Dezember - Anwaltsblatt
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DeutscherAnwaltVerein<br />
A11041<br />
Aufsätze<br />
Anwaltsgeschichte als Zeitgeschichte<br />
(Rüping) 725<br />
Auslandsdeckung und Berufshaftpflicht<br />
(Borgmann) 732<br />
Anwälte und Journalisten (Jahn) 744<br />
Satzungsversammlung<br />
Interessenkollision/Werberecht/<br />
Neue Fachanwaltschaften 752<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Fortbildungsbescheinigung des DAV 754<br />
Mitteilungen<br />
Zugang zum Recht (Heussen) 771<br />
Geschichte des Kostenrechts (Rieck) 781<br />
Rechtsprechung<br />
BGH: Ursächlichkeit des Beratungsfehlers 789<br />
BGH: Kosten des auswärtigen Anwalts 792<br />
OLG Koblenz: Terminsgebühr 793<br />
12/2005<br />
<strong>Dezember</strong> DeutscherAnwaltVerlag
AnwBl 12/2005 I<br />
EDITORIAL<br />
Anwaltsgeschichte –<br />
Spiegelbild unserer<br />
Gesellschaft<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Herausgeber<br />
des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />
Dass Anwälte zu fast allen Zeiten<br />
eine wichtige Rolle in unserer und für<br />
unsere Gesellschaft spielten, hat mindestens<br />
zwei tragende Gründe: Anwälte<br />
übersetzen und besorgen Recht<br />
für den Bürger. Dieser konnte zu keiner<br />
Zeit aus eigener Kraft den Umfang<br />
seiner Rechte erkennen und diese ausschöpfen.<br />
Ebenso wenig konnte er zutreffend<br />
einschätzen, ob ihm Unrecht<br />
getan wird und was dagegen zu tun<br />
ist. Das gilt heute mehr denn je.<br />
Anwälte stehen insofern überall da<br />
mitten drin, wo es Konflikte gibt, solche<br />
zu befürchten sind bzw. es sie zu<br />
vermeiden gilt. Anwälte arbeiten also<br />
hart am Puls der Gesellschaft. Andererseits<br />
tragen Anwälte durch ihre Tätigkeit<br />
zum Funktionieren der Rechtsordnung<br />
bei, die als Ordnungsprinzip<br />
eine wichtige Voraussetzung für ein<br />
gedeihliches Zusammenleben und einen<br />
funktionierenden Staat ist. Insofern<br />
ist der Staat gewissermaßen auf<br />
die Anwaltschaft angewiesen und in<br />
seinem Machtstreben von ihrer Tätigkeit<br />
betroffen.<br />
Grund genug, die Anwälte zu allen<br />
Zeiten mit lebhaftem Interesse, aber<br />
auch mit Argwohn in den Blick zu<br />
nehmen. Die Geschichte des Kampfes<br />
um eine freie Advokatur spricht davon<br />
Bände. Die Rolle führender Anwälte<br />
für das Zurückdrängen absoluter<br />
Strukturen zu Gunsten einer freiheitlichen<br />
Ordnung ebenso. Umso schlimmer,<br />
dass ein großer Teil der Anwaltschaft<br />
dem antidemokratischen,<br />
Menschen verachtenden und rassistischen<br />
Zeitgeist der Nationalsozialisten<br />
ebenso wie ihr gesellschaftliches Umfeld,<br />
insbesondere auch die Justiz, erlegen<br />
ist. Dies ist bereits Gegenstand<br />
verschiedener Untersuchungen gewesen<br />
und wird in diesem Heft (S. 725)<br />
nunmehr von Professor Dr. Hinrich<br />
Rüping auf der Grundlage neuerlicher<br />
Untersuchungen über die Verhältnisse<br />
im Bereich der Rechtsanwaltskammer<br />
Celle weiter vertieft. Dass die Anwaltschaft<br />
auch in der Zeit nach 1945 in<br />
Ost und West in vieler Hinsicht dem<br />
Zeitgeist gefolgt und zunächst der Opportunität,<br />
dann aber in mancher Hinsicht<br />
dem Opportunismus erlegen ist,<br />
MN<br />
will ich in den nächsten Jahren näher<br />
belegen.<br />
Weitere Beiträge in diesem Heft<br />
zeigen auf eine andere Facette anwaltlichen<br />
Zeitgeistes. Dr. Joachim Jahn<br />
(FAZ) beleuchtet in diesem Heft<br />
(S. 744) den Umgang zwischen Anwälten<br />
und Journalisten. Von ihm erfährt<br />
der Leser mit Schmunzeln von<br />
dem emsigen Bemühen vieler Kollegen<br />
um Erwähnung in den Medien<br />
und den dabei alltäglichen Ungeschicklichkeiten.<br />
Man mag nach dieser<br />
Lektüre kaum glauben, dass die Zeiten<br />
des anwaltlichen Werbeverbotes und<br />
seiner drakonischen Anwendung durch<br />
die Kammern erst 18 Jahre zurückliegen.<br />
Umgekehrt macht Jahn deutlich,<br />
wie sehr die Berichterstattung der Medien<br />
auf eine fruchtbare Zusammenarbeit<br />
mit Anwälten angewiesen ist. Die<br />
Anwaltschaft liefert ihnen illustratives<br />
Fallmaterial, an dem deutlich wird,<br />
was funktioniert und wo es warum<br />
hakt. Durch Hintergrundgespräche<br />
wecken Anwälte Verständnis und treten<br />
Missverständnissen entgegen.<br />
Rechtsanwalt Professor Dr. Ronald<br />
Schmid beschreibt eine weniger<br />
schöne Art, wie sich Anwälte ihre Erwähnung<br />
in den Medien sichern. Es<br />
geht um die Gruppe von Kollegen, die<br />
Tragödien und Großschadensfälle ausnutzen,<br />
um mit daran geknüpften abstrusen<br />
Schadenersatzforderungen<br />
amerikanischer Lesart und der Drohung<br />
der Anrufung amerikanischer<br />
Gerichte Aufsehen zu erregen (S.<br />
749). Dass sich hinter diesen Forderungen<br />
oft überwiegend heiße Luft<br />
und wenig Substanz befindet, zeigt<br />
Schmid an einer Reihe eindrucksvoller<br />
Beispielsfälle auf.
Editorial<br />
I Anwaltsgeschichte – Spiegelbild unserer<br />
Gesellschaft<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Herausgeber des<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />
Bericht aus Berlin<br />
IV Kartoffeln und Quark<br />
Bettina Mävers, Berlin<br />
Aufsätze<br />
725 Anwaltsgeschichte als Juristische Zeitgeschichte<br />
Prof. Dr. Hinrich Rüping, Hannover<br />
732 Lücken in der Auslandsdeckung der Berufshaftpflichtversicherung<br />
von Rechtsanwälten<br />
Rechtsanwältin Dr. Brigitte Borgmann, München<br />
737 Zur Verjährung altrechtlicher<br />
Schadensersatzansprüche im Zivilrecht<br />
Rechtsanwalt Dr. Andreas Piekenbrock,<br />
Karlsruhe/Halle (Saale)<br />
740 Datenschutzkontrolle in der Anwaltskanzlei<br />
Rechtsanwalt Dr. Hendrik Schöttle, München<br />
744 Ein bisschen Charme und Gelassenheit helfen<br />
Dr. jur. Joachim Jahn, Frankfurt/M.<br />
Kommentar<br />
748 Mit Rat und vor allem mit Tat – weil es nötig ist<br />
Rechtsanwalt Micha Guttmann, Köln<br />
Thema<br />
749 Sag mir, wo die Millionen sind! Wo sind sie<br />
geblieben?<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Ronald Schmid,<br />
Frankfurt/Main<br />
Satzungsversammlung<br />
752 Interessenkollision: Neuer § 3 BORA<br />
752 Der unverkündete § 7 BORA tritt nun doch in Kraft<br />
753 Fachanwaltschaft Nr. 15 und Nr. 16 beschlossen<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
754 „Anreiz für eine echte DAV-Fortbildungsoffensive“<br />
Rechtsanwältin Heide Krönert-Stolting, Kronberg<br />
754 Zwischenruf: Zeit sparen durch mehr Fortbildung<br />
Rechtsanwältin Verena Mittendorf, Vizepräsidentin<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
755 DAV-Fortbildungsbescheinigung: Informationen<br />
756 DAV-Aktuell: Tagung zum Bologna-Prozess<br />
757 DAV-Gesetzgebungsausschüsse: Stellungnahmen<br />
758 DAV-Internetforum: Referendarausbildung<br />
758 DAV und Menschenrechte: UIA<br />
759 Deutsche Anwaltauskunft: TV-Sponsoring ergänzt<br />
Werbekampagne<br />
760 Anwaltsverein Heidelberg: Mittelstandsmesse<br />
760 Landesverband Thüringen: Landesanwaltstag<br />
Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
761 Anwaltverein Hagen: Ausstellung zur<br />
Anwaltsgeschichte<br />
761 Kölner Anwaltverein: Größter Ortsverein<br />
762 AG Verkehrsrecht: Wegweisend im Verkehrsrecht –<br />
zum 25. Mal<br />
763 AG Versicherungsrecht: Zeit fliegt – jährliches<br />
Symposium zum 10. Mal<br />
764 AG Anwaltsnotariat: Herbsttagung<br />
765 DAV-Sonderwertung beim Berlin-Marathon<br />
765 Personalien<br />
Gastkommentar<br />
766 „Cicero“ – Pressefreiheit und Geheimnisverrat<br />
Claudia Venohr, NDR-Info<br />
Europa<br />
EU-Kommission<br />
767 Der Anwaltsberuf im Visier der Wettbewerbshüter<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />
Europäischer Juristentag<br />
768 Gesellschaftsrecht, Zivilprozessrecht und<br />
Grundrechte<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />
Meinung & Kritik<br />
769 Freiheit für die Rechtsanwalts-AG!<br />
Rechtsanwalt Dr. Malte Passarge, Hamburg<br />
Mitteilungen<br />
Anwaltsmarkt<br />
771 Zugang zum Recht – Ein internationaler Vergleich<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />
Dokumentationszentrum für Europäisches<br />
Anwalts- und Notarrecht<br />
774 Die Haftung des Advokaten in Belgien<br />
Frank Groß, Göttingen<br />
Internationales<br />
779 Weltweites Netzwerk für junge Anwälte<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL. M., Berlin<br />
RVG-Frage des Monats<br />
780 Wird von der Verfahrensgebühr die teilweise<br />
anzurechnende Geschäftsgebühr abgezogen?<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Kostenrecht<br />
781 Prozessverlust und Kostentragung – ein zeitgemäßes<br />
Abhängigkeitsverhältnis?<br />
Rechtsanwältin Dr. Annette Rieck, Kiel<br />
Bücherschau<br />
783 Anwaltschaft und Geschichte<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln
Haftpflichtfragen<br />
785 Der Schadensbegriff in der Anwaltshaftung<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk, München<br />
Rechtsprechung<br />
Anwaltsrecht<br />
787 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.7.2005 – I-24 U 45/05:<br />
Aufrechnung mit Vergütungsanspruch (mit Anmerkung<br />
von Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin)<br />
788 LG Köln, Urt. v. 20.9.2005 – 33 O 87/05:<br />
Fortführung der Firma bei Rechtsanwalts-GmbH<br />
Anwaltshaftung<br />
789 BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 49/02:<br />
Ursächlichkeit des Beratungsfehlers bei Alternativen<br />
zum Handeln<br />
791 OLG Brandenburg, Urt. v. 29.9.2005 – 12 U 47/05:<br />
Übermittlung per Telefax<br />
Anwaltvergütung<br />
792 BGH, Beschl. v. 13.9.2005 – X ZB 30/04:<br />
Kosten des auswärtigen Anwalts<br />
792 KG, Beschl. v. 20.7.2005 – 1 W 285/05: Keine<br />
Kürzung der Verfahrens- durch die Geschäftsgebühr<br />
793 OLG Koblenz, Beschl. v. 20.9.2005 – 14 W 537/05:<br />
Terminsgebühr bei außergerichtlichen Vergleich<br />
794 OLG Koblenz, Beschl. v. 12.10.2005 – 14 W 620/05:<br />
Terminsgebühr für vorprozessuale Besprechung<br />
794 LG Aachen, Urt. v. 5.10.2005 – 4 O 38/04: Kosten<br />
des Anwalts aus Amtshaftung<br />
795 OLG München, Beschl. v. 31.8.2005 – 11 W<br />
1883/05: Verfahrensgebühr im Verfügungsverfahren<br />
796 AG Saarlouis, Urt. v. 7.10.2005 – 30 C 861/05:<br />
Gebühren in Bußgeldsachen<br />
Kostenrecht<br />
796 OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.6.2005 – 4 W<br />
52/05: Streitwert bei E-Mail-Werbung<br />
796 Fotonachweis, Impressum<br />
Schlussplädoyer<br />
XXXII Nachgefragt, Comic, Mitglieder-Service<br />
Auf dem Umschlag<br />
VI, VII, VIII Informationen<br />
XXIV Deutscher Anwaltverlag aktuell<br />
XXVI, XXVIII Bücher & Internet<br />
XXX, XXXI Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />
Im nächsten Heft:<br />
9 Anwaltsausbildung (Kilger)<br />
9 Juristenausbildung (Dauner-Lieb)<br />
Jahrgang 55<br />
<strong>Dezember</strong> 2005
IV<br />
MN<br />
BERICHT AUS BERLIN<br />
Kartoffeln und Quark<br />
Harmonische Koalitionsgespräche<br />
Das frugale Mahl, das bei den Koalitionsverhandlungen<br />
im Bundesjustizministerium<br />
kredenzt wurde, sorgte<br />
für mehr Diskussionsstoff als die meisten<br />
Themen, die besprochen wurden.<br />
Kartoffeln und Quark – „das gibt’s hier<br />
immer“ – fanden nicht bei allen Teilnehmern<br />
der Arbeitsgruppe Justiz uneingeschränkte<br />
Zustimmung. Ansonsten<br />
blieben nur zwei Themen, über die<br />
sich SPD und Union nicht einigen<br />
konnten: Das Lebenspartnerschaftsgesetz<br />
will die SPD um Regelungen im<br />
Einkommensteuer-, Erbschafts- und Beamtenrecht<br />
ergänzen, die bislang am<br />
Widerstand der Länder gescheitert waren.<br />
CDU und CSU lehnen dies wegen<br />
ihrer grundsätzlichen Vorbehalte gegen<br />
das Institut der Lebenspartnerschaft ab.<br />
Beim Antidiskriminierungsrecht haben<br />
sich die Koalitionäre zwar darauf verständigt,<br />
dass die europäischen Gleich-<br />
Die Autorin:<br />
Bettina Mävers<br />
war als Journalistin<br />
u. a. für das<br />
Handelsblatt tätig<br />
und erhielt 2001<br />
den DAV-Pressepreis.<br />
behandlungsrichtlinien kurzfristig „1:1“<br />
umgesetzt werden sollen. Doch bei der<br />
Umsetzung der Richtlinie zur Gleichstellung<br />
der Geschlechter außerhalb des<br />
Erwerbslebens, auch bekannt als „Unisex-Richtlinie“,<br />
wollen die Sozialdemokraten<br />
zusätzlich die Merkmale Behinderung,<br />
Alter und sexuelle Identität<br />
in den Schutz vor Diskriminierungen<br />
bei so genannten Massengeschäften<br />
aufnehmen, die Union akzeptiert allerdings<br />
nur das Merkmal der Behinderung.<br />
Insgesamt entsprachen die<br />
rechtspolitischen Vereinbarungen der<br />
Koalitionspartner dem kulinarischen<br />
Rahmen der Verhandlungen: Nichts<br />
Spektakuläres, aber sättigend und eigentlich<br />
gar nicht mal so schlecht.<br />
Justizpolitik<br />
Diskutiert wurde auch das Thema<br />
Rechtsberatung, bei dem sich die Anwälte<br />
ein übereinstimmendes „alles<br />
auf Anfang“ oder zumindest kollektives<br />
Stillschweigen erhofft hatten, damit<br />
der von vielen ungeliebte Entwurf<br />
eines Rechtsdienstleistungsgesetzes<br />
(RDG) nicht ohne erneute Diskussion<br />
in das Gesetzgebungsverfahren einge-<br />
bracht wird. Nach der Formulierung,<br />
die für den Koalitionsvertrag gefunden<br />
wurde, soll mit einer Reform der<br />
Rechtsberatung die Qualität der anwaltlichen<br />
Beratung gesichert und die<br />
Verbraucher vor unqualifiziertem<br />
Rechtsrat geschützt werden. Das kann<br />
alles und nichts heißen – Begriffe wie<br />
„erlaubte Nebenleistungen“, die einen<br />
Rückschluss auf das RDG erlauben,<br />
haben die Verhandlungspartner in der<br />
endgültigen Fassung vermieden.<br />
Fünf Landesjustizminister waren an<br />
der Koalitionsvereinbarung der Arbeitsgruppe<br />
Justiz beteiligt. So überrascht<br />
es nicht, dass das Thema Justizreform<br />
relativ viel Raum einnimmt. In<br />
den auf den ersten Blick sehr allgemeinen<br />
Absichtserklärungen verbirgt sich<br />
allerdings auf den zweiten Blick mehr<br />
Konkretes, als selbst die Justizminister<br />
aus den Ländern erwartet hatten: Die<br />
Zusammenlegung der Verwaltungsund<br />
Sozialgerichtsbarkeit wird „angestrebt“,<br />
heißt es. Und aus den Kreisen<br />
der Verhandlungspartner ist zu hören,<br />
dass damit nicht etwa eine Öffnungsklausel<br />
für die Länder gemeint sei, sondern<br />
eine bundesgesetzliche Regelung,<br />
Grundgesetzänderung inklusive. Darüber<br />
hinaus ist vereinbart, das Gerichtsverfassungs-<br />
und Verfahrensrecht zu<br />
vereinheitlichen und zu vereinfachen.<br />
Alle Streitigkeiten um Ehe, Trennung<br />
oder Scheidung sollen künftig vor einem<br />
Großen Familiengericht verhandelt<br />
werden. Außerdem soll das Zwangsvollstreckungsrecht<br />
modernisiert werden:<br />
Gläubiger sollen einen schnelleren<br />
Zugriff auf das Vermögen des Schuldners<br />
bekommen, die Vollstreckungsorgane<br />
entlastet werden – auch dies<br />
eine Forderung der Länder. Ein Schelm,<br />
wer Böses dabei denkt – die Privatisierung<br />
des Gerichtsvollzieherwesens<br />
wird nicht ausdrücklich genannt.<br />
Beim Thema Juristenausbildung befinden<br />
die Koalitionäre zwar, dass<br />
diese den ändernden Anforderungen an<br />
die juristischen Berufe gerecht werden<br />
müsse. Neue Abschlüsse, die Übertragung<br />
des „Bologna-Prozesses“ auf die<br />
Juristenausbildung, lehnen sie aber ab.<br />
Reformen im Wirtschaftsrecht<br />
Eine klare Aussage trifft die Koalitionsvereinbarung<br />
in der wirtschaftsrechtlichen<br />
Abteilung nur zur Offenlegung<br />
der Managergehälter, die kurz<br />
vor der Sommerpause mit den Stimmen<br />
von SPD, Grüne und Union für<br />
AnwBl 12 /2005<br />
börsennotierte Aktiengesellschaften<br />
beschlossen worden war. Sie soll für<br />
Unternehmen mit überwiegender Bundesbeteiligung<br />
generell Pflicht werden.<br />
Auf eine zunächst diskutierte Regelung,<br />
nach der die Hauptversammlung<br />
die Höhe der Vorstandsvergütungen bestimmen<br />
soll, wird jedoch verzichtet.<br />
Das GmbH-Gesetz soll umfassend<br />
novelliert werden. Ob und wie diese<br />
Reform dem Bedarf an Billig-GmbHs<br />
wegen der zunehmenden Konkurrenz<br />
britischer Gesellschaften Rechnung<br />
tragen wird, ist nicht konkretisiert. Im<br />
nordrhein-westfälischen Justizministerium<br />
wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet,<br />
der zusätzlich zur GmbH die<br />
Rechtsform einer Gründungsgesellschaft<br />
mit geringem Stammkapital und<br />
erleichterten Gründungsvoraussetzungen<br />
einführen will. Klar ist jedoch,<br />
dass es keine zweigeteilte Reform geben<br />
wird, die die rot-grüne Bundesregierung<br />
noch vor der Sommerpause<br />
beabsichtigte, als sie zunächst nur das<br />
Mindeststammkapital auf 10.000 Euro<br />
absenken wollte. Das Insolvenzrecht<br />
wird in der Koalitionsvereinbarung nur<br />
im Zusammenhang mit dem GmbH-<br />
Recht und beklagten Missbräuchen erwähnt,<br />
nicht jedoch als insgesamt reformbedürftig.<br />
Doch ist zu erwarten,<br />
dass das Thema bald in den Fokus geraten<br />
wird, da es bereits einen Gesetzentwurf<br />
zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge<br />
und zur Anpassung des<br />
Rechts der Insolvenzanfechtung gibt,<br />
der wegen des geplanten Vorrechts des<br />
Steuerfiskus’ und der Sozialkassen als<br />
Gläubiger in der Kritik steht. Die Stellungnahme<br />
des Bundesrates zeigt bereits,<br />
dass die Trennlinie bei der Diskussion<br />
nicht zwischen Union und<br />
SPD, sondern zwischen Finanz- und<br />
Justizressort verlaufen wird.<br />
Überprüfung beim Strafrecht<br />
Wie ein roter Faden zieht sich durch<br />
den strafrechtlichen Teil der Koalitionsvereinbarung<br />
die Absicht, die noch kurz<br />
vor der Sommerpause mit Stimmen von<br />
SPD und Union beschlossenen Gesetze<br />
beispielsweise zur akustischen Wohnraumüberwachung,<br />
DNA-Analyse oder<br />
zur Graffiti-Bekämpfung zu evaluieren<br />
und gegebenenfalls zu erweitern. Konkret<br />
vereinbart ist die Wiedereinführung<br />
der Kronzeugenregelung. Reformieren<br />
will die neue Bundesregierung<br />
auch Bestimmungen zum Maßregelvollzug<br />
und zum Jugendstrafvollzug –<br />
vorausgesetzt, die Föderalismus-Reformer<br />
überlassen diesen Bereich nicht<br />
den Ländern.
VI<br />
MN<br />
INFORMATIONEN<br />
DAV-Pressemitteilung<br />
Föderalismus:<br />
Kein Flickenteppich<br />
beim Strafvollzug<br />
In einem beispiellosen gemeinsamen<br />
Appell von Richtern, Anstaltsleitern<br />
im Strafvollzug, Anwälten,<br />
Strafvollzugsbediensteten und anderen,<br />
die mit Strafvollzug zu tun haben, ist<br />
eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz<br />
für den Strafvollzug vom<br />
Bund auf die Länder abgelehnt worden.<br />
Der Deutsche Anwaltverein hat davor<br />
gewarnt, dieses Vorhaben bei den Koalitionsverhandlungen<br />
zur Föderalismusreform<br />
umzusetzen.<br />
„Der Strafvollzug muss bundesweit<br />
einheitlich geregelt sein“, betont<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident<br />
des DAV. Es dürfe keinen Flickenteppich<br />
in der Bundesrepublik<br />
beim Strafvollzug geben. Nur so<br />
könne der deutsche Strafvollzug weiterhin<br />
eine Vorbildfunktion im internationalen<br />
Vergleich behalten. Unterschiedliche<br />
Mindeststandards beim<br />
Strafvollzug seien abzulehnen.<br />
„Es muss auch vermieden werden,<br />
dass in den Bundesländern unterschiedliche<br />
Vollzugsziele durch Strafvollzug<br />
bestimmen“, so Kilger weiter.<br />
Der Resozialisierungsauftrag müsse<br />
einheitlich ausgestaltet bleiben. „Strafvollzug<br />
eignet sich nicht für populistische<br />
oder wahltaktische Maßnahmen.“<br />
Die an den Koalitionsverhandlungen<br />
Beteiligten werden aufgefordert, diese<br />
Maßnahme zu streichen.<br />
Den gemeinsamen Appell an die<br />
Verhandlungsdelegationen der Großen<br />
Koalition von CDU/CSU und SPD haben<br />
neben dem DAV-Präsidenten u. a.<br />
auch Wolfgang Arenhövel (Vorsitzender<br />
des Deutschen Richterbundes),<br />
Prof. Dr. Bernd-Rüdeger Sonnen (Vorsitzender<br />
der Deutschen Vereinigung<br />
für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen<br />
e. V.), Klaus Winchenbach<br />
(Vorsitzender der Bundesvereinigung<br />
der Anstaltsleiter im<br />
Strafvollzug), Prof. Dr. Heinz Cornel<br />
und über hundert weitere Professorinnen<br />
und Professoren für Strafrecht und<br />
Kriminologie in Deutschland sowie<br />
Rechtsanwalt Dr. Bernhard Dombek<br />
(Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer)<br />
unterzeichnet.<br />
Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 38/05<br />
DAV-Pressemitteilung<br />
AnwBl 12/2005<br />
Anwälte gegen<br />
Kronzeugenregelung<br />
Nach Presseveröffentlichungen von<br />
Ende Oktober soll sich die Große Koalition<br />
auf eine Kronzeugenregelung<br />
verständigt haben. Der Deutsche Anwaltverein<br />
(DAV) lehnt die Kronzeugenregelung<br />
entschieden ab und fordert<br />
alle Politiker auf, auf eine<br />
Neuauflage der Kronzeugenregelung<br />
zu verzichten. Mit einer Kronzeugenregelung<br />
seien die Risiken für die<br />
Richtigkeit und die Gerechtigkeit der<br />
Entscheidung der Justiz, insbesondere<br />
die Gefahr von Falschbelastungen erheblich.<br />
Quelle: DAV-Pressemitteilung 37/05<br />
Anwaltsvergütung<br />
10. und 11. Änderung<br />
des RVG<br />
Kurz vor Ende der Bundestags-<br />
Wahlperiode haben noch zwei Gesetze<br />
den Bundestag und den Bundesrat passiert,<br />
die auch Änderungen des RVG<br />
enthalten: Das „Gesetz zur Unternehmensintegrität<br />
und Modernisierung<br />
des Anfechtungsrechts“ (UMAG) vom<br />
22.9.2005 (BGBl 2005, Teil I, 2802)<br />
verändert im Wesentlichen die Rahmenbedingungen<br />
für Aktiengesellschaften.<br />
Die RVG-Änderung trat<br />
nach Art. 3 des UMAG am 1. Novmeber<br />
2005 in Kraft.<br />
Eine Reihe von Änderungen beim<br />
RVG bringt auch das „Kapitalanleger-<br />
Musterverfahrensgesetz“ (KapMuG)<br />
vom 16.8.2005 (BGBl 2005, Teil I,<br />
2437, 2444), mit dem ein Musterverfahren<br />
für geschädigte Kapitalanleger<br />
wegen falscher, irreführender oder unterlassener<br />
Kapitalmarktinformationen<br />
– etwa in Jahresabschlüssen oder Börsenprospekten<br />
– eingeführt wurde.<br />
Nach Art. 9 des KapMuG traten die<br />
Änderungen zum 1. Novmeber 2005<br />
in Kraft.<br />
Hen<br />
Einzelheiten über die beiden RVG-<br />
Änderungen finden Sie in einer Zusammenfassung<br />
unter http://www.an<br />
waltverein.de/Gebuehrenrecht/rvgaend10-11.pdf.
AnwBl 12/2005 VII<br />
MN<br />
INFORMATIONEN<br />
Institut für Anwaltsrecht<br />
(Humboldt-Universität)<br />
Werben für die<br />
Partnerschaft<br />
Die persönliche Haftung des Anwalt<br />
ist die Regel. Für die Güte seiner<br />
Leistung steht er ein – bis hin<br />
zum persönlichen Ruin. Doch gibt<br />
es einen Ausweg? Mit „Rechtsformen<br />
anwaltlicher Tätigkeit und Berufshaftung“<br />
beschäftigte sich Ende<br />
Oktober eine Tagesveranstaltung<br />
des Instituts für Anwaltsrecht an<br />
der Berliner Humboldt-Universität.<br />
Die BGB-Gesellschaft hat – wie<br />
die Veranstaltung zeigte – für die<br />
Freien Berufe ausgedient: „Wer die<br />
BGB-Gesellschaft eingeht handelt<br />
grob fahrlässig, vor allem wenn es<br />
sich um unbeabsichtigte Gesellschaften<br />
in Formen von Kooperationen<br />
oder Bürogemeinschaften handelt“,<br />
sagte Rechtsanwältin Dr. Brigitte<br />
Borgmann, die über die anwaltliche<br />
Haftung referierte. Sie warb für die<br />
Partnerschaftsgesellschaft. Vorteil:<br />
Für berufliche Fehler haftet neben<br />
der Partnerschaft nur der handelnde<br />
Partner. Das private Vermögen der<br />
anderen Partner bleibt unberührt.<br />
Die Partnerschaftsgesellschaft<br />
liegt nach dem Bericht von Prof.<br />
Dr. Christine Windbichler (Humboldt-Universität)<br />
auch international<br />
im Trend. In den „common<br />
law“-Ländern setze sich die Partnerschaftsgesellschaft<br />
durch. Die be-<br />
Institut für Anwaltsrecht<br />
München<br />
Veranstaltungen im<br />
Wintersemester<br />
Das Institut für Anwaltsrecht an der<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
bietet im Wintersemester<br />
2004/2005 wieder ein umfangreiches<br />
Programm zu anwaltsrelevanten Themen<br />
an.<br />
Über typische Anwaltsfehler auf<br />
dem Gebiet des Wirtschaftsrechts wird<br />
zum Beispiel Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />
Robert Schweizer am Mittwoch, den<br />
11. Januar 2005 (14 bis 17 Uhr, Karl-<br />
Neumayer-Saal, Veterinärstr. 5<br />
schränkte Haftung einer Kapitalgesellschaft<br />
passe dagegen nicht zu<br />
den Freien Berufe. „Anwälte verharren<br />
erstaunlicherweise in den ihnen<br />
angestammten Formen“, sagte<br />
Windbichler.<br />
Auf mögliche neue Gesellschaftsformen<br />
wies Rechtsanwalt<br />
Dr. Volker Römermann hin. Seiner<br />
Meinung nach sei auch die Anwalts-KG<br />
zulässig, weil seit 1998<br />
die Ausübung eines Gewerbe keine<br />
Voraussetzung mehr für die offene<br />
Handelsgesellschaft sei. Die Rechtsprechung<br />
des BGH zur Anwalts-<br />
AG kritisierte er.<br />
In welcher Rechtsform der Anwalt<br />
auch immer praktiziert, die<br />
Haftungsmaßstäbe der Rechtsprechung<br />
sind streng. Das erläuterte<br />
der Vorsitzende des für die Anwalts-<br />
und Steuerberaterhaftung zuständigen<br />
IX. Zivilsenates des BGH<br />
Dr. Gero Fischer in seinen informativen<br />
und instruktiven Bericht zur<br />
Rechtsprechung seines Senates.<br />
Tröstlich war immerhin sein Hinweis,<br />
das bei der Haftung des Anwalts<br />
für Fehler des Gerichts noch<br />
nicht alle Fragen abschließend geklärt<br />
seien.<br />
Die erste Tagung des Instituts für<br />
Anwaltsrecht war zusammen mit<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer,<br />
der Rechtsanwaltskammer Berlin<br />
und dem Berliner Anwaltsverein organisiert<br />
worden.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />
Berlin<br />
(1. Stock), 80539 München) sprechen.<br />
Anwaltliche Berufsfelder werden in<br />
einer Vortragsreihe von Anwälten an<br />
vier Abenden vorgestellt. Das Strafund<br />
Strafprozessrecht in der Anwaltspraxis<br />
wird in einer Vortrags- und Diskussionsreihe<br />
unter Leitung von Prof.<br />
Dr. Bernd Schünemann behandelt.<br />
Anwaltliche Praxis wird in Seminaren<br />
(zur Erstellung von Schriftsätzen<br />
im Zivilprozess) sowie in vielen<br />
Workshops (u. a. zu Rhetorik und<br />
Kommunikation sowie zum Kanzleimanagement,<br />
aber auch zum Mandantengespräch)<br />
vermittelt.<br />
Nähere Hinweise zum Programm und<br />
zu den Veranstaltungen im Internet<br />
unter www.anwaltsrecht.de.
VIII<br />
MN<br />
INFORMATIONEN<br />
AG Transport- und<br />
Speditionsrecht<br />
1. Fachtagung zum<br />
Transport- und<br />
Versicherungsrecht<br />
In Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis<br />
Transportversicherung der<br />
Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht<br />
im DAV veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft<br />
Transport- und Speditionsrecht<br />
im DAV am 1. Februar 2006<br />
in Hamburg in den Räumen der<br />
Kravag-Logistic Vers.-AG, Heidenkampsweg<br />
102, 20097 Hamburg, ihre<br />
1. Fachtagung (von 13.00 bis<br />
17.00 Uhr).<br />
Hochkarätige Referenten und überaus<br />
interessante Themen gewährleisten,<br />
dass es sich lohnt, an dieser Tagung<br />
teilzunehmen. Überdies wird die<br />
Teilnahme gemäß § 15 FAO (Fachanwalt<br />
für Transport- und Speditionsrecht,<br />
Fachanwalt für Versicherungsrecht)<br />
bescheinigt werden.<br />
Referiert werden wird über „Haftungs-<br />
und Versicherungsfragen bei<br />
Vermischungsschäden und fehlerhafter<br />
Ablieferung des Frachtgutes“ (Dr.<br />
Karl-Heinz Thume, Nürnberg), „Das<br />
unbekannte Risiko: Klauseln für die<br />
Versicherung von Güterfolgeschäden<br />
und reinen Vermögensschäden“ (Dr.<br />
Henning C. Ehlers, Köln), „Wo endet<br />
die See? Der Seefrachtvertrag als geborener<br />
Multimodalvertrag. Folgen für<br />
Haftung und Versicherung“ (Dr. Carsten<br />
Harms, Hamburg) sowie „Havarie<br />
Grosse – Grundlagen im Schifffahrtsund<br />
im Versicherungsrecht“ (Dr. Dieter<br />
Schwampe, Hamburg).<br />
Die Teilnahmegebühr wird<br />
E 150,00 für Mitglieder der Arbeitsgemeinschaften<br />
Transport- und Speditionsrecht<br />
bzw. Versicherungsrecht sowie<br />
E 210,00 für Nichtmitglieder<br />
betragen. Falls der Beitritt zu einer<br />
dieser Arbeitsgemeinschaften mit der<br />
Anmeldung erfolgt, wird lediglich der<br />
ermäßigte Tagungsbeitrag fällig. Nähere<br />
Auskünfte erteilt, Rechtsanwalt<br />
Dieter Janßen, Bremen, Telefon<br />
04 21/36 60 0162, Fax 04 21/36 60<br />
055, E-Mail janssen@bmt-law.de.<br />
AG Insolvenzrecht und<br />
Sanierung<br />
AnwBl 12/2005<br />
Deliktische Forderung<br />
in der Verbraucherinsolvenz<br />
Die Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz<br />
und Restschuldbefreiung in<br />
der AG Insolvenzrecht und Sanierung<br />
veranstaltet am Freitag, 20.1.2006, in<br />
Hamburg ihr 9. Treffen. Schwerpunktthema<br />
wird diesmal die deliktische<br />
Forderung sein.<br />
Zunächst wird Richter am OLG Dr.<br />
Gerhard Pape aus instanzrichterlicher<br />
Sicht zu den Themen Forderungsanmeldung,<br />
Belehrung durch das<br />
Gericht, Widerspruch des Schuldners,<br />
Verjährung und deliktische Steuerforderungen<br />
vortragen. Anschließend<br />
wird Rechtsanwalt Dr. Henner Kahlert,<br />
Karlsruhe als anwaltlicher Vertreter einer<br />
großen Krankenkasse aus Gläubigersicht<br />
zu den Themen § 266 a StGB,<br />
Forderungsanmeldung, Darlegungspflichten<br />
und Beweislasten im Feststellungsverfahren<br />
und Verjährung referieren.<br />
Inhalt weiterer Vorträge am Nachmittag<br />
werden die aktuelle Rechtsprechung<br />
und die anstehenden<br />
Gesetzesänderungen sowie die familienrechtlichen<br />
Ansprüche im Insolvenzverfahren<br />
sein: Rechtsanwalt und<br />
Insolvenzverwalter Uwe Kassing,<br />
Hamburg und Rechtsanwältin und<br />
Fachanwältin für Insolvenzrecht/Fachanwältin<br />
für Familienrecht Annegret<br />
Schwarz, Gotha vortragen.<br />
Eine Teilnahmebescheinigung zur<br />
Vorlage gem. § 15 FAO wird erteilt.<br />
Die Arbeitsgruppe wurde als Untergruppierung<br />
der AG Insolvenzrecht und<br />
Sanierung 2001 gegründet. Die Arbeitsgruppe<br />
bietet Schuldner- und Gläubigervertretern,<br />
Insolvenzverwaltern<br />
und Treuhändern ein Diskussions- und<br />
FortbildungsforumzuFragenderInsolvenzverfahren<br />
natürlicher Personen.<br />
Die Teilnahmegebühr beträgt<br />
150 E (einschl. der Kosten für Getränke<br />
und das Mittagessen). Anmeldungen<br />
an Deutsche Anwaltakademie,<br />
Anja Hoffmann, Littenstr. 11, 10179<br />
Berlin, Tel. 0 30/7 26 15 31 83, Fax<br />
0 30/7 26 15 31 88, hoffmann@anwalt<br />
akademie.de, Infos: www.arge-insol<br />
venzrecht.de
Im Auftrag des<br />
Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Anwaltsgeschichte als<br />
Juristische Zeitgeschichte<br />
Prof. Dr. Hinrich Rüping, Universität Hannover*<br />
Q<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Jahrgang 55<br />
<strong>Dezember</strong> 2005<br />
Die Rolle der Anwaltschaft im Dritten Reich hat in der juristischen<br />
Zeitgeschichte lange keine Rolle gespielt, wenn<br />
einmal von den Forschungen und Erinnerungen an verfolgte,<br />
insbesondere jüdische Anwälte abgesehen wird. Die<br />
„Freiheit der Advokatur“ soll – so eine häufig verwendete<br />
Formel – die Anwaltschaft vor zuviel Staatsnähe bewahrt<br />
haben. Der Aufsatz – er beruht vor allem auf der Auswertung<br />
von Personalakten von Rechtsanwälten und Notaren<br />
im Archiv des OLG Celle und der Rechtsanwaltskammer<br />
Celle – wirft einen differenzierten Blick auf anwaltliche<br />
Karrieren und Antikarrieren im Nationalsozialismus.<br />
1. Forschungsperspektiven<br />
Juristische Zeitgeschichte ist für die Zeit des Nationalsozialismus<br />
zunächst nur Justizgeschichte gewesen. Das Interesse<br />
galt „der Justiz“, damit einzelnen prominenten Gerichten,<br />
wie dem Reichsgericht oder dem Volksgerichtshof,<br />
dann den politischen Gerichten, schließlich dem Richterstand<br />
und der Profession der Staatsanwaltschaft. 1<br />
Kein eigenes Thema zeitgeschichtlicher Forschung bildet<br />
zunächst der Stand der Rechtsanwaltschaft, obwohl die<br />
Angehörigen nach Ausbildung und Zugang zum Beruf vergleichbare<br />
Voraussetzungen aufweisen. Die Frage einer<br />
Mitverantwortung für das als Terrorjustiz gebrandmarkte<br />
System des Nationalsozialismus stellt sich nicht für Angehörige<br />
eines freien Berufs. 2 So geht es zunächst um regional<br />
inspirierte Erinnerung an das Schicksal der unter dem<br />
Nationalsozialismus verfolgten, insbesondere der jüdischen<br />
Anwälte, 3 damit um einzelne Biographien. 4<br />
Ende der 80er Jahre erweitert sich die Perspektive. Die<br />
Auswertung einschlägiger Archivbestände ermöglicht, das<br />
Berufsfeld des Strafverteidigers nachzuzeichnen, 5 damit<br />
auch seinen Handlungsspielraum im totalen Staat. Auf<br />
diese Weise wird der eine Pol für anwaltliches Handeln bestimmend,<br />
der staatliche Druck in Richtung auf eine<br />
Gleichschaltung. 6 Bald folgen erste Untersuchungen zum<br />
Gegenpol, dem eigenen Verhalten der Anwälte. So zuerst<br />
durch Auswertung einzelner Personalakten für die Haltung<br />
der Berliner Anwälte in dem umfassenden Sinn, auch „die<br />
Facetten der Täter, der Dulder, der Wegseher und nicht nur<br />
die der Opfer“ einzubeziehen. 7<br />
2. Das Projekt der Rechtsanwaltskammer Celle<br />
In diesem Kontext ist auch das Projekt der Rechtsanwaltskammer<br />
Celle zu sehen: „Rechtsanwälte im Bezirk<br />
Celle während des Nationalsozialismus“. Das Projekt beruht<br />
entscheidend auf der Auswertung der reichhaltigen<br />
Celler Aktenbestände, die bereits wiederholt zeitgeschichtliche<br />
Untersuchungen ermöglicht haben. 8 Den Kern bilden<br />
Personalakten von Rechtsanwälten und Notaren im Archiv<br />
des OLG, ergänzend im Archiv der Rechtsanwaltskammer<br />
und vereinzelt wie auch für einzelne Entnazifizierungs- und<br />
Wiedergutmachungsvorgänge im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv.<br />
Hinzu kommen die vollständig erhaltenen Bestände<br />
an Generalakten des OLG als Provinzialjustizbehörde<br />
„betr. die Rechtsanwaltschaft“, einzelne Vorgänge im<br />
Archiv der Kammer sowie als dessen Hauptstück die weitgehend<br />
vollständigen Protokolle von Sitzungen des Kammervorstandes.<br />
Die bei Beginn des Projekts (2002) ca. 20.000 im Archiv<br />
des OLG lagernden Personalakten betreffen zum größ-<br />
* Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsgeschichte<br />
der Universität Hannover. Der Beitrag ist ein Nachdruck aus<br />
dem Jahrbuch 6 (2004/2005) für Juristische Zeitgeschichte (S. 591–612), hrsg.<br />
vom Institut für juristische Zeitgeschichte der FernUniversität Hagen, erschienen<br />
im Herbst 2005 im Berliner Wissenschafts-Verlag.<br />
1 Zur eigenen Geschichte des Forschungsfeldes Rüping in Pauli/Vormbaum, Justiz<br />
und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität, 2003, S. 3, 6 ff.<br />
2 Nach Ostler, AnwBl 1983, 50, 59 kommt „der Ungeist von Unterwerfung und<br />
Willkür“ nur schwer an den freien Beruf heran.<br />
3 Für Berlin Leich/Lundt, RuP 1988, 221 ff. und Ladwig-Winters, Anwalt ohne<br />
Recht, 1998, für Hamburg Fritzsche, Vom Rechtsanwalt zum „jüdischen Konsulenten“,<br />
1997 und Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg 1933–1945,<br />
2003, für Bonn Bonner Anwaltverein, Jüdische Rechtsanwälte im Dritten Reich,<br />
1994, für Dortmund Anwalt- und Notarverein Dortmund, Das Schicksal der jüdischen<br />
Rechtsanwälte und Notare während der Zeit des Nationalsozialismus, o.<br />
J. [um 1993], für Bochum Bochumer Anwalt- und Notarverein, „Zeit ohne<br />
Recht“, 2002, für Hannover Schulze in Brand, Vergangenes heute, 2. Aufl. 2004,<br />
S. 215 ff., für Köln Luig, „... weil er nicht arischer Abstammung ist“, 2004, für<br />
Preußen Krach, Jüdische Rechtsanwälte in Preußen, 1991 und RuP 1993, 84 ff.<br />
4 Beer, Dr. Horst Berkowitz, 2004 (unter anderem Titel zuerst 1979) sowie Brand,<br />
Vergangenes heute (Fn. 3), S. 136 ff., als Selbstzeugnis Güstrow, Tödlicher Alltag:<br />
Strafverteidiger im Dritten Reich, 1981.<br />
5 König, Vom Dienst am Recht: Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus,<br />
1987.<br />
6 Helling, Gleichschaltung und Ausgrenzung: Der Weg der bremischen Anwaltschaft<br />
ins Dritte Reich, 1990, Frank, Der Kampf um die freie Advokatur und<br />
die Gleichschaltung der Anwaltschaft im Dritten Reich, in: Justiz, Juristen und<br />
politische Polizei in Sachsen, 1996, S. 5 ff., Douma, Deutsche Anwälte zwischen<br />
Demokratie und Diktatur 1930–1955, 1998, Rüping, AnwBl 2002, 615ff.,<br />
Majer, Jb. Jur. Zeitgesch. 5 (2003/2004), 1, 8 ff.<br />
7 Kärgel im Vorwort (S. 7) zu Königseder, Recht und nationalsozialistische Herrschaft:<br />
Berliner Anwälte 1933–1945, 2001.<br />
8 Bestände des OLG sind ausgewertet von R. Schröder, „... aber im Zivilrecht<br />
sind die Richter standhaft geblieben!“, 1988, Bestände der Generalstaatsanwaltschaft<br />
von Rüping, Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung im Dritten<br />
Reich, 1990 sowie: Staatsanwälte und Parteigenossen, 1994.
