterbliebenen in der Welt zitieren. 15 Das bedarf keiner<br />

weiteren Kommentierung.<br />

3. Der Skizug-Unfall von Kaprun am 11.11.2000<br />

Im Fall Kaprun hatte ein US-Anwalt, der von einem<br />

Münchener Kollegen eingeschaltet worden war, „insgesamt<br />

500 Mio. EUR“ geltend machen wollen. 16 Gegenüber Skeptikern<br />

äußerte der US-Anwalt in der Presse: „Österreichisches<br />

Recht wird nicht zur Anwendung kommen. Jeder,<br />

der das behauptet, hat gelogen.“ 17<br />

Der angerufene US District Court (Southern District of<br />

New York) hat zunächst entschieden, dass er zuständig sei,<br />

weil das verklage Unternehmen Siemens auch Tochterunternehmen<br />

in den USA habe. 18 Zugleich bestimmte die Richterin<br />

aber, dass das österreichische Schadensersatzrecht<br />

anzuwenden sei. Am 22. September 2002 hat ein Berufungsgericht<br />

die Klage gegen Siemens u.a. abgewiesen.<br />

Nachdem der U.S. District Court (SDNY) einen am 12.<br />

November 2003 gestellten Antrag, sich im Wege der Sammelklage<br />

(„class action“) 19 an den von Angehörigen von<br />

sechs US-Opfer anhängig gemachten Prozess gegen die<br />

Siemens anschließen zu können, zugelassen hatte, kam der<br />

U.S. Court of Appeals (2d Cir.) als Berufungsgericht nun zu<br />

dem Schluss, dass die Zulassung nicht rechtens sei. Der<br />

District Court wurde angewiesen, diese Klagen zurückzuweisen.<br />

20 Ob die jetzt angedachten Einzelklagen 21 Erfolg<br />

haben, wird zu Recht bezweifelt. 22<br />

4. Crossair-Absturz bei Basserdorf am 24.11.2001<br />

Am 24. November 2001 stürzte ein Flugzeug der Crossair<br />

mit der Flugnummer CRX 3597 beim Landeanflug auf<br />

den Züricher Flughafen Kloten bei Basserdorf in einen bewaldeten<br />

Berghang. Angeblich ist der Pilot mit einer ungenauen<br />

Karte, auf der der Höhenzug bei Basserdorf nicht<br />

eingezeichnet gewesen sein soll, zu tief geflogen.<br />

Auch in diesem Fall meldete schon fünf Tage später ein<br />

deutscher Anwalt flugs öffentlich in einer schriftlichen Erklärung,<br />

dass er „die Chancen einer Klage in den USA“<br />

prüfe. 23 Am 3. November dann forderte laut „Sonntagszeitung“<br />

eine Anwaltsgruppe in Kooperation mit einem US-<br />

Rechtsanwalt Schadensersatz – eine Millionensumme. 24 In-<br />

AnwBl 12 /2005<br />

Thema<br />

sider wissen, dass diese Summe auch nicht annährend<br />

erreicht wurde. Soweit mit den Hinterbliebenen Einigungen<br />

getroffen wurden, halten die sich in dem Rahmen, in dem<br />

auch Verkehrsunfälle entschädigt werden.<br />

5. Der Anschlag auf Djerba am 11.4.2002<br />

Schon wenige Tage nach dem Anschlag auf die Synagoge<br />

„La Ghriba“ auf Djerba am 11. April 2002 verkündete<br />

ein Anwaltsteam gegenüber einem bekannten Boulevard-<br />

Blatt, man fordere eine „angemessene Entschädigung der<br />

Opfer und Hinterbliebenen durch die tunesische Regierung,<br />

die auch ein Schmerzensgeld in Millionenhöhe (wie im Fall<br />

der Concorde-Katastrophe) erfassen müsse.“ 25 Nachdem<br />

dies aus juristischen Gründen auf Skepsis gestoßen war, 26<br />

wendeten sich die Klägeranwälte dem Reiseveranstalter zu:<br />

Man erwäge – so war nun zu lesen – jetzt eine Klage gegen<br />

den Touristik-Konzern TUI. 27 Dieser lehnte eine Entschädigung<br />

in dieser Höhe ab.<br />

Mit der dann – von einen anderen Anwalt – eingereichten<br />

Klage begehrte der Kläger nunmehr ein Schmerzensgeld<br />

von mindestens 100.000 EUR, eine angemessene<br />

Schmerzensgeldrente von mindestens 500 EUR monatlich<br />

sowie den Ausgleich eines verletzungsbedingten Mehraufwandes<br />

an Betreuungsleistungen von 300 EUR monatlich.<br />

Am 27. Oktober 2004 hat das LG Hannover die Klage<br />

abgewiesen. 28 Zur Begründung führte das Gericht aus, dass<br />

nach dem klägerischen Vortrag für das Gericht nicht erkennbar<br />

sei, dass der Reiseveranstalter seine gegenüber<br />

dem Reisenden bestehende Informations- und Fürsorgepflicht<br />

verletzt habe. Auch in der 2. Instanz wies das<br />

OLG Celle die Klage – wenn auch mit anderer Begründung<br />

– ab. 29 Die Revision wurde nicht zugelassen.<br />

12 Meldung der Tagesschau vom 21.4.2003 unter Bezug auf ein Interview des<br />

Klägeranwaltes mit der Welt am Sonntag (www.tagesschau.de/aktuell/meldun<br />

gen/0,1185,OID1747426,00.html.). Vgl. auch Die Welt vom 27. 11.2002 sowie<br />

FAZ.net vom 17.8.2001.<br />

13 Financial Times Deutschland vom 19.9.2002 und vom 26.11.2002; Süddeutsche<br />

Zeitung vom 19.9.2002, S. 12.<br />

14 Hamburger Abendblatt vom 5.6.2003.<br />

15 Die Welt vom 4.6.2004<br />

16 Pressemeldung vom 22.9.2002, www.bergbahn.bahnaktuell.net.<br />

17 Salzburger Nachrichten vom 15.8.2002.<br />

18 Vgl. http://www.wienweb.at/Content.aspx?catid=8&id=13078.<br />

19 Bei einer „class action“ werden Tatsachen- und Rechtsfragen für eine Vielzahl<br />

von Geschädigten insgesamt und für alle einheitlich geklärt werden können.<br />

Die Rechts- und Tatfragen werden bindend für alle Gruppenmitglieder geklärt,<br />

selbst wenn sie nicht am Prozess beteiligt waren. Im Extremfall müssen sie<br />

nicht einmal Kenntnis vom Prozess gehabt haben. Hatten Sie jedoch Kenntnis<br />

vom Prozess, so erlaubt das US-Recht den Betroffenen für diesen Prozess aus<br />

der Gruppe auszutreten und unabhängig vom Verfahren vorzugehen.<br />

20 Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22.12.2004; Kurier (Wien) vom<br />

25.12.2004.<br />

21 S. o. Fn. 17.<br />

22 Siehe dazu Klicke, VersR 2001, 173 = ZVR 2002, 182.<br />

23 Neue Zürcher Zeitung vom 29.11.2001.<br />

24 Vgl. die AP-Meldung vom 3.11.2002, 13:45 Uhr , http://de.news.yahoo.com/<br />

021103/281/31rm1.html.<br />

25 Bild am Sonntag vom 21.4.2002. Siehe auch Welt am Sonntag vom<br />

20.10.2004.<br />

27 Siehe Financial Times Deutschland vom 23.4.2002, S. 18; dpa-Meldung vom<br />

22.4.2002, 20:27 Uhr; Der Standard vom 12.4.2002.<br />

28 Urt. vom 27.10.2004 – 13 O114/04, RRa 2004, 261. Vgl. dazu Schmid, RRa<br />

2004, 242 ff.<br />

29 Urt. v. 22.9.05 – 11 U 297/04, RRa 2005, 261 m. Anm. Tonner.


AnwBl 12/2005 751<br />

Thema MN<br />

6. Das Attentat in Erfurt 26.4.2002<br />

Am 26. April 2002 hatte ein 19-jähriger ehemaliger<br />

Schüler des Gutenberg-Gymansiums in Erfurt während eines<br />

Amokslaufs 16 Menschen und danach sich selbst erschossen.<br />

Ein Münchener Rechtsanwalt forderte umgehend Schadensersatz<br />

für Hinterbliebene und Geschädigte und zwar<br />

sowohl von den Behörden als auch vom Sportverein, in<br />

dem der Täter als Sportschütze Mitglied war. 30 Wenige<br />

Tage später drohte er dann damit, „Hersteller von Gewaltvideos<br />

und Waffen auf Schadensersatz zu verklagen“. 31<br />

Was daraus geworden ist, ist – zumindest mir – unbekannt.<br />

Man darf aber bei dem Drang des Anwaltes, nicht<br />

nur Erfolge, sondern schon Klagevorhaben öffentlich kundzutun,<br />

davon ausgehen, dass die erfolgreiche Durchsetzung<br />

der angekündigten Ansprüche der Öffentlichkeit nicht verschwiegen<br />

worden wäre.<br />

7. Der Flugzeugzusammenstoß über dem Bodensee am<br />

1.7.2002<br />

Am 1. Juli 2002 kollidierte eine Tupolew der Bashkirian<br />

Airways mit einem Frachtflugzeug vom Typ Boeing 757<br />

der DHL bei Überlingen am Bodensee. Alle 71 Insassen,<br />

darunter mehr als 50 Kinder und Jugendliche der Wolga-<br />

Republik Baschkortostan, die auf dem Weg in den Urlaub<br />

in Spanien waren, kamen ums Leben. Flugs flogen deutsche<br />

und US-amerikanische Anwälte nach Ufa, der Hauptstadt<br />

von Baschkortostan, um den Hinterbliebenen ihre<br />

Hilfe anzubieten. Natürlich wurde wieder öffentlich mitgeteilt,<br />

man prüfe, „ob wir eine Klage in den USA einreichen“.<br />

32<br />

Aus guten Quellen weiß der Verfasser, dass den Eltern<br />

dabei Entschädigungen von wenigstens 400.000 USD pro<br />

Opfer in Aussicht gestellt wurden. 33<br />

In einem Presseinterview wurde dann im September<br />

2002 die Forderung mit „mindestens 100.000 USD“ als<br />

„Untergrenze“ beziffert, ein Betrag von „900.000 USD<br />

oder mehr“ als „Glücksfall“ bezeichnet. 34 Auch zu diesem<br />

Zeitpunkt wird noch eine Klage in den USA erwogen. Dies<br />

wird dann knapp zwei Monate später bewertet: „Bei optimalen<br />

Verlauf wird mit bis zu einer Million US-Dollar pro<br />

Opfer gerechnet.“ 35<br />

Nur sieben Monate später berichtete die Presse im Juni<br />

2003, dass den Familien der Opfer je 150.000 USD (ca.<br />

123.000 EUR) erhalten haben 36 – eine Angabe, die sich<br />

auch mit den mir aus anderen Quellen bekannten Informationen<br />

deckt. Dabei kann es ich aber nicht um Schadensersatz<br />

handeln. Denn da die Eltern der tödlich verunglückten<br />

Kinder keinen materiellen Anspruch (z. B. auf<br />

Unterhalt) haben, kann es sich nur um ein Schmerzensgeld<br />

handeln.<br />

Den Hinterbliebenen ist das zu gönnen. Doch fragt sich,<br />

warum die deutsche Bundesregierung, die ein Hinterbliebenen-Schmerzengeld<br />

ablehnt, freiwillig einen erheblichen<br />

Betrag in einen Entschädigungsfonds einzahlt, wenn aus<br />

diesem erkennbar nur Schmerzensgeld für Hinterbliebene<br />

gezahlt wird. 37<br />

III. Fazit<br />

1. Es bleibt sachlich festzustellen, dass in den angeführten<br />

Fällen – soweit ersichtlich – die vollmundig angekündigten<br />

Millionen-Dollar-Entschädigungen nicht erstritten<br />

werden konnten. Den Fachmann überrascht das nicht.<br />

2. Damit aber die vorstehenden Ausführungen nicht zu<br />

Missverständnissen führen, soll folgendes klargestellt werden:<br />

a. Mit diesem Beitrag soll nicht in Zweifel gezogen werden,<br />

dass ein verantwortlicher Rechtsberater stets auch prüfen<br />

muss, ob eine Klage in den USA möglich ist, wenn<br />

sich dafür vernünftige (!) Anhaltspunkte ergeben. Nachdem<br />

z. B. das Montrealer Übereinkommen neben dem allgemeinen<br />

Gerichtsstand des Bestimmungsortes (Art. 33 Abs. 1<br />

MÜ) auch den neuen Gerichtsstand des Wohnsitzes (Art. 33<br />

Abs. 2 MÜ) eingeführt hat, ist diese Möglichkeit jedenfalls<br />

bei internationalen Luftbeförderungen stets zu bedenken.<br />

Aber natürlich muss der Anknüpfungsgrund seriös sein und<br />

dem Risiko der Klageabweisung unter der „Forum-nonconveniens“-Doktrin<br />

der US-Jurisprudenz 38 Rechnung getragen<br />

werden.<br />

b. Der Beitrag sollte keineswegs als Angriff oder Häme<br />

gegen Schmerzensgeldforderungen von Geschädigten und<br />

Hinterbliebenen verstanden werden. Der Verfasser hat<br />

schon mehrfach darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung<br />

das deutsche Schmerzensgeldsystem stark entwicklungsbedürftig<br />

ist. 39 Es ist nicht verständlich und richtig,<br />

dass bei Verletzung der Ehre eine Entschädigung in Betracht<br />

kommt, nicht aber wenn die Psyche verletzt wird.<br />

Wenn Gerichte für ein getürktes Interview mit einem Prominenten<br />

oder wegen der Ablichtung eines Nacktfotos eines<br />

solchen Schmerzensgelder in Höhe von mehr als<br />

100.000 EUR ausurteilen, ist es nicht nachzuvollziehen,<br />

warum für den Tod eines Menschen allenfalls Beträge um<br />

15.000 EUR (wie im Falle Eschede) zugebilligt werden.<br />

Und dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers Hinterbliebene<br />

keinen eigenen Schmerzensgeldanspruch haben<br />

sollen, erscheint mir gerade auch mit Blick in die Nachbarstaaten<br />

Deutschlands nicht mehr zeitgemäß.<br />

Überzogene, oft unrealistische Forderungen, die in erster<br />

Linie auf Wirkung in der Öffentlichkeit ausgerichtet sind,<br />

sind aber für die Erreichung des Zieles, das deutsche<br />

Schmerzensgeldsystem zu verbessern und wenigstens dem<br />

europäischen Durchschnittsstandard anzupassen, kontraproduktiv.<br />

Denn durch ständige Drohung mit einer Klage in<br />

den USA, auch wenn die Chancen der Anspruchsdurchsetzung<br />

aussichtslos oder gering sind, macht auch die beste<br />

„Waffe“ stumpf.<br />

30 Siehe RZ-online vom 30.4.2002, www.rhein.zeitung.de/on/02/04/30/topnews/erfurt-ermittng.html.<br />

31 Werner Kolhoff, in: Berliner Zeitung vom 2.5.2002 (Ressort Politik).<br />

32 Roland Mutschler, „Staranwalt kämpft um Millionen“, in: Mannheimer Morgen<br />

vom 5.9.2002. Siehe auch Stuttgarter Nachrichten vom 11.9.2002.<br />

33 Dieser Betrag spiegelt sich auch in den veröffentlichten Forderungen von 4,8<br />

Mio. USD für die 12 Besatzungsmitglieder wieder. Siehe Meldung des ZDF<br />

vom 12.9.2002www.heute.t-online.de/ZDFheute/<br />

34 Stuttgarter Nachrichten vom 12. und 13.9.2003.<br />

35 Stuttgarter Nachrichten vom 5.11.2002<br />

36 Pressemeldung des AFP zitiert nach www.politikforum.de/archive/6/2004/<br />

06/4/22775. Siehe auch die Meldung der SF DRS SDA-News vom 30.6.2004.<br />

37 Dazu Schmid, RRa 2003, 145.<br />

38 Siehe dazu Ehlers, in: Müller-Rostin/Schmid, Das Luftverkehrsrecht vor neuen<br />

Herausforderungen. Festgabe für Edgar Ruhwedel (Neuwied 2004), S. 99 ff.<br />

39 Vgl. MDR 2000 (Heft 23), S. R 1.


752<br />

MN SATZUNGSVERSAMMLUNG<br />

Berufsrecht<br />

Interessenkollision:<br />

Neuer § 3 BORA<br />

Vorgaben des BVerfG umgesetzt<br />

Die 3. Satzungsversammlung, das Parlament der deutschen<br />

Anwaltschaft, hat auf ihrer 5. Sitzung am 7. November<br />

2005 § 3 BORA neu gestaltet. Dazu fühlte sie sich aufgerufen,<br />

nachdem das Bundesverfassungsgericht in der<br />

Sozietätswechslerentscheidung (AnwBl 2003, 521) § 3<br />

Abs. 2 BORA kassiert hatte.<br />

Die Vorschrift des § 3 BORA war ergangen in Konkretisierung<br />

des § 43 a Abs. 4 BRAO: „Der Rechtsanwalt darf<br />

keine widerstreitenden Interessen vertreten“. § 3 Abs. 2<br />

BORA ordnete für die in Berufsausübungsgemeinschaft mit<br />

dem an der Tätigkeit gehinderten Rechtsanwalt verbundenen<br />

Rechtsanwälte kategorische Tätigkeitsverbote an, die<br />

keinen Raum für die erforderliche Einzelabwägung ließen.<br />

Die Satzungsversammlung hat in mehreren Anläufen –<br />

das Thema ist ungewöhnlich schwierig – das vermeintliche<br />

Regelungsdefizit in der BORA zu schließen versucht. Frühere<br />

Entwürfe, die verworfen wurden, kamen allerdings<br />

stets zu dem Ergebnis, dass sich entweder aus der materiellen<br />

Regelung oder aufgrund der für die Abwägung der Interessen<br />

des Mandanten und der Belange der Rechtspflege<br />

gefundenen Verfahrensregelung dennoch kategorische Tätigkeitsverbote<br />

ergaben. Das aber widerspricht dem Sinn<br />

der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach<br />

ist in jedem Einzelfall eine Abwägung geboten, deren normative<br />

„Offenheit“ der Rechtsanwalt durch eine verantwortliche<br />

eigene Einschätzung zu beenden hat, entweder<br />

im Sinne eines Verbots oder im Sinne einer ungehinderten<br />

Tätigkeit. Zu dieser Einschätzung ist der Rechtsanwalt kraft<br />

seiner besonderen Berufspflicht und der Befähigung für<br />

den Beruf in der Lage.<br />

Nach eingehender Beratung in dem dem Plenum zuarbeitenden<br />

Ausschuss und nach ausführlicher Diskussion im<br />

Plenum selbst hat die Satzungsversammlung nun eine Formulierung<br />

gefunden, welche die von dem Bundesverfassungsgericht<br />

aufgerissene Lücke schließt.<br />

Der neue § 3 BORA lautet:<br />

§ 3 Abs. 1: Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er<br />

eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden<br />

Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache<br />

in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich<br />

befasst war.<br />

§ 3 Abs. 2: Das Verbot des Absatzes 1 gilt auch für alle mit<br />

ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich<br />

welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte.<br />

Satz 1 gilt nicht, wenn sich im Einzelfall die betroffenen<br />

Mandanten in den widerstreitenden Mandaten nach umfassender<br />

Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt<br />

haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen. Information<br />

und Einverständniserklärung sollen in Textform erfolgen.<br />

§ 3 Abs. 3: Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Fall, dass<br />

der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />

zu einer anderen Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />

wechselt.<br />

§ 3 Abs. 4: Wer erkennt, dass er entgegen den Absätzen 1 bis 3<br />

tätig ist, hat unverzüglich seinen Mandanten davon zu unterrichten<br />

und alle Mandate in der selben Rechtssache zu beenden.<br />

§ 3 Abs. 5: Die vorstehenden Regelungen lassen die Verpflichtung<br />

zur Verschwiegenheit unberührt.<br />

Zur Erläuterung: § 3 Abs. 1 BORA wiederholt die gesetzliche<br />

Regel und bezeichnet ausdrücklich die Anwendung<br />

„inderselben Rechtssache“. Der Hinweis auf §§ 45,<br />

46 BRAO ist verwirrend, denn diese Bestimmungen regeln<br />

keine Interessenkollision sondern Inkompatibilitäten. Das<br />

ist durch Auslegung zu korrigieren. Abs. 2 erstreckt das Tätigkeitsverbot<br />

grundsätzlich auf die mit dem gehinderten<br />

Rechtsanwalt in Berufsausübungsgemeinschaft verbundenen<br />

Rechtsanwälte (Sozietätserstreckung) und gibt für die<br />

im Einzelfall mögliche, abweichende Entscheidung die<br />

maßgeblichen Abwägungskriterien und das Verfahren an.<br />

Abs. 3 macht den Norminhalt der Absätze 1 und 2 für den<br />

Fall des Sozietätswechsels verbindlich. Die Absätze 4 und<br />

5 bedürfen keines erläuternden Wortes.<br />

Die neue Regelung hilft weiter. Offen bleibt, ob der Regelungskomplex<br />

nicht in einen neu gefassten § 43 a Abs. 4<br />

BRAO gehört, der dann weitere Bestimmungen in der<br />

BORA erübrigte.<br />

Nach dem für die Beschlüsse der Satzungsversammlung<br />

vorgesehenen Prüfungs- und Verkündungsmechanismus ist<br />

zu erwarten, dass die Neuregelung, die ohnehin nur das geltende<br />

Recht in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts<br />

aufnimmt, nicht vor Mitte des Jahres 2006 in Kraft<br />

tritt.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />

Berufsrecht<br />

Der unverkündete § 7<br />

BORA tritt nun doch in<br />

Kraft<br />

Neues Werberecht ab 1. März 2006<br />

AnwBl 12/2005<br />

Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte werden nun als<br />

Rechtsbegriffe endgültig obsolet. Der von der Satzungsversammlung<br />

bereits im Februar dieses Jahres beschlossene<br />

neue § 7 BORA wird – nachdem er teilweise vom Bundesjustizministerium<br />

aufgehoben wurde – nun in der verbliebenen<br />

Fassung verkündet. Der Anwalt darf in seiner Werbung<br />

auf Rechtsgebiete hinweisen, auf denen er tätig ist –<br />

sofern er über entsprechende Kenntnisse verfügt und mit<br />

seinen Angaben den angesprochenen Verkehr nicht irreführt<br />

(siehe ausführlich Kleine-Cosack, AnwBl 2005, 275).<br />

Das Votum der Satzungsversammlung war eindeutig.<br />

Sie wollte nicht erneut über den § 7 BORA diskutieren. Sie<br />

forderte in ihrer Sitzung am 7. November 2005 den Präsidenten<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als Vorsitzenden<br />

der Satzungsversammlung auf, die nicht beanstandeten<br />

Teile der Vorschrift nun zu verkünden. Dieser


AnwBl 12/2005 753<br />

Satzungsversammlung MN<br />

kündigte eine schnelle Veröffentlichung in den Mitte <strong>Dezember</strong><br />

erscheinenden BRAK-Mitteilungen an. Die Regelung<br />

könnte dann zum 1. März 2006 in Kraft treten. Damit<br />

findet eine von vielen als unendlich empfundene Diskussion<br />

ein Ende.<br />

Zur Erinnerung: Die im Februar dieses Jahres beschlossene<br />

Fassung enthielt in Absatz 3 eine Pflicht zur Fortbildung<br />

für solche Rechtsgebiete, die der Anwalt in seiner<br />

Werbung nennt. Diesen Absatz hob das Bundesjustizministerium<br />

Ende Mai 2005 als verfassungswidrig auf. Der Satzungsversammlung<br />

fehle die Kompetenz zur Regelung der<br />

Fortbildung (siehe dazu Römermann AnwBl 2005, 490).<br />

BRAK-Präsident Dr. Bernhard Dombek verzichtete daraufhin<br />

im Sommer, den § 7 BORA zu verkünden (siehe dazu<br />

AnwBl 2005, 567, sowie zu den Konsequenzen Römermann,<br />

AnwBl 2005, 636).<br />

Mit der Verkündung des bereits beschlossenen § 7 BORA<br />

geht die Satzungsversammlung nun einen sicheren Weg. Bei<br />

einer erneuten Beschlussfassung über eine Änderung des § 7<br />

BORA hätten sich formelle Wirksamkeitsfragen gestellt.<br />

Diese wollte die Satzungsversammlung vermeiden.<br />

Eine offene Frage ist, inwieweit sich auch aus dem<br />

neuen § 7 Abs. 1 BORA ein Pflicht zur Fortbildung ergibt.<br />

Die dort vorausgesetzten Kenntnisse müssen – wie in der<br />

Satzungsversammlung betont wurde – aktuell sein. Eine<br />

zwingende Regelung zur Fortbildung in einem bestimmten<br />

Umfang und Turnus lässt sich der Regelung aber nicht entnehmen.<br />

Der neue § 7 BORA lautet jetzt:<br />

§ 7 Abs. 1: Unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen darf<br />

Teilbereiche der Berufstätigkeit nur benennen, wer seinen Angaben<br />

entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die in der Ausbildung,<br />

durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise<br />

erworben wurden. Wer qualifizierende Zusätze verwendet, muss<br />

zusätzlich über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügen<br />

und auf dem benannten Gebiet in erheblichen Umfang tätig gewesen<br />

sein.<br />

§ 7 Abs. 2: Benennungen nach Absatz 1 sind unzulässig, soweit<br />

sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen<br />

oder sonst irreführend sind.<br />

§ 7 Abs. 3: Die vorstehenden Regelungen gelten für Berufsausübungsgemeinschaften<br />

nach § 9 entsprechend.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

Fachanwaltschaften<br />

Fachanwaltschaft Nr. 15<br />

und Nr. 16 beschlossen<br />

Fachanwaltsordnung soll überarbeitet werden<br />

Der Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und der<br />

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht kommen.<br />

Die neuen Fachanwaltschaften wird es – wenn das Bundesjustizministerium<br />

seine Prüfungsfrist von drei Monaten<br />

ausschöpft – nicht vor Mitte 2006 geben.<br />

Die Satzungsversammlung hat – ohne große Diskussionen<br />

– das Fachanwaltssystem ausgebaut. Vor einem Jahr<br />

hatte sie sechs neue Fachanwaltschaften geschaffen. Die<br />

jetzt in der Sitzung am 7. November 2005 beschlossenen<br />

Fachanwaltschaften waren schon damals diskutiert worden.<br />

Über das „ob“ dieser Fachanwaltschaften wurde im Parlament<br />

der deutschen Anwälte nicht mehr gestritten. Lediglich<br />

beim Zuschnitt der theoretischen Kenntnisse und bei<br />

der Zusammensetzung der Fallzahlen wurden die Vorschläge<br />

des zuständigen Ausschusses der Satzungsversammlung<br />

zum Teil noch geändert.<br />

In der Diskussion sind noch der Fachanwalt für Medienund<br />

Urheberrecht sowie der – von der Arbeitsgemeinschaft<br />

IT im DAV geforderte – Fachanwalt für Informationstechnologierecht.<br />

Außerdem steht eine Überarbeitung der Fachanwaltsordnung<br />

(FAO) an. Diskussionspunkt ist unter anderem<br />

erhöhte Anforderungen an die Fortbildungspflicht des<br />

Fachanwalts. Außerdem wird es um den Nachweis der praktischen<br />

Erfahrungen, insbesondere der Anwaltsnotare gehen.<br />

Die Fachanwaltsordnung wird wie folgt ergänzt:<br />

Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz<br />

Theoretische Kenntnisse (§ 14 h FAO)<br />

1. Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster- und Sortenschutzrecht<br />

2. Recht der Marken und sonstigen Kennzeichen<br />

3. Recht gegen den unlauteren Wettbewerb<br />

4. Recht der europäischen Patente, Marken und Geschmacksmuster<br />

sowie des europäischen Sortenschutzes<br />

5. Urheberrechtliche Bezüge des gewerblichen Rechtsschutzes<br />

6. Verfahrensrecht und Besonderheiten des Prozessrechts<br />

Praktische Erfahrungen (§ 5 Satz 1 lit. o FAO)<br />

80 Fälle aus mindestens drei verschiedenen Bereichen des § 14<br />

h Nr. 1 bis Nr. 5. Höchstens fünf Fälle dürfen Schutzrechtsanmeldungen<br />

sein, wobei eine Sammelanmeldung als eine Anmeldung<br />

zählt. Mindestens 30 Fälle müssen rechtsförmliche, davon mindestens<br />

15 gerichtliche Verfahren sein.<br />

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

Theoretische Kenntnisse (§ 14 i FAO)<br />

1. Materielles Handelsrecht, insbesondere das Recht des Handelsstandes<br />

(§§ 1-104 HGB) und der Handelsgeschäfte (§§ 342-406 HGB)<br />

sowie internationales Kaufrecht, insbesondere UN-Kaufrecht<br />

2. Materielles Gesellschaftsrecht, insbesondere<br />

a. das Recht der Personengesellschaften<br />

b. das Recht der Kapitalgesellschaften<br />

c. internationales Gesellschaftsrecht, insbesondere Grundzüge<br />

des europäischen Gesellschaftsrechts sowie der europäischen<br />

Aktiengesellschaft<br />

d. Konzernrecht, insbesondere das Recht der verbundenen Unternehmen<br />

e. Umwandlungsrecht<br />

f. Grundzüge des Bilanz- und Steuerrechts<br />

g. Grundzüge des Dienstvertrags- und Mitbestimmungsrechts<br />

3. Bezüge des Handels- und Gesellschaftsrechts zum Arbeitsrecht,<br />

Kartellrecht, Handwerks- und Gewerberecht, Erb- und<br />

Familienrecht, sowie zum Insolvenz- und Strafrecht.<br />

Praktische Erfahrungen (§ 5 Satz 1 lit. p FAO)<br />

80 Fälle aus mindestens drei verschiedenen Bereichen des § 14 i<br />

Nr. 1 und Nr. 2, davon mindestens 20 rechtsförmliche Verfahren sowie<br />

mindestens 20 Fälle, die die Gestaltung von Gesellschaftsverträgen<br />

oder die Gründung oder die Umwandlung von Gesellschaften<br />

zum Gegenstand haben. Von den rechtsförmlichen Verfahren müssen<br />

5 Fälle einen wesentlichen handelsrechtlichen und 5 Fälle einen wesentlichen<br />

gesellschaftsrechtlichen Bezug aufweisen; höchstens 10<br />

Fälle dürfen solche der freiwilligen Gerichtsbarkeit sein.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin


754<br />

MN<br />

5 %<br />

„Anreiz für eine echte<br />

DAV-Fortbildungsoffensive“<br />

DAV-Fortbildungsbescheinigung ab Anfang 2006<br />

Viel schlichter geht es nicht: „Der<br />

Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzubilden“,<br />

heißt es in § 43 a Abs. 6<br />

BRAO. Eine Kontrolle oder gar eine<br />

Sanktion sieht das Gesetz nicht vor –<br />

auch wenn die Kritik lauter wird. Der<br />

DAV setzt auf freiwillige Fortbildung<br />

– nachgewiesen durch eine DAV-Fortbildungsbescheinigung.<br />

Welche Ziele<br />

verfolgt der DAV? Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

fragte Rechtsanwältin Heide Krönert-<br />

Stolting. Sie ist Vorsitzende der DAV-<br />

Arbeitsgruppe „Fortbildung“, die das<br />

Konzept der DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />

entwickelt hat.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Für die Bescheinigung<br />

genügen sechs Stunden Fortbildung<br />

im Jahr. Reicht das?<br />

Krönert-Stolting: Die Teilnahme an<br />

einem sechsstündigen Präsenzseminar<br />

scheint auf den ersten Blick wenig zu<br />

sein. Der DAV geht aber davon aus,<br />

Zwischenruf<br />

Zeit sparen durch<br />

mehr Fortbildung<br />

Rechtsanwältin<br />

Verena Mittendorf,Vizepräsidentin<br />

des<br />

Deutschen Anwaltvereins.<br />

Werbung mit Fortbildung – ist das<br />

nicht Werbung mit etwas Selbstverständlichem?<br />

Wenn das so wäre,<br />

dann hätten wir die Fortbildungsbescheinigung<br />

des DAV nicht beschlossen.<br />

Wir Anwältinnen und<br />

Anwälte müssen uns fortbilden, und<br />

wir bilden uns auch fort.<br />

Aber: Kennen Sie nicht auch das<br />

schlechte Gewissen, das Sie beschleicht,<br />

wenn Sie am Ende eines<br />

Quartals wieder hauptsächlich in Ihren<br />

Kanzleiräumen gearbeitet und<br />

gerade eben das Tagesgeschäft be-<br />

Rechtsanwältin<br />

Heide Krönert-Stolting<br />

ist Mitglied des<br />

DAV-Vorstands und<br />

Vorsitzende der<br />

DAV-Arbeitsgruppe<br />

„Fortbildung“.<br />

dass diejenigen Anwältinnen und Anwälte,<br />

die an Seminaren und sonstigen<br />

Lehrveranstaltungen teilnehmen, darüber<br />

hinaus Fortbildung im Wege des<br />

Eigenstudiums betreiben, so dass insgesamt<br />

eine Fortbildungszeit von deutlich<br />

mehr als den ausgewiesenen Stunden<br />

erreicht wird. Außerdem weist die<br />

Bescheinigung aus, welche Fortbildungen<br />

man gemacht hat und wie viele<br />

Stunden diese Fortbildungen gedauert<br />

haben. Dadurch schafft der DAV<br />

Transparenz und gibt einen Anreiz,<br />

sich umfangreich fortzubilden.<br />

wältigt haben? Für den Besuch von<br />

Fortbildungsveranstaltungen war<br />

wieder einmal keine Zeit. Nach meiner<br />

Erfahrung ist das aber nicht richtig,<br />

denn auf Fortbildungsveranstaltungen<br />

erfahren Sie in komprimierter<br />

Form, was Sie sich sonst mühsam<br />

selbst aneignen müssten. Mit Fortbildung<br />

sparen Sie also Zeit.<br />

Zugegeben: Die sechs Stunden<br />

Fortbildung, die als Minimalvoraussetzung<br />

für die Ausstellung der Bescheinigung<br />

definiert sind, sind nicht<br />

allzu viel. Aber wenn wir es schaffen,<br />

dass ein Großteil der Kolleginnen<br />

und Kollegen das erfüllen, sind<br />

wir schon ein gutes Stück weiter.<br />

Wer sich heute vielleicht in nur zwei<br />

Abendveranstaltungen jährlich fortbildet,<br />

der wird im nächsten Jahr die<br />

Fortbildungsbescheinigung des DAV<br />

erhalten wollen und sich umfangreicher<br />

fortbilden.<br />

Und wer einmal Fortbildungsluft<br />

geschnuppert hat, der wird merken,<br />

dass ein Seminarbesuch mehr bietet<br />

als nur Wissenszuwachs: Den Austausch<br />

mit Kolleginnen und Kollegen<br />

AnwBl 12/2005<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Bei welchem Anbieter<br />

muss ich die Fortbildung machen?<br />

Wie wird die Qualität geprüft?<br />

Krönert-Stolting: Jede anwaltsrelevante<br />

Fortbildung – von welchem Anbieter<br />

auch immer – ist geeignet. Bei<br />

offensichtlichem Missbrauch werden<br />

einzelne Fortbildungsveranstaltungen<br />

bzw. Anbieter nicht anerkannt. Nach<br />

unserer Erfahrung wissen Anwälte<br />

selbst, in welchem Bereich und bei<br />

welchem Anbieter sie sich fortbilden<br />

müssen. Vorgeschriebene Themen sind<br />

mit der beruflichen Realität eines<br />

freien Anwalts nicht vereinbar.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Fachanwälte müssen<br />

zehn Fortbildungsstunden im Jahr<br />

nachweisen. Spricht die DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />

damit nicht vor<br />

allem die Anwälte an, die nicht Fachanwälte<br />

sind?<br />

kann die Lektüre von <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

und NJW nicht ersetzen; die Möglichkeit,<br />

seine Netzwerke weiter zu<br />

knüpfen, verhilft zu Mandaten, die<br />

uns die Seminarkosten schnell vergessen<br />

lassen.<br />

Fortbildung ist nicht nur Selbstzweck.<br />

Unsere Mandanten sollen erkennen,<br />

dass wir und worin wir uns<br />

fortbilden. Daher begrüße ich die<br />

Transparenz der Fortbildungsbescheinigung<br />

des DAV. Und: Wenn<br />

wir unsere Fortbildungsaktivitäten<br />

dokumentieren, können wir eine<br />

sanktionsbewehrte Fortbildungsverpflichtung<br />

unnötig machen. Die<br />

DAV-Fortbildungsbescheinigung ist<br />

ein wichtiger Baustein, um die Europafestigkeit<br />

des Anwaltsberufs in<br />

Deutschland beizubehalten.<br />

Ich meine daher: Jeder Anreiz,<br />

das Büro einmal für ein paar Stunden<br />

oder ein Tagesseminar zu verlassen,<br />

jeder Anreiz zu mehr Fortbildung<br />

kann uns nur nützen! Und die<br />

Fortbildungsbescheinigung des DAV<br />

ist ein wichtiger Schritt in diese<br />

Richtung.


AnwBl 12/2005 755<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Krönert-Stolting: Wir sind der Ansicht,<br />

dass es auch bei einer Spezialisierung<br />

und Differenzierung des Anwaltsmarktes<br />

einen Grundkanon<br />

anwaltlicher Fertigkeiten gibt, der fortgebildet<br />

werden soll. Diese Fortbildung<br />

kann einerseits das vermitteln,<br />

was zum Wissen und den Fertigkeiten<br />

aller Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

gehört. Trotzdem gewährt unser<br />

Fortbildungsmodell Raum für die<br />

notwendige fachliche Spezialisierung.<br />

Das gilt für alle Anwältinnen und Anwälte<br />

gleichermaßen. Im Übrigen<br />

kann die Fachanwaltsfortbildung doppelt,<br />

d. h. zusätzlich auch für die DAV-<br />

Fortbildungsbescheinigung, genutzt<br />

werden.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Was kostet die Bescheinigung<br />

das DAV-Mitglied? Welche<br />

Vorteile bringt sie ihm?<br />

Krönert-Stolting: Die DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />

ist ein Service<br />

des DAV an seine Mitglieder. Sie wird<br />

für sie unentgeltlich und ohne großen<br />

Aufwand zu erhalten sein. Die Inhaber<br />

der Bescheinigung haben die Möglichkeit,<br />

sie nach außen hin zu präsentieren.<br />

Die Bescheinigung ist so gestaltet,<br />

dass sie in Kanzleiräumen aufgehängt<br />

werden kann. Außerdem wird die<br />

Deutsche Anwaltauskunft (www.<br />

anwaltauskunft.de) um einen Hinweis<br />

auf die Fortbildungsbescheinigung ergänzt<br />

werden.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Kammern bereiten<br />

Ähnliches vor. Warum bietet der<br />

DAV die Bescheinigung nur für seine<br />

Mitglieder an? Wie können Mandanten<br />

zwischen den unterschiedlichen<br />

Fortbildungsnachweisen unterscheiden?<br />

Krönert-Stolting: Unser Modell<br />

dient als Anreiz für eine echte DAV-<br />

Fortbildungsoffensive und flankiert<br />

die 2006 beginnende Werbekampagne<br />

des DAV „Vertrauen ist gut, Anwalt ist<br />

besser“. Die Fortbildungsbescheinigung<br />

ist ein wirksames Marketinginstrument<br />

und bringt so einen echten<br />

Mehrwert für unsere Mitglieder. Unsere<br />

Mandanten werden insbesondere<br />

die inhaltliche Transparenz der Bescheinigung<br />

zu schätzen wissen.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Zuletzt eine Prognose:<br />

Wie viele Fortbildungsbescheinigungen<br />

werden 2006 ausgestellt werden?<br />

Krönert-Stolting: Im Jahr 2006<br />

rechnen wir mit voraussichtlich 15.000<br />

Bescheinigungen.<br />

Die Fragen stellte Rechtsanwalt<br />

Dr. Nicolas Lührig, Berlin.<br />

DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />

Wer bekommt sie?<br />

Wofür gibt es sie?<br />

Was muss ich tun?<br />

Der Vorstand des DAV hat auf seiner<br />

Sitzung am 15. September 2005 in<br />

Brüssel beschlossen, einen Fortbildungsnachweis<br />

für seine Mitglieder<br />

anzubieten. Der Beitrag stellt die<br />

Eckpunkte der Fortbildungsbescheinigung<br />

dar und erläutert, wie DAV-<br />

Mitglieder sie erhalten können.<br />

9 Mitglieder der örtlichen Anwaltvereine<br />

im DAV (DAV-Mitglieder)<br />

können die Fortbildungsbescheinigung<br />

erhalten, wenn sie sich im<br />

Umfang von mindestens sechs Stunden<br />

pro Jahr fortbilden.<br />

9 Diese sechs Stunden müssen auf Seminarveranstaltungen<br />

u. ä. entfallen.<br />

HierzuzählenSeminare,sonstigeFachveranstaltungen<br />

(z. B. Qualitätszirkel –<br />

Gesprächskreise),dievonörtlichenAnwaltvereinen<br />

und Kammern angeboten<br />

werden, Online-Seminare, FernstudiumoderDozententätigkeit.<br />

9 Der DAV erteilt die Fortbildungsbescheinigung<br />

für die Fortbildungen<br />

des Vorjahres (1. Januar bis 31. <strong>Dezember</strong>).<br />

Die Bescheinigung weist die<br />

nachgewiesenen Fortbildungen einzeln<br />

aus, inklusive der Anzahl der<br />

Fortbildungsstunden. Das macht die<br />

Fortbildungsbescheinigung transparent<br />

– wer sich besonders viel fortbildet,kanndasauchsichtbarmachen.<br />

9 Der DAV geht davon aus, dass diejenigen<br />

Anwältinnen und Anwälte,<br />

die an Seminaren und sonstigen<br />

Lehrveranstaltungen teilnehmen, darüber<br />

hinaus Fortbildung im Wege<br />

des Eigenstudiums betreiben (Vorund<br />

Nachbereitung, Lektüre von<br />

Fachzeitschriften, etc.), so dass insgesamt<br />

eine Fortbildungszeit von<br />

deutlich mehr als den ausgewiesenen<br />

Stunden erreicht wird.<br />

9 Die Bescheinigung wird unaufgefordert<br />

erteilt, soweit dem DAV<br />

durch Fortbildungsveranstalter Teilnehmerdaten<br />

von DAV-Mitgliedern<br />

zugänglich gemacht werden. Wer<br />

etwa bei der Deutschen Anwaltakademie,<br />

einer Arbeitsgemeinschaft<br />

des DAV oder einem örtlichen Anwaltverein<br />

Seminare im Umfang<br />

von mindestens sechs Zeitstunden<br />

besucht hat, erhält die Bescheinigung<br />

ohne besonderen Antrag. Wer sich<br />

bei weiteren Anbietern fortgebildet<br />

hat, die dem DAV keine solchen Daten<br />

zur Verfügung stellen, kann die<br />

Bescheinigung mit einem Formular<br />

beantragen, das im Internet unter<br />

www. anwaltverein.de/fortbildungs<br />

bescheinigung/antrag.pdf herunter<br />

geladen werden kann. Formulare erhalten<br />

DAV-Mitglieder auch bei ihrem<br />

örtlichen Anwaltverein.<br />

9 Jede anwaltsrelevante Fortbildung<br />

ist anrechenbar. Bei offensichtlichem<br />

Missbrauch behält sich der<br />

DAV die Nichtanerkennung vor.<br />

9 Anwaltsrelevante Fortbildungen<br />

umfassen neben Fortbildungsveranstaltungen<br />

zum materiellen,<br />

Prozess- und außerprozessualem Verfahrensrecht<br />

insbesondere Fortbildungsveranstaltungen<br />

zu den Themen<br />

Anwaltsrecht (z. B. Berufsrecht,<br />

Gebührenrecht, Kostenrecht, Haftpflichtrecht,<br />

Recht der berufsständischen<br />

Versorgung), zu anwaltlichen<br />

und interdisziplinären Schlüsselqualifikationen<br />

(vgl. § 5 a III DRiG) sowie<br />

zu den historischen, philosophischen,<br />

ethischen und gesellschaftlichen<br />

Grundlagen des Anwaltsberufs.<br />

9 Die Inhaber der Fortbildungsbescheinigung<br />

haben die Möglichkeit, die Urkunde<br />

nach außen hin zu präsentieren.<br />

Die Bescheinigung kann z. B. in Kanzleiräumen<br />

ausgehängt werden. Außerdem<br />

kann in der Kanzleibroschüre auf<br />

die Bescheinigung hingewiesen werden.<br />

Dabei ist darauf zu achten, dass die<br />

Kanzleibroschüre die notwendigen Hinweise<br />

zur Bedeutung der Bescheinigung<br />

enthält. Insbesondere darf in der Broschüre<br />

die Fortbildungsbescheinigung<br />

nur dem Rechtsanwalt zugeordnet sein,<br />

der sie inne hat und sie muss das Jahr<br />

der Erteilung angeben.<br />

9 In der Deutschen Anwaltauskunft<br />

(www.anwaltauskunft.de) werden<br />

Inhaber der DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />

ab Anfang 2006 besonders<br />

kenntlich gemacht.<br />

Rechtsanwalt Cord Brügmann,<br />

Berlin<br />

Detaillierte Informationen, Merkblätter<br />

sowie den Antrag auf Erteilung<br />

der DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />

finden Sie im Internet unter www.<br />

anwaltverein.de (Stichwort: Fortbildungsbescheinigung)<br />

oder direkt beim<br />

DAV, Tel.: 0 30/72 61 52-143.>


756<br />

MN<br />

DAV-Aktuell<br />

„Wer nicht handelt, der<br />

wird behandelt.“<br />

Symposium zum Bologna-Prozess<br />

in der Juristenausbildung<br />

Drei plus zwei, vier plus eins, konsekutiver<br />

Studienaufbau, Modularisierung.<br />

So klingt es, wenn im Jahr 2005<br />

über die Zukunft der Juristenausbildung<br />

diskutiert wird. Trotzdem kamen<br />

mehr als 150 Juristen aus Wissenschaft,<br />

Politik und Berufsorganisationen<br />

zu einer Fachtagung in Berlin.<br />

Eingeladen hatten der Deutsche Anwaltverein,<br />

der Deutsche Juristen-Fakultätentag<br />

und der Deutsche Hochschulverband.<br />

Auf zwei Panels wurde über die<br />

Vereinbarkeit der Juristenausbildung<br />

in Deutschland mit dem Bologna-Prozess<br />

und über die Konsequenzen für<br />

die Vielfalt der Juristenausbildung diskutiert.<br />

In den Beiträgen auf dem Podium<br />

und aus dem Kreis der Teilnehmer<br />

wurde deutlich, dass eine<br />

Umstellung des Jurastudiums auf ein<br />

konsekutives Bachelor- und Master-<br />

Studium nicht unproblematisch ist.<br />

Wenn eine solche Umstellung komme,<br />

so die Veranstalter in einer gemeinsamen<br />

Erklärung, dann müsse das Bachelor-Studium<br />

mindestens vierjährig<br />

ausgelegt sein und damit in etwa der<br />

heutigen Studiendauer bis zur Ersten<br />

Juristischen Prüfung entsprechen. Ein<br />

grundständiges dreijähriges Bachelor-<br />

Studium qualifiziere keinesfalls zum<br />

Beruf des Richters oder Rechtsanwalts.<br />

Bei aller Betonung der Risiken waren<br />

sich Befürworter und Skeptiker in<br />

einem Punkt einig: Die Umstellung<br />

des Jurastudiums ist faktisch kaum<br />

noch aufzuhalten. Eine Gefahr bestehe<br />

darin, dass den bisher an der Diskussion<br />

um die Juristenausbildung Beteiligten<br />

das Heft des Handelns aus der<br />

Hand genommen wird. Konsens war,<br />

dass die nächste Reform keinesfalls<br />

von den Wissenschaftsministerien dirigiert<br />

werde dürfe.<br />

Kilger: Verzicht auf erste Staatsprüfung?<br />

Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins,<br />

Rechtsanwalt Hartmut<br />

Kilger, betonte in seinem Beitrag, was<br />

wie eine Selbstverständlichkeit erscheint,<br />

aber angesichts von juristischen<br />

Studiengängen an Fachhochschulen<br />

und der Fokussierung auf<br />

berufsbefähigende Studienabschlüsse<br />

doch der Bestätigung bedurfte: Das Jurastudium<br />

müsse wissenschaftlich ausgerichtet<br />

sein. Die Anwaltschaft brauche<br />

einen auf breiter Grundlage<br />

ausgebildeten Nachwuchs, keine<br />

„Schmalspurjuristen“, die zu früh mit<br />

einer Spezialisierung begönnen. Kilger<br />

wörtlich: „Rechtskundeunterricht gehört<br />

an Volkshochschulen und nicht an<br />

Universitäten.“ Kilger verband diese<br />

Forderung aber mit einer deutlichen<br />

Kritik an dem bisherigen Jurastudium:<br />

Insbesondere das Staatsexamenssystem<br />

führe dazu, dass Studierende ab dem 4.<br />

oder 5. Semester beim Repetitor Examensfalllösungstechnik<br />

paukten. Raum<br />

für wissenschaftliches Lernen und Arbeiten<br />

bliebe dabei nicht übrig. Daher<br />

könne er sich sehr wohl vorstellen, auf<br />

die Erste Staatsprüfung zu verzichten.<br />

Hier erntete Kilger deutlichen Widerspruch<br />

von den Wissenschaftlern<br />

und weiteren Berufsvertretern: Weniger<br />

in seiner Analyse des Studiums,<br />

sondern weil das Staatsexamen als objektives,<br />

zentralisiertes Verfahren zur<br />

Überprüfung von angehenden Referendaren<br />

unersetzlich sei. Auf dem Podium<br />

erfuhr Kilger nur Unterstützung<br />

durch Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hein<br />

Kötz, den ehemaligen Gründungspräsidenten<br />

der Hamburger Bucerius Law<br />

School. Kötz plädierte für eine Streichung<br />

des ersten Staatsexamens, um<br />

AnwBl 12/2005<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Rechtsanwalt Hartmut<br />

Kilger, Präsident des<br />

Deutschen Anwaltvereins,<br />

begrüßte als<br />

Gastrednerinnen BundesjustizministerinBrigitte<br />

Zypries (l.) und<br />

die bayerische Staatsministerin<br />

der Justiz<br />

Beate Merk.<br />

den Wettbewerb zwischen den juristischen<br />

Fakultäten voranzutreiben.<br />

Zypries: Eigenheiten des Jurastudiums<br />

Aber zurück zum Bologna-Prozess:<br />

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />

betonte, dass die Ziele des Bologna-Prozesses<br />

(vgl. Brügmann, Bologna-Prozess:<br />

Jurastudium ohne<br />

Grenzen?, AnwBl 2005, 537) zweifelsohne<br />

ihre Unterstützung fänden.<br />

Nur müsse man prüfen, ob nicht auch<br />

in der heutigen Ausbildung diese Ziele<br />

schon verwirklicht seien. Als Beispiel<br />

nannte sie die Förderung der Mobilität<br />

der Studierenden: Heute würden 14 %<br />

aller Studierenden einen Teil ihres Studiums<br />

im Ausland absolvieren. Unter<br />

den Studierenden des Faches Jura<br />

seien es schon 22 %. Zypries äußerste<br />

die Sorge, dass bei einer Umstellung<br />

auf ein Bachelor-/Master-System die<br />

Eigenheiten des Jurastudiums nicht genügend<br />

Berücksichtigung finden könnten.<br />

Während die bayerische Staatsministerin<br />

der Justiz Dr. Beate Merk<br />

den Bologna-Prozess kategorisch ablehnte<br />

(„Ich möchte eine Einstellung<br />

des Verfahrens.“), stellte der nordrhein-westfälischeBundestagsabgeordnete<br />

Dr. Günter Krings fest, dass die<br />

Chancen, sich gegen die Reform zu<br />

wehren, sehr gering seien: Europäische<br />

Harmonisierungsbestrebungen<br />

hätten schon häufig eine bemerkens-<br />

Rechtsanwältin Verena<br />

Mittendorf, Vizepräsidentin<br />

des Deutschen<br />

Anwaltvereins, mit<br />

Prof. Dr. Peter M. Huber<br />

(l.), Vorsitzender<br />

des Deutschen Juristen-Fakultätentages,<br />

und Prof. Dr. Bernhard<br />

Kempen, Präsident des<br />

Deutschen Hochschulverbands.