726<br />
MN<br />
ten Teil den Justizdienst und nur mit etwa 600 Akten<br />
Rechtsanwälte und Notare. Einzelne Akten sind vom<br />
Staatsarchiv übernommen, andere offenbar mangels „Archivwürdigkeit“<br />
vernichtet oder während der Auslagerung<br />
im Krieg abhanden gekommen. 400 Personalakten erweisen<br />
sich nach den Jahrgängen 1886–1903 als einschlägig, um<br />
Aussagen über eine häufig nur bis Kriegsbeginn währende<br />
Berufstätigkeit im Nationalsozialismus machen zu können.<br />
Die Akten bestehen selten nur aus einzelnen Blättern,<br />
etwa einer bloßen Abschrift des Entnazifizierungsbescheides,<br />
im Regelfall dagegen im Volumen von einem bzw. einem<br />
weiteren Band aus den dienstlichen Vorgängen zur Tätigkeit<br />
als Rechtsanwalt und wegen des Anwaltsnotariats<br />
überwiegend zugleich als Notar. Beiakten können Prüfungsvorgänge<br />
enthalten, Strafverfahren, Ehrengerichtsverfahren<br />
bei Rechtsanwälten bzw. Dienststrafverfahren bei Notaren<br />
betreffen sowie die Entnazifizierungsvorgänge nach 1945.<br />
Eine vollständig erhaltene Personalakte beginnt mit der<br />
ersten Zulassung als Rechtsanwalt bzw. bei Nur-Notaren<br />
mit der Bestellung und wird bis 1945 weitergeführt. Sie<br />
enthält nach dieser Zäsur das Ergebnis der Entnazifizierung,<br />
teilt sich entsprechend den Gesuchen um Wiederzulassung<br />
bzw. Wiederbestellung in einen Rechtsanwaltsund<br />
Notarteil, enthält Ehrungen zu Berufsjubiläen und endet<br />
mit der Verzichtserklärung bzw. dem Tod.<br />
Lose eingelegt finden sich Personal- und Befähigungsnachweise<br />
der Justizverwaltung sowie Personalbögen. Sie<br />
erweisen sich als wichtige zeitgeschichtliche Quellen. Das<br />
gilt für die nach einheitlichen Vordrucken im damaligen<br />
Deutschen Reich wie für die ab 1948 im Bezirk Celle erforderlichen<br />
Angaben. Die Bögen aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />
enthalten nicht nur die Grunddaten zur Person,<br />
sondern auch zu den Ergebnissen der Staatsexamina, zur<br />
„deutschblütigen Abstammung“, zum sozialen Umfeld (Familienverhältnisse,<br />
Berufe des Vaters und des Schwiegervaters)<br />
9 und zum Dienst im alten Heer, in Freikorps sowie<br />
in der Wehrmacht. Anzugeben waren auch die frühere Zugehörigkeit<br />
zu politischen Parteien, Verbänden und Logen<br />
wie später die zur Partei, ihren Gliederungen sowie angeschlossenen<br />
Verbänden und Vereinigungen.<br />
Vor allem interessiert die obligatorische Äußerung über<br />
Befähigung, dienstliche Leistungen, Führung, Charakter<br />
und politische Haltung durch die Justizverwaltung, d. h.<br />
den Landgerichtspräsidenten sowie mit Sichtvermerk, vereinzelt<br />
auch eigener Stellungnahme des Oberlandesgerichtspräsidenten.<br />
Die Beurteilungen datieren einheitlich<br />
aus dem Jahr 1944, nachdem Ende 1943 im Reichsjustizministerium<br />
sämtliche Verzeichnisse über Rechtsanwälte<br />
und Notare durch Kriegseinwirkungen vernichtet und sofort<br />
wiederherzustellen waren. 10 Dass das Ministerium Anfang<br />
1944 gesondert die aus der Aufsicht durch die Justizverwaltung<br />
abgeleitete Pflicht der Rechtsanwälte einschärft, alle<br />
für die Personalakten notwendigen Erklärungen und Nachweise<br />
einzureichen, 11 lässt auf Schwierigkeiten, wenn nicht<br />
auf Widerstände schließen.<br />
Die Fortführung der Akten nach 1945 beginnt häufig<br />
mit dem Fragebogen der Militärregierung. Der Fragebogen<br />
zum Gesuch um Wiederzulassung an den Oberlandesgerichtspräsidenten<br />
ersetzt die früher für die politische Beurteilung<br />
vorgesehene Spalte durch Angaben zur Zulassung<br />
in Niedersachsen, zur Anerkennung als Flüchtling, zur früheren<br />
Zugehörigkeit zur NSDAP und ihren Gliederungen<br />
sowie zum Ergebnis der politischen Überprüfung. Ergänzt<br />
werden die Angaben durch häufig umfangreiche Lebens-<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
läufe der Bewerber. Die in ihnen enthaltenen Deutungen,<br />
Selbsteinschätzungen und -rechtfertigungen werden aufschlussreich,<br />
vergleicht man sie mit den 1944 gemachten<br />
Angaben und Beurteilungen.<br />
3. Zur „Freiheit der Advokatur“ im Nationalsozialismus<br />
Was die Haltung der Anwaltschaft im Nationalsozialismus<br />
angeht, haben lange Zeit subjektive Einschätzungen<br />
der Art die Diskussion bestimmt, kollegiale Verbundenheit<br />
und lautere Berufsauffassung hätten sich auch in „dunkler<br />
Zeit“ bewährt. 12 Eine kritische Position zum Berufsstand in<br />
der jüngsten Vergangenheit erscheint damit ausgeschlossen.<br />
Anders, wenn der durch das Erlebte, Erahnte, aber auch<br />
Verdrängte gezogene Rahmen überwunden wird durch nähere<br />
Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem Typus<br />
nationalsozialistischer Herrschaft. Sieht man das Charakteristische,<br />
wie es einer verbreiteten Sicht in der Geschichtswissenschaft<br />
entspricht, unter Rückgriff auf Max Webers<br />
Herrschaftssoziologie im Typus charismatischer Herrschaft,<br />
geraten beide Seiten in den Blick: der Führer als Träger des<br />
Charismas und die von ihm Geführten, deren Beitrag in der<br />
Anerkennung des Charismas liegt. 13<br />
Eine derartige gemeinsame Ausrichtung innerhalb einer<br />
berufsständischen Elite, der Anwaltschaft, schafft eine<br />
weitgehende Homogenität und trägt die Ausschaltung der<br />
rassisch oder politisch „Unzuverlässigen“. Einer Gleichschaltung<br />
kommt auch die Entwicklung der Anwaltschaft<br />
in Deutschland zu Hilfe. Charakteristisch für den Stand<br />
bleibt in der Sicht der Rechtssoziologie eine staatlich konzessionierte<br />
Freiheit. 14 Sie öffnet sich eher als in anderen<br />
Ländern staatlicher Intervention, wenn die Selbstverwaltung<br />
von Kammern als Körperschaften des öffentlichen<br />
Rechts getragen wird und in der Standesgerichtsbarkeit<br />
staatliche Organe der Verbrechensverfolgung an der Ahndung<br />
beteiligt sind. 15<br />
So legitimiert auch die stete Warnung vor der Überfüllung<br />
des Berufsstandes den Ruf nach staatlichen Zulassungsbeschränkungen.<br />
Symbolhaft beschließt sie noch 1930<br />
vor der Gleichschaltung der Kammern und der Auflösung<br />
des DAV eine aus Vertretern beider zusammengesetzte<br />
Kommission. 16<br />
9 Mißverständlich erwähnt Heinrich, 100 Jahre RAK München, 1979, S. 141,<br />
nur, die Bögen über die arische Abstammung enthielten keine Angaben zu<br />
Stand und Beruf der Vorfahren.<br />
10 Auf den Erlaß des RMJ v. 15.12.1943 beruft sich der LGPr Oels in einem mit<br />
„Geheim!“ gekennzeichneten Schreiben an einen Rechtsanwalt, Personalakte<br />
im Archiv des OLG Celle [künftig: PA OLG Celle] 10 S 201, Anl. Hülle Bl. 7.<br />
11 Rv v. 27.3.1944 an die Präsidenten des RG, der OLGe und der RRAK, lose in:<br />
Generalakten im Archiv des OLG Celle [künftig: GA OLG Celle] 3170 E 1,<br />
Bl. 141.<br />
12 Göhmann in: Festschr. zur 150-Jahr-Feier des Rechtsanwaltsvereins Hannover<br />
(1831–1981), o. J. [1981], S. 1, 15.<br />
13 Zur Anwendung des Typus bei Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft,<br />
5. Aufl. 1972, S. 140: „Über die Geltung des Charisma entscheidet die durch<br />
Bewährung ... gesicherte freie, aus Hingabe an Offenbarung, Heldenverehrung,<br />
Vertrauen zum Führer geborene, Anerkennung durch die Beherrschten.“) auf<br />
den Nationalsozialismus Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 95 ff.,<br />
Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914–1949, 2. Aufl. 2003, S. 552 ff.,<br />
597 f.<br />
14 Zu den folgenden Aspekten Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1996,<br />
S. 617 ff., 627 ff., 645, 686 ff.<br />
15 Zur Diskussion bei der Schaffung der Rechtsanwaltsordnung Feuerbach/<br />
Braun, Kommentar zur BRAO, 4. Aufl. 1999, § 120 Rz. 1 ff.; zur Kritik am<br />
preußischen System, den Staatsanwalt zu beteiligen, in der Beratung des Entwurfs<br />
die Abg. v. Schmid und Windthorst (bei Siegel, Die gesamten Materialien<br />
zu der RAO vom 1. Juli 1870, 1883, S. 381, 389).<br />
16 Erwähnt im Geschäftsbericht des Vorstandes der RAK Celle 1930 (Mitt. 3<br />
[1931] Nr. 1, S. 6 f. im Archiv der RAK).
AnwBl 12/2005 727<br />
Aufsätze MN<br />
4. Der Primat des Politischen im Berufsrecht der Anwälte<br />
und Notare<br />
Wie der nationalsozialistische Staat durch eine neue<br />
Ausbildungsordnung, durch Selektion der künftigen Anwälte<br />
im Probe- und Anwärterdienst, 17 durch die von der<br />
Justizverwaltung im Einvernehmen mit dem BNSDJ ausgesprochene<br />
Zulassung sowie die Gleichschaltung der<br />
Kammern, 18 durch Ausgrenzung der jüdischen, der „politisch<br />
unzuverlässigen“ Kollegen wie der Anwältinnen, 19<br />
schließlich durch Unterwerfung der Anwälte unter die<br />
staatliche Disziplinargewalt20 die Angehörigen eines freien<br />
Berufs zu disziplinieren sucht, ist als normativer Rahmen<br />
der neu definierten „Freiheit der Advokatur“ wiederholt<br />
dargestellt.<br />
Belege aus den Personalakten vermögen die Umsetzung<br />
anhand einzelner Biographien anschaulich zu machen. Eine<br />
mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen aus dem Jahr<br />
1937 nennt als Themen im Staatsrecht u. a. den Aufbau der<br />
Partei, das Reichsstatthalter- und das Reichsbürgergesetz,<br />
und im Strafrecht die Sicherungsverwahrung sowie das<br />
„Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen<br />
Ehre“. 21<br />
Bei Referendaren bildet der vereinzelt erhaltene „Fragebogen<br />
zur Erforschung der wirtschaftlichen Lage“ eine<br />
zeitgeschichtliche Quelle von Rang, mit Angaben zur eigenen<br />
Person (auch der gehaltenen Fachzeitschriften), zu Familie,<br />
Studium, Vorbereitungsdienst und Assessorenzeit. 22<br />
Ein Referendar mit „wirklichem Verständnis für die Bedürfnisse<br />
des Rechtsverkehrs und das Rechtsempfinden des<br />
Volkes“ kann mit einem Unterhaltszuschuss rechnen, da er<br />
den erhöhten Anforderungen an einen nationalsozialistischen<br />
Richter gerecht wird, und gilt durch seine Mitgliedschaft<br />
in Partei, SA und NSRB für den anwaltlichen Probedienst<br />
als geeignet. 23 Als Gegenbeispiel eröffnet der<br />
Oberlandesgerichtspräsident Celle im Auftrag des Reichsministers<br />
der Justiz einem Assessor bei Übernahme in den<br />
Probedienst, seine Nichtzughörigkeit zur Partei und ihren<br />
Gliederungen werde als „staatsfeindlich“ ausgelegt, worauf<br />
sich der Betroffene in der NSV und als Parteianwärter meldet.<br />
24<br />
Das neue Gesicht der Kammern zeigt sich darin, dass<br />
sie sich die Ausgrenzung von Juden angelegen sein lassen.<br />
Die Mitteilungen schärfen ein, dass Partei-, SA- und<br />
NSRB-Mitglieder Juden nicht vertreten dürfen und Ehrengerichte<br />
ihre Rechtsprechung nicht auf jüdische Kommentare<br />
stützen. 25 Umgekehrt wenden Volksgenossen, damit<br />
auch deutsche Anwälte, den „deutschen Gruß“ wie vorgeschrieben<br />
an, wollen sie nicht in Verdacht geraten, „dem<br />
nationalsozialistischen Staate ablehnend gegenüber zu stehen“.<br />
26 Außergewöhnlich bleibt, dass ein Richter als jüdischer<br />
Mischling entlassen werden muss, der Oberlandesgerichtspräsident<br />
den Preußischen Minister der Justiz<br />
jedoch bittet, ihn wegen seiner überragenden Qualifikation<br />
„mit möglichster Schonung zu behandeln“. Der Minister<br />
lässt ihn 1933 als Rechtsanwalt zu, – gegen das ausfallende<br />
Votum der Kammer27 , „der Einfluss des Judentums in der<br />
Anwaltschaft des Bezirkes“ sei noch nicht genügend zurückgedrängt.<br />
Für den sensiblen Bereich der Strafverteidigung vor allem<br />
in politischen Sachen gilt eine Tätigkeit im Grundsatz<br />
nach wie vor als legitim und gerade durch Parteigenossen<br />
wegen ihrer politischen Zuverlässigkeit als erwünscht. 28 In<br />
der Praxis kann eine offensive Verteidigung allerdings die<br />
Gefahr eigener Verfolgung begründen; 29 sie soll in der Sicht<br />
nach 1945 den Eintritt in die Partei legitimieren, um damals<br />
wirksam Interessen der Mandanten wahrzunehmen. 30<br />
5. Karrieren und Antikarrieren im Nationalsozialismus<br />
Die Generation der ab 1886 Geborenen bildet nach ihrem<br />
Alter zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft<br />
das Hauptkontingent der Untersuchung. Ihre Zeit ist geprägt<br />
durch den Dienst in der Wehrmacht im 1. Weltkrieg,<br />
zwei Jahrzehnte des Aufbaus und der Sicherung der beruflichen<br />
Existenz, die Einberufung zur Wehrmacht im 2. Weltkrieg,<br />
danach den mühsamen Neuanfang, häufig nach<br />
Flucht und Vertreibung, und den Neuaufbau im Westen.<br />
Die politische Haltung gründet sich nur vereinzelt auf<br />
Anschauungen liberal-demokratischer Parteien, der SPD<br />
oder des Zentrums. 31 Ganz überwiegend bleibt sie im Bezirk<br />
über die verschiedenen politischen Systeme hinweg national-konservativ,<br />
in der pointierten Darstellung eines Betroffenen:<br />
„Ich habe mich bemüht, stets ein guter<br />
Deutscher und rechtlich denkender und handelnder Staatsbürger<br />
zu sein gemäss meiner Erziehung im Elternhaus und<br />
in der Burschenschaft. Die Erhaltung und der Bestand des<br />
Reiches waren für meine Entschlüsse maßgebend. Deshalb<br />
habe ich mich nach dem Zusammenbruch im Jahre 1918<br />
der Regierung von Ebert und Noske bei Bekämpfung des<br />
kommunistischen Aufstandes im Freikorps ebenso zur Verfügung<br />
gestellt, wie ich Mai 1933 Parteigenosse der<br />
NSDAP wurde, um mit allen Nationalgesinnten das Deut-<br />
17 König (Fn. 5), S. 158, Rüping in Festschr. Hans-Ludwig Schreiber, 2003,<br />
S. 405 f.<br />
18 König (Fn. 5), S. 37 ff., Königseder (Fn. 7), S. 61 ff.<br />
19 Rüping, AnwBl 2002, 615, 616 f.<br />
20 Zur Praxis König (Fn. 5), S. 224.<br />
21 Ges. v. 15.9.1935, RGBl 1935 I, 1146 f.; Beiakten [künftig: BA] JPA OLG Rostock<br />
in OLG Celle, PA 10 S 290, Bl. 17.<br />
22 Z. B. in OLG Celle, PA 12 F 229; die Fragebögen datieren offenbar aus der<br />
Zeit nach 1936.<br />
23 OLG Celle, PA 10a O 1, Zeugnisheft OLG Hamm, Bl. 10 (1937), LGPr Bochum<br />
v. 24.1.1938 in BA betr. Unterhaltszuschuß, Stellungnahme des NSRB v.<br />
6.6.1939 (Hauptakte [künftig: HA], Bl. 4).<br />
24 OLG Celle, PA 10a W 8, Bl. 11 (RMJ v. 23.9.1940), 25 (zu den Hintergründen<br />
Gesuch v. 24.5.1946 an den OLGPr).<br />
25 Z. B. Anordnungen der RAK Wien (Mitt. RRAK 1938, 239) und Köln (Mitt.<br />
RRAK 1937, 101) sowie RRAK (Mitt. 1936, 49); dazu Morisse, Rechtsanwälte<br />
im Nationalsozialismus: Zur Funktion der Ehrengerichtsbarkeit, dargestellt am<br />
Beispiel des Oberlandesgerichtsbezirks Hamburg, 1995.<br />
26 RAK Dresden (Mitt. RRAK 1937, 99); entgegen Hüttenberger in: Hirschfeld/<br />
Kettenacker, Der „Führerstaat“, 1981, S. 429, 434, 443, 455, erscheint der berufsständische<br />
Lobbyismus der Kammern gegenüber ihrer die Mitglieder disziplinierenden<br />
Funktion sekundär.<br />
27 OLG Celle, PA 9 D 53, PA Richter Bl. 117, 118 (Bericht des OLGPr v.<br />
16.6.1933), PA Rechtsanwalt Bl. 6, 4 (Zulassung durch den PrMJ v. 1.8.1933<br />
und abl. Votum der RAK v. 19.7.1933).<br />
28 Offiziell Becker (StA), Mitt. RRAK 1937, 130 f. und zur Notwendigkeit der<br />
Verteidigung auch Bogenrieder (StA) auf einer Tagung für Nachwuchskräfte<br />
1944 auf der Reichsburg Kochem (Bundesarch. 3001/262, Bl. 12, 14). Die<br />
RAK Braunschweig teilt mit, das Reichsrechtsamt habe Parteigenossen nicht<br />
die Übernahme von Verteidigungen vor dem Sondergericht verboten (Mitt.<br />
RRAK 1938, 75).<br />
29 Für einen Nicht-Pg. als Verteidiger vor dem VGH Zeugnis des DGB v.<br />
6.8.1945 (OLG Celle, PA 10 F 64, Bl. 13 R ).<br />
30 So die Selbstrechtfertigung eines Verteidigers im Lebenslauf v. 13.9.1945<br />
(OLG Celle, PA 10 J 27, Bl. 2 R ).<br />
31 Nach einem Lebenslauf v. 3.6.1947 war der Betroffene Referendar, dann Hilfsarbeiter<br />
bei Max Alsberg (OLG Celle, PA 10 K 66, Notariat [künftig: Not.]<br />
Bl. 5); nach dem Fragebogen [künftig: FB] der MR v. 20.6.1945 in PA 10 E 34<br />
gehörte der Betroffene früher als Richter der Demokratischen Partei sowie<br />
dem Republikanischen Richterbund an. In einem Schriftsatz von 1957 (Nds.<br />
HStA Nds. 110 W Acc. 14/99, Nr. 118203, Bl. 9) bezeichnet RA L. sich und<br />
seinen Sozius 1932 als die einzigen sozialdemokratischen Anwälte im Großraum<br />
Hannover. Die Zugehörigkeit zum Zentrum spielt im Bezirk praktisch<br />
keine Rolle; doch war z. B. RA Pfad von 1927–1933 Zentrumsabgeordneter<br />
im Provinziallandtag (PA 10 P 10, PB v. 2.2.1945 und von 1950 sowie Kurzbiographie<br />
bei Brand [Fn. 3], S. 190).
728<br />
MN<br />
sche Reich vor Terror und Zusammenbruch zu bewahren.“ 32<br />
Als jüdischen Kollegen 1933 der Ausschluss aus der Anwaltschaft<br />
droht, versichern auch sie, dem deutschen Vaterland<br />
treu gedient zu haben und ihm auch unter der Regierung<br />
der nationalen Erhebung loyal weiterzudienen. 33<br />
a) Mitgliedschaft in der Partei und ihren Organisationen<br />
Nationalsozialistische Karrieren drücken sich in der Zugehörigkeit<br />
zu Partei, SA, SS und zahlreichen Verbänden<br />
aus. Wenn zwei Drittel der Anwälte und Notare den Angaben<br />
in den Fragebögen zufolge Mitglieder der NSDAP waren,<br />
muss das Bemühen in häufig stereotypen Wendungen<br />
nach 1945 dahin gehen, eigene Belastungen herunter zu<br />
spielen.<br />
Den späteren Lesarten zufolge trat man der Partei von<br />
1933 aus idealistischer Begeisterung bei, unmittelbar nach<br />
1933 in einem kollektiven nationalen Aufbruch, später unter<br />
dem Druck der Verhältnisse zur Sicherung der beruflichen<br />
Existenz. 34 Der Verbleib in der Partei wird damit gerechtfertigt,<br />
nur auf diese Weise etwas für Mandanten<br />
bewirken und überhaupt mäßigenden Einfluss ausgeübt haben<br />
zu können. 35 Eigene Parteikarrieren können bei Anwälten<br />
in einer Tätigkeit als Gaurichter liegen 36 oder durch<br />
den Einsatz, in einer Region die nationalsozialistische Revolution<br />
vorzubereiten. 37<br />
Fehlende Mitgliedschaft in der Partei kann, was die politische<br />
Zuverlässigkeit angeht, durch Zugehörigkeit zu Gliederungen<br />
und Organisationen, notfalls auch nur in der NSV,<br />
kompensiert werden. 38 Für die Mitgliedschaft in der SA<br />
kommt neben den bereits bekannten Motiven die Behauptung<br />
hinzu, ohne eigenes Zutun kollektiv aus dem Stahlhelm<br />
überführt worden zu sein. 39 Welche Möglichkeiten bestanden,<br />
die SA zu verlassen, zeigen die Fälle zweier<br />
Anwälte und SA-Führer, die nach den von der SA inszenierten<br />
Novemberpogromen 1938 ihre Entlassung durchsetzen.<br />
Beide finden mit den Argumenten, die nicht vom<br />
„Führer“ befohlene Aktion sei rechtswidrig und die Ausführung<br />
der Befehle unzumutbar gewesen, Gehör vor dem<br />
Gaugericht. 40<br />
Neben der Mitgliedschaft in der Partei und SA spielt die<br />
in der SS zahlenmäßig keine bedeutende Rolle, auch wenn<br />
sie sich nach 1945 als erhebliche Belastung darstellt. Eine<br />
fördernde Mitgliedschaft in der SS kann dazu dienen, die<br />
fehlende Zugehörigkeit zur Partei zu kompensieren, 41<br />
ebenso eine förmliche Mitgliedschaft in der Allgemeinen<br />
SS, wobei Rechtsanwälte häufig in der hauseigenen Gerichtsbarkeit<br />
der Gliederung eingesetzt werden. 42 Eine Mitarbeit<br />
im SD, z. B. als Denunziation eines Kollegen, Halbjuden<br />
vertreten zu haben, 43 kann nicht ernsthaft nach 1945<br />
als fachliche Berichterstattung vermittelt werden, „Gutachten<br />
zu fertigen ... sowie Stimmungsberichte der Bevölkerung“,<br />
„um Unrecht im eigenen Wirkungskreis zu verhindern“.<br />
44 Die Akten belegen darüber hinaus eigene Karrieren<br />
bei der Waffen-SS, bis zum Rechtsreferenten in der Haushalts-<br />
und Bauabteilung in der Verwaltung der Konzentrationslager<br />
durch Obergruppenführer Pohl. 45<br />
b) Verleihung des Titels „Justizrat“<br />
Anwälte können nur mittelbar vom Staat ausgezeichnet<br />
werden, durch Glückwünsche der Justizverwaltung zu Berufsjubiläen,<br />
46 durch Verleihung von Orden und damals des<br />
Titels „Justizrat“. Die gegenüber Orden weitaus wichtigere<br />
des begehrten Titels interessiert wegen der politisch gefärbten<br />
Kriterien der Selektion. 47<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
Hitlers 1939 bevorstehender 50. Geburtstag bewirkt eine<br />
Flut von Vorschlägen der Justizverwaltung wie der Partei<br />
und ruft den Gauleiter auf den Plan. Er erinnert an die Absprache<br />
mit der Reichsjustizverwaltung, den Titel nur bei<br />
besonderen Verdiensten in der Partei oder um das nationalsozialistische<br />
Recht zu verleihen. 48 Zum 30.1.1939 wird der<br />
Titel insgesamt 56mal verliehen, darunter an zwei Anwälte<br />
im Bezirk, und zum 20.4.1939 60mal, darunter 3mal im Bezirk.<br />
Nach den Zahlen für 1939 sind von den 733 Anwälten<br />
im Bezirk 29 (4 %) Justizräte (davon 6 „neuer Art“), entsprechend<br />
von 204 Rechtsanwälten im Landgerichtsbezirk<br />
Hannover 6 (3 %), davon 1 „neuer Art“. 49<br />
Den wenigen neu Ernannten ist „rückhaltloses Eintreten“<br />
für den nationalsozialistischen Staat bescheinigt, „aktiver<br />
Einsatz“ für die Partei oder als Verteidiger ein Selbstverständnis<br />
als Gehilfe des Gerichts bei der<br />
32 „Nationales Glaubensbekenntnis“ im Zulassungsgesuch v. 4.8.1945 (OLG<br />
Celle, PA 10 V 18, Bl. 8).<br />
33 Gesuch v. 7.4.1933 an den PrMJ (OLG Celle, PA 10 R 34, Bl. 8).<br />
34 Vgl. die Darstellung im Entnazifizierungsbescheid v. 16.9.1949 und Lebenslauf<br />
v. 17.9.1950 (OLG Celle, PA 10 V 22, Bl. 4 R ,2 R ), in einem Zulassungsgesuch<br />
v. 28.9.1945 (PA 10 B 153, Bl. 4 R ), Lebenslauf v. 18.7.1945 (PA 10a B 33,<br />
Bl. 4); was im zeitgenössischen PB als „nationale Pflicht“ erscheint, wird im<br />
Lebenslauf v. 16.8.1945 als abgenötigt dargestellt (PA 10 M 130, PB und Bl. 3).<br />
35 So die Darstellung in einem „politischen Lebenslauf“ v. 28.1.1947 (OLG Celle,<br />
PA 10 N 43, Bl. 7 R ).<br />
36 Die Musterkarriere beginnt mit dem Studium an den „Grenzlanduniversitäten“<br />
Freiburg und Kiel (Lebenslauf von 1934 in OLG Celle, PA 10 R 91, BA OLG<br />
Darmstadt Bl. 4 ff.), setzt sich fort in der Promotion über „Die öffentlich-rechtliche<br />
Gestaltung der NSDAP“ (Mitt. v. 1.9.36, Bl. 34) und der Verwaltungsstation<br />
beim Reichsrechtsamt der NSDAP (Mitt. des OLGPr v. 30.12.1936 an den<br />
RMJ, Bl. 46) und führt dann bis 1944 zu Beurlaubungen durch den RMJ für<br />
eine Tätigkeit am Gaugericht Württemberg-Hohenzollern (Schreiben des<br />
Obersten Parteigerichts v. 14.6.1940 an den OLGPr, Bl. 173).<br />
37 Der Beurteilung durch den LGPr Bückeburg im Personal- und Befähigungsnachweis<br />
[künftig: PBN] v. 18.2.1938 zufolge (lose in OLG Celle, PA 10 R 60)<br />
hat sich RA R. von allen Juristen des Landes „am ersten und am entschiedensten<br />
für die nationalsozialistische Bewegung eingesetzt“; als „Lohn“ lässt ihn<br />
der RMJ am 5.4.1938 gegen die Voten des OLGPr und der RAK (aaO, HA Bl.<br />
59, 57) gleichzeitig beim OLG zu und findet sich R. 1939 im Stab des Stellvertreters<br />
des Führers (Mitt. v. 11.3.1939, aaO Bl. 72).<br />
38 Ein PB von 1944 weist die Zugehörigkeit zu 6 Verbänden nach (OLG Celle,<br />
PA 10 K 43); auf Anordnung des OLGPr veranlaßt der LGPr Hannover in 2<br />
Fällen die Mitgliedschaft in der NSV (Bericht v. 1.6.1944 an den OLGPr in PA<br />
10 G 28, Bl. 36, und v. 30.6.1944 in PA 10 T 17, Bl. 59).<br />
39 Z. B. erwähnt in einem Lebenslauf v. 12.9.1945 (OLG Celle, PA 10a K 22, HA<br />
Bl. 2) und v. 1949 (PA 10 V 20, Bl. 2 R ).<br />
40 Zu den Verfahren Hamann in Festschr. 275 Jahre OLG Celle, 1986, S. 143,<br />
193 ff. und Rüping, Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung im Dritten<br />
Reich, 1990, S. 93.<br />
41 In einem Fall wird ein RA förderndes Mitglied der SS gegen die – später gebrochene<br />
– Zusicherung, ihn wegen seiner Ehe mit einer Jüdin in Ruhe zu lassen<br />
(Protokoll des Landesausschusses v. 8.3.1951 in der Wiedergutmachungsakte<br />
Nds. HStArch Nds. 110 WAcc. 84/90 Nr. 401/4, Bl. 21).<br />
42 Mitteilung des LGPr Lüneburg v. 3.10.1944 an den OLGPr in OLG Celle, PA<br />
10 B 148, Bl. 67 sowie Zulassungsgesuch mit Lebenslauf v. 1.1.1951 in PA 10a<br />
B 45, Bl. 1 R .<br />
43 Als Folge wird gegen den Denunzierten ein EG-Verfahren eingeleitet (OLG<br />
Celle, PA 10 M 130, Bl. 2); in einem anderen Fall wird der Denunzierte wegen<br />
defaitistischer Äußerungen vom VGH zum Tode verurteilt und hingerichtet,<br />
und der Denunziant vom EG, bestätigt vom EGHBrZ, aus der Anwaltschaft<br />
ausgeschlossen (PA 10 B 148, Urteile v. 20.12.1952 und v. 23.6.1953, Bl.<br />
108 ff., 127 ff.).<br />
44 FB der MR v. 3.7.1946, Bl. 6 R in Nds. HStArch Nds. 171 Hann. ZR 44520.<br />
45 Vgl. die Mitteilung v. 17.5.1941 an die RAK Celle (Archiv der RAK, PA RA<br />
K.); zwei Rechtsanwälte erscheinen als Hauptsturmführer der Waffen-SS (PB<br />
v. 1944 in OLG Celle, PA 10 M 58 und PB v. 1950 in PA 10 M 155), ein weiterer<br />
bei einer Umsiedlungsaktion durch einen Totenkopfverband der Waffen-<br />
SS (Bericht des LGPr Göttingen v. 25.1.1947 an den OLGPr in PA 10 S 182,<br />
RA Bl. 77).<br />
46 Z. B. spricht sich der LGPr Göttingen im Bericht v. 13.4.1938 an den OLGPr<br />
gegen Glückwünsche zum 40j. Berufsjubiläum aus, da der RA in einem Mahnschreiben<br />
die Pflicht, Schulden zu bezahlen, als Ehrenpflicht eines Nationalsozialisten<br />
bezeichnet habe, „auch wenn es sich um eine jüdische Firma handelt“<br />
(OLG Celle, PA 10 B 21, Bl. 46 m. Anl. Bl. 47).<br />
47 Siegrist (Fn. 14), S. 634 ff. stellt für den staatlichen Einfluss primär auf die<br />
Verleihung von Orden ab; zur Praxis der Titelverleihung um 1900 S. 630 f.<br />
48 Gauleiter Ost-Hannover am 6.9.1939 an den OLGPr (OLG Celle, PA 10 S 173,<br />
BA Justizrat [künftig: JR], o. P.).<br />
49 Übersichten für das Reich in Mitt. RRAK 1939, 49, 97 und den Bezirk im Entwurf<br />
eines Berichts des OLGPr v. 15.6.1939 an den RMJ in OLG Celle, PA 10<br />
B 34, Bl. 61 R .
AnwBl 12/2005 729<br />
Aufsätze MN<br />
Wahrheitsfindung. Ein Vorschlag fasst die vielfältigen Verdienste<br />
des Betroffenen um die Sache des Nationalsozialismus<br />
wie folgt zusammen: „B. steht rückhaltlos hinter dem<br />
neuen Staat. Er ist Mitarbeiter im Gaurechtsamt des Gaues<br />
Süd-Hannover-Braunschweig, SS.-Untersturmführer und<br />
Rechtsberater des SS.-Abschnitts IV in Hannover und Gauehrengerichtsvorsitzender<br />
im NSRB.“ 50<br />
Zurückgewiesen werden dagegen politisch Unzuverlässige:<br />
„Judenfreunde“, frühere Angehörige einer Loge, 51<br />
aber auch ein fachlich übereinstimmend als „bester Kenner<br />
des Wirtschaftsrechts“ geltender Notar, der jedoch nach Ermittlungen<br />
der Gestapo bei Diensthandlungen nicht den<br />
„deutschen Gruß“ anwendet. 52<br />
c) Einsatz in der Justiz und zur Reichsverteidigung<br />
Die Selektion nach Kriterien der Nähe zum politischen<br />
System zeigen schließlich der Notdienst in der Justiz und<br />
die „Freigabe“ von Rechtsanwälten und Notaren zur<br />
Reichsverteidigung. Als im Krieg Rechtsberatung und -vertretung<br />
zurückgehen, andererseits durch die Einberufung<br />
wehrpflichtiger Jahrgänge Richter und Staatsanwälte fehlen,<br />
werden Rechtsanwälte im sogenannten Notdienst als Richter<br />
und Staatsanwälte (im Bezirk 5 bzw. 7 Anwälte) abgeordnet.<br />
Die Ministerialverfügung von 1944 stellt für das<br />
Profil unmittelbar ab auf die politisch-weltanschauliche<br />
Ausrichtung, auf Rechtsgefühl und Gemeinschaftsgedanken,<br />
schließlich auf Sensibilität für volkliche und staatliche<br />
Notwendigkeiten bei der Rechtsanwendung. 53<br />
Für die kriegswichtigen Strafsachen empfehlen sich Anwälte<br />
mit der Überzeugung, auch auf Kosten von Mandanteninteressen<br />
der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. 54<br />
Ein beauftragter Richter, beschrieben als „vorzüglicher Musiker“<br />
und eine „mehr weiche als tatkräftige Natur“, jedoch<br />
„eifriger Nationalsozialist“ stellt sich dar „als ein williger,<br />
anpassungsfähiger Richter, der bemüht ist, im Geiste des<br />
Nationalsozialismus Recht zu sprechen“, und sich „eine<br />
von gesundem Volksempfinden getragene Auslegung des<br />
Gesetzes“ angelegen sein lässt. 55<br />
Qualifiziert damit völlige Angepasstheit zum Richteramt,<br />
können Versuche nicht überzeugen, die Tätigkeit nachträglich<br />
als letzte Bastion rechtsstaatlicher Unabhängigkeit<br />
zu stilisieren, indem Funktionäre unnachsichtig bestraft,<br />
Verfolgte dagegen über die Zubilligung „berechtigter Interessen“<br />
oder eines „übergesetzlichen Notstandes“ freigesprochen<br />
worden seien. 56<br />
Die zunehmende Einberufung wehrfähiger Jahrgänge erfordert<br />
schließlich die Mobilisierung aller personellen<br />
Kräfte in der Heimat für die „Reichsverteidigung“. Der entsprechende<br />
Führererlass von 1943 wird in den Bezirken<br />
umgesetzt durch die Oberlandesgerichtspräsidenten. 57 Bei<br />
Anwälten erscheint das Kriterium unverfänglich, sie als unentbehrlich<br />
anzusehen, soweit eine auf das Kriegswichtige<br />
beschränkte Rechtspflege sonst nicht aufrecht erhalten werden<br />
könnte. Bald entscheidet jedoch nicht mehr das Berufsfeld,<br />
sondern die Berufsauffassung darüber, ob „eine auf<br />
das Volksganze ausgerichtete Mitarbeit an der Rechtspflege“<br />
zu erwarten ist. Primär und restlos „freizugeben“<br />
sind jetzt die „üblichen Verdächtigen“: Mischlinge, jüdisch<br />
Versippte und wegen „staatsabträglichen Verhaltens“ Verurteilte.<br />
58 Eine als Verschlusssache gekennzeichnete Liste<br />
von Ende 1943 erfasst 10 Mischlinge unter den Anwälten<br />
im Bezirk und 1 früheres Mitglied der SPD. 59<br />
Auf der anderen Seite machen sich Anwälte als Berater<br />
von Wehrwirtschaftsbetrieben oder als politische Funktio-<br />
näre unabkömmlich. Der vollständig erhaltene Rücklauf<br />
der Anfragen veranschaulicht wirtschaftsgeschichtlich, wie<br />
die Kriegswirtschaft im 5. Kriegsjahr alle Bereiche in Handel<br />
und Industrie vereinnahmt hat, mit teils geheimen Aufträgen<br />
für die Rüstungsindustrie. 60 Mentalitätsgeschichtlich<br />
wird deutlich, wie ein Mitwissen, z. B. über umweltvernichtende<br />
chemische Verfahren oder über die Beschäftigung<br />
von Zwangsarbeitern, eine Mitverantwortlichkeit begründen<br />
kann. 61<br />
Ein politisches Engagement als Rechtsberater der SS,<br />
des NSKK, des Gaus oder des Gauleiters persönlich macht<br />
Interventionen bei der Justizverwaltung aussichtsreich, um<br />
Freistellungen zurückzunehmen, z. B. auch mit dem Ziel,<br />
die Spitzeltätigkeit für den SD fortzusetzen. 62<br />
„Freigegeben“ werden einem Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten<br />
von Anfang 1943 zufolge 50 der 320<br />
Anwälte im Bezirk, darunter auch Rechtsanwältinnen. 63 Die<br />
Wirkung leidet darunter, dass Betroffene wegen Unentbehrlichkeit,<br />
wegen Löschung in der Anwaltsliste oder wegen<br />
Einberufung zur Wehrmacht häufig nicht mehr zum Arbeitseinsatz<br />
kommen. 64 Zudem können Rechtsanwälte und<br />
Notare kaum ihrer Vorbildung entsprechend eingesetzt werden.<br />
Der Oberlandesgerichtspräsident sieht Anlass zu einem<br />
Bericht an den Minister, als ein Rechtsanwalt und Notar<br />
als einfacher Polizeibeamter Dienst tun soll und ihm<br />
darüber hinaus eröffnet wird, er könne in seiner neuen Stellung<br />
auch nicht mit einer Beförderung rechnen. 65<br />
50 OLG Celle, PA 10 B 34, Bl. 52, weiter PA 10 B 25, BA JR o.P. und zum Selbstverständnis<br />
als Verteidiger PA 10 B 64, BA JR o.P.<br />
51 Negative Voten wegen der Vertretung von und des Umgangs mit Juden durch<br />
den PrNotK Celle v. 23.3.1939 (mit dem Hinweis, der Betroffene sei bereits<br />
aus dem NSRB ausgeschlossen), PrRAK v. 10.5.1939, Gau Süd-Hannover-<br />
Braunschweig v. 15.7.1939 und GenStA v. 25.7.1939 (OLG Celle, PA 10 B 49,<br />
BA JR o.P.); in einem anderen Fall nimmt der LGPr Hildesheim v. 8.3.1939 gegenüber<br />
dem OLGPr den Vorschlag zurück (PA 10 P 14, BA JR o.P.).<br />
52 Der PrNotK begrüßt in seiner Stellungnahme v. 8.3.1939 die Verleihung an „einen<br />
der besten Rechtsanwälte und Notare“ unbedingt; dagegen negativ das politisch<br />
begründete Votum des GenStA v. 16.9.1939 gegenüber dem OLGPr<br />
(OLG Celle, PA 10 F 22, BA JR o.P.).<br />
53 Rv RMJ v. 22.4.1944 (OLG Celle, GA 3170 II, Bl. 110).<br />
54 LGPr Göttingen, politische Beurteilungen im PBN v. 5.3.1943 und PB v.<br />
7.3.1944 (OLG Celle, PA 10 K 60).<br />
55 Beurteilung durch den OLGPr Zweibrücken im PBN v. 13.6.1944 in OLG<br />
Celle, PA 10 T 42, – damit ein Beleg für die in der Lit. angenommene Angepasstheit<br />
der im Notdienst eingesetzten Anwälte (Douma in: Justizministerium<br />
NW, Justiz und Nationalsozialismus, 1993, S. 103, 129).<br />
56 So die Darstellung in einem „politischen Lebenslauf“ v. 28.1.1947 (OLG Celle,<br />
PA 10 N 43, Bl. 9 R , 11).<br />
57 VO v. 27.1.1943 § 1 (RGBl 1943 I, 67 f.), Rv RMJ v. 19.12.1943 (OLG Celle,<br />
GA 3170 E 1, Bd. 1, Bl. 1).<br />
58 Rv RMJ v. 19.3.1943 (OLG Celle, GA 3170 E 1, Bd. 1, Bl. 11).<br />
59 Unvollständig erhalten in OLG Celle, GA 3170 E 1, Bd. 1, Bl. 134 a, 135 b,<br />
136 c; Einzelfälle der „Freigabe“ jüdisch Versippter in OLG Celle, PA 10 A 36<br />
(Vermerk des OLGPr v. 28.4.1943 Bl. 80 R ), PA 10 D 27 (Vermerk des OLGPr v.<br />
13.2.1945 Bd. 2 Bl. 35), der Betroffene sei zur Organisation Todt einberufen,<br />
habe sich jedoch nicht gestellt; Freigabebescheid des OLGPr v. 27.3.1943 gegenüber<br />
einem früheren Mitglied der SPD in PA 10 E 26, Bl. 30, – der Betroffene<br />
wird 1951 Richter am BVerfG.<br />
60 Weshalb z. B. ein Rechtsanwalt jede Auskunft ablehnt (Stellungnahme v.<br />
23.3.1943 in OLG Celle, GA 3170 E 1, Bd. 1, Anlagenbd. 1, Bl. 18).<br />
61 Vgl. ein Schreiben des Rechtsanwalts E. v. 29.3.1943 an den LGPr Hannover<br />
(Einzelsachen in GA 3170 E 1, Bd. 1, Beih., Anlagenbd. 3) und des Rechtsanwalts<br />
M. IV v. 25.3.1943 (aaO Anlagenbd. 2, Bl. 36).<br />
62 Auf Grund eines geheimen Schreibens des SD-Abschnitts Braunschweig v.<br />
24.5.1943 nimmt der OLGPr am 31.5.1943 die Freistellung zurück (OLG<br />
Celle, PA 10 K 39, Bl. 40, 42); in einem anderen Fall trägt er am 10.6.1943 einem<br />
am selben Tag telefonisch übermittelten Wunsch des stellvertretenden<br />
Gauleiters Rechnung (GA 3170 E 1, Bl. 100, 101).<br />
63 Bericht des OLGPr v. 12.4.1943 (OLG Celle, GA 3170 E 1, Bl. 57 R ). Als der<br />
LGPr Verden am 18.4.1943 einen Anwalt mit „schlechter Gesundheit“ und einen<br />
anderen „ohne große geistige Kräfte“ vorschlägt, stellt der OLGPr den zuerst<br />