AnwBl 12/2005 757<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Wiesen auf die Eigendynamik des Bologna-Prozesses<br />

hin: Der Bundestagsabgeordnete<br />

Dr. Günter Krings (CDU, l.)<br />

und der bayerische Landtagsabgeordnete<br />

Dr. Ludwig Spaenle (CSU).<br />

werte Eigendynamik entwickelt. Außerdem<br />

würden die Hochschulen in<br />

Deutschland praktisch alle Fächer auf<br />

das Bachelor-/ Master-System umstellen;<br />

diese Entwicklung würde auch<br />

vor den juristischen Fakultäten nicht<br />

halt machen. Daher appellierte Krings<br />

an alle an der Juristenausbildung Beteiligten,<br />

konstruktiv zusammenzuwirken,<br />

damit sie Herren des Verfahrens<br />

blieben und die Qualität in der Juristenausbildung<br />

forcierten.<br />

Wissenschaftspolitiker machen Druck<br />

Krings fand Unterstützung bei dem<br />

einzigen Nicht-Juristen auf dem Podium:<br />

Dr. Ludwig Spaenle, bayerischer<br />

Landtagsabgeordneter und Vorsitzender<br />

des Ausschusses für Hochschule, Forschung<br />

und Kultur schätzte die Eigendynamik<br />

des Bologna-Prozesses als so<br />

hoch ein, dass sich für ihn die Frage des<br />

„Ob“ gar nicht mehr stellte. Mit Blick<br />

auf die bayerische Diskussion um andere<br />

Staatsexamensstudiengänge versuchte<br />

er den Skeptikern die Sorge zu<br />

nehmen, dass die Umstellung des Jurastudiums<br />

zwangsläufig mit einem Qualitätsverlust<br />

einher gehen müsse. In Bayern<br />

habe man sich entschieden, bei der<br />

Umsetzung der Reformen den Grundsatz<br />

„Qualität vor Zeit“ zu beherzigen<br />

und mache damit gute Erfahrungen.<br />

Die an die Statements anschließende<br />

Diskussion brachte kein einheitliches<br />

Bild zu Tage, sondern spiegelte<br />

die unterschiedlichen Kenntnisse über<br />

und Erfahrungen mit dem Bologna-<br />

Prozess wider. Im zusammenfassenden<br />

Schlussstatement der Tagung stellte<br />

sich der Vorsitzende des Deutschen Juristen-Fakultätentags<br />

Prof. Dr. Peter<br />

M. Huber deutlich auf die Seite der<br />

Bologna-Kritiker. Die Mehrheit der<br />

Podiumsgäste hatte er damit auf seiner<br />

Seite. Ob das auch für die Mehrheit<br />

der Konferenzteilnehmer galt, darf bezweifelt<br />

werden.<br />

Rechtsanwalt Cord Brügmann, Berlin<br />

DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

Stellungnahmen zu<br />

Gesetzesvorhaben<br />

Der Deutsche Anwaltverein begleitet<br />

aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl<br />

auf nationaler als auch auf europäischer<br />

und internationaler<br />

Ebene. Stellungnahmen des DAV werden<br />

von seinen 31 Gesetzgebungsausschüssen<br />

erarbeitet. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

weist regelmäßig auf wichtige<br />

Stellungnahmen hin. Alle Stellungnahmen<br />

finden sich unter www.anwaltverein.de/03/05/in<br />

dex.html.<br />

Ausschüsse Justizreform, Zivilverfahrensrecht,<br />

Handelsrecht und<br />

Geistiges Eigentum<br />

9 Erstinstanzliche Zuständigkeit<br />

des OLG in besonderen Zivilrechtsstreitigkeiten<br />

Die 76. Justizministerkonferenz<br />

(JuMiKo) hat Ende Juni dafür plädiert,<br />

dass für bestimmte, sachlich abgegrenzte<br />

Verfahren auf dem Gebiet des<br />

Wirtschaftsrechts eine erstinstanzliche<br />

Zuständigkeit des Oberlandesgerichts<br />

geschaffen werden sollte.<br />

Die JuMiKo-Arbeitsgruppe „Attraktivität<br />

der Ziviljustiz steigern/ Prorogationsmöglichkeiten<br />

erweitern“<br />

hat einen Formulierungsvorschlag für<br />

die Schaffung einer erstinstanzlichen<br />

Zuständigkeit der Oberlandesgerichte<br />

vorgelegt, zu dem der Deutsche Anwaltverein<br />

gegenüber dem federführend<br />

zuständigen Justizministerium<br />

Baden-Württemberg nun Stellung genommen<br />

hat. Der DAV hältaufder<br />

Grundlage der Beratungen seiner<br />

Ausschüsse Justizreform, Zivilverfahrensrecht,<br />

Geistiges Eigentum und<br />

Handelsrecht an seiner schon in der<br />

Stellungnahme des Ausschusses Justizreform<br />

vom Mai 2005 erklärten<br />

Auffassung fest, dass sich die Einführung<br />

einer erstinstanzlichen Zuständigkeit<br />

des Oberlandesgerichts in „besonderenZivilrechtsrechtsstreitigkeiten“<br />

nicht empfiehlt.<br />

Ausschüsse Zivilrecht und Arbeitsrecht<br />

9 Denkschrift zur Umsetzung der<br />

Antidiskriminierungsrichtlinien<br />

nach der Bundestagsneuwahl<br />

Der Deutsche Anwaltverein (Arbeitsrechtsausschuss<br />

und Zivilrechtsausschuss)<br />

hat in einer Denk-<br />

schrift – rechtzeitig zu Beginn der<br />

Verhandlungen über eine Große Koalition<br />

– Anregungen für eine 1 zu<br />

1 Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien<br />

in der<br />

neuen Legislaturperiode gegeben.<br />

Der DAV hatte sich in der<br />

Vergangenheit mehrfach zu den<br />

verschiedenen – gescheiterten –<br />

SPD/Grünen-Gesetzentwürfen der<br />

vergangenen Legislaturperiode geäußert.<br />

Es wurde wiederholt darauf<br />

hingewiesen, dass die Entwürfe im<br />

Bereich des allgemeinen Zivilrechts<br />

deutlich über eine 1 zu 1-Umsetzung<br />

der Richtlinien hinausgingen.<br />

Im Arbeitsrecht lag der Schwerpunkt<br />

der Kritik auf dem Umstand,<br />

dass die neuen Regelungen nicht in<br />

die bestehenden Regelwerke sowie<br />

das System arbeitsrechtlicher<br />

Schutznormen integriert, sondern<br />

unreflektiert aufgesattelt werden<br />

sollten, was für den Rechtsanwender<br />

ungeahnte Probleme ausgelöst<br />

hätte. Die CDU/CSU-Fraktion hatte<br />

vor der Wahl angekündigt, für den<br />

Fall einer Übernahme der Regierungsverantwortung<br />

eine neue Gesetzesvorlage<br />

zur Umsetzung der<br />

Richtlinien 2000/43, 2000/78 und<br />

2002/73 einzubringen, der nicht<br />

über den in den Richtlinien vorgesehenen<br />

Diskriminierungsschutz hinausgehen<br />

soll.<br />

Deutscher Anwaltverein<br />

9 Gesetzentwurf für eine Untätigkeitsbeschwerde<br />

Das Bundesjustizministerium hat<br />

einen Gesetzentwurf für eine Untätigkeitsbeschwerde<br />

vorgelegt, wenn<br />

ein Gericht das Verfahren ohne<br />

sachlichen Grund nicht in angemessener<br />

Frist fördert (siehe AnwBl<br />

10/2005, S. VI). Der Deutsche Anwaltverein<br />

begrüßt uneingeschränkt<br />

das Ziel des Entwurfes, durch einen<br />

innerstaatlichen Rechtsbehelf die<br />

aus Art. 6 Abs. 1 und 13 EMRK<br />

folgende Verpflichtung Wirklichkeit<br />

werden zu lassen, über eine Streitigkeit<br />

innerhalb angemessener Frist zu<br />

verhandeln und zu entscheiden.<br />

Dies entspreche dem verfassungsrechtlichen<br />

Gebot der Gewährung<br />

effektiven Rechtschutzes. In Umsetzung<br />

verschiedener Urteile des Europäischen<br />

Gerichtshofes für Menschenrechte<br />

hatte daher der DAV<br />

schon im März 2003 einen entsprechenden<br />

Gesetzesvorschlag unterbreitet.


758<br />

MN<br />

DAV-Internetforum<br />

Neues Forum zur<br />

Referendarausbildung<br />

DAV-Mitglieder diskutieren bereits<br />

über RVG und Pro Bono<br />

Der DAV hat das Internetangebot für<br />

seine Mitglieder unter www.anwalts<br />

forum.de um ein Diskussionsforum<br />

zur Referendarausbildung erweitert.<br />

Neben dem äußerst erfolgreichen<br />

RVG-Forum und dem im Sommer<br />

2005 gestarteten Pro Bono-Forum<br />

können DAV-Mitglieder sich nunmehr<br />

auch zu Fragen rund um die Referendarausbildung<br />

austauschen. Der virtuelle<br />

Austausch hat im Herbst 2005 begonnen.<br />

DAV und Menschenrechte<br />

UIA kämpft für<br />

Menschenrechte<br />

Der Deutsche Anwaltverein ist in<br />

vielen internationalen und europäischen<br />

Anwaltsorganisationen aktiv<br />

und setzt sich auch dort für den<br />

Schutz der Menschenrechte ein. In<br />

einer Serie berichtet das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

über die Aktivitäten dieser Anwaltsorganisationen.<br />

In diesem<br />

Heft: Die Union Internationale des<br />

Avocats (UIA). Die UIA wurde im<br />

Jahr 1927 von einer Gruppe von<br />

europäischen Anwälten gegründet.<br />

Heute steht die UIA Anwälten der<br />

ganzen Welt offen. Daneben umfasst<br />

sie mehr als 200 Anwaltorganisationen,<br />

die insgesamt fast 2<br />

Millionen Anwälte repräsentieren.<br />

Die UIA hat ihren Schwerpunkt<br />

eindeutig in den Bereich der Verteidigung<br />

von Menschenrechtlern gesetzt.<br />

Sie unterhält deshalb enge Beziehungen<br />

zu den verschiedenen<br />

weltweiten Vertretungen der Vereinten<br />

Nationen, bei denen sie eine beratende<br />

Stellung einnimmt. Die<br />

Treffen der Mitglieder der UIA, die<br />

im VN-Hauptquartier in New York<br />

abgehalten werden, helfen, die Verbindung<br />

zwischen den Anwaltorganisationen<br />

und den professionellen<br />

Vertretungen der Vereinten Nationen<br />

aufrechtzuerhalten.<br />

Darüber hinaus kooperiert die<br />

UIA mit anderen professionellen<br />

Organisationen und nicht-staatlichen<br />

Stellen (NGOs). Sie interve-<br />

Aus den Diskussionen im Forum:<br />

9 Rechtsanwalt G., Frankfurt am Main<br />

zu „Referendariat allgemein“: „ ... ich<br />

beschäftige derzeit erstmalig eine Referendarin,<br />

die die 9-monatige Anwaltsstation<br />

absolviert. Ich war anfangs<br />

sehr positiv hierzu eingestellt ... .<br />

Leider habe ich bislang keine signifikanten<br />

Unterschiede zu vorherigen –<br />

„kürzeren“ – Stationsreferendaren bemerken<br />

können. ... Ich ... finde es ...<br />

schade, dass bei der Planung des juristischen<br />

Vorbereitungsdienstes so wenig<br />

berücksichtigt wird, dass es während<br />

der Referendarausbildung nie<br />

wieder eine gleich gelagerte Gelegenheit<br />

geben wird, den Beruf des Rechtsanwalts<br />

für einen längeren Zeitraum<br />

so intensiv kennen zu lernen. ... Ich<br />

plädiere daher dafür, dass die An-<br />

niert unter anderem in betroffenen<br />

Staaten, um die Einhaltung der<br />

Menschenrechte zu sichern, zum<br />

Bespiel in Tunesien, im Libanon<br />

und Bosnien-Herzogowina. Um<br />

diese Aufgaben zu erfüllen, unterhielt<br />

die UIA bisher vier Kommissionen,<br />

die zukünftig enger kooperieren:<br />

Die<br />

Menschenrechtskommission, die<br />

Frauen-und-Recht-Kommission, die<br />

Kommission der Rechte der Kinder<br />

und die der Verteidigung der Verteidigung.<br />

Stellungnahmen<br />

Die UIA verabschiedet zudem<br />

rechtspolitische Stellungnahmen im<br />

Bereich Menschenrechte – beispielsweise<br />

2004 die sogenannte<br />

„Guantanamo resolution“ und 2005<br />

eine „right to health resolution“. Zudem<br />

veröffentlichte sie eine eigene<br />

CD-Rom mit den wichtigen Rechtsquellen<br />

im Bereich Menschenrechte.<br />

Außerdem bieten Seminare und<br />

Kongresse der UIA die Möglichkeit<br />

zur Reflektion über verschiedene<br />

menschenrechtsbezogene Themen.<br />

In naher Zukunft wird eine von<br />

der UIA unabhängige Stiftung<br />

gegründet werden, die der Unterstützung<br />

der UIA u. a. bei der Verfolgung<br />

von Menschenrechtsverletzungen<br />

dienen soll.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

Berlin<br />

Weitere Informationen können<br />

auf der Website der UIA abgerufen<br />

werden, www.uianet.org.<br />

AnwBl 12/2005<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Beantworten Sie<br />

die Frage von<br />

Rechtsanwältin<br />

Ulrike Gantert,<br />

Markt Schwaben<br />

(Foto), unterwww.anwalts<br />

forum.de.<br />

waltsstation nicht zur Vorbereitung auf<br />

die Examensklausuren missbraucht<br />

wird ... , sondern Referendaren ohne<br />

nahenden Examensstress die Möglichkeit<br />

gegeben wird, intensiv und praxisorientiert<br />

den Beruf des Rechtsanwalts<br />

kennen zu lernen. Dies kann man indes<br />

nur leisten, wenn der Kopf frei ist,<br />

alles andere entspricht eben nicht der<br />

täglichen Anwaltspraxis.“<br />

9 Rechtsanwältin Ulrike Gantert,<br />

Markt Schwaben, zu „DAV-Anwaltausbildung<br />

– Das DAV-Ausbildungshandbuch“:<br />

„... wer nach dem Curriculum<br />

der DAV-Anwaltausbildung ausbildet,<br />

mutet seinen Referendaren viel Arbeit<br />

zu. Die 460 Fragen des DAV-Ausbildungshandbuchs<br />

zu beantworten, ist<br />

aber auch für den Ausbilder nicht einfach.<br />

Was tun Sie, wenn eine der Themen<br />

in Ihrem Kanzleialltag nicht vorkommt?<br />

Versuchen Sie, den Inhalt<br />

theoretisch zu vermitteln oder lassen<br />

Sie Ihren DAV-Referendar für eine<br />

kurze Zeit in einer anderen Kanzlei<br />

hospitieren?“<br />

Diskutieren auch Sie mit. Stellen<br />

Sie Ihre Fragen oder beantworten Sie<br />

Anfragen von Kolleginnen und Kollegen.<br />

Voraussetzung ist, dass sich die<br />

Teilnehmer registrieren. Dies können<br />

alle DAV-Mitglieder mit ihrem Namen<br />

und ihrer Adresse tun. Sowohl den Benutzernamen<br />

als auch das Passwort<br />

kann man selbst aussuchen. Melden<br />

Sie sich an unter www.anwaltsfo<br />

rum.de oder nutzen Sie Ihren Benutzernamen<br />

aus dem RVG- bzw. dem<br />

Pro-Bono-Forum.<br />

Brü<br />

Das Internetdiskussionsforum des<br />

Deutschen Anwaltvereins steht DAV-


AnwBl 12/2005 759<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Mitgliedern unter www.anwalts<br />

forum.de offen.<br />

Deutsche Anwaltauskunft<br />

TV-Sponsoring ergänzt<br />

Werbekampagne<br />

Anwaltauskunft.de sponsert<br />

Fernsehsendung<br />

Im Januar 2006 startet die von der<br />

DAV-Mitgliederversammlung beschlossene<br />

Werbekampagne der deutschen<br />

Anwaltschaft mit Anzeigen in bundesweiten<br />

Publikationen. Das ist noch<br />

nicht alles: Der DAV verstärkt das<br />

Marketing für die deutsche Anwaltschaft<br />

auch mit TV-Sponsoring. Die<br />

Deutsche Anwaltauskunft – der Anwaltsuchtdienst<br />

des DAV – sponsert<br />

die Sendung „Steuern & Recht“ des<br />

Nachrichtensenders „n-tv“.<br />

Ein TV-Sponsoring ist im Vergleich<br />

zu der teuren TV-Werbung finanzierbar.<br />

Es lohnt sich für die Deutsche Anwaltauskunft<br />

im Zusammenhang mit einer<br />

Sendung, in der mandatsträchtige<br />

Rechtsthemen für Laien aufbereitet werden<br />

– und dem Zuschauer Hinweise gegeben<br />

werden, wie er ein sein „gutes<br />

Recht“ (im Zweifel durch seinen Anwalt)<br />

durchsetzen kann. Die Werbekampagne<br />

des DAV wird als Absender auch<br />

die Deutsche Anwaltauskunft nennen.<br />

Dadurch wird die Anwaltauskunft breiten<br />

Bevölkerungskreisen noch bekannter<br />

und die Nachfrage nach anwaltlicher<br />

Dienstleistung stärker auf die Mitglieder<br />

der örtlichen Anwaltvereine konzentriert.<br />

Ein Auftritt der Deutschen Anwaltauskunft<br />

als Sponsor bei einem<br />

Nachrichtensender komplettiert die Anstrengungen<br />

zur Imageverbesserung.<br />

Nachrichtensender mit geeigneter<br />

Zielgruppe<br />

Mit der Werbekampagne soll als<br />

Kernzielgruppe das mittlere/gehobene<br />

Drittel der Bevölkerung angesprochen<br />

werden. Das sind zum Beispiel die Inhaber<br />

von kleineren und mittleren Unternehmen,<br />

die Menschen mit besserem<br />

Einkommen, Akademiker und<br />

leitende Angestellte. Durch die Nennung<br />

der „anwaltauskunft.de“ als einer<br />

der beiden Hauptsponsoren zum Beginn<br />

und am Ende der Sendung „Steuern<br />

& Recht“ wird auch diese Zielgruppe<br />

erreicht. Der Co-Sponsor der<br />

Sendung ist die Rechtschutzversicherung<br />

DAS. Die Ausstrahlung der Sen-<br />

dung erfolgt 14-tägig am Freitag ab<br />

19:35 Uhr, also zur sogenannten Primetime.<br />

Eine Wiederholung wird in<br />

der folgenden Woche jeweils am Montag<br />

um 15:35 Uhr ausgestrahlt.<br />

Durch die Aufnahme der DAS als<br />

Co-Sponsor ist eine wesentlich höhere<br />

Frequenz und somit eine erheblich höhere<br />

Reichweite bei der Platzierung<br />

der Marke „anwaltauskunft.de“ möglich.<br />

Es wird nicht nur eine Nennung<br />

am Anfang und am Ende der Sendung<br />

geben, sondern auch in den zehn Ankündigungstrailern<br />

zur jeweiligen Sendung<br />

„Steuern & Recht“.<br />

Qualitativ hochwertige Rechtssendungen<br />

notwendig<br />

Durch das Engagement unterstützt<br />

der DAV auch eine qualitativ hochwertige<br />

Rechtssendung. In den vergangenen<br />

Jahren war ein Rückgang seriöser<br />

Berichterstattung über Rechts- und<br />

Justizthemen im Fernsehen zu beobachten.<br />

Neben den bestehenden anspruchsvollen<br />

Formaten wie „ARD-<br />

Ratgeber Recht“, „WiSo“ oder „Recht<br />

brisant“ zeichnet sich die TV-Landschaft<br />

mehr durch Gerichtsshows und<br />

Anwaltsserien aus – in denen es um<br />

Alles, aber nicht um das Recht geht.<br />

DAV im Redaktionsbeirat<br />

Der DAV ist in dem Redaktionsbeirat<br />

der Produktionsfirma vertreten.<br />

Nach Maßgabe der rundfunkrechtlichen<br />

Bestimmungen berät dieser Redaktionsbeirat<br />

den Produzenten. Dabei<br />

handelt es sich um ein Arbeitsgremium,<br />

in dem insbesondere Themenvorschläge<br />

für die Filmbeiträge gemacht<br />

werden.<br />

Themenschwerpunkt der ersten<br />

Sendung am 30. September 2005 war<br />

z. B. die Abwicklung von „Unfällen im<br />

Der Trailer, in dem auf die Sponsoren<br />

aufmerksam gemacht wird, ist hochwertig<br />

produziert worden. Dabei erscheint ein<br />

Labyrinth, durch das eine Kugel rollt, die<br />

ihr Ziel findet. Durch die Nennung der<br />

„anwaltauskunft.de“ wird deutlich, dass<br />

die Anwaltschaft durch das Dickicht und<br />

das Labyrinth des Rechts zum Ziel führt.<br />

Ausland“. An Hand von Beispielen<br />

wurde das Procedere verdeutlicht, die<br />

Schadensersatzansprüche im Heimatland<br />

bei einem „Schadensregulierungsbeauftragten“<br />

des ausländischen Haftpflichtversicherers<br />

geltend zu machen.<br />

Als genereller Ansprechpartner bei<br />

Unfällen kam die Anwaltschaft mehrfach<br />

auch in Interviewform zu Wort.<br />

Zwei Wochen später war ein Themenschwerpunkt<br />

der „Urlaubsanspruch<br />

bei der Fußball-WM“. Die Leitlinien<br />

der Urlaubsregelungen wurden dargestellt<br />

und Tipps zur geltenden Rechtslage<br />

wurden in der Sendung gegeben.<br />

Der Beitrag am 28. Oktober 2005<br />

widmete sich der Übertragung von Familienimmobilien.<br />

Die Vorschriften für die<br />

steuerliche Bewertung von Immobilien<br />

und Betriebsvermögen werden vermutlich<br />

verschärft. Derzeit wartet der Gesetzgeber<br />

auf eine Entscheidung des<br />

Bundesverfassungsgerichts zur Frage, ob<br />

die gegenüber Aktien und Geldgeschenken<br />

im Schenkungs- und Erbschaftssteuergesetz<br />

festgeschriebene Unterbewertung<br />

von Immobilien gegen den<br />

Gleichheitsgrundsatz verstößt. Die Sendung<br />

fragte daher nach, was Anwälte raten<br />

und gab Tipps, wie die Übertragung<br />

reibungslos geht und wie sich der Übertragende<br />

sichern kann, damit er durch<br />

die Übertragung keine Nachteile hat.<br />

Passend zum Datum des 11.11. behandelte<br />

die Sendung die „Trunkenheit<br />

auf dem Drahtesel“. Denjenigen, die<br />

volltrunken auf dem Fahrrad erwischt<br />

werden, droht nicht nur der Verlust<br />

des Führerscheins, sondern auch ein<br />

Radfahr-Verbot. Eine Presseveröffentlichung<br />

der Deutschen Anwaltauskunft<br />

wurde damit zum Thema des<br />

Beitrages gemacht.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

Berlin


760<br />

MN<br />

Anwaltsverein Heidelberg<br />

Anwälte werben auf<br />

Mittelstandsmesse<br />

Kooperation mit der Sparkasse<br />

Heidelberg<br />

Neue Wege bei der Werbung für die<br />

anwaltliche Beratung geht der Anwaltsverein<br />

Heidelberg. In einer Gemeinschaftsaktion<br />

seiner Mitglieder<br />

wurde gezielt der Mittelstand angesprochen.<br />

In Verbindung mit der Gemeinschaftswerbung<br />

des Deutschen<br />

Anwaltvereins bieten sich für Ortsvereine<br />

neue Möglichkeiten. Es berichtet<br />

der Vereinsvorsitzende:<br />

Als Kooperationspartner der Sparkasse<br />

Heidelberg hat der Anwaltsverein<br />

Heidelberg an der Veranstaltung<br />

„Zukunft Unternehmen“, der ersten<br />

Mittelstandsmesse der Sparkasse, Anfang<br />

Oktober teilgenommen.<br />

Ähnlich wie bei einem Tag der Justiz<br />

im Jahr 2004 hatten wir dabei als<br />

zentralen Anlaufpunkt einen Informationsstand<br />

des Anwaltsvereins Heidelberg<br />

aufgebaut, diesen mit Flyern und<br />

Plakaten (soweit verfügbar) bestückt<br />

und standen dort, mit jeweils drei bis<br />

fünf Kolleginnen und Kollegen, für<br />

Fragen rund um das Thema „Recht“<br />

zur Verfügung.<br />

Fachvorträge der Mitglieder<br />

Der Informationsstand wurde sehr<br />

gut angenommen. Fragen gab es von<br />

vielen Unternehmern und potenziellen<br />

Existenzgründern insbesondere zu den<br />

Themen Rechtsberatungsgesetz, Gebühren<br />

und zu einzelnen speziellen<br />

Fällen, wo wir den einen oder anderen<br />

Tipp geben konnten. Dieser Tipp war<br />

natürlich immer verbunden mit dem<br />

Hinweis, unverzüglich „richtige“ anwaltliche<br />

Hilfe unter Vorlage von Unterlagen<br />

etc. in Anspruch zu nehmen.<br />

Vom Informationsstand aus wurden<br />

auch die Vorträge koordiniert, die unsere<br />

Mitglieder zu insgesamt zwölf<br />

Themen gehalten haben. Diese Vorträge<br />

waren sehr gut besucht und haben<br />

sicherlich dazu beigetragen, die<br />

Wahrnehmung der Anwaltschaft in der<br />

Öffentlichkeit zu verbessern. Daneben<br />

war es unser Anliegen, Beratungsbedarf<br />

zu wecken und auf potenzielle<br />

Gefahren in rechtlicher Sicht hinzuweisen.<br />

Insgesamt hätten wir wesentlich<br />

mehr Vorträge anbieten können, was<br />

aber aufgrund der zur Verfügung stehenden<br />

Zeitfenster für den Anwaltsverein<br />

nicht möglich war. Die Beteiligung<br />

von insgesamt rund 30<br />

Kolleginnen und Kollegen war sehr erfreulich<br />

und hat auch zu einer guten<br />

Breitenwirkung unseres Auftritts geführt.<br />

Medienecho<br />

Die Mittelstandsmesse wurde auch<br />

im Vorfeld beworben: Zusammen mit<br />

einem Vorstandsmitglied der Sparkasse<br />

habe ich im Rahmen einer von<br />

mir initiierten Livesendung im Radio<br />

mit Anrufmöglichkeit auf den Unternehmertag<br />

und hier in meiner Funktion<br />

als Vorsitzender des Anwaltsvereins<br />

insbesondere auf die<br />

Dienstleistungen hingewiesen, die die<br />

Anwaltschaft für Unternehmerinnen<br />

und Unternehmer erbringen kann und<br />

gleichzeitig Gefahren herausgearbeitet,<br />

die bestehen, wenn andere Berufsgruppen<br />

als Anwältinnen und Anwälte mit<br />

der Klärung von Rechtsfragen beauftragt<br />

werden.<br />

Solche Kooperationen für bestimmte<br />

Veranstaltungen bieten sich<br />

sicherlich auch in anderen Städten an.<br />

In Heidelberg kam die Kooperation<br />

auf unsere Initiative hin zustande.<br />

Rechtsanwalt Michael Eckert,<br />

Heidelberg<br />

Mitglieder des Anwaltsvereins<br />

Heidelberg warben<br />

für die Anwaltschaft:<br />

Rechtsanwalt Ralf Schmitz<br />

(Mitte), Rechtsanwältin<br />

Sabine Kronenberger und<br />

Rechtsanwalt Michael<br />

Eckert (Vorsitzender des<br />

Anwaltsverein Heidelberg).<br />

AnwBl 12/2005<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Landesverband Thüringen<br />

Rechtsanwälte auf<br />

Augenhöhe mit der Justiz<br />

Thüringer Justizminister beim<br />

IX. Landesanwaltstag in Jena<br />

Der Landesverband Thüringen hat<br />

– nach mehrjähriger Unterbrechung –<br />

im Oktober wieder einen Landesanwaltstag<br />

veranstaltet. Der Vorsitzende<br />

des Landesverbandes berichtet:<br />

Die Resonanz auf den IX. Landesanwaltstag<br />

in Jena war mit 120 Teilnehmern<br />

sowie 18 Ausstellern und<br />

Sponsoren gut. Über den aktuellen<br />

Stand der Arbeiten zur Justizreform<br />

berichtete der Thüringer Justizminister<br />

Harald Schliemann auf der Abendveranstaltung<br />

im Turmrestaurant „Scala“<br />

in 130 Metern Höhe. Die Arbeiten<br />

werden nach seinen Worten noch einige<br />

Zeit in Anspruch nehmen. Die<br />

Justizminister hätten Arbeitsaufträge<br />

an die Staatssekretäre zur weiteren<br />

Bearbeitung zurückgegeben. Zur Einbindung<br />

der Rechtsanwälte sagte er,<br />

dass nach Abschluss der Beratungen<br />

die Rechtsanwälte an den weiteren<br />

Überlegungen selbstverständlich beteiligt<br />

würden.<br />

Anwälte als Ausbilder<br />

Zur Ausbildung von Rechtsreferendaren<br />

äußerte der Minister die Bitte,<br />

dass sich mehr Anwälte als Ausbilder<br />

für Arbeitsgemeinschaften im Referendariat<br />

zur Verfügung stellen sollten.<br />

Es sei nicht gut, wenn Rechtsanwälte<br />

von Richtern oder Staatsanwälten ausgebildet<br />

würden. Der Vorsitzende des<br />

Landesverbandes Thüringen, Rechtsanwalt<br />

Andreas Schiller, sagte darauf,<br />

dass die Anwaltschaft bereit stehe,<br />

aber die vom Staat gezahlte Vergütung<br />

für Anwälte zu niedrig sei.<br />

Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />

Hartmut Kilger begrüßte<br />

es, dass die Landesverbände Anwaltstage<br />

anbieten. Diese dezentralen Veranstaltungen<br />

hätten vor allem in den<br />

neuen Bundesländern regen Anklang<br />

gefunden. Präsident Kilger wies darauf<br />

hin, dass die Zulassungszahlen von<br />

Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen<br />

weiter stiegen und dies ein Problem<br />

für die Anwaltschaft sei. Der<br />

DAV setze sich für die Qualitätssicherung<br />

ein und habe daher eine Fortbildungsbescheinigung<br />

geschaffen.<br />

In einem humorvollen Grußwort<br />

nahm stellvertretend für die Thüringer


AnwBl 12/2005 761<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Justiz der Vizepräsident des Oberlandesgericht<br />

Thüringen, Kotzian-Markgraf,<br />

das Verhältnis von Richterschaft<br />

und Anwaltschaft zum Anlass, einerseits<br />

eine Verschlechterung des Umgangstones<br />

an den Gerichten zu bedauern,<br />

andererseits aber für eine<br />

sachliche und verständnisvolle Kooperation<br />

zwischen beiden Berufsgruppen<br />

zu werben. Er betonte, dass beide Berufsgruppen<br />

letztlich dem gleichen<br />

Ziel verpflichtet seien.<br />

Die vom DAV kurz vor dem Anwaltstag<br />

beschlossene Werbekampagne<br />

Kölner Anwaltverein<br />

Größter Ortsverein mit<br />

mehr als 4.000 Mitgliedern<br />

Kostengünstige Fortbildung<br />

Konkurrenz belebt das Geschäft.<br />

Wer ist der größte Ortsverein? Geht<br />

es nach der Mitgliederzahl, liegt<br />

Köln weit vorne – und wächst weiter.<br />

Bereits seit einiger Zeit ist der<br />

Kölner Anwaltverein der größte örtliche<br />

Anwaltverein in Deutschland.<br />

Die Anwaltvereine anderer großen<br />

Städte – wie Hamburg, Frankfurt,<br />

München, Stuttgart und Berlin – liegen<br />

zurück. Dieser Abstand vergrößert<br />

sich stetig, nicht zuletzt auch<br />

ein Verdienst von über 200 ehrenamtlich<br />

tätigen Mitgliedern des Kölner<br />

Anwaltvereins, die im Vorstand<br />

und in den zahlreichen Ausschüssen<br />

und Arbeitskreisen des Kölner Anwaltvereins<br />

engagiert für die Anwaltschaft<br />

wirken.<br />

Aber auch die zahlreichen kostengünstigenFortbildungsveranstaltungen<br />

und Fachanwaltslehrgänge des<br />

Kölner Anwaltvereins haben mit<br />

dazu beigetragen, dass die Mitglied-<br />

Trafen sich auf dem Landesanwaltstag<br />

(v.l.n.r.):<br />

Indra Stolze (Landesverband<br />

Thüringen), Petra<br />

Geißinger (Vorsitzende<br />

Erfurter Anwaltverein),<br />

Hartmut Kilger (DAV-<br />

Präsident), Harald<br />

Schliemann (Thüringer<br />

Justizminister), Andreas<br />

Schiller (Vorsitzender<br />

Landesverband Thüringen)<br />

und Thomas Fuhrmann<br />

(stellv. Vorsitzender<br />

Landesverband Thüringen).<br />

für die Anwaltschaft begrüßte der Vorsitzende<br />

des DAV-Landesverbandes<br />

Thüringen, Rechtsanwalt Andreas<br />

Schiller. Er rief die Kolleginnen und<br />

Kollegen auf, sich freiwillig umfassend<br />

fortzubilden und nicht abzuwarten,<br />

bis irgendwie geartete Sanktionen<br />

zur Durchsetzung der bereits in der<br />

BRAO enthaltenen Fortbildungspflicht<br />

geschaffen werden. Ein Lob für die<br />

Veranstaltung kam vom Obmann der<br />

Landesverbände, Rechtsanwalt Thomas<br />

Markworth.<br />

Rechtsanwalt Andreas Schiller, Jena<br />

schaft als hochattraktiv und ein Eintritt<br />

als nahezu selbstverständlich angesehen<br />

wird. Bereits durch den<br />

Besuch von ein bis zwei Fortbildungsveranstaltungen<br />

pro Jahr hat<br />

sich schließlich der Mitgliedsbeitrag<br />

in Höhe von derzeit E 170,00 schon<br />

gerechnet. Von der Möglichkeit der<br />

Inanspruchnahme zahlreicher Rahmenverträge<br />

und Kooperationen einmal<br />

abgesehen.<br />

Im September 2005 konnte der<br />

1. Vorsitzende des Kölner Anwaltvereins<br />

Dr. Rainer Klocke nun das<br />

viertausendste Mitglied des Kölner<br />

Anwaltvereins in der Geschäftsstelle<br />

persönlich begrüßen. Es handelt sich<br />

um Rechtsanwältin Uta Hildebrandt,<br />

die seit Juli 2005 in einer bekannten<br />

Kölner Strafverteidigerkanzlei tätig<br />

ist. Hildebrandt hat an der Universität<br />

zu Köln studiert und ist derzeit<br />

neben ihrer beruflichen Tätigkeit mit<br />

dem Abschluss ihres Promotionsvorhabens<br />

am Kriminologischen Institut<br />

der Universität zu Köln beschäftigt.<br />

Der Arbeitstitel der Arbeit lautet:<br />

Neue Steuerungsmodelle im Strafvollzug.<br />

Selbstverständlich wird der Kölner<br />

Anwaltverein nicht ruhen,<br />

weitere Mitglieder zu werben. Das<br />

Anwaltverein Hagen<br />

Ausstellung zur<br />

Anwaltsgeschichte<br />

Zu Gast im Landgericht<br />

Der Anwalt- und Notarverein des<br />

Landgerichtsbezirks Hagen hat die<br />

zunächst beim 56. Deutschen Anwaltstag<br />

in Dresden in diesem Jahr gezeigte<br />

Ausstellung „Rechtsanwälte<br />

und ihre Geschichte“ im September<br />

nach Hagen geholt.<br />

Unter reger Teilnahme von Vertretern<br />

aus Justiz, Politik, Wirtschaft, Kirchen<br />

und Anwaltschaft wurde die<br />

Ausstellung eröffnet. Sie stand dem<br />

Publikum mit freundllicher Unterstützung<br />

des Präsidenten des Landgerichts<br />

Hagen mehrere Wochen offen.<br />

In der Eröffnungsveranstaltung hob<br />

der Staatssekretär im Justizministerium<br />

Nordrhein-Westfalen Jan Söffing,<br />

die Bedeutung einer selbstbewussten<br />

und starken Anwaltschaft für den<br />

Rechtsstaat hervor. Es gelte, hellhörig<br />

und wachsam zu sein, wenn Anwaltsrechte<br />

im Prozess beschnitten und<br />

bekannte und sehr breite Servicespektrum<br />

wird hierzu noch weiter<br />

ausgebaut werden. Es ist unser Ziel,<br />

allen Mitgliedern die kostengünstige<br />

und unproblematische Möglichkeit<br />

zu bieten, sich auf allen Fachgebieten<br />

fortbilden zu können. Des weiteren<br />

haben wir uns auf die Fahne<br />

geschrieben, die ausgezeichneten<br />

Kontakte zu den Gerichten und Behörden<br />

im Sinne der Anwaltschaft<br />

zu pflegen und weiter auszubauen.<br />

Nicht unerwähnt lassen möchten<br />

wir, dass wir per Stand 17.10.2005<br />

bereits auf 4.082 Mitglieder blicken<br />

können.<br />

Rechtsanwalt Dr. Dominik Scheuerer,<br />

Köln<br />

Der 1. Vorsitzende des Kölner Anwaltvereins<br />

Dr. Rainer Klocke begrüßt das<br />

viertausendste Mitglied im Kölner Anwaltverein:<br />

Rechtsanwältin Uta Hildebrandt<br />

ist seit Juli 2005 in einer Kölner<br />

Strafverteidigerkanzlei tätig.


762<br />

MN<br />

Eröffneten die von Prof. Dr. Hinrich<br />

Rüping (2.v.l.) zusammengestellte Ausstellung<br />

(v.l.): Wolfgang Ehrler (Vorsitzender<br />

des Anwaltvereins Hagen), Jan Söffing<br />

(Staatssekretär im Justizministerium<br />

Nordrhein-Westfalen) und Ernst Espey<br />

(Präsident des Landgerichts Hagen).<br />

Mittel der Verteidigung eingeschränkt<br />

würden: Die Stellung der Anwaltschaft<br />

ist immer auch ein Gradmesser<br />

für die Verfassung des Rechts und des<br />

Rechtsstaats in Deutschland“. Söffing<br />

erinnerte an renommierte Anwälte wie<br />

Max Alsberg, Max Hirschberg und<br />

Hans Litten, die in der NS-Zeit wegen<br />

ihres Eintretens für Recht und Gerechtigkeit<br />

verfolgt wurden. „Mit diesen<br />

Anwälten ging für Deutschland mehr<br />

verloren als einige der herausragenden<br />

Anwaltspersönlichkeiten. Im Dritten<br />

Reich wurde eine ganze Rechtskultur<br />

vernichtet; der Rechtsstaat ging unter“,<br />

sagte Söffing.<br />

Einführung von Prof. Dr. Rüping<br />

Professor Dr. Hinrich Rüping<br />

(Hannover) der die Ausstellung zusammengestellt<br />

hatte, führte anhand<br />

konkreter Fälle in die Ausstellung ein,<br />

die überwiegend auf der Auswertung<br />

von Personalakten beruht. Die Auswahl<br />

von Texten aus dem 18. bis 20.<br />

Jahrhundert betrifft als Vorarbeit zu einer<br />

modernen Geschichte der Anwaltschaft<br />

Fragen der Berufsorganisation<br />

in Kammern und Vereinen, der Berufszulassung<br />

als Dauerthema des Numerus<br />

Clausus, der Berufsgerichtsbarkeit,<br />

des Berufsfeld in der Weimarer Republik,<br />

der Anpassung und Selbstanpassung<br />

im Nationalsozialismus sowie der<br />

Entnazifizierung nach 1945.<br />

Der Ausstellung sind nach der Premiere<br />

in Dresden und der Wiederholung<br />

in Hagen viele Wege zu Ausstellungsorten<br />

in der Bundesrepublik<br />

zu wünschen.<br />

Rechtsanwalt Bernd Dentzer, Wetter<br />

(Ruhr)<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Wegweisend im<br />

Verkehrsrecht –<br />

zum 25. Mal<br />

Jubiläumveranstaltung der<br />

Homburger Tage<br />

Zu den besonders etablierten Tagungen<br />

im DAV gehören die Homburger<br />

Tage der AG Verkehrsrecht. Bei der<br />

Jubiläumsveranstaltung im Oktober<br />

würdigte der DAV-Präsident die Leistung<br />

der AG und ihres Vorsitzenden<br />

Rechtsanwalt JR Hans-Jürgen Gebhardt.<br />

Seit dem Jahr 1981 treffen sich regelmäßig<br />

Vertreter der Anwaltschaft,<br />

der Justiz und der Versicherungen im<br />

kleinen Homburg an der Saar um aktu-<br />

elle Fragen rund um das Verkehrsrecht<br />

zu diskutieren. Bereits die 1. Homburger<br />

Tage 1981 hatten Folgen, die von<br />

Kfz-Versicherern heute noch bemerkt<br />

werden. Thema der Tagung war der<br />

Haushaltsführungsschaden, eine damals<br />

weithin unbekannte Schadensposition.<br />

Heute können Haftpflichtversicherer<br />

erkennen, ob ein Mitglied der<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

den Unfallschaden reguliert, je nachdem,<br />

ob der Haushaltsführungsschaden<br />

geltend gemacht wird, oder nicht.<br />

Wegweisend für die Regulierung<br />

von Personenschäden war in diesem<br />

Jahr der Vortrag von Rechtsanwalt<br />

Heinz L. Furtmayr (Landshut) zum<br />

Thema „Rentenschaden trotz Beitragsregress<br />

nach § 119 SGB X“.<br />

Vorsicht Falle: Rentenschaden<br />

§ 119 SGB X sieht vor, dass der<br />

Rentenversicherungsträger kraft eines<br />

gesetzlichen Forderungsübergangs den<br />

AnwBl 12/2005<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Beitragsausfall selbst reguliert. Gegenüber<br />

dem Geschädigten ist der Rentenversicherungsträger<br />

hierbei wie ein<br />

Treuhändler tätig. Der Beitragseinzug<br />

orientiert sich in aller Regel an der<br />

Höhe des Verdienstausfallschadens.<br />

Furtmayr wies darauf hin, dass der<br />

Beitragsregress seit der Neuregelung<br />

der Erwerbsminderungsrenten im Rentenreformgesetz<br />

1999 für Zeiten ab<br />

1.1.2001 nicht mehr geeignet ist, einen<br />

für den Geschädigten eintretenden<br />

Rentenschaden ausreichend auszugleichen.<br />

Durch die gesetzliche Neuregelung<br />

werde ein Abschlag auf die Entgeltpunkte<br />

errechnet, die bereits vor<br />

der Schädigung liegen. Dieser Abschlag<br />

sei bei allen Renten wegen Erwerbsminderung<br />

zu beachten, die vor<br />

dem 63. Lebensjahr bewilligt werden<br />

und gelte auch bei Bezug einer Altersrente<br />

oder der Hinterbliebenenleis-<br />

Der Vorsitzende der<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Rechtsanwalt JR Hans-<br />

Jürgen Gebhardt<br />

(links) mit Generalbundesanwalt<br />

Kay<br />

Nehm (rechts) und<br />

Rechtsanwalt Georg<br />

Greißinger, ehemaliger<br />

Vizepräsident des DAV<br />

und über lange Jahre<br />

Vorsitzender des DAV-<br />

Verkehrsrechtsausschuss.<br />

tung. Durch den Beitragsregress nach<br />

§ 119 SGB X werde zwar der Beitragsausfall<br />

für die Zeit nach der Schädigung<br />

reguliert. Der Schaden, der<br />

durch die Kürzung der vor der Schädigung<br />

liegenden Entgeltpunkte eintritt,<br />

sei hierdurch jedoch nicht regulierbar.<br />

Insoweit bestehe auch kein Forderungsübergang<br />

gegenüber dem gesetzlichen<br />

Rentenversicherungsträger. Der<br />

dem Geschädigten dadurch entstehende<br />

weitere Nachteil bei seinem<br />

künftigen Rentenbezug ist von ihm<br />

selbst geltend zu machen, so Furtmayr.<br />

Die weiteren Vorträge behandelten<br />

die Themen „Die Rechtsprechung des<br />

BGH zum Fahrzeugschaden seit dem<br />

2. Schadensrechtsänderungsgesetz“<br />

(Richter am BGH Dr. Hans-Peter<br />

Greiner, Karlsruhe); „Ausgewählte<br />

Fragen aus der Kraftfahrt-/Unfallversicherung“<br />

(Vors. Richter am BGH<br />

Wilfried Terno, Karlsruhe); „Neue<br />

Möglichkeiten zur Rekonstruktion von


AnwBl 12/2005 763<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

DAV-Vorstand Rechtsanwalt Oskar Riedmeyer<br />

(r.) im Gespräch mit Richter am<br />

BGH Wolfgang Wellner vom VI. Zivilsenat.<br />

Pkw-/Zweiradunfällen“ (Dr. Johannes<br />

Priester, Saarbrücken) und „Straßenverkehr<br />

und Grenzwerte für Drogen<br />

aus forensisch-toxikologischer Sicht“<br />

(Prof. Dr. Manfred R. Möller, Homburg).<br />

Symposium aus Anlass der 25. Homburger<br />

Tage<br />

Am Vortag der Homburger Tage<br />

hatte die Arbeitsgemeinschaft zu einem<br />

Symposium aus Anlass des<br />

25. Jubiläums und zu Ehren des Begründers<br />

der Tagung Rechtsanwalt JR<br />

Hans-Jürgen Gebhardt geladen. Namhafte<br />

Referenten wie Generalbundesanwalt<br />

Kay Nehm und der Präsident<br />

Saarländischen OLG Prof. Dr. Ronald<br />

Rixecker würdigten die Bedeutung der<br />

Tagung in ihren Fachvorträgen.<br />

„Hans-Jürgen Gebhardt und die<br />

Homburger Tage sind eine Institution“,<br />

sagte DAV-Präsident Hartmut Kilger in<br />

seiner Ansprache. Kilger verwies auf<br />

die Vorbildfunktion der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht und der<br />

Homburger Tage für den DAV und<br />

seine anderen Arbeitsgemeinschaften.<br />

Vor dem Hintergrund der weiterhin aktuellen<br />

Diskussion um die Novellierung<br />

des Rechtsberatungsrechts und<br />

den gravierenden Veränderungen in<br />

der juristischen Ausbildung durch Europa<br />

müsse die Anwaltschaft die<br />

Grundwerte des Berufs, aber auch die<br />

Qualität der eigenen Dienstleistung<br />

besonders hervorheben, um künftig gegenüber<br />

großen Zahlen von Bachelor-<br />

Juristen zu bestehen. Tagungen wie die<br />

Homburger Tage seien ein wesentlicher<br />

Bestandteil zur Sicherung und für<br />

den Ausbau des hohen Standards der<br />

anwaltlichen Tätigkeit, so Kilger.<br />

Rechtsanwalt Philipp Wendt, Berlin<br />

AG Versicherungsrecht<br />

Zeit fliegt – jährliches<br />

Symposium bereits<br />

zum 10. Mal<br />

Jubiläumsveranstaltung zur<br />

Kraftfahrtversicherung<br />

Die Versicherungsrechtler im DAV feierten<br />

auf ihrem Symposium Ende<br />

September 2005 ein Jubiläum. Das<br />

Kölner Symposium zum Versicherungsrecht<br />

fand zum 10. Mal statt –<br />

und ausnahmsweise traf man sich<br />

nicht in Köln, sondern in Hildesheim.<br />

Thema war die Kraftfahrtversicherung.<br />

Das Thema des Symposiums hatte<br />

in mehrfacher Hinsicht Symbolcharakter<br />

für die Jubiläumsveranstaltung der<br />

Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht.<br />

Man mag es kaum glauben, aber<br />

es lässt sich nicht leugnen, diese Arbeitsgemeinschaft<br />

ist bereits seit zehn<br />

Jahren aktiv.<br />

Nicht ohne Widerstände wurde<br />

diese Arbeitsgemeinschaft seinerzeit<br />

aus der Taufe gehoben. So bestand ursprünglich<br />

die Sorge, dass durch die<br />

Einführung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Versicherungsrecht gewisse Überschneidungen<br />

mit den Themen anderer<br />

Arbeitsgemeinschaften auftreten könnten.<br />

Diese Bedenken konnten durch<br />

die Überzeugungsarbeit und Tatkraft<br />

von Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van<br />

Bühren, Vorsitzender des geschäftsführenden<br />

Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />

Versicherungsrecht, ausgeräumt<br />

werden.<br />

Gutes Verhältnis zur AG Verkehrsrecht<br />

Wie selbstverständlich wird heute<br />

das Thema Kraftfahrtversicherung sowohl<br />

von der Arbeitsgemeinschaft<br />

Versicherungsrecht als auch von der<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht behandelt.<br />

Wie gut diese beiden Arbeitsgemeinschaften<br />

miteinander harmonieren<br />

zeigt sich auch an dem Umstand,<br />

dass ein Mitglied des geschäftsführenden<br />

Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht zu diesem Thema<br />

auf dem diesjährigen Symposium<br />

referiert hat. Genauso selbstverständlich<br />

ist es, dass Teile der Versicherungswirtschaft<br />

und der mit dem Versicherungsrecht<br />

beschäftigten<br />

Rechtsprechung in beiden Arbeitsgemeinschaften<br />

referieren.<br />

Die Referate<br />

Zur Überschrift „Kraftfahrtversicherung“<br />

wurden fünf außerordentlich interessante<br />

Referate gehalten. Den Eingangsvortrag<br />

hielt Rechtsanwalt Jörg<br />

Elsner aus Hagen zum Thema „Konfliktvertretung<br />

im Haftpflicht- und<br />

Deckungsprozess“. Die Sicht- und<br />

Vorgehensweise der Versicherungswirtschaft<br />

im Bereich des „Personenschadenmanagements<br />

in der Kraftfahrtversicherung“<br />

wurde von Helmut Kühl<br />

beleuchtet, stellvertretender Vorsitzender<br />

des Vorstandes der Volksfürsorge<br />

Deutsche Sachversicherung AG. Das<br />

dritte Referat hielt Prof. Dr. Karl Maier<br />

von der Fachhochschule Köln zum<br />

Thema „Verstöße gegen das Transparenzgebot<br />

in den AKB“. Die „Beweisprobleme<br />

im Deckungsprozess“<br />

wurden von Richterin am BGH Dr. Si-<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss der AG Versicherungsrecht über den Dächern von<br />

Hildesheim (v.l.n.r.): Günter Schmaler (Vorstand des DAV), Dr. Jens Tietgens,<br />

Monika Maria Risch, Dr. Georg Greißinger, Dr. Hubert van Bühren, Dr. Hartmut<br />

Lübbert, Heidemarie Haack-Schmahl (DAV-Geschäftsführung), Prof. Dr. Michael Terbille<br />

(zugleich Vorsitzender des Gesetzgebungsausschusses Versicherungsrecht).