genannten dem Arbeitsamt zur Verfügung (Vermerk in OLG Celle, Sammelakten<br />
[künftig: SA] 3176 LG Verden, Bl. 17).<br />
64 Nach einem Vermerk des OLG v. August 1944 (lose in OLG Celle, GA 3170a<br />
1) ist die Anordnung bei den noch 33 „freigegebenen“ Rechtsanwälten und<br />
65 Bericht v. 21.4.1943 (OLG Celle, GA 3170a 1, Bl. 74).
730<br />
MN<br />
d) Strafverteidigung<br />
Das neue Bild des Strafverteidigers ist bereits wiederholt<br />
angesprochen. Er behält auch unter dem Nationalsozialismus<br />
Handlungsspielräume. Anwälte – Parteigenossen wie<br />
Nicht-Parteigenossen – 66 setzen sich wirkungsvoll für ihre<br />
Mandanten ein und nehmen bei Verteidigungen vor Sondergerichten,<br />
RKG und VGH sowie beim Eintreten für Schutzhäftlinge<br />
Behinderungen, Drohungen, Konflikte und die<br />
Gefahr in Kauf, selbst verfolgt zu werden. 67<br />
Sie können Verteidigungen in politischen Sachen vor einem<br />
OLG außerhalb des Bezirks nur übernehmen, wenn<br />
der Oberlandesgerichtspräsident in Celle nach Anhörung<br />
der Kammer fachliche und politische Bedenken verneint<br />
hat. 68 Chancen haben damit nur angepasste Anwälte, denen<br />
eine „erfreuliche Zusammenarbeit mit dem Gericht“, „verständnisvolles<br />
Eingehen“ auf seine Wünsche, Unterstützung<br />
bei der Wahrheitsfindung bescheinigt 69 und das Gütesiegel<br />
eines nationalsozialistischen Rechtswahrers verliehen ist.<br />
Mit Rücksicht auf das neue Berufsethos findet sich auch<br />
die Denunziation eines Anwalts durch einen Richter: ein<br />
Geständnis des Mandanten zu verhindern, weil das Gericht<br />
ihm die Schuld nachweisen müsse, sei „unvereinbar mit<br />
den Pflichten eines Rechtsanwalts im dritten Reich“. 70<br />
6. Notare<br />
Die jüngere Geschichte der Notare ist nicht nur kaum erforscht,<br />
sondern bleibt ausgeklammert. Sie wird für das<br />
Projekt insbesondere über die Personalakten der Anwaltsnotare<br />
zugänglich. 71<br />
Reichsrechtsführer Frank umwirbt die Notare für ein<br />
Einscheren in die einheitliche Rechtsfront des BNSDJ. 72<br />
Doch verwirklicht die Reichsnotarordnung von 1937 nur<br />
teilweise berufspolitische Forderungen nach einem reichseinheitlichen,<br />
und zwar Nur-Notariat, sowie einem Beurkundungsmonopol.<br />
Die Kodifikation verwässert das Modell<br />
eines Nur-Notariats durch weitreichende Übergangsregelungen<br />
und bringt nicht das erhoffte Monopol, sondern konstituiert<br />
Pflichten, jederzeit für den nationalsozialistischen<br />
Staat einzutreten und das Amt zum Wohl der Volksgemeinschaft<br />
zu verwalten. 73 Abgeleitet wird aus den Generalklauseln,<br />
den Notar allgemein zur Wahrung von Gemeinschaftsbelangen<br />
in Anspruch zu nehmen. 74 Die Behauptung, die –<br />
leider nicht näher benannten – „entscheidenden Punkte“ der<br />
Reichsnotarordnung seien in die Bundesnotarordnung von<br />
1961 übergegangen, 75 muss auf einer diffusen Wahrnehmung<br />
der Quellen beruhen.<br />
Da jede Bestellung zum Notar mit der Partei abgesprochen<br />
sein muss, entscheiden auch hier primär politische<br />
und nicht fachliche Gesichtspunkte. Ein politisch aktiver<br />
Bewerber kann mit einer Intervention der Gauleitung rechnen,<br />
sodass ihn der RMJ gegen das ursprüngliche Votum<br />
des Oberlandesgerichtspräsidenten zulässt. 76 Juden müssen<br />
wie Anwälte nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des<br />
Berufsbeamtentums und letztlich nach dem Reichsbürgergesetz<br />
ausscheiden. 77 Politisch unzuverlässige Bewerber,<br />
die z. B. an ihrer Ehe mit einer Jüdin festhalten, kirchlich<br />
engagiert bleiben, früher Mitglieder der SPD oder des Zentrum<br />
waren, müssen mit jahrelangen Verzögerungen der<br />
Bestellung rechnen, wenn nicht mit der Ablehnung. 78 Dass<br />
einige Notare nicht der Partei angehören, widerlegt die spätere<br />
Behauptung zur Legitimierung der eigenen Mitgliedschaft,<br />
nur Parteigenossen hätten bestellt werden können. 79<br />
Notare unterliegen im Grundsatz nur der Reichsnotarordnung,<br />
im Dienststrafrecht jedoch der für Beamte und<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
Richter geltenden Reichsdienststrafordnung (§§ 68, 69<br />
RNotO). Das förmliche Dienststrafverfahren vor der<br />
Dienststrafkammer des OLG betrifft nicht zeitgebundene<br />
Pflichtverletzungen, wie auswärtige Beurkundungen ohne<br />
die erforderliche Genehmigung, aber auch politische Verfahren.<br />
Dass ein Notar 1935 erheblichen Mut zeigt, als er<br />
öffentlich Pogrome gegen einen jüdischen Händler kritisiert<br />
und gegen Pöbeleien einschreitet, wird mit einer Geldbuße<br />
von 200,– RM geahndet. Dass derselbe Notar einige Jahre<br />
später eine Hypothek von einem Juden erworben und einen<br />
anderen traditionell noch mit „Sehr geehrter Herr Kollege“<br />
angeschrieben hat, kostet ihn fast das Amt. 80 In ebenso penibler<br />
wie unsensibler Anwendung der Vorschriften des<br />
Wiedergutmachungsrechts erhält der Betroffene 1948 durch<br />
die Dienststrafkammer die Geldbußen erstattet, durch mi-<br />
66 Zu Verteidigungen durch Nichtparteigenossen Lebenslauf v. 16.11.1947 und<br />
Zusatz zum FB der MR (OLG Celle, PA 10 L 78, Bl. 7, 18) sowie Lebenslauf<br />
v. 10.5.1947 zur Vertretung eines Stahlhelmführers gegen den Polizeipräsidenten<br />
Heines (PA 10 M 136, Bl. 3 R ).<br />
67 Zur Behinderung der Verteidigung von Bibelforschern Lebenslauf v. 1946 und<br />
Bericht des OLGPr Hamm v. 21.6.1949 an den MJ (OLG Celle, PA 10 D 60,<br />
RA Bl. 109, 177), zum Eintreten für Juden Anl. zum FB der MR und eidesstattliche<br />
Versicherung v. 27.7.1946 (PA 10 W 105, HA Bl. 16, 21), zu Verzögerungstaktiken<br />
vor dem VGH Schreiben v. 5.3.1946 an die RAK Celle (Archiv<br />
der RAK betr. RA D.), zum Eintreten für KZ-Häftlinge Lebenslauf v.<br />
1.10.1945, vor allem aber das Dankesschreiben eines Häftlings v. 25.6.1943<br />
(PA 10 G 88, Bl. 4, 8), zur Gefahr eigener Verfolgung Schreiben des DGB v.<br />
6.8.1945 betr. Verteidigungen vor dem VGH (PA 10 F 64, Bl. 13 R ) sowie der<br />
Nachweis, daß am 9.6.1937 das Hauptverfahren vor dem EG der RAK Naumburg<br />
eröffnet wurde (PA 10 T 55, BA Wiedergutmachung, Bl. 8). Zum bekannten<br />
Fall des Rechtsanwalts Gröpke in Hannover König (Fn. 5), S. 199 ff., Rüping,<br />
AnwBl 2002, 615, 618 f., Brand (Fn. 3), S. 171 ff.; allgemein Klein, Der<br />
Strafverteidiger im nationalsozialistischen Staat, 1996.<br />
68 Als Anfragen nach dem Ges. v. 24.4.1934 Art. IV § 3 S. 1, Art. III §§ 3 I, 4<br />
betr. Verfahren, die der VGH an das OLG abgegeben hat, z. B. die des OLG<br />
Hamm v. 20.5.1941 an den LGPr Hannover (m. abl. Antwort wegen eines anhängigen<br />
EG-Verfahrens in OLG Celle, PA 10 G 65, BA PA LG Hannover, Bl.<br />
119, 121) und die des OLG Kassel (m. abl. Stellungnahme der RAK wegen Beschwerden<br />
des SD, Archiv der RAK Celle, PA betr. RA H.).<br />
69 Vgl. die Wendungen in Beurteilungen durch den LGPr Hannover v. 11.12.1944<br />
(OLG Celle, PA 10 M 53, PB), LGPr Göttingen v. 7.3.1944 (PA 10 K 60, PB)<br />
und v. 13.4.1944 (PA 10 M 97, PB) sowie den LGPr Bückeburg v. 1.2.1944 (PA<br />
10 B 163, PB); zum neuen Modell des Strafverfahrens König (Fn. 5), S. 161 ff.,<br />
Rüping, AnwBl 2002, 615, 617.<br />
70 Bericht eines LGDir v. 25.9.1939 an den LGPr Hannover (OLG Celle, PA 10 K<br />
28, Bl. 84).<br />
71 Nach Abtrennung des LG-Bezirks Detmold gibt es 1944 im OLG-Bezirk nur<br />
noch 1 Notaranwalt (Bericht des OLGPr v. 2.2.1945 an den RMJ, Bundesarch.<br />
3001/792, o.P.).<br />
72 Rede Franks auf der Sitzung des Reichsfachgruppenrats Notare am 20.2.1936<br />
in DNotZ 1936, 143 ff.<br />
73 RNotO v. 13.2.1937 §§ 4, 15 I (RGBl 1937 I, 191 ff.); zum berufspolitischen<br />
Programm Wolpers (der spätere Präsident der Reichsnotarkammer) auf dem außerordentlichen<br />
Notartag am 28.5.1933 in DNotZ 1933, 320, 321.<br />
74 So bereits Seybold, DNotZ 1934, 502, 503, fortgeführt für das Dienststrafverfahren<br />
nach dem Maßstab des „gesunden Volksempfindens“ bei Wittland,<br />
Reichsdienststrafordnung, 2. Aufl. 1941, Anl. § 22 DBG Rz. 26.<br />
75 Schultze-v. Lasaulx, Geschichte des Hamburgischen Notariats, 1961, S. 126;<br />
auch Lerch in Arndt/Lerch/Sandkühler, Bundesnotarordnung, 5. Aufl. 2003,<br />
Einl. Rz. 11 klammert den politischen Gehalt der RNotO aus.<br />
76 Gauleitung Ost-Hannover v. 9.4.1941 an den OLGPr und Bestellung durch den<br />
RMJ am 21.5.1941 nach Ablehnung noch im Jahre 1939 (OLG Celle, PA 10 B<br />
148, Bl. 39, 40, 35).<br />
77 Als Beispiele Vermerk des OLGPr v. 9.6.1937 (OLG Celle, PA 10 M 13, Bl.<br />
137) und Entlassungsbescheid des RMJ v. 22.1.1936 (PA 10 R 34, Bl. 36);<br />
dazu Hamann (Fn. 40), S. 189 ff.<br />
78 Einzelschilderungen in einem Schreiben der RAK Celle v. 26.4.1956 an den<br />
OLGPr (OLG Celle, PA 10 D 27, Bd. 2 Bl. 83) sowie in Zulassungsgesuchen v.<br />
8.4.1949 (PA 10 L 76, Not. Bl. 3 R betr. die Vertretung einer katholischen Kirchengemeinde<br />
gegen den Staat), v. 4.4.1945 (PA 10 E 26, Not. Bl. 44 betr. frühere<br />
Zugehörigkeit zur SPD) und v. 24.8.1945 (PA 10 J 18, Not. Bl. 6 und PB,<br />
betr. frühere Zugehörigkeit zum Zentrum).<br />
79 So die Darstellung in einem Gesuch v. 28.8.1945 um Wiederbestellung als Notar<br />
(OLG Celle, PA 10 C 24, Bl. 120); daß ein Notar, obwohl Nichtparteigenosse,<br />
im Frühjahr 1933 seine Bestellung erhält, erwähnt er in seinem Lebenslauf<br />
aus dem Jahre 1945 (PA 10 H 134, Not. Bl. 6).<br />
80 Urteile der Dienststrafkammer v. 16.1.1937 und 14.7.1941 (OLG Celle, PA 10<br />
H 61, Bd. 1 Bl. 52 ff., 112 ff.); gemäß der allgemeinen Linie hält die RAK im<br />
Schreiben v. 31.8.1943 an den OLGPr die „Freigabe“ für den Arbeitseinsatz<br />
weder mit Rücksicht auf die Gesundheit noch die eigene Praxis für unzumutbar<br />
(aaO Bl. 133). Wie die Praxis den Umgang mit Juden im Dienststrafverfahren<br />
ahndet, zeigt RDStHE 2, 69 f.; 3, 51, 55.
AnwBl 12/2005 731<br />
Aufsätze MN<br />
nisteriellen Bescheid aber nicht die Kosten des Verfahrens<br />
und die für seine Verteidigung im brisanten zweiten Verfahren.<br />
81<br />
7. Widerstand<br />
Jenseits nachträglicher Behauptungen, sich schon früh<br />
„innerlich vom Nationalsozialismus losgesagt“ zu haben,<br />
und über unangepasstes Verhalten sowie Verweigerung hinaus<br />
haben Anwälte bei der Verteidigung gefährdeter Mandanten<br />
Zivilcourage bewiesen. Mut gehörte auch dazu, unter<br />
eigener Gefährdung Ausschreitungen gegenüber Juden<br />
oder die nationalsozialistische Weltanschauung öffentlich<br />
zu kritisieren. 82<br />
Wer weder in der Partei, einer Gliederung oder einem<br />
Verband ist, an seiner Ehe mit einer Jüdin festhält und zu<br />
ihrer Rettung untertaucht, gefährdet sich existenziell. 83<br />
Auch ein Angehöriger der Waffen-SS kann sein Bekenntnis,<br />
politisch und rassisch Verfolgten geholfen zu haben,<br />
plausibel machen: durch einen wahrheitswidrigen Vermerk,<br />
der Fall sei erledigt, rettet er einen wegen seiner Abstammung<br />
Gefährdeten. 84<br />
„Unbeugsamer Rechtssinn“ wird einem Rechtsanwalt<br />
und Notar über alle Jahrzehnte seines öffentlichen Wirkens,<br />
nach dem Krieg als Oberbürgermeister von Göttingen und<br />
Mitglied des Niedersächsischen Landtages, bescheinigt. Ihn<br />
kennzeichnen die Mitgliedschaft nur in NSRB und NSV,<br />
die Verweigerung des „deutschen Grußes“, der Vorwurf, in<br />
Liberalismus und Begriffsjurisprudenz zu wurzeln, sowie<br />
die Rüge, einer Jüdin durch „überspitzte Rechtsausführungen“<br />
Zugriff auf ihr zurückzulassendes Vermögen gesichert<br />
zu haben. 85<br />
Schließlich verdient in einer Anwaltsbiographie der Widerstand<br />
gegen beide totalitären Systeme auf deutschem<br />
Boden festgehalten zu werden. Zunächst im Nationalsozialismus,<br />
der den Betroffenen wegen einer körperlichen<br />
Missbildung mit Verfahren vor den Erbgesundheitsgerichten<br />
verfolgt, dann in der SBZ, als die Verteidigung eines<br />
Wirtschaftsstraftäters von der SED gelenkte Protestresolutionen<br />
provoziert und nur noch die Flucht in den Westen<br />
lässt. Als Symbol rein politischer Verfolgung im Dritten<br />
Reich benennt ihn die Anklage im Nürnberger Juristenprozess<br />
als Zeugen, den einzigen aus der gesamten SBZ. 86<br />
8. Der Prozess der Erinnerung<br />
Der normative Rahmen anwaltlicher Tätigkeit schafft<br />
nach 1945 zunächst keine Zäsur. Übergangsweise bis zur<br />
Wiedererrichtung der Kammern bleibt z. B. in Hessen die<br />
staatliche Dienstaufsicht. 87 In der zentralen Frage eines numerus<br />
clausus stimmen Justizverwaltung, Kammern und<br />
DAV überein, dass die Bedürfnisprüfung im Nationalsozialismus<br />
auch politisch motiviert war, jedoch jetzt mit Rücksicht<br />
auf das drängende Problem, zahllose Flüchtlingsanwälte<br />
unterzubringen, vorerst unverzichtbar und eine<br />
davon „freie“ Advokatur nur als Fernziel erscheint. 88<br />
Bekenntnisse zur Freiheit der Advokatur im Westen können<br />
sich nur vor diesem Hintergrund entfalten. 89 Wenn der<br />
Osten alle nominellen Mitglieder der NSDAP von einer Tätigkeit<br />
in der Justiz, damit auch der Rechtsanwaltschaft ausschließt,<br />
schafft die antifaschistische Grunderneuerung<br />
doch gleichzeitig Kontinuitäten, unter Rückgriff auf Positionen<br />
im Nationalsozialismus Anwälte als „Organe der<br />
Rechtspflege“ unter anderem ideologischen Vorzeichen<br />
jetzt für die SED zu vereinnahmen. 90<br />
Im Westen gelingt nur ganz zu Beginn, durch ihre Mitgliedschaft<br />
in der Partei belastete Anwälte fernzuhalten. 91<br />
Als Ergebnis der Entnazifizierung kehren Belastete und<br />
Verfolger zurück, während Unbelastete und Verfolgte<br />
Schwierigkeiten haben, Anerkennung zu finden. Ein Betroffener<br />
stellt 1947 mit Bitterkeit fest: „In Berlin konnte<br />
ich [1940] nicht Notar werden, weil ich kein Nazi war, und<br />
hier [in Bad Pyrmont] kann ich kein Notar werden, weil ich<br />
vor gewöhnlichen Nazis zurückstehen muss.“ 92<br />
Justizverwaltung und Kammer unterliegen nicht ausnahmslos,<br />
jedoch mit wachsendem zeitlichen Abstand zur<br />
nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend dem heilenden<br />
Einfluss der Zeit. Als sich die Kammer noch 1956 gegen<br />
die Zulassung eines Anwalts ausspricht, der unrichtige<br />
Angaben über seinen Eintritt in die Partei gemacht hat, hält<br />
der Oberlandesgerichtspräsident entgegen, man solle „unter<br />
die nur aus der turbulenten Nachkriegszeit zu verstehenden<br />
Verfehlungen einen Schlussstrich machen.“ 93<br />
In umgekehrter Verteilung der Rollen macht die Kammer<br />
die Vergangenheit eines Rechtsanwalts und SS-Obersturmführers<br />
mit ihren erheblichen Belastungen vergessen.<br />
1944 wegen unangemessener Honorarforderungen vom<br />
Kammerpräsidenten mit einer Strafverfügung belegt und<br />
des ungeachtet nach Charakter und politischer Führung<br />
81 Urteil der Dienststrafkammer v. 1.12.1948 und Bescheid des MJ v. 7.9.1949<br />
(PA aaO Bd. 1 Bl. 148, 153).<br />
82 Als Rechtsberater bei der Luftwaffe sucht der Anwalt zudem politische Taten<br />
möglichst abzuschwächen (eidesstattliche Versicherung v. 1.6.1946 in OLG<br />
Celle, PA 10 S 204, Bl. 2 R ). Zum Spielraum bei der Strafverteidigung Fn. 67<br />
und zur öffentlichen Kritik eines Notars an Ausschreitungen Fn. 80.<br />
83 Negative politische Beurteilung durch den LGPr Hannover v. 28.2.1945 im PB<br />
und Vermerk des OLGPr v. 3.4.1945 auf Grund einer Mitteilung der Gestapo,<br />
der Betroffene halte sich verborgen, in OLG Celle, PA 10 D 27, Bd. 2, PB sowie<br />
Bl. 40, dazu auch Fn. 59.<br />
84 „Erklärung über die politische Einstellung“ als Anh. zum Lebenslauf v.<br />
19.12.1948 sowie Erklärung des OLGVPr Celle v. 15.11.1948 betr. seinen geretteten<br />
Bruder in OLG Celle, PA 10 M 155, Bl. 11, 21.<br />
85 Negative Beurteilungen durch den LGPr Göttingen im Bericht v. 10.5.1938 an<br />
den OLGPr, im PB v. 13.4.1944 sowie Rüge v. 19.11.1943, dagegen Würdigung<br />
zum 80. Geburtstag im Göttinger Tageblatt v. 24.2.1958 (OLG Celle, PA 10 F<br />
34, Bl. 56, PB, Bl. 89, 176).<br />
86 Dazu Erklärung Ossip Flechtheims v. 2.2.1953 in OLG Celle, PA 10 S 272,<br />
Not. o.P., vgl. weiter das Schreiben des Vorsitzenden des Erbgesundheitsgerichts<br />
Erfurt v. 4.7.1939, die Erklärung des Kreisrats in Suhl v. 1.10.1948<br />
und die Protestresolutionen im Jahre 1948 aaO RA, Bl. 7, 12, 15-17.<br />
87 Anl. zur VO v. 10.3.1948 Nr. 24 f (HessGVOBl 1948, 71), bald darauf ausgeübt<br />
durch Dienststrafgerichte (VO v. 18.8.1948 Nr. 21, HessGVOBl 1948,<br />
98); Bayern übernimmt den anwaltlichen Probedienst (RAO v. 6.11.1946<br />
§§ 2a–f, BayGVOBl 1946, 371).<br />
88 Vermerk des PrRAK v. 3.10.1947 über eine Cheftagung am 27.10.1947 mit den<br />
Kammern und Oberlandesgerichten im Ministerium (Archiv der RAK, GA Zulassung<br />
allgemein [1945-1948], o.P.), Mitgliederversammlung des DAV am<br />
9.12.1950 (Prot. S. 5 im Archiv des DAV), anschaulich zur Lage der Anwaltschaft<br />
Paulsen, Schl.-Holst. Anz. 1949, 151, 152 f.; zur Kritik des numerus<br />
clausus als undemokratisch z. B. Schreiben eines RA v. 17.3.1947 an den<br />
OLGPr (OLG Celle, PA 10 W 105, Bl. 34 R ).<br />
89 Als Beispiele Eb. Schmidt, MDR 1948, 374, 381 und der Bericht von Alexander-Katz<br />
über den Anwaltstag 1949 in Coburg, DRZ 1949, 278 f.<br />
90 So der thüringische MJ Liebler, NJ 1950, 295 f.; zu den Verboten Ges. über<br />
den Erlass von Sühnemaßnahmen v. 11.11.1949 § 2 I mit Ausführungsbestimmungen<br />
v. 1.12.1949 § 2 IV 1 (GBl DDR 1949, 59, 91).<br />
91 Nach der Mitt. des OLGPr in JBl OLG Köln 1946, 15 sind damals im LG-Bezirk<br />
Köln 127, Aachen 32 und Bonn 27 Rechtsanwälte zugelassen; bezeichnend<br />
will der Zulassungsausschuss in Celle Parteigenossen nur solange nicht<br />
zulassen, wie Nichtparteigenossen abgelehnt werden müssen (Schreiben des<br />
PrRAK v. 4.1.1946 an den OLGPr, Archiv der RAK, GA Zulassung allgemein<br />
[1945-1948], o.P.).<br />
92 Schreiben v. 10.5.1947 an den OLGPr (OLG Celle, PA 10 H 133, Not. o.P.).<br />
93 Votum der RAK v. 1.3.1956 und Entwurf des Berichts des OLGPr an den MJ v.<br />
5.3.1956 in OLG Celle, PA 10 K 179, Bl. 19, 22 R . In einem weiteren Fall sieht<br />
sich die RAK in ihrem Votum, einen Bewerber wegen unwahrer Angaben im<br />
FB abzulehnen, durch das EG bestätigt (RAK v. 1.7.1953 und Urteil des EG v.<br />
1.12.1953 in OLG Celle, PA 10 B 282, Bl. 19, 29, 34).
732<br />
MN<br />
„ohne Bedenken“ beurteilt, 1948 im Entnazifizierungsverfahren<br />
wegen seiner Denunziationen als „der gefährlichste<br />
Nationalsozialist unter den hiesigen Anwälten“ charakterisiert,<br />
findet der Betroffene trotz deutlicher Zweifel der Justizverwaltung<br />
1962 „wärmste Unterstützung“ der Kammer<br />
für Glückwünsche zum Berufsjubiläum. 94<br />
Wenn Betroffene nachträglich ihre eigene Rolle im Nationalsozialismus<br />
beschönigen, beruht das häufig auf einer<br />
Amnesie wie einer Selbstamnestierung. 1934 erreicht ein<br />
Anwalt und Notar seine Zulassung, da er 1933 trotz formeller<br />
Zugehörigkeit zur SPD als Bürgermeister entlassen sei,<br />
jedoch durch Eintritt in Arbeitsdienst, SA und BNSDJ seinen<br />
Willen zur Mitarbeit gezeigt habe. Die Kammer hatte<br />
ihn abgelehnt und als „politischen Wandervogel“ bezeichnet,<br />
„der seine Anschauungen jeweils danach einrichtet,<br />
wie es seinem persönlichen Fortkommen förderlich ist.“<br />
Konsequent erreicht er 1945 seine Wiederbestellung als<br />
Notar mit der Begründung, die Partei habe ihn als Nichtparteigenossen<br />
aus dem Amt gedrängt und seine Ernennung<br />
zum Notar verhindert. 95<br />
Als sich 1946 ein chronisch Alkoholkranker als Rechtsanwalt<br />
ausgibt, vorspiegelt, in Vernichtungslager gebracht<br />
worden zu sein, Massentötungen miterlebt, Todgeweihte gerettet<br />
zu haben und als Folge seine Zulassung erreicht,<br />
spricht ihn das Landgericht 1954 wegen Schuldunfähigkeit<br />
vom Vorwurf des versuchten Betruges frei. Auch geistig<br />
Gesunde würden „mitunter eine Begebenheit aus den verschiedensten<br />
Anlässen so oft unwahr oder übertrieben erzählen,<br />
bis sich ihr Erinnerungsbild an die Begebenheit so<br />
verwischt hat, dass sie schließlich an die Richtigkeit ihrer<br />
Erzählung selbst glauben, ja von ihr überzeugt sind.“ 96 Die<br />
Flucht in eine „bequemere Wirklichkeit“ und der schließliche<br />
Glaube an die eigene, immer wieder erzählte Geschichte<br />
sind als allgemeine Phänomene bekannt. 97 Bezogen<br />
auf das Verhalten einer Berufselite im Nationalsozialismus,<br />
geben zeitgeschichtliche Detailuntersuchungen Aufschluss<br />
über Handlungsspielräume und Mitverantwortung, über den<br />
Grad der Anpassung und Verweigerung. Sie führen zu unbequemeren,<br />
dafür um so notwendigeren Einsichten.<br />
94 Strafverfügung v. 28.8.1944, Beurteilungen durch den LGPr Hannover im PB v.<br />
1.6.1944 und wegen des Verfahrens bereits zurückhaltender durch den OLGPr<br />
v. 4.7.1944 sowie Votum der RAK v. 5.3.1962 gegenüber dem OLGPr in OLG<br />
Celle, PA 10 B 34, 90 ff., PB, 121, Aussage des RA L. am 23.11.1948 im Entnazifizierungsverfahren<br />
in Nds. HStArch, Nds. 171 Hann. Nr. 24285, o.P.<br />
95 Zulassungsgesuch v. 15.11.1934, abl. Votum der RAK v. 5.1.1935 und Zulassungsgesuch<br />
v. 22.10.1945 in OLG Celle, PA 10 J 20, Bl. 1, 19, 44.<br />
96 Urteil des LG Bückeburg v. 9.2.1954 in OLG Celle, PA 10 W 117, Bl. 108,<br />
114 R .<br />
97 Primo Levi, Ist das ein Mensch?, 1988, S. 8.<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Lücken in der Auslandsdeckung<br />
der Berufshaftpflichtversicherung<br />
von<br />
Rechtsanwälten *<br />
Rechtsanwältin Dr. Brigitte Borgmann, München<br />
Aufsätze<br />
Haftpflichtansprüche mit Auslandsdeckung sind in der Berufshaftpflichtversicherung<br />
des Anwalts regelmäßig ausgeschlossen.<br />
Die Tücke steckt im Detail. Die Lücken sind<br />
versteckt – und können auch kleinere Kanzleien treffen.<br />
Der Beitrag gibt einen Überblick.<br />
1. Pflichtversicherung<br />
1.1 Grundsätzlicher Umfang<br />
Die Berufshaftpflichtversicherung der Anwälte ist seit<br />
dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte<br />
und der Patentanwälte vom 2.9.1994 1 eine Pflichtversicherung.<br />
Nach § 51 BRAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet,<br />
eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung<br />
der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren<br />
für Vermögensschäden abzuschließen und die Versicherung<br />
während der Dauer seiner Zulassung aufrecht zu<br />
erhalten. Der Versicherer muss im Inland zugelassen sein,<br />
seine Bedingungen muss er nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsgesetzes<br />
beim Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen<br />
eingereicht haben. Die Mindestversicherungssumme<br />
beträgt 250.000 E für jeden<br />
Versicherungsfall und kann auf den vierfachen Betrag innerhalb<br />
eines Versicherungsjahres begrenzt werden (§ 51<br />
Abs. 1 u. 3 BRAO).<br />
1.2 Ausnahmen bei vom Gesetzgeber nicht als typisch eingestufter<br />
Anwaltstätigkeit<br />
Internationale Anwaltszusammenschlüsse, Anwaltsniederlassungen<br />
im Ausland und die Beschäftigung mit außereuropäischem<br />
Recht erschienen dem Gesetzgeber der<br />
BRAO von 1994 als zu exotisch, um in die alle deutschen<br />
Rechtsanwälte treffende Pflichtversicherung der Rechtsanwälte<br />
aufgenommen zu werden 2 . § 51 Abs. 3 Ziff. 2–4<br />
BRAO sehen deshalb Ausnahmemöglichkeiten vor, denen<br />
die Berufshaftpflichtversicherer ausnahmslos gefolgt sind.<br />
Für die Ausschlüsse wird in aller Regel der Wortlaut des<br />
Gesetzes verwendet. Hieran kann und muss man sich folglich<br />
bei Auslegungsschwierigkeiten halten.<br />
1.3 Ausschlüsse in § 4 Ziff. 1 AVB<br />
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sehen regelmäßig<br />
den Ausschluss von Haftpflichtansprüchen mit<br />
Auslandsbezug vor. War dies früher in den Allgemeinen<br />
* Der Beitrag beruht auf dem Vortrag der Autorin auf dem 56. Deutschen Anwaltstag<br />
am 5. Mai 2005 in Dresden in der Veranstaltung der AG Versicherungsrecht<br />
im DAV.<br />
1 BGBl I 2278.<br />
2 BT-Drucks. 12/4993, 31.
AnwBl 12/2005 733<br />
Aufsätze MN<br />
Versicherungsbedingungen geregelt, so ist heute – zumindest<br />
in dem mir vorliegenden neuesten Bedingungswerk der<br />
Allianz (AVB-RSW gültig seit 1.1.2003) – die spezielle Regelung<br />
für die jeweiligen rechtsberatenden Berufe: Rechtsanwälte,<br />
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, in angefügten besonderen<br />
Bedingungen enthalten.<br />
Danach sind nach den Bedingungen für Rechtsanwälte<br />
und Patentanwälte (BBR-RA Nr. 2.1.) nicht versichert Haftpflichtansprüche<br />
aus Tätigkeiten<br />
9 über in anderen Staaten eingerichtete oder unterhaltene<br />
Kanzleien oder Büros,<br />
9 im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung<br />
mit außereuropäischem Recht,<br />
9 des Rechtsanwalts vor außereuropäischen Gerichten.<br />
1.4 Inanspruchnahme des Anwalts vor außereuropäischen<br />
Gerichten<br />
Nicht aus § 51 BRAO stammt hingegen eine auf die Mindestversicherungssumme<br />
– also 250.000 E – beschränkte Deckung<br />
bei Inanspruchnahme des Anwalts vor außereuropäischen<br />
Gerichten. Die BRAO verpflichtet den Anwalt<br />
jedoch nicht nur zum Abschluss eines Versicherungsvertrages<br />
mit der Mindestversicherungssumme – dies ist Voraussetzung<br />
für seine Zulassung als Rechtsanwalt in Deutschland<br />
gem. §§ 51 Abs. 3, 12 Abs. 2, 14 Abs. 2 Ziff. 9 BRAO<br />
–, sondern dazu, eine Berufshaftpflicht zur Deckung der<br />
sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren<br />
für Vermögensschäden abzuschließen (§ 51 Abs. 1 S. 1<br />
BRAO). Wer sich also unversehens einer Klage in Amerika<br />
ausgesetzt sieht, obwohl er nur in Deutschland über deutsches<br />
Recht beraten hat, mag sich fragen, ob sein Deckungsschutz<br />
zu Recht auf die Mindestversicherungssumme<br />
beschränkt ist, wenn er ansonsten eine seiner<br />
Berufstätigkeit angemessene höhere Versicherungssumme<br />
gewählt hat. Immerhin ist diese Bedingung bereits nachgebessert<br />
worden. In früheren Bedingungswerken gab es –<br />
wie es in der Standarddeckung der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer<br />
immer noch ist – überhaupt keinen Deckungsschutz<br />
bei Inanspruchnahme vor außereuropäischen Gerichten.<br />
Ein solcher Ausschluss ist für Rechtsanwälte jedoch<br />
angesichts der abschließenden Regelungen des § 51 Abs. 3<br />
BRAO nicht möglich3 . Knappmann/Voit vertreten – soweit<br />
ersichtlich als Einzige – im Kommentar von Prölss/Martin<br />
zum VVG4 die Auffassung, der Ausschluss von Ansprüchen,<br />
„welche vor ausländischen Gerichten geltend gemacht<br />
werden“, könne vernünftigerweise nicht nach Art einer<br />
auflösenden Bedingung dahin verstanden werden, dass<br />
der Versicherer Ansprüche so lange abzuwehren oder zu<br />
befriedigen habe, wie sie nicht vor einem ausländischen<br />
Gericht geltend gemacht würden, dass er aber frei werde,<br />
sobald das geschähe. Nach Sinn und Zweck erkennen die<br />
genannten Autoren hier nur eine fehlende Kostenerstattungspflicht<br />
für die Kosten des ausländischen Prozesses als<br />
gegeben und sie sehen den Versicherer an das ausländische<br />
Urteil nicht gebunden. Man mag das für diskussionswürdig<br />
halten. Angesichts der strikten Ausschlüsse für ausländisches<br />
Recht und der auf den europäischen Rechtsraum<br />
beschränkten Wiedereinschlüsse bei den anderen Berufsgruppen<br />
und angesichts der expliziten Beschränkung auf<br />
die Mindestversicherungssumme bei Rechtsanwälten erscheint<br />
eine solche Deutung kühn und die Heranziehung<br />
der Vernunft gegen den unmissverständlich zum Ausdruck<br />
gekommenen Willen der Versicherer eine gewagte Aus-<br />
legungsmethode, auch wenn das Reichsgericht sie grundsätzlich<br />
für die Auslegung von AVB anerkannt hat.<br />
Man kann festhalten, dass es hier Deckungslücken gibt,<br />
ob sie einer Inhaltsprüfung stand halten und ob sie, zumindest<br />
bei Rechtsanwälten, unter Umständen dem Verdikt der<br />
überraschenden Klausel anheim fallen, mag dahingestellt<br />
bleiben.<br />
1.5 Risikoausschlüsse<br />
Unbestritten ist, dass es sich bei den vorgenannten Ausschlüssen<br />
um echte Risikoausschlüsse und nicht um verhüllte<br />
Obliegenheiten handelt. Sie sind strikt auszulegen.<br />
Umkehrschlüsse sind deshalb erlaubt: Was nicht ausgeschlossen<br />
ist, ist grundsätzlich eingeschlossen und vom<br />
Versicherungsschutz umfasst.<br />
1.5.1 So z.B. die Tätigkeit eines deutschen Anwalts mit<br />
Büro in Brüssel, der seinen ausländischen Mandanten nicht<br />
von seinem Brüsseler Büro aus, sondern von seinem Büro<br />
in Aachen aus oder in einer Hotelsuite in Paris berät. Hier<br />
besteht Deckungsschutz, wenn keine anderweitigen Ausschlüsse<br />
greifen, weil die Beratung nicht über das ausländische<br />
Büro erfolgt ist.<br />
1.5.2 Und was ist, wenn der Anwalt nicht bemerkt, dass<br />
entgegen dem Wortlaut des Vertrages, den er für seinen<br />
Mandanten kündigen soll, amerikanisches Recht zum Zuge<br />
kommt? In der Ausschlussklausel der Ziff. 2b BBR-RA<br />
sind ausgeschlossen Haftpflichtansprüche aus Tätigkeiten<br />
in Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit<br />
außereuropäischem Recht. Hat sich dieser Zusammenhang<br />
dem Blick des deutschen Anwalts entzogen, etwa weil der<br />
Vertrag unter Kaufleuten die Anwendung deutschen Rechts<br />
und die Wahl eines deutschen Gerichtsstands vorsah, so<br />
muss also Deckung gewährt werden. Dies auch dann, wenn<br />
sich überraschenderweise herausstellt, dass ein Richter in<br />
Amerika genügend Anhaltspunkte dafür findet, seine Zuständigkeit<br />
zu bejahen und das Recht dieses Staates weder<br />
Prorogation noch Rechtswahl anerkennt. Da in Wahrheit<br />
eine Beschäftigung mit außereuropäischem Recht im wörtlichen<br />
Sinne durch den Anwalt nicht stattgefunden hat,<br />
muss Deckung nach Ziff. 2.1b BBR-RA gewährt werden.<br />
Anders lesen sich die Ausschlüsse für Steuerberater und<br />
Wirtschaftsprüfer, nach denen sich der Ausschluss an Verletzung<br />
oder Nichtbeachtung ausländischen Rechts knüpft.<br />
Die Nichtbeachtung eines fremden Rechts ist grundsätzlich<br />
etwas anderes als die Beschäftigung damit und die Beratung<br />
darüber. Die unterschiedliche Wortwahl ist, ebenso<br />
wie sonstige Deckungsunterschiede zwischen der Pflichtversicherung<br />
der Wirtschaftsprüfer, der Steuerberater und<br />
der Rechtsanwälte, vor allem historisch bedingt und auf die<br />
unterschiedlichen Vorgaben des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers<br />
zurückzuführen (§ 51 BRAO; § 4 WPBHV = Wirtschaftsprüfer-Berufshaftpflichtversicherungsverordnung;<br />
§ 53 DVStB = Verordnung zur Durchführung der Vorschriften<br />
über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften).<br />
Ob man mit unterschiedlichen Auslegungsmethoden<br />
zu einem gleichen Deckungsergebnis für<br />
alle Versichertengruppen bei Verkennung der Anwendbarkeit<br />
eines ausländischen Rechts käme, kann ich nicht voraussehen.<br />
3 Martin van Bühren, Die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte, Diss.<br />
Bonn 2003, S. 130, unter Berufung auf Brieske, Berufshaftpflichtversicherungen,<br />
AnwBl 1995, 225/229.<br />
4 27. Aufl. 2004, Rz. 2 zu § 4 AVG Vermögen/WB.
734<br />
MN<br />
1.6 Deckungserweiterung<br />
Eine rechtzeitige Deckungserweiterung oder zumindest<br />
Klarstellung des Deckungsumfangs erscheint daher für Anwälte,<br />
die in internationale Bereiche vordringen wollen, angebracht.<br />
Man kann zu Gunsten des Versicherungsnehmers<br />
den Deckungsumfang nach dessen Bedürfnissen gestalten.<br />
Es sei noch erwähnt, dass im Bedingungswerk der Allianz<br />
für Notare das Problem erkannt und (§ 4 Ziff. 1, 2. Hs.) wie<br />
oben von mir für richtig gehalten gelöst wurde. Es heißt<br />
dort: „Es sei denn, dass die Amtspflichtverletzung darin besteht,<br />
dass die Möglichkeit der Anwendbarkeit dieses<br />
Rechts nicht erkannt wurde“.<br />
2.Von den Ausschlüssen betroffen ist:<br />
2.1 Der Einzelanwalt<br />
Nicht nur weltweit operierende Sozietäten, auch Einzelanwälte<br />
können von Deckungslücken betroffen sein: Zwei<br />
Türken werden in Deutschland nach türkischem Recht geschieden<br />
– das zählt glücklicherweise zum eingeschlossenen<br />
europäischen Bereich. Aber für zwei in Deutschland lebende<br />
Japaner, Koreaner, Amerikaner, kann durchaus<br />
außereuropäisches IPR und Scheidungs- sowie Eherecht in<br />
Frage kommen, auch wenn der Gerichtsstand in Deutschland<br />
liegt.<br />
Vorsorge sollte dafür getroffen werden, dass wenigstens<br />
für den Anwaltsvertrag deutsches Recht angewendet wird<br />
und ein deutscher Gerichtsstand besteht. Das ist nicht unbedingt<br />
selbstverständlich bei Sachverhalten mit Auslandsbezug.<br />
Bei Verträgen mit Verbrauchern gibt es durch die komplizierte<br />
Vorschrift des Art. 29 EGBGB – von dem man<br />
noch immer nicht weiß, ob er für Anwälte gilt, aber er gilt<br />
jedenfalls für Dienstleistungen – Einschränkungen, die dahin<br />
zielen, dem Verbraucher, also dem Mandanten, den<br />
Schutz des Rechtes seines gewöhnlichen Aufenthalts nicht<br />
zu entziehen. Bei der Gerichtsstandsvereinbarung ist<br />
Art. 17 EuGVO zu beachten, der die Wahl des deutschen<br />
Gerichtsstandes – jedenfalls bei gewöhnlichem Aufenthalt<br />
von Anwalt und Mandant in Deutschland – nicht verhindert.<br />
Art. 27 EGBGB erlaubt im Übrigen die freie Rechtswahl,<br />
während Art. 28 EGBGB nur auf Umwegen zu dem<br />
erstrebten Ziel führt 5 .<br />
2.2 Rein inländische Anwaltssozietäten<br />
Rein inländische Anwaltssozietäten stehen vor dem selben<br />
Problem wie Einzelanwälte und sind durch die Rechtsprechung<br />
des II. Zivilsenats des BGH 6 mit der grundsätzlich<br />
akzessorischen Haftung beschwert. Die gesamtschuldnerische<br />
Haftung war allerdings bereits seit der BGH-Entscheidung<br />
vom 6.7.1971 7 anerkannt. Neu und noch nicht durch<br />
den für die Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenat bestätigt<br />
ist die Haftung neu eintretender Gesellschafter in eine<br />
BGB-Gesellschaft für bereits entstandene Haftpflichtansprüche<br />
in analoger Anwendung des § 130 HGB. Das Urteil des<br />
2. Zivilsenats vom 7.4.2003 8 lässt die Frage für den Bereich<br />
der Berufshaftpflicht offen, weil auch andere analoge Anknüpfungsmöglichkeiten<br />
bestehen, wobei vor allem auf § 8<br />
Abs. 2 PartGG abgestellt ist, d.h. auf die dort normierte alleinige<br />
Handelnden-Haftung bei Berufsversehen.<br />
2.3 Interprofessionellen Sozietäten<br />
In interprofessionellen Sozietäten dürfen nach § 59a<br />
BRAO Patentanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte,<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer mit Rechtsanwälten<br />
zusammenarbeiten.<br />
2.3.1 Haftung<br />
Bis zu den Entscheidungen des BGH zur relativen<br />
Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft hatte sich die Rechtsprechung<br />
bei interprofessionellen Sozietäten damit beholfen,<br />
dass der Anwaltsvertrag als nur mit denjenigen Mitgliedern<br />
der Sozietät abgeschlossen galt, die rechtlich in<br />
der Lage und befugt waren, den Vertrag durchzuführen9 .In<br />
dem Vertrag über eine zivilrechtliche Rechtsberatung ohne<br />
steuerrechtliche Aspekte waren die assoziierten Steuerberater<br />
also gar nicht Vertragspartner. Mit der Rechtsprechung<br />
des II. Zivilsenats hat sich dies geändert. Vertragspartner ist<br />
jetzt die Sozietät. Die vertragsrechtliche Haftung der Sozien<br />
ist durch eine analog zu den §§ 128 ff HGB gebildete<br />
gesetzliche Haftung abgelöst worden. Die Frage, ob die<br />
nicht zur Beratung befugten interprofessionellen Sozien<br />
jetzt akzessorisch mithaften oder nicht, ist offen. Canaris<br />
hält in seinem Plädoyer „Die Übertragung des Regelungsmodells<br />
der §§ 125–130 HGB auf die Gesellschaft bürgerlichen<br />
Rechts als unzulässige Rechtsfortbildung contra legem“<br />
10 eine substanzielle, d.h. materiell begründende<br />
Ausweitung der Akzessorietät auf neue Tatbestände nicht<br />
für zulässig. Auch Beuthien11 erkennt, dass die Akzessorietät<br />
an und für sich keinen selbstständigen Haftungsgrund<br />
bildet. Der Sozius einer interprofessionellen Sozietät nach<br />
bürgerlichem Recht befindet sich auf schwankendem Boden<br />
und tut gut daran, eine Haftungskonzentration auf die namentlich<br />
zu benennenden Berufsträger, die das Mandat ausführen<br />
sollen, zu vereinbaren. Wie schon angesprochen, unterscheiden<br />
sich die besonderen Bedingungen für<br />
Rechtsanwälte von denen für Steuerberater und denen für<br />
Wirtschaftsprüfer in einigen Punkten. Dazu gehört z. B. der<br />
nur für Anwälte bestehende Schutz für Auszahlungsfehler<br />
bei Anderkonten. Dazu gehören aber auch viele Bereiche<br />
der Auslandsdeckung12 .<br />
2.3.2 Deckungsschutz<br />
Für den Deckungsschutz kann maßgeblich sein, ob eine<br />
Inanspruchnahme als Gesamtschuldner erfolgt. Der Versicherer<br />
ist dann zumindest zur Abwehr verpflichtet. Die<br />
davon unabhängige Durchschnittsleistung im Versicherungsfall<br />
bezieht sich nach den AVB – jedenfalls denen der<br />
Allianz – nur auf Berufsangehörige. Das ergibt sich aus<br />
der Verweisung des § 12 AVB auf § 1 III AVB, wo Sozien<br />
im Sinne dieser Bedingungen als Berufsangehörige, die ihren<br />
Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, definiert<br />
werden. Berufsangehörige sind aber nur entweder<br />
deutsche Rechtsanwälte oder Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer.<br />