764<br />

MN<br />

Blick ins Plenum: Winfried Terno<br />

(Vorsitzender des IV. Zivilsenats des<br />

BGH) schaltete sich in die Diskussion<br />

ein, neben ihm Versicherungsombudsmann<br />

Prof. Wolfgang Römer und der Leiter<br />

des Arbeitskreises Personenversicherung<br />

der Arbeitsgemeinschaft<br />

Rechtsanwalt Arno Schubach (rechts).<br />

bylle Kessal-Wulf beleuchtet. Das Abschlussreferat<br />

hielt Rechtsanwalt Dr.<br />

Hartmut Lübbert aus Freiburg zu der<br />

Frage „Bürgerversicherung statt Haftung<br />

im Straßenverkehr – Eine Bilanz“.<br />

Allen Beiträgen war gemein, dass sie<br />

außergewöhnlich interessante Aspekte<br />

der Kraftfahrtversicherung beleuchteten,<br />

die den Anlass für angeregte und<br />

ausgiebige Diskussionen gaben.<br />

Wer viel arbeitet, darf auch feiern<br />

Bei der Gründung der ARGE ging<br />

man voller Bescheidenheit von einer<br />

geringen Mitgliederzahl aus. Mittlerweile<br />

zählt die AG mehr als 1.000<br />

Mitglieder – grund genug, diesen Erfolg<br />

ausgiebig zu feiern. Zu den Gratulanten<br />

gehörte Rechtsanwältin Verena<br />

Mittendorf, Vizepräsidentin und<br />

Schatzmeisterin des Deutschen Anwaltvereins.<br />

Prof. Wolfgang Römer,<br />

Richter am BGH a. D. und Versicherungsombudsmann,<br />

erinnerte in einer<br />

launigen Rede an die Anfänge und<br />

den Werdegang der AG.<br />

Auch in diesem Jahr hatte Rechtsanwältin<br />

Monika Maria Risch die<br />

Abendveranstaltung organisiert. Wie<br />

immer hat es sich um eine fabelhafte<br />

und glanzvolle Veranstaltung gehandelt.<br />

Der große Zulauf zur Arbeitsgemeinschaft<br />

Versicherungsrecht lässt<br />

sich natürlich mit der Vielzahl der interessanten<br />

Themen erklären, die immer<br />

wieder für die Fortbildungsveranstaltungen<br />

gefunden werden. Es<br />

sind aber eben auch diese Abendveranstaltungen,<br />

die dem jährlichen Symposium<br />

immer wieder einen solchen<br />

Glanz verleihen und die die Teilnehmer<br />

nicht mehr missen möchten.<br />

Rechtsanwalt Oliver Meixner,<br />

Hamburg<br />

AG Anwaltsnotariat<br />

Herbsttagung:<br />

Neues im Notariat<br />

Diskussion über den Zugang zum<br />

Notariat<br />

An den herrlichen spätsommerlichen<br />

Tagen des 9. und 10. September 2005<br />

hielt die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat<br />

am Prager Platz zu Berlin<br />

ihre 27. Tagung der Veranstaltungsreihe<br />

„Neues im Notariat“.<br />

Das Programm enthielt wie meistens<br />

neben aktuellen fach- und praxisbezogenen<br />

Themen (GmbH, Bauschreibung,<br />

Eheverträge) auch einen<br />

aktuellen berufspolitischen Teil (Zugang<br />

zum Anwaltsnotariat, Übertragung<br />

von Aufgaben auf die Notare).<br />

Alles war gut, half den in erfreulich<br />

angenehmer Zahl erschienen Kolleginnen<br />

und Kollegen für ihre Praxis und<br />

stärkte sie außerdem in ihrem beruflichen<br />

Selbstverständnis.<br />

Haftungsbegrenzung und GmbH<br />

Zu Beginn der Veranstaltung sprach<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Lutz<br />

Weipert (Bremen) zum Thema „Das<br />

Ende der Haftungsbegrenzung der<br />

GmbH?“. In wenigen Sätzen und<br />

meisterhaft gewann er den nach langer<br />

Unsicherheit durch das Urteil des<br />

BGH „Bremer Vulkan“ neu bestätigten<br />

Grundsatz, von dem aus das Denken<br />

um die Kapitalgesellschaft neu entwickelt<br />

werden konnte. Es ist das<br />

Trennungsprinzip, das es ermöglicht,<br />

ein für unternehmerische Zwecke eingesetztes<br />

Risikokapital zu verselbständigen.<br />

Dieses Kapital ist zur vorrangigen<br />

Befriedigung der<br />

Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung<br />

zu halten. Nur unter dieser Voraussetzung<br />

ist die Haftungsbeschränkung gerechtfertigt.<br />

Die wichtigsten Linien,<br />

die sich aus diesem Grundsatz ergeben,<br />

wurden aufgezeigt und sodann<br />

nach einem klärenden Wort zur Sitztheorie<br />

des deutschen internationalen<br />

Gesellschaftsrechts durch die Untiefen<br />

der EuGH-Entscheidungen „Überseering“<br />

und „Inspire Art“ gezogen, die<br />

den Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme<br />

eröffnet haben. Wie<br />

dem zu begegnen sei, da Rechtsvereinheitlichung<br />

noch in weiter Ferne ist,<br />

macht vorläufig etwas ratlos. Zu bedenken<br />

ist aber für den Praktiker, damit<br />

schloss der Referent seine Analyse, ob<br />

der kaufmännische Rechtsverkehr gut<br />

beraten ist, wenn er aus angeblichen<br />

Günstigkeitsgründen „zwanglos“ mit<br />

AnwBl 12/2005<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

ausländischen Kapitalgesellschaften<br />

umgeht, die in ihm fremd sind. Er tut das<br />

nämlich auf eigenes Risiko. Es gab eine<br />

qualitätsvolle Diskussion, in der mancher<br />

Aspekt vertieft werden konnte.<br />

Zugang zum Anwaltsnotariat<br />

Der Themenblock „Zugang zum<br />

Anwaltsnotariat. Übertragung von<br />

Aufgaben auf die Notare“ ist in aller<br />

Munde. Die Fragen sind von Lösungen<br />

noch entfernt. Modellstücke gibt<br />

es zum Teil in schriftlicher Form. Eike<br />

Maass und Günter Schmaler erläuterten<br />

sehr anschaulich die bisher diskutierten<br />

Ansätze zur Bearbeitung der<br />

beiden Fragenkomplexe. Der Ausschuss<br />

und die Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwaltsnotariat des DAV haben noch<br />

nicht definitiv Position bezogen, sondern<br />

in den Müdener Thesen und in einer<br />

ersten Stellungnahme aus 2004 nur<br />

Grundlinien aufgezeigt. Deshalb war<br />

es sehr hilfreich, mit den Teilnehmern<br />

lange diskutieren zu können.<br />

Baubeschreibung und Eheverträge<br />

Am Samstagvormittag sprach<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Detlef<br />

Schmidt, Berlin, sehr praxisnah und<br />

genau über „Tücken der Baubeschreibung.<br />

Vereinbarung und Veränderung“.<br />

Die Baubeschreibung ist ein widriges<br />

Instrument, das eben deshalb von den<br />

Notaren in der Bearbeitung höchste<br />

Sorgfalt verlangt. Volle Klarheit muss<br />

der Notar sich verschaffen über den<br />

Vertragstyp, die formelle und materielle<br />

Verzahnung der Verweisurkunde,<br />

die die Baubeschreibung häufig ist, mit<br />

der Vertragsurkunde, sowie eventuelle<br />

Abweichungen der Baubeschreibung<br />

von der vorvertraglichen Produktdarbietung.<br />

Auch mit den rechtlichen<br />

Problemen, die sich bei Änderung der<br />

Baubeschreibung stellen, muss der Notar<br />

vertraut sein. Zu den skizzierten<br />

Fragen gab der Referent exzellente Praxishilfen,<br />

die er in der lebhaften Diskussion<br />

noch weiter vertieft.<br />

Zum Abschluss der Veranstaltung<br />

stellte Rechtsanwältin und Notarin<br />

Anne Klein, Berlin, die neuesten Entwicklungen<br />

zur notariell (anwaltlichen)<br />

Beratung bei Eheverträgen dar.<br />

Dabei ging es ausführlich und für den<br />

Praktiker hilfreich auch um den Umfang<br />

und die Tiefe der Belehrung der<br />

Klienten und Haftungsprobleme.<br />

Mitgliederversammlung<br />

Die Mitgliederversammlung verzeichnete<br />

eine erfreulich verbesserte


AnwBl 12/2005 765<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Kassenlage, die weitere Aktivitäten,<br />

über die berichtet wurde, ermöglicht.<br />

Sie wählte die Mitglieder des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses, denen<br />

sie herzlich dankte, Rechtsanwälte und<br />

Notare sowie Rechtsanwältinnen und<br />

Notarinnen Günter Schmaler (Emden),<br />

Dr. Wolfgang Heeb (Stuttgart), Elke<br />

Holthausen-Dux (Berlin), Gudrun<br />

Schräder-Hockstetter (Bochum), Jan de<br />

Vries (Leer), für eine weitere Amtszeit,<br />

die im Jahr 2007 endet.<br />

Man kann sich nicht nur auf den<br />

Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwaltsnotariat exzellent fortbilden,<br />

sondern auch vergnügt und interessant<br />

mit den Kolleginnen und<br />

Kollegen besprechen. Das geschieht<br />

besonders am Freitagabend. Diesmal<br />

war die „Schöneberger Weltlaterne“<br />

der Ort, der die Teilnehmer aufnahm<br />

und sodann angenehm nach Hause (ins<br />

Hotel) leuchtete.<br />

Die nächste Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwaltsnotariat findet<br />

statt am 17. und 18. März 2006 in Köln.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />

Berlin<br />

Personalien<br />

Ehrendoktor für Brieske<br />

Rechtsanwalt und<br />

Notar Rembert<br />

Brieske (Bremen)<br />

wurde von der Fakultät<br />

für Rechtswissenschaften<br />

der Universität<br />

Bielefeld im<br />

November die Ehrendoktorwürde<br />

verliehen. Die Laudatio<br />

hielten Prof. Dr. Stephan Barton und<br />

Prof. Dr. Fritz Jost. Brieske – lange<br />

Jahre im Bremer Anwaltsverein aktiv<br />

– ist im Deutschen Anwaltverein u. a.<br />

seit 1993 im Vorstand und seit 1999<br />

dessen Vizepräsident.<br />

Maier-Reimer 65<br />

Das 65. Lebensjahr<br />

hat am 30. November<br />

2005 Rechtsanwalt Dr.<br />

Dr. h.c. Georg Maier-<br />

Reimer (Köln) vollendet.<br />

Er ist seit vielen<br />

Jahren Mitglied im Zivilrechtsausschuss<br />

des<br />

DAV und seit November<br />

1992 dessen Vorsitzender. Außerdem<br />

ist er unter anderem Mitglied des<br />

Handelsrechtsausschusses und war<br />

lange als Mitglied und Vorsitzender im<br />

DAV-Ausschuss Internationaler Rechtsverkehr<br />

aktiv.<br />

AG Sportrecht<br />

DAV-Sonderwertung<br />

beim Berlin-Marathon<br />

Der DAV hat in diesem Jahr das<br />

erste Mal im Rahmen des Berlin-Marathon<br />

Ende September 2005 eine<br />

Sonderwertung für DAV-Mitglieder<br />

angeboten. Dem Aufruf in der DAV-<br />

Depesche und dem <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

waren eine Läuferin, 17 Läufer und 2<br />

Inliner gefolgt. Die Arbeitsgemeinschaft<br />

Sportrecht hatte die Preise für<br />

die Sonderwertung gestiftet. Am Tag<br />

nach dem Berlin-Marathon nahm im<br />

DAV-Haus in Berlin der Hauptgeschäftführer<br />

des Deutschen Anwaltvereins,<br />

Dr. Dierk Mattik, die<br />

Siegerehrung vor.<br />

Er überreichte die Preise an<br />

Rechtsanwältin Anja Stöver/Itzehoe<br />

(03:57:51) sowie die Rechtsanwälte<br />

Jochen Böttcher/Berlin (02:55:14),<br />

Martin Schnell/Leipzig (02:55:25)<br />

und Markus Krammer/Sulzbach-Ro-<br />

Honorarprofessur<br />

Rechtsanwalt Dr. Holger Zuck,<br />

Stuttgart, Mitglied im DAV-Gesetzgebungsausschuss<br />

Informationsrecht,<br />

ist zum Honorarprofessor an der Hochschule<br />

Heilbronn Technik, Wirtschaft,<br />

Informatik ernannt worden.<br />

Auszeichnung von Anwälten<br />

Rechtsanwalt Dr. Bernd Luxemburger,<br />

Saarbrücken, ist vom saarländischen<br />

Justizminister Josef Hecken<br />

der Titel Justizrat verliehen worden.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Dr. Herbert Kempfler,<br />

Eggenfelden, das Verdienstkreuz<br />

1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Frau<br />

Rechtsanwältin Elisabeth Mach-Hour,<br />

München, das Verdienstkreuz am<br />

Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Hans Jürgen Manfred<br />

Paul Prinz, Köln, das Verdienstkreuz<br />

am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Dr. Karl-Heinz Thume,<br />

Nürnberg, das Verdienstkreuz am<br />

Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Den Siegern der DAV-Sonderwertung<br />

Rechtsanwalt Jochen Böttcher (Berlin,<br />

l.) und Rechtsanwältin Anja Stöver<br />

(Itzehoe) gratulierte Dr. Dierk Mattik<br />

(Hauptgeschäftsführer des DAV).<br />

senberg (03:09:36). Weitere Preisträger:<br />

Die Inliner Rechtsanwalt<br />

Thorsten P. Lind/Frankfurt (1:26:56)<br />

und Rechtsanwältin Verena Hagen/<br />

Iserlohn (1:37:12). An die Preisverleihung<br />

schloss sich ein Sektempfang<br />

an, bei dem der Wunsch<br />

geäußert wurde, der DAV möge<br />

diese Sonderwertungen beim Berlin-<br />

Marathon 2006 fortsetzen.<br />

Rechtsanwältin Heidemarie Haack-<br />

Schmahl, Berlin<br />

Neue Vereinsvorsitzende<br />

Schleswig-Holsteinischer Anwalts- und Notarverband:<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr.<br />

Wolfgang M. Weißleder, Kiel, wurde<br />

zum neuen Vereinsvorsitzenden gewählt.<br />

Sein Vorgänger Rechtsanwalt<br />

und Notar Manfred Goerke, Kronshagen,<br />

übergab den Verein an seinen<br />

Nachfolger nach 12jähriger Amtszeit.<br />

Coburger Anwaltverein:<br />

Rechtsanwalt<br />

Hellmut Ott, Coburg,<br />

gab nach 25jähriger<br />

Amtszeit den Vorsitz<br />

des Anwaltvereins an<br />

seinen Nachfolger<br />

Rechtsanwalt Wolfgang Hörnlein, Coburg,<br />

ab.<br />

Mecklenburg-VorpommerscherAnwaltsverein:Rechtsanwalt<br />

Rolf-Michael<br />

Eggert aus Trantow<br />

wurde zum neuen<br />

Vereinsvorsitzenden<br />

gewählt. Sein Vorgänger Dr. Reiner<br />

Stefanski, Demmin, stand dem Verein<br />

fünf Jahre vor.<br />

Nord-Brandenburgischer Anwaltverein:<br />

Neuer Vorsitzender des Anwaltvereins<br />

ist Rechtsanwalt Gerd<br />

Henning, Neuruppin. Er hat das Amt<br />

von seiner Vorgängerin Rechtsanwältin<br />

Juliane Böhm, Neuruppin, übernommen.


766<br />

MN<br />

u<br />

„Cicero“ –<br />

Pressefreiheit und<br />

Geheimnisverrat<br />

Claudia Venohr, NDR-Info<br />

Die Veröffentlichung eines offenbar<br />

vertraulichen Dossiers des Bundeskriminalamts<br />

(BKA) über den mutmaßlichen<br />

Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi<br />

im monatlich erscheinenden<br />

Magazin „Cicero“ rief die Staatsanwaltschaft<br />

auf den Plan. In Abwesenheit<br />

des Autors wurden sowohl die Redaktionsräume<br />

als auch das Privathaus<br />

des Journalisten durchsucht und kistenweise<br />

Akten beschlagnahmt. Der Vorwurf:<br />

Beihilfe zum Geheimnisverrat,<br />

§ 353 b Strafgesetzbuch. Der Artikel<br />

war bereits in der April-Ausgabe des<br />

Magazins zu lesen. Doch erst Monate<br />

später – im August – wurde vom BKA<br />

eine Ermächtigung für die Durchsuchungsaktion<br />

beantragt und noch ein<br />

paar Wochen später die Staatsanwaltschaft<br />

Potsdam in Marsch gesetzt.<br />

Merkwürdig! Aber wahrscheinlich<br />

gibt es dafür eine einfache Erklärung:<br />

im BKA wurde offenbar seit geraumer<br />

Zeit ein so genanntes „Leck“ vermutet.<br />

Interne Ermittlungen gegen Unbekannt<br />

blieben anscheinend ohne Erfolg. Bekannt<br />

hingegen ist der Journalist, Bruno<br />

Schirra, der den Artikel schrieb und darin<br />

auch das BKA als Quelle zitierte,<br />

freilich ohne konkrete Namensnennung.<br />

Nach dem Motto: „der Spatz in<br />

der Hand ist besser als die Taube auf<br />

dem Dach“ überzog man den Journalisten<br />

mit einem Ermittlungsverfahren<br />

wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat.<br />

Auf diese Art umgeht man gleich<br />

mehrfach verbrieftes Recht: Die verfassungsrechtlich<br />

verbürgte Pressefreiheit,<br />

inklusive Redaktionsgeheimnis,<br />

Vertraulichkeit zwischen Presse und<br />

Informanten sowie das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

von Journalisten, festgeschrieben<br />

in der Strafprozessordnung.<br />

Schöne Theorien, doch was sie<br />

in der Praxis taugen, verdeutlicht der<br />

Fall „Cicero“. Die Strafbarkeitsgrenze<br />

– insbesondere auf investigativem<br />

journalistischem Tätigkeitsfeld – ist<br />

mitunter schnell erreicht. Ein strafrechtlicher<br />

Vorwurf lässt sich problemlos<br />

konstruieren.<br />

Doch davon abgesehen wirft der<br />

Fall „Cicero“ vor allem ein Schlaglicht<br />

auf das offensichtlich völlig gestörte<br />

Verhältnis zwischen Politik und Presse.<br />

Es ist wie der berühmte Finger in der<br />

offenen Wunde, die sich immer wieder<br />

neu entzündet. Wie tief diese Wunde<br />

inzwischen klafft, wurde einer breiten<br />

Öffentlichkeit bereits in der so genannten<br />

„Elefantenrunde“ am Wahlabend<br />

Eine freie Presse ist<br />

unerlässlich für den<br />

demokratischen Rechtsstaat<br />

des 18. September vorgeführt. Ein gereizter<br />

Kanzler Gerhard Schröder, der<br />

nur noch Gift und Galle für die Art<br />

und Weise der Berichterstattung übrig<br />

hatte. Die Messer, so scheint es, sind<br />

gewetzt für das Hauen und Stechen<br />

um die Pressefreiheit und ihre Grenzen.<br />

Da kommt die Cicero-Geschichte<br />

gerade recht. Geheimnisverrat von<br />

Staatsschutzinteressen lautet der<br />

Schlachtruf auf der einen Seite, Polizeistaat<br />

und Verfassungsbruch auf der<br />

anderen. Beiden Seiten fehlt es an Besonnenheit<br />

und Augenmaß, von wohl<br />

tuenden Ausnahmen abgesehen, zu denen<br />

Otto Schily jedenfalls nicht zählt.<br />

Als Bundesinnenminister ist er inzwischen<br />

Geschichte. Mit diesem Vorfall,<br />

kurz vor seinem Abgang, bestätigte<br />

er jedoch einmal mehr sein<br />

gespaltenes Verhältnis zu Presse und<br />

Medien. Es misslang Schily schon<br />

häufiger, die Rechte von Journalisten<br />

zu beschränken, die möglicherweise<br />

von brisanten, geheimen Vorgängen erfahren<br />

könnten. Beispielsweise beim<br />

Versuch, auch die Redaktionsräume<br />

per großem Lauschangriff notfalls verwanzen<br />

zu können. Die Rechtfertigung<br />

durch Bedrohungsszenarien, wie internationalem<br />

Terrorismus oder „OK“<br />

– Organisierter Kriminalität – waren<br />

dabei immer wieder sozusagen das<br />

„Totschlagsargument“ für weitere Ein-<br />

AnwBl 12/2005<br />

schränkungen der grundgesetzlich garantierten<br />

Pressefreiheit. Kontrollverlust<br />

ist offenbar das, was Schily um<br />

jeden Preis vermeiden will. Die Tatsache,<br />

dass ein Journalist vertrauliche<br />

Akten des Bundeskriminalamts veröffentlichte,<br />

schien weniger wegen der<br />

Inhalte ein Problem zu sein. Das Geheimdossier<br />

aus dem Bundeskriminalamt<br />

bringt nicht viel Neues an den Tag,<br />

schon gar keine Sensationen, die Staatsschutzinteressen<br />

gefährden könnten.<br />

Ex-Minister Schily erzürnte wohl<br />

vor allem der unterschwellige Vorwurf,<br />

er habe sein Haus nicht im Griff.<br />

Da der vermeintliche Verräter in seinem<br />

Verantwortungsbereich nicht entdeckt<br />

werden konnte, wurde kurzerhand<br />

in Redaktionsstuben und<br />

Privaträumen nach brisanten Unterlagen<br />

gefahndet. Bei dieser Gelegenheit<br />

sind so genannte „Zufallsfunde“ nicht<br />

ausgeschlossen und, wie der Fall „Cicero“<br />

zeigte, auch herzlich willkommen.<br />

Die Durchsuchung war insofern<br />

offenbar eine lohnenswerte Angelegenheit,<br />

denn Materialien – beispielsweise<br />

zur „Leuna-Affäre“ – die ebenfalls<br />

als Verschlusssachen gelten,<br />

sollen sich darunter befunden haben.<br />

Nun werden noch andere Amtsträger<br />

in den Verdacht der Verletzung des<br />

Dienstgeheimnisses oder gar des Landesverrats<br />

geraten. Und der journalistische<br />

„Gehilfe“ hängt mitten drin, im<br />

Netz der Verdächtigungen.<br />

Wohin das führen kann, demonstrierte<br />

vor rund 40 Jahren die so genannte<br />

„SPIEGEL-Affäre“. Brisantes<br />

Bundeswehrmaterial wurde damals<br />

veröffentlicht und die gesamte Führungsetage<br />

der Redaktion kurzfristig<br />

inhaftiert. Ein rechtswidriger Vorgang,<br />

als dieser sich auch die aktuelle Beschlagnahme<br />

beim Autoren des „Cicero“<br />

herausstellen könnte. Dieser unverhältnismäßige<br />

Eingriff in die<br />

Pressefreiheit könnte fatale Folgen<br />

nach sich ziehen. Wer wird sich Presse<br />

und Medien noch anvertrauen, wenn<br />

er anschließend mit dem Staatsanwalt<br />

rechnen muss? Eine freie Presse ist<br />

aber unerlässlicher Bestandteil eines<br />

demokratischen Rechtsstaats. Wer die<br />

Verwirklichung der Pressefreiheit ins<br />

Ermessen von Behörden stellt, verlässt<br />

und verletzt diese Regeln. Wenn das<br />

Cicero wüsste! Der schrieb vor mehr<br />

als 2000 Jahren: „In Irrtum verfallen,<br />

beschieden ist’s allen. Im Irrtum verharren,<br />

ist Vorrecht der Narren ...“


AnwBl 12/2005 767<br />

EUROPA<br />

EU-Kommission<br />

Der Anwaltsberuf im Visier<br />

der EU-Wettbewerbshüter<br />

Folge-Bericht zum „Monti-Bericht“<br />

Rechtsanwältin Eva Schriever, LL.M., Berlin/Brüssel<br />

Deregulierung ist ein Zauberwort der Europäischen Kommission.<br />

Der Generaldirektion Wettbewerb sind die Berufsrechte<br />

der freien Berufe seit langem ein Dorn im Auge. Im<br />

Februar 2004 hatte sie den so genannten Monti-Bericht<br />

vorgestellt (dazu Ahlers, AnwBl 2004, 239 sowie Henssler/<br />

Kilian, AnwBl 2005, 1). Der Monti-Bericht stellte die Berufsrechte<br />

auf den Prüfstand. Jetzt gibt es den Folgebericht.<br />

Was bedeutet er für die Anwaltschaft?<br />

Die Kommission hat am 5. September 2005 einen Folge-<br />

Bericht (siehe http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUri<br />

Serv/site/de/com/2005/com2005_0405 de01.pdf) zum so<br />

genannten „Monti-Bericht“ und ein dazugehöriges Arbeitspapier<br />

(auf Englisch) herausgegeben. In dem Bericht wird<br />

dargestellt, welche Fortschritte die Mitgliedstaaten bei der<br />

Umsetzung der Forderungen der Kommission im Hinblick<br />

auf die Deregulierung freier Berufe, darunter auch der<br />

Rechtsanwälte, in den fünf Bereichen (i) verbindliche Festpreise,<br />

(ii) Preisempfehlungen, (iii) Werbung (iv) Zugangsvoraussetzungen<br />

und ausschließliche Rechte sowie (v) zulässige<br />

Unternehmensform und berufsübergreifende<br />

Zusammenarbeit gemacht haben. Die Kommission hatte im<br />

Monti-Bericht die mitgliedstaatlichen Behörden und Berufsverbände<br />

dazu aufgefordert, Regelungen der freien Berufe<br />

in den genannten Bereichen auf ihre Vereinbarkeit mit<br />

dem europäischen Wettbewerbsrecht zu durchforsten und<br />

nur noch wirklich notwendige, verhältnismäßige und gerechtfertigte<br />

Regeln aufrechtzuerhalten. Im nun vorliegenden<br />

Bericht wird den Mitgliedstaaten aufgetragen, weitere<br />

Reformanstrengungen zu unternehmen und bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />

auf den jeweiligen Empfänger abzustellen.<br />

Des weiteren kündigt die Kommission an, gegebenenfalls<br />

selbst Gesetzgebungsmaßnahmen nach Artikel 86<br />

Abs. 3 EG an die Mitgliedstaaten zu richten.<br />

Kritik an der Methode<br />

Wie schon bei der dem Monti-Bericht zugrunde liegenden<br />

Wiener Studie (siehe Henssler/Kilian, AnwBl 2005, 1),<br />

basiert die wirtschaftliche Analyse der Kommission auf<br />

Einzeluntersuchungen in verschiedenen Staaten, ohne damit<br />

verbundene Fragestellungen (z. B. Zusammenhang zwischen<br />

Vergütungssystem und Zugang zum Recht) zu untersuchen.<br />

Der Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne hat in<br />

einer Presseerklärung kritisiert, dass die Kommission dem<br />

Ziel, zugunsten des Verbrauchers mehr Wettbewerb zu<br />

schaffen, durch den reinen Liberalisierungsansatz nicht gerecht<br />

werde. Im Hinblick auf die Forderung der Kommission,<br />

Festpreise in Gebührenordnungen abzuschaffen, verweist<br />

er auf Großbritannien als ein Land, das vor Jahren<br />

zwar Gebührenordnungen abgeschafft habe, heute aber die<br />

mit Abstand höchsten Anwaltshonorare in der EU kenne.<br />

MN<br />

Die für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissarin Neelie<br />

Kroes wird nun voraussichtlich Ende November 2005 mit<br />

dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments diskutieren.<br />

Deregulierung in Deutschland<br />

Wo steht die deutsche Anwaltschaft der Kommission zufolge?<br />

Die Kommission bezeichnet die durch den DAV eingeforderte<br />

und auf den Weg gebrachte RVG-Reform als positiv:<br />

So entfallen ab dem 1. Juli 2006 die gesetzlichen<br />

Vergütungsvorschriften für den außergerichtlichen Bereich.<br />

Der DAV hat sich für diese und auch andere Reformen innerhalb<br />

des Anwaltsberufs stark gemacht, um den Gegebenheiten<br />

der Zeit gerecht zu werden, und hat dies bei seinen<br />

Gesprächen mit den Entscheidungsträgern in Brüssel<br />

immer wieder deutlich gemacht. So wirbt der DAV für Qualitätssicherung<br />

und Anreize für eine verstärkte Aus- und<br />

Fortbildung der Anwaltschaft. Auch bei der Reform des<br />

Rechtsberatungsgesetzes hat sich der DAV schon in einem<br />

sehr frühen Stadium durch die Vorlage eigener Vorschläge<br />

intensiv an der Diskussion beteiligt.<br />

Gespaltenes Berufsrecht denkbar?<br />

Gleichzeitig hat der DAV jedoch auch immer wieder betont,<br />

dass alle Reformen die anwaltlichen Grundwerte unangetastet<br />

lassen müssen. Aus dieser Forderung ergeben sich<br />

die Diskussionspunkte für die nun vorliegende Folgemitteilung.<br />

Die Kommission erkennt an, dass es grundsätzlich drei<br />

Gründe gibt, derartige Regelungen aufrecht zu erhalten (Informationsasymmetrien<br />

zwischen Experten und Kunden, externe<br />

Effekte der freiberuflichen Dienstleistungen auf andere<br />

Wirtschaftsbereiche und ihre Eigenschaft als<br />

öffentliches Gut, z. B. eine funktionierende Justizverwaltung).<br />

Allerdings seien diese Gründe nicht für alle Dienstleistungsempfänger<br />

in gleicher Weise relevant. Es müsse bei<br />

der Definition des öffentlichen Interesses nach unterschiedlichen<br />

Empfängern (zum einen einmalige/seltene Nutzer,<br />

d. h. Verbraucher und Privathaushalte; des weiteren der öffentliche<br />

Sektor; sowie Unternehmen, gegebenenfalls mit<br />

kleinern und mittleren Unternehmen als Extragruppe) und<br />

daraus folgender unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit differenziert<br />

werden.<br />

Diese Aufspaltung des Regelungsansatzes je nach<br />

Dienstleistungsempfänger würde dazu führen, dass z. B. bei<br />

den Berufszulassungsregeln im Zusammenhang mit Vorbehaltsaufgaben<br />

danach differenziert werden müsste, für<br />

wen eine bestimmte Dienstleistung erbracht werden soll.<br />

Der Deutsche Anwaltverein hat sich in seinen bisherigen<br />

Gesprächen mit der Generaldirektion Wettbewerb deutlich<br />

gegen eine solche Aufspaltung des öffentlichen Interesses<br />

je nach Dienstleistungsempfänger ausgesprochen. Ein solcher<br />

Ansatz ist nämlich aus mehreren Gründen bedenklich:<br />

Zum einen können Unternehmen in noch viel größerem<br />

Umfang als Private auf Einhaltung strenger Berufsregeln,<br />

z. B. der Vermeidung von Interessenkonflikten, angewiesen<br />

sein. Zum anderen verkennt dieser Ansatz, dass es neben<br />

den genannten Gruppen von Rechtsdienstleistungsempfängern<br />

einen weiteren „Nutzer“ gibt: den Rechtsstaat. Anwälte<br />

und der Gesetzgeber sind der Erhaltung des Letzteren<br />

verpflichtet. Der DAV wird sich weiter dafür einsetzen,<br />

dass dieser Gedanke nicht aus den Augen verloren wird.


768<br />

MN<br />

Europäischer Juristentag<br />

Gesellschaftsrecht, Zivilprozessrecht<br />

und Grundrechte<br />

600 Juristen diskutierten in Genf<br />

Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />

Nach Nürnberg 2001 und Athen 2003 fand in diesem Jahr<br />

der dritte Europäische Juristentag vom 7. bis 9. September<br />

2005 in Genf statt. Alle Eröffnungsredner, darunter auch<br />

Prof. Dr. Paul Kirchhof als Präsident des Deutschen Juristentages,<br />

wurden nicht müde zu betonen, dass mit der dritten<br />

Veranstaltung nunmehr von einer Tradition der Europäischen<br />

Juristentage gesprochen werden könne.<br />

Drei Tage lang wurde von den ca. 600 Teilnehmern am<br />

Europäischen Haus gebaut, nach dem Wunsch von Kirchhof<br />

„bemüht, den Aufbau zu fördern und gleichzeitig mit<br />

einer Kultur des Maßes, um die Stabilität des Hauses nicht<br />

in Gefahr zu bringen“. Bei der großen Zahl an herausragenden<br />

Wissenschaftlern, Rechtsanwälten, Richtern, Verfassungsrichtern<br />

und vor allem Ministerialbeamten aus dem<br />

deutschen Bundesjustizministerium war es bedauerlich, nur<br />

sehr wenige Beamte der Europäischen Kommission unter<br />

den Gästen zu sehen. Anwesend waren u. a. die Justizminister<br />

Österreichs, Rumäniens, Ungarns und der<br />

Schweiz; das Bundesjustizministerium wurde durch den<br />

Staatsminister Dr. Hansjörg Geiger vertreten.<br />

Deutsch dominierte als Sprache<br />

Neben einer großen Zahl deutschsprachiger Teilnehmer<br />

(ca. 200) kamen die Besucher hauptsächlich aus der<br />

deutschsprachigen Schweiz. Leider ist es also auch im französischsprachigen<br />

Genf somit nicht gelungen, in großer<br />

Zahl Teilnehmer aus dem romanischen Sprachkreis anzuziehen;<br />

die sehr starke Präsenz deutschsprachiger Teilnehmer<br />

bei gleichzeitiger fast völliger Abwesenheit von Gästen<br />

aus Südeuropa oder den britischen Inseln war schon in<br />

Nürnberg und Athen festzustellen. Dies ist bedauerlich, da<br />

die Fachbeiträge äußerst interessant und die Diskussionen<br />

auf einem konstant hohen Niveau geführt wurden.<br />

Diskussion in den Abteilungen<br />

Der 3. Europäische Juristentag widmete sich drei gleichsam<br />

interessanten Themen: Während sich Abteilung 1 mit<br />

der Verantwortlichkeit der Gesellschafts- und Aufsichtsorgane<br />

in der Europäischen Union beschäftigte, ging es in<br />

Abteilung 2 um die Entwicklung eines gemeinschaftlichen<br />

Zivilprozessrechts. Abteilung 3 diskutierte die Koordination<br />

des Grundrechtsschutzes in Europa.<br />

9 Abteilung 1 wurde eingeleitet durch den die weitere Diskussion<br />

bestimmenden Vortrag des Generalberichterstatters<br />

Prof. Dr. Marcus Lutter, der in einer viel beachteten<br />

Tour de Force über die Haftung des Managements, der<br />

Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden<br />

referierte und sich speziell mit dem Pflichtenprogramm<br />

des Managements beschäftigte. Die Vorträge in dieser<br />

Abteilung waren von sehr hohem fachlichen Niveau und<br />

überaus gut besucht.<br />

9 In Abteilung 2 setzten sich die Redner recht kritisch mit<br />

den Vorschlägen der Kommission zum Europäischen Zi-<br />

AnwBl 12/2005<br />

Europa<br />

vilprozessrecht, unter anderem zum Europäischen Mahnund<br />

Bagatellverfahren, auseinander. Prof. Dr. Christian<br />

Kohler, Abteilungsleiter beim Wissenschaftlichen Dienst<br />

des EuGH, sprach von dem Systemwechsel, der mit der<br />

Verordnung über den europäischen Vollstreckungstitel<br />

für unbestrittene Forderungen eingeläutet sei. Dies gelte<br />

weniger für die Abschaffung des Verfahrens der eigentlichen<br />

Vollstreckbarkeitserklärung, als vielmehr für das<br />

Verbot, die Anerkennung der bestätigten Entscheidung<br />

außerhalb des Ursprungsstaates in Frage zu stellen und<br />

die damit verbundene Verkürzung des Rechtsschutzes im<br />

Vollstreckungsstaat. Es werde ein Herkunftslandprinzip<br />

mit einer Selbstkontrolle des Ursprungsstaates (Staat des<br />

Erkenntnisverfahrens) eingeführt, an der man rechtstaatliche<br />

Zweifel haben müsse. Es war in diesem Zusammenhang<br />

interessant von den schweizerischen Kollegen zu erfahren,<br />

dass dort trotz einer bundesweiten Anerkennung<br />

der Urteile anderer Kantone Fehler im Erkenntnisverfahren<br />

auch im Vollstreckungsverfahren geltend gemacht<br />

werden können.<br />

9 Auf besonderes Interesse unter den Veranstaltungen in<br />

Abteilung 3 stießen die Vorträge und anschließende Diskussion<br />

der drei Gerichtspräsidenten Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />

Papier (Präsident des BVerfG), Prof. Dr. Vassilios<br />

Skouris (Präsident des EuGH) und Prof. Dr. Luzius Wildhaber<br />

(Präsident des EGMR). Papier musste sich unter<br />

anderem kritischen Fragen der Anwaltschaft, darunter<br />

des ehemaligen DAV-Präsidenten Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />

Rabe, des DAV-Vorstandsmitglieds Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />

Hellwig und Dr. Hartmut Lübbert aus Freiburg, Mitglied<br />

des DAV-Ausschusses Internationaler Rechtsverkehr, zum<br />

Verhältnis des BVerfG zum EuGH auf der einen und zum<br />

EGMR auf der anderen Seite stellen.<br />

4. Europäischer Juristentag 2007<br />

Der 4. Europäische Juristentag wird vom 3. bis 5. Mai<br />

2007 in Wien stattfinden und sich mit dem Themen Europäisches<br />

Vertragsrecht, Entstehung eines europäischen<br />

Strafrechts, sowie Migration in und nach Europa beschäftigen<br />

(Informationen dazu finden Sie auf der Internetseite:<br />

http://www.eujurist2007.at). Auch der Tagungsort für den<br />

übernächsten Europäischen Juristentag steht bereits fest. In<br />

seiner Begrüßungsrede lud der ungarische Justizminister<br />

bereits jetzt für das Jahr 2009 nach Budapest ein.<br />

Die europäischen Juristen werden also weiterbauen am<br />

Europäischen Haus. Es ist dem Europäischen Juristentag zu<br />

wünschen, dass er für die Juristen in der Europäischen<br />

Union zu einer festen und gut besuchten Diskussionsplattform<br />

wird, vergleichbar den Deutschen Juristentagen. Dazu<br />

wird es allerdings notwendig sein, auch die bisher schwach<br />

vertretenen europäischen Länder, insbesondere den romanischen<br />

Sprachkreis, in stärkerem Maße zur Teilnahme zu bewegen,<br />

damit während des Europäischen Juristentages tatsächlich<br />

die Stimmen der verschiedenen europäischen<br />

Rechtstraditionen und -kreise ausreichend Gehör finden.


AnwBl 12/2005 769<br />

9<br />

Freiheit für die<br />

Rechtsanwalts-AG!<br />

Rechtsanwalt Dr. Malte Passarge, Hamburg<br />

Wie soll die – vom BGH (AnwBl 2005, 424) nun akzeptierte<br />

– Anwalts-AG ausgestaltet werden? Prof. Dr. Martin<br />

Henssler hatte in AnwBl 2005, 374 an den Gesetzgeber appelliert,<br />

die offenen Fragen zu regeln. Der Autor dieses<br />

Kommentars widerspricht. Aktienrecht und die Berufsrechte<br />

der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater halten Lösungen<br />

bereit. Kritisch mit der Entscheidung des BGH<br />

hatte sich auch bereits Rechtsanwältin Dr. Sorika Pluskat<br />

in AnwBl 2005, 609 auseinandergesetzt.<br />

Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt<br />

in Hamburg.<br />

I. Das wahre Problem<br />

Mit Beschluss vom 10.1.2004 hat der BGH die Zulässigkeit<br />

der Rechtsanwalts-AG bejaht. Auf den ersten Blick<br />

mag dies als Durchbruch erscheinen, bei genauerer Betrachtung<br />

erweist sich die Entscheidung jedoch als Rückschlag.<br />

Den größten Teil des Beschlusses nimmt die mittlerweile<br />

– unstrittige – Frage der Zulässigkeit der<br />

Rechtsanwalts-AG ein. Zur Frage der Ausgestaltung verweist<br />

das Gericht auf die §§ 59 c ff. BRAO, dies nicht ohne<br />

zuvor eine entsprechende Analogie abgelehnt zu haben.<br />

In seiner Entscheidung hat der BGH weder die umfangreiche<br />

und sehr deutliche Kritik der berufsrechtlichen<br />

Literatur an den §§ 59 c ff. BRAO berücksichtigt, noch hat<br />

er sich mit den Vorschlägen zur Ausgestaltung der Rechtsanwalts-AG<br />

auseinandergesetzt. Die aus dem Beschluss<br />

folgenden Beschränkungen der Satzungsfreiheit der<br />

Rechtsanwalts-AG lassen sich im Vergleich zu den anwaltlichen<br />

Personengesellschaften und der Rechtsanwalts-<br />

GmbH nicht rechtfertigten. Allerdings ist dem BGH zu<br />

Gute zu halten, dass ihm nun gelingt, was einige zu verhindern<br />

suchten – ein Schritt in Richtung der Befreiung<br />

der Anwaltschaft aus jahrhundertealten standesrechtlichen<br />

Vorstellungen.<br />

Wie andere Branchen auch, befindet sich die Anwaltschaft<br />

gegenwärtig in einem Prozess grundlegender Umwälzungen.<br />

Die Rechtsanwalt-AG kann hier neue Chancen bieten,<br />

da sie eine effektive Organisation und Marketingvorteile<br />

bietet. Im Vergleich zu anderen anwaltlichen Gesellschaften<br />

kann der unabhängige Vorstand einer Rechtsanwalts-AG<br />

sehr viel flexibler und entscheidungsfreudiger handeln. Die<br />

aktienrechtliche Firmierung mit Namens-, Sach- oder Phan-<br />

MN<br />

tasiefirma ermöglicht es, eine einprägsamere Marke zu<br />

etablieren. Darüber hinaus können in einer Rechtsanwalts-<br />

AG Mitarbeiter auf unkomplizierte Art und Weise und in<br />

beliebiger Höhe an der Gesellschaft beteiligt werden.<br />

Von kaum zu unterschätzender Brisanz ist die Problematik<br />

der Konkurrenz aus anderen Beratungsberufen. Banken,<br />

Versicherungen, Finanzdienstleister, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater,<br />

Steuerberater, Aktionärsschutzvereinigungen,<br />

Architekten, Inkassounternehmen, Verbraucherschutzverbände,<br />

Gewerkschafte, Personalberatungen und<br />

vielen andere wollen den Anwälten lukrative Beratungsfelder<br />

entziehen. Diesen Berufsgruppen stehen nahezu uneingeschränkte<br />

Marketinginstrumente zur Verfügung – und der<br />

Wille diese auch zu nutzen.<br />

Dagegen scheinen sich Teile der Anwaltschaft und<br />

viele Kammern damit zu begnügen, gegen den Verfall der<br />

standesrechtlichen Grundsätze zu wettern, sich an das<br />

Rechtsberatungsgesetz zu klammern und ansonsten seelenruhig<br />

zuzuschauen, wie der Anwaltschaft grundlegende<br />

Beratungsfelder abhanden kommen. Das Berufsrecht der<br />

Anwälte stellt in seiner jetzigen Ausgestaltung eine Beschränkung<br />

der Anwaltschaft dar, die einzig den nichtanwaltlichen<br />

Beratungsberufen nutzt. Das gegenwärtige<br />

Berufsrecht stellt eine Beschränkung der Anwalschaft bei<br />

der notwendigen Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten<br />

dar.<br />

Was brauchen wir also? – Das, was Anwälte schon immer<br />

gebraucht haben – Freiheit! Also auch die Freiheit,<br />

sich mit anderen Anwälten in einer frei gewählten Rechtsform<br />

zusammenzuschließen. Und auch die Freiheit, sich<br />

mit anderen Beratungsberufen zusammenzuschließen. Was<br />

spricht gegen multiprofessionelle Zusammenschlüsse mit<br />

Unternehmensberatern, Ingenieuren, Pharmazeuten o. ä. unter<br />

einer Dienstleistungsmarke?<br />

Denkbar ist auch der Aufbau einer Beratungsholding,<br />

mit den verschiedensten spezialisierten Dienstleistungsbereichen,<br />

beispielsweise die komplette Beratung rund um<br />

den Bau durch Baurechtler, Projektfinanzierer, Architekten,<br />

und Ingenieuren. Dies stellt nur die logische Fortentwicklung<br />

der gegenwärtigen Tendenz zur Spezialisierung dar.<br />

Für Beratungsgesellschaften – aber auch für Anwaltsgesellschaften<br />

– bietet sich die Rechtsanwalts-AG, bzw. die<br />

Beratungs-AG als optimale Rechtsform an, da sie über eine<br />

klare Organisationsstruktur und ein zentrales Managements<br />

verfügt. Maßnahmen der Geschäftsführung können durch<br />

den Vorstand autonom und flexibel getroffen werden, aufwendige<br />

Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafter sind nicht<br />

erforderlich.<br />

Aufgrund der einfachen Beteiligungsmöglichkeiten<br />

durch die Ausgabe von Aktien können Mitarbeiter an die<br />

Gesellschaft gebunden und an den Gewinnen beteiligt werden,<br />

ein nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor.<br />

Würde das rechtsuchende Publikum eine Rechtsanwalts-<br />

AG als unseriös empfinden, so müsste diese bald ihre Tore<br />

schließen. Der „Schutz“ durch ein entsprechendes Verbot<br />

ist weder erforderlich, noch entspricht es dem an sich unserer<br />

Verfassung zu Grunde liegendem Bild des mündigen<br />

Bürgers.


770<br />

MN<br />

II. Aktienrecht vor Berufsrecht<br />

Bei der Auseinandersetzung mit der Rechtsanwalts-AG<br />

wird zumeist das anwaltliche Berufsrecht in den Vordergrund<br />

gestellt und das Aktienrecht fälschlicherweise übergangen.<br />

Dabei wird übersehen, dass das Aktienrecht keineswegs<br />

im Widerspruch zu den Grundsätzen des<br />

anwaltlichen Berufsrechtes steht, sondern weitgehend über<br />

vergleichbare Schutzmechanismen verfügt.<br />

Die nun vom BGH vorgenommene analoge Anwendung<br />

der §§ 59 c ff. BRAO ignoriert die grundlegenden gesellschaftsrechtlichen<br />

Strukturunterschiede zwischen GmbH<br />

und AG – beispielsweise umfassende Weisungs- und Informationsrechte<br />

der GmbH-Gesellschafter – und setzt sich<br />

über aktienrechtliche Grundsätze hinweg. Tatsächlich handelt<br />

es sich bei der „Rechtsanwalts-AG“ weder um eine eigene<br />

Rechtsform, noch um eine rein berufsrechtliche Problematik<br />

ohne Bezug zum Aktienrecht. Vielmehr handelt<br />

es sich um eine Aktiengesellschaft, die dem AktG unterliegt<br />

und gegebenenfalls anwaltliches Berufsrecht zu berücksichtigen<br />

hat.<br />

Demzufolge ist auf die Rechtsanwalts-AG zunächst<br />

das AktG anwendbar. Einschränkungen der Satzungsfreiheit<br />

und bei der Besetzung der Organe sind nur zulässig<br />

und erforderlich, soweit dies die Grundsätze des anwaltlichen<br />

Berufsrechtes zwingend fordern und um Nachteile<br />

für das rechtsuchende Publikum zu verhindern. Nur wenn<br />

unter Anwendung des AktG und der allgemeinen Grundsätze<br />

der BRAO keine sachgerechten Ergebnissen zu finden<br />

sind, stellt sich die Frage, wie diese Lücke aufzufüllen<br />

ist.<br />

Da die §§ 59 c BRAO eine spezialgesetzliche Regelung<br />

der Rechtsanwalts-GmbH darstellen und keineswegs unumstritten<br />

sind, eignen sie sich zur Anwendung auf die<br />

Rechtsanwalts-AG nicht. Für die Rechtsanwalts-AG ist<br />

nach solchen Vorschriften zu suchen, die einen der Rechtsanwalts-AG<br />

vergleichbaren Sachverhalt regeln und sich bereits<br />

als sach- und zweckmäßig bewährt haben. Der suchende<br />

Blick muss schließlich auf die Steuerberatungs-AG<br />

(§§ 49 ff. StBerG) und die Wirtschaftsprüfungs-AG<br />

(§§ 27 ff. WPO) fallen. Die Anwendung der für diese Gesellschaftsformen<br />

geltenden Vorschriften drängt sich aufgrund<br />

der gesellschaftsrechtlichen und der berufsrechtlichen<br />

Vergleichbarkeit von Rechtsanwalts-AG und<br />

Steuerberatungs-AG sowie Wirtschaftsprüfungs-AG geradezu<br />

auf. Deren Anwendungsbereich ist erst eröffnet, wenn<br />

und soweit sich aus AktG und den allgemeinen Regelungen<br />

der BRAO keine sachgerechte Regelung für die Rechtsanwalts-AG<br />

ergibt. Auch wenn die §§ 27 ff. WPO und<br />

§§ 49 ff. StBerG keine sachgerechte Regelung ermöglichen,<br />

ist auf die §§ 59 c–59 m BRAO zurückzugreifen, sofern<br />

dem nicht die strukturellen Unterschiede zwischen GmbH<br />

und AG entgegenstehen.<br />

Diesen Weg hat der BGH durchaus erkannt, verfolgt ihn<br />

aber ohne Begründung nicht weiter. Aus welchem Grund<br />

der BGH auf eine Aktiengesellschaft Normen anwendet,<br />

die für die grundverschiedene GmbH geschaffen wurden,<br />

und zudem heftig umstritten sind, lässt sich nicht nachvollziehen.<br />

Die entsprechende Anwendung der §§ 27 ff. WPO<br />

und §§ 49 ff. StBerG wäre nicht nur zweckmäßiger als die<br />

nun getroffene Regelung, sondern hätte auch die Idee eines<br />

einheitlichen Berufsrechtes für die Beratungsberufe ins<br />

Spiel gebracht.<br />

AnwBl 12/2005<br />

Meinung & Kritik<br />

III. Anwaltstrias-Trias auch bei der Anwalts-AG<br />

Dass die Beschränkungen der §§ 59 c ff. BRAO nicht erforderlich<br />

sind, zeigt die folgende kurze Übersicht (ausführlich<br />

hierzu der Verfasser: Die Aktiengesellschaft als neue<br />

Rechtsform für anwaltliche Zusammenschlüsse, Zulässigkeit<br />

und Ausgestaltung, Diss. 2002 sowie NJW 2005,<br />

1826 ff.)<br />

Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht wird bereits<br />

durch die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§§ 93<br />

Abs. 1 S. 2 AktG, 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG und § 203 Abs. 1<br />

Nr. 3 StGB), das Auskunftsverweigerungsrecht gegenüber<br />

Aktionären (§ 131 Abs. 3, 5 AktG) und die allgemeinen<br />

Vorschriften (§§ 383 Abs. 1 Nr. 6 , 384 Nr. 1, 3, 446 ZPO,<br />

§ 53 a StPO) gleichermaßen wie durch § 43 a Abs. 2 BRAO<br />

geschützt.<br />

Auch die anwaltliche Unabhängigkeit wird in der<br />

Rechtsanwalts-AG mindestens genauso effektiv wie in einer<br />

Rechtsanwalts-GmbH oder anwaltlichen Personengesellschaften<br />

gewährleistet. Anders als Gesellschafter dort,<br />

können Aktionäre auf das Tagesgeschäft einer Rechtsanwalts-AG<br />

– die Rechtsberatung – keine Einfluss nehmen.<br />

Die Hauptversammlung entscheidet unter anderem nur über<br />

Satzungsänderungen, die Verwendung des Bilanzgewinns<br />

sowie die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat.<br />

Zur Vermeidung von Interessenkollisionen durch außenstehendere<br />

Aktionäre ist – wie auch für die Wirtschaftsprüfungs-<br />

und Steuerberatungs-AG, § 28 Abs. 4 Nr. 3 WPO,<br />

§ 50 a Abs.1 Nr. 3 StBerG – der Aktionärskreis auf in der<br />

Gesellschaft beruflich aktive Aktionäre zu beschränken.<br />

Dies gilt unabhängig von der Zugehörigkeit zur Gruppe sozietätsfähiger<br />

Berufe. Den Mitgliedern von Vorstand und<br />

Aufsichtsrat ist es verboten, Doppelmandate in anderen<br />

Beratungsgesellschaften wahrzunehmen, soweit Interessenkollisionen<br />

durch antagonistische Mandate zu befürchten<br />

sind. In diesem Fall wäre die nach § 88 AktG erteilte Zustimmung<br />

gemäß § 88 Abs. 1 S. 2 AktG zu wiederrufen.<br />

Für die Mitglieder des Aufsichtsrates ist nach § 100 Abs. 4<br />

AktG in der Satzung festzulegen, dass sie keine Aufsichtsrats-<br />

oder Vorstandsmandate wahrnehmen dürfen, denen die<br />

Gefahr von Interessenkollisionen innewohnt und diese gegebenenfalls<br />

niedergelegt werden müssen.<br />

Um die Einhaltung der berufsrechtlichen Standards zu<br />

gewährleisten, muss die Rechtsanwalts-AG nach §§ 59 d,<br />

59 g, 59 h BRAO zugelassen werden. Da die §§ 59 d, 59 g<br />

und 59 h BRAO nicht gesellschaftsformspezifisch sind und<br />

nicht die Ausgestaltung der Rechtsanwalts-GmbH betreffen,<br />

können diese Vorschriften auf die Rechtsanwalts-AG<br />

angewandt werden. Ein Zulassungsverfahren ist zum<br />

Schutz des rechtsuchenden Publikums erforderlich, gerade<br />

weil es an einer gesetzlichen Regelung für die Rechtsanwalts-AG<br />

fehlt.