Eine Zugunsten-Versicherung der am Verstoß<br />
nicht beteiligten Sozien außerhalb der betroffenen Berufsgruppe<br />
gibt es nicht. Das bedeutet: Bei einer Inanspruchnahme<br />
wird Deckung nur nach der jeweiligen Einzelpolice<br />
gewährt. Folglich bedarf es einer Interpretation, nach welcher<br />
Police Deckung zu gewähren ist. Die Allianz hat dies<br />
5 Vgl. hierzu eingehend Lindner, AnwBl 2003, 227 ff.<br />
6 NJW 2001, 1056.<br />
7 NJW 1971, 1801.<br />
8 NJW 2003, 1803.<br />
9 BGH NJW 2000, 1333.<br />
10 ZGR 2004, 69 ff.<br />
11 NJW 2005, 855.<br />
12 S. u. 2.5.
AnwBl 12/2005 735<br />
Aufsätze MN<br />
durch besondere Vereinbarungen (HV 929/17) gelöst. Geregelt<br />
ist, welchem der Sozien unterschiedlicher Profession<br />
der Versicherungsfall zugerechnet wird, und für den Fall,<br />
dass mehrere Sozien mit unterschiedlichen Bedingungen<br />
betroffen sind, wird eine an § 12 AVB angelehnte Durchschnittsleistung<br />
anvisiert. Ein Sozius mit Mehrfachqualifikationen<br />
erhält Deckung nach dem Bedingungswerk, nach<br />
dem der Versicherungsfall gedeckt ist.<br />
Hat ein Versicherer die gesamte Sozietät einheitlich<br />
nach dem selben Regelwerk versichert, so ist evident, dass<br />
der Versicherungsschutz angesichts der unterschiedlichen<br />
Vorgaben für die einzelnen Berufsträger von der jeweiligen<br />
Pflichtversicherung abweichen muss. Die Versicherung<br />
muss sich dann einheitlich nach den strengsten Bedingungen<br />
richten und darf nur die geringst möglichen Ausschlüsse<br />
vorsehen. Der Summe nach muss die Mindestversicherungssumme<br />
des Berufsträgers mit der höchsten<br />
Mindestpflichtversicherungssumme erreicht werden. Es ist<br />
aber genau so möglich, eine Sozietät nach Maßgabe des für<br />
die einzelnen Sozien unterschiedlicher Berufsgruppen jeweils<br />
notwendigen Mindestversicherungsschutzes zu versichern.<br />
2.4 Internationale Sozietäten<br />
Internationale Sozietäten haben notwendigerweise mit<br />
dem Recht verschiedener Staaten zu tun. Zu beachten ist,<br />
dass hier immer der Ausschluss des 2.1 a BBR-RA gilt,<br />
nach der Standarddeckung also die Tätigkeit über in anderen<br />
Staaten auch in europäischen – eingerichtete oder unterhaltene<br />
Kanzleien oder Büros nicht versichert ist.<br />
2.4.1 Der deutsche Anwalt, der in einer Salzburger Sozietät<br />
auftritt und von dort aus berät – auch wenn es im deutschen<br />
Recht ist -, hat nach der Standardpolice keinen Deckungsschutz.<br />
Sehr fraglich ist, ob er ihn über die Kanzlei<br />
der Salzburger Kollegen hat. Das wäre von dort aus zu prüfen<br />
und sollte möglichst vor Übernahme einer Beratung geschehen.<br />
Solange er als deutscher Anwalt im Ausland auftritt,<br />
muss er seine deutsche Pflichtversicherung nach § 51<br />
BRAO aufrecht erhalten, weil er ansonsten seine Zulassung<br />
als Anwalt verliert. Das gilt auch, wenn er seine Beratungstätigkeit<br />
grundsätzlich nur von seiner ausländischen Kanzlei<br />
aus ausübt. Diese gewährt ihm jedoch für die oben erwähnte<br />
Tätigkeit vom Salzburger Büro aus keine Deckung.<br />
2.4.2 Ob der deutsche Versicherer ihm nach Salzburg<br />
oder sonst ins Ausland folgen und ihn also gegen die dortigen<br />
Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden versichern<br />
kann, hängt einmal davon ab, ob das betreffende Land die<br />
Tätigkeit ausländischer Versicherer für diese Versicherungssparte<br />
überhaupt zulässt und zum anderen davon, ob sein<br />
Versicherer in diesem Land für die entsprechende Sparte<br />
eine Zulassung hat. In Ländern, in denen ausländische Versicherer<br />
nicht zugelassen sind – sog. Non-Admitted-Länder<br />
– muss für Versicherungsschutz vor Ort gesorgt werden.<br />
Im Bereich der EU scheint es kein Problem zu sein, für<br />
die Berufshaftpflichtversicherung im Ausland zugelassen<br />
zu werden. Die Versicherung „vor Ort“ kann aber schon<br />
deshalb praktikabel sein, weil der dortige Versicherer im<br />
Haftungsfall mit dem Recht seines Landes besser umgehen<br />
kann.<br />
Mit unterschiedlichen Bedingungen muss dann freilich<br />
gerechnet werden. Ein ausländischer Anwalt, der sich in<br />
Deutschland niederlässt, und der nach §§ 206f., 51 BRAO<br />
Deckungsschutz haben muss, ist deshalb gem. § 7 EuRAG<br />
gehalten nachzuweisen, dass seine Versicherung der in § 51<br />
BRAO Beschriebenen gleichwertig ist. Sofern es daran<br />
fehlt, muss er eine DIC-Zusatzversicherung abschließen<br />
(Difference-In-Conditions). Der deutsche Rechtsanwalt mit<br />
ausländischer Niederlassung kommt damit nur aus, wenn er<br />
seine Standardpolice auf die Tätigkeit vom ausländischen<br />
Standort aus erweitert hat. Das Problem, dass bisher die<br />
DIC-Policen, soviel ich weiß, bei den Zulassungsbehörde<br />
noch nicht allgemein anerkannt sind und dass auch noch<br />
keine auf dem Markt sind, ist ein anderes.<br />
2.4.3 Von der Deckung unterschieden werden muss die<br />
Frage der Haftung der internationalen Sozietät. Hier ist so<br />
gut wie alles ungeklärt. Viel kommt auf die Gesellschaftsform<br />
an, die aber meist nicht aus Haftungsgründen gewählt<br />
wird, sondern aus ganz anderen Erwägungen, wie der steuerlich<br />
günstigsten Art für Pensionsrückstellungen13 . Sogar<br />
in Deutschland gibt es Gesellschaftsformen mit gesetzlicher<br />
Haftungsbeschränkung, nämlich die Partnerschaftsgesellschaft.<br />
Sie hat sich aber trotz ihrer Vorzüge, insbesondere<br />
der haftungsrechtlichen Privilegierung und Haftungsbeschränkung<br />
auf den handelnden Anwalt, immer noch<br />
nicht durchgesetzt. Für Haftung nach allen Seiten offen ist<br />
die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der fast immer<br />
noch fast alle Anwälte in Deutschland organisiert sind. Bei<br />
internationalen Sozietäten ohne gesetzliche Haftungsbeschränkung<br />
muss ebenso mit voller gesamtschuldnerischer<br />
Haftung gerechnet werden.<br />
Die Wahl einer Gesellschaftsform mit gesetzlichen Haftungsbeschränkungen<br />
ist jedoch im Ausland verbreiteter als<br />
bei uns. Ob gesellschaftsrechtlich eine Handelnden-Haftung<br />
und gleichzeitig eine Haftungsprivilegierung für die übrigen<br />
Gesellschafter besteht, hängt jedoch vom jeweils geltenden<br />
Recht ab. Selbst in den USA sind einzelne Bundesländer<br />
in der Ausgestaltung der Rechte und Pflichten<br />
unterschiedlich. Eine LLC (Limited Liability Company)<br />
und eine LLP (Limited Liability Partnership) führt nicht in<br />
jedem Bundesstaat zu dem selben Haftungsregime14 . Der<br />
Modelcode in den USA für alle freien Berufe geht jedoch<br />
von der Unverzichtbarkeit der persönlichen Haftung des<br />
Anwalts für seine eigenen Fehler aus.<br />
Für die einzelnen europäischen Länder kann ich diese<br />
Frage hier nicht vertiefen. Deckung besteht, sofern die internationalen<br />
Teile der internationalen Sozietät auf Grund<br />
der Vereinbarung mit gedeckt sind, für die Beratung im Bereich<br />
Europas und für die Tätigkeit vor den Gerichten Europas,<br />
für weitere Beratungstätigkeit nur auf Grund besonderer<br />
Vereinbarung.<br />
Für außereuropäische Länder sind besondere Einschlüsse<br />
notwendig, wenn Deckung bestehen soll: Für die<br />
Beratung von dortigen Kanzleien aus ebenso wie für die<br />
Beratung in außereuropäischem Recht und für das Auftreten<br />
vor einem Gericht oder einer Behörde außerhalb Europas.<br />
Versicherer prüfen dabei in der Regel auch das subjektive<br />
Risiko ihrer Versicherungsnehmer.<br />
2.5 Internationale interprofessionelle Sozietäten<br />
Internationale interprofessionelle Sozietäten sind nicht<br />
überall erlaubt. In Amerika wurde zwar diskutiert, ob man<br />
sie zulassen sollte15 . Seit dem Arthur Anderson Skandal<br />
sind sie jedoch durch die Sarbanes Oxley Gesetze ausdrücklich<br />
verboten worden. Fast könnte man sagen: glück-<br />
13 Henssler, AnwBl 2002, 557, 564.<br />
14 Vgl. Henssler, AnwBl 2002, 557 ff., 564.<br />
15 Henssler, AnwBl 2002, 565.
736<br />
MN<br />
licherweise, denn nirgends sind die Bedingungen der verschiedenen<br />
Professionen so unterschiedlich wie bei der<br />
Auslandsdeckung.<br />
Sehen wir einmal von der überall gleichermaßen fehlenden<br />
Deckung bei der Beratung über ausländische (auch europäische)<br />
Niederlassungen, Beratungsstellen und Zweigstellen<br />
ab, so finden sich weitere Unterschiede im<br />
Bedingungswerk:<br />
2.5.1 Unterschiede der Deckung bei Inanspruchnahme<br />
vor ausländischen Gerichten<br />
9 Die Inanspruchnahme vor ausländischen Gerichten ist<br />
bei Rechtsanwälten in voller Höhe gedeckt, sofern es<br />
sich um europäische Gerichte handelt, in Höhe der Mindestversicherungssumme<br />
bei außereuropäischen Gerichten.<br />
9 Beim Steuerberater gibt es zunächst einen vollen Ausschluss<br />
für alle ausländischen Verfahren und Vollstreckungstitel<br />
gegen ihn, der für Europa modifiziert, aber<br />
auf die Mindestversicherungssumme beschränkt wird.<br />
9 Die Wirtschaftsprüferbedingungen haben zunächst den<br />
selben generellen Ausschluss, der jedoch für das europäische<br />
Ausland einschließlich der Türkei, der Staaten auf<br />
dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion einschließlich<br />
Litauen, Lettland und Estland, wieder zurückgenommen<br />
wird. Insoweit besteht hier volle Deckung.<br />
2.5.2 Für Beratung im außereuropäischen Recht haben<br />
9 Rechtsanwälte nach der Standardpolice keine Deckung,<br />
9 Steuerberater haben Deckung für geschäftsmäßige Hilfeleistung<br />
in Steuersachen weltweit, soweit das Versehen<br />
das Abgabenrecht des fremden Staates betrifft, und –<br />
weitere Voraussetzung – dem Beratungsvertrag deutsches<br />
Recht zu Grunde liegt. Der weltweite Schutz ist auf die<br />
Mindestversicherungssumme beschränkt. Die Beschränkung<br />
auf die Mindestversicherungssumme bezieht sich<br />
auch auf die Beratung im Recht der europäischen Staaten.<br />
Hier ist aber nicht Voraussetzung, dass dem Auftrag<br />
deutsches Recht zu Grunde liegt.<br />
9 Wirtschaftsprüfer haben europaweit unbeschränkte Deckung<br />
im Rahmen der gewählten Deckungssumme. Weltweite<br />
Deckung besteht darüber hinaus für betriebswirtschaftliche<br />
Prüfungstätigkeit und geschäftsmäßige Hilfe<br />
in Steuersachen für die Verletzung des Abgabenrechts<br />
außereuropäischer Länder, sofern dem Auftrag deutsches<br />
Recht zu Grunde gelegt ist. Hier beschränkt sich die Deckung<br />
auf die Mindestversicherungssumme.<br />
Es muss dazu gesagt werden, dass Steuerberater und<br />
Wirtschaftsprüfer zwar Deckung bei Verletzung des Abgabenrechts<br />
der außereuropäischen Staaten haben, während<br />
andere rechtliche Fehler nicht weltweit gedeckt sind, sondern<br />
nur europaweit.<br />
International tätige interprofessionelle Sozietäten haben<br />
also, wie aufgezeigt, besondere versicherungsrechtliche Deckungsprobleme,<br />
die sie tunlichst vor Aufnahme ihrer Tätigkeit<br />
oder vor Zusammenschluss mit ihrem Versicherer<br />
oder ihren jeweiligen Versicherern regeln sollten.<br />
2.6 Kooperationen<br />
Kooperationen und mit ihnen internationale Kooperationen<br />
bieten keine besonderen Deckungsprobleme, sofern sie<br />
sich deutlich als solche, also nur als Netzwerke zur Akquisition<br />
von Mandanten erkennen lassen. Wenn sie sich wie<br />
Sozietäten gerieren, was vor allem in der Gestaltung des<br />
Briefkopfs zum Ausdruck kommt, und deshalb in die Ge-<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
fahr geraten, als Sozietät angesehen zu werden, können die<br />
Haftungsprobleme allerdings erheblich werden, vor allem,<br />
weil eine solche – an sich nicht beabsichtigte – Sozietät nur<br />
als Gesellschaft mit gesamtschuldnerischer Haftung verstanden<br />
werden kann. Eine Haftungsbeschränkung durch<br />
Wahl einer Gesellschaftsform hat es ja gerade nicht gegeben.<br />
2.7 EWIV<br />
Die EWIV, das ist die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung,<br />
in der sich die Anwälte zusammenschließen<br />
können, übt selbst keine Anwaltsberufstätigkeit<br />
aus, ist nicht zur Rechtsberatung zugelassen, also selbst<br />
kein Berufsträger, und bietet insoweit haftungsrechtlich keinerlei<br />
Probleme.<br />
3. Zusammenfassung<br />
Der deutsche Anwalt: Wo hat er Standarddeckung nach<br />
den Bedingungen der Pflichtversicherung, wo nicht?<br />
3.1 Hat er ausschließlich ein inländisches Büro, so hat<br />
er jedenfalls vollen Versicherungsschutz für<br />
3.1.1 Tätigkeit im europäischen Ausland,<br />
3.1.2 Beratung im europäischen Recht,<br />
3.1.3 Tätigkeit vor europäischen Gerichten und Behörden,<br />
3.1.4 Inanspruchnahme vor europäischen Gerichten.<br />
3.2 Er hat – auch, wenn er kein ausländisches Büro hat<br />
– keine Deckung für<br />
3.2.1 Tätigkeit im außereuropäischen Ausland,<br />
3.2.2 Beratung im außereuropäischen Recht,<br />
3.2.3 Tätigkeit vor außereuropäischen Gerichten und Behörden.<br />
3.2.4 Bei Inanspruchnahme vor außereuropäischen Gerichten<br />
ist sein Deckungsschutz beschränkt auf die Mindestversicherungssumme.<br />
3.2.5 Er benötigt individuellen Deckungsschutz vom inländischen<br />
bzw. ausländischen Versicherer.<br />
3.3 Hat der Anwalt eine Kanzlei im Ausland, so besteht<br />
keine Deckung<br />
3.3.1 bei Tätigkeit über seine Kanzlei im Ausland, auch<br />
nicht im europäischen Ausland.<br />
3.3.2 Es besteht aber Deckung für Tätigkeit im europäischen<br />
Ausland, die nicht über die ausländische Kanzlei<br />
erfolgt, für Beratung im deutschen und im europäischen<br />
Recht.<br />
3.3.3 Individueller Deckungsschutz vom inländischen/ausländischen<br />
Versicherer ist stets notwendig.<br />
3.4 Zusammenarbeit mit ausländischen Anwälten: Arbeitet<br />
der Anwalt mit ausländischen Anwälten zusammen, so gibt<br />
es für die Haftung und Deckung unterschiedliche Konzepte.<br />
Bei Heranziehung eines ausländischen Anwalts durch den<br />
Mandanten selbst zur Beantwortung einer speziellen Frage<br />
des ausländischen Rechts kann sich die Haftung des deutschen<br />
Anwalts unter Umständen darauf beschränken, dass<br />
er überprüft, ob der ausländische Anwalt alle wesentlichen<br />
Fragen seines Heimatrechts behandelt hat 16 . Der deutsche<br />
Anwalt haftet dann nur für eigene Fehler seiner Überprüfungstätigkeit.<br />
Man muss sich fragen, ob insoweit eine Beschäftigung<br />
oder Beratung mit ausländischem Recht über-<br />
16 BGH NJW 1972, 1044.
AnwBl 12/2005 737<br />
Aufsätze MN<br />
haupt erfolgt. Meines Erachtens ja. Hat nicht der Mandant,<br />
sondern der Anwalt im Innenverhältnis den ausländischen<br />
Rechtsanwalt herangezogen, um dann den Mandanten<br />
selbst zu beraten, so wird er für Fehler des ausländischen<br />
Anwalts im Rahmen des § 278 BGB haften. Deckungsprobleme<br />
bestehen dann, wenn es sich um außereuropäisches<br />
Recht handelt.<br />
Dass die Zusammenarbeit mit ausländischen Sozien zu<br />
Haftungs- und damit verbunden zu Deckungsproblemen<br />
führen kann, habe ich behandelt. Möglich ist die Mithaftung<br />
des deutschen Anwalts für Fehler der ausländischen<br />
Sozien. Für diese besteht nach § 12 AVB kein Deckungsschutz<br />
beim deutschen Versicherer. Aber der deutsche Anwalt<br />
hat in einem solchen Fall auch keine zu seinen Gunsten<br />
bestehende Deckung, wie sie bei seinen inländischen<br />
Sozien gegeben wäre, weil die ausländischen Sozien keine<br />
Berufsangehörigen im Sinne des § 12 AVB sind.<br />
4.Wie weit reicht Europa?<br />
Bleibt zum Schluss die Frage: Wie weit reicht Europa?<br />
Unter Umständen muss man die Begriffe „europäisch“ und<br />
„außereuropäisch“ auslegen. Zu früheren Zeiten ist genauer<br />
definiert worden, welche Rechte welcher Länder nicht eingeschlossen<br />
zu werden brauchten und welche Rechte welcher<br />
Länder nicht eingeschlossen waren. Die Bedingungen<br />
für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind da immer noch<br />
etwas genauer, als diejenigen für Anwälte. Bei Aufzählungen<br />
wird die Türkei meist neben dem europäischen Ausland<br />
genannt und daneben auch die Staaten auf dem Gebiet<br />
der ehemaligen Sowjetunion, wobei Litauen, Lettland und<br />
Estland meist einzeln und extra erwähnt werden, als hätten<br />
sie nicht dazu gehört.<br />
Die gesetzlichen Vorgaben (z. B. § 4 Abs. 1 Ziff. 3<br />
WPBHV und § 53a DVStB) machen unterschiedliche Vorschriften.<br />
Bei den Wirtschaftsprüfern müssen nur eingeschlossen<br />
werden Ersatzansprüche, die vor Gerichten von<br />
EU- oder EWG-Staaten geltend gemacht wurden oder das<br />
Recht dieser Staaten betreffen. Bei den Steuerberatern sind<br />
in die Deckung für Rechtsberatung nur die europäischen<br />
Staaten und die Türkei einzubeziehen, während es in § 53a<br />
DVStB für die fehlende Deckung bei Inanspruchnahme einen<br />
umfangreichen Katalog möglicher auszunehmender<br />
Länder von Albanien bis Weißrussland gibt, der nicht mehr<br />
ausgeschöpft wird. Zu unterschiedlichen Zeiten haben<br />
Versicherer diesen Katalog unterschiedlich verwandt. Der<br />
jeweilige Deckungsumfang muss deshalb im Einzelfall festgestellt<br />
werden, denn es gelten die Versicherungsbedingungen,<br />
die dem Versicherungsvertrag im Verstoßzeitpunkt zu<br />
Grunde lagen.<br />
Bei Geltung der heutigen Bedingungen, die nur noch auf<br />
außereuropäische Rechte oder Tätigkeit vor außereuropäischen<br />
Gerichten abstellen, muss man sich fragen, was denn<br />
jetzt für die früher immer eigens neben Europa erwähnte<br />
Türkei gelten soll: Geographisch hat sie einen europäischen<br />
Teil bis zum Bosporus und einen außereuropäischen, nämlich<br />
Anatolien. Beratung im türkischen Recht, das einheitlich<br />
in der ganzen Türkei gilt, wäre gedeckt. Aber gilt dasselbe<br />
für eine Tätigkeit vor Gerichten oder Behörden in<br />
Ankara? Schließlich ist das geographisch nicht mehr Europa,<br />
von einer möglichen Aufnahme in die EU einmal abgesehen.<br />
Ich vermute, dass die gerichtliche Tätigkeit deutscher<br />
Anwälte in Ankara nicht so häufig sein wird, dass<br />
wir das mit Sicherheit vom IV. Zivilsenat des BGH erfahren,<br />
bevor die Türkei in die EU aufgenommen wird.<br />
Zur Verjährung altrechtlicherSchadensersatzansprüche<br />
im Zivilrecht<br />
Rechtsanwalt Priv.-Doz. Dr. Andreas Piekenbrock, Karlsruhe/Halle<br />
(Saale)*<br />
Sind Schadensersatzansprüche, von denen der Geschädigte<br />
am 1.1.2002 noch gar nichts wusste, seit dem 31.12.2004 verjährt?<br />
Diese Frage stellt sich jedem Anwalt, der erst jetzt mit<br />
der Durchsetzung eines solchen Anspruchs beauftragt wird<br />
oder sich im laufenden Prozess überraschenderweise der Einrede<br />
aus § 214 Abs. 1 BGB ausgesetzt sieht. Der folgende Beitrag<br />
zeigt, dass es für den Geschädigten noch nicht zu spät ist.<br />
1. Einführung<br />
Dass die Verjährung ob des häufig geräumigen Zeitmoments<br />
für die intertemporale Rechtskollision besonders prädestiniert<br />
ist, ist eine uralte Erkenntnis. 1 Doch muss der<br />
Statutenwechsel trotz entsprechender Übergangsregelungen,<br />
die sich in ähnlicher Form seit dem Inkrafttreten des<br />
BGB immer wieder finden, 2 keineswegs immer reibungslos<br />
verlaufen. Dies zeigt schon die Kontroverse um die Bedeutung<br />
der Ultimoverjährung in § 199 Abs. 1 BGB für altrechtliche<br />
Ansprüche. 3<br />
Dabei ist freilich vielfach übersehen worden, dass die<br />
Stichtagsregel in Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB für den<br />
Beginn der Verjährung altrechtlicher Ansprüche für die<br />
Zeit bis zum 31.12.2001 auf die sogenannte lex prior verweist<br />
und damit die Anknüpfung punktueller Ereignisse an<br />
die lex temporis actus verwirklicht. 4<br />
Da mit der Entstehung des altrechtlichen Anspruchs<br />
aber in aller Regel zugleich die Verjährung zu laufen begann<br />
(§ 198 BGB a. F.) richtet sich deren Beginn prima facie<br />
gar nicht nach § 199 Abs. 1 BGB. Zwar müssen die Voraussetzungen<br />
des § 198 S. 1 BGB a. F. bei bestehenden<br />
Ansprüchen nicht zwingend gegeben sein, weil der Anspruch<br />
dazu nach der Rechtsprechung auch fällig gewesen<br />
sein muss, 5 während es kollisionsrechtlich nur auf die Er-<br />
* Der Autor ist Rechtsanwalt in Karlsruhe und Lehrstuhlvertreter an der Matin-<br />
Luther-Universität Halle (Saale).<br />
1 Vgl. beispielhaft die entsprechenden Regelungen der (ost-)römischen Kaiser<br />
Theodosius II. und Justinian I. (C. Th. 4.14.1.4 f.; Nov. 119.8) und dazu ausführlich<br />
Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung, Verwirkung, § 23 I 1<br />
(erscheint demnächst im Verlag Mohr Siebeck in der Reihe ius privatum).<br />
2 Vgl. Art. 169, Art. 229 § 3 Abs. 7, § 6, § 12, Art. 231 § 6 EGBGB.<br />
3 Vgl. dazu nur Peters, in: Staudinger, EGBGB, Neubearb. 2003, Art. 229 § 6<br />
Rdnr. 11; Budzikiewicz/Mansel, in: Anwaltkommentar, BGB, Band 1, 2005,<br />
Art. 229 § 6 EGBGB Rdnr. 60; Kandelhard, NJW 2005, 630 ff.; Schulte-Nölke/<br />
Hawxwall, NJW 2005, 2117 (2118 f.). Dabei ist in methodischer Hinsicht bemerkenswert,<br />
dass beide Auffassungen den angeblich klaren und eindeutigen<br />
Gesetzeswortlaut für sich in Anspruch nehmen.<br />
4 Vgl. zu diesem Grundsatz nur Heß, Intertemporales Privatrecht, 1998, S. 344.<br />
5 Vgl. nur BGHZ 53, 222 (225); 55, 340 (341); 113, 188 (193). Zur Kritik vgl.<br />
Piekenbrock, Jb.J.ZivRWiss. 2001, 309 (322 f.). Demgegenüber war § 199<br />
Abs. 1 Nr. 1 BGB-RegE (BT-Drucksache 14/6040, S. 3) ausdrücklich die Anknüpfung<br />
des Verjährungsbeginns an die Fälligkeit vorgesehen.
738<br />
MN<br />
zeugung des Anspruchs ankommt. 6 Doch spielt dies jedenfalls<br />
bei Schadensersatzansprüchen, die verjährungsrechtlich<br />
als Einheit anzusehen sind 7 und unmittelbar mit Entstehung<br />
auch fällig werden, in aller Regel keine Rolle. Wenn<br />
Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB bei Fristverkürzungen<br />
gleichwohl auf den 1.1.2002 abstellt, wird durch diese<br />
Sachnorm nicht etwa § 199 Abs. 1 BGB derogiert, sondern<br />
wiederum § 198 BGB a. F., so dass für die neu geschaffene<br />
allgemeine Ultimoregelung kein Platz ist.<br />
2. Problemstellung<br />
Gleichwohl weist diese Kontroverse, auf die hier nicht<br />
in allen Einzelheiten eingegangen werden soll, auf ein viel<br />
schwerwiegenderes, bisher noch nicht abschließend geklärtes<br />
Problem hin, 8 das in dem Paradigmenwechsel von der<br />
objektiven zur subjektiven Anknüpfung der Regelverjährung<br />
wurzelt. Dazu ein Beispiel: Ein Anleger erwirbt Mitte<br />
2001 eine Eigentumswohnung, nachdem der Verkäufer erklärt<br />
hat, der Erwerb sei ohne Eigenkapital aus Mieteinnahmen<br />
und Steuerersparnissen zu finanzieren. Diese Aussage<br />
erweist sich später, wie so häufig, als falsch.<br />
Da die persönliche Steuerersparnis keine zusicherungsfähige<br />
Eigenschaft im Sinne von § 459 Abs. 2 BGB a. F.<br />
dargestellt hat 9 und dem Anleger jedenfalls bei subjektbezogener<br />
Betrachtungsweise ein Vermögensschaden entstanden<br />
ist, 10 war mit dem Vertragsschluss ein Schadensersatzanspruch<br />
aus culpa in contrahendo (vgl. jetzt § 311 Abs. 2<br />
BGB) entstanden (§ 198 S. 1 BGB a. F.), ohne dass es dazu<br />
der Arglist des Verkäufers bedurft hätte. Dieser zunächst<br />
auf Aufhebung des Kaufvertrags und Freistellung von der<br />
Darlehensverpflichtung gerichtete Anspruch unterlag der<br />
dreißigjährigen Regelverjährung (§ 195 BGB a. F.) und<br />
konnte daher trotz Ablauf der Anfechtungsfrist des § 124<br />
Abs. 1, 2 BGB a. F. geltend gemacht werden. 11 Unklar ist jedoch,<br />
ob dieser Anspruch nunmehr verjährt ist, auch wenn<br />
der Anleger erst 2003 oder gar 2005 von den den Schadensersatzanspruch<br />
begründenden Umständen und der Person<br />
des Schuldners Kenntnis erlangt hat und zuvor ohne<br />
grobe Fahrlässigkeit auch nicht hätte erlangen müssen (vgl.<br />
§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).<br />
Die maßgeblichen Übergangsvorschriften in Art. 229 § 6<br />
EGBGB suggerieren eine positive Antwort auf diese Frage,<br />
da das neue Verjährungsrecht grundsätzlich Anwendung<br />
findet (Abs. 1 S. 1), während für die Frage des Beginns der<br />
Verjährung auf § 198 S. 1 BGB a. F. verwiesen wird (Abs. 1<br />
S. 2). 12 Da die Verjährungsfrist mit Blick auf die Abkürzung<br />
der Regelverjährung von dreißig auf drei Jahre (§ 195<br />
BGB) aber erst am 1.1.2002 zu laufen begonnen hat (Abs. 4<br />
S. 1), wäre die Verjährung, wie so häufig, mit Ablauf des<br />
31.12.2004 eingetreten. Dagegen besteht für die Berücksichtigung<br />
der Unkenntnis des Anlegers prima facie ebensowenig<br />
Raum wie für die neue Ultimoverjährung, weil<br />
§ 199 Abs. 1 BGB für altrechtliche (Schadensersatz-)Ansprüche<br />
nicht zur Anwendung berufen ist.<br />
3. Lösung<br />
a) Plausibilitätsüberlegungen<br />
Dass dieses Ergebnis nicht richtig sein kann, zeigt sich<br />
daran, dass es sowohl der lex prior als auch der lex praesens<br />
widerspricht. Denn unter der Herrschaft des alten Verjährungsrechts<br />
wäre die Verjährung Mitte 2031 eingetreten<br />
(§§ 195, 198 S. 1 BGB a. F.), unter der des neuen dagegen<br />
Ende 2006 bzw. 2008 (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Mit dem<br />
neuen Verjährungsrecht geriete diese Lösung im Übrigen<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
auch deshalb in Konflikt, weil die dreijährige Regelverjährung<br />
zu einem Zeitpunkt ablaufen könnte, in dem der Gläubiger<br />
keinerlei Kenntnis von seinem Anspruch hatte und<br />
auch nicht haben musste.<br />
Die Herabsetzung der Regelverjährungsfrist von dreißig<br />
auf drei Jahre fand aber gerade in der subjektiven Anknüpfung<br />
ihre Legitimation, weil nur auf diese Weise sichergestellt<br />
werden konnte, dass der Gläubiger im Anwendungsbereich<br />
der Regelverjährung eine faire Chance hat,<br />
seinen Anspruch durchzusetzen. 13 Wie jeder Kollisionsrechtler<br />
aber spätestens seit dem berühmten Tennessee-<br />
Wechsel-Fall14 weiß, darf weder das Internationale noch das<br />
Intertemporale Verjährungsrecht Ergebnisse hervorbringen,<br />
die beiden beteiligten (Sach-)Rechtsordnungen widersprechen.<br />
Auch wenn damit die Ausgangsfrage nach der Verjährung<br />
des Anspruchs unseres Anlegers ohne weiteres verneint<br />
werden kann, 15 bedarf es neben den bisherigen teleologischen<br />
Plausibiltätserwägungen16 einer tiefergehenden<br />
kollisionsrechtlichen Begründung. 17 Denn im Schrifttum<br />
wird auch die Gegenmeinung vertreten, wonach „im Interesse<br />
der Klarheit und Rechtssicherheit der eindeutige<br />
Wortlaut der gesetzlichen Regelung maßgebend sein“ soll. 18<br />
Ob sich die allein richtige Auffassung in der Praxis durchsetzen<br />
wird, ist daher bisher noch keineswegs gewiss.<br />
b) Kollisionsrechtliche Begründung<br />
Diese kollisionsrechtliche Begründung muss an der Auslegung<br />
des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ansetzen. Dafür<br />
ist die Rückbesinnung auf den Tennessee-Wechsel-Fall<br />
hilfreich. Denn dort war der Normenmangel nur eingetreten,<br />
weil das Reichsgericht die deutsche Kollisionsnorm,<br />
wonach sich die Verjährung nach der lex causae richtet, so<br />
verstanden hatte, dass sie sich nur auf das materielle Recht<br />
6 Vgl. Grothe, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl., Ergänzungsband,<br />
Art. 229 § 6 EGBGB Rdnr. 1. Dieser Unterschied kommt für Anwälte vor allem<br />
bei § 16 BRAGO a. F. zum Tragen.<br />
7 Vgl. dazu nur BT-Drucksache 14/7052, S. 180.<br />
8 Vgl. aber Mansel, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das neue<br />
Schuldrecht in der anwaltlichen Praxis, 2002, § 14 Rdnr. 30; Mansel/Budzikiewicz,<br />
Das neue Verjährungsrecht, 2002, § 10 Rdnr. 37; Budzikiewicz/Mansel<br />
(o. Fußn. 3), Rdnr. 62; Heß, NJW 2002, 253 (258), der dafür freilich auf deliktische<br />
Ansprüche verweist, bei denen die dreijährige Verjährung nach § 852<br />
Abs. 1 BGB a. F. noch nicht zu laufen begonnen hatte; Gsell, NJW 2002, 1297<br />
(1298 f.), wonach die dreijährige Frist (§ 195 BGB) bei altrechtlichen Ansprüchen<br />
nicht generell, sondern frühestens ab dem 1.1.2002 zu laufen begonnen<br />
hat; Schulte-Nölke/Hawxwall, NJW 2005, 2117 (2119).<br />
9 Vgl. dazu insbesondere BGHZ 114, 263 (267). Zu objektgebundenen Voraussetzungen<br />
der Steuerermäßigung vgl. dagegen BGHZ 140, 111 (115).<br />
10 Vgl. dazu insbesondere BGH NJW 1998, 302 (304). Zur berechtigten Kritik<br />
an der Aussage, der Schadensersatzanspruch setze einen Vermögensschaden<br />
voraus, vgl. Lorenz, ZIP 1997, 1053 (1055 ff.).<br />
11 Vgl. insbesondere BGH, NJW 1979, 1983 (1984); 1984, 2814 (2815); NJW-<br />
RR 1988, 744 (745). A. A. freilich OLG Hamm, NJW-RR 1995, 205 (206).<br />
12 So auch Heinrichs, in: Palandt, BGB, 64. Aufl., 2005, Art. 229 § 6 EGBGB<br />
Rdnr. 4.<br />
13 Vgl. dazu im einzelnen BT-Drucksache 14/6040, S. 103 ff.<br />
14 Vgl. RGZ 7, 21 (23 f.).<br />
15 So neben den o. Fußn. 8 genannten im Ergebnis auch Schmidt-Räntsch, in: Erman,<br />
BGB, 11. Aufl., Band 1, 2004, Anh Vor § 194 (Art. 229 § 6 EGBGB)<br />
Rdnr. 9; Grothe (o. Fußn. 6), Rdnr. 12; Karst/Schmidt-Hieber, DB 2004, 1766<br />
(1767). Zu § 852 a. F. und Art. 169 EGBGB vgl. entsprechend schon RGZ 73,<br />
434 (439 f.).<br />
16 Darauf stützt sich letztlich Gsell, NJW 2002, 1297 (1298).<br />
17 Dagegen kann man den Anwendungsbereich der Verweisung auf § 198 S. 1<br />
BGB a. F. nicht einfach, wie dies Peters (o. Fußn. 3), Rdnr. 15 suggeriert, auf<br />
vertragliche Erfüllungsansprüche beschränken.<br />
18 So U. Gottwald, Verjährung im Zivilrecht, 2005, Rdnr. 467; Assmann/Wagner,<br />
NJW 2005, 3169 (3170 f.).
AnwBl 12/2005 739<br />
Aufsätze MN<br />
bezog. Der Fehler bestand folglich in der falschen Auslegung<br />
der deutschen Kollisionsnorm, die Lösung in der<br />
Qualifizierung der prozessrechtlich ausgestalteten limitation<br />
of actions angelsächsischer Provenienz als Verjährung.<br />
Unser Beispielsfall ist dagegen nicht von einem Normenmangel<br />
geprägt, sondern von einem Normenüberschuß.<br />
DenndasinArt.229§6Abs.1S.1EGBGBfüranwendbar<br />
erklärte neue (Regel-)Verjährungsrecht kennt im Gegensatz<br />
zum alten nicht nur eine maßgebliche Frist, sondern<br />
deren drei: die subjektiv angeknüpfte dreijährige (Regel-)<br />
Verjährung (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) sowie zwei sogenannte<br />
Höchstfristen: die objektiv angeknüpfte zehnjährige<br />
Verjährung ab Entstehung des Anspruchs (§ 199 Abs. 3<br />
S. 1 Nr. 1, Abs. 4 BGB) und die an das den Schaden auslösende<br />
Ereignis anknüpfende Verjährung von dreißig Jahren<br />
(§ 199 Abs. 2, 3 S. 1 Nr. 2 BGB). Die Schwäche des<br />
maßgeblichen Übergangsregimes beruht nun aber gerade<br />
auf der unbesehenen Übernahme der tradierten Regelungen<br />
in Art. 169, 231 § 6 EGBGB, die einen vergleichbaren Statutenwechsel<br />
nicht zu bewältigen hatten. 19<br />
Vergleicht man das alte mit dem neuen Recht, stellt man<br />
fest, dass die Anknüpfung der neuen zehnjährigen Frist<br />
weitgehend mit der der alten dreißigjährigen Regelverjährung<br />
korrespondiert. Wird aber in Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2<br />
EGBGB für den Beginn der Frist auf das alte Recht und damit<br />
auf § 198 S. 1 BGB a. F. verwiesen, spricht bei der Auslegung<br />
der Verweisung auf „die Vorschriften des Bürgerlichen<br />
Gesetzbuchs über die Verjährung“ in Art. 229 § 6<br />
Abs. 1 S. 1 EGBGB alles dafür, dass damit die Regelungen<br />
gemeint sind, die als Verjährungsvorschriften im bisherigen<br />
Sinne zu qualifizieren sind; mit anderen Worten: Die in ihrer<br />
Ausgestaltung dem bisherigen Recht am weitestgehenden<br />
entsprechen. Dieses Ergebnis wäre unzweifelhaft,<br />
wenn sich der Gesetzgeber entschlossen hätte, die ihrer<br />
Ausgestaltung und Zielrichtung nach unterschiedlichen<br />
(Verjährungs-)Tatbestände in §§ 195, 199 BGB als unterschiedliche<br />
Rechtsinstitute auszugestalten. 20<br />
Aber auch wenn dies bisher nicht geschehen ist und die<br />
einzelnen Fristen nur als unterschiedliche Fallgruppen ein<br />
und desselben Rechtsinstituts erscheinen, lassen sich kollisionsrechtlich<br />
befriedigende Ergebnisse nur erzielen, wenn<br />
man beim Statutenwechsel nur die jeweils vergleichbar ausgestaltete<br />
Fallgruppe berücksichtigt. 21 Um dies auch sprachlich<br />
zum Ausdruck zu bringen, soll daher im folgenden<br />
eine im weitesten Sinne subjektiv angeknüpfte Verjährung<br />
als Verschweigung bezeichnet werden. 22 Das bedeutet konkret,<br />
dass in unserem Ausgangsfall an die Stelle der dreißigjährigen<br />
Regelverjährung nach § 195 BGB a. F. die zehnjährige<br />
Frist für Schadensersatzansprüche nach § 199<br />
Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB getreten ist, die ebenfalls ab der Entstehung<br />
des Anspruchs zu laufen beginnt. Der Anspruch<br />
unseres Anlegers aus culpa in contrahendo verjährt damit<br />
kenntnisunabhängig mit Ablauf des 31.12.2011 (vgl.<br />
Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB).<br />
Das bedeutet aber nicht, dass die Verschweigung im<br />
Sinne von § 199 Abs. 1 BGB für unseren Fall ohne Bedeutung<br />
ist. Denn die Verweisung auf die lex prior bezüglich<br />
des Beginns der Verjährung in Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2<br />
EGBGB gilt nur, wenn die Frist bereits vor dem 1.1.2002<br />
zu laufen begonnen hat. Da es im Bereich der Regelverjährung<br />
nach bisherigem Recht aber keine Verschweigung gab,<br />
die vor dem 1.1.2002 zu laufen begonnen hat, wird die nunmehr<br />
dreijährige Regelverjährung entsprechend § 199<br />
Abs. 1 BGB in Gang gesetzt. Lag die (damals rechtlich<br />
noch belanglose) Kenntnis schon vor dem 1.1.2002 vor, ist<br />
Verjährung am 1.1.2005 eingetreten; 23 lag sie noch nicht<br />
vor, beginnt die Frist zum Jahresultimo ab der Kenntnis<br />
bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis. In unserem Beispiel<br />
würde die (kenntnisabhängige) Verschweigung daher Ende<br />
2006 bzw. 2008 eintreten. Damit wird auch dem in Art. 229<br />
§ 6 Abs. 1 S. 1 EGBG ausgedrückten Anliegen des Gesetzgebers,<br />
die neurechtliche Verschweigung möglichst bald für<br />
anwendbar zu erklären, Genüge getan.<br />
4. Bedeutung für deliktische Schadensersatzansprüche<br />
Diese Lösung führt schließlich auch bei der Überleitung<br />
der deliktischen Sonderverjährung des § 852 Abs. 1 BGB<br />
a. F. zu sachgerechten Ergebnissen. Da insoweit schon die<br />
lex prior an die Entstehung des Schadens (und damit des<br />
Anspruchs) sowie die entsprechende Kenntnis angeknüpft<br />
hat, lag hier schon früher eine Verschweigung vor. Art. 229<br />
§ 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist in diesem Fall daher als Verweis<br />
auf die ebenfalls subjektiv angeknüpfte Regelverjährung<br />
nach § 195 BGB zu verstehen. Da sich an der Quantifizierung<br />
des Zeitmoments aber nichts geändert hat, zeitigt der<br />
Statutenwechsel hier keinerlei praktische Konsequenzen.<br />
Für den Beginn der dreijährigen Verschweigung kommt<br />
es bei altrechtlichen Ansprüchen nach Art. 229 § 6 Abs. 1<br />
S. 1 EGBGB dagegen bis zum 31.12.2001 auf die tatsächliche<br />
Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen<br />
an (§ 852 Abs.1 BGB a. F.), 24 während ab dem<br />
1.1.2002 auch die grob fahrlässige Unkenntnis genügt<br />
(§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Lag diese (damals rechtlich noch<br />
belanglose) grob fahrlässige Unkenntnis bereits vor dem<br />
1.1.2002 vor, sind deliktische Ansprüche am 1.1.2005 verjährt.<br />
25 Da es eine kenntnisunabhängige, nur an den Eintritt<br />
des Schadens und damit die Entstehung des Anspruchs geknüpfte<br />
Verjährung für deliktische Ansprüche bisher nicht<br />
gab, läuft es bei altrechtlichen Ansprüchen gegebenenfalls<br />
parallel auch insoweit seit dem 1.1.2002 die zehnjährige<br />
Verjährung nach § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB. 26<br />
19 So zutreffend bereits Heß, NJW 2002, 253 (258) in Fußn. 64.<br />
20 So de lege ferenda namentlich Piekenbrock (o. Fußn. 1), § 19.<br />
21 Dies korrespondiert mit der Auffassung von Heß, NJW 2002, 253 (258), das<br />
neue Verjährungssystem sei als Einheit zu sehen und dürfe bei der intertemporalen<br />
Anknüpfung nicht aufgespalten werden.<br />
22 So de lege ferenda Piekenbrock (o. Fußn. 1), § 19 III, § 26.<br />
23 Insoweit ist hier der herrschenden Meinung zu folgen, die die Jahresultimoregelung<br />
nur anwenden will, wenn die nach § 199 Abs. 1 BGB maßgeblichen<br />
Umstände im Laufe eines Jahres eingetreten sind. Dieses Ergebnis wird bei<br />
der hier vorgeschlagenen Lösung auch dadurch bestätigt, dass Art. 229 § 6<br />
Abs. 4 S. 1 EGBGB, der den 1.1.2002 statuiert, hier gar nicht anwendbar ist,<br />
weil es eine subjektiv angeknüpfte Verjährungsfrist, die durch den Statutenwechsel<br />
hätte verkürzt werden können, zuvor gar nicht gab.<br />
24 Vgl. in diesem Sinne auch Peters (o. Fußn. 3), Rdnr. 15.<br />
25 So auch Budzikiewicz/Mansel (o. Fußn. 3), Rdnr. 44.<br />
26 So auch Heß, NJW 2002, 253 (258).
740<br />
MN<br />
Datenschutzkontrolle<br />
in der Anwaltskanzlei<br />
Rechtsanwalt Dr. Hendrik Schöttle, München*<br />
Seit einiger Zeit wird die Frage diskutiert, inwieweit in<br />
der Anwaltskanzlei ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter<br />
zu bestellen ist. 1 Der Beitrag erweitert das Blickfeld<br />
etwas und nimmt die Instrumente der Datenschutzkontrolle<br />
insgesamt ins Visier. Neben dem Datenschutzbeauftragten<br />
sind dies die Aufsichtsbehörde sowie die Meldepflicht und<br />
Vorabkontrolle von Datenverarbeitung. Der Kontroverse<br />
liegt die Kernfrage zugrunde, welche Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes<br />
(BDSG) auf die anwaltliche Tätigkeit<br />
anwendbar sind – die Meinungen gehen in dieser Sache<br />
weit auseinander. 2<br />
Auf der einen Seite ist eine uneingeschränkte Anwendbarkeit<br />
des BDSG auf sämtliche Bereiche anwaltlicher Tätigkeit<br />
abzulehnen. Dem steht schon das Subsidiaritätsprinzip<br />
des § 1 Abs. 3 BDSG entgegen. Das BDSG greift als<br />
„Auffanggesetz“ nur, wenn keine anderen Gesetze einen<br />
datenschutzrechtlichen Bezug aufweisen – was etwa beim<br />
Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) der Fall ist. 3<br />
Auf der anderen Seite kommt aber auch eine vollständige<br />
Verdrängung des BDSG durch andere Regelungen<br />
nicht in Betracht. Das würde nämlich voraussetzen, dass<br />
andere, bereichsspezifische Vorschriften existieren, die in<br />
ihrer Regelungsdichte ebenso umfangreich wie das BDSG<br />
sind. Das ist jedoch – insbesondere mit Blick auf die Datenschutzkontrolle<br />
und den Datenschutzbeauftragten – nicht<br />
der Fall.<br />
Die wohl herrschende Meinung lehnt eine uneingeschränkte<br />
Anwendbarkeit des BDSG ab, geht aber davon<br />
aus, dass einzelne Vorschriften vom Rechtsanwalt zu beachten<br />
sind. 4 Nachfolgend möchte ich die wichtigsten Regelungen<br />
der Datenschutzkontrolle kurz vorstellen und auf<br />
ihre Anwendbarkeit in der Anwaltskanzlei hin untersuchen.<br />
I. Der Datenschutzbeauftragte<br />
Ein Datenschutzbeauftragter ist erforderlich, wenn in einer<br />
nicht-öffentlichen Stelle mindestens fünf Arbeitnehmer<br />
mit der automatisierten Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung<br />
personenbezogener Daten beschäftigt sind, § 4 f<br />
Abs. 1 BDSG.<br />
Nach einer Auffassung wird die interne und externe Datenschutzkontrolle<br />
– also die Regelungen zum Datenschutzbeauftragten<br />
und zur Aufsichtsbehörde – von der Regelung<br />
des § 203 StGB verdrängt. 5 Die in § 203 StGB statuierte<br />
Verschwiegenheitspflicht nehme sowohl den Anwalt als<br />
auch dessen Mitarbeiter in die Pflicht, isoliere die vorhandenen<br />
Datenbestände und bedrohe jeden Mitarbeiter generell<br />
und ohne Ansehung der Person mit Strafe. Dies würde<br />
einen besseren Schutz gewähren als die nur verfahrensmäßigen<br />
Bestimmungen des BDSG.<br />
Zwar ist zuzugeben, dass der Schutz des § 203 StGB potenziell<br />
weiter reicht, als der des BDSG im Allgemeinen<br />
und die Funktion des Datenschutzbeauftragten im Besonde-<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
ren. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass die Datenschutzkontrolle<br />
weniger wirksam ist und hinter § 203 StGB<br />
zurücktritt. Die hier verglichenen Regelungen verfolgen<br />
ganz unterschiedliche Zwecke. Die Sanktion des § 203<br />
StGB sichert die in § 43 a Abs. 2 BRAO statuierte Verschwiegenheitspflicht<br />
strafrechtlich ab, ist also eine repressive<br />
Vorschrift. Zweck der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />
ist dementgegen Prävention. Der Beauftragte<br />
soll auf die Einhaltung des Datenschutzrechts hinwirken, 6<br />
um so Verstöße gegen das BDSG im Voraus zu vermeiden.<br />
Solche Kontroll- und Überwachungsmechanismen sind dem<br />
§ 203 StGB fremd. 7 Die Vorschriften über die Bestellung<br />
eines Datenschutzbeauftragten werden somit nicht von<br />
§ 203 StGB verdrängt.<br />
Rüpke ist der Ansicht, die von der BRAO geschützten<br />
Grundsätze der freien Advokatur würden die Regelungen<br />
zum Datenschutzbeauftragten verdrängen. 8 Das Konzept<br />
der Neutralität des Datenschutzbeauftragten führe dazu,<br />
dass sich jener im Einzelfall für das Recht auf informationelle<br />
Selbstbestimmung des Prozessgegners einzusetzen<br />
hätte. Das sei jedoch mit der Rolle des Anwalts als Interessenvertreter<br />
seiner eigenen Partei unvereinbar.<br />
Dem kann nicht gefolgt werden: Die Frage, welche Daten<br />
erhoben, verarbeitet und genutzt werden können, ist<br />
eine Frage des materiellen Datenschutzrechts. Zwar trifft es<br />
zu, dass eine Vielzahl der Regelungen des BDSG mit den<br />
Besonderheiten des Anwaltsberufs unvereinbar und auch<br />
unanwendbar ist. 9 Die Funktion des Datenschutzbeauftragten<br />
beschränkt sich jedoch nicht nur auf eine Befugniskontrolle<br />
beim Umgang mit personenbezogenen Daten. Seine<br />
Aufgabe ist es auch, technische und organisatorische Maßnahmen,<br />
insbesondere zum Schutz der Daten vor unbefugtem<br />
Zugriff zu treffen. 10 Gerade im Hinblick auf die<br />
Verschwiegenheitspflicht verbleibt dem Datenschutzbeauftragten<br />
damit ein wichtiges Aufgabenfeld, selbst wenn man<br />
die Kontrollpflichten bei der Erhebung, Verarbeitung und<br />
Nutzung von Daten außer Acht lässt.<br />
Der Rechtsanwalt hat folglich dann nach § 4 f BDSG einen<br />
Datenschutzbeauftragten zu bestellen, wenn in seiner<br />
Kanzlei mehr als vier Arbeitnehmer mit der Verarbeitung<br />
personenbezogener Daten beschäftigt sind. 11 Rechtsanwälte,<br />
die keine Sozien sind, sind dabei zu den Arbeitnehmern zu<br />
zählen; Auszubildende hingegen sind nicht „beschäftigt“<br />
im Sinne der Vorschrift. 12<br />
* Dr. Hendrik Schöttle ist Rechtsanwalt in der Anwaltskanzlei Hambach &<br />
Hambach, München, und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie<br />
im DAV.<br />
1 Siehe dazu Härting, AnwBl 2005, 131 f., Rüpke, AnwBl 2004, 552 ff. und<br />
Schneider, AnwBl 2004, 618 ff.<br />
2 Als Überblick dazu Schöttle, Anwaltliche Rechtsberatung via Internet, 203 ff.<br />
Siehe auch Härting, AnwBl 2005, 131 f.<br />
3 Zur Anwendung des TDDSG auf Internet-Rechtsberatung siehe Schöttle,<br />
BRAK-Mitt. 2004, 253 ff.<br />
4 So Abel, Datenschutz in Anwaltschaft, Notariat und Justiz, 2. Auflage 2003,<br />
5 f.; Auernhammer, AnwBl 1996, 517 ff.; Boecker, AnwBl 1996, 520 f.; Härting,<br />
AnwBl 2005, 131 f.; Redeker, AnwBl 1996, 512 ff.; Rüpke, AnwBl 2003,<br />
19 ff.; Schmittmann, Die Kanzlei 12/2002, 8 ff.; Schneider, AnwBl 2004,<br />
618 ff.; Zuck, AnwBl 1996, 549 ff.<br />
5 Abel, 8.<br />
6 § 4 g Abs. 1 BDSG.<br />
7 Allenfalls die Aufsicht der Anwaltskammer erfüllt eine der Aufsichtsbehörde<br />
ähnliche Funktion, vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 1 und 4 BRAO.<br />