AnwBl 12/2005 771<br />

MITTEILUNGEN<br />

Anwaltsmarkt<br />

Zugang zum Recht – Ein<br />

internationaler Vergleich<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />

Die Leistungsfähigkeit eines Rechtssystems zeigt sich daran,<br />

ob es in angemessener Zeit und zu vertretbaren Kosten<br />

den Zugang zum Recht ermöglicht. Zugang zum Recht<br />

heißt in diesem Zusammenhang Durchsetzung von Einzelinteressen.<br />

Der Autor zeigt, dass das deutsche System sehr<br />

leistungsfähig ist und plädiert für eine Lockerung des Verbotes<br />

des Erfolgshonorars.<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno<br />

Heussen aus Berlin ist Mitglied<br />

im Vorstand des Deutschen<br />

Anwaltverein.<br />

1. Rechtsberatung und Rechtsdurchsetzung<br />

Rechtprobleme geraten in unser Bewusstsein nur durch<br />

Konflikte und im ersten Schritt müssen wir uns beraten lassen,<br />

wie wir damit umgehen sollen. Erst wenn man eine<br />

Vorstellung davon hat, wo man steht, entwickelt man Ideen<br />

zur Rechtsdurchsetzung, also zur Verhandlung, zum Prozess,<br />

zur Zwangsvollstreckung.<br />

Rechtsberatung ist eine Tätigkeit, für die man nur gute<br />

Fachkenntnisse braucht – je spezialisierter desto besser.<br />

Rechtsdurchsetzung hingegen bedeutet: Jemandem mit der<br />

richtigen Strategie und Durchsetzungsvermögen zu dem<br />

Recht zu verhelfen, das die Gesellschaft ihm anbietet. Das<br />

reine Fachwissen macht niemand zu dem Condottiere, der<br />

sich für fremde Interessen schlägt und dabei auch bereit ist,<br />

eigene Verletzungen wegzustecken. 1 Wie wichtig dabei die<br />

strikte Beschränkung auf die Interessen des Mandanten ist,<br />

erfährt man wahrscheinlich erst, wenn man selbst einen Anwalt<br />

gebraucht hat. Dann weiß man nämlich, dass Institutionen<br />

welcher Art auch immer niemals den persönlichen Einsatz<br />

bieten können, den ein Anwalt für sein oft bescheidenes<br />

Honorar erbringt. 2<br />

Wäre es anders, könnte kein Anwalt im Arbeitsrecht<br />

Geld verdienen, in dem neben ihm auch Gewerkschaften<br />

und Arbeitgeberverbände kostenlos die Vertretung im Prozess<br />

anbieten. Warum nimmt man sich seinen eigenen Anwalt,<br />

dessen Kosten nicht einmal erstattet werden? Die<br />

Antwort lautet: Weil Rechtsdurchsetzung nicht nur aus<br />

Wissen, sondern aus Erfahrung und dem Entschluss besteht,<br />

sich persönlich zu engagieren. Persönliches Engagement<br />

aber ist für Institutionen eine fremde Sache.<br />

MN<br />

2. Institutionelle Rechtsberatung<br />

Institutionen können aber sehr wohl an den Randzonen<br />

der Rechtsberatung ihre Dienste anbieten und tun dies<br />

auch. So z. B. Verbraucherschutzverbände, Gewerkschaften,<br />

Mietervereine, Sozialversicherungsträger, Arbeiterwohlfahrt<br />

und Sozialverbände.<br />

Sie erfüllen eine sinnvolle Aufgabe überall dort, wo man<br />

erst einmal feststellen muss, ob es einen rechtlichen Konflikt<br />

gibt. Konflikte gibt es viele. Man kann über die richtige<br />

Heizkostenabrechnung ebenso streiten wie über Rentenansprüche<br />

etc. Bei weitem nicht immer ist damit aber auch<br />

eine Rechtsfrage verbunden. Beide Parteien legen das Recht<br />

oft völlig gleichlautend aus, kommen aber bei Rechenmodellen,<br />

Zahlen, Bewertungsfragen und anderem in Schwierigkeiten.<br />

Natürlich kann man diese Vorarbeiten auch einem<br />

Anwalt übertragen. Aber wenn Institutionen das machen<br />

und einen Blick dafür entwickeln, wann z. B. eine Bewertungsfrage<br />

zur Rechtsfrage wird, leisten sie einen unverzichtbaren<br />

Beitrag im Vorfeld der Rechtsberatung.<br />

3. Schlichtung<br />

Viele solcher Fälle sind auch für Schlichtungsstellen geeignet,<br />

die überall existieren, so z. B.<br />

9 Schlichtungsstellen der Industrie- und Handelskammern<br />

und Handwerkskammern<br />

9 Schiedsgutachterverfahren zwischen Kaufleuten<br />

9 Schlichtungsstellen des KFZ-Gewerbes<br />

9 Ärztliche Schlichtungsstellen<br />

9 Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post<br />

bei Streitigkeiten um Abrechnungen<br />

9 Ombudsleute der Versicherungen, Banken<br />

9 Vermittlungen durch das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen<br />

Die Ombudsverfahren der Versicherungen 3 sind dann besonders<br />

erfolgreich, wenn sie bei kleineren Streitwerten (bis EUR<br />

5.000,00) die Versicherung einseitig binden, den Versicherten<br />

aber nicht: Dadurch wird der stets schwebende Verdacht ausgeräumt,<br />

der Ombudsmann fühle sich letztlich doch mehr dem<br />

Unternehmen verbunden und nicht dem Verbraucher.<br />

So nützlich und kostensparend ein Schlichtungsverfahren<br />

sein kann, so sehr kann es auch an der Sache vorbeigehen.<br />

Die Schlichtung kann und darf sich nur mit einem<br />

engen Segment von Problemen befassen. Das Umfeld, in<br />

dem die einzelne Konfliktfrage steht, kann nur jemand erkennen,<br />

der sich einseitig auf die Perspektive einer Seite<br />

einlässt – und das ist eben nur der Anwalt! Viele Leute<br />

glauben, ihr Recht werde durch den Notar besonders wirksam<br />

geschützt. Der Notar darf aber nicht einseitig aus der<br />

Perspektive einer Seite denken, denn täte er das für die<br />

eine Seite, würde die andere sich beschweren. Auch die<br />

Schlichter müssen diese Neutralität einhalten und das kann<br />

für die eine oder die andere Seite sehr problematisch werden.<br />

Man sieht das an Arzthaftungsfällen, die vielleicht den<br />

1 Benno Heussen: Anwalt und Mandant – Eine Insider-Report, Verlag Dr. Otto<br />

Schmidt, Köln 1999, Seite 4 ff.<br />

2 Die Mehrzahl der Anwälte verdient, wie uns die jüngste Statistik (2002) zeigt,<br />

netto nach Kosten und Steuern nicht mehr als 2.400,00 EUR pro Monat (Martin<br />

W. Huff: Große Unterschiede auf dem Deutschen Rechtsberatungsmarkt, NJW<br />

2005, Heft 21 Seite XVIII).<br />

3 Römer, Wolfgang: Der Ombudsmann für private Versicherungen, NJW 2005,<br />

1251.


772<br />

MN<br />

konkreten Schaden richtig anfassen, aber die möglichen<br />

Spätschäden nicht in den Blick nehmen.<br />

4. Rechtsantragsstellen<br />

Auch die Rechtsantragsstellen bei den Amtsgerichten<br />

oder bei einzelnen Verwaltungsbehörden sorgen für den Zugang<br />

zum Recht. Für manchen Standardfall wird das genügen,<br />

aber wenn es unterschiedliche Varianten gibt: Wer soll<br />

beurteilen, welche die Richtige ist? Dafür muss man Interessen<br />

definieren können. Für all das werden die Leute<br />

nicht bezahlt, die dort tätig sind.<br />

5. Pro-Bono-Tätigkeiten und Legal Clinics<br />

Unter diesem Oberbegriff fasst man in USA aber auch<br />

in den Niederlanden alle möglichen Rechtsberatungsstellen<br />

zusammen, darunter auch solche, die von den Universitäten<br />

organisiert sind. In Deutschland unterhalten viele örtliche<br />

Anwaltvereine kostenlose Rechtsberatungsstellen. Schon<br />

hier, aber auch bei anderen Pro Bono-Tätigkeiten haben die<br />

deutschen Rechtsanwälte unglaubliche Hemmungen, ihre<br />

guten Werke sichtbar werden zu lassen. Dabei ist die Sache<br />

so einfach: Jede Pro Bono-Tätigkeit von Anwälten senkt<br />

die Schwellenangst, die auch heute noch viele Leute daran<br />

hindert, sich ihrer Interessen zu vergewissern.<br />

6. Qualitätsmängel als Barriere vor dem Recht<br />

Wer eine Anwaltszulassung hat, darf über Recht beraten<br />

und Recht durchsetzen, so wie er das für richtig hält. Das<br />

offenkundige Geheimnis des Marktes ist aber: Wie man<br />

Recht wirksam durchsetzt, kann man nicht aus Büchern<br />

sondern nur aus der Erfahrung lernen – je nach Spezialisierungsgrad<br />

kann es bis zu 10 Jahre brauchen, bevor man<br />

richtig Boden unter des Füssen hat. Erst dann hat man genug<br />

Fälle gesehen, um den Mandanten fundierte Prognosen<br />

zu geben und genügend Argumente, um von einem bestimmten<br />

Vorgehen zu- oder abzuraten. Kein Chirurg wird<br />

Facharzt ohne einen entsprechend langen Operationskatalog<br />

und deshalb will ja auch jeder vom „Herrn Professor“<br />

höchstpersönlich aufgeschnitten werden, bis dem die Hand<br />

so sichtbar zittert, dass er das selber merkt.<br />

Jeder, dessen Gegner einen erfahrenen Spezialisten als<br />

Anwalt hat, will selbstverständlich, dass auch sein Anwalt<br />

über diese Erfahrung verfügt, weil er hofft, so sein Recht<br />

besser durchsetzen zu können. Die dahinter stehende Idee<br />

der Waffengleichheit im Prozess ist in einem, auf den ersten<br />

Blick absurd erscheinenden englischen Prozess behandelt<br />

worden, über den Christian Wolf uns berichtet 4 :Der<br />

nur durch einen „junior-counsel“ vertretene Kläger beantragte,<br />

dem Beklagten zu untersagen, sich durch einen „senior-counsel“<br />

vertreten zu lassen. Er wollte einen dümmeren<br />

Kollegen auf der anderen Seite haben. Das Gericht hat<br />

sich ernsthaft mit dem Antrag beschäftigt und ihn mit guten<br />

Gründen abgelehnt. Es erwog aber immerhin, unerfahrenen<br />

Anwälten längere Schriftsatzfristen zu geben. Die Entscheidung<br />

ist deshalb so interessant, weil sie die Behauptung,<br />

Anwälte verbürgten im Prinzip überall die gleiche<br />

Qualität völlig zu Recht nicht ernst nimmt.<br />

7. Rechtsdurchsetzung: Das Honorarproblem<br />

Wer sich entschließt, sein Recht durchzusetzen, braucht<br />

jemand, der sich für ihn persönlich engagiert, also einen Anwalt.<br />

Um dessen Kosten genau kalkulierbar zu machen,<br />

knüpft man in Deutschland seit jeher die Anwaltsgebühren<br />

an den Streitwert und erreicht damit auch einen sozialen<br />

Ausgleich: Das Honorar für die großen Fälle soll auch die<br />

AnwBl 12/2005<br />

kleinen Fälle subventionieren. 5 In den Standardfällen funktioniert<br />

dieser Ausgleich nicht zuletzt, weil in Deutschland<br />

derjenige, der den Prozess verliert dem Gewinner seine gesamten<br />

Kosten erstatten muss. Diese Kostenerstattungspflicht<br />

ist in den meisten Ländern außerhalb Deutschlands unbekannt:<br />

Zwar gibt es vielfach Kostenerstattungspflichten, die<br />

sich aber auf Gebührentabellen beschränken, die nicht annähernd<br />

den anwaltlichen Aufwand abbilden. Auch die Abkoppelung<br />

der Honorarhöhe vom tatsächlichen Aufwand, die betriebswirtschaftlich<br />

sinnlos ist, trifft man so im Ausland<br />

nicht. Selbst in Österreich werden die Anwälte teilweise für<br />

die Länge und Häufigkeit der Schriftsätze bezahlt. In letzten<br />

10 Jahren hat sich das Stundenhonorar im Bereich der außergerichtlichen<br />

Rechtsberatung aus unterschiedlichen Gründen<br />

durchgesetzt, in erster Linie deshalb, weil kein Mandant bei<br />

hohen Streitwerten bereit ist, die hohen Gebühren des RVG<br />

(früher: BRAGO) zu bezahlen. Ab Mitte 2006 werden die<br />

Gebühren für außergerichtliche Vertretung vom RVG abgekoppelt.<br />

Aber auch bei Prozessen, vor allem bei technisch<br />

schwierigen werden Honorarvereinbarungen über die gesetzlichen<br />

Gebühren hinaus immer häufiger.<br />

7.1 Rechtsschutzversicherer<br />

Das hohe Prämienaufkommen der Rechtsschutzversicherer<br />

(EUR 2,75 Milliarden im Jahr 2000) zeigt allzu deutlich,<br />

dass die Leute ihren eigenen Anwalt haben wollen –<br />

auch wenn sie sich, wie alle Deutschen, gegen dessen Kosten<br />

gern versichern. 6 Von diesem Prämienaufkommen wurden<br />

an die Rechtsanwälte EUR 1,28 Milliarden bezahlt.<br />

Von den ca. 16 Milliarden des gesamten Honoraraufkommens<br />

der Anwälte in Deutschland entfallen ca. 6 Milliarden<br />

auf den Markt der Standardfälle, die die Rechtschutzversicherer<br />

abdecken. Bezogen auf dieses Segment<br />

übernehmen sie also ca. 20 % aller bezahlten Honorare 7 .<br />

7.2 Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe<br />

Im Verhältnis zu den Rechtsschutzversichern hat der<br />

Staat für Prozesskostenhilfe im Jahr 2000 nur<br />

EUR 325 Millionen ausgegeben (also etwa nur ein Viertel),<br />

weitere EUR 64 Millionen für Pflichtverteidiger und EUR<br />

25 Millionen für die Beratungshilfe.<br />

Von diesen EUR 414 Millionen sind EUR 54 Millionen<br />

über Kostenerstattungen wieder an den Staat zurückgeflossen,<br />

so dass netto EUR 360 Millionen verblieben sind. Das<br />

sind nur 22,5 % der Aufwendungen, die man in England<br />

für den gleichen Zweck erbracht hat. Der Grund: Auch im<br />

Legal Aids-System von England und Wales werden die Anwälte<br />

im Stundenhonorar (wenn auch zu erheblich geminderten<br />

Sätzen) bezahlt und größere Büros nutzen das, um<br />

die jüngeren Leute an den „kleinen und hoffnungslosen<br />

Fällen“ ihr Metier lernen zu lassen. Die von Mathias Kilian<br />

8 erarbeitete Übersicht zeigt etwa folgendes Bild:<br />

4 Christian Wolf: Maltez v Lewis – Ein Lehrstück für den deutschen Anwaltsmarkt,<br />

in: Grenzüberschreitungen – Festschrift für Peter Schlosser zum 70. Geburtstag<br />

Seite 1121 ff.<br />

5 BVerfG NJW 2003, 737 (738).<br />

6 „Deutschland ist im weltweitem Vergleich mit über 25 Millionen Rechtsschutzversicherungsverträgen<br />

bei 83 Millionen Einwohnern mit Abstand das Land<br />

mit der größten Verbreitung von Rechtsschutzversicherungen (Alexy Buck/Mathias<br />

Kilian: Staatliche Kostenhilfe im Spannungsfeld von Ausgabenkontrolle,<br />

Zugang zum Recht und Qualitätsmanagement, Z/Vgl/RWiss 102 (2003) Seite<br />

425 – 446). Auch alle weiteren Zahlen stützen sich auf Veröffentlichungen von<br />

Mathias Kilian vom Anwaltsinstitut an der Universität Köln.<br />

7 Martin W. Huff, NJW 2005 Heft 21 Seite XVIII hat die neuesten Statistiken<br />

zum Jahr 2002 zusammengestellt (Gesamtumsatz damals: 14,87 Milliarden<br />

Euro), die Zahlen für 2005 beruhen auf einer Hochrechnung dieser Basis.<br />

8 Matthias Kilian: Legal Aids and Access to Justice in Germany, ILAG 2001 (International<br />

Legal Aid Group), Conference Papers, Melbourne, Australia.


AnwBl 12/2005 773<br />

Mitteilungen MN<br />

Land Gesamtaufwand Pro-Kopf-Aufwand/in<br />

Relation<br />

zur Bevölk.<br />

England/Wales 2.600.000,00 EUR 49,00 EUR<br />

Schottland 2.007.000,00 EUR 40,00 EUR<br />

Lichtenstein 1.050,00 EUR 32,00 EUR<br />

Norwegen 75.000,00 EUR 16,80 EUR<br />

Finnland 42.000,00 EUR 8,00 EUR<br />

Dänemark 34.800,00 EUR 6,60 EUR<br />

Deutschland 358.000,00 EUR 4,30 EUR<br />

Österreich 24.700,00 EUR 3,00 EUR<br />

Belgien 25.200,00 EUR 2,50 EUR<br />

Schweden 19.100,00 EUR 2,10 EUR<br />

Der große systematische Unterschied zwischen den angelsächsischen<br />

und den kerneuropäischen Rechtssystemen lässt<br />

keinen echten Vergleich zu. Trotzdem geben diese Zahlen gewisse<br />

Anhaltspunkte, vor allem dann, wenn man weiß, dass<br />

die ewige Klage unserer Justizminister über den Kostenaufwand<br />

im Justizwesen die reine Heuchelei ist: Das Justizwesen<br />

kostet die Deutschen ungefähr soviel wie eine Packung<br />

Zigaretten pro Monat und dies auch nur deshalb, weil man<br />

die hohen Einnahmen durch Gerichtskosten in der Ziviljustiz<br />

mit den hohen Aufwendungen für Gefängnisse saldiert und<br />

sich dann beschwert, dass dabei rote Zahlen herauskommen9 .<br />

7.3 Erfolgshonorar<br />

Jeder weiß, dass die Chancen sein Recht durchzusetzen<br />

steigen, wenn der Anwalt sich für seine Sache engagiert.<br />

Wie soll er das aber z. B. bei einem Streitwert von EUR<br />

5.000,00? Dort betragen 2,0 Gebühren EUR 602,00 10 .Bei<br />

einem Stundensatz von EUR 150,00 von dem ca. 50 % in<br />

die Kosten gehen, müsste der Anwalt diesen Fall in vier<br />

Stunden erledigt haben 11 . Während früher die kleinen Fälle<br />

von den großen subventioniert wurden, wird das bald nicht<br />

mehr möglich sein und das anwaltliche Stundenhonorar<br />

werden die Mandanten vor allem bei kleineren Fällen kaum<br />

aufbringen können. Wie soll sich da ein Anwalt engagieren,<br />

wenn er bei jedem Fall von vornherein weiß, dass er<br />

Geld mitbringen muss? Die Lösung kann nur beim Erfolgshonorar<br />

liegen. Außerhalb von Deutschland und Belgien<br />

gibt es kein Land auf der Welt mehr, in dem es völlig verboten<br />

ist. Man begründet das mit Gemeinwohlerwägungen<br />

12 , die aber auf sehr dünnem Boden stehen: In Restitutionssachen<br />

in der Nachkriegszeit hat man gar kein Problem<br />

darin gesehen, Erfolgshonorare zu gestatten, denn ein vom<br />

Nazi-Regime Verfolgter konnte nur unter diesen Bedingungen<br />

einen Spezialisten (!) finden , der seine Sache richtig in<br />

die Hand nahm. Man hat damals also das Qualitätsargument,<br />

das ich oben skizziert habe ernst genommen. Genauso<br />

ernst kann man es auch heute nehmen: Ein Spezialist<br />

kann besser als jeder andere erkennen, welche Chancen in<br />

dem Fall liegen und wenn er ihn übernimmt, wird er schon<br />

im eigenen Interesse genügend Engagement zeigen. Es ist<br />

mir ganz unerklärlich, wie die Behauptung zustande<br />

kommt, Erfolgshonorare zerstörten die Motivation der Anwälte.<br />

Das Gegenteil ist der Fall! 13 Einige Länder, wie die<br />

Schweiz, Österreich, England und sogar das konservative<br />

Frankreich lassen einzelne Erfolgshonorarabsprachen zu 14 .<br />

Die oft fragwürdig erscheinenden Praktiken der amerikanischen<br />

„Plaintiffs-Lawyers“ 15 dürfen uns den Blick nicht dafür<br />

vernebeln, dass wir in ganz anderen Rechtssystemen leben:<br />

In USA gibt es keine Prozesskostenhilfe etc. und auch<br />

ein mittleres Unternehmen, das z. B. $ 50.000,00 gegen einen<br />

Wettbewerber einklagen möchte, richtet sich darauf<br />

ein, für so einen Prozess $ 200.000,00 auszugeben. Warum<br />

wird das dort akzeptiert? Das angloamerikanische Rechtssystem<br />

lebt von der Erkenntnis, dass Recht nur durch<br />

Kampf entsteht, während wir Deutschen einen Konflikt als<br />

unverschuldete Krankheit interpretieren, die von der Versicherung<br />

gefälligst abgedeckt werden soll. Wir übersehen<br />

dabei, dass es keinen Rechtskonflikt gibt, an dem man<br />

selbst nicht seinen Anteil hat (ob schuldig oder unschuldig).<br />

Im Verhältnis zu den kämpferischen Angelsachsen<br />

sind wir einfach zu naiv.<br />

Es gäbe durchaus Modelle, erfolgsorientierte Honoraranteile<br />

zu definieren wie z. B. folgendes: Eine maßvolle Basisvergütung,<br />

die die Kosten des Anwalts deckt und einen<br />

ordentlichen Zuschlag, wenn er gewinnt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

ist das generelle Verbot aller solcher Modelle<br />

schon jetzt verfassungs- und europarechtswidrig 16 .<br />

8. Zusammenfassung<br />

Viele Wege führen zum Recht, wie der internationale<br />

Vergleich zeigt.<br />

Versteht man unter dem Zugang zum Recht die Durchsetzung<br />

der Einzelinteressen, dann gehört Deutschland mit Sicherheit<br />

zu jenen Ländern, in denen das in kürzester Zeit und<br />

zu sehr geringen genau planbaren Kosten erreichbar ist. Wer<br />

je in einem anderen Land prozessiert hat, wird das bestätigen.<br />

Aber auch im Bereich der Rechtsberatung liegen die Kosten<br />

in Deutschland im internationalen Vergleich sehr niedrig und<br />

die Qualität der Arbeit ist hoch: Wer das nicht glaubt, soll nur<br />

einen amerikanischen oder britischen Kollegen einmal fragen,<br />

welche Aussichten er in einem konkreten Konflikt hat: Er<br />

wird stets nur diffuse Auskünfte bekommen.<br />

Ich meine, wir könnten uns eine großzügerige Prozesskostenhilfe<br />

leisten, wir könnten Legal Clinics an den Universitäten<br />

einrichten um den Studierenden einen frühen<br />

Einblick in die Praxis zu geben und nicht zuletzt brauchen<br />

wir eine Rechtsanwaltausbildung, die so früh wie möglich<br />

auch Praxiserfahrungen ermöglicht und die Rechtsdurchsetzung<br />

in den Vordergrund stellt: Nur so werden die Anwälte<br />

eine höhere Qualität erreichen.<br />

9 Auch die stets behauptete Überlastung der Gericht ist eine Fiktion, wie der soeben<br />

erschienene Bericht des Deutschen Anwaltvereins zur geplanten „Großen<br />

Justizreform“ überdeutlich zeigt (Stellungnahme Nr. 29/2005 www.anwaltver<br />

ein.de).<br />

10 Christian Wolf hat aaO Seite 1130 errechnet, dass „die durchschnittliche Gebühr<br />

pro Vertretungsfall im normalen Anwaltsmarkt 280,23 Euro beträgt“. Unter<br />

Einbeziehung von PKH-Mandaten sind es nur noch 270,47 Euro.<br />

11 Eine Untersuchung von RAin Dr. Brigitte Borgmann (früher leitende Mitarbeiterin<br />

der Allianz-Versicherung für Anwaltshaftpflichtsachen) hat ergeben, dass<br />

bei sorgfältiger Mandatsführung vom Beginn des ersten Gesprächs bis zur endgültigen<br />

Ablage der Akte 100 einzelne Organisationsschritte erforderlich sind,<br />

die der Anwalt oder seine Mitarbeiter beachten müssen! Selbst wer sich optimal<br />

organisiert hat, braucht erheblich mehr Zeit.<br />

12 OLG Celle, Beschluss vom 2.11.2004 3 U 250/04 BRAK-Mitt. 2005, 94.<br />

13 Die herrschende Auffassung ist jedoch überwiegend anders. Siehe dazu die<br />

Berichte von Kilian: Anwaltliche Erfolgshonorare und die bevorstehende Reform<br />

des Vergütungsrechts, ZRP 2003, 90; Henssler, Aktuelle Praxisfragen aktueller<br />

Vergütungsvereinbarungen, NJW 2005, 137 (1539); Schepke: Das Erfolgshonorar<br />

des Rechtsanwalts. Gegenläufige Gesetzgebung in England und<br />

Deutschland, Tübingen 1998, besprochen von Zuck: ZRP 2000, 450; Stürner/<br />

Bormann, NJW 2004 1481 nehmen sogar die Deregulierungstendenzen auf europäischer<br />

nationaler Ebene insgesamt auseinander. Diese Kritik hat einen sehr<br />

richtigen Kern, zeigt aber keine Lösungen, die auch den Europäischen Richtlinien<br />

und der Berufsfreiheit des erforderlichen Raum lassen.<br />

14 Matthias Kilian, ILAG 2001 aaO Seite 26.<br />

15 Hirte: Spielt das amerikanische Rechtssystem verrückt?, NJW 2003, 345.<br />

16 Kilian Matthias: Der Erfolg und die Vergütung des Rechtsanwalts (Deutscher<br />

Anwaltverlag 2003) Seite 262; Kleine-Cosack, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung,<br />

4. Auflage 2003 RN 17 zu § 49 b; Henssler: Aktuelle Praxisfragen<br />

anwaltlicher Vergütungsvereinbarungen, NJW 2005, 1537 (1539).


774<br />

MN<br />

Dokumentationszentrum für<br />

Europäisches Anwalts- und Notarrecht<br />

Die Haftung des Advokaten<br />

in Belgien<br />

Frank Groß, Göttingen<br />

Das Dokumentationszentrum für Europäisches Anwaltsund<br />

Notarrecht - 1996 als eigenständiges, dem Institut für<br />

Anwaltsrecht an der Universität zu Köln angegliederte<br />

Einrichtung gegründet – beoachtet die Entwickluung des<br />

Berufsrechts in anderen europäischen Ländern. Die Universität<br />

zu Köln, der DAV, die BRAK und die BNotK betreiben<br />

das von Prof. Dr. Martin Henssler geleitete und von<br />

der Hans-Soldan-Stiftung geförderte Dokumentationszentrum<br />

als gemeinsame Forschungseinrichtung.<br />

Zu den zentralen Themen des Haftungsrechts zählt seit<br />

langem die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Angehörigen<br />

in den freien Berufen. Einem besonderen Augenmerk<br />

gewidmet soll der nachfolgende Beitrag über die Haftung<br />

der Anwälte in Belgien sein. 1<br />

1. Berufsrechtlicher Status der Advokaten<br />

Der in Deutschland als Rechtberater tätige Rechtsanwalt<br />

(Organ der Rechtspflege, Art. 1 BRAO) trägt in Belgien die<br />

Bezeichnung Advocaat bzw. Avocat. Berufsrechtlich findet<br />

dies seinen Niederschlag in den Artt. 428 ff. des Gerechtelijk<br />

Wetboek/Code Judiciaire 2 , eines Gesetzeswerkes, welches<br />

die Organisation des Rechts regelt. 3 Art. 444 Ger.W.<br />

deklariert die Advocaten als frei in der Ausübung ihres Berufes<br />

zum Schutze der Wahrheit und des Rechts. Diese<br />

Freiheit ist von grundlegender Bedeutung. Sie erlaubt dem<br />

Anwalt nicht nur die Interessen seiner Klienten umfassend<br />

wahrzunehmen, sondern sie gewährt ihm auch das Plädierungsmonopol<br />

vor Gericht.<br />

2. Rechtliche Natur des Verhältnisses zwischen Advocaat<br />

und Mandant<br />

Dem belgischen Haftungsrecht ist in der Anwaltshaftung<br />

die Differenzierung zwischen vertraglicher und außervertraglicher<br />

Haftung nicht fremd. 4 Zu beleuchten ist zunächst,<br />

welche Art vertraglicher Beziehungen zwischen<br />

dem Advocaat und dem Mandanten vorliegen, denn in<br />

Rechtsprechung und Lehre besteht nunmehr Einigkeit, dass<br />

im Falle eines Fehlverhaltens des Anwalts – bei Vorliegen<br />

eines Vertrages zwischen den Parteien – eine vertragliche<br />

Haftung in Frage kommt. 5<br />

Schwierigkeiten bereitet allerdings eine eindeutige Einordnung<br />

der Rechtsnatur des Vertrages zwischen dem Ratgebenden<br />

und -suchenden. Grundlage für die Diskussion<br />

bilden nämlich die mannigfaltigen strikt persönlichen Arbeitsfelder<br />

des Anwaltes. So reicht das Meinungsspektrum<br />

von einer Übereinkunft sui generis bis zu einem gemischten<br />

Vertrag. 6 Letztere Ansicht differenziert nach dem Tätigkeitsbereich,<br />

ob also der Anwalt Kraft seines Mandates ad<br />

litem auftritt oder er dem Klienten nur durch Auskunft und<br />

Raterteilung beisteht. 7 Im Fall der Prozessvertretung handele<br />

der Anwalt als Bevollmächtigter des Klienten, weshalb<br />

die für die Mandatsführung eigenen Regeln der Artt.<br />

1984 ff. des Burgerlijk Wetboek/Code Civil8 Anwendung<br />

AnwBl 12/2005<br />

Mitteilungen<br />

finden sollen. Bei der Auskunftsgewährung hingegen äußere<br />

sich die Tätigkeit des Anwaltes in einer Art Beratungsunternehmen,<br />

vergleichbar mit dem Verkauf von<br />

Dienstleistungen oder intellektueller Arbeit. Dieser Ansicht<br />

sehr ähnlich kommt eine Dritte, die einen gemischten Vertrag<br />

aus einem Vertrauensverhältnis mit unternehmens-,<br />

mandatsführungs- oder verwahrungsbezogenen Elementen<br />

annimmt. 9 Die Haftung solle zunächst durch die im B.W.<br />

allgemein zu Grunde gelegten vertraglichen Haftungsregeln<br />

bestimmt werden, wenn nicht – in Abhängigkeit von der<br />

konkret verrichteten Tätigkeit des Anwalts – speziellere<br />

Vorschriften aus den eben aufgeführten Teilgebieten tangiert<br />

sind. Die Urteile belgischer Gerichte sprechen in diesem<br />

Zusammenhang eher weitläufig nur von einer vertraglichen<br />

Haftung des Anwalts, da das Rechtsverhältnis zwischen<br />

den Parteien vertraglichen Charakter habe und der Fehler<br />

auf der Verletzung einer vertraglichen Pflicht beruhe. 10<br />

3. Inhalt und Pflichtenkreis des Mandates – Aanneming<br />

und Lastgeving<br />

Die vielfältigen Arbeitsfelder des Anwaltes bedingen,<br />

dass, wie eben schon grob bei der Klassifizierung der vertraglichen<br />

Beziehungen, im belgischen Recht eine Differenzierung<br />

an Hand der anwaltlichen Tätigkeit vorgenommen<br />

wird. Zunächst wird hier (die Vertragsform)<br />

Aanneming von Lastgeving unterschieden, denn die verschiedenen<br />

Inhalte haben dann im zweiten Schritt ein differenzierteres,<br />

aus dem jeweiligen Vertragsverhältnis erwachsendes<br />

und einzuhaltendes Pflichtenprogramm zur Folge:<br />

a) Aanneming<br />

aa) Inhalt<br />

Allgemein ist Aanneming ein spezieller Vertragstyp, in<br />

welcher eine Partei (der Opdrachtgever11 ) eine andere Partei<br />

(den Aannemer) mit der Ausführung einer Aufgabe12 betraut.<br />

Der Opdrachtgever verleiht dem Aannemer aller-<br />

1 Dieser Aufsatz ist in leicht geänderter Form ein Teil der im Studiengang<br />

„Rechtsintegration in Europa“ an der Georg-August-Universität Göttingen vorgelegten<br />

Magisterarbeit eines Rechtsvergleiches zwischen der Anwaltshaftung<br />

in Deutschland und Belgien. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang<br />

Frau Caroline Wouters sowie Herrn Advocaat Paul Depuydt. Der Autor<br />

ist studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Medizinrecht,<br />

Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung bei Prof. Dr. Christiane<br />

Wendehorst, LL.M.<br />

2 Nachfolgend Ger.W. genannt. Die Wahl der niederländischen Abkürzung ist<br />

nur vereinfachungshalber. Eine Online-Version der Normen in Französisch und<br />

Niederländisch findet sich online abrufbar unter: http://www.staatsblad.be/<br />

index_fr.htm (über Sources du Droit; Législation consolidée)<br />

3 Konkret zu den Regeln der Zuständigkeiten der Gerichtsbarkeit, prozessualen<br />

Bestimmungen, sowie Berufs- und Ausbildungsregelungen der juristischen Berufe:<br />

Dassen, K.; Van der Heyden, M.; De positie van de advocaat in en rond<br />

het gerechtelijk wetboek, Antwerpen 1978.<br />

4 Die disziplinarrechtliche Ahndung von Fehlverhalten soll auf Grund des berufsrechtlichen<br />

Charakters außer Betracht bleiben.<br />

5 Zur früheren Auffassung Depuydt, P.; De aansprakelijkheid van advokaten en<br />

gerechtsdeurwaarders. Civiel-, proces- en verzekeringsrechtelijke aspekten,<br />

een Handboek, Antwerpen 1983; Nr. 14, m.w.N. (nachfolgend Depuydt, Handbuch<br />

genannt).<br />

6 Siehe zur Übersicht Depuydt, Handbuch, Nr. 16.<br />

7 Depuydt, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (296);<br />

ders., Handbuch, Nr. 16.<br />

8 Nachfolgend B.W. genannt.<br />

9 Reich, (siehe Fn. 5), S. 28; in diese Richtung: Rogers; Trotter; van Hassel;<br />

Walsh; Kröner (Ed.), The Professional liability of Lawyers, S. 83.<br />

10 Weiter noch, sie lässt vielmals die Grenzen zwischen vertraglicher und nichtvertraglicher<br />

Haftung verschwimmen. Rechtbank Brussel, Journal des Tribunaux<br />

(J.T.) 1991, S. 661; Rechtbank Turnhout, Turnhouts Rechtsleven (Turnh.<br />

Rechtsl.) 1990, S. 18; Rechtbank Brussel, Rechtskundig Weekblad (R.W.)<br />

1991-92, S. 823.<br />

11 Opdrachtgever = die beauftragende Partei.<br />

12 Gemeint sind hiermit körperliche wie das Erscheinen vor Gericht, aber weitestgehend<br />

intellektuelle Arbeiten.


AnwBl 12/2005 775<br />

Mitteilungen MN<br />

dings keine Vertretungsbefugnis und letzterer steht nicht in<br />

einem untergeordneten Verhältnis gegenüber dem Betrauten.<br />

Konkret stellt also im Falle der Aaneming der Anwalt<br />

seine Aktivität in den Dienst des Klienten und verrichtet<br />

für ihn intellektuelle Arbeit gegen Vergütung; als typische<br />

Fallgruppen lassen sich somit inter alia die juristische Auskunft<br />

und Beratung oder kautelarjuristische Tätigkeiten<br />

klassifizieren. 13<br />

bb) korrespondierender Pflichtenkreis<br />

Der Anwalt hat zunächst die vornehmste Pflicht, die<br />

auszuführende Aufgabe gut und vor allem rechtzeitig zu erledigen.<br />

Gut auszuführen umfasst hierbei nicht nur die<br />

Pflicht zu gewissenhafter Beratung und Beistand, sondern<br />

auch – sobald sich der Anwalt einer Sache einmal angenommen<br />

hat – eine umfassende Berücksichtigung der Belange<br />

des Klienten. 14 Der Rat gebende Anwalt ist haftbar<br />

für Irrtümer hinsichtlich seiner Auskunft, die ein normaler,<br />

vernünftiger und gewissenhafter Anwalt15 in derselben Situation<br />

nicht begangen hätte. 16 Hier wird der Vergleich zu<br />

einem Ratgeber gezogen, der in Übereinstimmung mit der<br />

herrschenden Literaturansicht oder der Spruchpraxis der<br />

Gerichte Auskunft gibt. Natürlich kann im Gegenzug der<br />

Anwalt bei einem streitigen Sachverhalt nicht verantwortlich<br />

gemacht werden, wenn seine Sichtweise von den Gerichten<br />

nicht geteilt wird, zumindest auch dann nicht, wenn<br />

seine Rechtsauffassung hierzu nicht a priori falsch war. 17<br />

Zu einem Fehler führt freilich die unterbliebene Mitteilung<br />

an den Klienten, wenn für den Anwalt eine Divergenz in<br />

Rechtsprechung und Schrifttum zum beurteilenden Sachverhalt<br />

zu erkennen war. 18 Stellt der Anwalt überhaupt keine<br />

Untersuchung der Rechtslage an und gibt eine inkorrekte<br />

Auskunft, so ist er zweifelsohne haftbar.<br />

b) Lastgeving – Mandaat ad litem<br />

aa) Entstehung und Inhalt<br />

Soll der Anwalt die Belange des Klienten in einem Prozess<br />

wahrnehmen und erteilt der Klient ihm eine umfassende<br />

Vollmacht für die Prozessführung gem. Art. 1984<br />

B.W., so entsteht in Belgien Kraft Gesetzes ein Mandaat ad<br />

litem. Im Gegensatz zur Aanneming zeichnet sich die hier<br />

in Frage kommende Lastgeving durch ein Plus an Vertretungsbefugnis<br />

aus. 19 Wiederholtermaßen wurde unterstrichen,<br />

dass sich das Mandat ad litem darauf beschränkt, Prozesshandlungen<br />

vorzunehmen. 20 Wann und wie lange der<br />

Anwalt allerdings ein Mandat ad litem erhält, soll nach der<br />

Rechtsprechung dem „Gutdünken“ des Klienten überlassen<br />

sein. 21<br />

bb) Überschreitung des Mandat ad litem<br />

Das Mandat ad litem erstreckt sich nur auf jene Rechtzüge,<br />

für die der Anwalt eine Vollmacht erhalten hat. Niederschlag<br />

gefunden hat dies in Art. 1998 B.W. Abs. 2, wonach<br />

der Klient dann nicht gebunden ist, wenn er einer<br />

Überschreitung der Vollmacht nicht ausdrücklich oder konkludent<br />

zustimmt. Somit kann der Mandant anführen, dass<br />

der Anwalt für eine spezielle Prozessform nicht autorisiert<br />

war und erhält hiermit die Möglichkeit, das Verfahren zu<br />

revidieren. 22 Im Gegenzug muss der Anwalt aber die Annahme<br />

eines Mandates ablehnen, wenn er zur Wahrnehmung<br />

dessen nicht gewachsen ist. 23 So er den Mandanten<br />

dann nicht weiter verweist, begeht er einen Fehler und<br />

macht sich haftpflichtig.<br />

cc) Pflichtenkreis<br />

Sobald an den Anwalt ein Mandat ad litem gegeben<br />

wurde, hat der Anwalt die Pflicht, dieses auszuführen und<br />

seinem Mandanten Rechenschaft abzulegen. 24 Dogmatisch<br />

unterschieden werden die Verpflichtungen des Anwalts in<br />

Resultaats- und Middelenverbintenissen. 25 Während erstere<br />

die Verpflichtung zur Erzielung eines bestimmten Ergebnisses<br />

beinhaltet, verlangt letztere ein Maximum an Anstrengung<br />

bzw. Sorgfalt zur Erreichung eines bestimmten Resultats.<br />

26 Verpflichtet wird der Anwalt also zu zweierlei:<br />

Formell muss er bei Gericht erscheinen und dort die nötigen<br />

Prozesshandlungen vornehmen. 27 In diesem Zusammenhang<br />

hat er vor allem die Forderungen rechtzeitig geltend<br />

zu machen, den Eintritt von Verjährungen zu<br />

vermeiden und die notwendigen Rechtsmittel fristgerecht<br />

einzulegen. 28<br />

Inhaltlich trägt der Anwalt keine Obligation ein bestimmtes<br />

Ergebnis zu erzielen oder gar den Prozess zu gewinnen.<br />

Er muss freilich seine maximal möglichen Anstrengungen<br />

unternehmen, um den Mandanten vor Gericht<br />

zu vertreten respektive einen für den Klienten durchsetzbaren<br />

Titel zu erwirken. 29 Bei der Ausführung des ihm anvertrauten<br />

Mandats ist der Anwalt nach der Rechtsprechung<br />

zwar einerseits verpflichtet, sich an die durch den<br />

Mandanten vorgegebenen Richtungen und Hinweise zu halten.<br />

Andererseits hat er aber gleichermaßen zu berücksichtigen,<br />

dass er seine Freiheit zum Handeln und die Prozessleitung<br />

behält und die nach seiner Ansicht notwendigen<br />

Strategien und Initiativen trifft. Letzteres natürlich stets<br />

nach seinem besten Vermögen und Sachverstand, innerhalb<br />

der ihm berufsrechtlich gesetzten Grenzen, um den Belangen<br />

seines Klienten umfassend Rechnung zu tragen. 30<br />

13 Ohne allerdings für diese eine Prozessvertretung zu übernehmen. Merchiers,<br />

Y.; Bijzondere Overeenkomsten, Brüssel 2000; S. 220 ff.<br />

14 Unter Zuhilfenahme der bestmöglichen Anstrengungen. Mahieu M.; Baudrez,<br />

J.; De Belgische Advocatuur, Leieland 1980; S. 38.<br />

15 Zum Sorgfaltsmaßstab der culpa levis in abstracto sogleich unter 4.<br />

16 Reich, (siehe Fn. 5), S. 36.<br />

17 Reich, ebd.<br />

18 Der Anwalt kann sich mithin nicht entlasten aus Gründen von Interpretationsfehlern.<br />

19 Das Kriterium der Vertretungsbefugnis wird als wesentliches Unterscheidungskriterium<br />

zwischen aaneming und lastgeving angesehen. Zum Ganzen: Herbots,<br />

J.H.; Bijzondere overeenkomsten, Leuven 2000; S. 257 f.<br />

20 Kein mandaat ad litem liegt beispielsweise vor bei bloßer Unterzeichung von<br />

Verträgen für den Klienten, oder in der Empfangnahme von für den Klienten<br />

bestimmten Mahnungen. Weitere Ausnahmen siehe Depuydt, De aansprakelijkheid<br />

van Advokaten, Tien jaar rechtsspraak (1983 – 1992); Antwerpen<br />

1993, S. 52/53.<br />

21 Rad van Staate, Revue de jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles (J.L.M.B.)<br />

1990, S. 1406.<br />

22 Die Beweislast obliegt dann dem Klienten. Reich, (siehe Fn. 5), S. 29.<br />

23 Dies insbesondere bei Sachverhalten für einen Spezialisten. Hier sollte sich<br />

der Anwalt die Annahme reiflich überlegen, denn es wird angenommen, dass<br />

er dieses Mandat dann wie ein Fachmann übernimmt.<br />

Die Ablehnung oder eine andere Beendigung des Vertrages muss der Anwalt<br />

deutlich zum Ausdruck bringen. Depuydt, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk<br />

recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298); Lambert, P.; Règles et usages de la profession<br />

d’advocat du bureau de Bruxelles, Brüssel 1980, S. 359 f.<br />

24 Den Prozess muss er mindestens bis zum Urteil beobachten. Merchiers, (siehe<br />

Fn. 15), S. 269 f.<br />

25 Dies gilt freilich nicht nur in der Anwaltshaftung. Zeitgleich werden hier auch<br />

obligation de résultat bzw. obligation de moyens verwendet.<br />

26 Depuydt, (vgl. Fn. 28).<br />

27 Anderenfalls stellt das Nichterscheinen einen Fehler dar. Rechtbank Brussel,<br />

1988, A.R. nr 12. 502. Auch darf er sich nicht durch einen „stagair“ vertreten<br />

lassen. Rechtbank Brussel, 1990, A.R. 1783/88 (nicht veröffentlicht).<br />

28 Dies umfasst alle Berufungsmöglichkeiten und Instanzenwege. Zu weiteren<br />

Handlungen siehe Art. 751 Ger.W.; Zur Kasuistik Depuydt, (vgl. Fn. 28),<br />

S. 297; ausführlicher: ders. (vgl. Fn. 24), S. 63 ff.<br />

29 „Zijn uiterst best doen.., Merchiers, (vgl. Fn. 15) oder “[..] to use his best endeavours,<br />

when he gives advice or pleads before a court., so Reich, (Fn. 5),<br />

S. 31.


776<br />

MN<br />

4. Sorgfaltskriterium<br />

Die frühere Ansicht, welche den Anwalt nur für Vorsatz<br />

oder schwerwiegende Fehler haften ließ, gilt nun als überkommen.<br />

31 Die Verantwortlichkeit solle eher im Lichte des<br />

Art. 1992 B.W. beurteilt werden. Nach diesem ist der Mandatführer<br />

nicht allein für Vorsatz verantwortlich, sondern<br />

auch für Verschulden während der Ausführung des Mandates.<br />

Den Sorgfaltsmaßstab bildet die culpa levis in abstracto.<br />

Zurückgegriffen wird hier auf den bonus pater familias<br />

in absolut objektiver Betrachtungsweise: 32 – Konkret<br />

ist die Rechtsprechung gefestigter Meinung, dass der Anwalt<br />

beim Geben von Rat und Beistand gerade kein bestimmtes<br />

Resultat schulde (Middelenverbintenis). Die Haftung<br />

beurteile sich im Lichte des Verhaltens eines<br />

normalen, sorgfältigen, umsichtigen und fähigen Anwalts. 33<br />

Zu Grunde gelegt wird hier keine ex-post Beurteilung: Es<br />

wird geprüft, wie ein durchschnittlicher und gewissenhafter,<br />

vorausschauender Berater in der Rolle eines gerade in<br />

diesem Zeitpunkt und unter denselben Umständen tätigen<br />

Anwalts gehandelt hätte. 34 Persönliche Schwächen wie z. B.<br />

Alter, Spezialisierung oder Gesundheit sollen außerhalb der<br />

Betrachtung bleiben. 35<br />

5. Schaden<br />

a) Schade en Schadeloosstelling<br />

Sobald das Gericht einen Fehler (Pflichtverletzung) des<br />

Anwalts festgestellt hat, untersucht es, ob beim Klienten<br />

ein Schaden eingetreten ist. 36 Regelungen über den Schaden<br />

bei vertraglichen Pflichtverletzungen lassen sich den<br />

Artt. 1146 ff. B. W. entnehmen. Allgemein besteht gem.<br />

Art. 1149 B. W. der Ausgleich der beim Gläubiger eingetretenen<br />

Schadenspositionen in den tatsächlich dem Gläubiger<br />

erlittenen Verlusten und gleichsam im eventuell entgangenen<br />

Gewinn. Bei der vertraglichen Haftung muss der<br />

Schuldner, so die Nichterfüllung der Pflichten nicht vorsätzlich<br />

geschah, nur die Schäden ausgleichen, die redlicherweise<br />

vorhersehbar waren oder die der Schädigende<br />

hat vorhersehen können im Augenblick der Vertragseingehung,<br />

Art. 1150 B.W. Im Fall der vorsätzlichen Nichterfüllung<br />

werden allerdings gem. Art. 1151 B. W. alle direkten<br />

und unmittelbaren Schäden erfasst. 37<br />

b) Voorzienbaarheid Vorhersehbarkeit<br />

Aus dem eben Erwähnten lässt sich entnehmen, dass im<br />

Fall vertraglicher Haftung nicht jeder Schadensposten in<br />

Betracht kommt, sondern nur die voraussehbaren. Mithin<br />

alle Schäden, deren Eintritt bei Vertragsschluss für den<br />

schädigenden Handelnden vorherzusehen war. 38 Bei der Bestimmung<br />

der Vorhersehbarkeit wird in concreto das Handeln<br />

des Schadensverursachers geprüft an einem gewissen<br />

Vergleichsmaßstab, unter Berücksichtigung der Umstände<br />

des Handelnden. 39 Vergleichskriterium ist wiederum der bonus<br />

pater familias. Ein Berufskundiger muss demnach nicht<br />

nur die positiven, sondern auch die negativen Folgen seiner<br />

Handlungen erkennen und vorhersehen können. 40<br />

c) Kansverlies – Chancenverlust<br />

Bei der Tätigkeit des Anwalts im Rahmen des Mandaat<br />

ad litem liegt in den meisten Fällen ein möglicher Schaden<br />

im Verlust der Möglichkeit auf einen Prozess. So wenn der<br />

Anwalt den Klienten durch seine Tätigkeit in eine Situation<br />

bringt, in der ein Gerichtsverfahren unterbleibt41 :<br />

AnwBl 12/2005<br />

Mitteilungen<br />

Hier wird die Frage aufgeworfen, ob denn der hypothetische<br />

Prozess überhaupt zum Erfolg führen konnte. 42 Angeführt<br />

wird, dass der Klient als Schaden lediglich eine<br />

Chance auf einen Prozess bzw. Erfolg oder Verbesserung<br />

seiner Rechtsposition verloren hat. 43 Einig ist man sich insoweit,<br />

als der durch die entgangene Berufungsmöglichkeit<br />

entstandene Schaden nur ersetzt werde, wenn die Möglichkeit<br />

auf einen Prozesserfolg ohne den Fehler nicht rein hypothetisch<br />

war. 44 Bestand also eine genügend große Wahrscheinlichkeit<br />

auf den Eintritt eines Prozesserfolges? Bei<br />

der Evaluierung dieser Erfolgswahrscheinlichkeit, so die<br />

Rechtsprechung, darf sich der Richter nicht in die Rolle des<br />

im Anfangsprozess Beurteilenden begeben. 45 Hiernach ist<br />

der Schaden der Verlust der Möglichkeit als solcher. Mit<br />

anderen Worten: der Verlust des Rechts auf Berufung oder<br />

Klageerhebung.<br />

Die Lehre verlangt, dass der Richter sich in die hypothetische<br />

Lage des beurteilenden Richters versetzte. Dann sei<br />

die Wahrscheinlichkeit zu untersuchen, mit der ein Prozess<br />

zu einem anderen Urteil geführt hätte, wären die erforderlichen<br />

Handlungen vom Anwalt vorgenommen worden. 46<br />

30 Storme, M.; Aansprakelijkheid voor procesvoering, in: Recht Halen uit Aansprakelijkheid,<br />

Gent 1993; S. 187.<br />

31 Ausführlich und mit zahlreichen Belegen zu dieser weitgehenden Immunität:<br />

Depuydt, Handbuch, Nr. 22.<br />

32 Reich, (siehe Fn. 5), S. 31.<br />

33 Rechtbank Nivelles, 1985, Revue générale des assurances et des responsabilités<br />

(R.G.A.R.) 1986, nr. 11.091; Rechtbank Turnhout, 1989, Turnhouts Rechtsleven<br />

(Turnh. Rechtsl.) 1990, S. 18; Rechtbank Brussel, 1990, Rechtskundig<br />

weekblad (R.W.), 1991-92, S. 823; ebd, 1991, Tijdschrift voor verzekeringen<br />

(De Verz.) 1991, S. 703.<br />

34 Oder anders gewendet: Hat sich der Anwalt so verhalten, wie es von einem<br />

normalen und sorgfältigen Anwalt erwartet werden durfte. Exemplarisch: Hof<br />

van beroep te Gent, Rechtskundig Weekblad (R.W.) 1982-83, S. 440.<br />

35 Reich, (siehe Fn. 5), S. 31. Zur Frage der Spezialisierung beachte allerdings die<br />

vermeintliche Sonderansicht für die eingetragenen Fachanwälte von Braun,<br />

Tout savoir sur les avocats, Sommaire du Numero 1993, S. 94: „[..] la responsabilité<br />

de l’avocats spécialiste sera, en son domaine, évidemment accrue, puisque<br />

c’est en considération de sa compétance prétendue, sur la foi de sa seule<br />

affirmation, que le client se sera adressé à lui.“ Dagegen Depuydt, Handbuch,<br />

Nr. 23 und Schamps, Revue de jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles<br />

(J.L.M.B.) 1994, S. 47, 48.<br />

36 Reich, (vgl. Fn. 5), S. 35.<br />

37 Depuydt, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298).<br />

38 Zur Verdeutlichung lässt sich der Anwalt anführen, der vergisst den Mietvertrag<br />

über das Geschäft seines Klienten zu verlängern. Nicht nur, dass der<br />

Klient Gewinnausfälle durch die wegfallenden Kunden hat, sondern zu allem<br />

Überfluss lässt sich seine Frau von ihm scheiden und verlangt Unterhalt. Letzteres<br />

hat im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Anwalt der Anwalt<br />

selbst und niemand anders vorhersehen können.<br />

39 Rechtbank Gent 1998, Algemeen juridisch tijdschrift (A.J.T.) 1998-99, S. 85;<br />

Cousy, Wrongfulness in Belgian Tort Law, in: Unification of Tort Law-Wrongfulness,<br />

H. Koziol (Edit.), The Hague, London [u. a.] 1998; S. 33.<br />

40 Vandenberghe, van Quickenborne und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak<br />

(1994–1999), Aansprakelijkheid uit onrechtmatige daad.“, Tijdschrift voor privaatrecht<br />

(T.P.R.) 2000, S. 1594. Gegebenenfalls hat der Anwalt, so er den Eintritt<br />

eines Schadens erkennt, die nötigen Gegenmaßnahmen zur Verhinderung<br />

zu treffen.<br />

41 Erfasst werden Fallgruppen, in denen die Berufung unterbleibt, zu spät eingereicht<br />

wurde und gleichsam sämtliche Fristversäumnisfälle.<br />

42 Depuydt, Handbuch, Nr. 28; ders. (vgl. Fn. 24), S. 22 ff.<br />

43 Zum „kansverlies“; Ronse, De Wilde; Schade en Schadeloosstelling, deel 1,<br />

Gent 1988, S. 103f.<br />

44 Mit anderen Worten wird hier gefragt, ob es hinreichend wahrscheinlich war,<br />

dass der Schaden nicht geschehen wäre ohne den Fehler des Anwalts. Depuydt,<br />

Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298);<br />

Rechtbank Brussel, 1971, Journal des Tribunaux (J.T.) 1972, S. 192 ff.; Hof<br />

van Beroep Gent, 1981, Rechtskundig Weekblad (R.W.) 1982 – 83, S. 439 ff.<br />

45 Er untersucht lediglich, ob es in diesem nicht stattgefundenen Prozess Anzeichen<br />

gab, die mit einer genügenden Wahrscheinlichkeit zu einer rechtskräftigen<br />

für den Mandanten erfolgreicheren Urteil geführt hätten.<br />

46 Reich, (siehe Fn. 5), S. 35. Anders wiederum Depuydt, (siehe Fn. 24), S. 24,<br />

der in beide Richtungen abwägt: Der Richter dürfe sich nicht an die Stelle des<br />

Erstrichters begeben und eine fiktive Lösung vorstellen, die dann als vermeintlich<br />

einzig Richtige präsentiert wird. Andererseits solle er ebenso wenig jede<br />

Annäherung hinsichtlich der Fakten und Vorträge des erstbeurteilenden Falls<br />

außer Betracht lassen. Weiter zum delikaten Fall, wenn der Richter in einer unterbliebenen<br />

Berufung seine eigenen Fehler zu evaluieren hat: Depuydt, Tijdschrift<br />

voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298, 299), ders.<br />

Handbuch, Rn. 29.