8 Rüpke, AnwBl 2004, 554 f.<br />
9 Härting, AnwBl 2005, 131 f.; näher zu einzelnen Vorschriften Schöttle, 203 ff.<br />
10 Vgl. § 9 BDSG.<br />
11 Ebenso Schneider, AnwBl 2004, 553.<br />
12 Gola/Schomerus, BDSG, § 4 f, Rn. 12.
AnwBl 12/2005 741<br />
Aufsätze MN<br />
§ 4 f Abs. 2 BDSG verlangt, dass der Datenschutzbeauftragte<br />
die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche<br />
Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzt. Was diese Anforderungen<br />
im Einzelnen bedeuten, soll an dieser Stelle nicht<br />
vertieft werden. 13 Die Frage, ob ein externer Datenschutzbeauftragter<br />
mit der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht<br />
vereinbar ist, ist wohl zu verneinen, soll aber gleichfalls<br />
hier nicht näher ausgeführt werden. 14<br />
II. Die Aufsichtsbehörde<br />
Aufgabe der Aufsichtsbehörde ist es, als externe Kontrollinstanz<br />
über die Ausführung des Bundesdatenschutzgesetzes<br />
zu wachen, § 38 Abs. 1 BDSG. Die Aufsichtsbehörde<br />
wird durch die jeweilige Landesregierung<br />
bestimmt 15 und ist befugt, Geschäftsräume der überwachten<br />
Stelle zu betreten, dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen,<br />
insbesondere die gespeicherten personenbezogenen<br />
Daten und die Datenverarbeitungsprogramme<br />
einzusehen, § 38 Abs. 4 BDSG. Seit der Novelle des BDSG<br />
im Jahre 2001 sind auch anlassunabhängige Kontrollen<br />
möglich, hinreichende Anhaltspunkte für eine Verletzung<br />
des BDSG sind nicht mehr erforderlich.<br />
Für Rechtsanwälte problematisch ist die Einsichtnahme<br />
der Behörde in personenbezogene Daten. § 38 Abs. 4 S. 3<br />
BDSG sieht ausdrücklich vor, dass Daten, die einem Berufs-<br />
oder Amtsgeheimnis unterliegen, ebenfalls unter diese<br />
Regelung fallen. 16 Die Aufsichtsbehörde kann also anlassunabhängig<br />
die Kanzlei eines Anwalts betreten und Einsicht<br />
in die dort gespeicherten Daten verlangen. Dass diese<br />
Befugnisse im Widerspruch zum anwaltlichen Berufsgeheimnis<br />
stehen, muss nicht näher ausgeführt werden.<br />
1. Subsidiarität der Befugnis zur Dateneinsicht gegenüber<br />
anwaltlichem Berufsrecht?<br />
Rüpke löst den Konflikt über die Subsidiaritätsregelung<br />
des § 1 Abs. 3 BDSG. 17 Nach dieser Vorschrift bleibt die<br />
Verpflichtung zur Wahrung von Berufsgeheimnissen unberührt.<br />
Rüpke ist der Ansicht, dies lege eine restriktive Auslegung<br />
der Auskunftspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde<br />
nahe. Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht,<br />
die in § 43 a Abs. 2 BRAO Niederschlag gefunden hat, sei<br />
eine solche Verpflichtung im Sinne der Vorschrift. Das<br />
habe zur Folge, dass § 38 Abs. 4 S. 3 BDSG nicht entsprechend<br />
auf die Regelungen zur Auskunftspflicht anwendbar<br />
sei. Andernfalls sei der Anwalt der Exekutive gegenüber<br />
weit weniger geschützt als gegenüber gerichtlichen Untersuchungen.<br />
18<br />
Dieses Verständnis ist mit der Systematik des BDSG unvereinbar.<br />
§ 38 Abs. 4 S. 3 verweist über § 24 Abs. 6 auf<br />
§ 24 Abs. 2 Nr. 2 BDSG. Danach bezieht sich die Auskunftspflicht<br />
ausdrücklich auch auf Daten, die einem Berufsgeheimnis<br />
unterliegen. Diese spezielle Regelung würde<br />
leer laufen, wenn Berufsgeheimnisse über die allgemeine<br />
Vorschrift des § 1 Abs. 3 BDSG wieder von der Auskunftspflicht<br />
ausgenommen würden. Das widerspräche der Systematik<br />
und dem Zweck der beiden Vorschriften.<br />
2. Verletzung des Zitiergebots<br />
Soweit ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines<br />
Gesetzes eingeschränkt wird, muss das Gesetz das<br />
Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen, Art. 19<br />
Abs. 1 S. 2 GG. Rüpke ist der Ansicht, die Vorschrift des<br />
§ 38 Abs. 4 BDSG verletze das Zitiergebot und sei daher<br />
nichtig; verletzt sei das Grundrecht der Unverletzlichkeit<br />
der Wohnung. 19 Die Aufsichtsbehörde ist befugt, während<br />
der Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Geschäftsräume<br />
zu betreten und dort Prüfungen und Besichtigungen<br />
vorzunehmen, § 38 Abs. 4 BDSG. Doch ein Eingriff<br />
in den Schutzbereich des Art. 13 GG scheidet aus: 20<br />
Zwar fallen Betriebs- und Geschäftsräume unter seinen<br />
Schutz, 21 das gilt allerdings nur eingeschränkt. Gesetzliche<br />
Betretungs- und Besichtigungsrechte von Behörden tangieren<br />
den Schutzbereich des Art. 13 GG nicht, da sie lediglich<br />
ein Annex behördlicher Überwachungs- und Kontrollbefugnisse<br />
sind. 22 Folglich bedarf es auch keines Zitats<br />
nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG.<br />
3. Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung<br />
In Betracht zu ziehen ist allerdings eine Verletzung des<br />
Grundrechts, das die Grundlage des Datenschutzrechts<br />
schlechthin ist: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.<br />
23 Die Aufsichtsbehörde kann ohne konkreten Anlass<br />
Einsicht in sämtliche Daten nehmen, die der Mandant seinem<br />
Rechtsanwalt anvertraut hat. Dies stellt ohne Zweifel<br />
einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Position aus<br />
Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar.<br />
Die Qualität des Grundrechtseingriffs beurteilt sich nach<br />
dessen verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Die Anforderungen,<br />
die an eine solche Rechtfertigung gestellt werden,<br />
sind umso höher, je sensibler die betroffenen Daten sind. 24<br />
Das Bundesverfassungsgericht hatte 1972 in einem Beschluss<br />
über die Beschlagnahme von Krankenakten ohne<br />
den Willen des Betroffenen zu entscheiden. 25 Bereits damals<br />
hatte es festgestellt, dass derart sensible Daten grundrechtlich<br />
geschützt und damit einem staatlichen Zugriff entzogen<br />
sind. Die Rechtfertigung eines Eingriffs ließ das<br />
BVerfG unter engen Voraussetzungen zu: Nur wenn zwingende<br />
Belange des Gemeinwohls es geböten, müssten<br />
schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen<br />
zurücktreten.<br />
Wie sieht es im Fall der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörde<br />
aus? Die Regelungen der externen Datenschutzkontrolle<br />
dienen der effektiven Umsetzung und Einhaltung<br />
des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer<br />
bereichsspezifischer datenschutzrechtlicher Gesetze. 26<br />
Diese Aufsichtsfunktion mag zwar im Normalfall der Datenverarbeitung<br />
durch Private sinnvoll sein. Sie trägt jedoch<br />
besonderen Vertrauensverhältnissen – wie hier zwischen<br />
Mandant und Anwalt – keine Rechnung. Ein Großteil der<br />
13 Siehe dazu Schöttle, 210 ff.<br />
14 Auch dazu näher Schöttle, 212 f.<br />
15 § 38 Abs. 6 BDSG. Eine Übersicht der unterschiedlich ausgefallenen Kompetenzzuweisungen<br />
findet sich bei Gola/Schomerus, § 38, Rn. 29.<br />
16 § 38 Abs. 4 S. 3 i. V. m. § 24 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BDSG.<br />
17 Rüpke, AnwBl 2003, 21.<br />
18 Rüpke, AnwBl 2003, 21.<br />
19 Rüpke, AnwBl 2003, 21.<br />
20 Anders jedoch Zuck in: Abel, 34 f.<br />
21 Papier in: Maunz-Dürig, GG, Art. 13, Rn. 13.<br />
22 Papier in: Maunz-Dürig, Art. 13, Rn. 15; BVerfG, Entscheidung vom<br />
13.10.1971, 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 75.<br />
23 BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a., BVerfGE 65, 43 („Volkszählungsurteil“).<br />
24 Di Fabio in: Maunz-Dürig, Art. 2, Rn. 181.<br />
25 BVerfG, Beschluss vom 8.3.1972, 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373.<br />
26 Vgl. § 38 Abs. 1 BDSG.
742<br />
MN<br />
Vorschriften des BDSG ist auf die anwaltliche Tätigkeit<br />
nicht anwendbar. 27 Der Anwalt kann Daten erheben, die,<br />
was ihre Vertraulichkeit und ihren Umfang angeht, nicht<br />
mit denen zu vergleichen sind, die ein einfacher Handelsbetrieb<br />
im Rahmen seiner täglichen Geschäfte erheben darf.<br />
Eine Situation, in der gegen gesetzliche Erhebungsbefugnisse<br />
oder gegen den Willen des Mandanten Informationen<br />
gesammelt werden, ist kaum vorstellbar. Aufgrund dieser<br />
erheblichen Einschränkungen der Anwendbarkeit des<br />
BDSG hat eine Datenschutzaufsicht nahezu keinen Regelungsgehalt.<br />
28 Die Aufsichtstätigkeit würde sich größtenteils<br />
auf technisch-organisatorische Einzelheiten beschränken. 29<br />
Das Interesse des Staates an einer effektiven Datenschutzkontrolle<br />
ist allerdings nicht das einzige, welches<br />
hier in die Waagschale zu werfen ist. Auch der Mandant<br />
hat in vielen Fällen ein erhebliches Interesse am Schutz seiner<br />
Daten vor dem Zugriff der Aufsichtsbehörde, etwa im<br />
Fall der Strafverteidigung. Die anlassunabhängigen Kontrollrechte<br />
der Aufsichtsbehörde gehen erheblich weiter als<br />
die Befugnisse eines Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren,<br />
denn dieser benötigt eine richterliche Durchsuchungsanordnung.<br />
30<br />
Natürlich sind der Aufsichtsbehörde im Umgang mit<br />
den erhobenen Daten Grenzen gesetzt. § 38 Abs. 1 S. 2<br />
BDSG bestimmt, dass die Daten nur für Zwecke der Aufsicht<br />
verarbeitet und genutzt werden dürfen. Dennoch<br />
steckt in derart weitgehenden Machtbefugnissen auch ein<br />
Missbrauchspotenzial. Ob allein eine Zweckbindungsvorchrift<br />
einer zweckwidrigen Verwendung von Daten Einhalt<br />
gebieten kann, ist fraglich.<br />
Im Ergebnis kann die Abwägung von öffentlichen Interessen<br />
an einer Datenschutzaufsicht und dem Interesse des<br />
Bürgers an der Geheimhaltung seiner Informationen nur zu<br />
Lasten des BDSG ausfallen. Der Datenschutz wird zum<br />
bloßen Selbstzweck – wenn nicht gar in sein Gegenteil verkehrt<br />
–, wenn Informationen, die hoheitlichem Zugriff seit<br />
jeher aufgrund der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht<br />
entzogen waren, durch staatliche Aufsichtsbehörden eingesehen<br />
werden können, ohne dass im konkreten Fall eine<br />
Verletzung des Datenschutzrechts zu befürchten ist, geschweige<br />
denn überhaupt möglich wäre.<br />
4. Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit<br />
Neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung<br />
des Mandanten ist auch das Grundrecht der Berufsfreiheit<br />
des Rechtsanwalts verletzt. Die von Art. 12 GG geschützte<br />
anwaltliche Berufsausübung wird, so das Bundesverfassungsgericht,<br />
durch den „Grundsatz der freien Advokatur<br />
gekennzeichnet, der einer staatlichen Kontrolle und Bevormundung<br />
grundsätzlich entgegensteht“ 31 . Zur Unabhängigkeit<br />
des Rechtsanwalts von staatlichen Kontrollen führt das<br />
Gericht aus:<br />
„Es entspricht dem Rechtsstaatsgedanken und dient der<br />
Rechtspflege, dass dem Bürger schon aus Gründen der<br />
Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Verfügung<br />
stehen, zu denen er Vertrauen hat und die seine Interessen<br />
möglichst frei und unabhängig von staatlicher Einflußnahme<br />
wahrnehmen können.“ 32<br />
Die latente Gefahr jederzeitiger und anlassunabhängiger<br />
behördlicher Überprüfungen steht einer nachhaltigen Entwicklung<br />
eines Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant<br />
und Anwalt im Wege. 33 Es ist dem Anwalt dann nicht möglich,<br />
dem Mandanten gegenüber als Garant eigener staatlicher<br />
Unabhängigkeit aufzutreten, was mit seinem berufli-<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
chen Selbstverständnis letztlich nicht vereinbar ist. Dies<br />
stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit<br />
des Anwalts dar, der sich, angesichts des nur<br />
eingehschränkt anwendbaren BDSG, nicht mit der Notwendigkeit<br />
staatlicher Kontrollbefugnisse rechtfertigen lässt.<br />
5. Zwischenergebnis<br />
Ein vollständiger Verzicht auf eine Datenschutzkontrolle<br />
ließe zwar das Recht des Mandanten auf informationelle<br />
Selbstbestimmung unangetastet, würde aber den Datenschutz<br />
allein der Selbstkontrolle in der Kanzlei überantworten.<br />
Eine externe Prüfung kann jedoch sinnvoll sein, etwa<br />
um die Einhaltung organisatorischer Pflichten sicherzustellen,<br />
beispielsweise die Sicherung von Daten vor dem Zugriff<br />
durch Unbefugte.<br />
Eine zu begrüßende Lösung wäre es, die Datenschutzaufsicht<br />
in die Hand der Anwaltskammern zu legen. 34<br />
Schon vor einiger Zeit wurde vorgeschlagen, die BRAO um<br />
eine solche Regelung zu ergänzen 35 Ein einzufügender<br />
§ 50 a BRAO ermächtigt die Anwaltskammern, bei hinreichendem<br />
Missbrauchsverdacht die Datenverarbeitung und<br />
-nutzung eines Rechtsanwalts zu überprüfen. Wie auch in<br />
§ 38 BDSG wird der Anwaltskammer ein Besichtigungsund<br />
Prüfungsrecht eingeräumt. Eine Einsichtnahme in gespeicherte<br />
personenbezogene Daten setzt allerdings einen<br />
dringenden Missbrauchsverdacht voraus und ist nur nach<br />
Anordnung durch das Anwaltsgericht zulässig.<br />
Eine solche Regelung trägt sowohl den Belangen des<br />
Datenschutzes als auch dem Interesse des Mandanten an<br />
der vertraulichen Behandlung seiner Daten Rechnung.<br />
Durch das Erfordernis des Missbrauchsverdachts werden<br />
Routinekontrollen und damit unnötige Eingriffe in die<br />
Rechte der Mandanten vermieden. Die Einsetzung der Anwaltskammern<br />
als unabhängige Aufsichtsorgane lässt Missbrauchspotenziale<br />
durch staatliche Behörden gar nicht erst<br />
entstehen. Trotzdem bleibt eine effiziente Datenschutzkontrolle<br />
in begründeten Fällen möglich.<br />
Zwar ist § 50 a BRAO (immer) noch Zukunftsmusik,<br />
dennoch ist auch die derzeitige Regelung einzuschränken:<br />
In verfassungskonformer Auslegung greifen die Befugnisse<br />
der Aufsichtsbehörde zur Einsicht in personenbezogene Daten<br />
nicht, soweit ihnen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />
entgegensteht.<br />
III. Die Meldepflicht<br />
Nach § 4 d Abs. 1 BDSG haben nicht-öffentliche Stellen<br />
automatisierte Datenverarbeitungen vor ihrer Inbetriebnahme<br />
der zuständigen Aufsichtsbehörde zu melden. Von<br />
der Meldepflicht gibt es Ausnahmen bei Bestellung eines<br />
27 Näher dazu Schöttle, 203 ff.<br />
28 Das gilt auch für den Schutz von Daten Dritter. Auch hier ist eine Erhebung,<br />
Verarbeitung und Nutzung von Daten in großem Umfang zulässig, siehe<br />
Schöttle, 207 ff.<br />
29 Rüpke, AnwBl 2003, 25.<br />
30 Vgl. § 105 StPO. Zuck ist allerdings der Ansicht, auch im hier geschilderten<br />
Fall werde eine Durchsuchungsanordnung benötigt, Zuck in: Abel, 34 f.<br />
31 BVerfG, Beschluss vom 8.11.1978, 1 BvR 589/72, BVerfGE 50, 16, 29.<br />
32 BVerfG, Beschluss vom 8.3.1983, 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 284.<br />
33 So auch Rüpke, AnwBl 2003, 24; Rüpke, RDV 2003, 77 f.<br />
34 Ebenso Rüpke, AnwBl 2003, 21 ff.<br />
35 Siehe den Entwurf des BRAK-Rechtsausschusses in BRAK-Mitt. 1997, 16 ff.<br />
Zu einer neueren Fassung des § 50 a BRAO siehe Rüpke, AnwBl 2003, 25.
AnwBl 12/2005 743<br />
Aufsätze MN<br />
Datenschutzbeauftragten bzw. bei Datenverarbeitung in<br />
kleinen Betrieben. 36 Diese Ausnahmen gelten jedoch nicht,<br />
soweit automatisierte Verarbeitungen existieren, in denen<br />
geschäftsmäßig personenbezogene Daten zum Zweck der<br />
Übermittlung gespeichert werden, § 4 d Abs. 4 Nr. 1<br />
BDSG.<br />
Der Rechtsanwalt speichert die erhobenen Daten zunächst<br />
für den eigenen Gebrauch. Hat er einen Datenschutzbeauftragten<br />
bestellt, trifft ihn die Meldepflicht in<br />
diesem Fall nicht. 37 Doch folgt der internen Speicherung<br />
eine Übermittlung, sei es an den Gegner oder an das Gericht,<br />
dann bleibt es bei der Meldepflicht.<br />
Den Inhalt der Meldung bestimmt § 4 e BDSG. Zu melden<br />
sind Daten zur Identifikation der verantwortlichen<br />
Stelle, Zweckbestimmung der Datenverarbeitung, sowie<br />
Angaben zu betroffenen Personengruppen und den diesbezüglichen<br />
Daten. Was bedeutet das für den Rechtsanwalt?<br />
Die von ihm erhobenen Daten lassen sich angesichts der<br />
Vielfältigkeit anwaltlicher Tätigkeit nur schwer konkretisieren;<br />
es dürfte ein allgemeiner Hinweis auf die Anwaltstätigkeit<br />
genügen. Weiter anzugeben sind Regelfristen für<br />
die Löschung der Daten – etwa die Aufbewahrungsfrist für<br />
Handakten gem. § 50 Abs. 2 BRAO. Zuletzt ist über eine<br />
geplante Datenübermittlung in Drittstaaten zu informieren<br />
sowie über getroffene bzw. geplante Maßnahmen zur Datensicherung.<br />
IV. Die Vorabkontrolle<br />
Eine weitere Frage ist, ob der Rechtsanwalt den Regelungen<br />
zur so genannten Vorabkontrolle unterliegt. Die Vorabkontrolle<br />
soll zum einen die Zulässigkeit der Erhebung<br />
von besonders sensiblen Daten prüfen, zum anderen klären,<br />
wie den „besonderen Risiken“ durch organisatorische Maßnahmen<br />
begegnet werden kann. 38 Sie ist nach § 4 d Abs. 5<br />
Nr. 1 BDSG dann durchzuführen, wenn eine automatisierte<br />
Verarbeitung besondere Risiken für die Rechte und Freiheiten<br />
des Betroffenen aufweist. Das ist insbesondere bei der<br />
Verarbeitung „besonderer Arten personenbezogener Daten“<br />
der Fall. Sie sind in § 3 Abs. 9 BDSG definiert als Angaben<br />
über die rassische und ethnische Herkunft, politische<br />
Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen,<br />
Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben.<br />
Keine Vorabkontrolle ist erforderlich, wenn Datenverarbeitung<br />
eine gesetzliche Verpflichtung oder eine Einwilligung<br />
des Betroffenen zugrunde liegt oder wenn sie der Zweckbestimmung<br />
eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen<br />
Vertrauensverhältnisses mit dem Betroffenen dient,<br />
§ 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG.<br />
Es ist fraglich, ob der Anwalt dieser Regelung unterliegt.<br />
Der unbestimmte Rechtsbegriff des „besonderen Risikos“<br />
ist äußerst schwammig und nahezu beliebig interpretierbar.<br />
39 Angesichts der Bandbreite anwaltlicher Tätigkeit<br />
ist jedoch nicht auszuschließen, dass der Anwalt solche Daten<br />
erhebt. 40 Damit bestünde zunächst die Pflicht zur Vorabkontrolle.<br />
Der Ausnahmetatbestand des § 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG<br />
greift zumindest dann nicht, wenn Daten Dritter (etwa des<br />
Prozessgegners) erhoben werden. Eine Einwilligung wird<br />
in der Regel fehlen, ein Vertrag mit dem Dritten, dem die<br />
Erhebung dienen könnte, existiert nicht. Eine gesetzliche<br />
Verpflichtung zur Datenerhebung gibt es ebenso wenig. Es<br />
ist allerdings zu berücksichtigen, dass zahlreiche Einschränkungen<br />
des BDSG bei der Datenverarbeitung für den<br />
Rechtsanwalt nicht gelten. Er ist befugt, Informationen<br />
fremder Personen zu speichern, ohne dass es auf eine Interessenabwägung<br />
oder eine Zustimmung des Dritten ankäme.<br />
41 Dieser Fall wird von der Ausnahmevorschrift des<br />
§ 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG jedoch nicht erfasst. Die Regelung<br />
stellt zwar auf eine gesetzliche Pflicht zur Erhebung ab,<br />
lässt aber die bloße Befugnis außer Acht. Diesem Manko<br />
kann mit einer teleologischen Ausweitung des Ausnahmetatbestands<br />
begegnet werden: Wenn schon die Pflicht zur<br />
Erhebung von Daten von der Vorabkontrolle befreit, dann<br />
muss dies erst recht bei der bloßen Befugnis dazu gelten<br />
– letztere greift ja weitaus weniger in die Rechte des Betroffenen<br />
ein. Die derzeit existierende Regelung macht jedenfalls<br />
keinen Sinn: Eine Vorabkontrolle, die lediglich<br />
prüfen würde, ob ein Anwalt auch wirklich befugt ist, besonders<br />
vertrauliche Daten zu erheben, wäre eine bloße<br />
Formalie. Die Befugnis des Rechtsanwalts zur Erhebung<br />
vertraulicher Daten ist daher den Ausnahmetatbeständen<br />
des § 4 d Abs. 5 S. 2 BDSG gleichzustellen; eine Vorabkontrolle<br />
ist folglich nicht erforderlich.<br />
V. Fazit<br />
Die im Bundesdatenschutzgesetz verankerte Datenschutzkontrolle<br />
wird dem besonderen Vertrauensverhältnis<br />
zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten nicht gerecht,<br />
welches die Grundlage jeder anwaltlichen Tätigkeit<br />
bildet und zu dem der Umgang mit sensiblen Informationen<br />
gehört. Ob das BDSG insgesamt einen zu restriktiven Umgang<br />
mit personenbezogenen Daten vorsieht, soll an dieser<br />
Stelle nicht erörtert werden. Festzuhalten ist jedenfalls,<br />
dass das enge Korsett der Datenschutzaufsicht mit den Formen<br />
anwaltlicher Beratungstätigkeit in weiten Teilen unvereinbar<br />
ist.<br />
Nicht alle der daraus resultierenden Probleme lassen<br />
sich über die Subsidiaritätsregelung des BDSG lösen. Reibungspunkte<br />
gibt es insbesondere dort, wo eine solche<br />
Nachrangigkeit aufgrund ausdrücklicher Regelungen ausgeschlossen<br />
scheint; zu nennen ist das Verhältnis des<br />
Rechts der Aufsichtsbehörde auf Dateneinsicht zur Verschwiegenheitspflicht<br />
des Rechtsanwalts. Die derzeit gebotene<br />
Lösung der verfassungskonformen Auslegung des<br />
BDSG im Lichte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung<br />
des Mandanten kann dabei keine dauerhafte<br />
sein. An dieser Stelle ist der Gesetzgeber gefordert, den<br />
Konflikt zu entschärfen. Eine gute Möglichkeit wäre der<br />
Vorschlag, die Datenschutzaufsicht den Anwaltskammern<br />
zu übertragen.<br />
36 Vgl. § 4 d Abs. 2 und 3 BDSG.<br />
37 So auch Schneider, AnwBl 2004, 620.<br />
38 Gola/Schomerus, § 4 d, Rn. 17.<br />
39 Gola/Schomerus, § 4 d, Rn. 9.<br />
40 Schneider nennt als Beispiel arbeits- oder sozialrechtliche Fälle, Schneider,<br />
AnwBl 2004, 620 f.<br />
41 Ausführlich dazu Schöttle, 206 f.
744<br />
MN<br />
Ein bisschen Charme und<br />
Gelassenheit helfen<br />
Vom Umgang zwischen Anwälten und<br />
Journalisten *<br />
Dr. jur. Joachim Jahn, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter<br />
Allgemeinen Zeitung und Lehrbeauftragter der Universität<br />
Mannheim, Frankfurt/M.<br />
Die einen wollen rein, kommen aber nicht zum Zuge. Die<br />
anderen wollen nicht rein, hätten aber etwas zu sagen.<br />
Das Verhältnis von Anwälten und Journalisten ist immer<br />
noch ein schwieriges. Als Werbeinstrument wollen viele<br />
Anwälte die Medien gerne nutzen – doch wenn der Redakteur<br />
bei ihnen anruft, wird die Verschwiegenheit hoch gehalten.<br />
Der Beitrag gibt Einblicke in die journalistische<br />
Praxis – und kritisiert mit Charme und Gelassenheit Kanzleien<br />
und Anwälte. Der Autor betreut in der Frankfurter<br />
Allgemeinen Zeitung die Seite „Recht und Steuern“.<br />
I.<br />
Zum Glück brauchen (bislang) meist weder die lokalen<br />
noch die überregionalen Tageszeitungen einen Anwalt als<br />
Rechtsvertreter, wenn sie ihrer publizistischen Arbeit nachgehen.<br />
Die Kooperation erstreckt sich im Normalfall vielmehr<br />
auf die Berichterstattung über einzelne Fälle, über<br />
den Berufsstand der Anwälte und über deren Rechtsauskünfte.<br />
Und dass Anwälte und Journalisten zum Wohl des<br />
Gemeinwesens prächtig zusammen arbeiten können, wäre<br />
am ehesten Stoff für eine Sonntagsrede. Diese böte sicher<br />
manchen Anlass für Betrachtungen darüber, wie Medien<br />
ihre Themen nach ganz eigenen Gesetzen auswählen, wie<br />
viele von ihnen sie oft aufbauschen und über Gebühr personalisieren.<br />
Oder darüber, wie Anwälte geschickt Zeitungen,<br />
Funk und Fernsehen dafür einspannen, um Druck im<br />
Interesse ihrer Mandanten auszuüben – sei das nun der<br />
Strafverteidiger einer Mutter, die ihre Kinder umgebracht<br />
haben soll, oder eines Top-Managers. Oder (neuerdings) der<br />
Wirtschaftsanwalt, der einen Hedge-Fonds oder einen<br />
Großaktionär vertritt.<br />
Anwälte dürften sich aber eher für konkrete und praktische<br />
Hinweise von journalistischer Seite interessieren.<br />
Denn vor allem wissen sie natürlich, dass es für eine Kanzlei<br />
von Nutzen sein kann, wenigstens ab und zu in der<br />
Die Erwähnung in der Zeitung hilft<br />
(fast immer) Anwalt und Kanzlei<br />
Presse aufzutauchen, zumindest in den Wirtschaftsmedien<br />
– von der Berichterstattung über Niederlagen und Kunstfehler<br />
einmal abgesehen. Nach 15 Jahren im Journalisten-Beruf<br />
ist man wirklich frei von falsch verstandener Eitelkeit<br />
oder von einer Überschätzung der Rolle der Medien als<br />
„vierter Gewalt“. Aber wenn eine Sozietät ein distinguiertes<br />
Geschäftsmodell von Exklusivität und Diskretion praktizieren<br />
würde, nach dem sie möglichst niemals öffentlich<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
erwähnt werden wollte, hielte dies den möglichen Mandantenstamm<br />
doch ziemlich klein. Dass jüngst etwa das „Manager-Magazin“<br />
abermals zwei Anwälte zu den 50 wichtigsten<br />
Menschen der gesamten Wirtschaft in der<br />
Bundesrepublik gezählt hat, wird den beiden und ihren<br />
Partnern nicht abträglich gewesen sein. Und in Anwaltskreisen<br />
ist längst bekannt, welche „Einflugschneisen“ die<br />
Zeitungen für die Erwähnung einzelner Rechtsberater und<br />
Kanzleien bieten – viel mehr übrigens, als die elektronischen<br />
Medien dies mit ihrer Kürze, ihrer Hektik und<br />
Flüchtigkeit tun.<br />
II.<br />
Die „Einfallstore“ für Advokaten sind beispielsweise<br />
spektakuläre Fälle, in denen sie prominente Mandanten vertreten.<br />
Dazu gehören ferner Interviews, in denen sie als Experten<br />
um Auskunft gebeten werden. Das gilt nicht nur für<br />
die Erläuterung aktueller Rechtsstreitigkeiten, die gerade<br />
die Schlagzeilen beherrschen. Sondern das betrifft auch<br />
nützliche und geldwerte Tipps für Entscheider in den Betrieben<br />
oder für Verbraucher, Kapitalanleger und Steuerpflichtige<br />
– Lebenshilfe in Alltagsfragen. Gefragt sind<br />
ebenso Gastbeiträge, in denen Rechtsberater ein aktuelles<br />
Problem von seiner rechtlichen Seite beleuchten (und bei<br />
denen sie vielleicht noch zusätzlich im Foto abgebildet werden<br />
oder ihre Kontaktdaten mit abgedruckt werden). Eine<br />
Chance zur eigenen Publizität bieten schließlich Pressekonferenzen<br />
oder Hintergrundgespräche, in denen die Paragrafenkenner<br />
über die geschäftliche Entwicklung ihrer eignen<br />
Sozietät berichten.<br />
Nicht zu unterschätzen sind aber auch jene Gelegenheiten,<br />
bei denen die Advokaten zunächst im Hintergrund bleiben,<br />
weil sie schlicht einem Journalisten eine kleine<br />
Rechtsauskunft für einen aktuellen Bericht geben: etwa<br />
zum Aktienrecht, wenn eine turbulente Hauptversammlung<br />
bevorsteht. Das führt nicht immer gleich zu einem namentlichen<br />
Zitat. Noch unsichtbarer bleiben die rechtskundigen<br />
Freiberufler naturgemäß, wenn sie einem Reporter ein vertrauliches<br />
Papier weiter reichen. Das gibt es nicht selten,<br />
und das muss keineswegs einen Bruch ihres Berufsrechts<br />
oder der ethischen Regeln des journalistischen Berufsstands<br />
darstellen. Auch wenn die meisten Redakteure dabei nicht<br />
mit dem Scheckbuch wedeln können und wollen – ein<br />
Lohn winkt dennoch: Vielleicht ein halbes Jahr später,<br />
wenn kein Leser mehr den Kontext erahnt, wird der Informant<br />
beispielsweise aus Dankbarkeit in einer ganz anderen<br />
Angelegenheit zitiert werden. Bei manchen Artikeln ahnt<br />
niemand, warum sie in Wirklichkeit geschrieben worden<br />
sind – oder jedenfalls, nach welchen Kriterien die Gesprächspartner<br />
ausgewählt wurden. Und ein guter Journalist<br />
wird schon aus eigenem Interesse die verabredete Vertraulichkeit<br />
über seine Quelle wahren, weil er sonst selbst „verbrannt“<br />
ist und ihm niemand mehr etwas verraten wird.<br />
Sein Recht zur Verweigerung der Aussage ist bekanntlich<br />
ohnehin gesetzlich geschützt.<br />
Juristen und Journalisten, die im Berufsleben stehen,<br />
wissen natürlich längst, was hinter den Kulissen vor sich<br />
geht. Der Anwalt, der nur altruistisch für die Gerechtigkeit<br />
oder die Interessen seines Mandanten kämpft, ist genauso<br />
ein schöner Schein wie der Redakteur oder Reporter, der<br />
sich seine Themen, Gesprächspartner und Formulierungen<br />
* Überarbeitete Fassung eines Vortrags auf dem Europatreffen der State Capital<br />
Law Firm Group in Hamburg auf Einladung der Kanzlei Graf von Westphalen<br />
Bappert & Modest.
AnwBl 12/2005 745<br />
Aufsätze MN<br />
stets frei von persönlichen Beweggründen und Emotionen<br />
aussucht. Dennoch brauchen viele Anwälte immer noch<br />
eine Ermunterung, die möglichen Kanäle zur Öffentlichkeit<br />
auch tatsächlich zu nutzen. Oft ist erstaunlich, wie unprofessionell<br />
manche großen Sozietäten da immer noch agieren<br />
– und wie geschickt, geradezu ausgebufft manche anderen<br />
mittlerweile auf der Medienklaviatur spielen. Neben<br />
der Kenntnis von Alltags-Erfahrungen aus der Redaktionsstube<br />
mögen den weniger Geschickten da ein paar pragmatische<br />
Hinweise helfen. Verbunden mit einer Warnung vor<br />
jenen kleinen, im Endergebnis jedoch mitunter fatalen Fehlern,<br />
die Kanzleien und ihre so genannten Berater nicht selten<br />
machen.<br />
All diese Offenbarungen kommen keineswegs ohne Eigennutz.<br />
Denn eine Zeitungsseite wird nicht von alleine<br />
voll. Redakteure brauchen Themen, Informationen, Gesprächspartner.<br />
Und wenn sie überdies eine regelmäßig er-<br />
Kein Anwalt ist nur altruistisch – welcher<br />
Journalist ist nicht beeinflussbar?<br />
scheinende Spezialseite zu betreuen haben – und über eine<br />
solche verfügen mittlerweile fast alle bundesweiten Zeitungen<br />
für das Themenfeld Recht und Steuern –, brauchen sie<br />
obendrein fachkundige Gastautoren. Schließlich: Ein Journalist,<br />
der einen exklusiven Artikel oder auch nur einen besonders<br />
gut lesbaren Bericht zu einer komplizierten Materie<br />
geschrieben hat, wird von seiner Redaktionskonferenz gelobt.<br />
Helfen Sie ihm also dabei! Den meisten Menschen<br />
gilt die Juristerei nun einmal als eine Geheimwissenschaft.<br />
Ohne fachkundige Lotsen glauben sie sich im Gestrüpp von<br />
Paragrafen, Aktenzeichen und gefährlichen Fußangeln verloren.<br />
III.<br />
Aus purem Egoismus sollen Hinweise am Anfang stehen,<br />
was Schreiberlingen und Skribenten in den Redaktionen<br />
am meisten am Herzen liegt. Daraus lässt sich zugleich<br />
ersehen, wie ein Kontakt mit den Medien am besten nicht<br />
eingefädelt werden sollte. Das Problem eines etablierten<br />
Rechtsredakteurs ist nämlich sicher nicht, dass er zu wenig<br />
Anrufe oder E-Mails bekäme. Aber es sind nicht immer die<br />
richtigen, und vieles ließe sich wesentlich effektiver bewerkstelligen.<br />
Eine Grundsatzfrage für jede Kanzlei, die<br />
ihre Öffentlichkeitarbeit ausbauen will, ist dabei zunächst:<br />
Arbeiten wir mit einer externen Dienstleistungsagentur zusammen<br />
– oder bauen wir uns die entsprechenden Kompetenzen<br />
und Kapazitäten im eigenen Haus auf? Sicherlich<br />
haben beide Wege gute Argumente für sich. Entschieden<br />
werden sollte dies im Zweifel also nach betriebswirtschaftlichen<br />
Kriterien (oder, wenn die Entscheidung schon gefallen<br />
ist, später einmal hinterfragt werden).<br />
Die konkreten Erfahrungen mit PR-Agenturen gestalten<br />
sich allerdings im Durchschnitt deutlich schlechter als die<br />
mit sozietätseigenen Ansprechpartnern. Da bekommt man<br />
nicht selten von einer Agentur E-Mails mit Angeboten für<br />
Interviews oder Gastbeiträge, in denen es wörtlich heißt:<br />
„Der Autor wäre ein Anwalt aus einer der von uns betreuten<br />
renommierten Sozietäten.“ Das ist, mit Verlaub, der<br />
blanke Hohn. Als Redakteur hat man auch mit Beiträgen<br />
von Fremdautoren einen Ruf zu verlieren; da weiß man,<br />
was es heißt, wenn ein Text von einer Flut von Leserbriefen,<br />
E-Mails, Faxen und Telefonanrufen attackiert wird,<br />
weil der Verfasser einen groben Schnitzer gemacht hat.<br />
Deshalb ist das Mindeste, was ein Redakteur erwarten darf,<br />
dass er erfährt, welche Kanzlei ihm da angepriesen wird.<br />
Dass namhafte Sozietäten sich solch eine „Konfektionsware“<br />
überhaupt bieten lassen, lässt sich nur damit erklären,<br />
dass sie schlichtweg von derartigen Schnitzern nichts<br />
mitbekommen.<br />
Dies gilt gleichermaßen für den konkreten Autoren. Mit<br />
manchen Schreibern hat man nämlich so schlechte Erlebnisse<br />
gehabt, dass man nie wieder mit ihnen zusammenarbeiten<br />
möchte. Es ist übrigens verblüffend, wie einig sich<br />
da im konkreten Fall meist der kleine Kreis der in Betracht<br />
kommenden Rechtsredakteure ist. Schließlich tauschen<br />
auch sie – trotz aller Konkurrenz – ihre Erlebnisse untereinander<br />
aus und begegnen sich immer wieder auf einschlägigen<br />
Tagungen etwa von Anwaltsverein oder Anwaltskammer.<br />
Besonders ungünstig ist es obendrein, wenn eine<br />
solche Mail von Tippfehlern wimmelt: Schließlich liegt ein<br />
möglicher Nutzen für den Betreuer einer Rechtsseite aus<br />
der Zusammenarbeit mit PR-Profis in der Hoffnung, dass<br />
sie einen Text so übermitteln, dass er annähernd „1 : 1“ abgedruckt<br />
werden kann. Das entsprechende Vertrauen ist<br />
aber dahin, wenn schon die vorgelagerte Korrespondenz<br />
mit allen Regeln der Orthografie auf Kriegsfuß steht. Und<br />
ganz besonders fatal ist es, wenn einem etwa für einen bestimmten<br />
Termin ein Interview oder ein Gastbeitrag angetragen<br />
wird,<br />
Der Anwalt als Gastautor – Redaktionen<br />
lassen sich ungern für dumm verkaufen<br />
weil an jenem Tag angeblich der Europäische Gerichtshof<br />
entscheidet – obwohl in Wirklichkeit zu diesem Termin nur<br />
der Generalanwalt seinen Schlussantrag stellt. Auch wenn<br />
hier natürlich keine Namen genannt und keine Adressen angedeutet<br />
werden sollen – über all dies wäre keine Silbe zu<br />
verlieren, wenn man all das nicht etliche Male mit den<br />
Dienstleistern von Top-Kanzleien hätte erleben müssen.<br />
Nicht ganz ohne Grund setzen „Handelsblatt“ oder „Financial<br />
Times Deutschland“ auf ihren Rechtsseiten erkennbar<br />
zunehmend auf Journalisten statt Anwälte als Gastautoren<br />
auf ihren Rechtsseiten.<br />
IV.<br />
Aber auch der kanzleiinterne PR-Beauftragte ist zunächst<br />
nur ein Hoffnungswert. Bei der F.A.Z. etwa bekommt<br />
man täglich bis zu zehn Vorschläge für Gastbeiträge,<br />
von denen schon aus statistischen Gründen die<br />
allermeisten abgelehnt werden müssen. Der Platz reicht<br />
nun einmal nicht annähernd für alle geeigneten Bewerber<br />
und für alle interessanten Themen. Da ist es sehr hilfreich,<br />
wenn nicht jeder der paar hundert Anwälte einer jeden<br />
Wirtschaftskanzlei sich einzeln meldet, sondern wenn dies<br />
von der eigenen Pressestelle gebündelt wird. Das bietet<br />
dann auch die Chance, dass ein echter Sprach-Profi den<br />
Text bearbeitet, bevor der an die Zeitung weiter geleitet<br />
wird. Gegen den trockenen und drögen „Kanzleistil“ der<br />
Juristen sind mittlerweile in den führenden juristischen<br />
Fachverlagen etliche Ratgeberbücher für die Verfasser von<br />
Anwaltstexten erschienen.<br />
Zudem: Kein Tageszeitungsjournalist betreut seine<br />
Rechtsseiten als „full-time job“. Seine Zeit ist also entsprechend<br />
knapp – besonders nachmittags, wenn er selbst viel-
746<br />
MN<br />
leicht etwas Aktuelles über ein frisches Grundsatzurteil<br />
schreiben muss. Dann rückt unerbittlich der Redaktionsschluss<br />
heran. Oder wenn er – auch das bleibt den Fachredakteuren<br />
seit der Wirtschaftskrise nationaler Tageszeitungen<br />
nicht immer erspart – für ein paar Stunden in ein<br />
Großraumbüro umziehen und mithelfen muss, beispielsweise<br />
die allesamt gleichzeitig einlaufenden Texte der Auslandskorrespondenten<br />
zu redigieren. Von den Lesern, die zu<br />
wirklich jeder Tageszeit wegen ihrer privaten Rechtsfragen<br />
anrufen oder über die Steuerpolitik der Regierung diskutieren<br />
wollen, ganz zu schweigen.<br />
Ideal aus Mediensicht ist somit ein Ansprechpartner, der<br />
ein voll ausgebildeter Jurist und Journalist gleichzeitig ist.<br />
Der kennt die Arbeitsprozesse auf beiden Seiten und ist<br />
deshalb der optimale Intermediär. Er weiß, wie man eingängig,<br />
lesbar und verständlich schreibt. Er kann aber bei<br />
der Vermarktung auch kompetent erklären, worum es in<br />
dem avisierten Text gehen soll. All das hilft allerdings<br />
nichts, wenn er sich bei den Partnern seiner Sozietät nicht<br />
durchsetzen kann. Diese glauben nämlich als gestandene<br />
Wirt-<br />
Lesbar und verständlich schreiben –<br />
auch gestandene Anwälte scheitern<br />
schaftsanwälte oft, an ihren Texten wäre aus publizistischer<br />
Sicht rein gar nichts zu verbessern und schon gar nichts zu<br />
kürzen. Und ein Beitrag ließe sich gleichsam auf Geheiß in<br />
einer Zeitung „platzieren“. Gewiefte PR-Leute aus Kanzleien<br />
bitten dann übrigens schon einmal im Interesse ihres<br />
internen Standings ausdrücklich darum, einen solchen Text<br />
als „nicht abdruckfähig“ zurück zu schicken – als pädagogische<br />
Lektion für unbelehrbare Senior-Partner.<br />
Was rein gar nicht hilft, sind Ellenbogen-Methoden, mit<br />
denen es manche Anwälte gelegentlich höchstpersönlich<br />
am Telefon versuchen. Eine Zeitung ist zum Glück keine<br />
öffentlich-rechtliche Badeanstalt, die an das Gleichheitsgebot<br />
des Grundgesetzes gebunden wäre: Sie muss nicht jeden<br />
„reinlassen“. Und sie ist auch kein taff zu behandelnder<br />
Verhandlungspartner bei einer M&A-Transaktion. Beschwerden<br />
bei Vorgesetzten haben da noch nie etwas ausgerichtet,<br />
wenn jemand glaubte, der eigene Gastbeitrag sei<br />
für die Leser unverzichtbar, eine andere Kanzlei komme zu<br />
häufig ins Blatt oder nach dem eigenen (abgelehnten) Vorschlag<br />
eines Textes hätte die Redaktion nicht statt dessen<br />
ein Interview zu demselben (in der Luft liegenden) Thema<br />
mit einer wissenschaftlichen Kapazität führen dürfen.<br />
Ebenso nutzlos blieb das unverhohlene Angebot einer<br />
Geldzahlung. Wenig bringt es auch, eine ablehnende Mail<br />
quasi als Rechtsbehelfsbelehrung aufzufassen und postwendend<br />
dagegen an zu argumentieren. Es ist eigentlich<br />
schade, aber mittlerweile greift man als Redakteur deshalb<br />
immer mehr auf Textbausteine zurück und verzichtet auf<br />
eine inhaltliche Begründung für eine Absage, weil man für<br />
solchen Disput schlicht keine Zeit hat – auch wenn ein potenzieller<br />
Gastautor daraus vielleicht etwas hätte lernen<br />
können. Eine Tageszeitung ist eben keine wissenschaftliche<br />
Fachzeitschrift, wo ein Schriftleiter nichts anderes zu tun<br />
hat, als Autoren zu hegen und zu pflegen. Nicht förderlich<br />
ist auch die häufig aufgestellte (und nur gelegentlich zutreffende)<br />
Behauptung, ein anderer Gastautor oder eine Redaktion<br />
selbst habe irgendein Rechtsproblem dermaßen falsch<br />
dargestellt, dass nun prompt ein korrigierender „Gegenbeitrag“<br />
durch den Einsender zu publizieren sei.<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Aufsätze<br />
Ein bisschen Charme und Gelassenheit helfen jedenfalls<br />
überall im Leben eher weiter als die Penetranz eines Staubsaugervertreters.<br />