AnwBl 12/2005 777<br />

Mitteilungen MN<br />

d) Schadenshöhe beim kansverlies<br />

Schließlich muss der Richter im Haftpflichtprozess noch<br />

die Höhe der verlorenen Chance und damit die zu kompensierenden<br />

Verluste festlegen. Dies erfolgt primär durch eine<br />

Schätzung des wirtschaftlichen Wertes der Möglichkeit.<br />

Die präzise Determinierung ist freilich differenzierter. 47<br />

Bei einer auf anwaltlichen Raterteilung nicht erfolgten<br />

Berufung hat eine doppelte Untersuchung zu erfolgen: Zum<br />

einen bezogen auf die Vertragsverletzung und zum anderen<br />

auf ein möglich besseres Urteil im hypothetischen Prozess.<br />

48 Die Höhe des Schadens wird dann nach freiem richterlichen<br />

Ermessen bestimmt. Es trägt allerdings die Erwägung,<br />

dass es kaum möglich sei, auf präzise Art und Weise<br />

einen derartigen Schaden zu determinieren. Daher spielen<br />

die Höhe der festgestellten Wahrscheinlichkeit der verlorenen<br />

Chance bzw. deren Wert sowie die Gesichtspunkte ex<br />

aequo et bono hierein. 49<br />

6. Kausalität<br />

Es muss zwischen dem Anwaltsfehler und dem Schaden<br />

ein notwendiger Zusammenhang von Ursache und Folge<br />

bestehen. 50 Die Gerichte greifen bei der Bestimmung der<br />

Kausalität weiterhin auf die conditio sine qua non Formel<br />

zurück. Man hält im Wesentlichen daran fest, dass dies ein<br />

einziges und ausreichendes Kriterium sei, stößt allerdings<br />

häufig auf Kritik aus dem Schrifttum. 51 Eine Begrenzung<br />

ist freilich die Methode der konkreten Schadensfeststellung.<br />

52 Das Gericht versucht nämlich den Schaden so präzise<br />

wie möglich zu bestimmen, denn je weiter und genereller<br />

der Schaden beschrieben wird, umso<br />

wahrscheinlicher ist auch, dass er auf irgendeine Weise eingetreten<br />

ist. Folgerichtig kann demnach, bei mehr Beachtung<br />

der aktuellen Umstände der Schadensentstehung, dieser<br />

sehr präzise festgestellte Schaden auch nur auf einem<br />

bestimmten schädigenden Verhalten beruhen. Versuchen<br />

der Lehre, die Äquivalenzformel durch eigene Stellungnahmen<br />

zu kritisieren 53 , hat die Rechtsprechung fortwährend<br />

Absagen erteilt und ihre eigene Lösung vorgezogen. Dieses<br />

caselaw erscheint zwar undurchsichtig und wenig dogmatisch.<br />

Im Gegenzug wurden aber keine Illustrationen von<br />

potentiellen Extremanwendungen beobachtet. 54 Ferner werden<br />

von den Gerichten stillschweigend genügend Wertungen<br />

vorgenommen. Zudem hat der Kassationshof – cour<br />

des cassation – nach den Artt. 608 ff. Ger.W. keine Entscheidungsbefugnis<br />

über Tatsachenfragen, wie hier der Rekonstruktion<br />

der ursächlichen Ereignisse, angenommen das<br />

schädigende Ereignis wäre ausgeblieben. Nichtsdestoweniger<br />

wurden bezogen auf die Anwaltshaftung folgende Fallgruppen<br />

erwähnt: Der ursächliche Zusammenhang und damit<br />

die Haftung können entfallen, wenn eine<br />

schadensbegründende Ursache von außen gesetzt wurde. 55<br />

Dieses Ereignis muss allerdings ein absolutes Hindernis<br />

der Pflichterfüllung des Schuldners darstellen und nicht den<br />

Fehlern des Schuldners zuzurechnen sein. 56 Beispielsweise<br />

verneint wurde das ursächliche Band bei einem Prozess,<br />

der niemals zum Erfolg hätte führen können. 57<br />

7. Beweisfragen<br />

Die Beweislast bestimmt sich in der belgischen Anwaltshaftung<br />

nach den allgemeinen Regeln der Art. 870 ff. Ger.W.,<br />

d. h. der Klient hat grundsätzlich alle von ihm vorgetragenen<br />

Fakten, mithin die anspruchsbegründenden Merkmale zu beweisen.<br />

Mitunter kann sich die vom Klient zu tragende Beweislast<br />

schwierig gestalten, so z. B. beim Beweis des über-<br />

nommenen Mandats 58 oder im Fall der Middelenverbintenis,<br />

wenn der Mandant zu beweisen hat, dass der Anwalt nicht<br />

wie ein verständiger und normaler Ratgeber gehandelt hat. 59<br />

Abgesehen von der Vorhersehbarkeit trägt der Klient auch<br />

bei der Bestimmung des Schadens die Beweislast.<br />

8. Haftungsbeschränkung<br />

Prinzipiell genießt nach belgischem Recht jede Person<br />

die Freiheit, alles mit jedem zu vereinbaren, was nicht gegen<br />

die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder gegen<br />

mandatory law verstößt.<br />

Grundsätzlich kann daher der Anwalt seine Haftung vertraglich<br />

beschränken. Nur Bestimmungen, die eine vorsätzliche<br />

Haftung ausschließen oder den Vertragszweck außer<br />

Kraft setzen, sind rechtlich nicht einklagbar. Letztlich wird<br />

aus Gründen des wirtschaftlich-existentiellen Schutzes darauf<br />

hingewiesen, dass sich die Advokatur eher berufshaftpflichtig<br />

absichern solle, statt durch Haftungsbeschränkungen<br />

die Risiken über Gebühr auf den Klienten zu<br />

verlagern. 60 Solch eine Beschränkung hebe sonst die Haftung<br />

zum Nachteil der Kunden auf, wohingegen die Versicherung<br />

einen Teil der finanziellen Risiken trage.<br />

9.Verjährung<br />

Berufshaftungsrechtliche Ansprüche gegen den Anwalt<br />

verjähren nach der Spezialnorm des Art. 2276bis B.W. in 5<br />

Jahren. Ihr Lauf beginnt nicht mit Begehung des Fehlers,<br />

sondern regelmäßig mit Beendigung des Mandats. 61 Eben-<br />

47 So werden in Urteilen teilweise Bruchteils- oder prozentuale Wahrscheinlichkeiten<br />

angenommen, oder aber Formulierungen wie „außerordentlich gering“,<br />

„sehr groß“ oder „eine Chance, deren Wahrscheinlichkeit an das sicher Eintretende<br />

grenzt“ verwendet. Hierzu Depuydt, ebd. mit weiteren Nachweisen und<br />

Anmerkungen zu den Urteilen.<br />

48 Ebd.<br />

49 Rechtbank Brussel, 1986, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.)<br />

1987, S. 186; Rechtbank Liége, 1991, Revue de jurisprudence de Liège, Mons<br />

et Bruxelles (J.L.M.B.) 1992, S. 1457.<br />

50 Depuydt, (vgl. Fn. 24), S. 40/41.<br />

51 Es wird keine Unterscheidung gemacht, ob die ursächlichen Ereignisse adäquat,<br />

direkt oder „normale“ Ursachen sind. Alles wird als äquivalent angesehen.<br />

Zum case law Adams, „Law is as I’ve told you before“. Over de zwaartekrachtwerking<br />

van rechterlijke uitspraken in Belgie., Tijdschrift voor<br />

Privaatrecht, 1997, S. 1373f.<br />

52 Cour d. Cass. 1956, Pasicrisie I, 1094: „Attendu qu’il y a relation de cause à<br />

effet (si), sans la faute, le dommage tel qu’ il se présente in concreto, ne se serait<br />

pas réalisé. Qu’en décidant qu’il ný a pas de relation de cause à effet. ..en<br />

se fondant uniquement sur ce que le dommage eût pu se produire sans la faute,<br />

mais en s’abstenant de prendre en considération le dommage in concreto, tel<br />

qu’il est produit, à telle date et dans telles circonstances déterminées, le juge<br />

du fond a violé l’article 1382 du Code Civil ».<br />

53 Siehe zu den verschiedenen Theorien. Cousy, Vanderspikken, Causation under<br />

Belgian Law, in: Unification of Tort Law- Causation, H. Koziol (Edit.), The<br />

Hague, London [u.a.] 2000., S. 24.<br />

54 Dies mag daran liegen, dass die Kläger davon absehen, gegen „fern liegende“<br />

Schädigende vorzugehen. Oder schlichtweg daran, dass es in einem kleinen<br />

Land wie Belgien nicht genug veröffentliche Rechtsprechung gibt, die solche<br />

eventuellen Fehlschläge illustriert.<br />

55 Solche „external causes“ können sein: Force majeure, „acts of government“<br />

oder Dazwischentreten Dritter.<br />

56 Sofern der Anwalt dies beweisen kann, wird der Fehler nicht ihm zugeordnet<br />

und er ist nicht haftbar. Reich, (siehe Fn. 5), S. 41, der hier die Aussprachen<br />

der Rspr. verwendet, aber nicht mit weiteren Angaben belegt.<br />

57 Weitere Fallgruppen bei Depuydt, (vgl. Fn. 24), S. 40/41; ders. Handbuch, Rn.<br />

49 – 51.<br />

58 So hat er hier nicht nur den Umfang, sondern ggf. auch zu beweisen, dass das<br />

Mandat rechtzeitig erteilt wurde, vorausgesetzt, der Anwalt hatte die Verjährung<br />

zu vermeiden. Siehe nur Depuydt, (vgl. Fn. 24), S. 66.<br />

59 Reich, (siehe Fn. 5), S. 42.<br />

60 Zwar können schon kleine Fehler zu einem Haftpflichtfall (culpa levis in abstracto)<br />

und somit bei größeren zum Ruin des Anwalts führen. Doch dann soll<br />

bei einem high-value-case eher eine zusätzliche Versicherung abgeschlossen<br />

werden, anstatt Misstrauen beim Kunden zu erwecken. Zum Ganzen: Reich,<br />

(siehe Fn. 5), S. 42, 43.<br />

61 Konkret soll dieser Zeitpunkt durch die Gerichte bestimmt werden. Anhaltspunkte<br />

können aber z. B. der Tod des Anwalts, Widerruf durch den Klient, Beendigung<br />

des Prozesses durch vollstreckbares Urteil oder Zurücksenden der


778<br />

MN<br />

falls nach 5 Jahren verjähren die Vergütungsforderungen<br />

des Anwalts gegen den Mandanten, Art. 2276 bis §2B.W.<br />

10. Haftung gegenüber Dritten<br />

a) Haftung für „onrechtmatige daad“<br />

Der Advocaat ist hinsichtlich der außervertraglichen<br />

Haftung gegenüber Dritten 62 der deliktischen Generalklausel<br />

(Haftung für onrechtmatige daad 63 in den Artt. 1382 ff.<br />

B.W.) unterworfen. Vergleichbar mit dem französischen<br />

Recht greift diese nur ein, wenn zwischen Schädigenden<br />

und Geschädigten keine vertraglichen Beziehungen vorliegen.<br />

64<br />

Rechtsprechung und Lehre entnehmen den Artt. 1382<br />

und 1383 B.W. die drei Voraussetzungen der Existenz einer<br />

unerlaubten Handlung (fout – la faute), eines Schadens und<br />

der Ursächlichkeit zwischen fout und schade 65 .<br />

Das Konzept der fout besteht aus einem objektiven und<br />

subjektiven Element. 66 Letztere Komponente der fout besitzt<br />

lediglich den Charakter einer Zurechenbarkeit. 67 Die<br />

objektive unerlaubte Handlung 68 erfährt wiederum eine<br />

zweispurige Differenzierung:<br />

Entweder kann die onrechtmatige daad im Verfehlen<br />

oder Überschreiten einer spezifischen, ein bestimmtes Verhalten<br />

anordnenden oder den Einzelnen schützenden Norm<br />

liegen 69 , oder im Verstoß gegen die allgemeine Sorgfalt. 70<br />

Die Verletzung und Übertretung dieser allgemeinen Pflicht<br />

auf Rücksicht, Vorausschau und Sorgfalt begründet zusammen<br />

mit dem Kriterium des bonus pater familias die außervertragliche<br />

Haftung. 71<br />

b) Haftung gegenüber der Gegenpartei<br />

Die im Rahmen der Dritthaftung am häufigsten untersuchte<br />

Fallgruppe stellt die Haftung des Anwalts gegenüber<br />

der Gegenpartei dar. 72 Als außervertragliche Fehler im<br />

Sinne des Art. 1382 B.W. wurden gegenüber der Gegenpartei<br />

ein berufsrechtliches Zurückbleiben der Standards in der<br />

Prozessführung oder aber – nur vereinzelt – ein „Bruch der<br />

beruflichen Spielregeln unter Kollegen“ 73 gesehen. Insbesondere<br />

wenn der Anwalt leichtfertig einen herausfordernden<br />

Prozess gegen die andere Partei unternimmt, von<br />

welchem ein besonnener und vorausblickender Anwalt abgeraten<br />

hätte. 74 Hier wird deutlich, dass die Gerichte eher<br />

die Kategorie der allgemeinen Pflicht zur Sorgfalt und Vorsicht<br />

anwenden, welche der Anwalt beim Umgang mit<br />

Dritten einzuhalten habe. Diese Pflicht des Umgangs mit<br />

der Gegenpartei ist jedenfalls dann noch nicht berührt,<br />

wenn der Anwalt lediglich mit seiner Pflichterfüllung gegenüber<br />

dem Mandanten im Rückstand geblieben ist oder<br />

aber eine offensivere Strategie gegen die Gegenpartei führt.<br />

Sie darf gleichsam aber nicht weniger als schädliche Initiativen<br />

gegen die Gegenpartei umfassen, denn wie solle mit<br />

einem Übermaß an Sorgfalt mit der Gegenpartei den Gedanken<br />

einer umfassenden Interessenwahrnehmung für den<br />

eigenen Mandanten Rechnung getragen werden? Letztlich<br />

könnte sich der Anwalt dann Haftpflichtforderungen seines<br />

Mandanten entgegengesellt sehen, ihn zu lax verteidigt zu<br />

haben.<br />

11. Zusammenschau<br />

Die Haftung der Advokaten basiert in Belgien weitestgehend<br />

auf einer vertraglichen Grundlage. Hierbei wird<br />

strikt tätigkeitsbezogen zwischen den Verträgen für das Geben<br />

von Rat und Auskunft sowie dem Mandat für die Prozessführung<br />

getrennt. Einhergehend damit korrespondiert<br />

AnwBl 12/2005<br />

Mitteilungen<br />

dann das vom Anwalt einzuhaltende Pflichtenprogramm.<br />

Letzteres ist zum Nachteil der Ratgebenden eher weitläufig,<br />

wenn als Maxime die umfassende Wahrnehmung der Mandanteninteressen<br />

gilt. Subjektives Korrektiv dieser mitunter<br />

hohen Anforderungen an die Advokaten bildet der Sorgfaltsmaßstab,<br />

welcher sich an einem mit mittlerer Kompetenz<br />

und gewöhnlicher Nachsicht tätigen Anwalt orientiert.<br />

Die auf den ersten Blick weite Kausalität wird durch die<br />

Methode der konkreten Schadensbestimmung und das konstitutive<br />

Element der Vorhersehbarkeit des Schadens begrenzt.<br />

Damit sollen nach dem Ausgleichsgedanken die<br />

beim Mandanten durch die Pflichtverletzung eingetretenen<br />

finanziellen Defizite kompensiert werden. Hinsichtlich des<br />

Verlustes der Möglichkeit auf einen Prozess bedeutet dies<br />

allerdings lediglich den Ersatz des Wertes einer verloren<br />

gegangenen materiellrechtlich zustehenden Position. Bei<br />

den anzutretenden Beweisfragen kann es mitunter für den<br />

Mandanten schwierig werden, jedoch greifen auch hier Erleichterungen.<br />

Eine relativ lange Verjährungsfrist von fünf<br />

Jahren lässt insofern die belgische Mandantschaft wieder<br />

profitieren.<br />

Nach diesem existiert in Belgien ein multiples (Pflichten-)System<br />

der Haftung, welches im Falle eines Fehlverhaltens<br />

den Ausgleich des Spannungsfeldes zwischen dem<br />

fachwissentlich überlegenen Rechtsberater und dem Ratund<br />

Auskunftssuchenden findet.<br />

Prozessakte sein. Sterckx, Journal des Tribunaux (J.T.) 1985, S. 533ff.; van Oevelen,<br />

Tijdschrift voor privaatrecht (T.P.R.) 1987, S. 1795-1796.<br />

62 Dritte in diesem verstandenen Sinne sind zunächst alle, die nicht vertraglich<br />

mit dem Anwalt verbunden sind.<br />

63 Teils ist synonym von “Aquiliaanse aansprakelijkheid die Rede.<br />

64 Zum Ganzen siehe die beiden Übersichten der „onrechtmatigen daad“ von<br />

Vandenberghe, van Quickenborne und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak<br />

(1985-1993). Aansprakelijkheid uit onrechtmatige daad.“, Tijdschrift voor privaatrecht<br />

(T.P.R.) 1995, S. 1115-1534; dies., „Overzicht van Rechtsspraak<br />

(1994-1999), T.P.R. 2000, S. 1558ff.<br />

65 Cousy, (vgl. Fn. 39), S. 31; ders., Vanderspikken (vgl. Fn. 64), S. 23.<br />

66 Cousy, (vgl. Fn. 39), S. 31.<br />

67 So entfällt die Haftung der Kinder, Geistesgestörter oder jener, die zeitweise<br />

außerhalb ihrer Willensfähigkeit sind. Allgemein: Vandenberghe, van Quickenborne<br />

und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak (1994-1999), Aansprake-<br />

68 So als „Onrechtmatige daad“ oder „unlawful behaviour“ bezeichnet.<br />

69 In diesem Fall ist der bloße Verstoß bereits aus sich selbst heraus illegal. Diesem<br />

gleich kommt ein vorsätzliches Handeln des Schädigenden.<br />

70 Vandenberghe, van Quickenborne und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak<br />

(1985-1993), Tijdschrift voor privaatrecht (T.P.R.) 1995, S. 1115.<br />

71 Rechtbank Luik, 1999, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.)<br />

2000, S. 564; Arresten van het Hof van Cassatie (Arr.Cass.) 1994, Revue de<br />

jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles (J.L.M.B.) 1995, S. 387.<br />

72 Neben diesem wurden nur sporadisch Fälle der Haftung gegenüber den Mitarbeitern<br />

(confrater) aus Loyalitätspflichten, oder anderen Dritten wie z. B. der<br />

Mitvertragspartner oder Versicherer des Klienten untersucht. Eingehender Depuydt,<br />

(vgl. Fn. 24), S. 96f, 99f.<br />

73 So ist von deontologische tekortkomingen und inbreuk op deze spelregels die<br />

Rede, Depuydt, Handbuch, Rn. 177.<br />

74 Storme, (vgl. Fn. 36), S. 175.


AnwBl 12/2005 779<br />

Mitteilungen MN<br />

Internationales<br />

Weltweites Netzwerk für<br />

junge Anwälte<br />

Aija Jahreskongress 2005 in Mexico City<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL. M., Berlin<br />

Die 1962 gegründete Aija (Association Internationale des<br />

Jeunes Avocats) veranstaltete ihren 43. Jahreskongress<br />

vom Ende August 2005 in Mexico City. An dem Kongress<br />

nahmen rund 330 Teilnehmer teil, von denen etwa 180 aus<br />

EU-Staaten kamen. Aus Deutschland waren ca. 20 Anwälte<br />

und Anwältinnen vertreten. Die größte Delegation<br />

stellten die Schweizer. Die Autorin berichtet nicht nur über<br />

den Kongress, sondern auch über aktuelle Entwicklungen<br />

in der Aija.<br />

Arbeitsprogramm<br />

Rund 18 Standing Commissions organisierten Vorträge<br />

und Seminare zu verschiedenen rechtlichen Themenbereichen.<br />

Einzelne Landesvertreter beantworteten im Vorfeld<br />

der Veranstaltung anhand eines Fragebogen des Vorsitzenden<br />

ein Thema aus der Sichtweise ihres Landes. Beim Kongress<br />

wurde dann rechtsvergleichend auf das Thema näher<br />

eingegangen, indem idealer Weise an einem Fallbeispiel<br />

praktische Lösungen erarbeitet wurden.<br />

Schwerpunkte aus berufsrechtlicher Sicht lagen beim<br />

Seminar „Do I really need a lawyer: Understanding and<br />

communicating our services in a competitive environment“.<br />

Diese von der Future of the Profession Commission organisierte<br />

Veranstaltung machte deutlich, dass viele Kollegen<br />

und Kolleginnen ähnliche Probleme haben. Viele teilten<br />

beispielsweise die Auffassung, dass die Entwicklungen bei<br />

der geplanten 3. EU-Geldswäscherichtlinie zu weit gingen.<br />

Aber auch Unterschiede wurden deutlich. Umstritten war,<br />

inwieweit der Anwalt von seiner Möglichkeit des „tipping<br />

off“ bei der Feststellung von Geldwäschedelikten durch<br />

den Mandanten Gebrauch machen sollte.<br />

Vor allem kulturellen Unterschiede wurden deutlich bei<br />

der Veranstaltung „Should Cartel Enforcment be treated as<br />

crime in the 21st. Century?“ Dieses von der Antitrust Commission<br />

organisierte Seminar stellte lebhaft die Unterschiede<br />

der einzelnen Länder dar. Insbesondere die Referenten<br />

aus Kanada, Mexiko und Brasilien sprachen sich<br />

vehement für eine strafbewehrte Sanktionierung der Unternehmensgeschäftsführer<br />

bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht<br />

aus. Dem gegenüber waren die Vertreter aus<br />

den EU-Ländern eher der Auffassung, dass das Strafrecht<br />

als ultima ratio angesehen werden müsse und zunächst die<br />

„competition authority“ selbst klarer machen müsse, welche<br />

Ziele sie wie verfolge.<br />

Aktiver Konferenzstil<br />

Der aktive Konferenzstil wurde auch aufgenommen in<br />

anderen Working Sessions. Beispielsweise war die Veranstaltung<br />

„Survival Training for EU Law Freshmen“ der<br />

European and Environmental Commissions sehr lebhaft<br />

und interessant. Hier referierte unter anderem ein mexikanischer<br />

Vertreter der Federal Commission of Regulatory<br />

Improvement darüber sehr eindrücklich, wie sich die wirt-<br />

schaftliche Situation Mexikos durch die Teilnahme an<br />

NAFTA verbessert hat.<br />

Gerade diese wirtschaftlichen Daten spielten auch eine<br />

große Rolle bei der Veranstaltung „Do’s and don’ts in cross<br />

border transactions“ der M&A Commission. Hier sprachen<br />

Investment Banker neben Unternehmensvertretern aus Mexiko<br />

City. Prozessrechtliche Fragen kamen aber ebenfalls<br />

nicht zu kurz, wie beispielsweise das Seminar „Position of<br />

a shareholder – from agreement to dispute“ der IBLC und<br />

Civil Procedure Commission. Dabei spielten schiedsrichterliche<br />

Aspekte eine Rolle, die wiederum ihrerseits aufgenommen<br />

wurden in der Veranstaltung „Arbitration under<br />

investment treaties“ der Arbitration Commission.<br />

Die Aufzählung könnte hier noch weiter geführt werden;<br />

es soll aber nur der Eindruck vermittelt werden, dass für<br />

die Teilnehmer zahlreiche Möglichkeiten bestanden, an unterschiedlichen<br />

Veranstaltungen im beeindruckenden Konferenzhotel<br />

Camino Real teilzunehmen.<br />

Aija-Internes<br />

Am Samstag stand bei der Veranstaltung wie üblich die<br />

General Assembly an. Die General Assembly findet mindestens<br />

einmal im Jahr, in der Regel während des Jahreskongresses,<br />

statt. Dabei ist zu beachten, dass die General<br />

Assembly nur eines der drei Organe der Aija ist. Daneben<br />

fungiert das Präsidium (Bureau) und der Geschäftsführende<br />

Ausschuss (Executive Committee). Das Executive Committee<br />

besteht aus 48 Mitgliedern, die von der General Assembly<br />

gewählt werden. Jedes Jahr scheiden 16 Mitglieder aus<br />

dem Executive Committtee aus. Sie werden für insgesamt<br />

drei Jahre gewählt. Daneben besteht das Büro aus dem Präsidenten,<br />

dem 1. Vizepräsidenten, dem Generalsekretär,<br />

dem Schatzmeister und den vorherigen Präsidenten.<br />

In Mexiko wurde zum neuen Präsident der Däne Christian<br />

Lundgren gewählt, zur 1. Vizepräsidentin Nicole van<br />

Ranst aus Belgien, neuer Generalsekretär wurde Duarte De<br />

Athayde aus Portugal und Schatzmeister Jan Swinnen aus<br />

den Niederlanden.<br />

Rahmenprogramm: Aija-spirit<br />

Wie immer bei aija war das Abend- und Rahmenprogramm<br />

wichtig und sehr gelungen. Der Aija-Spirit breitet<br />

sich gerade dadurch aus, dass so viele junge kompetente<br />

Kollegen und Kolleginnen zusammen ausgehen und feiern.<br />

Das von den Organisatoren erdachte umfangreiche Rahmenprogramm<br />

lud geradezu dazu ein.<br />

Wie jedes Jahr startete der Kongress am ersten Abend<br />

mit einem Get Together. Die beeindruckende Eröffnungsfeier<br />

fand am zweiten Tag im Castillo de Chapultepec statt.<br />

Bedauerlich war einzig das schlechte Wetter. Am dritten<br />

Nachmittag, der üblicherweise als „Day out“ gestaltet wird,<br />

konnten die Kolleginnen und Kollegen an einem „Rodeoprogramm“<br />

teilnehmen. Abschluss war das Gala Dinner am<br />

letzten Abend im Palacio de Mineria.<br />

Gelungene Akquise<br />

Der aija-Jahreskongress war wie gewohnt eine gelungene<br />

Veranstaltung um Akquise zu betreiben und sich unter<br />

Gleichgesinnten in Mexico City zusammenzutun. Dabei<br />

half es gerade den neuen Mitgliedern, dass sie am sogenannten<br />

„First Timers Breakfeast“ teilnehmen oder durch<br />

die Unterstützung der aija wichtige Kontakte zu den einzel-


780<br />

MN<br />

RVG-Frage des Monats<br />

Wird von der Verfahrensgebühr<br />

die teilweise<br />

anzurechnende Geschäftsgebühr<br />

abgezogen?<br />

Schon die BRAGO sah in § 118 Abs. 2 S. 1 eine Anrechnung<br />

der Geschäftsgebühr aus § 118 Abs. 1 S. 1 auf<br />

eine nachfolgend entstehende Prozessgebühr aus § 31<br />

Abs. 1 Nr. 1 vor, soweit es sich um den selben Gegenstand<br />

handelt. Das RVG behält diese Anrechnung prinzipiell<br />

bei (Anrechnung Geschäftsgebühr aus VV Nr. 2400<br />

bis 2403 auf Verfahrensgebühr aus VV Nr. 3100 bis<br />

3103), wenn auch der Höhe nach begrenzt auf 50 % der<br />

Geschäftsgebühr und maximal für einen Anteil von 0,75<br />

(Vorbem. 3 Abs. 4 im Vergütungsverzeichnis des RVG).<br />

Für beide Anrechnungsregelungen stellt sich im Hinblick<br />

auf die Kostenfestsetzung von prozessual entstandenen<br />

Anwaltsgebühren (Prozess-/Verhandlungs-/Beweisgebühr<br />

nach BRAGO bzw.<br />

Verfahrens-/Terminsgebühr nach RVG) die Frage, ob sich<br />

die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die festsetzbare<br />

Höhe der bisherigen Prozess- bzw. der heutigen Verfahrensgebühr<br />

auswirkt.<br />

Beschluss des Kammergerichts<br />

Klarheit bringt eine neue Entscheidung des Kammergerichts<br />

(KG, Beschl. v. 20.7.2005 – 1 W 285/05, veröffentlicht<br />

in diesem Heft auf S. 792). Auf der Grundlage<br />

des Gesetzeswortlauts stellt das Gericht fest, dass sowohl<br />

nach geltendem wie auch schon nach bisherigem Gebührenrecht<br />

die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr<br />

in der nachfolgenden Verfahrensgebühr im vorgegebenen<br />

Umfang aufgeht. Die Verfahrensgebühr<br />

entsteht also ungeschmälert und ist vollständig festsetzbar.<br />

An dieser Konstruktion hat auch der Wechsel von<br />

der BRAGO zum RVG dem Grunde nach nichts geändert.<br />

Bemerkenswert ist das zusätzliche Argument des<br />

Kammergerichts: Eine die Verfahrensgebühr reduzierende<br />

Wirkung der Anrechnung von Geschäftsgebühren<br />

ist auch aus prozessökonomischen Gründen abzulehnen.<br />

Das Kostenfestsetzungsverfahren bietet nämlich der obsiegenden<br />

Partei die Möglichkeit, auf einfache Weise einen<br />

vollstreckbaren Titel gegen die unterlegene Partei<br />

auf Ersatz der ihr durch den Rechtsstreit entstandenen<br />

Kosten zu erlangen. Bei Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr<br />

von der festzusetzenden Verfahrensgebühr wäre<br />

nen Arbeitsgruppen knüpfen konnten. Auch die deutschen<br />

Mitglieder haben sich in Mexiko getroffen: Zwischen ihnen<br />

besteht ein funktionierendes Netzwerk, welches über<br />

Dr. Mario Krogmann (krogmann@delaw.de) zusammengeführt<br />

wird.<br />

Auch dieses Jahr wird es für Einige wieder der letzte<br />

aija-Kongress gewesen sein, da sie die Altersgrenze von<br />

AnwBl 12/2005<br />

Mitteilungen<br />

die obsiegende Partei darauf angewiesen, außergerichtlich<br />

die volle Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei<br />

geltend zu machen und diese evtl. erneut einzuklagen.<br />

Diese Auffassung des Kammergerichts verdient Zustimmung<br />

(a. A. aber N. Schneider, Anm. zu dem KG-<br />

Beschl., AGS 11/05, 515). Sie steht auch nicht im Widerspruch<br />

zu dem gebührenrechtlichen Grundsatz, dass<br />

einmal entstandene Gebühren nicht mehr nachträglich<br />

entfallen oder gekürzt werden. Die anzurechnende Hälfte<br />

bzw. max. 0,75 der Geschäftsgebühr aus RVG-VV<br />

Nr. 2400 entfällt nicht nachträglich durch das Entstehen<br />

der Verfahrensgebühr, sondern geht in dieser Gebühr auf,<br />

wird auf die Verfahrensgebühr verschmolzen. Mit anderen<br />

Worten: die einmal entstandene Geschäftsgebühr fällt<br />

durch die Anrechnung nicht nachträglich weg, sondern<br />

wird aufgrund der Anrechnung von der Verfahrensgebühr<br />

überlagert und in einen Bestandteil der Verfahrensgebühr<br />

„verwandelt“. Soweit der Mandant bereits<br />

die volle Geschäftsgebühr an den Anwalt bezahlt haben<br />

sollte, deckt diese Zahlung in Höhe des Anrechnungsbetrages<br />

nun auch die Vergütungsforderung auf eine Verfahrensgebühr<br />

ab.<br />

Die Zahlung auf die volle Geschäftsgebühr enthält<br />

damit potenziell bereits einen Vorschuss auf eine eventuell<br />

entstehende, anrechnungsrelevante Verfahrensgebühr.<br />

Das ändert nichts daran, dass gegen eine unterliegende<br />

Gegenpartei in der Kostenfestsetzung die Verfahrensgebühr<br />

ungeschmälert, also nicht um die Hälfte der Geschäftsgebühr<br />

gekürzt, anzusetzen ist (so auch Madert in<br />

Gerold/Schmidt, RVG Komm., 16. Aufl. 2004, VV 2400<br />

Rn. 205 sowie OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v.<br />

12.07.1996 – 9 W 114/96 AnwBl 1997, 125). Es wäre ja<br />

auch widersinnig, wenn allein der Umstand, dass eine<br />

Partei zusätzliche außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten<br />

(Geschäftsgebühr) aufgewendet hat, dazu führen<br />

würde, die Gegenpartei in der Kostenfestsetzung günstiger<br />

zu stellen als ohne diesen Zusatzaufwand.<br />

Im Übrigen würde ein eventueller Streit über die<br />

Höhe der anzurechnenden Geschäftsgebühr in das der<br />

vereinfachten Titulierung dienende Festsetzungsverfahren<br />

hineingetragen. Der Kostenbeamte müsste dann – zumindest<br />

kursorisch – alle für die Höhe der Geschäftsgebühr<br />

relevanten Kriterien des § 14 RVG überprüfen.<br />

Ein solcher Streit über die Angemessenheit der Gebührenhöhe<br />

sollte aus prozessökonomischen Gründen auf<br />

den anrechnungsfreien Teil der Geschäftsgebühr beschränkt<br />

werden.<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

RVG-Fragen können DAV-Mitglieder im Internet-Forum<br />

unter www.anwaltsforum.de diskutieren. Dort haben<br />

sich seit August 2004 bereits über 3.000 Benutzer registrieren<br />

lassen und etwa 3.200 Beiträge verfasst.<br />

45 Jahren erreichen werden. „Overaged“ zu sein ist für<br />

viele eine Bestrafung, ihr Bedauern ist offensichtlich.<br />

Die nächste Aija-Tagung findet statt vom 22. bis 26.<br />

August 2006 in Genf (Schweiz). Weitere Informationen finden<br />

Sie im Internet unter www.aija.org.


AnwBl 12/2005 781<br />

Mitteilungen MN<br />

Kostenrecht<br />

Prozessverlust und Kostentragung<br />

– ein zeitgemäßes<br />

Abhängigkeitsverhältnis?<br />

Ein rechtshistorisches Exempel<br />

Rechtsanwältin Dr. Annette Rieck, Kiel<br />

Es gibt juristische Fragen, an denen sich schon Generationen<br />

abgearbeitet haben. Manche Lösung erscheint uns<br />

heute selbstverständlich, ist es aber keineswegs. Der<br />

rechtsgeschichtliche Essay wirft ein Blick auf das Prinzip<br />

der Kostenerstattung bei Prozessverlust.<br />

„The opera ain’t over, ’til the fat lady sings“, sagt in<br />

Amerika ein populäres Wort. Für Juristen: Ein gerichtliches<br />

Verfahren geht nicht zu Ende,<br />

bevor eine richterliche Entscheidung<br />

über die Kosten ergangen<br />

ist. Denn der allgemein in den<br />

§§ 91 ff. ZPO geregelte prozessuale<br />

Kostenerstattungsanspruch<br />

entsteht – nur und immer – mit<br />

Erlass des Urteils und wird mit<br />

dessen Rechtskraft fällig. Das<br />

Prinzip des „No fee, no law“ und<br />

die Tatsache, dass dem Richter<br />

auch die Entscheidung über die<br />

Kosten des Verfahrens obliegt,<br />

ist für die meisten Praktiker derart<br />

selbstverständlich, dass sie an<br />

die „Akzessorietät“ von Sach<br />

und Kostenentscheidung keinen<br />

Gedanken verwenden.<br />

Soweit, so gut: Infrage gestellt<br />

wird indes der Grundsatz<br />

des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass<br />

die unterliegende Partei die Kosten<br />

des Rechtsstreits zu tragen<br />

habe. Er basiert auf der Vermutung,<br />

der Unterlegene habe<br />

grundsätzlich widerrechtlich gestritten.<br />

Das starr anmutende Junktim<br />

von Prozessverlust und Kostentragung<br />

ist ohne einen Blick auf<br />

seine Entstehung nicht angemessen<br />

zu beurteilen. Es findet sich<br />

in der abendländischen Rechtsgeschichte<br />

erstmals im Corpus<br />

iuris civilis des römischen Kaisers<br />

Justinian I., dort im ersten<br />

Teil „Institutionen“ aus dem Jahr<br />

533. Sein fast anderthalb Jahrtausende<br />

langer Weg in unsere ZPO<br />

begann mit einer beinahe 500jährigen<br />

Vergessenheit. Das Werk<br />

Justinians war in der Rechtspraxis<br />

des westlichen Europa niemals<br />

beachtet worden, der Text<br />

dementsprechend unbekannt.<br />

Mittelalter: Buße statt Prozesskosten<br />

Die praktische Rechtsfindung verlief vielmehr in den archaischen<br />

Bahnen des bis ins 12. Jahrhundert weitgehend<br />

unveränderten mittelalterlichen Zivilprozesses: Der Richter<br />

führte die Verhandlung unter der Dorflinde, die Schöffen<br />

sprachen das Urteil. Die „dingpflichtigen“ freien Männer<br />

bildeten den „Umstand“, der das Urteil undiskutiert bekräftigte<br />

oder schalt. Das Verfahren selbst war durch altertümliche<br />

Formalismen verkompliziert. Kläger und Beklagter<br />

mussten bestimmte Worte sprechen und diese mit vorgeschriebenen<br />

Gesten und symbolischen Handlungen begleiten.<br />

Ein einziger Fehler hierbei konnte den Prozessverlust<br />

bedeuten. Das Beweisverfahren mit Eidesleistung,<br />

Gottesurteilen und gerichtlichem Zweikampf war schwerfällig.<br />

Was im Urteilsspruch ohne Gründe als Recht festgestellt<br />

worden war, zweifelte man nicht an. Fragen nach Sinn und<br />

Zweck, Geltungsgrund oder Nutzen einer überlieferten<br />

Norm wurden nicht gestellt, denn das Recht war nicht Gegenstand<br />

rationaler Betrachtung, es wurde geglaubt und<br />

Die Abbildung stammt aus der Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, die zwischen<br />

1295 und 1363 im Raum Meißen entstanden ist. Die Bilder dienen nicht der Illustration des<br />

vorstehenden Textes, sondern zeigen für den Fall des Lehens, welch komplizierte Gesten und<br />

Handlungen im Mittelalter Voraussetzung für die formelle Wirksamkeit von Rechtsakten waren.


782<br />

MN<br />

durch Gewohnheit bewahrt. Dementsprechend gab es auch<br />

keine echten Rechtsmittel, kein Mehrinstanzensystem. Juristen<br />

als Prozessvertretung brauchte man nicht, ein „Vorsprecher“<br />

allerdings war vorgeschrieben.<br />

Eine allgemeine Regelung über die Tragung der Prozesskosten<br />

fehlte ebenfalls. Man unterschied noch nicht zwischen<br />

Strafe und Schadenersatz, erlittene Schäden und Kosten<br />

des Prozessgegners waren mit der Buße an den<br />

Verletzten abgegolten. Wegen des überwiegend pönalen<br />

Charakters vorgeschriebener Zahlungen auch an Richter<br />

und Schöffen ist überhaupt fraglich, ob diese als Prozesskosten<br />

zu qualifizieren sind. Man erblickt hier also ein<br />

grundlegend anderes Rechtssystem und -denken als das uns<br />

geläufige.<br />

Kostenrecht im Kirchenrecht<br />

Allerdings waren schon Ende des 12. Jahrhunderts die<br />

Menschen nicht ausschließlich auf das Gericht unter der<br />

Dorflinde verwiesen. Neben der weltlichen gab es eine<br />

kirchliche Gerichtsbarkeit, die zu dieser Zeit einen erheblichen<br />

Anstieg an Rechtssachen zu verzeichnen hatte. Gemeint<br />

ist hier das bischöfliche Gericht, das sog. Offizialat,<br />

das sich zuerst im 12. Jahrhundert in Frankreich entwickelte<br />

und von dort seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts<br />

in das Heilige Römische Reich ausbreitete. Die<br />

Zuständigkeit der Kirchengerichtshöfe war personell auf<br />

den Klerus sowie auf besonders schutzbedürftige Personengruppen<br />

wie Arme, Witwen und Waisen beschränkt. Sachlich<br />

hatten sie über Fälle zu entscheiden, in denen schwere<br />

Sünden zu beurteilen waren, vor allem über Ehe- und Familiensachen<br />

und Betrug. Alle übrigen Tatbestände, Vertragsverletzungen<br />

etwa, gehörten vor die weltlichen Gerichte.<br />

Allerdings bestand die Möglichkeit der Zuständigkeitsbegründung<br />

durch Schiedsvereinbarung, von der reger Gebrauch<br />

gemacht wurde.<br />

Dabei war Gerechtigkeit vor kirchlichen Gerichten keineswegs<br />

„billiger“ zu haben als vor weltlichen und die<br />

Rechtsverfolgung auch nicht weniger risikobehaftet. Auch<br />

hier waren die Verfahrenskosten keine Nebensache, sondern<br />

konnten über Sieg oder Niederlage entscheiden. Grund für<br />

die Beliebtheit der Kirchengerichte war ihre sachliche<br />

Überlegenheit: Es gab hier keinen „Umstand“, das Verfahren<br />

fand in geschlossenen Räumen und vor einem rechtswissenschaftlich<br />

ausgebildeten Richter statt. Der Prozess<br />

war ein Aktenprozess, in dem der Verhandlungsgrundsatz<br />

galt. Der mündliche Parteivortrag wurde von öffentlichen<br />

Notaren zur Akte protokolliert. Rechtsausführungen trugen<br />

die Anwälte in Schriftsätzen vor, die verlesen und diskutiert<br />

wurden. Transparenz und Berechenbarkeit erhielt das Verfahren<br />

insbesondere auch durch die klare Regelung, dass<br />

der Unterlegene die Verfahrenskosten zu tragen habe. Die<br />

Kostenentscheidung wurde von dem Richter zusammen mit<br />

der Sachentscheidung gefällt.<br />

Renaissance des Corpus iuris civilis<br />

Die Kirche kannte also das römische Recht und wandte<br />

es bereits an, als es im weltlichen Rechtskreis noch vergessen<br />

war. Kirchenjuristen von europäischem Rang wie Ivo<br />

von Chartres (1014 – 1116) hatten schon lange, bevor das<br />

weltliche Recht wissenschaftlich zu denken anfing, eine<br />

moderne Kirchenrechtsdogmatik entworfen, in der die spätantiken<br />

römisch-rechtlichen Traditionen zu neuem Leben<br />

erweckt waren. Der Einfluss dieser römisch-kanonischen<br />

Rechtstexte auf die Verwissenschaftlichung des weltlichen<br />

AnwBl 12/2005<br />

Mitteilungen<br />

Rechtsdenkens und der Rechtspraxis ging in seiner Bedeutung<br />

über die direkte Rezeption des römischen Rechts hinaus,<br />

die Ende des 11. Jahrhunderts erst allmählich begann.<br />

Es sollte allerdings noch lange dauern, bis Justinians klares<br />

Kostentragungsprinzip außerhalb des Kirchenrechts wieder<br />

in Geltung trat.<br />

Deutschlands Sonderweg: Einzelfallgerechtigkeit<br />

In Deutschland ging man trotz des frühen und eindeutigen<br />

Votums der Rechtsuchenden für die römisch-kanonische<br />

Regelung zunächst andere Wege. Das Reichskammergericht<br />

in Wetzlar wandte in seiner Gerichtspraxis des<br />

16. und 17. Jahrhunderts überwiegend die sogenannte Kostenkompensation<br />

an, die unserer Kostenaufhebung entspricht.<br />

Dahinter stand die Wertung, dass diejenige Partei,<br />

die eine gerechte Sache verfolgt und nicht böswillig oder<br />

verzögerlich prozessiert, auch dann nicht die Kosten des<br />

Gegners tragen solle, wenn sie den Prozess verliert. Die<br />

zeitgenössische Wissenschaft entwickelte mangels einer gesetzlichen<br />

Regelung eine weitverzweigte Kasuistik zur Anwendung<br />

des Prinzips, die für den einzelnen nicht überschaubar<br />

war. Da die Kostenkompensation im Ermessen<br />

des Gerichts stand, waren Missbrauch und Willkür Tür und<br />

Tor geöffnet.<br />

Im 18. und 19. Jahrhundert versuchte man, dem entgegenzusteuern<br />

und die Kostenkompensation begrifflich<br />

und inhaltlich klarer zu bestimmen. Zu ihrer Untermauerung<br />

wurden Argumente angeführt, die uns auch heute<br />

noch in der Diskussion um unsere Kostenregelung begegnen:<br />

Man verwies beispielsweise auf den aleatorischen<br />

Charakter des Obsiegens oder Unterliegens und meinte, der<br />

Erfolg im Prozess erlaube nicht den Rückschluss, der Verlierer<br />

habe ex mala fide gehandelt. Jeder Rechtsstreit diene<br />

neben der Durchsetzung subjektiver Rechte im ausschließlichen<br />

Interesse der Parteien auch der Lösung sozialer Konflikte<br />

und damit der Allgemeinheit.<br />

Wer verliert, der zahlt<br />

Das Misstrauen gegen die Kostenkompensation, die als<br />

„Gefühlssache“ und ausgeklügelte Erfindung der Juristen<br />

abgetan wurde, gewann jedoch schließlich die Oberhand.<br />

Für den römisch-kanonischen Grundsatz sprach seine bestechende<br />

Einfachheit, die von der Gerichtspraxis wie von den<br />

Rechtsuchenden geschätzt wurde. Nachdem er Eingang in<br />

die Gesetzescorpora des 19. Jahrhunderts gefunden hatte,<br />

wurde er schließlich in § 87 der „Civilprozessordnung“ von<br />

1877 übernommen. Von dort gelangte er fast unverändert in<br />

unsere ZPO.<br />

Wer nun heute Einwendungen gegen unser Kostentragungsprinzip<br />

erhebt, sollte sich zuvor vergewissern, dass<br />

diese nicht schon historisch obsolet sind. Sämtliche Argumente<br />

dürften gedacht und gewechselt sein, und die Qualität<br />

des Grundsatzes ist zudem durch eine jahrhundertelange<br />

praktische Anwendung verbürgt. Der Blick in die Zukunft<br />

muss in diesem Fall in der Vergangenheit ansetzen, oder:<br />

Die juristische Moderne begann in der Spätantike.