Diese begegnet einem selbst bei namhaften<br />
Anwälten, die gelegentlich aus dem Auto heraus mit ihrem<br />
knacksenden Handy anrufen oder über ihre Sekretärin<br />
auf dem Anrufbeantworter der Redaktion ohne nähere Angaben<br />
einen Rückruf erbitten lassen. Wenig effektiv ist es<br />
aber auch, wenn eine Kanzleiangestellte im Auftrag ihres<br />
Chefs anruft, um dem Redakteur ein Thema schmackhaft<br />
zu machen.<br />
Keinen besonders guten Eindruck macht es, wenn ein<br />
neuer Kanzleibeauftragter seinen Antrittsbesuch mit der<br />
Bitte verbindet, ihm doch einmal eine Rechtsseite der Zeitung<br />
zu zeigen. Ist die Vorstellung wirklich so abwegig,<br />
dass er sich das Presseorgan schon einmal anschaut, bevor<br />
er sich nach langfristiger Terminvereinbarung auf die weite<br />
Fahrt in dessen Redaktion macht? Wenig Erfolg verspricht<br />
es auch, stets prompt jene Themen anzubieten, die man an<br />
demselben Vormittag gerade auf den Rechtsseiten anderer<br />
Tageszeitungen entdeckt hat. Der Redakteur könnte sogar<br />
ein wenig in seinem Stolz verletzt sein, wenn er selbst dasselbe<br />
Thema bereits in der Woche zuvor groß rausgebracht<br />
hat. Gehen diese Kanzleien eigentlich genauso geschickt<br />
auch auf Mandanten-Akquise? Und zumindest nicht sonderlich<br />
elegant ist es, wenn in einer Mail die angeschriebene<br />
F.A.Z. als das bestmögliche Forum für einen Gastbeitrag<br />
oder ein Interview angepriesen wird, das Attachment aber<br />
beispielsweise „boersenzeitung.doc“ heißt. Unangebracht<br />
wirken auch Schreiben mit Fristsetzung und Aktenzeichen,<br />
als wäre die Redaktion der eigene Mandant oder ein Beklagter.<br />
Über die Länge eines Beitrags verhandeln zu wollen,<br />
ist überdies Journalisten gegenüber, denen von der Lay-<br />
Out-Abteilung im eigenen Haus mittlerweile klare<br />
Vorgaben für die Gestaltung ihrer Seiten gemacht werden<br />
(„Form vor Inhalt“), eine schlichte Zumutung.<br />
Die Medien interessieren sich beileibe nicht nur für populistische<br />
Sex- und Crime-Fälle – selbst Feinheiten des<br />
Sozialrechts haben manchen Anwalt in die Nachrichtenspalten<br />
gebracht. Doch Themenvorschläge sollten vom Advokaten<br />
selbst kommen; pauschale Anfragen nach etwaigen<br />
Arbeitsaufträgen führen wohl nie zum Erfolg. Wenig effektiv<br />
ist es auch, Gastbeiträge oder Stellungnahmen zu aktuellen<br />
Rechtsfragen mit einem aufwendigen Mechanismus der<br />
Autorisierung von Zitaten oder Redigaturen zu verbinden.<br />
So berechtigt diese Wünsche zur Vermeidung journalistischer<br />
Fehler wahrlich sein können, müssen sie doch in ihrer<br />
Umsetzung mit dem knappen Zeitbudget und dem Aktualitätsdruck<br />
eines tagesaktuellen Mediums vereinbar sein –<br />
und sollten daher nicht jedes Komma mit erfassen. Vor allem:<br />
Nicht jede inhaltliche Eventual-Absicherung und Ausnahmeklausel<br />
lässt sich in einem lesbaren Zitat mit übermitteln.<br />
Den berüchtigten „Kanzleistil“ werden Journalisten<br />
ihren Lesern, redigierenden Kollegen und Ressortleitern<br />
ohnehin nicht vermitteln können.<br />
V.<br />
Soweit dazu, wie man als Experte mit seinen Themen in<br />
die Zeitung kommt und wie nicht. Vielleicht bringen diese<br />
Erfahrungsberichte manchen ein wenig zum Schmunzeln.<br />
Wie steht es nun mit der Kanzlei als Wirtschaftsunternehmen,<br />
mit dem Anwaltsstand als Branche? Auch das ist zunehmend<br />
ein Fall für die Wirtschaftspresse – auch in<br />
Deutschland, wo das Bundesverfassungsgericht vor knapp<br />
20 Jahren die strengen Richtlinien der Zunft kassiert hat.
AnwBl 12/2005 747<br />
Aufsätze MN<br />
Europaweit und sogar transatlantisch schließen sich seither<br />
Kanzleien zusammen – sei es durch Fusionen oder zu Netzwerken.<br />
Dass dabei richtig große Firmen heraus kommen<br />
mit immensen Umsätzen und einer spannenden Tätigkeit,<br />
haben angelsächsische Medien sehr viel eher begriffen als<br />
kontinental-europäische. Dass aber auch Deutschland hier<br />
publizistisch den Anschluss gewonnen hat, hat zu allererst<br />
das Magazin „Juve“ gezeigt.<br />
Hinzu kommt die voran schreitende Verrechtlichung des<br />
Wirtschaftslebens, die von der Europäischen Union noch-<br />
Anwälte und ihre Branche sind längst selbst<br />
Thema der Wirtschaftspresse<br />
mals beschleunigt wird. Ein Zeitungsbericht beispielsweise<br />
über eine Firmenfusion ist in der Qualitätspresse kaum<br />
noch denkbar, ohne dass zahlreiche Anwälte und zusätzlicheine<br />
Handvoll von Professoren die Rechtsregeln erläutern.<br />
Dies kommt dem Aufmerksamkeitswert der gesamten<br />
Beraterbranche ebenfalls zugute. Und schließlich ist die<br />
Anwaltschaft ein ziemlich großer Berufsstand mit hohem<br />
Bildungsniveau, den Qualitätszeitungen deshalb gern als<br />
Leser für sich gewinnen möchten. Und wer liest ein Blatt<br />
emsiger als jemand, der dort ab und zu etwas über sich<br />
selbst oder – wichtiger noch – seine Konkurrenten entdeckt?<br />
Einigermaßen langsam entwickelt sich allerdings in<br />
Deutschland noch eine Einrichtung, die in anderen Wirtschaftszweigen<br />
völlig normal ist: die jährliche Bilanz-Pressekonferenz.<br />
Noch längst nicht alle größeren Sozietäten haben<br />
diese etabliert. Mitunter war der publizistische Output<br />
vielleicht auch enttäuschend, weil das Berufsrecht die Nennung<br />
von Zahlen verbot. Das war für jeden echten Wirtschaftsredakteur<br />
ein großes Handicap. Wenn jede Kanzlei<br />
aber nur erklärt: „Wir wollen aus eigener Kraft weiter<br />
wachsen, Fusionen und Übernahmen sind jedoch auch nicht<br />
ausgeschlossen“, ist das wenig bedeutsam. Trotzdem haben<br />
manche Praxen durchaus die Möglichkeit gefunden, sich zu<br />
profilieren und eigene Botschaften an Tageszeitungen auszusenden.<br />
Zudem hat kürzlich die Kanzlei Rödl ein (rechtskräftiges)<br />
Urteil erstritten, nach dem sie mit ihren Umsätzen<br />
werben darf. Dazu hat zwar<br />
Wenn „Deal-Meldungen“ und Personalien<br />
zur Plage werden ...<br />
noch nicht der Bundesgerichtshof das letzte Wort gesprochen,<br />
immerhin hat aber schon ein Oberlandesgericht entsprechend<br />
entschieden. Andere wie Clifford Chance schließen<br />
sich nun vorsichtig an. Ob man für so etwas zu einer<br />
offiziellen Pressekonferenz einladen sollte oder zu einem<br />
gemeinsamen Hintergrundgespräch mit mehreren Medien<br />
beim Mittagessen oder aber nach und nach Einzelgespräche<br />
mit der Handvoll bundesweit in Betracht kommender Presseleute<br />
veranstalten sollte, ist dagegen zweitrangig.<br />
Weniger von Bedeutung ist für Tageszeitungen allerdings<br />
das, was sie besonders häufig als E-Mail bekommen<br />
– die ewigen „Deal-Meldungen“ (Original-Beispiel einer<br />
Top-Kanzlei: „Katjes übernimmt von Ragolds Lizenz zur<br />
Herstellung von Granini-Bonbons“) und die Personalien<br />
über neue Partner, über Aussteiger, Einsteiger und Bürowechsler.<br />
Die meisten dieser Nachrichten über Firmen-<br />
Transaktionen hätten die Medien allenfalls interessiert, bevor<br />
sie von den Mandanten selbst bekannt gegeben worden<br />
sind. Dass Anwälte da nicht vorpreschen können, versteht<br />
sich von selbst. Doch damit sind diese Meldungen „Schnee<br />
von gestern“, wenn sie die Presse erreichen. Ganz gelegentlich<br />
bringen zwar einzelne Tageszeitungen doch einmal<br />
eine solche Nachricht. Das steht aber ganz und gar in keinem<br />
Verhältnis zu der Dimension, in der sie ständig mit<br />
solchen Presseerklärungen bombardiert werden. Ein radikales<br />
Plädoyer dafür, ganz von den Verteilern gestrichen zu<br />
werden, wäre übertrieben. Aber zumindest bombastische<br />
Ankündigungen wie „Frei zur sofortigen Veröffentlichung“<br />
sollten einem erspart bleiben. Oder die Lästigkeit, dass man<br />
oft nicht aus der Betreff-Zeile der Mail, sondern erst durch<br />
weiteres Herum-Klicken erkennen kann, worum es jeweils<br />
geht. Dann entwickelt sich das Ganze zu einer echten<br />
Plage.<br />
VI.<br />
Eine Gelegenheit zur Positionierung bringt schließlich<br />
die Berichterstattung über Entwicklungen, die die gesamte<br />
Branche betreffen. Die Lage der Anwaltschaft bietet<br />
schließlich Stoff für Reportagen und Nachrichten im Überfluss:<br />
Nach der Fusionswelle kam die Ernüchterung. Anwaltskanzleien<br />
näherten sich Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
an und nabelten sich nach dem<br />
Sarbanes-Oxley-Act wieder von ihnen ab. Der Berufsstand<br />
wächst und wächst – und unternimmt dennoch enorme Anstrengungen,<br />
um gute Nachwuchskräfte zu rekrutieren.<br />
Symbiose zum beiderseitigen Nutzen –<br />
das sollte das Ziel sein<br />
Der Anwaltsmarkt erhält Konkurrenz aus Nachbarberufen,<br />
und zumindest die rot-grüne Bundesregierung wollte das<br />
Quasi-Monopol der Anwälte im Einklang mit der Rechtsprechung<br />
des Bundesverfassungsgerichts weiter lockern.<br />
Die Honorarvorschriften hatte sie bereits liberalisiert. Aus<br />
Brüssel weht den Standesregeln in ganz Europa der (wenngleich<br />
derzeit abflauende) Wind der Deregulierung ins Gesicht.<br />
Eine Aufspaltung des Berufsstandes zeichnet sich ab.<br />
Die deutschen Anwaltsorganisationen kämpfen für die Interessen<br />
ihrer Gilde – und sind dennoch in wesentlichen<br />
Punkten wie der Aus- oder Fortbildung untereinander zerstritten.<br />
Da wäre es ein Jammer, wenn sich einzelne Anwälte<br />
und Kanzleien nicht stärker einmischen würden. Nicht nur,<br />
um die Interessen ihrer Zunft offensiv zu vertreten. Sondern<br />
auch, um diese vielen Themen, die sozusagen auf der<br />
Straße herumliegen, für sich persönlich zu nutzen: dafür,<br />
dass sie als konkreter Anbieter von Rechtsdienstleistungen<br />
in die Medien kommen. Ohne Anregungen aus der Praxis<br />
gingen die besten Geschichten an den Journalisten vorbei.<br />
Und die Zeitungen blieben langweilig, würden sie nur mit<br />
„B-Themen“ gefüllt. Das Verhältnis zwischen Juristen und<br />
Journalisten ist, wenn es sich ordentlich entfaltet, eine Symbiose<br />
zum beiderseitigen Nutzen. Advokaten sollten diese<br />
botanische Besonderheit zum Wachsen und Blühen bringen.
748<br />
MN KOMMENTA R<br />
Mit Rat und vor<br />
allem mit Tat –<br />
weil es nötig ist<br />
Rechtsanwalt Micha Guttmann, Köln, Vorsitzender<br />
des Kuratoriums der DAV Stiftung<br />
contra Rechtsextremismus und Gewalt.<br />
Sie sind nicht im Bundestag und<br />
sie haben keine Chancen, Einfluss auf<br />
wichtige politische Entscheidungen zu<br />
nehmen. Die Rechtsextremisten gehören<br />
zu den eindeutigen Verlierern der<br />
Bundestagswahl. Dies ist ein gutes Ergebnis,<br />
das in der Analyse der Experten<br />
und der Kommentatoren in den<br />
Medien viel zu kurz kam.<br />
Doch beruhigen darf uns dieses Ergebnis<br />
nicht. Denn in einigen Landesparlamenten<br />
und einer Reihe von<br />
Kommunen sind sie weiter vertreten.<br />
Auch wenn sie ihren öffentlichen Auftritt<br />
verändert haben und heute nicht<br />
mehr in Springerstiefeln, sondern mit<br />
Anzug und Krawatte auftreten, bleibt<br />
doch, dass Programm und Personen<br />
des gesamten rechtsextremen Spektrums<br />
unserem demokratischen und<br />
auf Toleranz beruhenden Staats- und<br />
Gesellschaftsverständnis diametral entgegen<br />
stehen. Und ihre menschenverachtenden<br />
Thesen haben immer noch<br />
Erfolg – mehr als wir ahnen und aus<br />
den Medien erfahren.<br />
Die Meldungen stehen zwar nur<br />
noch selten auf der ersten Seite der Tageszeitungen.<br />
Und in den Fernseh-<br />
Gegen Rechtsextremismus<br />
und Gewalt – Anwälte<br />
engagieren sich<br />
Nachrichtensendungen erscheinen sie<br />
überhaupt nicht mehr. Doch die gewalttätigen<br />
Übergriffe sind nicht weniger<br />
geworden und die Vorfälle gehören<br />
heute schon fast zum Alltag, so dass<br />
wir sie so richtig kaum noch zur<br />
Kenntnis nehmen: Mit der Frage „Was<br />
willst Du Neger hier?“, schlagen nach<br />
einem Diskothekenbesuch sechs junge<br />
Männer einen Sudanesen zusammen<br />
und verletzen ihn schwer. Mehrere Jugendliche<br />
bespucken in der Bahn einen<br />
Mann aus Angola, greifen ihn tätlich<br />
an und verletzen ihn am Kopf und<br />
am Brustkorb. Und eine junge Studentin<br />
– Deutsche, Tochter eines äthiopischen<br />
Vaters und einer deutschen<br />
Mutter – wird zum zweiten Mal wegen<br />
ihrer Hautfarbe Opfer brutaler Gewalt,<br />
als sie mit ihrer Mutter in der<br />
Berliner S-Bahn fährt. „Du Scheißausländer“<br />
hört sie noch, dann trifft sie<br />
eine 1,5 Literflasche am Kopf. „Die<br />
Erfahrung, ganz allein zu sein, ist am<br />
schlimmsten“, sagt die junge Frau<br />
nach der brutalen Tat.<br />
Menschenverachtende Vorfälle dieser<br />
Art können und dürfen Anwälte<br />
nicht abseits stehen lassen, gerade<br />
weil sie sich als Teil der dritten Gewalt<br />
verstehen, deren Aufgabe es ist, hier<br />
lebenden Menschen Schutz vor Willkür<br />
und Gewalt zu garantieren. Hier<br />
wollen, hier müssen wir helfen. Der<br />
Deutsche Anwaltverein hat deshalb<br />
die „DAV Stiftung contra Rechtsextremismus<br />
und Gewalt“ gegründet. Sie<br />
hilft den Opfern, anwaltlichen Rat zu<br />
bekommen. Die Stiftung legt großen<br />
Wert darauf, dass die Gewaltopfer einen<br />
Anwalt ihres Vertrauens wählen<br />
können. Wer weiß es besser als An-<br />
AnwBl 12/2005<br />
wälte, dass Menschen, die Opfer von<br />
Gewalt wurden, Vertrauenspersonen<br />
dringend benötigen. Gerade weil die<br />
Betroffenen sich oft kaum artikulieren<br />
können und auch keine Erfahrungen<br />
mit unserem Justizsystem haben, ist es<br />
wichtig, dass Anwälte beraten und Nebenklagen<br />
vertreten – und letztlich<br />
auch zivilrechtliche Ansprüche geltend<br />
machen. Vor allem aber: Die Anwaltschaft<br />
sorgt mit der Stiftung dafür,<br />
dass die Opfer schnell und ohne bürokratische<br />
Hürden den notwendigen<br />
Rechtsbeistand erhalten können.<br />
Die Stiftung trägt die Kosten, wenn<br />
es keine gesetzliche Kostenübernahme<br />
gibt. Ein Kuratorium überprüft die Vorgänge.<br />
Der DAV hat der Stiftung einen<br />
Grundbetrag von 51.000 E zur Verfügung<br />
gestellt. Doch die Erträge reichen<br />
für die zahlreichen Anfragen<br />
nicht aus. Die Stiftung ist auf Spenden<br />
und Zahlungen aus Auflagen angewiesen.<br />
So können auch die Gerichte über<br />
§ 153 a Strafprozessordnung die Not<br />
der Opfer extremistischer Gewalt lindern.<br />
Wir würden es begrüßen, wenn<br />
die Gerichte hiervon verstärkt Gebrauch<br />
machen.<br />
Doch die Stiftung ist mehr als nur<br />
ein juristisches Konstrukt, das Gelder<br />
verwaltet und finanzielle Hilfen zur<br />
Verfügung stellt. Die DAV Stiftung ist<br />
Beweis dafür, dass Anwälte sich für<br />
eine wehrhafte Gesellschaft engagieren,<br />
die nicht dulden wird, dass rechtsextremistische<br />
Gewalttaten für uns<br />
zum Alltag gehören. Die im Deutschen<br />
Anwaltverein organisierten Anwälte<br />
wollen daher bewusst nicht wegschauen<br />
und die Opfer mit sich allein<br />
lassen: Sie wollen vielmehr, dass in<br />
Deutschland lebende Menschen wissen,<br />
dass Anwälte in vorderster Linie<br />
stehen, wenn es darum geht, sich in<br />
unserer Gesellschaft öffentlich und aktiv<br />
für Toleranz und gegen Gewalt zu<br />
engagieren.<br />
Setzen auch Sie ein Zeichen<br />
Das Engagement der gemeinnützigen<br />
„DAV Stiftung contra Rechtsextremismus<br />
und Gewalt“ können<br />
Sie mit Ihrer Spende unterstützen:<br />
Dresdner Bank Bonn,<br />
Konto-Nr. 2 078 296 01,<br />
BLZ 370 800 40.
AnwBl 12/2005 749<br />
THEMA<br />
Sag mir, wo die Millionen<br />
sind! Wo sind sie geblieben?<br />
Was „Opferanwälte“ in Großschadensfällen<br />
angekündigt und was sie erreicht haben<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Ronald Schmid, Frankfurt am Main<br />
Über die Amerikanisierung des Anspruchsdenkens hatte<br />
der Autor in AnwBl 2003, 672 geschrieben. In diesem Beitrag<br />
schildert er, was aus den häufig vollmundigen Ankündigungen<br />
der Rechtsanwälte geworden ist.<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt in<br />
Frankfurt am Main und Honorar-Professor<br />
für Luftverkehrsrecht<br />
und Reiserecht an den<br />
Technischen Universitäten<br />
Darmstadt und Dresden.<br />
I. Einleitung<br />
Was haben Djerba, Erfurt, Eschede, Ramstein und Kaprun<br />
gemeinsam? Sie stehen als Synonym für Anschläge<br />
auf menschliches Leben oder Unfälle, die viel Leid gebracht<br />
haben. Mit diesen Namen verbindet der Fachmann<br />
aber auch Versprechen von „Opferanwälten“, die in allen<br />
Fällen den Hinterbliebenen hohe Schadensersatz- und<br />
Schmerzensgeldansprüche („Forderungen in Millionenhöhe“)<br />
in Aussicht gestellt haben. Dabei wird – aus Unwissenheit<br />
oder bestimmten Kalkül heraus – auch mit abwegiger<br />
Begründung ein künstlicher Anknüpfungspunkt<br />
gesucht, um Zugang zur US-amerikanischen Justiz zu finden,<br />
obwohl dies bei sachkundiger Betrachtung häufig nicht<br />
möglich ist.<br />
Ich will hier nicht erneut1 zweifelhafte Aktionen bestimmter<br />
Anwälte kritisieren. Es scheint mir jedoch an der<br />
Zeit, einmal sachlich, aber kritisch zu beleuchten, was versprochen<br />
und was erreicht wurde. Zweck des Beitrages ist<br />
es, deutlich zu machen, dass es leicht ist, einen Prozess in<br />
den USA anzukündigen, es aber um ein Vielfaches schwerer<br />
ist, dieses auch erfolgreich zu tun. Und dass es nicht immer<br />
zum Vorteil der Geschädigten gereichen muss, mit der<br />
Klage in den USA zu drohen, wenn nicht ein klarer Anknüpfungspunkt<br />
an das US-Rechtssystem gegeben ist. 2<br />
Denn einen Rechtstreit erfolgreich vor einem US-Gericht<br />
zu führen, bedarf besonderer Kenntnisse. 3<br />
II. Sieben exemplarische Fälle<br />
1. Die Flugschau-Katastrophe von Ramstein am 28.8.1988<br />
Mehr als zehn Jahre nach der Flugschau-Katastrophe in<br />
Ramstein (Pfalz) haben im April 2001 zwei deutsche Anwälte,<br />
die nach ihren Angaben 84 der Verletzten und Hin-<br />
MN<br />
terbliebenen vertraten, in einem Interview verbreitet, dass<br />
sie die Vereinigten Staaten als für die Durchführung der<br />
Flugschau auf der US-amerikanischen Airbase Verantwortliche<br />
auf Schadensersatz in Höhe von 50 Mio. DM verklagen<br />
wollten – natürlich in den USA. 4 Nur ein halbes Jahr<br />
später war dann in der Presse5 zu lesen, dass (nur) Klagen<br />
gegen die Bundesregierung vor dem LG Koblenz eingereicht<br />
wurden. Und für die posttraumatischen Verletzungen<br />
und seelischen Störungen wurden nunmehr in fünf exemplarischen<br />
Klagen (nur) 100.000 DM pro Opfer eingeklagt,<br />
obwohl ersichtlich war, dass die Ansprüche verjährt waren<br />
bzw. einige der Opfer schon Abfindungserklärungen unterschrieben<br />
hatten. Dem Hinweis der Richter, dass nach dem<br />
NATO-Truppenstatut Ansprüche auf Schadensersatz spätestens<br />
nach drei Jahren angemeldet werden mussten, begegnete<br />
der Klägeranwalt mit dem Argument, dass die psychischen<br />
Spätfolgen erst in den Jahren 1998 und 1999<br />
eingetreten seien. 6<br />
Noch am 28. August 2003 kündigte einer der beiden<br />
Opferanwälte an, „notfalls vor dem OLG Koblenz oder in<br />
den USA weiter zu klagen, wenn das Landgericht die Entschädigung<br />
versagt“. 7 Gefordert wurden laut diesem Pressebericht<br />
übrigens inzwischen fünf Mio. EUR für rund 100<br />
Betroffene.<br />
Am 4. September 2003 wurden dann die Klagen abgewiesen,<br />
weil die Forderungen bereits verjährt waren. 8 Am<br />
Tag der Urteilsverkündung wurde wiederum angekündigt,<br />
man werde „erneut eine Schadensersatzklage in den USA<br />
prüfen“. 9 Die dann beim OLG Koblenz zunächst eingelegte<br />
Berufung hat der Klägeranwalt zurückgezogen, weil sie<br />
„nur wenig Erfolgsaussichten“ habe. Auch die zunächst erwogene<br />
Klage in den Vereinigten Staaten von Amerika<br />
habe nur „geringe Aussichten auf Erfolg“. 10 Der Einschätzung<br />
kann nicht widersprochen werden. Man fragt sich allerdings,<br />
warum diese Erkenntnis erst jetzt gekommen ist.<br />
2. Der ICE-Unfall bei Eschede am 3.6.1998<br />
Auch nach dem Unfall des ICE 884 am 3. Juni 1998 bei<br />
Eschede, bei dem insgesamt 101 Menschen ums Leben gekommen<br />
und 105 weitere verletzt worden waren, hat ein<br />
deutscher Anwalt der Deutschen Bahn eine Klage in den<br />
USA in Aussicht gestellt. 11 Der von ihm zugezogene US-<br />
Anwalt drohte dann kurz darauf, „Schadensersatzzahlun-<br />
1 Siehe dazu z. B. Schmid, Anwalt 2001, 6 ff.; AnwBl. 2003, 672 ff.; Anwaltsrevue<br />
(Schweiz) 2004, 149 ff. Siehe auch Die Welt vom 14.3.2203 („Opferanwälte<br />
– eine neue Plage“).<br />
2 So z. B: im Fall Concorde durch Art. 28 WA.<br />
3 Allgemein dazu: Koch, in: Koch/Willingmann, Modernes Schadensmanagement<br />
bei Großschäden (Baden-Baden 2002), S. 23 ff.; Klicka, VersR 2001, 173<br />
= ZVR 2002, 182; Willingmann, in: Koch/Willingmann, Modernes Schadensmanagement<br />
bei Großschäden (Baden-Baden 2002), S. 15 ff.<br />
4 Rhein-Zeitung vom 15.4.2001; Tagesspiegel (Berlin) vom 15.4.2001.<br />
5 Berliner Zeitung vom 26.10.2001 (Rubrik Vermischtes).<br />
6 AP-Meldung vom 31.1.2002, 11:14 Uhr.<br />
7 Jutta Steinhoff, in: Frankfurter Neue Presse vom 28.8.2003.<br />
8 ZLW 2004, 277.<br />
9 AP-Meldung in: Stuttgarter Nachrichten vom 4.9.2003.<br />
10 Siehe FAZ vom 2.3.2004, S. 11.<br />
11 Mannheimer Morgen vom 21.2.2002; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom<br />
3.9.2002, S. 9.
750<br />
MN<br />
gen in Milliardenhöhe“ zu erstreiten, wenn sich die Deutsche<br />
Bahn nicht außergerichtlich einige. Für eine solche<br />
Vereinbarung erwarte er zwei bis vier Millionen USD (ca.<br />
1,8 – 3,7 Mio. EUR) für jedes der 100 bis 200 Opfer. 12<br />
Als dann das LG Berlin am 18. September 2002 die<br />
Klage von sechs Familienangehörigen von Opfer auf Zahlung<br />
von je 125.00 EUR Schmerzensgeld abwies, weil die<br />
bereits erfolgte Zahlung von ca. 15.000 EUR als ausreichend<br />
angesehen wurde, kündigten die Rechtsvertreter wiederum<br />
an, dass sich die deutschen Hinterbliebenen an eine<br />
Anfang August vor einem New Yorker Gericht zugelassene<br />
Klage einer US-Amerikanerin anhängen könnten. 13 Dass<br />
auch ein US-Gericht nicht unberücksichtigt lassen würde<br />
und könnte, dass ein Rechtstreit bereits andernorts anhängig<br />
ist, wurde nicht weiter bedacht.<br />
Im Juni 2003 forderte der US-Anwalt die Bundesregierung<br />
auf, einen Opferfonds einzurichten; andernfalls werde<br />
er sie in den USA verklagen. 14 Danach hat er sich nach Angaben<br />
der Hinterbliebenen aber offensichtlich nicht mehr<br />
gemeldet. „Wir müssen wohl davon ausgehen, dass diese<br />
Geschichte in den USA zu Ende ist und wahrscheinlich nie<br />
richtig angegangen wurde“, lässt sich ein Vertreter der<br />
Hinterbliebenen in der Welt zitieren. 15 Das bedarf keiner<br />
weiteren Kommentierung.<br />
3. Der Skizug-Unfall von Kaprun am 11.11.2000<br />
Im Fall Kaprun hatte ein US-Anwalt, der von einem<br />
Münchener Kollegen eingeschaltet worden war, „insgesamt<br />
500 Mio. EUR“ geltend machen wollen. 16 Gegenüber Skeptikern<br />
äußerte der US-Anwalt in der Presse: „Österreichisches<br />
Recht wird nicht zur Anwendung kommen. Jeder,<br />
der das behauptet, hat gelogen.“ 17<br />
Der angerufene US District Court (Southern District of<br />
New York) hat zunächst entschieden, dass er zuständig sei,<br />
weil das verklage Unternehmen Siemens auch Tochterunternehmen<br />
in den USA habe. 18 Zugleich bestimmte die Richterin<br />
aber, dass das österreichische Schadensersatzrecht<br />
anzuwenden sei. Am 22. September 2002 hat ein Berufungsgericht<br />
die Klage gegen Siemens u.a. abgewiesen.<br />
Nachdem der U.S. District Court (SDNY) einen am 12.<br />
November 2003 gestellten Antrag, sich im Wege der Sammelklage<br />
(„class action“) 19 an den von Angehörigen von<br />
sechs US-Opfer anhängig gemachten Prozess gegen die<br />
Siemens anschließen zu können, zugelassen hatte, kam der<br />
U.S. Court of Appeals (2d Cir.) als Berufungsgericht nun zu<br />
dem Schluss, dass die Zulassung nicht rechtens sei. Der<br />
District Court wurde angewiesen, diese Klagen zurückzuweisen.<br />
20 Ob die jetzt angedachten Einzelklagen 21 Erfolg<br />
haben, wird zu Recht bezweifelt. 22<br />
4. Crossair-Absturz bei Basserdorf am 24.11.2001<br />
Am 24. November 2001 stürzte ein Flugzeug der Crossair<br />
mit der Flugnummer CRX 3597 beim Landeanflug auf<br />
den Züricher Flughafen Kloten bei Basserdorf in einen bewaldeten<br />
Berghang. Angeblich ist der Pilot mit einer ungenauen<br />
Karte, auf der der Höhenzug bei Basserdorf nicht<br />
eingezeichnet gewesen sein soll, zu tief geflogen.<br />
Auch in diesem Fall meldete schon fünf Tage später ein<br />
deutscher Anwalt flugs öffentlich in einer schriftlichen Erklärung,<br />
dass er „die Chancen einer Klage in den USA“<br />
prüfe. 23 Am 3. November dann forderte laut „Sonntagszeitung“<br />
eine Anwaltsgruppe in Kooperation mit einem US-<br />
Rechtsanwalt Schadensersatz – eine Millionensumme. 24 In-<br />
AnwBl 12 /2005<br />
Thema<br />
sider wissen, dass diese Summe auch nicht annährend<br />
erreicht wurde. Soweit mit den Hinterbliebenen Einigungen<br />
getroffen wurden, halten die sich in dem Rahmen, in dem<br />
auch Verkehrsunfälle entschädigt werden.<br />
5. Der Anschlag auf Djerba am 11.4.2002<br />
Schon wenige Tage nach dem Anschlag auf die Synagoge<br />
„La Ghriba“ auf Djerba am 11. April 2002 verkündete<br />
ein Anwaltsteam gegenüber einem bekannten Boulevard-<br />
Blatt, man fordere eine „angemessene Entschädigung der<br />
Opfer und Hinterbliebenen durch die tunesische Regierung,<br />
die auch ein Schmerzensgeld in Millionenhöhe (wie im Fall<br />
der Concorde-Katastrophe) erfassen müsse.“ 25 Nachdem<br />
dies aus juristischen Gründen auf Skepsis gestoßen war, 26<br />
wendeten sich die Klägeranwälte dem Reiseveranstalter zu:<br />
Man erwäge – so war nun zu lesen – jetzt eine Klage gegen<br />
den Touristik-Konzern TUI. 27 Dieser lehnte eine Entschädigung<br />
in dieser Höhe ab.<br />
Mit der dann – von einen anderen Anwalt – eingereichten<br />
Klage begehrte der Kläger nunmehr ein Schmerzensgeld<br />
von mindestens 100.000 EUR, eine angemessene<br />
Schmerzensgeldrente von mindestens 500 EUR monatlich<br />
sowie den Ausgleich eines verletzungsbedingten Mehraufwandes<br />
an Betreuungsleistungen von 300 EUR monatlich.<br />
Am 27. Oktober 2004 hat das LG Hannover die Klage<br />
abgewiesen. 28 Zur Begründung führte das Gericht aus, dass<br />
nach dem klägerischen Vortrag für das Gericht nicht erkennbar<br />
sei, dass der Reiseveranstalter seine gegenüber<br />
dem Reisenden bestehende Informations- und Fürsorgepflicht<br />
verletzt habe. Auch in der 2. Instanz wies das<br />
OLG Celle die Klage – wenn auch mit anderer Begründung<br />
– ab. 29 Die Revision wurde nicht zugelassen.<br />
12 Meldung der Tagesschau vom 21.4.2003 unter Bezug auf ein Interview des<br />
Klägeranwaltes mit der Welt am Sonntag (www.tagesschau.de/aktuell/meldun<br />
gen/0,1185,OID1747426,00.html.). Vgl. auch Die Welt vom 27. 11.2002 sowie<br />
FAZ.net vom 17.8.2001.<br />
13 Financial Times Deutschland vom 19.9.2002 und vom 26.11.2002; Süddeutsche<br />
Zeitung vom 19.9.2002, S. 12.<br />
14 Hamburger Abendblatt vom 5.6.2003.<br />
15 Die Welt vom 4.6.2004<br />
16 Pressemeldung vom 22.9.2002, www.bergbahn.bahnaktuell.net.<br />
17 Salzburger Nachrichten vom 15.8.2002.<br />
18 Vgl. http://www.wienweb.at/Content.aspx?catid=8&id=13078.<br />
19 Bei einer „class action“ werden Tatsachen- und Rechtsfragen für eine Vielzahl<br />
von Geschädigten insgesamt und für alle einheitlich geklärt werden können.<br />
Die Rechts- und Tatfragen werden bindend für alle Gruppenmitglieder geklärt,<br />
selbst wenn sie nicht am Prozess beteiligt waren. Im Extremfall müssen sie<br />
nicht einmal Kenntnis vom Prozess gehabt haben. Hatten Sie jedoch Kenntnis<br />
vom Prozess, so erlaubt das US-Recht den Betroffenen für diesen Prozess aus<br />
der Gruppe auszutreten und unabhängig vom Verfahren vorzugehen.<br />
20 Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22.12.2004; Kurier (Wien) vom<br />
25.12.2004.<br />
21 S. o. Fn. 17.<br />
22 Siehe dazu Klicke, VersR 2001, 173 = ZVR 2002, 182.<br />
23 Neue Zürcher Zeitung vom 29.11.2001.<br />
24 Vgl. die AP-Meldung vom 3.11.2002, 13:45 Uhr , http://de.news.yahoo.com/<br />
021103/281/31rm1.html.<br />
25 Bild am Sonntag vom 21.4.2002. Siehe auch Welt am Sonntag vom<br />
20.10.2004.<br />
27 Siehe Financial Times Deutschland vom 23.4.2002, S. 18; dpa-Meldung vom<br />
22.4.2002, 20:27 Uhr; Der Standard vom 12.4.2002.<br />
28 Urt. vom 27.10.2004 – 13 O114/04, RRa 2004, 261. Vgl. dazu Schmid, RRa<br />
2004, 242 ff.<br />
29 Urt. v. 22.9.05 – 11 U 297/04, RRa 2005, 261 m. Anm. Tonner.
AnwBl 12/2005 751<br />
Thema MN<br />
6. Das Attentat in Erfurt 26.4.2002<br />
Am 26. April 2002 hatte ein 19-jähriger ehemaliger<br />
Schüler des Gutenberg-Gymansiums in Erfurt während eines<br />
Amokslaufs 16 Menschen und danach sich selbst erschossen.<br />
Ein Münchener Rechtsanwalt forderte umgehend Schadensersatz<br />
für Hinterbliebene und Geschädigte und zwar<br />
sowohl von den Behörden als auch vom Sportverein, in<br />
dem der Täter als Sportschütze Mitglied war. 30 Wenige<br />
Tage später drohte er dann damit, „Hersteller von Gewaltvideos<br />
und Waffen auf Schadensersatz zu verklagen“. 31<br />
Was daraus geworden ist, ist – zumindest mir – unbekannt.<br />
Man darf aber bei dem Drang des Anwaltes, nicht<br />
nur Erfolge, sondern schon Klagevorhaben öffentlich kundzutun,<br />
davon ausgehen, dass die erfolgreiche Durchsetzung<br />
der angekündigten Ansprüche der Öffentlichkeit nicht verschwiegen<br />
worden wäre.<br />
7. Der Flugzeugzusammenstoß über dem Bodensee am<br />
1.7.2002<br />
Am 1. Juli 2002 kollidierte eine Tupolew der Bashkirian<br />
Airways mit einem Frachtflugzeug vom Typ Boeing 757<br />
der DHL bei Überlingen am Bodensee. Alle 71 Insassen,<br />
darunter mehr als 50 Kinder und Jugendliche der Wolga-<br />
Republik Baschkortostan, die auf dem Weg in den Urlaub<br />
in Spanien waren, kamen ums Leben. Flugs flogen deutsche<br />
und US-amerikanische Anwälte nach Ufa, der Hauptstadt<br />
von Baschkortostan, um den Hinterbliebenen ihre<br />
Hilfe anzubieten. Natürlich wurde wieder öffentlich mitgeteilt,<br />
man prüfe, „ob wir eine Klage in den USA einreichen“.<br />
32<br />
Aus guten Quellen weiß der Verfasser, dass den Eltern<br />
dabei Entschädigungen von wenigstens 400.000 USD pro<br />
Opfer in Aussicht gestellt wurden. 33<br />
In einem Presseinterview wurde dann im September<br />
2002 die Forderung mit „mindestens 100.000 USD“ als<br />
„Untergrenze“ beziffert, ein Betrag von „900.000 USD<br />
oder mehr“ als „Glücksfall“ bezeichnet. 34 Auch zu diesem<br />
Zeitpunkt wird noch eine Klage in den USA erwogen. Dies<br />
wird dann knapp zwei Monate später bewertet: „Bei optimalen<br />
Verlauf wird mit bis zu einer Million US-Dollar pro<br />
Opfer gerechnet.“ 35<br />
Nur sieben Monate später berichtete die Presse im Juni<br />
2003, dass den Familien der Opfer je 150.000 USD (ca.<br />
123.000 EUR) erhalten haben 36 – eine Angabe, die sich<br />
auch mit den mir aus anderen Quellen bekannten Informationen<br />
deckt. Dabei kann es ich aber nicht um Schadensersatz<br />
handeln. Denn da die Eltern der tödlich verunglückten<br />
Kinder keinen materiellen Anspruch (z. B. auf<br />
Unterhalt) haben, kann es sich nur um ein Schmerzensgeld<br />
handeln.<br />
Den Hinterbliebenen ist das zu gönnen. Doch fragt sich,<br />
warum die deutsche Bundesregierung, die ein Hinterbliebenen-Schmerzengeld<br />
ablehnt, freiwillig einen erheblichen<br />
Betrag in einen Entschädigungsfonds einzahlt, wenn aus<br />
diesem erkennbar nur Schmerzensgeld für Hinterbliebene<br />
gezahlt wird. 37<br />
III. Fazit<br />
1. Es bleibt sachlich festzustellen, dass in den angeführten<br />
Fällen – soweit ersichtlich – die vollmundig angekündigten<br />
Millionen-Dollar-Entschädigungen nicht erstritten<br />
werden konnten. Den Fachmann überrascht das nicht.<br />
2. Damit aber die vorstehenden Ausführungen nicht zu<br />
Missverständnissen führen, soll folgendes klargestellt werden:<br />
a. Mit diesem Beitrag soll nicht in Zweifel gezogen werden,<br />
dass ein verantwortlicher Rechtsberater stets auch prüfen<br />
muss, ob eine Klage in den USA möglich ist, wenn<br />
sich dafür vernünftige (!) Anhaltspunkte ergeben. Nachdem<br />
z. B. das Montrealer Übereinkommen neben dem allgemeinen<br />
Gerichtsstand des Bestimmungsortes (Art. 33 Abs. 1<br />
MÜ) auch den neuen Gerichtsstand des Wohnsitzes (Art. 33<br />
Abs. 2 MÜ) eingeführt hat, ist diese Möglichkeit jedenfalls<br />
bei internationalen Luftbeförderungen stets zu bedenken.<br />
Aber natürlich muss der Anknüpfungsgrund seriös sein und<br />
dem Risiko der Klageabweisung unter der „Forum-nonconveniens“-Doktrin<br />
der US-Jurisprudenz 38 Rechnung getragen<br />
werden.<br />
b. Der Beitrag sollte keineswegs als Angriff oder Häme<br />
gegen Schmerzensgeldforderungen von Geschädigten und<br />
Hinterbliebenen verstanden werden. Der Verfasser hat<br />
schon mehrfach darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung<br />
das deutsche Schmerzensgeldsystem stark entwicklungsbedürftig<br />
ist. 39 Es ist nicht verständlich und richtig,<br />
dass bei Verletzung der Ehre eine Entschädigung in Betracht<br />
kommt, nicht aber wenn die Psyche verletzt wird.<br />
Wenn Gerichte für ein getürktes Interview mit einem Prominenten<br />
oder wegen der Ablichtung eines Nacktfotos eines<br />
solchen Schmerzensgelder in Höhe von mehr als<br />
100.000 EUR ausurteilen, ist es nicht nachzuvollziehen,<br />
warum für den Tod eines Menschen allenfalls Beträge um<br />
15.000 EUR (wie im Falle Eschede) zugebilligt werden.<br />
Und dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers Hinterbliebene<br />