AnwBl 12/2005 783<br />

Mitteilungen MN<br />

Bücherschau<br />

Anwaltschaft und<br />

Geschichte<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

1. Bereits vor Jahresfrist sind im Rahmen der Bücherschau<br />

einige Werke vorgestellt worden, die das 125jährige<br />

Jubiläum der Einführung einer reichseinheitlichen Gerichtsverfassung<br />

und der hiermit verbundenen Schaffung der anwaltlichen<br />

Selbstverwaltung zum Anlass genommen haben,<br />

die Geschichte einzelner Rechtsanwaltskammern nachzuzeichnen.<br />

Drei weitere solche Werke sind in dieser Bücherschau<br />

anzuzeigen, die anschaulich belegen, in welch<br />

unterschiedlicher Form eine solche Geschichtsschreibung<br />

erfolgen kann.<br />

a) Die Rechtsanwaltskammer Hamm hat unter dem Titel<br />

„Die Rechtsanwaltschaft im Oberlandesgerichtsbezirk<br />

Hamm 1879–2004“ 1 eine veritable Festschrift vorgelegt.<br />

Sie enthält zunächst das, was man vor allem hinter dem Titel<br />

vermuten würde – Beiträge zur Geschichte der Kammer:<br />

Neben einer umfassenden, 70seitigen Darstellung der<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias<br />

Kilian, Köln, ist Vorstand des<br />

Soldan-Instituts für Anwaltmanagement<br />

e.V., Essen. Sie erreichen<br />

ihn per E-Mail:<br />

kilian@anwaltsrecht.org.<br />

125jährigen Kammergeschichte durch ihren Präsidenten<br />

Dieter Finzel finden sich Beiträge zu Einzelaspekten der<br />

Historie, so zum zwischenzeitlichen Ende der Kammer in<br />

der Nazi-Zeit in Folge des Kerll-Erlasses vom März 1933<br />

oder zur Justizgeschichte des Kammerstandorts Hamm.<br />

Diese kenntnisreich und flott geschriebenen Beiträge sind<br />

durch zahlreiche Illustrationen angereichert. Der umfangreichere<br />

Teil der Festschrift enthält eine Sammlung von 25<br />

Aufsätzen zu den unterschiedlichsten anwaltsrechtlichen<br />

Themen. Sie lassen sich in die Kategorien berufsständische<br />

Selbstverwaltung, Berufsrecht und Anwaltsnotariat untergliedern.<br />

Ihre Besonderheit liegt zum einen darin, dass die<br />

Verfasser allesamt aus dem Kammerbezirk stammen, zum<br />

anderen, dass viele der Autoren in ihren Fachbeitrag historische<br />

Bezüge einfließen lassen. Es kann nicht überraschen,<br />

dass in einer Kammerfestschrift insbesondere das<br />

Kammerwesen intensiv bearbeitet wird, zu nennen sind<br />

Beiträge etwa zum Zulassungsrecht, zur Anwaltsgerichtsbarkeit,<br />

zur Kammeraufsicht oder zum Versorgungswerk.<br />

Auch literarisch selten aufgegriffene Themen wie das gebührenrechtliche<br />

Kammergutachten (sehr lesenwert Bohnenkamp)<br />

oder die Fachanwaltsausschüsse finden Berücksichtigung.<br />

Einige der Beiträge sind überwiegend<br />

darstellend, andere setzen sich intensiv auch mit aktuellen<br />

Streitfragen auseinander. Der berufsrechtliche Teil der Festschrift<br />

enthält einen bunten Strauß hochinteressanter Themen,<br />

vom Problem der Fremdgeldbehandlung über die Verfassungskonformität<br />

des Zweigstellenverbots, der Zukunft<br />

der anwaltlichen Fortbildung, den Grenzen anwaltlicher<br />

Vergütungsvereinbarungen bis hin zur Rechtsmittelsystema-<br />

tik bei Aufsichtsmaßnahmen oder zur Anwaltskapitalgesellschaft.<br />

Abgerundet wird die Festschrift durch drei Beiträge<br />

zum Anwaltsnotariat. Hier werden neben einer historischen<br />

Rückschau ebenfalls heiße Eisen angepackt, so etwa das<br />

aktuelle Problem des Zugangs zum Anwaltsnotariat. Alles<br />

in allem ein überaus lohnendes Werk, das aufgrund seiner<br />

Inhalte eine umfassende Rezeption in der Kommentarliteratur<br />

finden wird.<br />

b) Die Rechtsanwaltskammer Braunschweig hat sich anlässlich<br />

ihres 125jährigen Jubiläums mit der Justiz zusammengespannt,<br />

um unter der Herausgeberschaft von OLG<br />

Präsident Edgar Isermann und Kammerpräsident Michael<br />

Schlüter den reich bebilderten, im DIN A4-Format gehaltenen<br />

Band „Justiz und Anwaltschaft in Braunschweig<br />

1879-2004“ 2 vorzulegen. Das Gemeinschaftswerk enthält<br />

naturgemäß nicht nur Ausführungen zur Anwaltschaft,<br />

auch die Geschichte der Gerichte im Herzogtum und OLG-<br />

Bezirk Braunschweig wird in mehreren Beiträgen anschaulich<br />

aufbereitet. Kammerpräsident Schlüter zeichnet sodann<br />

die Geschichte „seiner“ Kammer, die lange Zeit die kleinste<br />

Anwaltskammer Deutschlands war, auf rund 25 Seiten<br />

nach. Ein dritter Hauptteil enthält interessante Porträts einiger<br />

herausragender Persönlichkeiten des Bezirks, so etwa<br />

Ulrich Dedekinds, des einzigen Referendars im Kammerbezirk,<br />

der sich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung<br />

standhaft weigerte, SA und SS beizutreten und den<br />

diese Charakterfestigkeit die Zulassung zur Anwaltschaft<br />

kostete. Ein weiteres, sehr persönlich geschriebenes Porträt<br />

widmet sich dem jüdischen Anwalt Norbert Regensburger,<br />

der sich 1933 das Leben nahm, als seine nicht-jüdischen<br />

Sozien ohne sein Wissen über eine Anzeige in der Lokalzeitung<br />

sein Ausscheiden aus der Sozietät mitteilten. Ebenfalls<br />

gewürdigt werden der sozialdemokratisch gesinnte<br />

Rechtsanwalt Otto Bracke, dessen beruflicher Leidensweg<br />

sowohl zu Zeiten des Herzogtums als auch in der NS-Zeit<br />

illustriert wird, sowie die Anwaltspersönlichkeiten und<br />

Kammerpräsidenten Otto Häusler, Victor Heymann und<br />

Oskar Kahn. Kurzporträts aller Gerichts- und Kammerpräsidenten<br />

runden das schön aufgemachte Werk ab.<br />

c) Kurz angezeigt sei das von der Rechtsanwaltskammer<br />

Frankfurt am Main gemeinsam mit dem OLG Frankfurt begleitend<br />

zur Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ aufgelegte<br />

Bändchen „Rechtspflege“ 3 . Es ist, wohl weil die Kammer<br />

bereits 1998 zum 50. Jubiläum ihrer Neugründung eine interessante,<br />

umfassende Geschichte vorgelegt hat 4 , leider nur<br />

im Eigenverlag verlegt worden, verdient aber gleichwohl<br />

Erwähnung in der Bücherschau. Der nun vorliegende Titel<br />

enthält eine 40seitige, gleichwohl umfassende Darstellung<br />

der Historie aus der Feder des Kammerpräsidenten Knopp.<br />

Eine überaus lesenswerte Abhandlung von Rüthers, dem<br />

durch seine Studie zur „unbegrenzten Auslegung“ berühmt<br />

gewordenen Kritiker der politischen Vereinnahmung von<br />

Recht und der Ideologieanfälligkeit von Juristen, leitet über<br />

zum Hauptanliegen der Publikation, der Aufarbeitung der<br />

* Rechtsanwalt, Partner WKLP Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer<br />

Partnerschaftsgesellschaft am Standort Köln.<br />

1 RAK Hamm (Hrsg.), Die Rechtsanwaltschaft im Oberlandesgerichtsbezirk<br />

Hamm 1879-2004, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Rechtsanwaltskammer<br />

für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm, Verlag Wilke, Hamm 2004,<br />

736 S., ISBN 3-931283-51-8, 49,50 EUR.<br />

2 Edgar Isermann/Michael Schlüter (Hrsg), Justiz und Anwaltschaft in Braunschweig<br />

1879-2004, Verlag Meyer, Braunschweig 2004, 235 S., ISBN<br />

3-926701-62-5, 16,80 EUR.<br />

3 RAK Frankfurt (Hrsg.), Rechtspflege, Eigenverlag, Frankfurt 2004, 205 S.<br />

4 RAK Frankfurt (Hrsg.), Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1878 bis<br />

1998, Verlagsgruppe Deutscher Fachverlag, Frankfurt 1998, 300 S., ISBN<br />

3-87150-610-9.


784<br />

MN<br />

Geschichte der Anwaltschaft des Kammerbezirks in der nationalsozialistischen<br />

Zeit. Nach einer kurzen Einführung in<br />

die Entrechtung jüdischer Anwälte ab 1933 unternimmt es<br />

Barbara Dölemeyer gemeinsam mit Simone Ladwig-Winters,<br />

die Gleiches bereits für Berlin und Potsdam geleistet<br />

hat, Kurzporträts der meisten der 278 betroffenen Anwälte<br />

jüdischer Herkunft zusammenzutragen. Hier begegnen dem<br />

Leser so bekannte Namen wie Hugo Sinsheimer, Hugo Emmerich<br />

oder Albert Hahn.<br />

2. Andreas Wolfgang Wiedemann hat mit seiner Marburger<br />

Dissertation „Altpreußische Justizreformen und die<br />

Entwicklung des Anwaltsnotariats (1700–1849)“ 5 einen<br />

wichtigen Beitrag zur Erforschung der Geschichte des Anwaltsnotariats<br />

geleistet. Wiedemann zeichnet die Herausbildung<br />

der Sonderstellung des Anwaltsnotariats – im Gegensatz<br />

zum Nur-Notariat napoleonischen Rechts in der<br />

Rheinprovinz – durch eine sehr sorgfältige Auswertung zuvor<br />

kaum zugänglichen Quellenmaterials nach, das in einem<br />

fast 150seitigen Anhang wiedergegeben wird. Die<br />

Thematik bringt es mit sich, dass der Schwerpunkt der Ausführungen<br />

zwar auf der altpreußischen Notariatsgeschichte<br />

liegt. Gleichwohl finden sich immer wieder lange Kapitel<br />

zur Entwicklung der Prozessgesetzgebung und der Advokatur<br />

in Preußen, die dem Werk einen besonderen Reiz auch<br />

für ein breiteres Publikum geben – das etwa Interesse an<br />

den stets mit einem schauderhaften Vergnügen zu lesenden<br />

verbalen Abstrafungen der Anwaltschaft durch die Preußenkönige<br />

finden wird, die Wiedemann mit akribischer Detailtreue<br />

nachweist und einordnet.<br />

3. Zwei knappe Hinweise zu Neuerscheinungen, die bereits<br />

Veröffentlichtes neu aufbereiten: Bereits vor einigen<br />

Monaten hier vorgestellt worden sind die Handbücher des<br />

DAV zum Anwaltsreferendariat (AnwBl. 2005, 354). Drei<br />

der dort enthaltenen Studienbriefe sind zwischenzeitlich in<br />

dem Buch „Historische und gesellschaftliche Grundlagen<br />

des Anwaltsberufs“ 6 separat veröffentlicht worden. Es sei<br />

daher an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch über<br />

diese Neuerscheinung Zugang zu den lesenswerten Beiträgen<br />

von Streck zu Funktion und Berufsbild des Anwalts<br />

(24 Seiten), von Krach und Hagenkötter zur Geschichte<br />

der deutschen Anwaltschaft (72 Seiten) sowie von Hommerich<br />

zur Anwaltschaft aus soziologischer Sicht (33 Seiten)<br />

besteht. Reizvoll ist auch der Materialienband „Anwälte<br />

und ihre Geschichte“, in dem Hinrich Rüping 74 Dokumente<br />

zur Anwaltsgeschichte aus dem 18. bis 20. Jahrhundert<br />

zusammengetragen hat7 . Sie sind dem Leser möglicherweise<br />

bereits auf der gleichnamigen Ausstellung auf dem<br />

DAT 2004 in Dresden begegnet. Es finden sich interessante<br />

Reproduktionen historischer Dokumente zur Anwaltschaft<br />

aus der Zeit der Partikularrechte, der Weimarer Republik,<br />

des Nationalsozialismus sowie zur Vergangenheitsbewältigung<br />

nach 1945.<br />

4. Abschließend sei ein Werk vorgestellt, das nicht im<br />

strengen Sinne unter den Topos Anwaltsgeschichte fällt,<br />

gleichwohl so reizvoll ist, dass es hier vorgestellt werden<br />

soll: Unter der Herausgeberschaft von Sir Jack Beatson,<br />

Justice am High Court von England und Wales, und Reinhard<br />

Zimmermann, Direktor am Max-Planck-Institut für<br />

ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg,<br />

ist das beeindruckende englischsprachige Werk „Jurists<br />

Uprooted“ 8 entstanden, das sich mit der Emigration deutscher<br />

Rechtswissenschaftler während der NS-Diktatur nach<br />

Großbritannien beschäftigt. Autoren aus Deutschland und<br />

England haben den Lebensweg und die Wirkungsgeschichte<br />

von prominenten deutschsprachigen Juristen er-<br />

AnwBl 12/2005<br />

Mitteilungen<br />

forscht, die durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten<br />

entwurzelt wurden und sich eine neue berufliche und<br />

intellektuelle Heimat in Großbritannien suchten – einige<br />

von ihnen auch durch eine anwaltliche Tätigkeit. Anliegen<br />

des Werkes ist es, nicht nur die Biographie bekannter Emigranten<br />

nachzuzeichnen, sondern insbesondere auch ihren<br />

Einfluss auf Rechtspraxis und -wissenschaft in England und<br />

Deutschland zu untersuchen. Das Werk geht diesem Anliegen<br />

mit Beiträgen unterschiedlicher Ausrichtung nach: Es<br />

enthält zum einen Porträts von rund 20 Emigranten, zum<br />

anderen Beiträge zur Entwicklung einzelner Rechtsgebiete,<br />

die maßgeblich von Emigranten geprägt wurden. Die Herausgeber<br />

legen mit zwei überaus gehaltvollen einleitenden<br />

Beiträgen die Grundlagen zu diesen zwei großen Themenblöcken:<br />

Zimmermann beschreibt auf 70 Seiten zunächst<br />

die allgemein-historischen Hintergründe der Thematik, um<br />

sich sodann auf die Herausarbeitung der besonderen Stellung<br />

jüdischer Rechtsanwälte und Akademiker in Deutschland,<br />

die Konsequenzen der nationalsozialistischen Machtergreifung<br />

für die Rechtsfakultäten und die Anwaltschaft<br />

sowie die „Arisierung“ aller Elemente des deutschen<br />

Rechtslebens zu konzentrieren. Ausführungen zu den Problemen,<br />

denen sich jene Emigranten ausgesetzt sahen, die<br />

sich nach 1945 zu einer Rückkehr nach Deutschland entschlossen,<br />

runden diesen Abschnitt ab, der eine der dichtesten<br />

Darstellungen zur Thematik jüdischer Juristen in<br />

Deutschland ist, die der Rezensent bislang gelesen hat.<br />

Beatson unternimmt es in dem sich anschließenden kürzeren<br />

Kapitel, die Emigration von Juden nach Großbritannien<br />

seit 1800 nachzuzeichnen und insbesondere die Einstellung<br />

der Bevölkerung, die Berufssituation der Emigranten und<br />

die Schwierigkeiten der sachgerechten Behandlung der<br />

Emigranten durch staatliche Stellen aufzuzeigen. Auf diesem<br />

Fundament aufbauend, schließen sich Porträts der ausgewählten<br />

Emigranten an, die in der Länge von 12 bis 100<br />

Seiten variieren. Gewürdigt werden, zum Teil in Doppelporträts,<br />

so bekannte Persönlichkeiten wie Otto Kahn-<br />

Freund, Ernst Cohn, Fritz Schulz, Fritz Pringsheim, Martin<br />

Wolff oder Max Grünhut. Die Porträts legen faszinierendes<br />

Zeugnis darüber ab, welchen Einfluss die Emigranten trotz<br />

der schwierigen Lebensumstände, aber auch des beruflichen<br />

Wirkens in einem ungewohnten Rechtskreis, insbesondere<br />

in den international geprägten Rechtsgebieten des römischen<br />

Rechts, des Völkerrechts, des IPR und der Kriminologie<br />

nehmen konnten – wenngleich etwa Otto Kahn-<br />

Freund zum Nestor des modernen englischen Arbeitsrechts<br />

aufstieg. Gesamtdarstellungen greifen diese Erkenntnisse<br />

auf und schildern die Entwicklung der Rechtsvergleichung,<br />

des internationalen Privat- und öffentlichen Rechts sowie<br />

des römischen Rechts im Großbritannien des 20. Jahrhunderts.<br />

Eine sehr lohnenswerte Anschaffung für jeden<br />

rechtshistorisch interessierten Juristen.<br />

Vorschau: Die nächste Bücherschau wird sich mit Neuerscheinungen<br />

zum Auslandsrecht (Schweiz, Österreich,<br />

England, Russland) befassen.<br />

5 Andreas Wolfgang Wiedemann, Altpreußische Justizreformen und die Entwicklung<br />

des Anwaltsnotariats (1700 – 1849), Band 15 der Schriften der Deutschen<br />

Notarrechtlichen Vereinigung, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2003, 409 S.,<br />

ISBN 3-504-65118-0, 49,80 EUR.<br />

6 Michael Streck u. a., Historische und gesellschaftliche Grundlagen des Anwaltsberufs,<br />

Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2005, 140 S., ISBN<br />

3-8305-0955-3, 23 EUR.<br />

7 Hinrich Rüping, Anwälte und ihre Geschichte, Band 1 der Schriftenreihe des<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>s, Anwaltverlag, Bonn 2005, ISBN 3-8240-5317-9, 5 EUR (Schutzgebühr,<br />

zu beziehen über den DAV).<br />

8 Jack Beatson/Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted – German Speaking<br />

Émigré Lawyers in Twentieth-Century Britain, Oxford University Press<br />

2004, 850 S., ISBN 0-19-927058-9, 75,– GBP.


AnwBl 12/2005 785<br />

HAFTPFLICHTFRAGEN<br />

Der Schadensbegriff in der<br />

Anwaltshaftung<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk,<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

In vielen Anwaltshaftungsfällen ist eine Verletzung von<br />

Pflichten aus dem Mandatsvertrag offensichtlich, beispielsweise<br />

bei der Versäumung von Fristen. Das Verschulden<br />

ist regelmäßig indiziert. Dass sich daraus aber nicht<br />

automatisch ein kausaler Schaden ergibt, ist aus Sicht des<br />

betroffenen Mandanten manchmal schwer nachvollziehbar:<br />

Das subjektiv-laienhafte Gefühl „geschädigt“ zu sein<br />

steht nicht immer im Einklang mit dem Ergebnis der juristischen<br />

Betrachtungsweise.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

aus München.<br />

I. Abgrenzung von Schaden und<br />

Schadenskausalität<br />

1. Der Schadensbegriff<br />

Wann kann man eigentlich von einem „Schaden“ sprechen?<br />

Eine gesetzliche Definition hierzu fehlt. Der objektive<br />

Zustand einer Sache oder eine bestimmte Vermögenssituation<br />

allein begründen noch keinen Schaden. Ein<br />

Schaden ergibt sich immer erst aus einem Zustandsvergleich<br />

einer Sache oder eines Vermögens zu zwei verschiedenen<br />

Zeitpunkten, nämlich vor und nach der schädigenden<br />

Handlung. Ein beschädigtes Fahrzeug führt nur dann zu einem<br />

Schaden des Eigentümers, wenn es vor der Schädigungshandlung<br />

nicht oder weniger beschädigt war. In Anwaltshaftungsfällen<br />

geht es in der Regel aber nicht um die<br />

Beschädigung einzelner Gegenstände, sondern um die<br />

Schädigung des Vermögens des Mandanten. Hier stellt sich<br />

der Vergleich zu zwei verschiedenen Zeitpunkten etwas<br />

komplexer dar. Auf den ersten Blick ist die Vermögenssituation<br />

vor und nach einem – durch Anwaltsverschulden<br />

– verlorenen Aktivprozess gleich (jedenfalls wenn die Kosten<br />

durch einen Rechtsschutzversicherer übernommen werden).<br />

Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass die noch<br />

nicht gerichtlich geltend gemachte Forderung vor Prozessbeginn<br />

schon ein Aktivum in der persönlichen Vermögensbilanz<br />

war, das nach verlorenem Prozess „auszubuchen“<br />

ist. Jedem Mandatsvertrag liegt ja ein potenzieller Anspruch<br />

zu Grunde, der dem Vermögen auf der Aktiv- oder<br />

Passivseite zuzurechnen ist. Ein begründeter Anspruch, der<br />

nicht durchgesetzt wird, stellt dann genauso einen Schaden<br />

dar wie die unbegründete Forderung gegen den Mandanten,<br />

die gleichwohl tituliert wird.<br />

MN<br />

2. Abgrenzung der Kausalitätsfrage<br />

Bereits an dieser Stelle zeigt sich, dass die Abgrenzung<br />

zwischen dem Schadensbegriff an sich und der Frage nach<br />

der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden<br />

schwierig ist. Nehmen wir den Fall, dass eine unzweifelhaft<br />

begründete Forderung des Mandanten durch Verschulden des<br />

Rechtsanwalts verjährt und demzufolge nicht mehr durchsetzbar<br />

ist. Es ist dann eine Voraussetzung des Schadens<br />

selbst, dass der Anspruch überhaupt materiell-rechtlich begründet<br />

war. Wenn der Schuldner aber bereits vor der Pflichtverletzung<br />

vermögenslos war, käme man bei dem Vermögensvergleich<br />

mangels Werthaltigkeit der Forderung<br />

dazu, dass gar kein Schaden entstanden ist. Ist die Vermögenslosigkeit<br />

hingegen erst nach der anwaltlichen Pflichtverletzung<br />

eingetreten, käme man zunächst zu einem Schaden.<br />

Ob der Schadenseintritt auch in Ansehung der<br />

Vermögenslosigkeit des Schuldners durch die Pflichtverletzung<br />

„verursacht“ wurde, gehört dann zur Kausalitätsprüfung.<br />

Ähnlich verhält es sich mit der versäumten Rechtsmittelfrist:<br />

Die Nichtdurchführbarkeit des Rechtsmittelverfahrens<br />

selbst ist an sich kein Schaden. Dieser ergibt sich erst aus<br />

dem Vergleich zwischen der Situation vor Fristversäumung<br />

(zwar klageabweisendes Urteil, aber die Chance, den Anspruch<br />

doch noch zugesprochen zu bekommen) und nachher<br />

(endgültige Klageabweisung). Um das Vermögen vor<br />

Ablauf der Berufungsfrist zu beziffern, müsste man die<br />

Werthaltigkeit des Anspruchs prüfen, also dessen objektive<br />

Begründetheit. Dennoch wird diese Frage regelmäßig unter<br />

dem Stichwort „hypothetischer Kausalverlauf“ bzw. „hypothetischer<br />

Vorprozess“ untersucht. Die Beispiele zeigen,<br />

dass eine strenge dogmatische Trennung von Schaden und<br />

Schadenskausalität kaum möglich ist.<br />

II. Die Schadensproblematik in der jüngeren<br />

Rechtsprechung<br />

Unbeschadet der eben aufgezeigten Abgrenzungsprobleme<br />

sind bestimmte Fallgruppen zumindest schwerpunktmäßig<br />

beim eigentlichen Schadensbegriff anzusiedeln. Die<br />

Differenzhypothese besagt, dass die jeweilige Vermögenssituation<br />

vor und nach der schädigenden Handlung gegenüber<br />

zu stellen sind. Im Einzelnen kann hier aber vieles<br />

zweifelhaft sein.<br />

1. Betroffene Vermögenspositionen<br />

Das Gesamtvermögen eines Mandanten kann mehr oder<br />

weniger umfangreich sein und der Bestand verändert sich<br />

praktisch täglich. Niemand würde wohl auf die Idee kommen,<br />

den Verlust eines Regenschirms in der U-Bahn als einen<br />

Schaden anzusehen, der durch einen vom Rechtsanwalt<br />

verschuldeten ungünstigen Unterhaltsvergleich verursacht<br />

wurde. Es muss also darum gehen, die potenziell von dem<br />

Anwaltsfehler betroffenen Vermögenspositionen zu bestimmen.<br />

Die Rechtsprechung stellt dabei auf den Schutzzweck<br />

des verletzten Beratungsvertrages ab. Bei fehlerhafter Beratung<br />

über die steuerlichen Vorteile einer gesellschaftsrechtlichen<br />

Beteiligung kommt demzufolge auch nur eine Haftung<br />

für ausgebliebene Steuervorteile, nicht für einen<br />

ausgebliebenen Unternehmenserfolg in Betracht (BGH<br />

NJW-RR 2003, 1035). Strafrechtliche Sanktionen können


786<br />

MN<br />

aber – obgleich sie an sich auf den Kenntnisstand des Steuerpflichtigen<br />

selbst abstellen – zumindest bei leichtfertiger<br />

Steuerverkürzung vom Schutzzweck des Steuerberatervertrages<br />

umfasst sein (BGH, NJW 1997, 518).<br />

2. Schaden im Rechtssinne<br />

Fraglich ist ein Schaden in Fällen, in denen das Vermögen<br />

selbst nicht dauerhaft beeinträchtigt ist, sondern<br />

dem Mandanten lediglich nicht konkret bezifferbare<br />

Unannehmlichkeiten entstanden sind. So ist der mit der<br />

Geltendmachung des Regressanspruchs verbundene eigene<br />

Zeitaufwand des Geschädigten, beispielsweise für die Zusammenstellung<br />

von Schadenspositionen, nach st. Rspr.<br />

kein erstattungsfähiger Schaden.<br />

Auch eine zeitliche Verzögerung bzw. ein entgangener Zeitgewinn<br />

(z. B. durch die vorläufige Vollstreckbarkeit eines durch Anwaltsverschulden<br />

ergangenen Versäumnisurteils) ist keine Schaden<br />

im Rechtssinne. Für den beschleunigten Misserfolg einer<br />

unbegründeten sozial-(verwaltungs-)gerichtlichen Anfechtungsklage<br />

haftet der Rechtsanwalt mangels Schadens im Rechtssinne<br />

nicht einmal dann, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage<br />

seinem Auftraggeber noch die einstweilige Fortsetzung gewinnbringender<br />

Berufsausübung ermöglicht, er also faktisch mehr<br />

Geld in der Tasche gehabt hätte (BGH, NJW 2005, 1935).<br />

3.Vermeidbarkeit des Schadens<br />

Interessant ist weiter die Frage, ab wann man überhaupt<br />

von einem Schaden sprechen kann, wenn durch die weitere<br />

Entwicklung ein endgültiger Schadenseintritt noch vermieden<br />

werden kann. Grundsätzlich ist ja der Geschädigte gehalten,<br />

gemäß § 254 Abs. 2 BGB den Schadenseintritt abzuwenden.<br />

Gibt es also noch Rettungsmöglichkeiten, z. B.<br />

durch Einlegung eines Rechtsmittels gegen eine negative<br />

Entscheidung, so ist der Schaden noch nicht endgültig.<br />

Auch bei fehlender Nachholung von der Behörde verlangter<br />

Angaben (BGH, NJW-RR 2003, 931) liegt ein Mitverschulden<br />

des Geschädigten vor. Interessanter Weise legt der<br />

BGH im Zusammenhang mit der Regressverjährung nach<br />

§ 51 b BRAO a. F. für die Schadensentstehung einen anderen<br />

Maßstab zugrunde: Früher reichte ihm sogar eine sog.<br />

„risikobehaftete Lage“, inzwischen aber beispielsweise<br />

noch nicht bestands- oder rechtskräftige Entscheidungen<br />

(BGH, NJW-RR 1998, 774). Maßgeblich soll sein, wann<br />

sich die Pflichtverletzung erstmals „niedergeschlagen“ hat.<br />

Kritisch zu betrachten ist in diesem Zusammenhang die<br />

Entscheidung des BGH (NJW 2000, 3560) mit folgendem<br />

Leitsatz: „Haftet der Rechtanwalt dem Mandanten für den<br />

durch Verlust eines Prozesses entstandenen Schaden, besteht<br />

jedoch berechtigte Aussicht, diesen durch die Führung eines<br />

weiteren Rechtsstreits zu beseitigen oder zu vermindern,<br />

muss der Anwalt, sofern er seinen Auftraggeber nicht anderweitig<br />

schadlos stellt, diesen Rechtsstreit auf eigene Kosten<br />

und eigenes Risiko führen“. Dies betrifft indes nur den Sonderfall,<br />

dass ein weiterer – unsicherer – Rechtsstreit zur<br />

Schadensminderung oder-beseitigung erforderlich wäre.<br />

Ähnlich OLG Köln, NJW-RR 2004, 1573: Gefährdet der<br />

Anwalt des Versicherten durch seine unzureichenden Informationen<br />

gegenüber dem Rechtsschutzversicherer die Erteilung<br />

der Deckungszusage, so muss er das Risiko des Deckungsprozesses<br />

tragen. Er haftet dem Mandanten aus<br />

Schlechterfüllung des Mandatsvertrages auf Freistellung<br />

von den Kostenansprüchen der Gegenseite und des Gerichts,<br />

allerdings nur Zug um Zug gegen Abtretung der<br />

möglichen Ansprüche gegen die Rechtsschutzversicherung<br />

auf Übernahme der Kosten.<br />

AnwBl 12/2005<br />

Haftpflichtfragen<br />

3. Objektivierter Schaden und Restitutionsinteresse<br />

Bei der Berechnung des Schadens muss in der Regel auf<br />

objektive Methoden zurückgegriffen werden, so beispielsweise<br />

durch Zugrundelegung des Verkehrswerts der streitgegenständlichen<br />

Sache. Im Einzelfall kann aber dennoch<br />

das Restitutionsinteresse ausschlaggebend sein: Erwirbt der<br />

Mandant nach einer Fehlberatung bei einer Teilungsversteigerung<br />

das Objekt erst nachträglich vom Ersteigerer zu einem<br />

höheren Preis als es der Verkehrswert rechtfertigen<br />

würde, kann auch dieser Aufwand dem Anwalt im Regressprozess<br />

als Schaden zugerechnet werden (OLG Celle, Urt.<br />

v. 26.5.2004 – 3 U 263/03).<br />

4. Die subjektive Komponente<br />

Bei dem Vermögensvergleich kann auch ansonsten das<br />

subjektive Ziel des Mandanten eine Rolle spielen. Selbst<br />

wenn aufgrund Anwaltsverschuldens eine materiell-rechtlich<br />

begründete Forderung verloren geht, nimmt der BGH<br />

(NJW 2004, 1521) einen Schaden im Rechtssinne nur an,<br />

wenn der Mandant bei sachgerechtem Vorgehen des<br />

Rechtsanwalts tatsächlich Leistungen erhalten hätte. Trifft<br />

dies nicht zu, ist die verlorene Forderung wertlos. Soll z. B.<br />

der Titel gegen Schuldner allein dazu dienen, gegen dessen<br />

Haftpflichtversicherer vorzugehen, so ist ein Schaden nur<br />

dann entstanden, wenn der Deckungsanspruch besteht.<br />

5. Schadenskompensation durch Hinzutreten anderer<br />

Umstände<br />

Es kommt vor, dass der an sich durch den Anwaltsfehler<br />

verursachte Schaden dadurch kompensiert wird, dass der<br />

Mandant aufgrund anderer Umstände keinen finanziellen<br />

Verlust erleidet. Hier wird immer wieder diskutiert, ob es<br />

gerecht sei, dass der Anwalt auf diese Weise aus der Haftung<br />

herauskommt. Man muss aber sehen, dass Schadenersatzansprüche<br />

keine Sanktionsfunktion haben. Andererseits<br />

wäre es ja auch nicht einzusehen, dass der<br />

Geschädigte doppelt entschädigt wird. Dennoch ist die<br />

Rechtsprechung hier nicht ganz konsequent in der Beurteilung.<br />

Das OLG Düsseldorf, MDR 2001, 1080, nahm keine<br />

Haftung des Rechtsanwalts für Beratungsverschulden bei<br />

der Zugewinnausgleichsberechnung an, weil der Beratungsfehler<br />

(Abraten von Berufung) durch einen Fehler im nicht<br />

angefochtenen Urteil kompensiert wurde, der auf Anschlussberufung<br />

des Gegners korrigiert worden wäre.<br />

Ein Vorteilsausgleich kann dann stattfinden, wenn der<br />

Geschädigte gerade durch das haftungsrelevante Verhalten<br />

finanzielle Vorteile erlangt. So ist auf den Regressschaden<br />

eines Arbeitgebers, der infolge unerkannter Versicherungspflicht<br />

eines Mitarbeiters keinen Arbeitnehmeranteil vom<br />

Lohn abzieht und diesen Abzug nicht mehr nachholen<br />

kann, der Vorteil anzurechnen, den die Verjährung von Beitragsansprüchen<br />

gegen den Arbeitgeber aus dem nämlichen<br />

Grund wegen des Arbeitgeberanteils bewirkt (BGH, NJW-<br />

RR 2005, 1223).<br />

Bei der Berechnung des Schadens muss natürlich ohnehin<br />

berücksichtigt werden, ob der Geschädigte Leistungen<br />

erhalten hat. Erhebt z. B. ein Anwalt eine Schadensersatzklage<br />

verspätet und wird deswegen im Schadensersatzprozess<br />

ein Vergleich geschlossen, so haftet er (nur) für die<br />

Differenz zwischen Vergleichsbetrag und Klageforderung,<br />

soweit diese bei rechtzeitiger Klageerhebung begründet gewesen<br />

wäre (OLG Hamm NJW-RR 2004, 213).


AnwBl 12/2005 787<br />

7<br />

Anwaltsrecht<br />

Aufrechnung mit Vergütungsanspruch<br />

BGB §§ 675, 396, 242; BRAO § 43 a Abs. 5; BORA § 4; CCBE-<br />

Regeln Ziff. 3.8.1.5 b<br />

1. Der Rechtsanwalt kann seinen Vergütungsanspruch nicht gegen<br />

den Anspruch des Mandanten auf Auszahlung einer Abfindung<br />

aus einem Scheidungsverfahren aufrechnen, wenn das<br />

Fremdgeld auch dem künftigen Lebensunterhalt des Mandanten<br />

dienen soll.<br />

2. Der Mandant hat einen Schadensersatzanspruch auf Freistellung<br />

von Vergütungsansprüchen gegen seinen Anwalt, wenn die<br />

Bewilligung der Prozesskostenhilfe (PKH) vom Gericht zu Unrecht<br />

aufgehoben wird und der Anwalt nicht zur Einlegung eines<br />

Rechtsmittels rät.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.7.2005 – I-24 U 45/05<br />

Sachverhalt: Der Beklagte Rechtsanwalt hatte die Klägerin in<br />

einer Scheidungssache vertreten. Der Klägerin war zunächst Prozesskostenhilfe<br />

(PKH) gewährt worden. Aufgrund eines Vergleichs<br />

zwischen den Eheleuten erhielt die Klägerin einen Betrag von<br />

35.000 Euro, der auf das Konto des Rechtsanwalts gezahlt wurde.<br />

Die Zahlung führte dazu, dass die PKH aufgehoben wurde. Der<br />

Rechtsanwalt machte darauf seine Vergütung gegenüber der Klägerin<br />

geltend und rechnete seinen Vergütungsanspruch gegen den<br />

Auszahlungsanspruch der Klägerin auf. Die Klägerin klagte auf<br />

Auskehr des gesamten Fremdgelds und gewann vor dem Landgericht.<br />

Im Berufungsverfahren wurde noch um einen Betrag in<br />

Höhe der geltend gemachten Anwaltsvergütung gestritten. Das<br />

OLG kündigte in dem folgenden Hinweisbeschluss an, die Berufung<br />

gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Berufung ist<br />

daraufhin zurückgenommen worden.<br />

Aus den Gründen: Die Berufung des Beklagten hat keine Aussicht<br />

auf Erfolg. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden<br />

Gründe des angefochtenen Urteils. Die hiergegen in der Berufungsbegründung<br />

erhobenen Angriffe bieten keinen Anlass zu<br />

einer anderen Beurteilung.<br />

1. Ein Erfolg ist der Berufung schon deshalb verwehrt, weil die<br />

Aufrechnung des Beklagten gegen den Anspruch der Klägerin auf<br />

Auszahlung des aufgrund des Vergleichs der Eheleute zu ihren<br />

Gunsten auf ein Konto des Beklagten überwiesenen Abfindungsbetrages<br />

mit eigenen Gebührenansprüchen unzulässig ist.<br />

a) Die Aufrechnung ist nach § 242 BGB ausgeschlossen, wenn<br />

die Eigenart des Schuldverhältnisses oder der Zweck der geschuldeten<br />

Leistung die Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar<br />

erscheinen lässt (BGH NJW 1994, 2885; Palandt/Heinrichs,<br />

BGB, 64. Aufl., § 387 Rdnr. 15 m. w. N. Hausler/Prüting, BRAO<br />

2. Aufl., § 43 a Rdnr, 177, Hartung/Holl BORA, 2 Aufl., § 4<br />

Rdnr. 28). Hier hindert die zweckgebundene Leistung die Aufrechnung;<br />

denn der Beklagte hat nach eigenem Vortrag (Berufungsbegründung<br />

Seite 3) aus einem Vergleich in einem Scheidungsverbundverfahren<br />

35.000 Euro erlangt, die der frühere Ehemann der<br />

Klägerin dieser als Abfindung zu zahlen hatte. Da die finanziellen<br />

Verhältnisse der Klägerin beengt waren, wie die frühere Bewilligung<br />

von Prozesskostenhilfe belegt, musste die Summe auch dem<br />

künftigen Lebensunterhalt der Klägerin dienen. In diesem Falle<br />

würde ein Zweck der Leistung, die Sicherung des künftigen Unterhalts,<br />

nicht nur erschwert; sondern geradezu vereitelt und es bestünde<br />

die Gefahr, dass die Klägerin bei zulässiger Aufrechnung<br />

alsbald wieder unterhaltsbedürftigwürde, und zwar zu Lasten öffentlicher<br />

Kassen oder – je nach Ausgestaltung desVergleichs –<br />

wiederum ihres damaligen Ehemannes.<br />

Bei einer solchen Sachlage bedarf es deshalb nicht der Feststellung,<br />

ob der Beklagte die Abfindungssumme nicht auch als Treuhänder<br />

entgegengenommen hat und die Aufrechnung aus diesem<br />

MN<br />

Grunde unzulässig wäre (vgl. Palandt aaO § 387 Rdnr. 15 f und<br />

BGH WM 2003, 92, jeweils m. w. N.).<br />

b) Im Übrigen hat die neuere Fassung von § 43 a Abs. 5 Satz 2<br />

BRAO in Verbindung mit § 4 Abs. 5 der Berufsordnung für Rechtsanwalte<br />

(BORA) in der Fassung vom 1. November 2001 sowie Ziffer<br />

3.8.1.5 b der Anlage 1 hierzu (Berufsregeln der Rechtsanwälte<br />

der Europäischen Union, zuletzt geändert am 28. November 1998)<br />

zu einer deutlichen Einschränkung der Befugnisse eines Rechtsanwalts<br />

geführt, mit Fremdgeldern eines Mandanten zu verfahren.<br />

Nach Ziffer 3.8.1.5 b ist nämlich vorbehaltlich entgegenstehender<br />

gesetzlicher Vorschriften oder gerichtlicher Anordnung und vorbehaltlich<br />

der ausdrücklichen oder stillschweigenden Einwilligung<br />

des Mandanten, für den die Zahlung vorgenommen wird, die Auszahlung<br />

von Mandantengeldern an dritte Personen unzulässig, und<br />

dies gilt ausdrücklich auch für den Ausgleich der Honorarforderungen<br />

des Rechtsanwaltes (vgl. hierzu auch Zugehör, Handbuch der<br />

Anwaltshaftung, Rdnr. 823), was die Aufrechnung insoweit ausschließt.<br />

2. Selbst wenn dies anders zu beurteilen wäre, würde der Berufung<br />

der Erfolg zu versagen sein; denn auch das Vorbringen des<br />

Beklagten zu den materiell-rechtlichenVoraussetzungen seiner Aufrechnungs(gebühren-)forderungen<br />

ist nicht schlüssig.<br />

a) Anders als noch in erster Instanz ist inzwischen unstreitig,<br />

dass die Parteien seinerzeit durch mehrere Mandatsverhältnisse<br />

miteinander verbunden waren, und jedenfalls mit der Berufungsbegründung<br />

hat die Klägerin auch die zuvor von ihr vermissten<br />

ordnungsgemäßen Honorarabrechnungen erhalten. Ferner ist zugrunde<br />

zu legen, dass der Klägerin im Oktober 2001 ratenfreie<br />

Prozesskostenhilfe bewilligt worden war in einem Verfahren auf<br />

einstweilige Anordnung betreffend die Herausgabe persönlicher<br />

Gegenstände, ferner dass die PKH-Bewilligung sich auch auf das<br />

Scheidungsverfahren und die Folgesachen Zugewinnausgleich und<br />

Unterhalt erstreckte (Beschluss vom 28. März 2002), und schließlich<br />

dass die PKH-Bewilligung durch Beschluss vom 18. September<br />

2003 aufgehoben wurde, und zwar aufgrund der Verbesserung<br />

der wirtschaftlichen Verhältnisse nach Zufluss von 35.000 Euro.<br />

Dies ist aber entgegen einer früher in der Rechtsprechung vertretenen<br />

Tendenz kein ausreichender Grund für eine Aufhebung der<br />

PKH-Bewilligung, wenn nicht weitere Bedingungen, etwa die Vortäuschung<br />

der Voraussetzungen oder absichtlich oder aus grober<br />

Fahrlässigkeit von einem Antragsteller unrichtig gemachte Angaben<br />

über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben<br />

waren (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 124 Rdnr. 17).<br />

Folglich hätte der Beklagte die von der Staatskasse aufgrund bewilligter<br />

PKH gezahlten Beträge nicht zurückzahlen, sondern vielmehr<br />

nach entsprechender Beratung der Klägerin ein – nach den<br />

obigen Erwägungen begründetes – Rechtsmittel gegen den Aufhebungsbeschluss<br />

einlegen müssen. Die aufgrund fehlerhaften Verhaltens<br />

nunmehr gegen die Klägerin geltend gemachten Ansprüche<br />

wegen der Rückzahlung an die Staatskasse kann der Beklagte folglich<br />

nicht durchsetzen, weil der Klägerin ein entsprechender Schadensersatzanspruch<br />

auf Freistellung von entsprechenden Honoraransprüchen<br />

erwachsen ist.<br />

Auch im Arrestverfahren war der Klägerin am 26. Oktober<br />

2001 PKH bewilligt worden. Für die auch insoweit vom Beklagten<br />

vorgenommene Rückzahlung von PKH-Gebühren hat sich der Beklagte<br />

auf ein Schreiben des Amtsgerichts Viersen vom 27. Februar<br />

2002 bezogen, dieses aber nicht vorgelegt und auch nicht<br />

Anzeige


788<br />

MN<br />

mitgeteilt, wieso zu jener Zeit ein Wegfall der Voraussetzungen für<br />

die Bewilligung von PKH, und das mit Rückwirkung, hätte gegeben<br />

sein sollen, und dies, obwohl sich die Klägerin bereite in erster<br />

Instanz auf die zutreffende Bewilligung von PKH bezogen hatte.<br />

Auch wenn es sich nicht um eine Aufhebung der PKH-Bewilligung<br />

nach § 124 ZPO, sondern um eine Entscheidung des Gerichts<br />

nach § 120 Abs. 4 ZPO gehandelt haben sollte, wie der Kläger<br />

anscheinend geltend machen will, ändert sich im Ergebnis<br />

nichts: in diesem Falle scheitern die gegen die Mandantin gerichteten<br />

Gebührenansprüche des Klägers an der sich aus den §§ 122<br />

Abs. 1 Nr. 3 und 1 b ZPO, 130 Abs. 1 BRAGO ergebenden Rechtslage:<br />

infolge der PKH-Bewilllgung ist für den beigeordneten Anwalt<br />

eine Forderungssperre entstanden, die mit einer Anordnung<br />

nach § 120 Abs. 4 ZPO noch nicht endet (vgl. Zöller/Philippi,<br />

ZPO, 25. Aufl., § 122 Rdnr. 12 und 14). Diese Rechtslage ist auch<br />

durch Vereinbarung mit der Partei selbst nicht abänderbar. Im Übrigen<br />

hat der Kläger weder detailliert mitgeteilt, wann und wie<br />

eine solche Absprache stattgefunden haben soll, noch eine solche<br />

unter Beweis gestellt.<br />

b) Soweit dem Beklagten danach überhaupt noch Gebührenansprüche<br />

gegen die Klägerin zustehen, gilt folgendes: Zu der Angelegenheit<br />

Hausratsteilung hat der Beklagte weder die Notwendigkeit<br />

einer Besprechung mit dem gegnerischen Anwalt, noch –<br />

trotz generellen Bestreitens der Klägerin – Zeitpunkt und Ort der<br />

Besprechung noch das nach § 118 Abs. 1 Ziffer 2 BRAGO erforderliche<br />

Einverständnis der Klägerin behauptet oder gar unter Beweis<br />

gestellt. Aus der Rechnung über 864,50 Euro sind folglich<br />

708,80 DM + 16 % Mehrwertsteuer = 822,21 DM = 420,39 Euro<br />

herauszurechnen, so dass der geforderte Restbetrag von 364,50<br />

Euro nicht gerechtfertigt ist. Überdies hat der Beklagte den Geschäftswert<br />

von 10.000 Euro nicht ausreichend dargelegt und auch<br />

keinen Beweis hierfür angeboten.<br />

3. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung<br />

nach § 522 Abs. 2 ZPO (Ziff. 2 und 3) liegen vor.<br />

4. Der Senat weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung<br />

vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO kostenrechtlich<br />

privilegiert ist.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Achim Steins, Mönchengladbach<br />

Anmerkung der Redaktion: Der Umgang mit Fremdgeldern gehört<br />

zu den heiklen Aufgaben eines Anwalts. Fehler und Schlampereien<br />

können schwerwiegende straf- und berufsrechtliche Konsequenzen<br />

haben. Fremdgelder sind unverzüglich an den<br />

Berechtigten weiterzuleiten (§ 4 Abs. 2 S. 1 BORA). Nicht ohne<br />

Hintergedanken ordnet § 4 Abs. 1 BORA an, dass zur Verwaltung<br />

von Fremdgeldern Anderkonten zu führen sind. Ein häufiges Problem<br />

in der Praxis ist – wie der hier abgedruckte Beschluss zeigt –<br />

das Zurückhalten von Fremdgeldern, um mit eigenen Vergütungsansprüchen<br />

(oder mit Ansprüchen auf Erstattung verauslagter Gerichtskosten)<br />

aufzurechnen. Der Anwalt sollte stets sehr genau prüfen,<br />

ob tatsächlich eine Aufrechnungslage besteht. Das OLG zeigte<br />

wenig Verständnis für den Anwalt, der zunächst sogar Fremdgeldern<br />

nicht ausgezahlt hatte, die seine behaupteten Vergütungsansprüche<br />

überstiegen.<br />

Das OLG kam zu einem Aufrechnungsverbot. Grundsätzlich ist<br />

die Aufrechnung zulässig, auch wenn die Forderungen aus früheren<br />

Mandaten stammen (Eylmann, in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Auflage<br />

2004, § 43 a Rn. 176). Eine Aufrechnung ist aber nicht möglich,<br />

wenn es sich um zweckgebundene Gelder handelt oder dem Anwalt<br />

Gelder treuhänderisch übergeben wurden. Zweckgebundene Gelder<br />

sind vor allem Fremdgelder, die der Mandant dem Anwalt zur Auszahlung<br />

an Dritte anvertraut (§ 4 Abs. 3 BORA, dazu Nerlich, in:<br />

Hartung/Holl, BORA, 2. Auflage 2001, § 4 BORA Rn. 28). Zweckbindungen<br />

sind aber auch Gelder für Gerichtskosten sowie Unterhaltsgelder<br />

unterworfen (Eylmann, in: Henssler/Prütting, aaO § 43 a<br />

Rn. 177). Die Zahlung aus dem Vergleich wertete das OLG (auch)<br />

als Unterhaltszahlung. Zu dem fand das Gericht ein Aufrechnungverbot<br />

in den Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäische<br />

Union (CCBE-Regeln). Das überzeugt nicht, weil die CCBE-Regeln<br />

– über § 29 BORA in das deutsche Recht eingeführt – nur den<br />

grenzüberschreitenden Verkehr regeln. Eine unmittelbare Anwendung<br />

scheidet damit in diesem Fall aus.<br />

AnwBl 12/2005<br />

Rechtsprechung<br />

Das Gericht half der früheren, vermutlich enttäuschten Mandantin<br />

des Anwalts aber nicht nur mit dem Aufrechnungsverbot.<br />

Im zweiten Teil der Entscheidung kommt das OLG zu dem Ergebnis,<br />

dass dem Anwalt auf jeden Fall kein Vergütungsanspruch zustehe,<br />

weil die Mandantin ihrerseits einen Schadensersatzanspruch<br />

geltend machen könne. Die ursprünglich bewilligte PKH sei zu<br />

Unrecht vom Gericht aufgehoben worden, was der Anwalt hätte<br />

bemerken und verhindern müssen. Fazit: Der Anwalt hat umsonst<br />

gearbeitet – und wegen der verspäteten Freigabe der Fremdgelder<br />

möglicherweise noch einigen Ärger.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

Fortführung der Firma bei Rechtsanwalts-GmbH<br />

BGB § 12; HGB § 24<br />

Eine Rechtsanwalts-GmbH ist im Zweifel zur Fortführung ihrer<br />

Firma berechtigt, auch wenn ein namensgebender Gesellschafter<br />

ausscheidet.<br />

(nicht rechtskräftig)<br />

LG Köln, Urt. v. 20.9.2005 – 33 O 87/05<br />

Sachverhalt: Der Kläger ist Rechtsanwalt. Ab Juli 1997 führte<br />

der Kläger Gespräche mit den Gesellschaftern der Dr. W. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

über den Aufbau einer Anwaltsgesellschaft<br />

mit dem Ziel, dass die neu zu gründende Anwalts-GmbH<br />

ihre Tätigkeit zum 1.1.1998 aufnehmen sollte. In diesem Zusammenhang<br />

erzielte man Übereinstimmung, dass die Gesellschaft<br />

eine Firma erhalten sollte, in der der Nachname des Klägers vorangestellt<br />

werden sollte, und dass der Kläger zum 30.6.2003, frühestens<br />

zum 30.5.2002 aus der Gesellschaft ausscheiden und seine<br />

Anteile an einen oder mehrere Gesellschafter abtreten sollte.<br />

Im Zuge der Verhandlungen wandte sich der Kläger mit Schreiben<br />

vom 18.11.1997 an seine Verhandlungspartner. Darin führte<br />

der Kläger unter Ziffer 3 aus:<br />

„Kaufpreis für die Abtretung meiner GmbH-Anteile bei Ausscheiden:<br />

Dabei handelt es sich um eine Abfindung für die Überführung<br />

und im Ausscheidenszeitpunkt noch bestehender Mandate,<br />

für die Fortführung meines Namens in der Anwalts-GmbH sowie<br />

um eine Vergütung für das vorgesehene Wettbewerbsverbot (§ 21<br />

Abs. 4). In unserer Besprechung vom 20. Oktober 1997 hatten Sie<br />

mir mitgeteilt, „angedacht seien 1,5 Punkte“; die Frage blieb<br />

aber offen. Ich verstehe die vorgesehene Regelung nach Studium<br />

der Verträge dahingehend, dass 1,5 Zählerpunkte der Gewinnquote<br />

gemeint sind, also nach derzeitiger Situation ca. DM<br />

300.000,00. Wenn ich von einem eingebrachten Jahresumsatz von<br />

ca. DM 2,0 Mio. ausgehe, sehe ich keinen rechten Zusammenhang<br />

mit dem Betrag von 1,5 Zählerpunkten, vor allem, wenn man die<br />

für mich vorgesehene Konkurrenzklausel (Ergänzung zu § 21<br />

Abs. 4) berücksichtigt, vor allem fehlt ein Bezug zu der Situation<br />

der Anwalts-GmbH.<br />

In der Folgezeit einigte sich der Kläger mit seinen Verhandlungspartnern,<br />

dass es zu keiner höheren Kaufpreiszahlung kommen<br />

sollte, im Gegenzug aber der Umfang der von dem Kläger zu<br />

erbringenden Gegenleistungen reduziert werden sollte.<br />

Mit Gesellschaftsvertrag vom 11.12.1997 wurde zunächst die<br />

W. Rechtsanwaltsgesellschaft mbh gegründet. Mit Kauf- und Abtretungsvertrag<br />

vom 30.12.1997 veräußerte einer der Gesellschafter<br />

dieser GmbH einen Teilgeschäftsanteil an den Kläger. In der im<br />

Anschluss an die Übertragung der Geschäftsanteile an den Kläger<br />

abgehaltenen Gesellschafterversammlung wurde die Änderung der<br />

Firma der Beklagten in R. & W. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH<br />