keinen eigenen Schmerzensgeldanspruch haben<br />
sollen, erscheint mir gerade auch mit Blick in die Nachbarstaaten<br />
Deutschlands nicht mehr zeitgemäß.<br />
Überzogene, oft unrealistische Forderungen, die in erster<br />
Linie auf Wirkung in der Öffentlichkeit ausgerichtet sind,<br />
sind aber für die Erreichung des Zieles, das deutsche<br />
Schmerzensgeldsystem zu verbessern und wenigstens dem<br />
europäischen Durchschnittsstandard anzupassen, kontraproduktiv.<br />
Denn durch ständige Drohung mit einer Klage in<br />
den USA, auch wenn die Chancen der Anspruchsdurchsetzung<br />
aussichtslos oder gering sind, macht auch die beste<br />
„Waffe“ stumpf.<br />
30 Siehe RZ-online vom 30.4.2002, www.rhein.zeitung.de/on/02/04/30/topnews/erfurt-ermittng.html.<br />
31 Werner Kolhoff, in: Berliner Zeitung vom 2.5.2002 (Ressort Politik).<br />
32 Roland Mutschler, „Staranwalt kämpft um Millionen“, in: Mannheimer Morgen<br />
vom 5.9.2002. Siehe auch Stuttgarter Nachrichten vom 11.9.2002.<br />
33 Dieser Betrag spiegelt sich auch in den veröffentlichten Forderungen von 4,8<br />
Mio. USD für die 12 Besatzungsmitglieder wieder. Siehe Meldung des ZDF<br />
vom 12.9.2002www.heute.t-online.de/ZDFheute/<br />
34 Stuttgarter Nachrichten vom 12. und 13.9.2003.<br />
35 Stuttgarter Nachrichten vom 5.11.2002<br />
36 Pressemeldung des AFP zitiert nach www.politikforum.de/archive/6/2004/<br />
06/4/22775. Siehe auch die Meldung der SF DRS SDA-News vom 30.6.2004.<br />
37 Dazu Schmid, RRa 2003, 145.<br />
38 Siehe dazu Ehlers, in: Müller-Rostin/Schmid, Das Luftverkehrsrecht vor neuen<br />
Herausforderungen. Festgabe für Edgar Ruhwedel (Neuwied 2004), S. 99 ff.<br />
39 Vgl. MDR 2000 (Heft 23), S. R 1.
752<br />
MN SATZUNGSVERSAMMLUNG<br />
Berufsrecht<br />
Interessenkollision:<br />
Neuer § 3 BORA<br />
Vorgaben des BVerfG umgesetzt<br />
Die 3. Satzungsversammlung, das Parlament der deutschen<br />
Anwaltschaft, hat auf ihrer 5. Sitzung am 7. November<br />
2005 § 3 BORA neu gestaltet. Dazu fühlte sie sich aufgerufen,<br />
nachdem das Bundesverfassungsgericht in der<br />
Sozietätswechslerentscheidung (AnwBl 2003, 521) § 3<br />
Abs. 2 BORA kassiert hatte.<br />
Die Vorschrift des § 3 BORA war ergangen in Konkretisierung<br />
des § 43 a Abs. 4 BRAO: „Der Rechtsanwalt darf<br />
keine widerstreitenden Interessen vertreten“. § 3 Abs. 2<br />
BORA ordnete für die in Berufsausübungsgemeinschaft mit<br />
dem an der Tätigkeit gehinderten Rechtsanwalt verbundenen<br />
Rechtsanwälte kategorische Tätigkeitsverbote an, die<br />
keinen Raum für die erforderliche Einzelabwägung ließen.<br />
Die Satzungsversammlung hat in mehreren Anläufen –<br />
das Thema ist ungewöhnlich schwierig – das vermeintliche<br />
Regelungsdefizit in der BORA zu schließen versucht. Frühere<br />
Entwürfe, die verworfen wurden, kamen allerdings<br />
stets zu dem Ergebnis, dass sich entweder aus der materiellen<br />
Regelung oder aufgrund der für die Abwägung der Interessen<br />
des Mandanten und der Belange der Rechtspflege<br />
gefundenen Verfahrensregelung dennoch kategorische Tätigkeitsverbote<br />
ergaben. Das aber widerspricht dem Sinn<br />
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach<br />
ist in jedem Einzelfall eine Abwägung geboten, deren normative<br />
„Offenheit“ der Rechtsanwalt durch eine verantwortliche<br />
eigene Einschätzung zu beenden hat, entweder<br />
im Sinne eines Verbots oder im Sinne einer ungehinderten<br />
Tätigkeit. Zu dieser Einschätzung ist der Rechtsanwalt kraft<br />
seiner besonderen Berufspflicht und der Befähigung für<br />
den Beruf in der Lage.<br />
Nach eingehender Beratung in dem dem Plenum zuarbeitenden<br />
Ausschuss und nach ausführlicher Diskussion im<br />
Plenum selbst hat die Satzungsversammlung nun eine Formulierung<br />
gefunden, welche die von dem Bundesverfassungsgericht<br />
aufgerissene Lücke schließt.<br />
Der neue § 3 BORA lautet:<br />
§ 3 Abs. 1: Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er<br />
eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden<br />
Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache<br />
in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich<br />
befasst war.<br />
§ 3 Abs. 2: Das Verbot des Absatzes 1 gilt auch für alle mit<br />
ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich<br />
welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte.<br />
Satz 1 gilt nicht, wenn sich im Einzelfall die betroffenen<br />
Mandanten in den widerstreitenden Mandaten nach umfassender<br />
Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt<br />
haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen. Information<br />
und Einverständniserklärung sollen in Textform erfolgen.<br />
§ 3 Abs. 3: Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Fall, dass<br />
der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />
zu einer anderen Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />
wechselt.<br />
§ 3 Abs. 4: Wer erkennt, dass er entgegen den Absätzen 1 bis 3<br />
tätig ist, hat unverzüglich seinen Mandanten davon zu unterrichten<br />
und alle Mandate in der selben Rechtssache zu beenden.<br />
§ 3 Abs. 5: Die vorstehenden Regelungen lassen die Verpflichtung<br />
zur Verschwiegenheit unberührt.<br />
Zur Erläuterung: § 3 Abs. 1 BORA wiederholt die gesetzliche<br />
Regel und bezeichnet ausdrücklich die Anwendung<br />
„inderselben Rechtssache“. Der Hinweis auf §§ 45,<br />
46 BRAO ist verwirrend, denn diese Bestimmungen regeln<br />
keine Interessenkollision sondern Inkompatibilitäten. Das<br />
ist durch Auslegung zu korrigieren. Abs. 2 erstreckt das Tätigkeitsverbot<br />
grundsätzlich auf die mit dem gehinderten<br />
Rechtsanwalt in Berufsausübungsgemeinschaft verbundenen<br />
Rechtsanwälte (Sozietätserstreckung) und gibt für die<br />
im Einzelfall mögliche, abweichende Entscheidung die<br />
maßgeblichen Abwägungskriterien und das Verfahren an.<br />
Abs. 3 macht den Norminhalt der Absätze 1 und 2 für den<br />
Fall des Sozietätswechsels verbindlich. Die Absätze 4 und<br />
5 bedürfen keines erläuternden Wortes.<br />
Die neue Regelung hilft weiter. Offen bleibt, ob der Regelungskomplex<br />
nicht in einen neu gefassten § 43 a Abs. 4<br />
BRAO gehört, der dann weitere Bestimmungen in der<br />
BORA erübrigte.<br />
Nach dem für die Beschlüsse der Satzungsversammlung<br />
vorgesehenen Prüfungs- und Verkündungsmechanismus ist<br />
zu erwarten, dass die Neuregelung, die ohnehin nur das geltende<br />
Recht in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts<br />
aufnimmt, nicht vor Mitte des Jahres 2006 in Kraft<br />
tritt.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />
Berufsrecht<br />
Der unverkündete § 7<br />
BORA tritt nun doch in<br />
Kraft<br />
Neues Werberecht ab 1. März 2006<br />
AnwBl 12/2005<br />
Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte werden nun als<br />
Rechtsbegriffe endgültig obsolet. Der von der Satzungsversammlung<br />
bereits im Februar dieses Jahres beschlossene<br />
neue § 7 BORA wird – nachdem er teilweise vom Bundesjustizministerium<br />
aufgehoben wurde – nun in der verbliebenen<br />
Fassung verkündet. Der Anwalt darf in seiner Werbung<br />
auf Rechtsgebiete hinweisen, auf denen er tätig ist –<br />
sofern er über entsprechende Kenntnisse verfügt und mit<br />
seinen Angaben den angesprochenen Verkehr nicht irreführt<br />
(siehe ausführlich Kleine-Cosack, AnwBl 2005, 275).<br />
Das Votum der Satzungsversammlung war eindeutig.<br />
Sie wollte nicht erneut über den § 7 BORA diskutieren. Sie<br />
forderte in ihrer Sitzung am 7. November 2005 den Präsidenten<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als Vorsitzenden<br />
der Satzungsversammlung auf, die nicht beanstandeten<br />
Teile der Vorschrift nun zu verkünden. Dieser
AnwBl 12/2005 753<br />
Satzungsversammlung MN<br />
kündigte eine schnelle Veröffentlichung in den Mitte <strong>Dezember</strong><br />
erscheinenden BRAK-Mitteilungen an. Die Regelung<br />
könnte dann zum 1. März 2006 in Kraft treten. Damit<br />
findet eine von vielen als unendlich empfundene Diskussion<br />
ein Ende.<br />
Zur Erinnerung: Die im Februar dieses Jahres beschlossene<br />
Fassung enthielt in Absatz 3 eine Pflicht zur Fortbildung<br />
für solche Rechtsgebiete, die der Anwalt in seiner<br />
Werbung nennt. Diesen Absatz hob das Bundesjustizministerium<br />
Ende Mai 2005 als verfassungswidrig auf. Der Satzungsversammlung<br />
fehle die Kompetenz zur Regelung der<br />
Fortbildung (siehe dazu Römermann AnwBl 2005, 490).<br />
BRAK-Präsident Dr. Bernhard Dombek verzichtete daraufhin<br />
im Sommer, den § 7 BORA zu verkünden (siehe dazu<br />
AnwBl 2005, 567, sowie zu den Konsequenzen Römermann,<br />
AnwBl 2005, 636).<br />
Mit der Verkündung des bereits beschlossenen § 7 BORA<br />
geht die Satzungsversammlung nun einen sicheren Weg. Bei<br />
einer erneuten Beschlussfassung über eine Änderung des § 7<br />
BORA hätten sich formelle Wirksamkeitsfragen gestellt.<br />
Diese wollte die Satzungsversammlung vermeiden.<br />
Eine offene Frage ist, inwieweit sich auch aus dem<br />
neuen § 7 Abs. 1 BORA ein Pflicht zur Fortbildung ergibt.<br />
Die dort vorausgesetzten Kenntnisse müssen – wie in der<br />
Satzungsversammlung betont wurde – aktuell sein. Eine<br />
zwingende Regelung zur Fortbildung in einem bestimmten<br />
Umfang und Turnus lässt sich der Regelung aber nicht entnehmen.<br />
Der neue § 7 BORA lautet jetzt:<br />
§ 7 Abs. 1: Unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen darf<br />
Teilbereiche der Berufstätigkeit nur benennen, wer seinen Angaben<br />
entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die in der Ausbildung,<br />
durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise<br />
erworben wurden. Wer qualifizierende Zusätze verwendet, muss<br />
zusätzlich über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügen<br />
und auf dem benannten Gebiet in erheblichen Umfang tätig gewesen<br />
sein.<br />
§ 7 Abs. 2: Benennungen nach Absatz 1 sind unzulässig, soweit<br />
sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen<br />
oder sonst irreführend sind.<br />
§ 7 Abs. 3: Die vorstehenden Regelungen gelten für Berufsausübungsgemeinschaften<br />
nach § 9 entsprechend.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
Fachanwaltschaften<br />
Fachanwaltschaft Nr. 15<br />
und Nr. 16 beschlossen<br />
Fachanwaltsordnung soll überarbeitet werden<br />
Der Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und der<br />
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht kommen.<br />
Die neuen Fachanwaltschaften wird es – wenn das Bundesjustizministerium<br />
seine Prüfungsfrist von drei Monaten<br />
ausschöpft – nicht vor Mitte 2006 geben.<br />
Die Satzungsversammlung hat – ohne große Diskussionen<br />
– das Fachanwaltssystem ausgebaut. Vor einem Jahr<br />
hatte sie sechs neue Fachanwaltschaften geschaffen. Die<br />
jetzt in der Sitzung am 7. November 2005 beschlossenen<br />
Fachanwaltschaften waren schon damals diskutiert worden.<br />
Über das „ob“ dieser Fachanwaltschaften wurde im Parlament<br />
der deutschen Anwälte nicht mehr gestritten. Lediglich<br />
beim Zuschnitt der theoretischen Kenntnisse und bei<br />
der Zusammensetzung der Fallzahlen wurden die Vorschläge<br />
des zuständigen Ausschusses der Satzungsversammlung<br />
zum Teil noch geändert.<br />
In der Diskussion sind noch der Fachanwalt für Medienund<br />
Urheberrecht sowie der – von der Arbeitsgemeinschaft<br />
IT im DAV geforderte – Fachanwalt für Informationstechnologierecht.<br />
Außerdem steht eine Überarbeitung der Fachanwaltsordnung<br />
(FAO) an. Diskussionspunkt ist unter anderem<br />
erhöhte Anforderungen an die Fortbildungspflicht des<br />
Fachanwalts. Außerdem wird es um den Nachweis der praktischen<br />
Erfahrungen, insbesondere der Anwaltsnotare gehen.<br />
Die Fachanwaltsordnung wird wie folgt ergänzt:<br />
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz<br />
Theoretische Kenntnisse (§ 14 h FAO)<br />
1. Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster- und Sortenschutzrecht<br />
2. Recht der Marken und sonstigen Kennzeichen<br />
3. Recht gegen den unlauteren Wettbewerb<br />
4. Recht der europäischen Patente, Marken und Geschmacksmuster<br />
sowie des europäischen Sortenschutzes<br />
5. Urheberrechtliche Bezüge des gewerblichen Rechtsschutzes<br />
6. Verfahrensrecht und Besonderheiten des Prozessrechts<br />
Praktische Erfahrungen (§ 5 Satz 1 lit. o FAO)<br />
80 Fälle aus mindestens drei verschiedenen Bereichen des § 14<br />
h Nr. 1 bis Nr. 5. Höchstens fünf Fälle dürfen Schutzrechtsanmeldungen<br />
sein, wobei eine Sammelanmeldung als eine Anmeldung<br />
zählt. Mindestens 30 Fälle müssen rechtsförmliche, davon mindestens<br />
15 gerichtliche Verfahren sein.<br />
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Theoretische Kenntnisse (§ 14 i FAO)<br />
1. Materielles Handelsrecht, insbesondere das Recht des Handelsstandes<br />
(§§ 1-104 HGB) und der Handelsgeschäfte (§§ 342-406 HGB)<br />
sowie internationales Kaufrecht, insbesondere UN-Kaufrecht<br />
2. Materielles Gesellschaftsrecht, insbesondere<br />
a. das Recht der Personengesellschaften<br />
b. das Recht der Kapitalgesellschaften<br />
c. internationales Gesellschaftsrecht, insbesondere Grundzüge<br />
des europäischen Gesellschaftsrechts sowie der europäischen<br />
Aktiengesellschaft<br />
d. Konzernrecht, insbesondere das Recht der verbundenen Unternehmen<br />
e. Umwandlungsrecht<br />
f. Grundzüge des Bilanz- und Steuerrechts<br />
g. Grundzüge des Dienstvertrags- und Mitbestimmungsrechts<br />
3. Bezüge des Handels- und Gesellschaftsrechts zum Arbeitsrecht,<br />
Kartellrecht, Handwerks- und Gewerberecht, Erb- und<br />
Familienrecht, sowie zum Insolvenz- und Strafrecht.<br />
Praktische Erfahrungen (§ 5 Satz 1 lit. p FAO)<br />
80 Fälle aus mindestens drei verschiedenen Bereichen des § 14 i<br />
Nr. 1 und Nr. 2, davon mindestens 20 rechtsförmliche Verfahren sowie<br />
mindestens 20 Fälle, die die Gestaltung von Gesellschaftsverträgen<br />
oder die Gründung oder die Umwandlung von Gesellschaften<br />
zum Gegenstand haben. Von den rechtsförmlichen Verfahren müssen<br />
5 Fälle einen wesentlichen handelsrechtlichen und 5 Fälle einen wesentlichen<br />
gesellschaftsrechtlichen Bezug aufweisen; höchstens 10<br />
Fälle dürfen solche der freiwilligen Gerichtsbarkeit sein.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin
754<br />
MN<br />
5 %<br />
„Anreiz für eine echte<br />
DAV-Fortbildungsoffensive“<br />
DAV-Fortbildungsbescheinigung ab Anfang 2006<br />
Viel schlichter geht es nicht: „Der<br />
Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzubilden“,<br />
heißt es in § 43 a Abs. 6<br />
BRAO. Eine Kontrolle oder gar eine<br />
Sanktion sieht das Gesetz nicht vor –<br />
auch wenn die Kritik lauter wird. Der<br />
DAV setzt auf freiwillige Fortbildung<br />
– nachgewiesen durch eine DAV-Fortbildungsbescheinigung.<br />
Welche Ziele<br />
verfolgt der DAV? Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
fragte Rechtsanwältin Heide Krönert-<br />
Stolting. Sie ist Vorsitzende der DAV-<br />
Arbeitsgruppe „Fortbildung“, die das<br />
Konzept der DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />
entwickelt hat.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Für die Bescheinigung<br />
genügen sechs Stunden Fortbildung<br />
im Jahr. Reicht das?<br />
Krönert-Stolting: Die Teilnahme an<br />
einem sechsstündigen Präsenzseminar<br />
scheint auf den ersten Blick wenig zu<br />
sein. Der DAV geht aber davon aus,<br />
Zwischenruf<br />
Zeit sparen durch<br />
mehr Fortbildung<br />
Rechtsanwältin<br />
Verena Mittendorf,Vizepräsidentin<br />
des<br />
Deutschen Anwaltvereins.<br />
Werbung mit Fortbildung – ist das<br />
nicht Werbung mit etwas Selbstverständlichem?<br />
Wenn das so wäre,<br />
dann hätten wir die Fortbildungsbescheinigung<br />
des DAV nicht beschlossen.<br />
Wir Anwältinnen und<br />
Anwälte müssen uns fortbilden, und<br />
wir bilden uns auch fort.<br />
Aber: Kennen Sie nicht auch das<br />
schlechte Gewissen, das Sie beschleicht,<br />
wenn Sie am Ende eines<br />
Quartals wieder hauptsächlich in Ihren<br />
Kanzleiräumen gearbeitet und<br />
gerade eben das Tagesgeschäft be-<br />
Rechtsanwältin<br />
Heide Krönert-Stolting<br />
ist Mitglied des<br />
DAV-Vorstands und<br />
Vorsitzende der<br />
DAV-Arbeitsgruppe<br />
„Fortbildung“.<br />
dass diejenigen Anwältinnen und Anwälte,<br />
die an Seminaren und sonstigen<br />
Lehrveranstaltungen teilnehmen, darüber<br />
hinaus Fortbildung im Wege des<br />
Eigenstudiums betreiben, so dass insgesamt<br />
eine Fortbildungszeit von deutlich<br />
mehr als den ausgewiesenen Stunden<br />
erreicht wird. Außerdem weist die<br />
Bescheinigung aus, welche Fortbildungen<br />
man gemacht hat und wie viele<br />
Stunden diese Fortbildungen gedauert<br />
haben. Dadurch schafft der DAV<br />
Transparenz und gibt einen Anreiz,<br />
sich umfangreich fortzubilden.<br />
wältigt haben? Für den Besuch von<br />
Fortbildungsveranstaltungen war<br />
wieder einmal keine Zeit. Nach meiner<br />
Erfahrung ist das aber nicht richtig,<br />
denn auf Fortbildungsveranstaltungen<br />
erfahren Sie in komprimierter<br />
Form, was Sie sich sonst mühsam<br />
selbst aneignen müssten. Mit Fortbildung<br />
sparen Sie also Zeit.<br />
Zugegeben: Die sechs Stunden<br />
Fortbildung, die als Minimalvoraussetzung<br />
für die Ausstellung der Bescheinigung<br />
definiert sind, sind nicht<br />
allzu viel. Aber wenn wir es schaffen,<br />
dass ein Großteil der Kolleginnen<br />
und Kollegen das erfüllen, sind<br />
wir schon ein gutes Stück weiter.<br />
Wer sich heute vielleicht in nur zwei<br />
Abendveranstaltungen jährlich fortbildet,<br />
der wird im nächsten Jahr die<br />
Fortbildungsbescheinigung des DAV<br />
erhalten wollen und sich umfangreicher<br />
fortbilden.<br />
Und wer einmal Fortbildungsluft<br />
geschnuppert hat, der wird merken,<br />
dass ein Seminarbesuch mehr bietet<br />
als nur Wissenszuwachs: Den Austausch<br />
mit Kolleginnen und Kollegen<br />
AnwBl 12/2005<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Bei welchem Anbieter<br />
muss ich die Fortbildung machen?<br />
Wie wird die Qualität geprüft?<br />
Krönert-Stolting: Jede anwaltsrelevante<br />
Fortbildung – von welchem Anbieter<br />
auch immer – ist geeignet. Bei<br />
offensichtlichem Missbrauch werden<br />
einzelne Fortbildungsveranstaltungen<br />
bzw. Anbieter nicht anerkannt. Nach<br />
unserer Erfahrung wissen Anwälte<br />
selbst, in welchem Bereich und bei<br />
welchem Anbieter sie sich fortbilden<br />
müssen. Vorgeschriebene Themen sind<br />
mit der beruflichen Realität eines<br />
freien Anwalts nicht vereinbar.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Fachanwälte müssen<br />
zehn Fortbildungsstunden im Jahr<br />
nachweisen. Spricht die DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />
damit nicht vor<br />
allem die Anwälte an, die nicht Fachanwälte<br />
sind?<br />
kann die Lektüre von <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
und NJW nicht ersetzen; die Möglichkeit,<br />
seine Netzwerke weiter zu<br />
knüpfen, verhilft zu Mandaten, die<br />
uns die Seminarkosten schnell vergessen<br />
lassen.<br />
Fortbildung ist nicht nur Selbstzweck.<br />
Unsere Mandanten sollen erkennen,<br />
dass wir und worin wir uns<br />
fortbilden. Daher begrüße ich die<br />
Transparenz der Fortbildungsbescheinigung<br />
des DAV. Und: Wenn<br />
wir unsere Fortbildungsaktivitäten<br />
dokumentieren, können wir eine<br />
sanktionsbewehrte Fortbildungsverpflichtung<br />
unnötig machen. Die<br />
DAV-Fortbildungsbescheinigung ist<br />
ein wichtiger Baustein, um die Europafestigkeit<br />
des Anwaltsberufs in<br />
Deutschland beizubehalten.<br />
Ich meine daher: Jeder Anreiz,<br />
das Büro einmal für ein paar Stunden<br />
oder ein Tagesseminar zu verlassen,<br />
jeder Anreiz zu mehr Fortbildung<br />
kann uns nur nützen! Und die<br />
Fortbildungsbescheinigung des DAV<br />
ist ein wichtiger Schritt in diese<br />
Richtung.
AnwBl 12/2005 755<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Krönert-Stolting: Wir sind der Ansicht,<br />
dass es auch bei einer Spezialisierung<br />
und Differenzierung des Anwaltsmarktes<br />
einen Grundkanon<br />
anwaltlicher Fertigkeiten gibt, der fortgebildet<br />
werden soll. Diese Fortbildung<br />
kann einerseits das vermitteln,<br />
was zum Wissen und den Fertigkeiten<br />
aller Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
gehört. Trotzdem gewährt unser<br />
Fortbildungsmodell Raum für die<br />
notwendige fachliche Spezialisierung.<br />
Das gilt für alle Anwältinnen und Anwälte<br />
gleichermaßen. Im Übrigen<br />
kann die Fachanwaltsfortbildung doppelt,<br />
d. h. zusätzlich auch für die DAV-<br />
Fortbildungsbescheinigung, genutzt<br />
werden.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Was kostet die Bescheinigung<br />
das DAV-Mitglied? Welche<br />
Vorteile bringt sie ihm?<br />
Krönert-Stolting: Die DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />
ist ein Service<br />
des DAV an seine Mitglieder. Sie wird<br />
für sie unentgeltlich und ohne großen<br />
Aufwand zu erhalten sein. Die Inhaber<br />
der Bescheinigung haben die Möglichkeit,<br />
sie nach außen hin zu präsentieren.<br />
Die Bescheinigung ist so gestaltet,<br />
dass sie in Kanzleiräumen aufgehängt<br />
werden kann. Außerdem wird die<br />
Deutsche Anwaltauskunft (www.<br />
anwaltauskunft.de) um einen Hinweis<br />
auf die Fortbildungsbescheinigung ergänzt<br />
werden.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Kammern bereiten<br />
Ähnliches vor. Warum bietet der<br />
DAV die Bescheinigung nur für seine<br />
Mitglieder an? Wie können Mandanten<br />
zwischen den unterschiedlichen<br />
Fortbildungsnachweisen unterscheiden?<br />
Krönert-Stolting: Unser Modell<br />
dient als Anreiz für eine echte DAV-<br />
Fortbildungsoffensive und flankiert<br />
die 2006 beginnende Werbekampagne<br />
des DAV „Vertrauen ist gut, Anwalt ist<br />
besser“. Die Fortbildungsbescheinigung<br />
ist ein wirksames Marketinginstrument<br />
und bringt so einen echten<br />
Mehrwert für unsere Mitglieder. Unsere<br />
Mandanten werden insbesondere<br />
die inhaltliche Transparenz der Bescheinigung<br />
zu schätzen wissen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Zuletzt eine Prognose:<br />
Wie viele Fortbildungsbescheinigungen<br />
werden 2006 ausgestellt werden?<br />
Krönert-Stolting: Im Jahr 2006<br />
rechnen wir mit voraussichtlich 15.000<br />
Bescheinigungen.<br />
Die Fragen stellte Rechtsanwalt<br />
Dr. Nicolas Lührig, Berlin.<br />
DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />
Wer bekommt sie?<br />
Wofür gibt es sie?<br />
Was muss ich tun?<br />
Der Vorstand des DAV hat auf seiner<br />
Sitzung am 15. September 2005 in<br />
Brüssel beschlossen, einen Fortbildungsnachweis<br />
für seine Mitglieder<br />
anzubieten. Der Beitrag stellt die<br />
Eckpunkte der Fortbildungsbescheinigung<br />
dar und erläutert, wie DAV-<br />
Mitglieder sie erhalten können.<br />
9 Mitglieder der örtlichen Anwaltvereine<br />
im DAV (DAV-Mitglieder)<br />
können die Fortbildungsbescheinigung<br />
erhalten, wenn sie sich im<br />
Umfang von mindestens sechs Stunden<br />
pro Jahr fortbilden.<br />
9 Diese sechs Stunden müssen auf Seminarveranstaltungen<br />
u. ä. entfallen.<br />
HierzuzählenSeminare,sonstigeFachveranstaltungen<br />
(z. B. Qualitätszirkel –<br />
Gesprächskreise),dievonörtlichenAnwaltvereinen<br />
und Kammern angeboten<br />
werden, Online-Seminare, FernstudiumoderDozententätigkeit.<br />
9 Der DAV erteilt die Fortbildungsbescheinigung<br />
für die Fortbildungen<br />
des Vorjahres (1. Januar bis 31. <strong>Dezember</strong>).<br />
Die Bescheinigung weist die<br />
nachgewiesenen Fortbildungen einzeln<br />
aus, inklusive der Anzahl der<br />
Fortbildungsstunden. Das macht die<br />
Fortbildungsbescheinigung transparent<br />
– wer sich besonders viel fortbildet,kanndasauchsichtbarmachen.<br />
9 Der DAV geht davon aus, dass diejenigen<br />
Anwältinnen und Anwälte,<br />
die an Seminaren und sonstigen<br />
Lehrveranstaltungen teilnehmen, darüber<br />
hinaus Fortbildung im Wege<br />
des Eigenstudiums betreiben (Vorund<br />
Nachbereitung, Lektüre von<br />
Fachzeitschriften, etc.), so dass insgesamt<br />
eine Fortbildungszeit von<br />
deutlich mehr als den ausgewiesenen<br />
Stunden erreicht wird.<br />
9 Die Bescheinigung wird unaufgefordert<br />
erteilt, soweit dem DAV<br />
durch Fortbildungsveranstalter Teilnehmerdaten<br />
von DAV-Mitgliedern<br />
zugänglich gemacht werden. Wer<br />
etwa bei der Deutschen Anwaltakademie,<br />
einer Arbeitsgemeinschaft<br />
des DAV oder einem örtlichen Anwaltverein<br />
Seminare im Umfang<br />
von mindestens sechs Zeitstunden<br />
besucht hat, erhält die Bescheinigung<br />
ohne besonderen Antrag. Wer sich<br />
bei weiteren Anbietern fortgebildet<br />
hat, die dem DAV keine solchen Daten<br />
zur Verfügung stellen, kann die<br />
Bescheinigung mit einem Formular<br />
beantragen, das im Internet unter<br />
www. anwaltverein.de/fortbildungs<br />
bescheinigung/antrag.pdf herunter<br />
geladen werden kann. Formulare erhalten<br />
DAV-Mitglieder auch bei ihrem<br />
örtlichen Anwaltverein.<br />
9 Jede anwaltsrelevante Fortbildung<br />
ist anrechenbar. Bei offensichtlichem<br />
Missbrauch behält sich der<br />
DAV die Nichtanerkennung vor.<br />
9 Anwaltsrelevante Fortbildungen<br />
umfassen neben Fortbildungsveranstaltungen<br />
zum materiellen,<br />
Prozess- und außerprozessualem Verfahrensrecht<br />
insbesondere Fortbildungsveranstaltungen<br />
zu den Themen<br />
Anwaltsrecht (z. B. Berufsrecht,<br />
Gebührenrecht, Kostenrecht, Haftpflichtrecht,<br />
Recht der berufsständischen<br />
Versorgung), zu anwaltlichen<br />
und interdisziplinären Schlüsselqualifikationen<br />
(vgl. § 5 a III DRiG) sowie<br />
zu den historischen, philosophischen,<br />
ethischen und gesellschaftlichen<br />
Grundlagen des Anwaltsberufs.<br />
9 Die Inhaber der Fortbildungsbescheinigung<br />
haben die Möglichkeit, die Urkunde<br />
nach außen hin zu präsentieren.<br />
Die Bescheinigung kann z. B. in Kanzleiräumen<br />
ausgehängt werden. Außerdem<br />
kann in der Kanzleibroschüre auf<br />
die Bescheinigung hingewiesen werden.<br />
Dabei ist darauf zu achten, dass die<br />
Kanzleibroschüre die notwendigen Hinweise<br />
zur Bedeutung der Bescheinigung<br />
enthält. Insbesondere darf in der Broschüre<br />
die Fortbildungsbescheinigung<br />
nur dem Rechtsanwalt zugeordnet sein,<br />
der sie inne hat und sie muss das Jahr<br />
der Erteilung angeben.<br />
9 In der Deutschen Anwaltauskunft<br />
(www.anwaltauskunft.de) werden<br />
Inhaber der DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />
ab Anfang 2006 besonders<br />
kenntlich gemacht.<br />
Rechtsanwalt Cord Brügmann,<br />
Berlin<br />
Detaillierte Informationen, Merkblätter<br />
sowie den Antrag auf Erteilung<br />
der DAV-Fortbildungsbescheinigung<br />
finden Sie im Internet unter www.<br />
anwaltverein.de (Stichwort: Fortbildungsbescheinigung)<br />
oder direkt beim<br />
DAV, Tel.: 0 30/72 61 52-143.>
756<br />
MN<br />
DAV-Aktuell<br />
„Wer nicht handelt, der<br />
wird behandelt.“<br />
Symposium zum Bologna-Prozess<br />
in der Juristenausbildung<br />
Drei plus zwei, vier plus eins, konsekutiver<br />
Studienaufbau, Modularisierung.<br />
So klingt es, wenn im Jahr 2005<br />
über die Zukunft der Juristenausbildung<br />
diskutiert wird. Trotzdem kamen<br />
mehr als 150 Juristen aus Wissenschaft,<br />
Politik und Berufsorganisationen<br />
zu einer Fachtagung in Berlin.<br />
Eingeladen hatten der Deutsche Anwaltverein,<br />
der Deutsche Juristen-Fakultätentag<br />
und der Deutsche Hochschulverband.<br />
Auf zwei Panels wurde über die<br />
Vereinbarkeit der Juristenausbildung<br />
in Deutschland mit dem Bologna-Prozess<br />
und über die Konsequenzen für<br />
die Vielfalt der Juristenausbildung diskutiert.<br />
In den Beiträgen auf dem Podium<br />
und aus dem Kreis der Teilnehmer<br />
wurde deutlich, dass eine<br />
Umstellung des Jurastudiums auf ein<br />
konsekutives Bachelor- und Master-<br />
Studium nicht unproblematisch ist.<br />
Wenn eine solche Umstellung komme,<br />
so die Veranstalter in einer gemeinsamen<br />
Erklärung, dann müsse das Bachelor-Studium<br />
mindestens vierjährig<br />
ausgelegt sein und damit in etwa der<br />
heutigen Studiendauer bis zur Ersten<br />
Juristischen Prüfung entsprechen. Ein<br />
grundständiges dreijähriges Bachelor-<br />
Studium qualifiziere keinesfalls zum<br />
Beruf des Richters oder Rechtsanwalts.<br />
Bei aller Betonung der Risiken waren<br />
sich Befürworter und Skeptiker in<br />
einem Punkt einig: Die Umstellung<br />
des Jurastudiums ist faktisch kaum<br />
noch aufzuhalten. Eine Gefahr bestehe<br />
darin, dass den bisher an der Diskussion<br />
um die Juristenausbildung Beteiligten<br />
das Heft des Handelns aus der<br />
Hand genommen wird. Konsens war,<br />
dass die nächste Reform keinesfalls<br />
von den Wissenschaftsministerien dirigiert<br />
werde dürfe.<br />
Kilger: Verzicht auf erste Staatsprüfung?<br />
Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Rechtsanwalt Hartmut<br />
Kilger, betonte in seinem Beitrag, was<br />
wie eine Selbstverständlichkeit erscheint,<br />
aber angesichts von juristischen<br />
Studiengängen an Fachhochschulen<br />
und der Fokussierung auf<br />
berufsbefähigende Studienabschlüsse<br />
doch der Bestätigung bedurfte: Das Jurastudium<br />
müsse wissenschaftlich ausgerichtet<br />
sein. Die Anwaltschaft brauche<br />
einen auf breiter Grundlage<br />
ausgebildeten Nachwuchs, keine<br />
„Schmalspurjuristen“, die zu früh mit<br />
einer Spezialisierung begönnen. Kilger<br />
wörtlich: „Rechtskundeunterricht gehört<br />
an Volkshochschulen und nicht an<br />
Universitäten.“ Kilger verband diese<br />
Forderung aber mit einer deutlichen<br />
Kritik an dem bisherigen Jurastudium:<br />
Insbesondere das Staatsexamenssystem<br />
führe dazu, dass Studierende ab dem 4.<br />
oder 5. Semester beim Repetitor Examensfalllösungstechnik<br />
paukten. Raum<br />
für wissenschaftliches Lernen und Arbeiten<br />
bliebe dabei nicht übrig. Daher<br />
könne er sich sehr wohl vorstellen, auf<br />
die Erste Staatsprüfung zu verzichten.<br />
Hier erntete Kilger deutlichen Widerspruch<br />
von den Wissenschaftlern<br />
und weiteren Berufsvertretern: Weniger<br />
in seiner Analyse des Studiums,<br />
sondern weil das Staatsexamen als objektives,<br />
zentralisiertes Verfahren zur<br />
Überprüfung von angehenden Referendaren<br />
unersetzlich sei. Auf dem Podium<br />
erfuhr Kilger nur Unterstützung<br />
durch Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hein<br />
Kötz, den ehemaligen Gründungspräsidenten<br />
der Hamburger Bucerius Law<br />
School. Kötz plädierte für eine Streichung<br />
des ersten Staatsexamens, um<br />
AnwBl 12/2005<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Rechtsanwalt Hartmut<br />
Kilger, Präsident des<br />
Deutschen Anwaltvereins,<br />
begrüßte als<br />
Gastrednerinnen BundesjustizministerinBrigitte<br />
Zypries (l.) und<br />
die bayerische Staatsministerin<br />
der Justiz<br />
Beate Merk.<br />
den Wettbewerb zwischen den juristischen<br />
Fakultäten voranzutreiben.<br />
Zypries: Eigenheiten des Jurastudiums<br />
Aber zurück zum Bologna-Prozess:<br />
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />
betonte, dass die Ziele des Bologna-Prozesses<br />
(vgl. Brügmann, Bologna-Prozess:<br />
Jurastudium ohne<br />
Grenzen?, AnwBl 2005, 537) zweifelsohne<br />
ihre Unterstützung fänden.<br />
Nur müsse man prüfen, ob nicht auch<br />
in der heutigen Ausbildung diese Ziele<br />
schon verwirklicht seien. Als Beispiel<br />
nannte sie die Förderung der Mobilität<br />
der Studierenden: Heute würden 14 %<br />
aller Studierenden einen Teil ihres Studiums<br />
im Ausland absolvieren. Unter<br />
den Studierenden des Faches Jura<br />
seien es schon 22 %. Zypries äußerste<br />
die Sorge, dass bei einer Umstellung<br />
auf ein Bachelor-/Master-System die<br />
Eigenheiten des Jurastudiums nicht genügend<br />
Berücksichtigung finden könnten.<br />
Während die bayerische Staatsministerin<br />
der Justiz Dr. Beate Merk<br />
den Bologna-Prozess kategorisch ablehnte<br />
(„Ich möchte eine Einstellung<br />
des Verfahrens.“), stellte der nordrhein-westfälischeBundestagsabgeordnete<br />
Dr. Günter Krings fest, dass die<br />
Chancen, sich gegen die Reform zu<br />
wehren, sehr gering seien: Europäische<br />
Harmonisierungsbestrebungen<br />
hätten schon häufig eine bemerkens-<br />
Rechtsanwältin Verena<br />
Mittendorf, Vizepräsidentin<br />
des Deutschen<br />
Anwaltvereins, mit<br />
Prof. Dr. Peter M. Huber<br />
(l.), Vorsitzender<br />
des Deutschen Juristen-Fakultätentages,<br />
und Prof. Dr. Bernhard<br />
Kempen, Präsident des<br />
Deutschen Hochschulverbands.
AnwBl 12/2005 757<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Wiesen auf die Eigendynamik des Bologna-Prozesses<br />
hin: Der Bundestagsabgeordnete<br />
Dr. Günter Krings (CDU, l.)<br />
und der bayerische Landtagsabgeordnete<br />
Dr. Ludwig Spaenle (CSU).<br />
werte Eigendynamik entwickelt. Außerdem<br />
würden die Hochschulen in<br />
Deutschland praktisch alle Fächer auf<br />
das Bachelor-/ Master-System umstellen;<br />
diese Entwicklung würde auch<br />
vor den juristischen Fakultäten nicht<br />
halt machen. Daher appellierte Krings<br />
an alle an der Juristenausbildung Beteiligten,<br />
konstruktiv zusammenzuwirken,<br />
damit sie Herren des Verfahrens<br />
blieben und die Qualität in der Juristenausbildung<br />
forcierten.<br />
Wissenschaftspolitiker machen Druck<br />
Krings fand Unterstützung bei dem<br />
einzigen Nicht-Juristen auf dem Podium:<br />
Dr. Ludwig Spaenle, bayerischer<br />
Landtagsabgeordneter und Vorsitzender<br />
des Ausschusses für Hochschule, Forschung<br />
und Kultur schätzte die Eigendynamik<br />
des Bologna-Prozesses als so<br />
hoch ein, dass sich für ihn die Frage des<br />
„Ob“ gar nicht mehr stellte. Mit Blick<br />
auf die bayerische Diskussion um andere<br />
Staatsexamensstudiengänge versuchte<br />
er den Skeptikern die Sorge zu<br />
nehmen, dass die Umstellung des Jurastudiums<br />
zwangsläufig mit einem Qualitätsverlust<br />
einher gehen müsse. In Bayern<br />
habe man sich entschieden, bei der<br />
Umsetzung der Reformen den Grundsatz<br />
„Qualität vor Zeit“ zu beherzigen<br />
und mache damit gute Erfahrungen.<br />
Die an die Statements anschließende<br />
Diskussion brachte kein einheitliches<br />
Bild zu Tage, sondern spiegelte<br />
die unterschiedlichen Kenntnisse über<br />
und Erfahrungen mit dem Bologna-<br />
Prozess wider. Im zusammenfassenden<br />
Schlussstatement der Tagung stellte<br />
sich der Vorsitzende des Deutschen Juristen-Fakultätentags<br />
Prof. Dr. Peter<br />
M. Huber deutlich auf die Seite der<br />
Bologna-Kritiker. Die Mehrheit der<br />
Podiumsgäste hatte er damit auf seiner<br />
Seite. Ob das auch für die Mehrheit<br />
der Konferenzteilnehmer galt, darf bezweifelt<br />
werden.<br />
Rechtsanwalt Cord Brügmann, Berlin<br />
DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />
Stellungnahmen zu<br />
Gesetzesvorhaben<br />
Der Deutsche Anwaltverein begleitet<br />
aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl<br />
auf nationaler als auch auf europäischer<br />
und internationaler<br />
Ebene. Stellungnahmen des DAV werden<br />
von seinen 31 Gesetzgebungsausschüssen<br />
erarbeitet. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
weist regelmäßig auf wichtige<br />
Stellungnahmen hin. Alle Stellungnahmen<br />
finden sich unter www.anwaltverein.de/03/05/in<br />
dex.html.<br />
Ausschüsse Justizreform, Zivilverfahrensrecht,<br />
Handelsrecht und<br />
Geistiges Eigentum<br />
9 Erstinstanzliche Zuständigkeit<br />
des OLG in besonderen Zivilrechtsstreitigkeiten<br />
Die 76. Justizministerkonferenz<br />
(JuMiKo) hat Ende Juni dafür plädiert,<br />
dass für bestimmte, sachlich abgegrenzte<br />
Verfahren auf dem Gebiet des<br />
Wirtschaftsrechts eine erstinstanzliche<br />
Zuständigkeit des Oberlandesgerichts<br />
geschaffen werden sollte.<br />
Die JuMiKo-Arbeitsgruppe „Attraktivität<br />
der Ziviljustiz steigern/ Prorogationsmöglichkeiten<br />
erweitern“<br />
hat einen Formulierungsvorschlag für<br />
die Schaffung einer erstinstanzlichen<br />
Zuständigkeit der Oberlandesgerichte<br />
vorgelegt, zu dem der Deutsche Anwaltverein<br />
gegenüber dem federführend<br />
zuständigen Justizministerium<br />
Baden-Württemberg nun Stellung genommen<br />
hat. Der DAV hältaufder<br />
Grundlage der Beratungen seiner<br />
Ausschüsse Justizreform, Zivilverfahrensrecht,<br />
Geistiges Eigentum und<br />
Handelsrecht an seiner schon in der<br />
Stellungnahme des Ausschusses Justizreform<br />
vom Mai 2005 erklärten<br />
Auffassung fest, dass sich die Einführung<br />
einer erstinstanzlichen Zuständigkeit<br />
des Oberlandesgerichts in „besonderenZivilrechtsrechtsstreitigkeiten“<br />
nicht empfiehlt.<br />
Ausschüsse Zivilrecht und Arbeitsrecht<br />
9 Denkschrift zur Umsetzung der<br />
Antidiskriminierungsrichtlinien<br />
nach der Bundestagsneuwahl<br />
Der Deutsche Anwaltverein (Arbeitsrechtsausschuss<br />
und Zivilrechtsausschuss)<br />
hat in einer Denk-<br />
schrift – rechtzeitig zu Beginn der<br />
Verhandlungen über eine Große Koalition<br />
– Anregungen für eine 1 zu<br />
1 Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien<br />
in der<br />
neuen Legislaturperiode gegeben.<br />
Der DAV hatte sich in der<br />
Vergangenheit mehrfach zu den<br />
verschiedenen – gescheiterten –<br />
SPD/Grünen-Gesetzentwürfen der<br />
vergangenen Legislaturperiode geäußert.<br />
Es wurde wiederholt darauf<br />
hingewiesen, dass die Entwürfe im<br />
Bereich des allgemeinen Zivilrechts<br />
deutlich über eine 1 zu 1-Umsetzung<br />
der Richtlinien hinausgingen.<br />
Im Arbeitsrecht lag der Schwerpunkt<br />
der Kritik auf dem Umstand,<br />
dass die neuen Regelungen nicht in<br />
die bestehenden Regelwerke sowie<br />
das System arbeitsrechtlicher<br />
Schutznormen integriert, sondern<br />
unreflektiert aufgesattelt werden<br />
sollten, was für den Rechtsanwender<br />
ungeahnte Probleme ausgelöst<br />
hätte. Die CDU/CSU-Fraktion hatte<br />
vor der Wahl angekündigt, für den<br />
Fall einer Übernahme der Regierungsverantwortung<br />
eine neue Gesetzesvorlage<br />
zur Umsetzung der<br />
Richtlinien 2000/43, 2000/78 und<br />
2002/73 einzubringen, der nicht<br />
über den in den Richtlinien vorgesehenen<br />
Diskriminierungsschutz hinausgehen<br />
soll.<br />
Deutscher Anwaltverein<br />
9 Gesetzentwurf für eine Untätigkeitsbeschwerde<br />
Das Bundesjustizministerium hat<br />
einen Gesetzentwurf für eine Untätigkeitsbeschwerde<br />
vorgelegt, wenn<br />
ein Gericht das Verfahren ohne<br />
sachlichen Grund nicht in angemessener<br />
Frist fördert (siehe AnwBl<br />
10/2005, S. VI). Der Deutsche Anwaltverein<br />
begrüßt uneingeschränkt<br />
das Ziel des Entwurfes, durch einen<br />
innerstaatlichen Rechtsbehelf die<br />
aus Art. 6 Abs. 1 und 13 EMRK<br />
folgende Verpflichtung Wirklichkeit<br />
werden zu lassen, über eine Streitigkeit<br />
innerhalb angemessener Frist zu<br />
verhandeln und zu entscheiden.<br />
Dies entspreche dem verfassungsrechtlichen<br />
Gebot der Gewährung<br />
effektiven Rechtschutzes. In Umsetzung<br />
verschiedener Urteile des Europäischen<br />
Gerichtshofes für Menschenrechte<br />
hatte daher der DAV<br />
schon im März 2003 einen entsprechenden<br />
Gesetzesvorschlag unterbreitet.