(unter Berücksichtigung des Nachnamens R. des Klägers) beschlossen<br />

und der Kläger neben weiteren Personen zum Geschäftsführer<br />

bestellt.<br />

Mit Wirkung vom 1.1.1998 wurde der Kläger ferner als Kommanditist<br />

in die Dr. W. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aufgenommen,<br />

wobei die den Kläger betreffenden Änderungen des<br />

Gesellschaftsvertrages in der Ergänzung XV. festgehalten wurden.<br />

Am 21.12.2001 übertrugen die Gesellschafter der Beklagten<br />

ihre Geschäftsanteile an die R. & W. Beteiligungsgesellschaft bür-


AnwBl 12/2005 789<br />

Rechtsprechung MN<br />

gerlichen Rechts, deren Zweck das Halten und Verwalten der Beteiligung<br />

an der Beklagten war.<br />

Der Kläger schied mit Wirkung zum 30.6.2003 aus der die Anteile<br />

an der Beklagten haltenden Beteiligungs-GbR aus. In der Folgezeit<br />

war er auf der Grundlage eines Beratervertrages noch bis<br />

zum 30.6.2004 für die Beklagte tätig.<br />

Der Kläger meint, ihm stünden namensrechtliche Ansprüche<br />

auf Unterlassung der weiteren Verwendung seines Namens als Bestandteil<br />

der Firma der Beklagten zu. Er habe der Beklagten nicht<br />

die Nutzung seines Namens für die Zeit nach Beendigung seiner<br />

Tätigkeit gestattet.<br />

Aus den Gründen: Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann<br />

von der Beklagten nicht Unterlassung der Verwendung des Namens<br />

R. in ihrer Unternehmensbezeichnung bzw. ihrer Domain verlangen.<br />

Ein solcher Anspruch steht dem Kläger aus § 12 BGB nicht<br />

zu.<br />

Spätestens mit seiner Zustimmung zur Änderung der Firma der<br />

Beklagten in „R. & W. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH“, in der Gesellschafterversammlung<br />

vom 30.12.1997 hat der Kläger nach dem<br />

übereinstimmenden Willen aller Beteiligten sein Einverständnis<br />

mit einer dauerhaften Führung dieser Firma unabhängig von seiner<br />

Stelluns als Gesellschafter erteilt.<br />

Dies ergibt sich daraus, dass eine ausdrückliche Regelung über<br />

die Begrenzung der Nutzungsdauer unstreitig nicht getroffen worden<br />

ist. Gerade im Hinblick auf die Ausführungen des Beklagten<br />

im Schreiben vom 18.11.1997 wäre dies aber geboten gewesen.<br />

Danach ging der Beklagte seinerzeit davon aus, dass der vorgesehene<br />

Kaufpreis für die Abtretung der GmbH-Anteile bei Ausscheiden,<br />

eine Abfindung für die Überführung bestehender Mandate, die<br />

Fortführung des Namens und eine Vergütung für das Wettbewerbsverbot<br />

sein sollte. Unstreitig ist man in der Folge zu einer Änderung<br />

der bereits vorgesehenen vertraglichen Regelungen gelangt,<br />

da dem Beklagten die vorgesehene Summen angesichts seiner „Gegenleistung“<br />

zu gering erschien. Eine solche Abänderung ist aber<br />

nur in Bezug auf die Überführung der Mandate und das Wettbewerbsverbot<br />

erfolgt. Eine ausdrückliche Beschränkung der Namensfortführung<br />

ist hingegen nicht vereinbart worden. Diese – und<br />

nicht eine Festschreibung des Rechts zur Namensfortführung –<br />

wäre aber auch nach dem Vertrag des Klägers aus der Sicht der<br />

Parteien erforderlich gewesen. Unstreitig ist über die Namensfortführung<br />

zwischen den damaligen Verhandlungspartnern nicht ausdrücklich<br />

gesprochen worden. Dementsprechend hat der Kläger<br />

auch keinen Vertragsentwurf vorgelegt, in dem eine solches Recht<br />

zunächst einmal ausdrücklich geregelt war. Wenn er gleichwohl im<br />

Schreiben vom 18.11.1997 unter Bezugnahme auf das „Studium<br />

der Verträge“ von einer Abfindung für die Namensfortfuhrung<br />

sprechen konnte, dann nur deshalb, weil alle Beteiligten übereinstimmend<br />

von diesem Recht der Beklagten ausgingen.<br />

Dies entsprach im Übrigen der damaligen und bis heute fortgeltenden<br />

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 24 Abs. 2<br />

HGB und der Firmenfortführung bei der GmbH. Dass die Beteiligten<br />

davon ausgegangen sein könnten, dass diese Rechtsprechung<br />

auf die nach „junge“ Rechtsform der Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

mbH keine Anwendung finden könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere<br />

ist nicht dargetan, dass man sich an den Entwürfen zur<br />

Änderung der BRAO orientiert hätte. Gerade wenn dies der Fall<br />

gewesen wäre, hätte angesichts der unsicheren Gesetzeslage erst<br />

recht aller Anlass zu einer ausdrückliche Regelung bestanden. Unstreitig<br />

ist indessen, dass noch nicht einmal ausdrücklich über die<br />

Firmenfortführung gesprochen worden ist.<br />

Schließlich machte die in der Folgezeit beibehaltene Regelung<br />

der vom Kläger zunächst monierten Berechnung der Abfindung<br />

über 1,5 Zählerpunkte wirtschaftlich nur Sinn, wenn die Beklagte –<br />

nach Wegfall der Pflicht zur Übertragung bestehender Mandate<br />

und des Wettbewerbsverbotes – damit das Recht zur Namensfortführung<br />

abgelten sollte. Dem kann auch nicht entgegengehalten<br />

werden, dass auch ohne Namensfortführung diese Regelung den<br />

Wert der abzutretenden GmbH-Anteile entgelten sollte. Zum einen<br />

dürften diese Anteile durch Mandatsfortführung und Wettbewerbsmöglichkeit<br />

nachhaltig entwertet worden sein, zum anderen ist der<br />

Kläger selber nicht davon ausgegangen, dass dieser Wert ausgeglichen<br />

werden sollte. Im Schreiben vom 18.11.1997 ist an keiner<br />

Stelle die Rede davon, dass neben der Abfindung für – Mandats-<br />

überführung, Wettbewerbsverbot und Namensfortführung auch der<br />

Wert der Gesellschaftsanteile ausglichen werden sollte. Vielmehr<br />

waren danach allein diese drei angedachten „Gegenleistungen“ der<br />

Bestimmungsfaktor für den Wert der abzutretenden Anteile.<br />

Der übereinstimmende Wille zur Namensfortführung durch die<br />

zu gründende GmbH entsprach auch der Interessenlage der Parteien<br />

bei Vertragsschluss. Denn danach sollte eine Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

mbH unter Hervorhebung des bekannten Namens des<br />

Klägers neu gegründet und am Markt plaziert werden, obwohl das<br />

Ausscheiden des Klägers frühestens in 5 1/2 spätestens in 6 1/2 Jahren<br />

fest vereinbart war.<br />

Wirtschaftlich sinnvoll konnte dies nur sein, wenn dabei eine<br />

Namensfortführung vorausgesetzt wurde. Dementsprechend ist die<br />

Firma auch nach Ausscheiden des Klägers aus der die Anteile an<br />

der Beklagten haltenden GbR unverändert fortgeführt worden,<br />

ohne dass einer der Beteiligten einen Regelungsbedarf gesehen<br />

hätte. Gerade wenn der Kläger davon ausgegangen wäre, dass die<br />

Namensfortführung von seiner Gesellschafterstellung abhängen<br />

sollte, hatte aus seiner Sicht zu diesem Zeitpunkt Klärungsbedarf<br />

bestehen müssen. Jedenfalls erscheint für einen solchen Fall der<br />

bloße Abschluss eines Beratervertrages ohne Regelung der Firmenforfführung<br />

durch die Beklagte nicht nachvollziehbar.<br />

Die Gestattung zur zeitlich unbegrenzten Namensfortführung<br />

ist auch nicht durch die außerordentliche Kündigung des Klägers<br />

wirksam beendet worden. Der Kläger hat nicht dargetan, dass ein<br />

wichtiger Grund für die Kündigung (vgl. dazu BGH GRUR 2002,<br />

2093, 2095 – „Vossius & Partner“) vorlag. Allein der Umstand,<br />

dass sich die personelle Besetzung auf seiten der Beklagten und<br />

deren fachliche Ausrichtung nicht so entwickelt haben sollen, wie<br />

es den Vorstellungen des Klägers entsprach, begründet noch keine<br />

Unzumutbarkeit der Namensfortführung.<br />

Dass schließlich in Fällen der vorliegenden Art wettbewerbsrechtliche<br />

Unterlassungsansprüche gegen die Fortführung des Namens<br />

in der Firma nicht gegeben sind, wenn sich der aus der Gesellschaft<br />

ausscheidende Anwalt entschließt, seine berufliche<br />

Tätigkeit anderweitig fortzusetzen, ist bereits höchstrichterlich entscheiden<br />

worden (vgl. BGH aaO). Die dortigen Erwägungen gelten<br />

auch im vorliegenden Fall.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />

Freiburg i. Br.<br />

Anwaltshaftung<br />

Ursächlichkeit des Beratungsfehlers bei<br />

gleichwertigen Alternativen zum Handeln<br />

ZPO § 287<br />

Zu den Anforderungen an die Begründung der freien tatrichterlichen<br />

Überzeugung, der Mandant hätte einen Abfindungsvergleich<br />

trotz der damit verbundenen Vorteile nicht geschlossen,<br />

wenn er vom Anwalt zutreffend über dessen rechtliche Risiken<br />

belehrt worden wäre.<br />

BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 49/02<br />

Sachverhalt: Der Kläger nimmt die beklagte Anwalts-Partnerschaftsgesellschaft<br />

wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages<br />

auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger war seit dem 1.<br />

Anzeige


790<br />

MN<br />

Januar 1990 Mitglied des Vorstandes der F. AG (fortan: AG) gewesen.<br />

Sein Anstellungsvertrag war bis zum 31. <strong>Dezember</strong> 1999 befristet.<br />

Im Jahr 1998 gab es Überlegungen, den Vertrag vorzeitig zu<br />

beenden. Der Kläger beauftragte die Beklagte, ihn dazu umfassend<br />

zu beraten. Am 25. November 1998 schlossen der Kläger und die<br />

AG eine Aufhebungsvereinbarung, die den Vertrag des Klägers<br />

zum 30. November 1998 beendete. Der Kläger erhielt eine Abfindung<br />

in Höhe von 1.150.000 DM brutto, welche der Höhe nach<br />

seinem garantierten Jahreseinkommen für das Jahr 1999 entsprach.<br />

Er erhielt außerdem vom 1. Januar 2000 an einen unverfallbaren<br />

Anspruch auf betriebliche Altersversorgung in Höhe von 48 % aus<br />

900.000 DM.<br />

Der Kläger wirft der Beklagten vor, ihn nicht darauf hingewiesen<br />

zu haben, dass seine Pensionsansprüche infolge der vorzeitigen<br />

Beendigung des Vertrages nicht gemäß §§ 1, 7 Abs. 1 BetrAVG insolvenzgesichert<br />

sind. Er hat behauptet, bei vollständiger Unterrichtung<br />

über die Rechtslage hätte er den Anstellungsvertrag nicht<br />

aufgehoben, sondern auf dessen Erfüllung bestanden, und beantragt<br />

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für sämtliche finanziellen<br />

Nachteile – begrenzt auf eine Haftungssumme von<br />

2.000.000 DM - einzustehen, die ihm im Falle einer Insolvenz der<br />

AG dadurch entstehen, dass der Pensionssicherungsverein die Pensionsansprüche<br />

wegen mangelnder Unverfallbarkeit seiner Anwartschaften<br />

ablehnt. Die Beklagte hat behauptet, den Kläger ausdrücklich<br />

auf den fehlenden Insolvenzschutz hingewiesen zu haben. Der<br />

Kläger habe die Aufhebungsvereinbarung im Hinblick auf das nur<br />

noch bis zum 31. <strong>Dezember</strong> 1998 geltende Steuerprivileg des § 34<br />

EStG in der damals geltenden Fassung unbedingt noch im Jahr<br />

1998 schließen wollen.<br />

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht<br />

hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Revision<br />

erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen<br />

Urteils.<br />

Aus den Gründen: Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung<br />

des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der<br />

Sache an das Berufungsgericht.<br />

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei als Feststellungsklage<br />

zulässig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme<br />

stehe fest, dass der für die Beklagte handelnde Rechtsanwalt Dr.<br />

K. seine Beratungspflicht verletzt habe. Dieser habe den Kläger<br />

nicht ausreichend darüber belehrt, dass bei vorzeitiger Vertragsauflösung<br />

und einer dadurch bedingten Vertragslaufzeit von nur 9 Jahren<br />

im Falle einer Insolvenz der AG keine Ansprüche gegen den<br />

Pensionssicherungsverein bestünden. Die Pflichtverletzung sei kausal<br />

für den Schaden, der dem Kläger drohe; denn ohne die Zustimmung<br />

des Klägers hätte der Vertrag nicht vorzeitig beendet werden<br />

können. Ob der Kläger sich im Wege des Vorteilsausgleichs Steuervorteile<br />

anrechnen lassen müsse, sei gegebenenfalls im Betragsverfahren<br />

zu entscheiden.<br />

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung<br />

nicht stand.<br />

1. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Ein Feststellungsinteresse<br />

(§ 256 Abs. 1 ZPO) für einen künftigen Anspruch<br />

auf Ersatz eines allgemeinen Vermögensschadens besteht zwar regelmäßig<br />

nicht, solange der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss<br />

ist (BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92, WM<br />

1993, 251, 259 f). Das gilt jedoch dann nicht, wenn die für den<br />

Anspruch geltende Verjährungsfrist unabhängig von dessen Entstehung<br />

zu laufen beginnt. Im vorliegenden Fall richtet sich die Verjährung<br />

des geltend gemachten Anspruchs nach § 51 b Fall 2<br />

BRAO. Die Verjährung etwaiger Ansprüche des Klägers wegen<br />

fehlerhafter Beratung hat mit der Beendigung des Auftrags der Beklagten<br />

im Jahre 1998 begonnen. Daraus folgt ohne weiteres ein<br />

rechtliches Interesse des Klägers an der alsbaldigen Klärung der<br />

Haftungsfrage (§ 256 Abs. 1 ZPO).<br />

2. Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zur umfassenden Beratung<br />

des Klägers beim Abschluss des Aufhebungsvertrages verletzt,<br />

indem sie ihn nicht umfassend und verständlich über die<br />

Frage der Insolvenzsicherheit seiner Versorgungsansprüche aufgeklärt<br />

hat. Die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts<br />

werden von der Revision zu Recht nicht angegriffen.<br />

3. Das Berufungsgericht hat jedoch keine ausreichenden Feststellungen<br />

zu der Frage getroffen, ob der Beratungsfehler der Be-<br />

AnwBl 12/2005<br />

Rechtsprechung<br />

klagten für den Vermögensnachteil, den der Kläger im Falle einer<br />

Insolvenz der AG befürchtet, ursächlich geworden ist. Es hat dafür<br />

ausreichen lassen, dass die AG den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung<br />

nicht gegen den Willen des Klägers hätte erzwingen<br />

können, also unterstellt, der Kläger hätte die Vereinbarung bei vollständiger<br />

Aufklärung nicht geschlossen. Damit hat es das Vorbringen<br />

der Parteien – wie die Revision zu Recht rügt – nicht ausgeschöpft.<br />

a) Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Beratung<br />

des Rechtsanwalts verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden<br />

Kausalität, die der Mandant nach § 287 ZPO zu beweisen<br />

hat (BGHZ 129, 386, 399; BGH, Urt. v. 13. Januar 2005 – IX ZR<br />

455/00, BGH-Report 2005, 787, 788). Der Beweis kann durch die<br />

Vermutung beratungsgerechten Verhaltens erleichtert werden.<br />

Diese Vermutung gilt jedoch nur, wenn nach der Lebenserfahrung<br />

bei vertragsgemäßer Leistung des Beraters lediglich ein bestimmtes<br />

Verhalten nahegelegen hätte (BGHZ 123, 311, 314 ff.; 126, 217,<br />

224; BGH, Urt. v. 13. Januar 2005, aaO). Eine derartige Feststellung<br />

hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Sie läge auch fern.<br />

b) Um beurteilen zu können, wie ein Mandant sich nach<br />

pflichtgemäßer anwaltlicher Beratung verhalten hätte, müssen die<br />

Handlungsalternativen geprüft werden, die sich ihm stellten; deren<br />

Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie miteinander und mit den<br />

Handlungszielen des Mandanten verglichen werden (BGH, Urt. v.<br />

13. Januar 2005, aaO). Der Kläger hätte nach vollständiger Aufklärung<br />

über die Folgen der Aufhebungsvereinbarung – wie er behauptet<br />

– von deren Abschluss absehen können; er hätte sie jedoch<br />

auch – wie die Beklagte behauptet – gleichwohl unterzeichnen<br />

können.<br />

Beide Parteien haben umfänglich dazu vorgetragen, welche Gesichtspunkte<br />

für und gegen die eine oder die andere Entscheidung<br />

gesprochen hätten. Wäre der Anstellungsvertrag nicht vorzeitig beendet<br />

worden, wären die Versorgungsansprüche des Klägers teilweise<br />

für den Fall einer späteren Insolvenz der AG gesichert gewesen.<br />

Diese Sicherung hätte jedoch nicht für die gesamten<br />

Versorgungsansprüche des Klägers von 432.000 DM (48 % von<br />

900.000 DM) gegolten. Gemäß § 3 Abs. 3 BetrAVG war die Versicherungsleistung<br />

des Pensionssicherungsvereins auf den dreifachen<br />

Betrag der Bezugsgröße des § 18 SGB IV begrenzt. Im Insolvenzfalle<br />

hätte der Kläger daher nur Anspruch auf jährliche<br />

Leistungen in Höhe von 158.760 DM (4.410 DM x 3 x 12) gehabt.<br />

Die im Anstellungsvertrag des Klägers versprochenen Anwartschaften<br />

für zusätzliche 10 Jahre wären gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1<br />

BetrAVG ebenfalls nicht abgesichert gewesen. Die vorzeitige Auflösung<br />

des Vertrages brachte dem Kläger demgegenüber einen<br />

Steuervorteil von 287.387 DM (§ 34 EStG a. F.). Die Abfindung in<br />

Höhe von 1,15 Mio. DM wurde bereits am 31. <strong>Dezember</strong> 1998<br />

ausgezahlt. Das Jahresgehalt für 1999 in Höhe von 600.000 DM<br />

wäre im Verlauf des Jahres 1999 ausgezahlt worden, der Festbetrag<br />

von 300.000 DM erst am 31. <strong>Dezember</strong> 1999 und die Tantieme<br />

von mindestens 200.000 DM am Tag nach der Hauptversammlung,<br />

in der der Bericht über das Geschäftsjahr 1999 vorgelegt worden<br />

wäre. Weitere 50.000 DM wären nicht an den Kläger ausgezahlt,<br />

sondern für Prämienleistungen für eine private Versicherung zur<br />

Altersversorgung verwandt worden. Der Kläger hätte der AG außerdem<br />

noch im Jahre 1999 seine volle Arbeitskraft zur Verfügung<br />

stellen müssen. Wie hoch das Risiko einer Insolvenz der AG einzuschätzen<br />

war, konnte der Kläger als ehemaliges Mitglied des<br />

Vorstandes am besten beurteilen; im vorliegenden Rechtsstreit haben<br />

beide Parteien den wirtschaftlichen Zustand der AG als „gut“<br />

bezeichnet.<br />

Alle diese Umstände hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt.<br />

Die Würdigung des Tatsachenstoffs obliegt grundsätzlich<br />

dem Tatrichter (BGH, Urt. v. 13. Januar 2005, aaO). Sie kann in der<br />

Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden. Das angefochtene Urteil<br />

ist daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a. F.).<br />

4. Das Berufungsurteil kann außerdem aus einem weiteren<br />

Grund keinen Bestand haben. Selbst dann, wenn alle Voraussetzungen<br />

eines Schadensersatzanspruchs aus positiver Vertragsverletzung<br />

des Anwaltsvertrages festgestellt werden, kann der Kläger<br />

nicht Ersatz des aus der fehlenden Unverfallbarkeit seiner Pensionsansprüche<br />

resultierenden Schadens verlangen. Er behauptet, bei<br />

ordnungsgemäßer Aufklärung über die Rechtslage hätte er die Aufhebungsvereinbarung<br />

nicht geschlossen. Dann besteht sein Schaden


AnwBl 12/2005 791<br />

Rechtsprechung MN<br />

darin, die Vereinbarung geschlossen zu haben; er kann – das Vorliegen<br />

der übrigen Anspruchsvoraussetzungen unterstellt - verlangen,<br />

so gestellt zu werden, als hätte er die Vereinbarung nicht geschlossen.<br />

Im Rahmen eines späteren Betragsverfahrens müssten<br />

die Vor- und die Nachteile, welche die Vereinbarung mit sich gebracht<br />

hat, darunter auch die von der Beklagten behaupteten Steuervorteile,<br />

in den erforderlichen „Gesamtvermögensvergleich“ (vgl.<br />

BGH, Urt. v. 20. November 1997 – IX ZR 286/96, WM 1998,<br />

142 f.; Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 1087)<br />

eingestellt werden.<br />

Der jetzige Feststellungsausspruch stellt den Kläger demgegenüber<br />

so, dass ihm sämtliche Vorteile der Aufhebungsvereinbarung<br />

zufließen, der Nachteil der fehlenden Insolvenzsicherung dagegen<br />

nicht eintritt. Da dies aber selbst nach dem Vorbringen des Klägers<br />

nicht erreichbar war, dieser vielmehr behauptet, er hätte bei vertragsgerechter<br />

Beratung die Abfindungsvereinbarung nicht geschlossen,<br />

entspricht das angefochtene Urteil in diesem Punkt nicht<br />

der allgemein anerkannten Regel, dass auch dem Grunde nach der<br />

Schaden durch einen Vergleich der gegenwärtigen Vermögenslage<br />

mit derjenigen, die ohne das pflichtwidrige Verhalten des Anwalts<br />

eingetreten wäre, bestimmt werden muss. Der Kläger kann daher<br />

schon seiner eigenen Darstellung nach nur den Schaden ersetzt verlangen,<br />

der ihm daraus entsteht, dass er infolge unzureichender anwaltlicher<br />

Beratung über die Voraussetzungen der Insolvenzsicherung<br />

die Abfindungsvereinbarung vom 25. November 1998<br />

geschlossen hat. Nur ein entsprechend eingeschränkter Feststellungsausspruch<br />

ermöglicht es, im Falle einer zukünftigen Insolvenz<br />

der AG die dem Kläger günstigen Rechtsfolgen der Abfindungsvereinbarung<br />

nach den Regeln über den Vorteilsausgleich zu berücksichtigen.<br />

III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist an das<br />

Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO<br />

a. F.). Nach der Zurückverweisung hat der Kläger Gelegenheit, den<br />

Feststellungsantrag neu zu formulieren (§ 139 ZPO). Das Berufungsgericht<br />

wird den Vortrag der Parteien zur Kausalität der<br />

Pflichtverletzung für den Schaden sowie eventuelle Beweisanträge<br />

umfassend auszuwerten haben, um feststellen zu können, welche<br />

Entscheidung der Kläger bei vollständiger Belehrung über die Folgen<br />

der Aufhebungsvereinbarung getroffen hätte. Dabei wird es<br />

die Beweiserleichterungen zu beachten haben, die dem Geschädigten<br />

nach § 287 ZPO zugute kommen. Grundsätzlich reicht eine<br />

deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ein Schaden entstanden ist, für die richterliche<br />

Überzeugungsbildung aus (BGH, Urt. v. 18. März 2004 – IX ZR<br />

255/00, WM 2004, 2217, 2219). Geht es darum, welche hypothetische<br />

Entscheidung der Mandant bei vertragsgerechtem Verhalten<br />

des rechtlichen Beraters getroffen hätte, liegt es nahe, ihn dazu gemäß<br />

§ 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu vernehmen, weil es um eine innere,<br />

in seiner Person liegende Tatsache geht. Da die Feststellung,<br />

ob ein Schaden entstanden ist, nach den Beweisregeln des § 287<br />

ZPO getroffen wird, gehört die Frage, wie sich der Mandant bei<br />

ordnungsgemäßer Beratung verhalten hätte, zu dem von § 287<br />

Abs. 1 Satz 3 ZPO erfassten Bereich (BGH, Urt. v. 16. Oktober<br />

2003 – IX ZR 167/02, WM 2004, 472, 474).<br />

Übermittlung per Telefax<br />

ZPO § 233<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn<br />

ein per Telefax übermittelter Schriftsatz zwar verspätet eingeht,<br />

der Anwalt aber durch Vorlage eines von seinem Fax-Gerät ausgedruckten<br />

Einzelnachweises mit „OK-Vermerk“ die rechtzeitige<br />

Übermittlung des Schriftsatzes vor Fristablauf belegen kann.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

OLG Brandenburg, Urt. v. 29.9.2005 – 12 U 47/05<br />

Aus den Gründen: Die zulässige Berufung hat in der Sache insoweit<br />

Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache<br />

an das Landgericht gem. § 538 Abs. 2 S. l Nr. 2 ZPO zurückzuverweisen<br />

ist. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der<br />

Einspruch gegen das Vcrsäumnisurteil vom 18.10.2004 zulässig,<br />

wobei das Landgericht zutreffend den Einspruch als nicht mehr<br />

rechtzeitig eingegangen erachtet hat, jedoch zu Unrecht den Be-<br />

klagten auf ihren Antrag hin keine Wiedereinsetzung in den vorigen<br />

Stand gewährt hat.<br />

Die den Zeitpunkt des Eingangs ausweisende Kopfzeile des<br />

Einspruchsschriftsatzcs vom 10.11.2004 gibt zu erkennen, dass der<br />

Schriftsatz erst am 12.11.2004 um 9:53 Uhr, mithin einen Tag nach<br />

Ablauf der Einspruchsfrist beim Landgericht eingegangen ist. Etwas<br />

anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Wachtmeisterei<br />

des Landgerichts erstellten Fax-Journal.<br />

Mithin ergeben sich aus einem Vergleich zwischen dem auf<br />

dem Schriftsatz befindlichen Eingangszeitpunkt und den Angaben<br />

im Fax-Journal keine Unregelmäßigkeiten, die Zweifel an der<br />

Richtigkeit des auf dem Schriftsatz angebrachten Eingangszeitpunktes<br />

begründen könnten. Entsprechend verhält es sich mit dem<br />

von dem Beklagten vorgelegten Sendebericht vom 11.11.2004 mit<br />

sog. „OK-Vermerk“, da er lediglich ein Indiz darstellt, welches<br />

aber allein nicht geeignet ist, die Richtigkeit der sich auf dem Einspruchsschriftsatz<br />

befindlichen Eingangsdaten ernsthaft in Frage zu<br />

stellen (vgl. auch BGH NJW-RR 2002, 999, 1000).<br />

Von Bedeutung ist der Sendebericht jedoch für den rechtzeitig<br />

gestellten Wiedereinsetzungsantrag, der begründet ist, weil die Beklagten<br />

ohne Verschulden verhindert waren, die Einspruchsfrist<br />

einzuhalten (§ 333 ZPO). Die Ausführungen des Landgerichts<br />

hierzu überzeugen nicht. Insbesondere wird seitens des Landgerichts<br />

die Frage des tatsächlichen Eingangs der Einspruchsschrift<br />

mit der Frage der Absendung in einer in dieser Form nicht zulässigen<br />

Weise miteinander vermengt. Das Landgericht führt lediglich<br />

aus, dass der Schriftsatz vom 10.11.2004 nicht rechtzeitig abgesandt<br />

worden sei, sei bereits im Einzelnen dargelegt worden.<br />

Dies trifft jedoch nicht zu, denn es wurde lediglich ausgeführt,<br />

dass der Schriftsatz erst am 12.11.2004 eingegangen ist. woraus<br />

sich jedoch nicht zwingend ergibt, dass er nicht bereits einen Tag<br />

zuvor per Fax abgesandt worden sein kann. Obwohl die Beklagten<br />

sich zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages insbesondere<br />

auf den Sendebericht mit dem darin enthaltenen „OK-Vermerk“<br />

berufen haben, geht das Landgericht hierauf nicht näher ein,<br />

sondern hält kurzerhand die Angaben der Büroangestelhen der Prozessbevollmächtigten<br />

der Beklagten in ihrer eidesstattlichen Versicherung<br />

für unglaubhaft, verkennt dabei jedoch die Rechtslage in<br />

Bezug auf die Bedeutung eines Sendeberichts. Macht ein Anwalt<br />

von der Möglichkeit der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze<br />

durch Telefax Gebrauch, hat er mit der ordnungsgemäßen Nutzung<br />

eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Angabe der<br />

Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung<br />

getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass er<br />

unter gewöhnlichen Umständen mit ihrem Abschluss bis zum Ablauf<br />

des Tages rechnen kann (Stein/Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl.,<br />

2005, § 233, Rn. 52 m. w. N.). Belegt ein vom Fax-Gerät des Absenders<br />

ausgedruckter Einzelnachweis die ordnungsgemäße Übermittlung,<br />

kann darüber hinaus im Anschluss daran auch die Berufungsfrist<br />

im Fristenkalender gelöscht werden (BGH NJW-RR<br />

2002, 999). Entgegen der Ansicht des Klägers besteht also eine<br />

Verpflichtung zur Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes<br />

vor Dienstschluss und zur Vornahme einer telefonischen Nachfrage<br />

zur Bestätigung des Eingangs des Schriftsatzes bei Gericht nicht.<br />

Die Beklagten haben sich als Mittel der Glaubhaftmachung für die<br />

rechtzeitige Absendung auf den Sendebericht sowie auf die eidesstattliche<br />

Erklärung der bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />

angestellten Mitarbeiterin K. berufen. Letztgenannte schildert<br />

in der eidesstattlichen Erklärung, auf welche Weise es zu der<br />

Übersendung per Fax gekommen sein soll. Sie will, nachdem zunächst<br />

eine Übersendung an das Landgericht daran gescheitert sei,<br />

dass der Anschluss besetzt gewesen sei, zunächst dem Mandanten<br />

Anzeige


792<br />

MN<br />

eine Abschrift gefaxt haben, was ausweislich des Fax-Protokolls<br />

um 16:46 Uhr der Fall gewesen sein soll. Ein zweiter Versuch zur<br />

Übermittlung des Einspruchsschriftsatzes an das Landgericht sei<br />

dann erfolgreich gewesen, wovon sie sich nach Ausdruck des Sendeberichts<br />

vergewissert habe. Durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit<br />

dieser in sich stimmigen Angaben bestehen nicht. Die extrem<br />

lange Übermittlungsdauer ist zwar ungewöhnlich; gleichwohl<br />

kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass aufgrund<br />

einer wie auch immer gearteten technischen Störung die Übermittlungszeit<br />

derart lange gedauert hat. Allein die ungewöhnlich lange<br />

Übermittlungszeit rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Mitarbeiterin<br />

der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine falsche<br />

eidesstattliche Erklärung abgegeben hat und überdies sie oder auch<br />

die Prozessbevollmächtigten selbst das Fax-Gerät manipuliert haben,<br />

indem, sie, um ein etwaiges Versäumnis hinsichtlich der rechtzeitigen<br />

Absendung des Schriftsatzes zu vertuschen, Datum und<br />

Uhrzeit am Fax-Gerät verstellt haben. Derart ungeheuerliche Vorgänge<br />

vermag der Senat den Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />

ohne konkrete Anhaltspunkte nicht zu unterstellen.<br />

Da sich das Landgericht bisher mit der Sache selbst noch nicht<br />

befasst hat, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht<br />

zurückzuverweisen.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dieter Kubach, Rüdersdorf bei Berlin<br />

Anwaltvergütung<br />

Kosten des auswärtigen Anwalts<br />

ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1<br />

Die erstattungsfähigen Reisekosten des nicht am Gerichtsort ansässigen<br />

Rechtsanwalts sind der Höhe nach nicht notwendig auf<br />

diejenigen Kosten beschränkt, die durch die Beauftragung eines<br />

Terminsvertreters entstanden wären.<br />

BGH, Beschl. v. 13.9.2005 – X ZB 30/04<br />

Aus den Gründen: I. Die in Bonn ansässige Klägerin, die für<br />

ihre Gesellschafter Ansprüche wegen des Nachbaus geschützter<br />

Sorten geltend macht, hat den Beklagten durch einen in Hamburg<br />

geschäftsansässigen Rechtsanwalt vor dem Landgericht München I<br />

auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Nachbau<br />

in Anspruch genommen. Das Landgericht hat antragsgemäß erkannt<br />

und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.<br />

Der Rechtspfleger hat es abgelehnt, die von der Klägerin geltend<br />

gemachten Reisekosten ihres Hamburger Prozessbevollmächtigten<br />

in Höhe von 214,19 E gegen den Beklagten festzusetzen.<br />

Das Beschwerdegericht hat Reisekosten in Höhe von 30,63 E festgesetzt<br />

und im Übrigen die sofortige Beschwerde zurückgewiesen<br />

(OLG München OLG-Rep. 2005, 261).<br />

Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin<br />

ihren Kostenfestsetzungsantrag in dem Umfang weiter, in dem ihre<br />

sofortige Beschwerde erfolglos geblieben ist.<br />

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde<br />

ist zulässig und begründet. Sie führt im Umfang der<br />

Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur<br />

Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.<br />

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die von der Klägerin<br />

geltend gemachten Terminsreisekosten seien dem Grunde nach<br />

erstattungsfähig. Die Zuziehung eines am Geschäftssitz der Klägerin<br />

ansässigen Rechtsanwalts sei als zur zweckentsprechenden<br />

Rechtsverfolgung notwendig anzuerkennen. Bis zur Höhe der fiktiven<br />

Reisekosten eines solchen Rechtsanwalts seien auch die Reisekosten<br />

eines andernorts (hier: in Hamburg) ansässigen Rechtsanwalts<br />

erstattungsfähig. Das steht mit der ständigen<br />

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang (BGH,<br />

Beschl. v. 16.9.2002 – VIII ZB 30/02, NJW 2003, 898; Beschl. v.<br />

18.12.2003 – I ZB 21/03, MDR 2004, 839 = GRUR 2004, 447 –<br />

Auswärtiger Rechtsanwalt III; Sen.Beschl. v. 13.7.2004 – X ZB<br />

40/03, NJW 2004, 3187; BGH, Beschl. v. 14.9.2004 – VI ZB<br />

37/04, BB 2004, 2548; Beschl. v. 2.12.2004 – I ZB 4/04, BB 2005,<br />

294 = GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III) und lässt keinen<br />

Rechtsfehler erkennen.<br />

AnwBl 12/2005<br />

Rechtsprechung<br />

2. Das Berufungsgericht hat weiterhin die Auffassung vertreten,<br />

die Erstattung der Reisekosten sei jedoch der Höhe nach auf diejenigen<br />

Mehrkosten beschränkt, die bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten<br />

für die Vertretung der Klägerin in der mündlichen<br />

Verhandlung entstanden wären (hier: 30,63 E). Unter mehreren<br />

gleichartigen Maßnahmen habe die Partei die kostengünstigste auszuwählen;<br />

Terminskosten eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten<br />

seien daher nur erstattungsfähig, soweit sie die Mehrkosten der<br />

Einschaltung eines Terminsvertreters nicht wesentlich überstiegen.<br />

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.<br />

Reisekosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines auswärtigen<br />

Rechtsanwalts entstanden sind, sind zu erstatten, wenn sie<br />

im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig waren. Dabei<br />

kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige<br />

Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt<br />

ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die<br />

Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung<br />

ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich<br />

– was das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt richtig gesehen<br />

hat – gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die<br />

kostengünstigste auszuwählen (BGH NJW 2003, 898; Beschl. v.<br />

11.11.2003 – VI ZB 41/03, MDR 2004, 539; Beschl. v. 9.9.2004 –<br />

I ZB 5/04, GRUR 2005, 84 – Unterbevollmächtigter II). Bei der<br />

Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungsoder<br />

Rechtsverteidigungsmaßnahme ist zudem eine typisierende<br />

Betrachtungsweise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der<br />

bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall<br />

zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden<br />

Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten<br />

werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs-<br />

oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder<br />

nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – I ZB 29/02, NJW 2003,<br />

901, 902 = WRP 2003, 391 – Auswärtiger Rechtsanwalt I).<br />

Hiernach hat das Beschwerdegericht die Beauftragung eines<br />

Terminsvertreters zu unrecht als gleichartige, jedoch kostengünstigere<br />

Maßnahme angesehen. Die Anerkennung der Erstattungsfähigkeit<br />

der Kosten eines Unterbevollmächtigten in der Rechtsprechung<br />

des Bundesgerichtshofs beruht gerade auf der Erwägung,<br />

dass die Terminsreisekosten des nicht am Gerichtsort ansässigen<br />

Rechtsanwalts, dessen Hinzuziehung als notwendig anzuerkennen<br />

ist, ihrerseits grundsätzlich erstattungsfähig wären (BGH NJW<br />

2003, 898; BB 2004, 2548; BB 2005, 294). Der Bundesgerichtshof<br />

hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die Erweiterung<br />

der Postulationsfähigkeit vor den Landgerichten auf alle bei<br />

einem Amts- oder Landgericht zugelassenen Anwälte wesentlich<br />

auch damit begründet worden sei, dass das Interesse der Mandanten<br />

dahingehe, von einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor<br />

auswärtigen Zivilgerichten vertreten werden zu können (BGH<br />

NJW 2003, 898, 901). Wird die Beauftragung eines nicht am Gerichtsort<br />

ansässigen Rechtsanwalts als aus der Sicht einer verständigen<br />

Partei notwendig anerkannt, ist der Partei regelmäßig das<br />

Recht zuzubilligen, sich durch diesen mit der Sache vertrauten<br />

Rechtsanwalt auch in der mündlichen Verhandlung vertreten zu<br />

lassen, zumal die hierdurch entstehenden Kosten im Allgemeinen<br />

geringer sein werden als die zusätzliche Beauftragung eines Terminsvertreters.<br />

3. Die Sache ist daher zur Prüfung der entstandenen Reisekosten<br />

an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.<br />

Keine Kürzung der Verfahrens- durch<br />

die Geschäftsgebühr<br />

RVG–VV Nr. 2400, 3100,Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1<br />

Bei der Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr ist kein Abzug<br />

für die hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnende Geschäftsgebühr<br />

vorzunehmen, da die Geschäftsgebühr, soweit es<br />

sich um denselben Gegenstand handelt, im vorgesehenen Umfang<br />

in der nachfolgend entstehenden Verfahrensgebühr – in<br />

gleicher Weise wie schon nach altem Recht – gemäß § 118 Abs. 2<br />

S. 1 BRAGO aufgeht.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

KG, Beschl. v. 20.7.2005 – 1 W 285/05


AnwBl 12/2005 793<br />

Rechtsprechung MN<br />

Aus den Gründen: Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 11<br />

Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie ist<br />

insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 Abs.<br />

1 und 2 ZPO.<br />

Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht<br />

hat zu Recht in der angefochtenen Entscheidung die beantragte<br />

1,3 Verfahrensgebühr festgesetzt. Die Höhe der dem Rechtsanwalt<br />

in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zustehenden Gebühren<br />

bestimmt sich nach § 2 Abs. 2 RVG in Verbindung mit Nr. 3100<br />

des Vergütungsverzeichnisses. Danach verdient der Rechtsanwalt<br />

im ersten Rechtszug eine 1,3 Verfahrensgebühr. Zutreffend hat das<br />

Landgericht hiervon keinen Abzug vorgenommen.<br />

Nr. 3 Abs. 4 der amtlichen Vorbemerkung zu Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses<br />

ist vorliegend nicht einschlägig. Danach<br />

wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr<br />

nach Nummern 2400 bis 2403 entstanden ist, diese Gebühr zur<br />

Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die<br />

Verfahrensgebühr des gerichtlichenVerfahrens angerechnet. Diese<br />

Regelung entspricht derjenigen in § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO, wonach<br />

die nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO für eine Tätigkeit außerhalb<br />

eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens entstandene<br />

Geschäftsgebühr für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches<br />

Verfahren anzurechnen war. Die außergerichtlich entstandene<br />

Geschäftsgebühr ging, soweit es sich um denselben Gegenstand<br />

handelte, nach altem Recht also in den nachfolgend<br />

entstandenen Verfahrensgebühren auf, die Geschäftsgebühr konnte<br />

daher nicht mehr gesondert geltend gemacht werden. Durch das<br />

Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl I,<br />

S. 718) hat sich hieran dem Grunde nach nichts geändert. Die nun<br />

vorzunehmende hälftige Anrechnung beruht auf dem Umstand,<br />

dass die Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und die<br />

Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO zu einer Gebühr<br />

mit einem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 zusammengefasst<br />

wurden (BT-Drs. 15/1971, S. 148). Für die Besprechungsgebühr<br />

nach altem Recht galt aber die Anrechungsvorschrift des § 110<br />

Abs. 2 S. 1 BRAGO nicht.<br />

Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Auslegung von<br />

Nr. 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 RVG ist<br />

auch aus prozessökonomischen Gründen abzulehnen. Das Kostenfestsetzungsverfahren<br />

bietet der obsiegenden Partei die Möglichkeit,<br />

auf einfache Weise einen vollstreckbaren Titel gegen die unterlegene<br />

Partei auf Ersatz der ihr durch den Rechtsstreit<br />

entstandenen Kosten zu erlangen. Bei Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr<br />

von der festzusetzenden Verfahrensgebühr, wäre die<br />

obsiegende Partei darauf angewiesen, außergerichtlich die volle<br />

Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei geltend zu machen<br />

und diese eventuell erneut einzuklagen, weil die auf der Grundlage<br />

von Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses entstandene Geschäftsgebühr<br />

nicht im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden<br />

kann (vgl. OLG Koblenz, MDR 2005, 838).<br />

Anmerkung der Redaktion: Dazu siehe auch die RVG – Frage<br />

des Monats von Henke in diesem Heft auf Seite 780.<br />

Terminsgebühr bei gerichtlicher Protokollierung<br />

eines außergerichtlichen Vergleichs<br />

ZPO § 278 Abs. 6, 91; RVG–VV Abs. 3 der Vorbemerkung 3 zu<br />

3100 ff VV<br />

1. Handeln die Prozessvertreter in außergerichtlichen Gesprächen<br />

einen Vergleich aus, der anschließend vom Gericht lediglich<br />

nach § 278 Abs. 6 ZPO protokolliert wird, fällt neben der<br />

Verfahrens- und Einigungsgebühr auch eine Terminsgebühr an.<br />

2. Soweit der BGH in der Entscheidung vom 30. März 2004 (VI<br />

ZB 81/03, abgedruckt in AnwBl 2004, 593) auch für das neue<br />

RVG eine andere Ansicht geäußert hat, ist das nicht mit Absatz<br />

3 der Vorbemerkung 3 zu 3100 VV – zum RVG zu vereinbaren.<br />

(nicht rechtskräftig)<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 20.9.2005 – 14 W 537/05<br />

Aus den Gründen: I. Die Parteien des Rechtsstreits sowie die<br />

Nebenintervenientin haben vor mündlicher Verhandlung einen um-<br />

fangreichen Vergleich ausgehandelt, dessen Zustandekommen das<br />

Landgericht – nach redaktionellen Korrekturen – durch Beschluss<br />

vom 18. Januar 2005 festgestellt hat. Die Kostenregelung sieht vor,<br />

dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.<br />

Mit Beschluss vom 10. Mai 2005 hat der Rechtspfleger antragsgemäß<br />

die von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 3.920,80<br />

E festgesetzt. In dem Betrag enthalten ist eine Einigungsgebühr in<br />

Höhe von 1.800 E zuzüglich MWSt. Mit Beschluss vom 20. Juni<br />

2005 hat der Rechtspfleger auf den Antrag der Klägerin eine Terminsgebühr<br />

in Höhe von 1.670,40 E festgesetzt.<br />

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde<br />

der Beklagten, die der Auffassung ist, eine Terminsgebühr<br />

sei nicht angefallen.<br />

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.<br />

II. Die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. Juni<br />

2005 gerichtete sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie hat in der<br />

Sache aber keinen Erfolg.<br />

Der Rechtspfleger hat im vorliegenden Fall zu Recht eine 1,2<br />

Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG angesetzt.<br />

Eine Terminsgebühr fällt bei dem Abschluss eines Vergleichs<br />

gem. § 278 Abs. 6 ZPO im Prozessverfahren nach § 128 Abs. 1<br />

ZPO und außerhalb eines gerichtlichen Termins jedenfalls dann an,<br />

wenn die Sach- und Rechtslage von den Rechtsanwälten der Parteien<br />

ohne Beteiligung des Gerichts zur Erzielung einer gütlichen<br />

Einigung erörtert wird und dies zu einer vergleichsweisen Einigung<br />

nach § 278 Abs. 6 S. 1 1. Alt. ZPO führt.<br />

Ob dies dann auch gilt, wenn (nur) eine Besprechung mit dem<br />

Gericht vorausgeht und auf gerichtlichen Vorschlag ein Vergleich<br />

geschlossen wird (2. Alt.), bedarf hier keiner Entscheidung (bejahend<br />

Goebel, RVG-B 2005, 8 ff. in Anmerkung zu BGH NJW<br />

2004, 2311 sowie BGH NJOZ 2004, 4083).<br />

1) Die Frage, ob der Abschluss eines Vergleiches nach § 278<br />

Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr für den Anwalt entstehen lässt,<br />

wird uneinheitlich beantwortet.<br />

Die ablehnende Meinung orientiert sich primär am Wortlaut der<br />

Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV, der sich in seiner ersten Alternative auf<br />

das Verfahren § 128 Abs. 2 ZPO beziehe und nicht auf – § 278<br />

Abs. 6 ZPO (vgl. z. B. Hartmann, GKG, 35. A., VV 3104 – Rn.:<br />

§ 278 ZPO erfasst nicht die mündliche Verhandlung; umfangreiche<br />

Nachweise bei LG Bonn, ASG 2005, 288/289 mit Anm. Schneider).<br />

Der Bundesgerichtshof (aaO) hat im Zusammenhang mit der<br />

Anwendung der BRAGO obiter dictum entschieden, neben der Einigungsgebühr<br />

und der Verfahrensgebühr falle bei Abschluss eines<br />

Vergleiches nicht zusätzlich die Terminsgebühr an. Die Bezugnahme<br />

auf § 307 Abs. 2 und § 495 a ZPO lege es nahe, dass in der<br />

ersten Alternative das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht<br />

§ 278 Abs. 6 ZPO gemeint sei (vgl. die Entscheidung auf Gegenvorstellung<br />

vom 30. Juni 2005 NOJZ 2004, 4083; vgl. auch OLG<br />

Nürnberg AnwBl 2005, 222 mit Anm. Henke im Anschluss an den<br />

BGH bei einem Vorschlag des Beklagten, Unterbreitung des Vergleichsvorschlags<br />

durch das Gericht und Feststellung des Zustandekommens<br />

nach § 278 Abs. 6 S. 1 2. Alt. ZPO).<br />

Die wohl ganz h. M. in der Literatur vertritt hingegen den<br />

Standpunkt, dass auch der schriftliche Vergleich nach § 278 Abs. 6<br />

ZPO die Terminsgebühr zur Entstehung bringen kann (vgl. die<br />

Nachw. bei LG Bonn aaO), wobei nur fraglich ist, ob auch eine Besprechung<br />

mit dem Gericht (vgl. Goebel aaO) – oder Dritten (vgl.<br />

Enders in Anm. zu BGH JurBüro 2004, 481/482; vgl. auch Enders<br />

in Anm. zu OLG Nürnberg, JurBüro 2005, 249/250) ausreicht.<br />

Bei Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts ist auf jeden<br />

Fall eine auf die Erledigung des gerichtlichen Verfahrens gerichtete<br />

Besprechung, die nicht auf den Auftraggeber beschränkt sein darf,<br />

erforderlich.<br />

2) Der Senat ist der Auffassung, dass bei einem Vergleichsabschluss<br />

gem. § 278 Abs. 6 ZPO nach den erörterten „Besprechungen“<br />

die Terminsgebühr anfällt unabhängig davon, ob eine<br />

mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist oder nicht (vgl. dazu<br />

auch Schneider AGS 2005, 291/292).<br />

Dies folgt aus der Vorbem. 3 Abs. 3 zu Nr. 3100 VV zum<br />

RVG, die die Terminsgebühr entstehen lässt für „die Mitwirkung


794<br />

MN<br />

an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten<br />

Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts“ (vgl. auch Senat<br />

JurBüro 2005, 416/417 – Besprechung und Klagerücknahme).<br />

Sinn und Zweck der Regelung ist es, die zusätzlichen Bemühungen<br />

des Anwalts zu vergüten. Auch soll, soweit mündlich zu<br />

verhandeln ist, eine Entlastung der Gerichte angestrebt werden, damit<br />

außerhalb eines gerichtlichen Termins die Sache verglichen<br />

werden kann.<br />

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.<br />

IV. Im Hinblick auf divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte<br />

und die genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs<br />

wird die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3<br />

S. 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO zugelassen.<br />

Mitgeteilt vom 14. Zivilsenat des OLG Koblenz<br />

Festsetzung einer Terminsgebühr für<br />

vorprozessuale Besprechung<br />

ZPO § 278 Abs. 6, 91, 104; RVG–VVAbs. 3 der Vorbemerkung 3<br />

zu 3100 ff VV<br />

1. Führen Anwälte mit Prozessauftrag vorprozessual ein auf<br />

Vermeidung des Rechtsstreits zielendes Gespräch, entsteht eine<br />

Terminsgebühr. Diese Gebühr kann jedoch später nicht im vereinfachten<br />

Verfahren nach § 104 ZPO festgesetzt werden.<br />

2. Veranlasst ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag mit späterer<br />

Protokollierung nach § 278 Abs. 6 ZPO lediglich eine Besprechung<br />

des Anwalts mit dem eigenen Mandanten oder dem Gericht,<br />

entsteht keine Terminsgebühr.<br />

(nicht rechtskräftig)<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 12.10.2005 – 14 W 620/05<br />

Aus den Gründen: Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.<br />

I. Im Vorfeld des Verfahrens fanden zwischen den späteren<br />

Prozessbevollmächtigten Gespräche im Hinblick auf eine vergleichsweise<br />

Erledigung statt, die zu keinem Ergebnis führten (48<br />

GA). Im Verlauf des Prozesses gab es keine mündlichen oder telefonischen<br />

Besprechungen. Auf schriftliche Anfrage des Gerichts<br />

und entsprechende Stellungnahmen der Anwälte hat das Landgericht<br />

mit Beschluss vom 21. Februar 2005 das Zustandekommen<br />

eines Vergleichs nach § 278 Abs.6 ZPO festgestellt mit einer Kostenquote<br />

von 3/10 zu 7/10 zu Lasten des Beklagten.<br />

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger eine Terminsgebühr<br />

in Höhe von 631,20 EUR zuzüglich Umsatzsteuer angemeldet.<br />

Der Beklagte hat hiervon trotz eines Hinweises der Rechtspflegerin<br />

ausdrücklich Abstand genommen.<br />

Mit dem vom Beklagten mit der Beschwerde angefochtenen<br />

Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Rechtspflegerin die Terminsgebühr<br />

zu Gunsten des Klägers berücksichtigt.<br />

II. 1. Nach der Entscheidung des Senats vom 20. September<br />

2005 (14 W 537/05, Rechtsbeschwerde zugelassen [abgedruckt in<br />

diesem Heft auf Seite 793]) fällt beim Abschluss eines Vergleichs<br />

gemäß § 278 Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr an, wenn die Angelegenheit<br />

zwischen den Rechtsanwälten der Parteien ohne Beteiligung<br />

des Gerichts zur Erzielung einer gütlichen Einigung erörtert<br />

wurde und dies zur vergleichsweisen Einigung führte (so auch der<br />

1. Senat des OLG Nürnberg in AnwBl. 2005, 653). Ob dies auch<br />

gilt, wenn nur Schriftsätze ausgetauscht werden oder (nur) eine<br />

einseitige Besprechung mit dem Gericht vorausgeht, hat der Senat<br />

bisher noch offen gelassen.<br />

Er entscheidet dies nunmehr mit der ablehnenden Meinung, die<br />

sich vorwiegend am Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 RVG-VV<br />

orientiert. Danach fällt bei einem Vergleich gemäß § 278 Abs. 6<br />

ZPO, der ohne mündliche Verhandlung und ohne Besprechung der<br />

Prozessbevollmächtigten untereinander zustande gekommen ist,<br />

eine Terminsgebühr nicht an (Hartmann, Kostengesetze, 35.Aufl.,<br />

VV 3104 Rn. 30; umfangreiche Nachweise bei LG Bonn ASG<br />

2005, 288/289). Für diesen Fall schließt sich der Senat der Auffassung<br />

des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürn„erg an (Jur-<br />

Büro 2005, 249) an.<br />

Dafür spricht – neben dem Wortlaut – die „historische Nähe“<br />

der Terminsgebühr zur früheren Erörterungs- und Verhandlungs-<br />

gebühr. Kommt der Vergleich allein durch einen Vorschlag des Gerichts<br />

zustande, den der Anwalt einseitig mit seiner Partei bespricht,<br />

erscheint es gerechtfertigt, nur die Einigungsgebühr<br />

anfallen zu lassen. Erst das weitere, zusätzliche Tätigwerden, das<br />

auf einen Kompromis mit dem Gegener hinwirkende Gespräch mit<br />

diesem, löst zusätzlich die Terminsgebühr aus. Derartiges hat hier<br />

im Prozessverlauf unstreitig nicht stattgefunden.<br />

2. Vorliegend könnte die Terminsgebühr allerdings dadurch angefallen<br />

sein, dass die Anwälte vorgerichtlich Gespräche zur Meidung<br />

einer gerichtlichen Auseinandersetzung geführt hatten. Dies<br />

setzte zusätzlich voraus, dass zu diesem Zeitpunkt auf beiden Seiten<br />

ein unbedingter Auftrag zur Vertretung im gerichtlichen Verfahren<br />

vorlag (Bonnen, Terminsgebühr nach dem RVG, Gebührenanspruch<br />

auch im außergerichtlichen Verfahren in MDR 2005,<br />

1084/1085).<br />

Ob dies der Fall war, kann offen bleiben. Der Streit darüber<br />

könnte in Zweifelsfällen das einfach zu haltende Kostenfestsetzungsverfahren<br />

mit zusätzlichem Ermittlungsaufwand belasten.<br />

Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass eine gebenenfalls vorprozessual<br />

angefallene Terminsgebühr, ebenso wie die anwaltliche<br />

Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 RVG-VV, nicht im Rahmen des<br />

Verfahrens der §§ 103, 104 ZPO zu berücksichtigen ist (Senat vom<br />

23. März 2005 in 14 W 181/05 mit zahlreichen Nachweisen).<br />

Denn hier geht es nicht um Kosten des Rechtsstreits, die sich unter<br />

die Bestimmung des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO einordnen ließen. An<br />

der Situation, dass Kosten die im Vorfeld eines Prozesses für das<br />

Betreiben eines Geschäfts einer Partei anfallen nicht festsetzbar<br />

sind, hat sich nichts geändert. Dies muss auch für eine etwa nur<br />

vorprozessual angefallene Terminsgebühr gelten.<br />

Da hier nach Erhebung der Klage mit dem Abschluss des Vergleichs<br />

gemäß § 278 Abs.6 ZPO – ohne Besprechungen der Anwälte<br />

untereinander – eine Terminsgebühr nicht angefallen ist, ist<br />

auf die Beschwerde des Beklagten hin, der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss<br />

um 512,53 EUR (Terminsgebühr 631,20<br />

EUR zuzüglich Umsatzsteuer 100,99 EUR = 732,19 EUR x 7/10 =<br />

512,53 EUR) zu reduzieren und der Erstattungsbetrag auf<br />

723,93 EUR festzusetzen.<br />

Der Kostenausspruch beruht auf § 91 Abs.1 ZPO.<br />

Mitgteilt vom 14. Zivilsenat des OLG Koblenz<br />

Anmerkung der Redaktion: Die Rechtsbeschwerde ist zugelassen<br />

worden.<br />

Kosten des Anwalts aus Amtshaftung<br />

AnwBl 12/2005<br />

Rechtsprechung<br />

GG Art. 34; BGB §§ 839, 675<br />

1. Bei einer auf mangelnder personeller Besetzung oder Säumigkeit<br />

des Sachbearbeiters beruhenden Untätigkeit der Behörde<br />

(14. Monate) liegt kein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren<br />

vor, sondern eine Amtspflichtverletzung, die zum<br />

Schadensersatz führt. Die Regelung über die Kostenerstattung<br />

im Verwaltungsverfahren oder die Möglichkeit der Untätigkeitsklage<br />

steht dem nicht entgegen.<br />

2. Beauftragen Eltern einen Rechtsanwalt, mit der Vertretung<br />

Ihres Kindes, dann ist der Vergütungsschuldner das Kind.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

LG Aachen, Urt. v. 5.10.2005 – 4 O 38/04<br />

Sachverhalt: Die minderjährige Klägerin macht einen Anspruch<br />

auf Erstattung von Anwaltsgebühren für ihre Vertretung im<br />

behördlichen Einbürgerungsverfahren geltend. Im März 2002<br />

stellte sie, vertreten durch ihre Eltern, einen Einbürgerungsantrag,<br />

der trotz mehrfacher Vorsprache ihres Vaters beinahe 14. Monate<br />

nicht beschieden wurde. Im Mai 2003 beauftragte die Klägerin einen<br />

Rechtsanwalt, der der Beklagten eine Erklärungsfrist setzte.<br />

Die angefallenen Anwaltskosten erstattete die Beklagte nicht.<br />

Aus den Gründen: II. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz<br />

der ihr entstandenen Kosten der anwaltlichen Betreuung im<br />

Einbürgerungsverfahren aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung<br />

nach § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG zu.


AnwBl 12/2005 795<br />

Rechtsprechung MN<br />

Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Beauftragen Eltern eines Kindes<br />

einen Rechtsanwalt mit der Vertretung des Kindes, dann ist der<br />

Vergütungsschuldner das Kind. Es besteht nämlich keine Haftung<br />

des Inhabers der elterlichen Sorge für die Anwaltskosten, nach<br />

dem § 1654 SGB durch das Gleichberechtigungsgesetz aufgehoben<br />

worden ist (Schumann-Geißinger, BRAGO-Kommentar, 2. Aufl.,<br />

§ 17 Rdnr. 12; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO-Kommentar,<br />

15. Aufl., § 1 Rdnr. 50). Will der Anwalt erreichen, dass<br />

die Eltern für den Vergütungsanspruch gerade stehen, so muss er<br />

mit ihnen eine ausdrückliche Vereinbarung dahin abschließen.<br />

Hierfür ist vorliegend nichts vorgetragen.<br />

Vorliegend ist auch in der über ein Jahr dauernden Tätigkeit der<br />

Beklagten eine Amtspflichtverletzung zu sehen. Der Bürger hat einen<br />

Anspruch darauf, dass seine Anträge von den Behörden in<br />

zeitlich vertretbarem Rahmen bearbeitet werden. Als Maßstab für<br />

den zeitlich vertretbaren Rahmen kann hier die 3-Monats-Frist des<br />

§ 75 VwVGO angenommen werden, mit der Maßgabe, dass keine<br />

besonderen Gründe für das Nichtentscheiden der Behörde innerhalb<br />

der 3-Monats-Frist vorliegen. Hierzu ist aber nichts hinreichendes<br />

vorgetragen. Der Vortrag der Beklagten, auf die Vielzahl<br />

der vorliegenden Anträge und die dadurch bedingte längere Bearbeitungsdauer,<br />

kann nicht zur Annahme eines zureichenden Grundes<br />

im Sinne des § 75 VwVGO führen. Anhaltspunkte für das Vorliegen<br />

einer außergewöhnlichen Belastung der Behörde sind nicht<br />

vorhanden. Soweit die beklagte Stadt einzelne Abteilungen auf<br />

Dauer unzureichend mit Personal ausgestattet hat, liegt ein Organisationsverschulden<br />

vor.<br />

Die Einschaltung eines Rechtsanwaltes war, nachdem der Einbürgerungsantrag<br />

14 Monate unbearbeitet liegen geblieben war und<br />

die 4-maligen Vorsprachen des Vaters der Klägerin nicht zu einer<br />

Beschleunigung des Verfahrens führten, auch erforderlich, wie<br />

schon der prompte zeitliche Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit<br />

zeigt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn dem Vater der<br />

Klägerin bei seiner letzten Vorsprache kurz vor der Beauftragung<br />

des Anwalts bedeutet worden wäre, die Bescheidung stehe unmittelbar<br />

bevor und es müsse nur noch eine gebührenrechtliche Frage<br />

geprüft werden. Dann wäre die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern,<br />

durchaus zumutbar gewesen, noch eine gewisse Frist abzuwarten.<br />

Dies ist aber nicht bewiesen.<br />

Letztlich kann die Beklagte auch mit dem Argument, eine Einschaltung<br />

des Anwaltes sei nicht erforderlich gewesen, weil die Eltern<br />

der Klägerin selbst ein entsprechendes Schreiben an die Behörden<br />

hätten richten können kein Gehör finden. Nach dem der<br />

Vater der Klägerin selbst 4 Mal fruchtlos vorgesprochen hatte,<br />

muss als extrem unwahrscheinlich angesehen werden, dass eine<br />

schriftliche Mahnung von seiner Seite zum Erfolg geführt hätte.<br />

Vielmehr spricht alles dafür, dass die Einschaltung des Anwalts<br />

und dessen recht knapp bemessene Fristsetzung unter Androhung<br />

der verwaltungsgerichtlichen Untätigkeitsklage zum raschen Abschluss<br />

des Einbürgerungsverfahrens führte.<br />

Ein Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtsverletzung scheidet<br />

auch nicht deshalb aus, weil in § 80 VwVfG die Erstattungsfähigkeit<br />

von Anwaltskosten in behördlichen Verfahren abschließend<br />

geregelt wäre. Diese Vorschrift regelt die<br />

Erstattungsfähigkeit bzw. Nichterstattungsfähigkeit von Anwaltskosten<br />

für ein ordnungsgemäß durchgeführtes Verwaltungsverfahren.<br />

Bei einer auf mangelnder personeller Besetzung oder auf Säumigkeit<br />

des Sachbearbeiters beruhenden Untätigkeit der Behörde<br />

liegt aber kein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren vor, sondern<br />

eine Amtspflichtsverletzung die zu einem Schadensersatzanspruch<br />

führt.<br />

Auch dem Argument der Beklagten die Klägerin sei auf die<br />

verwaltungsrechtliche Untätigkeitsklage zu verweisen und soweit<br />

sie auf diese verzichtet habe, liege eine Verletzung der Schadensminderungspflicht<br />

im Sinne von § 254 BGB vor, muss der Erfolg<br />

versagt bleiben. Bei Durchführung der Untätigkeitsklage wären<br />

nämlich höhere anwaltliche Gebühren, eine 10/10 Gebühr statt einer<br />

7,5/10 Gebühr angefallen, so dass das konkrete Vorgehen der<br />

Klägerin letztlich schadensmindernd ist.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Rainer M. Hofmann, Aachen<br />

Verfahrensgebühr bei Kostenwiderspruch im<br />

Verfügungsverfahren<br />

RVG-VV Nr. 3100,Vorbem. 3 Abs. 2<br />

Legt der Gegner einer einstweiligen Verfügung lediglich Kostenwiderspruch<br />

ein und hat der Anwalt des Gegners eine 0,8 Verfahrensgebühr<br />

aus dem Hauptsachewert verdient, so ist diese<br />

auch neben der 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert zu erstatten.<br />

OLG München, Beschl. v. 31.8.2005 – 11 W 1883/05<br />

Aus den Gründen: I. Die Beklagte wendet sich dagegen, dass<br />

eine Verfahrensgebühr lediglich aus dem Kostenwert und nicht zusätzlich<br />

eine 0,8 Verfahrensgebühr aus dem Hauptsachewert anerkannt<br />

wurde. Gegen die Beklagte erging eine einstweilige Verfügung<br />

vom 20.1.2005. Der Beklagtenvertreter wurde beauftragt,<br />

gegen die einstweilige Verfügung vorzugehen. Nach Entgegennahme<br />

der Informationen und Prüfung der Sach- und Rechtslage<br />

wurde einer Empfehlung des Beklagtenvertreters folgend lediglich<br />

Kostenwiderspruch eingelegt. Die Rechtspflegerin hat lediglich<br />

eine 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert anerkannt.<br />

II. Die sofortige Beschwerde ist begründet.<br />

Unzweifelhaft ist, dass der Beklagtenvertreter eine 0,8 Verfahrensgebühr<br />

aus dem Hauptsachewert verdient hat. Er hatte einen<br />

umfassenden Verfahrensauftrag. Die Verfahrensgebühr entsteht<br />

dann gemäß VVRVG-Vorbemerkung 3 Abs. 2 bereits mit der Entgegennahme<br />

der Information.<br />

Allerdings vertritt die herrschende Meinung die Auffassung,<br />

dass bei einer Beschränkung auf einen Kostenwiderspruch lediglich<br />

eine 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert anfällt. Dies wird<br />

damit begründet, dass die Kosten einer anwaltlichen Beratung, die<br />

nicht dem Führen, sondern der Vermeidung eines Rechtstreits dienen,<br />

nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig<br />

im Sinne von § 91 ZPO sind (BGH NJW-RR 03, 1293 = <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

03, 592 = JurBüro 02, 466). Es müsse dasselbe gelten wie in<br />

dem Fall, in dem der Mandant dem Rechtsanwalt den Auftrag erteilt,<br />

ein erstinstanzliches Urteil im vollen Umfang mit der Berufung<br />

anzugreifen, in dem letztlich aber hur hinsichtlich eines Teils<br />

Rechtsmittel eingelegt wird. Hier bestehe kein Erstattungsanspruch<br />

hinsichtlich der Mehrkosten, die sich auf den Teil beziehen, für den<br />

kein Rechtsmittel eingelegt wurde (Hamburg JurBüro 85, 283).<br />

Demgegenüber sind nach Auffassung des Senats die Grundsätze<br />

heranzuziehen, die beim Anerkenntnis gelten. Ein erfolgreicher<br />

Kostenwiderspruch steht einem sofortigen Anerkenntnis i.<br />

S. v. § 93 ZPO nahe. In beiden Fällen wird der Gegner in unberechtigter<br />

Weise mit einer prozessualen Maßnahme überzogen (Gerold/Schmidt-Müller-Rabe<br />

16. Auflage. Anhang RdNr. 150; N.<br />

Schneider AGS 03, 447). Das ist nicht vergleichbar mit dem Fall,<br />

dass eine Partei nach anwaltlicher Beratung von einer weitergehenden<br />

Berufung absieht, weil sie einsehen muss, dass diese nicht erfolgversprechend<br />

ist. Bei einem Anerkenntnis erhält der Anerkennende<br />

eine 1,3 Verfahrensgebühr und eine 1,2 Terminsgebühr<br />

erstattet. Die Tatsache, dass beim Kostenwiderspruch. nach der<br />

herrschenden Meinung durch die inzident vorliegende Verzichtserklärung<br />

keine Gebühr aus dem Hauptsachewert anfällt, kann<br />

nicht dazu führen, dass auch die 0,8 Verfahrensgebühr nicht erstattet<br />

wird, die zweifellos angefallen ist, wenn der Rechtsanwalt zunächst<br />

einen umfassenden und nicht auf die Kostenfrage beschränkten<br />

Auftrag hatte (Gerold/Schmid-Müller-Rabe 16. Auflage<br />

Anhang RdNr. 150 ff).<br />

Der Beklagten stehen somit folgende Erstattungsansprüche zu.<br />

1,3 Verfahrensgebühr aus Kostenwert 4.000,– E = 318,50 E<br />

0,8 Verfahrensgebühr aus Hauptsachewert<br />

100.000,– E = 1,083,20 E<br />

Kontrollrechung gemäß § 15 Abs. 3 RVG<br />

1,3 Verfahrensgebühr aus 100,000,– E =<br />

1.760,20 E Kommunikationspauschale 20,– E<br />

Endbetrag 1.421,70 E<br />

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1<br />

ZPO.<br />

IV. Im Hinblick darauf, dass der Senat von der herrschenden<br />

Meinung abweicht, wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.<br />

Mitgeteilt vom 11. Zivilsenat des OLG München


796<br />

MN<br />

Gebühren in Bußgeldsachen<br />

RVG § 14 Abs. 1,VV Nr. 5100 ff<br />

In Bußgeldsachen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist der<br />

Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt, wenn ein Fahrverbot im<br />

Raum steht oder Eintragungen in die Verkehrsünderkartei bedeutsam<br />

werden.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

AG Saarlouis, Urt. v. 7.10.2005 – 30 C 861/05<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt JR Hans-Jürgen Gebhardt,<br />

Homburg/Saar<br />

Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />

Internet abrufbar unter www.anwaltsblatt.de<br />

Kostenrecht<br />

Streitwert bei E-Mail-Werbung<br />

ZPO § 3; GKG § 48 Abs. 1<br />

Der Streitwert einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage,<br />

welche das unerwünschte Zusenden von E-Mail-Werbung im<br />

Geschäftsverkehr zum Gegenstand hat, beträgt ohne Hinzutreten<br />

besonderer Umstände 6.000 E.<br />

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.6.2005 – 4 W 52/05<br />

Sachverhalt: I. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet<br />

der Vermittlung von Versicherungsdienstleistungen. Am 31. Mai<br />

2005 übersandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ohne dessen<br />

Einwilligung ein Werbeschreiben per E-Mail. Hierauf forderte<br />

der Antragsteller die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10. Juni<br />

2005 auf, eine Kontaktaufnahme zu Werbezwecken ohne ausdrückliche<br />

Einwilligung künftig zu unterlassen und sich für den Fall der<br />

schuldhaften Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe<br />

von 5.100,– E zu verpflichten. Den Gegenstandswert gab der Antragsteller<br />

in diesem Schreiben mit 7.500,– E an. Nachdem die Antragsgegnerin<br />

die gewünschte Erklärung nicht abgab, beantragte<br />

der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Verfügung und bezifferte<br />

den Streitwert auf 15.000,– E. Mit Erlass der begehrten<br />

Verfügung wurde der Streitwert auf 6.000,– E festgesetzt.<br />

Hiergegen wenden sich die Verfahrensbevollmächtigten des<br />

Antragstellers mit ihrem ausdrücklich eigenen Namens eingelegten<br />

Rechtsmittel, mit dem sie eine Festsetzung des Streitwerts „auf<br />

15.000,– E, besser noch 25.000,– E“ begehren.<br />

Aus den Gründen: II. Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten<br />

des Antragstellers ist gemäß §§ 32 Abs. 2, Satz 1 RVG, 68<br />

Abs. 1 GKG zulässig, führt in der Sache jedoch nicht zu dem mit<br />

ihr erstrebten Erfolg.<br />

1. Der Unterlassungsanspruch des durch unerwünschte Zusendung<br />

von E-Mails Beworbenen ist nach überwiegender Ansicht in<br />

Rechtsprechung und Literatur mit einem Betrag in einer Größenordnung<br />

von 2.000 – 3.000,– E regelmäßig angemessen bewertet<br />

(vgl. BGH, B. v. 30. November 2004 – VI ZR 65/04, veröffentlicht<br />

in juris; LG Hamburg, Urt. v. 9. Juli 2004 – 327 O 155/04, veröffentlicht<br />

in juris [Rdnr. 19]; Schmittmann, JurBüro 2003, 398,<br />

400). Danach wurde der Streitwert in der angefochtenen Entscheidung<br />

jedenfalls nicht zu niedrig veranschlagt.<br />

2. Allerdings kann die Festsetzung eines höheren Streitwertes in<br />

solchen Fällen angezeigt sein, in denen es sich beim Beworbenen<br />

gleichzeitig um einen Mitbewerber des Werbenden handelt und der<br />

Unterlassungsanspruch demnach außer auf §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB<br />

auch auf § 8 UWG gestützt werden kann (vgl. Schmittmann aaO).<br />

Der Streitwert eines solchen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs<br />

bemisst sich allein nach dem gemäß §§ 48 Abs. 1<br />

GKG, 3 ZPO nach freiem Ermessen zu schätzenden Interesse des<br />

Antragstellers. Dass das Erstgericht, das den wettbewerbsrechtlichen<br />

Charakter der Streitigkeit erkannt und in seine Überlegungen<br />

mit einbezogen hat, den Streitwert unter diesem Aspekt ermessensfehlerhaft<br />

zu niedrig angesetzt hat, ist jedoch nicht ersichtlich<br />

und wird auch von den Beschwerdeführern nicht aufgezeigt. Das<br />

maßgebliche Interesse des Antragstellers richtet sich wesentlich<br />

nach dem bereits entstandenen Schaden und den Vorteilen, die er<br />

ohne die Rechtsverletzung des Antragsgegners erlangt hätte, wobei<br />

die auf Grund des Verstoßes zu befürchtende Umsatzeinbuße einen<br />

möglichen Anhaltspunkt darstellt (vgl. Hillach/Rohs, Hdb. d.<br />

Streitwerts in Zivilsachen 9. Aufl. § 90 A.II.1.; Zöller/Herget,<br />

ZPO 25. Aufl. § 3 Rdnr. 16 „Gewerblicher Rechtsschutz“). Weitere<br />

wertbestimmende Umstände sind u. a. die Intensität, Aggressivität,<br />

Gefährlichkeit, Dauer und Art der Verletzungshandlung sowie deren<br />

räumliche Auswirkungen (vgl. etwa Pastor/Ahrens-Ulrich, Der<br />

Wettbewerbsprozess 4. Aufl. Kap. 44 Rdnr. 32 m. w. N.). Danach<br />

ist hier nicht von einer zu niedrigen Wertfestsetzung auszugehen.<br />

Zu einem bereits entstandenen Schaden bzw. zu erwartenden Umsatzeinbußen<br />

beim Antragsteller haben weder dieser noch die Beschwerdeführer<br />

etwas Konkretes vorgetragen. Zudem ist zu berücksichtigen,<br />

dass Gegenstand des Verfahrens lediglich eine, am<br />

31. Mai 2005 einmalig übermittelte E-Mail-Werbung war. Von einer<br />

„massenhaften“ Werbung seitens der Antragsgegnerin oder einem<br />

besonders aggressiven und gefährlichen Wettbewerbsverstoß<br />

kann daher entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer nicht ausgegangen<br />

werden. Schließlich hat der Antragsteller selbst in seinem<br />

ersten Schreiben an die Antragsgegnerin den Gegenstandswert<br />

noch mit lediglich 7.500,– E beziffert und eine Vertragsstrafe<br />

von rund 5.000,– E für den Fall eines künftigen Verstoßes für ausreichend<br />

erachtet. – All dies spricht, ebenso wie der in der Nichtabhilfeentscheidung<br />

hervorgehobene Umstand, dass es sich um einen<br />

rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Sachverhalt<br />

handelt, gegen die begehrte Heraufsetzung des mit 6.000,— E im<br />

Rahmen des freien Ermessens nach § 3 ZPO vertretbar geschätzten<br />

Streitwerts für die Klage.<br />

Mitgeteilt vom 4. Zivilsenat des OLG Zweibrücken<br />

Fotonachweis<br />

Seiten I, IV, XXIV, XXVIII, 748, 749, 754, 758, 760, 761, 762,<br />

763, 764, 765, 766, 769, 783, 785: alle privat; Seiten 754, 756,<br />

757, 765, 771: alle Burkhardt/Berlin; Seiten 762, 763: Schneider/<br />

Homburg; Seite 759: dictum-productions, Bonn; Seite 781: Deutsche<br />

Fotothek, SLUB, Dresden.<br />

Impressum<br />

AnwBl 12/2005<br />

Rechtsprechung<br />

Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179<br />

Berlin (Mitte), Tel. 030 /72 6152 -0, Fax: 030/7261 52-191,<br />

anwaltsblatt@anwaltverein.de. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig<br />

(Leitung, v. i. S. d. P.), Dr. Peter Hamacher und Udo Henke, Rechtsanwälte,<br />

Anschrift des Herausgebers.Verlag: Deutscher Anwaltverlag<br />

und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, 53111<br />

Bonn, Tel. 02 28 / 919 11-0, Fax: 0228/919 1123; kontakt@<br />

anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17532 458,<br />

BLZ 380500 00. Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich<br />

(v. i. S. d. P.), Pikartenkamp 14, 22587 Hamburg, Tel. 0 40/<br />

866 28-467, Fax: 0 40/86628 -468, info@ad-in.de. Technische<br />

Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356<br />

Essen, Tel. 02 01/8612281, Fax: 0201 /86 12241; mitterbauer<br />

@soldan-druck.de. Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang,<br />

bei einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis:<br />

Jährlich 126,– E (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis<br />

11,50 E (inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins<br />

ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen:<br />

Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen<br />

müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag<br />

vorliegen. Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften<br />

sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare<br />

werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright:<br />

Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das<br />

gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und<br />

Leitsätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken<br />

oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich<br />

der Einwilligung des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />

w


XXVI<br />

MN<br />

BÜCHER & INTERNET<br />

Schaefer/Göbel, Das neue Kostenrecht<br />

in Arbeitssachen, Verlag C. H.<br />

Beck, München, 2004, brosch., 142 S.<br />

Bereits 2004 erschien die Spezialmonographie<br />

für Kostenrecht in Arbeitssachen<br />

von den Autoren Rechtsanwalt<br />

und Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />

Rolf Schaefer und Assessorin Dagmar<br />

Göbel aus Hannover. Der Informationsanspruch<br />

der Verfasser geht über<br />

das Anwaltsvergütungsrecht hinaus<br />

und richtet seinen Blick auf das gesamte<br />

Kostenrecht in Arbeitssachen,<br />

insbesondere auch auf die Feststellung<br />

der Gerichtskosten und ihrer Geltendmachung<br />

und auch die Vergütung von<br />

Sachverständigen, Dolmetschern und<br />

Übersetzern. Das jeweils 5-seitige Inhaltsverzeichnis<br />

und Sachregister reichen<br />

zur Erschließung des Buches aus.<br />

Für eine vertiefende Problemlösung ist<br />

das Werk nicht sehr geeignet.<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Madert, Rechtsanwaltsvergütung in<br />

Straf- und Bußgeldsachen, C. F. Müller<br />

Verlag, Heidelberg, 5. völlig neu<br />

überarbeitete Aufl., 2004, brosch.,<br />

352 S., 45 E.<br />

Die Neuauflage des bereits zu<br />

BRAGO-Zeiten in vier Auflagen erschienenen<br />

Werkes erschien im Juli<br />

2004. Der wissenschaftliche Apparat<br />

Anzeige<br />

Microsoft<br />

des Werkes wie Inhaltsübersicht, Inhaltsverzeichnis,Abkürzungsverzeichnis,<br />

Literatur- und umfangreiches<br />

Stichwortverzeichnis macht einen hervorragenden<br />

Eindruck; ebenso das Format<br />

und die Verarbeitung des Buches.<br />

Der Autor geht konsequent auf die<br />

speziellen strafrechtlichen Sachverhalte<br />

und Tatbestände im RVG ein. Er vertritt<br />

selbstbewusst – z. B. beim Erfolgshonorar,<br />

S. 7 – eigene Standpunkte mit guter<br />

Begründung. Allerdings macht die nur<br />

auf neun Seiten beschränkte Darstellung<br />

zur Vergütung in Bußgeldsachen<br />

einen etwas lieblosen Eindruck. Hervorzuheben<br />

sind die außerordentlich gelungenen<br />

Darstellungen im Teil B zur<br />

Kostenerstattung und Kostenfestsetzung.<br />

Mit 90 Seiten Umfang erreicht<br />

der Autor hier einen erheblichen Tiefgang<br />

in der Darstellung. Ebenfalls sehr<br />

positiv zu vermerken ist der Teil C – Sicherung<br />

des Honorars. Im Teil D werden<br />

36 verschiedene Muster, z. B. für<br />

Honorarvereinbarungen, Stundenhonorare,<br />

Schriftsätze und Anträge und auch<br />

für Kostenrechnungen wiedergegeben.<br />

Diese Sammlung dürfte einmalig sein<br />

und rechtfertigt bereits allein die Anschaffung<br />

des Buches für einen in Strafund<br />

/ oder Bußgeldsachen häufig tätigen<br />

Anwalt.<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

AnwBl 12/2005<br />

Dr. Peter A. Doetsch/ Arne E. Lenz/<br />

Michael Jung: AnwaltsVorsorge, Verlag<br />

C.H. Beck, München, 2004, ISBN<br />

3-406-51294-1, 350 S., 58,00<br />

„Pflichtlektüre des Anwalts/jeder<br />

Anwältin“ könnte das im Jahr 2004<br />

unter Mitarbeit von Rechtsanwalt Michael<br />

Prossliner erschiene umfangreiche<br />

Werk zur anwaltlichen Vorsorge<br />

heißen. Rechtsanwälte verdienen während<br />

ihrer Berufsausübung im Regelfall<br />

recht gut. Doch was ist, fragen die<br />

Autoren, wenn die Anwältin oder der<br />

Anwalt mit 65 aus Altersgründen oder<br />

bereits vorher wegen Krankheit oder<br />

Unfall aus dem Berufsleben ausscheidet?<br />

Das Buch bietet eine umfassende<br />

Hilfe um sich mit der eigenen Versorgungssituation<br />

kritisch auseinander zu<br />

setzen.<br />

Im ersten Kapitel stellt Rechtsanwalt<br />

Dr. Peter Doetsch die Möglichkeiten<br />

der Vorsorgeplanung unter<br />

Berücksichtigung des Absicherungsbedarfs<br />

verschiedener Lebenssituationen<br />

dar. Der Autor stellt Säulen der<br />

Alterssicherung, die berufsständische<br />

Versorgung, die betriebliche Altersvorsorge<br />

und die private Eigenvorsorge<br />

dar und vergleicht diese Säulen<br />

hinsichtlich ihrer Kosten- und Leistungsfähigkeit.<br />

Das folgende Kapitel zur Berufsständischen<br />

Altersversorgung von Michael<br />

Jung unter Mitarbeit von Prossliner<br />

behandelt die Grundlagen der<br />

Rechtsanwaltsversorgungswerke und<br />

deren Leistungen Alters-, Hinterbliebenen-<br />

und Berufsunfähigkeitsrente.<br />

Wegen des Abschnitts zur Befreiung<br />

von der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

ist das Buch auch jeden Syndikusanwalt<br />

zur Lektüre zu empfehlen.<br />

Die letzten Kapitel von Dr. Peter<br />

Doetsch und Arne Lenz zur betrieblichen<br />

Altersvorsorge für Angestellte<br />

Anwälte und Partner einer Anwaltsgesellschaft<br />

sowie zur privaten Vorsorge<br />

geben einen hervorragenden<br />

Überblicke sämtliche Formen der betrieblichen<br />

Altersvorsorge wie z. B.<br />

die Unterstützungskasse, Direktversicherung,<br />

Pensionskasse und andere,<br />

sowie sämtliche in Frage kommenden<br />

Anlageformeln der Privatvorsorge,<br />

die mit Ihren jeweiligen Vor- und<br />

Nachteilen dargestellt werden.<br />

Rechtsanwalt Philipp Wendt, Berlin


AnwBl 12/2005 XXVII<br />

Felix Hey: Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen<br />

und Ihre Schranken,<br />

Münchner Universitätsschriften<br />

Band 190,Verlag C.H. Beck, 385 Seiten,<br />

50,00 E.<br />

Gesellschaftsverträge unterscheiden<br />

sich von Austauschverträgen durch einen<br />

wesentlichen Gesichtspunkt: Beim<br />

Austauschvertrag sind die Parteien<br />

zwar durch das Seil der synallagmatischen<br />

Verbindung aneinandergekettet,<br />

ziehen aber jeweils in die andere Richtung.<br />

Deshalb müssen schwächere Vertragspartner<br />

wie Verbraucher und unerfahrene<br />

Kaufleute geschützt werden,<br />

damit die andere Seite sie nicht über<br />

den Tisch zieht. Beim Gesellschaftsvertrag<br />

hingegen sitzen die Gesellschafter<br />

in einem Boot und müssen gemeinsam<br />

in Richtung auf das<br />

definierte Ziel rudern. Deshalb gibt es<br />

im allgemeinen Gesellschaftsrecht nur<br />

allgemeine Schutzbestimmungen, wie<br />

den Verstoß gegen die guten Sitten,<br />

den Wegfall der Geschäftsgrundlage<br />

oder ähnliche. Sie sind bisher kaum<br />

systematisch aufgearbeitet worden.<br />

Felix Hey hat in seiner Münchener<br />

Habilitationsschrift diese Lücke geschlossen.<br />

Sie ist auf hohem und teilweise<br />

sehr abstraktem wissenschaftlichen<br />

Niveau geschrieben, aufgrund<br />

ihrer klaren Gliederung und ebenso<br />

klaren Sprache aber auch für den Anwalt<br />

unmittelbar verwendbar.<br />

Die moderne Kapitalmarktentwicklung<br />

und die Bildung von Eigentum<br />

auf breiter Front hat Publikumsgesellschaften,<br />

Kleinaktionäre, Genossen<br />

und viele andere „Gesellschafter“ entstehen<br />

lassen, die in Wirklichkeit Verbraucher<br />

von Finanzprodukten sind.<br />

Hey zeigt, wie sie geschützt werden<br />

können und gliedert die Schutzformen<br />

überzeugend in: Zwingendes Recht,<br />

Schutz der Entscheidungsfreiheit, Inhaltskontrolle<br />

und Ausübungskontrolle.<br />

Seine Studie geht den einzelnen<br />

Schutzformen detailliert nach, zeigt<br />

ihre theoretischen Grundlagen und immer<br />

wieder beispielhaft auch die praktischen<br />

Auswirkungen. Seine Lösungsvorschläge<br />

sind durchweg<br />

überzeugend. Dies gilt auch für jene<br />

Bereiche, in denen das Gesellschaftsrecht<br />

gleichstarke Partner miteinander<br />

verbindet, wie etwa in einer Anwaltssozietät.<br />

Den Ansatz der Rechtsprechung,<br />

das Kündigungsrecht gegen einen<br />

Gesellschafter nur an der<br />

Sittenwidrigkeitsschranke festzumachen,<br />

kritisiert Hey und fordert eine<br />

Gesamtschau der gesellschaftsrechtlichen<br />

Struktur, die sich schon weit un-<br />

terhalb der Sittenwidrigkeitsschwelle<br />

zum Beispiel am Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

orientieren muss. Ein Olympiaachter,<br />

in dem nur Leistungssportler<br />

sitzen, hat eine andere Struktur als<br />

eine privat genutzte Zwei-Mann-Jolle.<br />

Erst wenn man diese Unterschiede gedanklich<br />

erfasst hat, kann man die<br />

Frage nach der Sittenwidrigkeit einzelner<br />

Regelungen sinnvoll stellen. So<br />

gibt es zum Beispiel in eine echten<br />

Anwaltspartnerschaft keinen vernünftigen<br />

Grund dafür, einem Gesellschafter<br />

der seinen Gesellschaftsanteil ohne<br />

Vergütung erhalten hat, wie dies bei<br />

Anwaltssozietäten durchaus üblich ist,<br />

einen Abfindungsanspruch zuzubilligen,<br />

wenn der Gesellschaftsvertrag<br />

dies ausdrücklich ausschließt. Die<br />

Rechtsprechung hat bisher keinen vernünftigen<br />

Ansatz zur Lösung solcher<br />

Themen gefunden und Heys Arbeit<br />

zeigt, wo man sie suchen muss. Dass<br />

er dabei auch auf die verfassungsrechtlichen<br />

Wurzeln der Vertragsfreiheit<br />

hinweist, ist ein besonderer Verdienst.<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen,<br />

Berlin<br />

Stackmann, Nikolaus, Rechtsbehelfe<br />

im Zivilprozess, C.H. Beck, 1. Aufl.<br />

2004, München, kartoniert, 455 S.,<br />

32,00 E<br />

Der Titel des Buches zeigt bereits,<br />

worum es geht: Wie kann im Zivilprozess<br />

gegen gerichtliche Entscheidungen<br />

vorgegangen werden? Der Autor,<br />

Vorsitzender Richter einer Berufungsund<br />

Beschwerdekammer am LG München<br />

I und Autor wissenschaftlicher<br />

Aufsätze, gibt eine Übersicht über<br />

Rechtsbehelfe gegen Urteile der ersten<br />

Instanz, im Rechtsmittelverfahren und<br />

gegen andere gerichtliche Anordnungen.<br />

Dabei wird Wert auf das materielle<br />

Vorgehen, aber auch auf das Betrachten<br />

der Kostenseite gelegt.<br />

Stackmann beschreibt im ersten<br />

Teil die Möglichkeiten nach verschiedenen<br />

Entscheidungen. Schwerpunkt<br />

ist das Vorgehen gegen Urteile der ersten<br />

Instanz. Dazu gehört vor allem<br />

die Berufung. Die Voraussetzungen<br />

und Besonderheiten der Berufung werden<br />

dargestellt. Fristen sind dabei genauso<br />

zu beachten, wie die verschiedenen<br />

Rügemöglichkeiten für die<br />

Berufungsbegründung.<br />

Der zweite Teil befasst sich schwerpunktmäßig<br />

mit dem Vorgehen gegen<br />

Berufungsurteile. Dabei stehen die<br />

Grundlagen und Begründungen der<br />

Nichtzulassungsbeschwerde und der<br />

Revision im Mittelpunkt.<br />

MN<br />

Da Entscheidungen nicht nur durch<br />

Urteile ergehen, folgt ein dritter Teil,<br />

in dem Stackmann auch das Vorgehen<br />

gegen diese Entscheidungen, wiederum<br />

unter Berücksichtigung der Formalien<br />

und Kosten, dar. Dazu gehören<br />

z. B. Beschwerden oder Erinnerungen.<br />

Stackmann wendet sich mit seinem<br />

Aufbau an Praktiker, womit vor allem<br />

Richter und Rechtsanwälte gemeint<br />

sind. Gerade für Rechtsanwälte ist das<br />

Buch hilfreich, da sich am Ende der<br />

einzelnen Kapitel kostenrelevante<br />

Überlegungen nach RVG und BRAGO<br />

sowie die Bezifferung der Gerichtsund<br />

Parteikosten finden. Dies ist für<br />

die wirtschaftliche Abschätzung der<br />

Folgen der einzelnen Handlungen<br />

wertvoll. Der Rechtsanwalt kann so<br />

entscheiden, ob ein Angriff gegen Gerichtsentscheidungen<br />

wirtschaftlich<br />

sinnvoll ist. Darüber hinaus wird mit<br />

diesem Werk ein insgesamt kompakter<br />

und guter Überblick über die Verfahrensabläufe<br />

und -schritte gegeben.<br />

Rechtsanwalt Marc-André Delp,<br />

M.L.E., Hannover


XXVIII<br />

MN<br />

BÜCHER & INTERNET<br />

9 ibanet.org<br />

Die International Bar Association<br />

IBA stellt sich mit umfangreichen<br />

Informationen vor und unterhält<br />

neben der Präsentation der<br />

Vereinigung weitere Internetseiten,<br />

teils mit Foren, zu juristischen Themen.<br />

Es gibt also nicht nur die üblichen<br />

und zweifellos nützlichen Vereinsnachrichten,<br />

Termine und<br />

Ansprechpartner. So lassen sich<br />

über den Link zum www.globalcompetitionfo<br />

rum.org binnen weniger<br />

Für das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

im Internet:<br />

Rechtsanwältin<br />

Isa von Koeller,<br />

Online-Redakteurin<br />

von Marktplatz-Recht.de.<br />

Klicks die nationalen Wettbewerbsregelungen<br />

von zurzeit 166 Staaten<br />

aufrufen. Und bei www.anti-moneylaundering.org<br />

sind die nationalen<br />

Gesetze und weitere Informationen,<br />

vor allem die Anforderungen an den<br />

Anwalt, zur Geldwäsche nachzulesen.<br />

9 aija.org<br />

Auch die AIJA, die Association<br />

internationale des jeunes avocats,<br />

die sich selbst als einzige globale<br />

Vereinigung von Junganwälten präsentieren,<br />

stellt sich im Internet vor.<br />

Auf Englisch und Französisch gibt<br />

es Informationen zu den zahlreichen<br />

Veranstaltungen, von Seminaren bis<br />

zu den Jahreskongressen. Viele<br />

Links zu nationalen und internationalen<br />

Anwaltsverbänden und internationalen<br />

Organisationen sind auch<br />

aufgelistet.<br />

9 ccbe.org<br />

Die Internetseiten des Council of<br />

the Bars and Law Societies of Europe<br />

(CCBE) sind auf Englisch,<br />

Spanisch oder Französisch abrufbar.<br />

Hier sind die Organisationen nach<br />

Ländern sortiert aufgelistet, die Mitglied<br />

im CCBE sind oder Beobachterstatus<br />

haben, inklusive der Ansprechpartner<br />

und Links zu den<br />

jeweiligen Internetadressen. Auch<br />

die Zusammensetzungen der Komitees<br />

und Arbeitsgruppen werden na-<br />

mentlich genannt. Vor allem werden<br />

die Stellungnahmen und Dokumente<br />

der Ausschüsse veröffentlicht. Das<br />

Arbeitsspektrum auf europäischer<br />

Ebene ist breit – von C wie Company<br />

Law über F wie Free Movement<br />

of Lawyers bis T wie Training<br />

arbeiten die Komitees. Bei den Dokumenten<br />

zur Ausbildung ist eine<br />

interessante Tabelle eingestellt, die<br />

die Dimension des Vorhabens illustriert,<br />

die Juristenausbildung zu vereinheitlichen:<br />

Auf 200 Seiten sind<br />

die bisherigen Ausbildungswege der<br />

Juristen dargestellt, für jeden Mitgliedsstaat<br />

sind Fragen über die<br />

Ausbildung beantwortet, was ein<br />

sehr buntes Bild abgibt. Zum<br />

Download bereit stehen weitere Dokumente,<br />

die von der Startseite aus<br />

zu erreichen sind. So steht der Code<br />

of Conduct, die Berufsregeln der<br />

Rechtsanwälte der Europäischen<br />

Union, zur Verfügung, ausnahmsweise<br />

unter anderem auch in deutscher<br />

Fassung. Außerdem sind die<br />

nationalen Berufsordnungen der<br />

Mitgliedsstaaten zu finden, meist allerdings<br />

nur in der Landessprache.<br />

Auch einige Publikationen und<br />

Pressemitteilungen sind online verfügbar.<br />

Interessant sind auch die<br />

Statistiken der Anzahl der Rechtsanwälte<br />

in den Mitgliedsstaaten und<br />

Informationen zur CCBE Identity<br />

Card.<br />

9 abanet.org<br />

Die American Bar Association<br />

bietet Informationen für verschiedene<br />

Zielgruppen, für Anwälte, Studenten<br />

und für juristische Laien. In<br />

den „Lawyer Resources“ ist das<br />

ABA Journal zu finden, das tagesaktuelle<br />

Beiträge zur Rechtspolitik<br />

liefert. Es wird sogar eine spezielle<br />

Version für Blackberry-Nutzer angeboten.<br />

Eine eigene Rubrik befasst<br />

sich mit „Services for Your Practice“,<br />

in der unter anderem Artikel<br />

zu „Risk Management & Professional<br />

Liability“ eingestellt sind, die<br />

sich mit vielen Aspekten rund um<br />

die Berufshaftpflichtversicherung<br />

beschäftigt, Interessenskonflikte,<br />

Umgang mit E-Mails und Tipps zur<br />

Vermeidung von Haftpflichtfallen.<br />

Grundlegende Einführungen in das<br />

US-amerikanische Rechtssystem<br />

bietet die Rubrik „Fact Books“ in<br />

den „Public Resources“.<br />

AnwBl 12/2005<br />

Grandes plaidoiries & Grands procès<br />

du XV e au XX e siècle. Hrsg.von Nicolas<br />

Corato in Zusammenarbeit mit<br />

der Anwaltskammer Paris, Prat éditions<br />

– Reed Business Information,<br />

Paris 2004, 672 Seiten, 29,90 E, ISBN<br />

285890-814-1.<br />

Dieses Buch über bedeutende französische<br />

Prozesse und Plädoyers des<br />

15. bis 20. Jahrhunderts gibt nicht nur<br />

einen Einblick in die Kunst der Argumentation,<br />

sondern spiegelt zugleich<br />

die Literatur- und politische Geschichte<br />

Frankreichs wieder. Die Herausgeber<br />

haben 34 Gerichtsverfahren<br />

ausgewählt, wobei der Schwerpunkt<br />

auf dem 19. Jahrhundert liegt. Die<br />

Darstellung folgt einem einheitlichen<br />

Schema: In einer kurzen Einführung<br />

werden die historischen Hintergründe<br />

und die Fakten der Prozesse erläutert.<br />

Dann wird die Vita der Verfasser der<br />

Plädoyers skizziert, deren Ausführungen<br />

anschließend im Wortlaut – wenn<br />

auch oft mit Auslassungen – abgedruckt<br />

sind. Die Beiträge enden mit<br />

Auszügen aus dem Urteil oder aus literarischen<br />

Werken, die sich mit den beschriebenen<br />

Ereignissen befassen. Auf<br />

einen wissenschaftlichen Apparat haben<br />

die Herausgeber verzichtet.<br />

Unter anderem werden die Strafverfahren<br />

gegen Flaubert wegen des Romans<br />

„Madame Bovary“ und gegen<br />

Baudelaire wegen seiner Gedichtsammlung<br />

„Die Blumen des Bösen“<br />

geschildert. Beide wurden angeklagt,<br />

mit ihrem Werk gegen die guten Sitten<br />

verstoßen zu haben. Für Flaubert endete<br />

der Prozess mit einem Freispruch,<br />

während Baudelaire zu einer Geldstrafe<br />

verurteilt wurde.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt sind die<br />

politischen Prozesse, wie z. B. gegen<br />

den letzten französischen König Louis<br />

XVI und seine Ehefrau Marte-Antoinette,<br />

die beide in der französischen<br />

Revolution zum Tode verurteilt wurden.<br />

Auch der Prozess gegen den jüdischen<br />

Hauptmann Dreyfus wegen<br />

Hochverrats und der Prozess gegen<br />

seinen Unterstützer Emile Zola wegen<br />

Verunglimpfung der Armee werden<br />

dargestellt.<br />

Das Buch ist hübsch ausgestaltet und<br />

enthält viele Bilder. Es eignet sich daher<br />

bestens als Geschenk, und zwar nicht<br />

nur für Frankreichliebhaber, sondern<br />

auch für (französischsprachige) Juristen,<br />

die sich für Rhetorik interessieren.<br />

Prof. Dr. Joachim Gruber D.E.A.<br />

(Paris I), Zwickau


XXXII<br />

MN<br />

SCHLUSSPLÄDOYER<br />

Stellt sich den Fragen des <strong>Anwaltsblatt</strong>s:<br />

Rechtsanwältin Dr. Ute Döpfer<br />

aus Oberursel (Taunus) ist Mitglied<br />

des Vorstands des Deutschen Anwaltvereins.<br />

Sie ist seit zwölf Jahren<br />

Rechtsanwältin und arbeitet in einer<br />

Einzelkanzlei. Ihre Schwerpunkte liegen<br />

auf dem Gebiet des Strafrechts<br />

und des Steuerstrafrechts sowie des<br />

Pferde-Sportrechts. Sie ist Mitglied im<br />

DAV, weil Kommunikation und Fortbildung<br />

für sie zum Kernbereich und Wesen<br />

des anwaltlichen Berufs gehören.<br />

Warum sind Sie Anwältin geworden?<br />

Weil ich Dinge selten widerspruchslos<br />

hinnehmen kann.<br />

Schon einmal überlegt, die Zulassung<br />

zurückzugeben?<br />

Nein! – Gemäß meinem Motto: Und<br />

jetzt gerade ...<br />

Ihr größter Erfolg als Anwältin?<br />

Der Freispruch für einen Mandanten,<br />

von dessen Schuld und Strafbarkeit<br />

alle – außer mir natürlich – überzeugt<br />

waren.<br />

Ihr Stundensatz?<br />

So viel, dass ich – wie es meine Arbeit<br />

erfordert – zu jeder Tages- und<br />

Nachtzeit noch etwas Essbares einkaufen<br />

kann.<br />

Ihr Traummandat?<br />

Jeder Fall, in dem es mir gelingt, mit<br />

juristischer Argumentation (und gegebenenfalls<br />

gutachterlicher Hilfe) neue<br />

Perspektiven zu Gunsten des Mandanten<br />

zu eröffnen.<br />

Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal<br />

nicht nachsagen?<br />

Sie geht mit dem Kopf durch die<br />

Wand.<br />

Welches Lob wünschen Sie sich von<br />

einem Mandanten?<br />

Mit dem Verfahrensausgang kann ich<br />

leben.<br />

AnwBl 12/2005<br />

DAV-Haus (Littenstr. 11, 10179 Berlin)<br />

Deutscher Anwaltverein<br />

Fon: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90<br />

dav@anwaltverein.de, www.anwaltverein.de<br />

Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

Fon: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91<br />

anwaltsblatt@anwaltverein.de<br />

www.anwaltsblatt.de<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Fon: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11,<br />

daa@anwaltakademie.de<br />

www.anwaltakademie.de<br />

Deutsche Anwaltadresse<br />

Fon: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77<br />

adresse@anwaltverein.de<br />

DAV-Anwaltausbildung<br />

Fon: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63<br />

anwaltausbildung@anwaltverein.de<br />

www.dav-anwaltausbildung.de<br />

Arbeitsgemeinschaften im DAV<br />

Infos unter Fon: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190<br />

DAV Büro Brüssel<br />

Avenue de la Joyeuse Entrée, 1<br />

Blijde Inkomstlaan, B-1040 Bruxelles / Brussel<br />

Fon: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13<br />

bruessel@anwaltverein.de,<br />

www.anwaltverein.de/bruessel<br />

Deutscher Anwaltverlag<br />

Wachsbleiche 7, 53111 Bonn<br />

Fon: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23<br />

kontakt@anwaltverlag.de, www.anwaltverlag.de<br />

Mitglieder-Service<br />

Der DAV begrüßt grundsätzlich die Verwendung<br />

seines Logos durch die Mitglieder der örtlichen<br />

Anwaltvereine. Der DAV gestattet daher als Inhaber<br />

der Rechte an diesem Logo, ausschließlich<br />

den Mitgliedern der örtlichen Anwaltvereine,<br />

dieses – ohne Schriftzug „Deutscher Anwaltverein“<br />

– zu verwenden. Das Logo und die exakten<br />

Verwendungsbedingungen finden Sie im Internet<br />

unter www.anwaltverein.de/08/index.html.

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