758<br />
MN<br />
DAV-Internetforum<br />
Neues Forum zur<br />
Referendarausbildung<br />
DAV-Mitglieder diskutieren bereits<br />
über RVG und Pro Bono<br />
Der DAV hat das Internetangebot für<br />
seine Mitglieder unter www.anwalts<br />
forum.de um ein Diskussionsforum<br />
zur Referendarausbildung erweitert.<br />
Neben dem äußerst erfolgreichen<br />
RVG-Forum und dem im Sommer<br />
2005 gestarteten Pro Bono-Forum<br />
können DAV-Mitglieder sich nunmehr<br />
auch zu Fragen rund um die Referendarausbildung<br />
austauschen. Der virtuelle<br />
Austausch hat im Herbst 2005 begonnen.<br />
DAV und Menschenrechte<br />
UIA kämpft für<br />
Menschenrechte<br />
Der Deutsche Anwaltverein ist in<br />
vielen internationalen und europäischen<br />
Anwaltsorganisationen aktiv<br />
und setzt sich auch dort für den<br />
Schutz der Menschenrechte ein. In<br />
einer Serie berichtet das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
über die Aktivitäten dieser Anwaltsorganisationen.<br />
In diesem<br />
Heft: Die Union Internationale des<br />
Avocats (UIA). Die UIA wurde im<br />
Jahr 1927 von einer Gruppe von<br />
europäischen Anwälten gegründet.<br />
Heute steht die UIA Anwälten der<br />
ganzen Welt offen. Daneben umfasst<br />
sie mehr als 200 Anwaltorganisationen,<br />
die insgesamt fast 2<br />
Millionen Anwälte repräsentieren.<br />
Die UIA hat ihren Schwerpunkt<br />
eindeutig in den Bereich der Verteidigung<br />
von Menschenrechtlern gesetzt.<br />
Sie unterhält deshalb enge Beziehungen<br />
zu den verschiedenen<br />
weltweiten Vertretungen der Vereinten<br />
Nationen, bei denen sie eine beratende<br />
Stellung einnimmt. Die<br />
Treffen der Mitglieder der UIA, die<br />
im VN-Hauptquartier in New York<br />
abgehalten werden, helfen, die Verbindung<br />
zwischen den Anwaltorganisationen<br />
und den professionellen<br />
Vertretungen der Vereinten Nationen<br />
aufrechtzuerhalten.<br />
Darüber hinaus kooperiert die<br />
UIA mit anderen professionellen<br />
Organisationen und nicht-staatlichen<br />
Stellen (NGOs). Sie interve-<br />
Aus den Diskussionen im Forum:<br />
9 Rechtsanwalt G., Frankfurt am Main<br />
zu „Referendariat allgemein“: „ ... ich<br />
beschäftige derzeit erstmalig eine Referendarin,<br />
die die 9-monatige Anwaltsstation<br />
absolviert. Ich war anfangs<br />
sehr positiv hierzu eingestellt ... .<br />
Leider habe ich bislang keine signifikanten<br />
Unterschiede zu vorherigen –<br />
„kürzeren“ – Stationsreferendaren bemerken<br />
können. ... Ich ... finde es ...<br />
schade, dass bei der Planung des juristischen<br />
Vorbereitungsdienstes so wenig<br />
berücksichtigt wird, dass es während<br />
der Referendarausbildung nie<br />
wieder eine gleich gelagerte Gelegenheit<br />
geben wird, den Beruf des Rechtsanwalts<br />
für einen längeren Zeitraum<br />
so intensiv kennen zu lernen. ... Ich<br />
plädiere daher dafür, dass die An-<br />
niert unter anderem in betroffenen<br />
Staaten, um die Einhaltung der<br />
Menschenrechte zu sichern, zum<br />
Bespiel in Tunesien, im Libanon<br />
und Bosnien-Herzogowina. Um<br />
diese Aufgaben zu erfüllen, unterhielt<br />
die UIA bisher vier Kommissionen,<br />
die zukünftig enger kooperieren:<br />
Die<br />
Menschenrechtskommission, die<br />
Frauen-und-Recht-Kommission, die<br />
Kommission der Rechte der Kinder<br />
und die der Verteidigung der Verteidigung.<br />
Stellungnahmen<br />
Die UIA verabschiedet zudem<br />
rechtspolitische Stellungnahmen im<br />
Bereich Menschenrechte – beispielsweise<br />
2004 die sogenannte<br />
„Guantanamo resolution“ und 2005<br />
eine „right to health resolution“. Zudem<br />
veröffentlichte sie eine eigene<br />
CD-Rom mit den wichtigen Rechtsquellen<br />
im Bereich Menschenrechte.<br />
Außerdem bieten Seminare und<br />
Kongresse der UIA die Möglichkeit<br />
zur Reflektion über verschiedene<br />
menschenrechtsbezogene Themen.<br />
In naher Zukunft wird eine von<br />
der UIA unabhängige Stiftung<br />
gegründet werden, die der Unterstützung<br />
der UIA u. a. bei der Verfolgung<br />
von Menschenrechtsverletzungen<br />
dienen soll.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
Berlin<br />
Weitere Informationen können<br />
auf der Website der UIA abgerufen<br />
werden, www.uianet.org.<br />
AnwBl 12/2005<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Beantworten Sie<br />
die Frage von<br />
Rechtsanwältin<br />
Ulrike Gantert,<br />
Markt Schwaben<br />
(Foto), unterwww.anwalts<br />
forum.de.<br />
waltsstation nicht zur Vorbereitung auf<br />
die Examensklausuren missbraucht<br />
wird ... , sondern Referendaren ohne<br />
nahenden Examensstress die Möglichkeit<br />
gegeben wird, intensiv und praxisorientiert<br />
den Beruf des Rechtsanwalts<br />
kennen zu lernen. Dies kann man indes<br />
nur leisten, wenn der Kopf frei ist,<br />
alles andere entspricht eben nicht der<br />
täglichen Anwaltspraxis.“<br />
9 Rechtsanwältin Ulrike Gantert,<br />
Markt Schwaben, zu „DAV-Anwaltausbildung<br />
– Das DAV-Ausbildungshandbuch“:<br />
„... wer nach dem Curriculum<br />
der DAV-Anwaltausbildung ausbildet,<br />
mutet seinen Referendaren viel Arbeit<br />
zu. Die 460 Fragen des DAV-Ausbildungshandbuchs<br />
zu beantworten, ist<br />
aber auch für den Ausbilder nicht einfach.<br />
Was tun Sie, wenn eine der Themen<br />
in Ihrem Kanzleialltag nicht vorkommt?<br />
Versuchen Sie, den Inhalt<br />
theoretisch zu vermitteln oder lassen<br />
Sie Ihren DAV-Referendar für eine<br />
kurze Zeit in einer anderen Kanzlei<br />
hospitieren?“<br />
Diskutieren auch Sie mit. Stellen<br />
Sie Ihre Fragen oder beantworten Sie<br />
Anfragen von Kolleginnen und Kollegen.<br />
Voraussetzung ist, dass sich die<br />
Teilnehmer registrieren. Dies können<br />
alle DAV-Mitglieder mit ihrem Namen<br />
und ihrer Adresse tun. Sowohl den Benutzernamen<br />
als auch das Passwort<br />
kann man selbst aussuchen. Melden<br />
Sie sich an unter www.anwaltsfo<br />
rum.de oder nutzen Sie Ihren Benutzernamen<br />
aus dem RVG- bzw. dem<br />
Pro-Bono-Forum.<br />
Brü<br />
Das Internetdiskussionsforum des<br />
Deutschen Anwaltvereins steht DAV-
AnwBl 12/2005 759<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Mitgliedern unter www.anwalts<br />
forum.de offen.<br />
Deutsche Anwaltauskunft<br />
TV-Sponsoring ergänzt<br />
Werbekampagne<br />
Anwaltauskunft.de sponsert<br />
Fernsehsendung<br />
Im Januar 2006 startet die von der<br />
DAV-Mitgliederversammlung beschlossene<br />
Werbekampagne der deutschen<br />
Anwaltschaft mit Anzeigen in bundesweiten<br />
Publikationen. Das ist noch<br />
nicht alles: Der DAV verstärkt das<br />
Marketing für die deutsche Anwaltschaft<br />
auch mit TV-Sponsoring. Die<br />
Deutsche Anwaltauskunft – der Anwaltsuchtdienst<br />
des DAV – sponsert<br />
die Sendung „Steuern & Recht“ des<br />
Nachrichtensenders „n-tv“.<br />
Ein TV-Sponsoring ist im Vergleich<br />
zu der teuren TV-Werbung finanzierbar.<br />
Es lohnt sich für die Deutsche Anwaltauskunft<br />
im Zusammenhang mit einer<br />
Sendung, in der mandatsträchtige<br />
Rechtsthemen für Laien aufbereitet werden<br />
– und dem Zuschauer Hinweise gegeben<br />
werden, wie er ein sein „gutes<br />
Recht“ (im Zweifel durch seinen Anwalt)<br />
durchsetzen kann. Die Werbekampagne<br />
des DAV wird als Absender auch<br />
die Deutsche Anwaltauskunft nennen.<br />
Dadurch wird die Anwaltauskunft breiten<br />
Bevölkerungskreisen noch bekannter<br />
und die Nachfrage nach anwaltlicher<br />
Dienstleistung stärker auf die Mitglieder<br />
der örtlichen Anwaltvereine konzentriert.<br />
Ein Auftritt der Deutschen Anwaltauskunft<br />
als Sponsor bei einem<br />
Nachrichtensender komplettiert die Anstrengungen<br />
zur Imageverbesserung.<br />
Nachrichtensender mit geeigneter<br />
Zielgruppe<br />
Mit der Werbekampagne soll als<br />
Kernzielgruppe das mittlere/gehobene<br />
Drittel der Bevölkerung angesprochen<br />
werden. Das sind zum Beispiel die Inhaber<br />
von kleineren und mittleren Unternehmen,<br />
die Menschen mit besserem<br />
Einkommen, Akademiker und<br />
leitende Angestellte. Durch die Nennung<br />
der „anwaltauskunft.de“ als einer<br />
der beiden Hauptsponsoren zum Beginn<br />
und am Ende der Sendung „Steuern<br />
& Recht“ wird auch diese Zielgruppe<br />
erreicht. Der Co-Sponsor der<br />
Sendung ist die Rechtschutzversicherung<br />
DAS. Die Ausstrahlung der Sen-<br />
dung erfolgt 14-tägig am Freitag ab<br />
19:35 Uhr, also zur sogenannten Primetime.<br />
Eine Wiederholung wird in<br />
der folgenden Woche jeweils am Montag<br />
um 15:35 Uhr ausgestrahlt.<br />
Durch die Aufnahme der DAS als<br />
Co-Sponsor ist eine wesentlich höhere<br />
Frequenz und somit eine erheblich höhere<br />
Reichweite bei der Platzierung<br />
der Marke „anwaltauskunft.de“ möglich.<br />
Es wird nicht nur eine Nennung<br />
am Anfang und am Ende der Sendung<br />
geben, sondern auch in den zehn Ankündigungstrailern<br />
zur jeweiligen Sendung<br />
„Steuern & Recht“.<br />
Qualitativ hochwertige Rechtssendungen<br />
notwendig<br />
Durch das Engagement unterstützt<br />
der DAV auch eine qualitativ hochwertige<br />
Rechtssendung. In den vergangenen<br />
Jahren war ein Rückgang seriöser<br />
Berichterstattung über Rechts- und<br />
Justizthemen im Fernsehen zu beobachten.<br />
Neben den bestehenden anspruchsvollen<br />
Formaten wie „ARD-<br />
Ratgeber Recht“, „WiSo“ oder „Recht<br />
brisant“ zeichnet sich die TV-Landschaft<br />
mehr durch Gerichtsshows und<br />
Anwaltsserien aus – in denen es um<br />
Alles, aber nicht um das Recht geht.<br />
DAV im Redaktionsbeirat<br />
Der DAV ist in dem Redaktionsbeirat<br />
der Produktionsfirma vertreten.<br />
Nach Maßgabe der rundfunkrechtlichen<br />
Bestimmungen berät dieser Redaktionsbeirat<br />
den Produzenten. Dabei<br />
handelt es sich um ein Arbeitsgremium,<br />
in dem insbesondere Themenvorschläge<br />
für die Filmbeiträge gemacht<br />
werden.<br />
Themenschwerpunkt der ersten<br />
Sendung am 30. September 2005 war<br />
z. B. die Abwicklung von „Unfällen im<br />
Der Trailer, in dem auf die Sponsoren<br />
aufmerksam gemacht wird, ist hochwertig<br />
produziert worden. Dabei erscheint ein<br />
Labyrinth, durch das eine Kugel rollt, die<br />
ihr Ziel findet. Durch die Nennung der<br />
„anwaltauskunft.de“ wird deutlich, dass<br />
die Anwaltschaft durch das Dickicht und<br />
das Labyrinth des Rechts zum Ziel führt.<br />
Ausland“. An Hand von Beispielen<br />
wurde das Procedere verdeutlicht, die<br />
Schadensersatzansprüche im Heimatland<br />
bei einem „Schadensregulierungsbeauftragten“<br />
des ausländischen Haftpflichtversicherers<br />
geltend zu machen.<br />
Als genereller Ansprechpartner bei<br />
Unfällen kam die Anwaltschaft mehrfach<br />
auch in Interviewform zu Wort.<br />
Zwei Wochen später war ein Themenschwerpunkt<br />
der „Urlaubsanspruch<br />
bei der Fußball-WM“. Die Leitlinien<br />
der Urlaubsregelungen wurden dargestellt<br />
und Tipps zur geltenden Rechtslage<br />
wurden in der Sendung gegeben.<br />
Der Beitrag am 28. Oktober 2005<br />
widmete sich der Übertragung von Familienimmobilien.<br />
Die Vorschriften für die<br />
steuerliche Bewertung von Immobilien<br />
und Betriebsvermögen werden vermutlich<br />
verschärft. Derzeit wartet der Gesetzgeber<br />
auf eine Entscheidung des<br />
Bundesverfassungsgerichts zur Frage, ob<br />
die gegenüber Aktien und Geldgeschenken<br />
im Schenkungs- und Erbschaftssteuergesetz<br />
festgeschriebene Unterbewertung<br />
von Immobilien gegen den<br />
Gleichheitsgrundsatz verstößt. Die Sendung<br />
fragte daher nach, was Anwälte raten<br />
und gab Tipps, wie die Übertragung<br />
reibungslos geht und wie sich der Übertragende<br />
sichern kann, damit er durch<br />
die Übertragung keine Nachteile hat.<br />
Passend zum Datum des 11.11. behandelte<br />
die Sendung die „Trunkenheit<br />
auf dem Drahtesel“. Denjenigen, die<br />
volltrunken auf dem Fahrrad erwischt<br />
werden, droht nicht nur der Verlust<br />
des Führerscheins, sondern auch ein<br />
Radfahr-Verbot. Eine Presseveröffentlichung<br />
der Deutschen Anwaltauskunft<br />
wurde damit zum Thema des<br />
Beitrages gemacht.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />
Berlin
760<br />
MN<br />
Anwaltsverein Heidelberg<br />
Anwälte werben auf<br />
Mittelstandsmesse<br />
Kooperation mit der Sparkasse<br />
Heidelberg<br />
Neue Wege bei der Werbung für die<br />
anwaltliche Beratung geht der Anwaltsverein<br />
Heidelberg. In einer Gemeinschaftsaktion<br />
seiner Mitglieder<br />
wurde gezielt der Mittelstand angesprochen.<br />
In Verbindung mit der Gemeinschaftswerbung<br />
des Deutschen<br />
Anwaltvereins bieten sich für Ortsvereine<br />
neue Möglichkeiten. Es berichtet<br />
der Vereinsvorsitzende:<br />
Als Kooperationspartner der Sparkasse<br />
Heidelberg hat der Anwaltsverein<br />
Heidelberg an der Veranstaltung<br />
„Zukunft Unternehmen“, der ersten<br />
Mittelstandsmesse der Sparkasse, Anfang<br />
Oktober teilgenommen.<br />
Ähnlich wie bei einem Tag der Justiz<br />
im Jahr 2004 hatten wir dabei als<br />
zentralen Anlaufpunkt einen Informationsstand<br />
des Anwaltsvereins Heidelberg<br />
aufgebaut, diesen mit Flyern und<br />
Plakaten (soweit verfügbar) bestückt<br />
und standen dort, mit jeweils drei bis<br />
fünf Kolleginnen und Kollegen, für<br />
Fragen rund um das Thema „Recht“<br />
zur Verfügung.<br />
Fachvorträge der Mitglieder<br />
Der Informationsstand wurde sehr<br />
gut angenommen. Fragen gab es von<br />
vielen Unternehmern und potenziellen<br />
Existenzgründern insbesondere zu den<br />
Themen Rechtsberatungsgesetz, Gebühren<br />
und zu einzelnen speziellen<br />
Fällen, wo wir den einen oder anderen<br />
Tipp geben konnten. Dieser Tipp war<br />
natürlich immer verbunden mit dem<br />
Hinweis, unverzüglich „richtige“ anwaltliche<br />
Hilfe unter Vorlage von Unterlagen<br />
etc. in Anspruch zu nehmen.<br />
Vom Informationsstand aus wurden<br />
auch die Vorträge koordiniert, die unsere<br />
Mitglieder zu insgesamt zwölf<br />
Themen gehalten haben. Diese Vorträge<br />
waren sehr gut besucht und haben<br />
sicherlich dazu beigetragen, die<br />
Wahrnehmung der Anwaltschaft in der<br />
Öffentlichkeit zu verbessern. Daneben<br />
war es unser Anliegen, Beratungsbedarf<br />
zu wecken und auf potenzielle<br />
Gefahren in rechtlicher Sicht hinzuweisen.<br />
Insgesamt hätten wir wesentlich<br />
mehr Vorträge anbieten können, was<br />
aber aufgrund der zur Verfügung stehenden<br />
Zeitfenster für den Anwaltsverein<br />
nicht möglich war. Die Beteiligung<br />
von insgesamt rund 30<br />
Kolleginnen und Kollegen war sehr erfreulich<br />
und hat auch zu einer guten<br />
Breitenwirkung unseres Auftritts geführt.<br />
Medienecho<br />
Die Mittelstandsmesse wurde auch<br />
im Vorfeld beworben: Zusammen mit<br />
einem Vorstandsmitglied der Sparkasse<br />
habe ich im Rahmen einer von<br />
mir initiierten Livesendung im Radio<br />
mit Anrufmöglichkeit auf den Unternehmertag<br />
und hier in meiner Funktion<br />
als Vorsitzender des Anwaltsvereins<br />
insbesondere auf die<br />
Dienstleistungen hingewiesen, die die<br />
Anwaltschaft für Unternehmerinnen<br />
und Unternehmer erbringen kann und<br />
gleichzeitig Gefahren herausgearbeitet,<br />
die bestehen, wenn andere Berufsgruppen<br />
als Anwältinnen und Anwälte mit<br />
der Klärung von Rechtsfragen beauftragt<br />
werden.<br />
Solche Kooperationen für bestimmte<br />
Veranstaltungen bieten sich<br />
sicherlich auch in anderen Städten an.<br />
In Heidelberg kam die Kooperation<br />
auf unsere Initiative hin zustande.<br />
Rechtsanwalt Michael Eckert,<br />
Heidelberg<br />
Mitglieder des Anwaltsvereins<br />
Heidelberg warben<br />
für die Anwaltschaft:<br />
Rechtsanwalt Ralf Schmitz<br />
(Mitte), Rechtsanwältin<br />
Sabine Kronenberger und<br />
Rechtsanwalt Michael<br />
Eckert (Vorsitzender des<br />
Anwaltsverein Heidelberg).<br />
AnwBl 12/2005<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Landesverband Thüringen<br />
Rechtsanwälte auf<br />
Augenhöhe mit der Justiz<br />
Thüringer Justizminister beim<br />
IX. Landesanwaltstag in Jena<br />
Der Landesverband Thüringen hat<br />
– nach mehrjähriger Unterbrechung –<br />
im Oktober wieder einen Landesanwaltstag<br />
veranstaltet. Der Vorsitzende<br />
des Landesverbandes berichtet:<br />
Die Resonanz auf den IX. Landesanwaltstag<br />
in Jena war mit 120 Teilnehmern<br />
sowie 18 Ausstellern und<br />
Sponsoren gut. Über den aktuellen<br />
Stand der Arbeiten zur Justizreform<br />
berichtete der Thüringer Justizminister<br />
Harald Schliemann auf der Abendveranstaltung<br />
im Turmrestaurant „Scala“<br />
in 130 Metern Höhe. Die Arbeiten<br />
werden nach seinen Worten noch einige<br />
Zeit in Anspruch nehmen. Die<br />
Justizminister hätten Arbeitsaufträge<br />
an die Staatssekretäre zur weiteren<br />
Bearbeitung zurückgegeben. Zur Einbindung<br />
der Rechtsanwälte sagte er,<br />
dass nach Abschluss der Beratungen<br />
die Rechtsanwälte an den weiteren<br />
Überlegungen selbstverständlich beteiligt<br />
würden.<br />
Anwälte als Ausbilder<br />
Zur Ausbildung von Rechtsreferendaren<br />
äußerte der Minister die Bitte,<br />
dass sich mehr Anwälte als Ausbilder<br />
für Arbeitsgemeinschaften im Referendariat<br />
zur Verfügung stellen sollten.<br />
Es sei nicht gut, wenn Rechtsanwälte<br />
von Richtern oder Staatsanwälten ausgebildet<br />
würden. Der Vorsitzende des<br />
Landesverbandes Thüringen, Rechtsanwalt<br />
Andreas Schiller, sagte darauf,<br />
dass die Anwaltschaft bereit stehe,<br />
aber die vom Staat gezahlte Vergütung<br />
für Anwälte zu niedrig sei.<br />
Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />
Hartmut Kilger begrüßte<br />
es, dass die Landesverbände Anwaltstage<br />
anbieten. Diese dezentralen Veranstaltungen<br />
hätten vor allem in den<br />
neuen Bundesländern regen Anklang<br />
gefunden. Präsident Kilger wies darauf<br />
hin, dass die Zulassungszahlen von<br />
Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen<br />
weiter stiegen und dies ein Problem<br />
für die Anwaltschaft sei. Der<br />
DAV setze sich für die Qualitätssicherung<br />
ein und habe daher eine Fortbildungsbescheinigung<br />
geschaffen.<br />
In einem humorvollen Grußwort<br />
nahm stellvertretend für die Thüringer
AnwBl 12/2005 761<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Justiz der Vizepräsident des Oberlandesgericht<br />
Thüringen, Kotzian-Markgraf,<br />
das Verhältnis von Richterschaft<br />
und Anwaltschaft zum Anlass, einerseits<br />
eine Verschlechterung des Umgangstones<br />
an den Gerichten zu bedauern,<br />
andererseits aber für eine<br />
sachliche und verständnisvolle Kooperation<br />
zwischen beiden Berufsgruppen<br />
zu werben. Er betonte, dass beide Berufsgruppen<br />
letztlich dem gleichen<br />
Ziel verpflichtet seien.<br />
Die vom DAV kurz vor dem Anwaltstag<br />
beschlossene Werbekampagne<br />
Kölner Anwaltverein<br />
Größter Ortsverein mit<br />
mehr als 4.000 Mitgliedern<br />
Kostengünstige Fortbildung<br />
Konkurrenz belebt das Geschäft.<br />
Wer ist der größte Ortsverein? Geht<br />
es nach der Mitgliederzahl, liegt<br />
Köln weit vorne – und wächst weiter.<br />
Bereits seit einiger Zeit ist der<br />
Kölner Anwaltverein der größte örtliche<br />
Anwaltverein in Deutschland.<br />
Die Anwaltvereine anderer großen<br />
Städte – wie Hamburg, Frankfurt,<br />
München, Stuttgart und Berlin – liegen<br />
zurück. Dieser Abstand vergrößert<br />
sich stetig, nicht zuletzt auch<br />
ein Verdienst von über 200 ehrenamtlich<br />
tätigen Mitgliedern des Kölner<br />
Anwaltvereins, die im Vorstand<br />
und in den zahlreichen Ausschüssen<br />
und Arbeitskreisen des Kölner Anwaltvereins<br />
engagiert für die Anwaltschaft<br />
wirken.<br />
Aber auch die zahlreichen kostengünstigenFortbildungsveranstaltungen<br />
und Fachanwaltslehrgänge des<br />
Kölner Anwaltvereins haben mit<br />
dazu beigetragen, dass die Mitglied-<br />
Trafen sich auf dem Landesanwaltstag<br />
(v.l.n.r.):<br />
Indra Stolze (Landesverband<br />
Thüringen), Petra<br />
Geißinger (Vorsitzende<br />
Erfurter Anwaltverein),<br />
Hartmut Kilger (DAV-<br />
Präsident), Harald<br />
Schliemann (Thüringer<br />
Justizminister), Andreas<br />
Schiller (Vorsitzender<br />
Landesverband Thüringen)<br />
und Thomas Fuhrmann<br />
(stellv. Vorsitzender<br />
Landesverband Thüringen).<br />
für die Anwaltschaft begrüßte der Vorsitzende<br />
des DAV-Landesverbandes<br />
Thüringen, Rechtsanwalt Andreas<br />
Schiller. Er rief die Kolleginnen und<br />
Kollegen auf, sich freiwillig umfassend<br />
fortzubilden und nicht abzuwarten,<br />
bis irgendwie geartete Sanktionen<br />
zur Durchsetzung der bereits in der<br />
BRAO enthaltenen Fortbildungspflicht<br />
geschaffen werden. Ein Lob für die<br />
Veranstaltung kam vom Obmann der<br />
Landesverbände, Rechtsanwalt Thomas<br />
Markworth.<br />
Rechtsanwalt Andreas Schiller, Jena<br />
schaft als hochattraktiv und ein Eintritt<br />
als nahezu selbstverständlich angesehen<br />
wird. Bereits durch den<br />
Besuch von ein bis zwei Fortbildungsveranstaltungen<br />
pro Jahr hat<br />
sich schließlich der Mitgliedsbeitrag<br />
in Höhe von derzeit E 170,00 schon<br />
gerechnet. Von der Möglichkeit der<br />
Inanspruchnahme zahlreicher Rahmenverträge<br />
und Kooperationen einmal<br />
abgesehen.<br />
Im September 2005 konnte der<br />
1. Vorsitzende des Kölner Anwaltvereins<br />
Dr. Rainer Klocke nun das<br />
viertausendste Mitglied des Kölner<br />
Anwaltvereins in der Geschäftsstelle<br />
persönlich begrüßen. Es handelt sich<br />
um Rechtsanwältin Uta Hildebrandt,<br />
die seit Juli 2005 in einer bekannten<br />
Kölner Strafverteidigerkanzlei tätig<br />
ist. Hildebrandt hat an der Universität<br />
zu Köln studiert und ist derzeit<br />
neben ihrer beruflichen Tätigkeit mit<br />
dem Abschluss ihres Promotionsvorhabens<br />
am Kriminologischen Institut<br />
der Universität zu Köln beschäftigt.<br />
Der Arbeitstitel der Arbeit lautet:<br />
Neue Steuerungsmodelle im Strafvollzug.<br />
Selbstverständlich wird der Kölner<br />
Anwaltverein nicht ruhen,<br />
weitere Mitglieder zu werben. Das<br />
Anwaltverein Hagen<br />
Ausstellung zur<br />
Anwaltsgeschichte<br />
Zu Gast im Landgericht<br />
Der Anwalt- und Notarverein des<br />
Landgerichtsbezirks Hagen hat die<br />
zunächst beim 56. Deutschen Anwaltstag<br />
in Dresden in diesem Jahr gezeigte<br />
Ausstellung „Rechtsanwälte<br />
und ihre Geschichte“ im September<br />
nach Hagen geholt.<br />
Unter reger Teilnahme von Vertretern<br />
aus Justiz, Politik, Wirtschaft, Kirchen<br />
und Anwaltschaft wurde die<br />
Ausstellung eröffnet. Sie stand dem<br />
Publikum mit freundllicher Unterstützung<br />
des Präsidenten des Landgerichts<br />
Hagen mehrere Wochen offen.<br />
In der Eröffnungsveranstaltung hob<br />
der Staatssekretär im Justizministerium<br />
Nordrhein-Westfalen Jan Söffing,<br />
die Bedeutung einer selbstbewussten<br />
und starken Anwaltschaft für den<br />
Rechtsstaat hervor. Es gelte, hellhörig<br />
und wachsam zu sein, wenn Anwaltsrechte<br />
im Prozess beschnitten und<br />
bekannte und sehr breite Servicespektrum<br />
wird hierzu noch weiter<br />
ausgebaut werden. Es ist unser Ziel,<br />
allen Mitgliedern die kostengünstige<br />
und unproblematische Möglichkeit<br />
zu bieten, sich auf allen Fachgebieten<br />
fortbilden zu können. Des weiteren<br />
haben wir uns auf die Fahne<br />
geschrieben, die ausgezeichneten<br />
Kontakte zu den Gerichten und Behörden<br />
im Sinne der Anwaltschaft<br />
zu pflegen und weiter auszubauen.<br />
Nicht unerwähnt lassen möchten<br />
wir, dass wir per Stand 17.10.2005<br />
bereits auf 4.082 Mitglieder blicken<br />
können.<br />
Rechtsanwalt Dr. Dominik Scheuerer,<br />
Köln<br />
Der 1. Vorsitzende des Kölner Anwaltvereins<br />
Dr. Rainer Klocke begrüßt das<br />
viertausendste Mitglied im Kölner Anwaltverein:<br />
Rechtsanwältin Uta Hildebrandt<br />
ist seit Juli 2005 in einer Kölner<br />
Strafverteidigerkanzlei tätig.
762<br />
MN<br />
Eröffneten die von Prof. Dr. Hinrich<br />
Rüping (2.v.l.) zusammengestellte Ausstellung<br />
(v.l.): Wolfgang Ehrler (Vorsitzender<br />
des Anwaltvereins Hagen), Jan Söffing<br />
(Staatssekretär im Justizministerium<br />
Nordrhein-Westfalen) und Ernst Espey<br />
(Präsident des Landgerichts Hagen).<br />
Mittel der Verteidigung eingeschränkt<br />
würden: Die Stellung der Anwaltschaft<br />
ist immer auch ein Gradmesser<br />
für die Verfassung des Rechts und des<br />
Rechtsstaats in Deutschland“. Söffing<br />
erinnerte an renommierte Anwälte wie<br />
Max Alsberg, Max Hirschberg und<br />
Hans Litten, die in der NS-Zeit wegen<br />
ihres Eintretens für Recht und Gerechtigkeit<br />
verfolgt wurden. „Mit diesen<br />
Anwälten ging für Deutschland mehr<br />
verloren als einige der herausragenden<br />
Anwaltspersönlichkeiten. Im Dritten<br />
Reich wurde eine ganze Rechtskultur<br />
vernichtet; der Rechtsstaat ging unter“,<br />
sagte Söffing.<br />
Einführung von Prof. Dr. Rüping<br />
Professor Dr. Hinrich Rüping<br />
(Hannover) der die Ausstellung zusammengestellt<br />
hatte, führte anhand<br />
konkreter Fälle in die Ausstellung ein,<br />
die überwiegend auf der Auswertung<br />
von Personalakten beruht. Die Auswahl<br />
von Texten aus dem 18. bis 20.<br />
Jahrhundert betrifft als Vorarbeit zu einer<br />
modernen Geschichte der Anwaltschaft<br />
Fragen der Berufsorganisation<br />
in Kammern und Vereinen, der Berufszulassung<br />
als Dauerthema des Numerus<br />
Clausus, der Berufsgerichtsbarkeit,<br />
des Berufsfeld in der Weimarer Republik,<br />
der Anpassung und Selbstanpassung<br />
im Nationalsozialismus sowie der<br />
Entnazifizierung nach 1945.<br />
Der Ausstellung sind nach der Premiere<br />
in Dresden und der Wiederholung<br />
in Hagen viele Wege zu Ausstellungsorten<br />
in der Bundesrepublik<br />
zu wünschen.<br />
Rechtsanwalt Bernd Dentzer, Wetter<br />
(Ruhr)<br />
AG Verkehrsrecht<br />
Wegweisend im<br />
Verkehrsrecht –<br />
zum 25. Mal<br />
Jubiläumveranstaltung der<br />
Homburger Tage<br />
Zu den besonders etablierten Tagungen<br />
im DAV gehören die Homburger<br />
Tage der AG Verkehrsrecht. Bei der<br />
Jubiläumsveranstaltung im Oktober<br />
würdigte der DAV-Präsident die Leistung<br />
der AG und ihres Vorsitzenden<br />
Rechtsanwalt JR Hans-Jürgen Gebhardt.<br />
Seit dem Jahr 1981 treffen sich regelmäßig<br />
Vertreter der Anwaltschaft,<br />
der Justiz und der Versicherungen im<br />
kleinen Homburg an der Saar um aktu-<br />
elle Fragen rund um das Verkehrsrecht<br />
zu diskutieren. Bereits die 1. Homburger<br />
Tage 1981 hatten Folgen, die von<br />
Kfz-Versicherern heute noch bemerkt<br />
werden. Thema der Tagung war der<br />
Haushaltsführungsschaden, eine damals<br />
weithin unbekannte Schadensposition.<br />
Heute können Haftpflichtversicherer<br />
erkennen, ob ein Mitglied der<br />
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />
den Unfallschaden reguliert, je nachdem,<br />
ob der Haushaltsführungsschaden<br />
geltend gemacht wird, oder nicht.<br />
Wegweisend für die Regulierung<br />
von Personenschäden war in diesem<br />
Jahr der Vortrag von Rechtsanwalt<br />
Heinz L. Furtmayr (Landshut) zum<br />
Thema „Rentenschaden trotz Beitragsregress<br />
nach § 119 SGB X“.<br />
Vorsicht Falle: Rentenschaden<br />
§ 119 SGB X sieht vor, dass der<br />
Rentenversicherungsträger kraft eines<br />
gesetzlichen Forderungsübergangs den<br />
AnwBl 12/2005<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Beitragsausfall selbst reguliert. Gegenüber<br />
dem Geschädigten ist der Rentenversicherungsträger<br />
hierbei wie ein<br />
Treuhändler tätig. Der Beitragseinzug<br />
orientiert sich in aller Regel an der<br />
Höhe des Verdienstausfallschadens.<br />
Furtmayr wies darauf hin, dass der<br />
Beitragsregress seit der Neuregelung<br />
der Erwerbsminderungsrenten im Rentenreformgesetz<br />
1999 für Zeiten ab<br />
1.1.2001 nicht mehr geeignet ist, einen<br />
für den Geschädigten eintretenden<br />
Rentenschaden ausreichend auszugleichen.<br />
Durch die gesetzliche Neuregelung<br />
werde ein Abschlag auf die Entgeltpunkte<br />
errechnet, die bereits vor<br />
der Schädigung liegen. Dieser Abschlag<br />
sei bei allen Renten wegen Erwerbsminderung<br />
zu beachten, die vor<br />
dem 63. Lebensjahr bewilligt werden<br />
und gelte auch bei Bezug einer Altersrente<br />
oder der Hinterbliebenenleis-<br />
Der Vorsitzende der<br />
AG Verkehrsrecht<br />
Rechtsanwalt JR Hans-<br />
Jürgen Gebhardt<br />
(links) mit Generalbundesanwalt<br />
Kay<br />
Nehm (rechts) und<br />
Rechtsanwalt Georg<br />
Greißinger, ehemaliger<br />
Vizepräsident des DAV<br />
und über lange Jahre<br />
Vorsitzender des DAV-<br />
Verkehrsrechtsausschuss.<br />
tung. Durch den Beitragsregress nach<br />
§ 119 SGB X werde zwar der Beitragsausfall<br />
für die Zeit nach der Schädigung<br />
reguliert. Der Schaden, der<br />
durch die Kürzung der vor der Schädigung<br />
liegenden Entgeltpunkte eintritt,<br />
sei hierdurch jedoch nicht regulierbar.<br />
Insoweit bestehe auch kein Forderungsübergang<br />
gegenüber dem gesetzlichen<br />
Rentenversicherungsträger. Der<br />
dem Geschädigten dadurch entstehende<br />
weitere Nachteil bei seinem<br />
künftigen Rentenbezug ist von ihm<br />
selbst geltend zu machen, so Furtmayr.<br />
Die weiteren Vorträge behandelten<br />
die Themen „Die Rechtsprechung des<br />
BGH zum Fahrzeugschaden seit dem<br />
2. Schadensrechtsänderungsgesetz“<br />
(Richter am BGH Dr. Hans-Peter<br />
Greiner, Karlsruhe); „Ausgewählte<br />
Fragen aus der Kraftfahrt-/Unfallversicherung“<br />
(Vors. Richter am BGH<br />
Wilfried Terno, Karlsruhe); „Neue<br />
Möglichkeiten zur Rekonstruktion von
AnwBl 12/2005 763<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
DAV-Vorstand Rechtsanwalt Oskar Riedmeyer<br />
(r.) im Gespräch mit Richter am<br />
BGH Wolfgang Wellner vom VI. Zivilsenat.<br />
Pkw-/Zweiradunfällen“ (Dr. Johannes<br />
Priester, Saarbrücken) und „Straßenverkehr<br />
und Grenzwerte für Drogen<br />
aus forensisch-toxikologischer Sicht“<br />
(Prof. Dr. Manfred R. Möller, Homburg).<br />
Symposium aus Anlass der 25. Homburger<br />
Tage<br />
Am Vortag der Homburger Tage<br />
hatte die Arbeitsgemeinschaft zu einem<br />
Symposium aus Anlass des<br />
25. Jubiläums und zu Ehren des Begründers<br />
der Tagung Rechtsanwalt JR<br />
Hans-Jürgen Gebhardt geladen. Namhafte<br />
Referenten wie Generalbundesanwalt<br />
Kay Nehm und der Präsident<br />
Saarländischen OLG Prof. Dr. Ronald<br />
Rixecker würdigten die Bedeutung der<br />
Tagung in ihren Fachvorträgen.<br />
„Hans-Jürgen Gebhardt und die<br />
Homburger Tage sind eine Institution“,<br />
sagte DAV-Präsident Hartmut Kilger in<br />
seiner Ansprache. Kilger verwies auf<br />
die Vorbildfunktion der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht und der<br />
Homburger Tage für den DAV und<br />
seine anderen Arbeitsgemeinschaften.<br />
Vor dem Hintergrund der weiterhin aktuellen<br />
Diskussion um die Novellierung<br />
des Rechtsberatungsrechts und<br />
den gravierenden Veränderungen in<br />
der juristischen Ausbildung durch Europa<br />
müsse die Anwaltschaft die<br />
Grundwerte des Berufs, aber auch die<br />
Qualität der eigenen Dienstleistung<br />
besonders hervorheben, um künftig gegenüber<br />
großen Zahlen von Bachelor-<br />
Juristen zu bestehen. Tagungen wie die<br />
Homburger Tage seien ein wesentlicher<br />
Bestandteil zur Sicherung und für<br />
den Ausbau des hohen Standards der<br />
anwaltlichen Tätigkeit, so Kilger.<br />
Rechtsanwalt Philipp Wendt, Berlin<br />
AG Versicherungsrecht<br />
Zeit fliegt – jährliches<br />
Symposium bereits<br />
zum 10. Mal<br />
Jubiläumsveranstaltung zur<br />
Kraftfahrtversicherung<br />
Die Versicherungsrechtler im DAV feierten<br />
auf ihrem Symposium Ende<br />
September 2005 ein Jubiläum. Das<br />
Kölner Symposium zum Versicherungsrecht<br />
fand zum 10. Mal statt –<br />
und ausnahmsweise traf man sich<br />
nicht in Köln, sondern in Hildesheim.<br />
Thema war die Kraftfahrtversicherung.<br />
Das Thema des Symposiums hatte<br />
in mehrfacher Hinsicht Symbolcharakter<br />
für die Jubiläumsveranstaltung der<br />
Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht.<br />
Man mag es kaum glauben, aber<br />
es lässt sich nicht leugnen, diese Arbeitsgemeinschaft<br />
ist bereits seit zehn<br />
Jahren aktiv.<br />
Nicht ohne Widerstände wurde<br />
diese Arbeitsgemeinschaft seinerzeit<br />
aus der Taufe gehoben. So bestand ursprünglich<br />
die Sorge, dass durch die<br />
Einführung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Versicherungsrecht gewisse Überschneidungen<br />
mit den Themen anderer<br />
Arbeitsgemeinschaften auftreten könnten.<br />
Diese Bedenken konnten durch<br />
die Überzeugungsarbeit und Tatkraft<br />
von Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van<br />
Bühren, Vorsitzender des geschäftsführenden<br />
Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />
Versicherungsrecht, ausgeräumt<br />
werden.<br />
Gutes Verhältnis zur AG Verkehrsrecht<br />
Wie selbstverständlich wird heute<br />
das Thema Kraftfahrtversicherung sowohl<br />
von der Arbeitsgemeinschaft<br />
Versicherungsrecht als auch von der<br />
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht behandelt.<br />
Wie gut diese beiden Arbeitsgemeinschaften<br />
miteinander harmonieren<br />
zeigt sich auch an dem Umstand,<br />
dass ein Mitglied des geschäftsführenden<br />
Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht zu diesem Thema<br />
auf dem diesjährigen Symposium<br />
referiert hat. Genauso selbstverständlich<br />
ist es, dass Teile der Versicherungswirtschaft<br />
und der mit dem Versicherungsrecht<br />
beschäftigten<br />
Rechtsprechung in beiden Arbeitsgemeinschaften<br />
referieren.<br />
Die Referate<br />
Zur Überschrift „Kraftfahrtversicherung“<br />
wurden fünf außerordentlich interessante<br />
Referate gehalten. Den Eingangsvortrag<br />
hielt Rechtsanwalt Jörg<br />
Elsner aus Hagen zum Thema „Konfliktvertretung<br />
im Haftpflicht- und<br />
Deckungsprozess“. Die Sicht- und<br />
Vorgehensweise der Versicherungswirtschaft<br />
im Bereich des „Personenschadenmanagements<br />
in der Kraftfahrtversicherung“<br />
wurde von Helmut Kühl<br />
beleuchtet, stellvertretender Vorsitzender<br />
des Vorstandes der Volksfürsorge<br />
Deutsche Sachversicherung AG. Das<br />
dritte Referat hielt Prof. Dr. Karl Maier<br />
von der Fachhochschule Köln zum<br />
Thema „Verstöße gegen das Transparenzgebot<br />
in den AKB“. Die „Beweisprobleme<br />
im Deckungsprozess“<br />
wurden von Richterin am BGH Dr. Si-<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss der AG Versicherungsrecht über den Dächern von<br />
Hildesheim (v.l.n.r.): Günter Schmaler (Vorstand des DAV), Dr. Jens Tietgens,<br />
Monika Maria Risch, Dr. Georg Greißinger, Dr. Hubert van Bühren, Dr. Hartmut<br />
Lübbert, Heidemarie Haack-Schmahl (DAV-Geschäftsführung), Prof. Dr. Michael Terbille<br />
(zugleich Vorsitzender des Gesetzgebungsausschusses Versicherungsrecht).
764<br />
MN<br />
Blick ins Plenum: Winfried Terno<br />
(Vorsitzender des IV. Zivilsenats des<br />
BGH) schaltete sich in die Diskussion<br />
ein, neben ihm Versicherungsombudsmann<br />
Prof. Wolfgang Römer und der Leiter<br />
des Arbeitskreises Personenversicherung<br />
der Arbeitsgemeinschaft<br />
Rechtsanwalt Arno Schubach (rechts).<br />
bylle Kessal-Wulf beleuchtet. Das Abschlussreferat<br />
hielt Rechtsanwalt Dr.<br />
Hartmut Lübbert aus Freiburg zu der<br />
Frage „Bürgerversicherung statt Haftung<br />
im Straßenverkehr – Eine Bilanz“.<br />
Allen Beiträgen war gemein, dass sie<br />
außergewöhnlich interessante Aspekte<br />
der Kraftfahrtversicherung beleuchteten,<br />
die den Anlass für angeregte und<br />
ausgiebige Diskussionen gaben.<br />
Wer viel arbeitet, darf auch feiern<br />
Bei der Gründung der ARGE ging<br />
man voller Bescheidenheit von einer<br />
geringen Mitgliederzahl aus. Mittlerweile<br />
zählt die AG mehr als 1.000<br />
Mitglieder – grund genug, diesen Erfolg<br />
ausgiebig zu feiern. Zu den Gratulanten<br />
gehörte Rechtsanwältin Verena<br />
Mittendorf, Vizepräsidentin und<br />
Schatzmeisterin des Deutschen Anwaltvereins.<br />
Prof. Wolfgang Römer,<br />
Richter am BGH a. D. und Versicherungsombudsmann,<br />
erinnerte in einer<br />
launigen Rede an die Anfänge und<br />
den Werdegang der AG.<br />
Auch in diesem Jahr hatte Rechtsanwältin<br />
Monika Maria Risch die<br />
Abendveranstaltung organisiert. Wie<br />
immer hat es sich um eine fabelhafte<br />
und glanzvolle Veranstaltung gehandelt.<br />
Der große Zulauf zur Arbeitsgemeinschaft<br />
Versicherungsrecht lässt<br />
sich natürlich mit der Vielzahl der interessanten<br />
Themen erklären, die immer<br />
wieder für die Fortbildungsveranstaltungen<br />
gefunden werden. Es<br />
sind aber eben auch diese Abendveranstaltungen,<br />
die dem jährlichen Symposium<br />
immer wieder einen solchen<br />
Glanz verleihen und die die Teilnehmer<br />
nicht mehr missen möchten.<br />
Rechtsanwalt Oliver Meixner,<br />
Hamburg<br />
AG Anwaltsnotariat<br />
Herbsttagung:<br />
Neues im Notariat<br />
Diskussion über den Zugang zum<br />
Notariat<br />
An den herrlichen spätsommerlichen<br />
Tagen des 9. und 10. September 2005<br />
hielt die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat<br />
am Prager Platz zu Berlin<br />
ihre 27. Tagung der Veranstaltungsreihe<br />
„Neues im Notariat“.<br />
Das Programm enthielt wie meistens<br />
neben aktuellen fach- und praxisbezogenen<br />
Themen (GmbH, Bauschreibung,<br />
Eheverträge) auch einen<br />
aktuellen berufspolitischen Teil (Zugang<br />
zum Anwaltsnotariat, Übertragung<br />
von Aufgaben auf die Notare).<br />
Alles war gut, half den in erfreulich<br />
angenehmer Zahl erschienen Kolleginnen<br />
und Kollegen für ihre Praxis und<br />
stärkte sie außerdem in ihrem beruflichen<br />
Selbstverständnis.<br />
Haftungsbegrenzung und GmbH<br />
Zu Beginn der Veranstaltung sprach<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Lutz<br />
Weipert (Bremen) zum Thema „Das<br />
Ende der Haftungsbegrenzung der<br />
GmbH?“. In wenigen Sätzen und<br />
meisterhaft gewann er den nach langer<br />
Unsicherheit durch das Urteil des<br />
BGH „Bremer Vulkan“ neu bestätigten<br />
Grundsatz, von dem aus das Denken<br />
um die Kapitalgesellschaft neu entwickelt<br />
werden konnte. Es ist das<br />
Trennungsprinzip, das es ermöglicht,<br />
ein für unternehmerische Zwecke eingesetztes<br />
Risikokapital zu verselbständigen.<br />
Dieses Kapital ist zur vorrangigen<br />
Befriedigung der<br />
Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung<br />
zu halten. Nur unter dieser Voraussetzung<br />
ist die Haftungsbeschränkung gerechtfertigt.<br />
Die wichtigsten Linien,<br />
die sich aus diesem Grundsatz ergeben,<br />
wurden aufgezeigt und sodann<br />
nach einem klärenden Wort zur Sitztheorie<br />
des deutschen internationalen<br />
Gesellschaftsrechts durch die Untiefen<br />
der EuGH-Entscheidungen „Überseering“<br />
und „Inspire Art“ gezogen, die<br />
den Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme<br />
eröffnet haben. Wie<br />
dem zu begegnen sei, da Rechtsvereinheitlichung<br />
noch in weiter Ferne ist,<br />
macht vorläufig etwas ratlos. Zu bedenken<br />
ist aber für den Praktiker, damit<br />
schloss der Referent seine Analyse, ob<br />
der kaufmännische Rechtsverkehr gut<br />
beraten ist, wenn er aus angeblichen<br />
Günstigkeitsgründen „zwanglos“ mit<br />
AnwBl 12/2005<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
ausländischen Kapitalgesellschaften<br />
umgeht, die in ihm fremd sind. Er tut das<br />
nämlich auf eigenes Risiko. Es gab eine<br />
qualitätsvolle Diskussion, in der mancher<br />
Aspekt vertieft werden konnte.<br />
Zugang zum Anwaltsnotariat<br />
Der Themenblock „Zugang zum<br />
Anwaltsnotariat. Übertragung von<br />
Aufgaben auf die Notare“ ist in aller<br />
Munde. Die Fragen sind von Lösungen<br />
noch entfernt. Modellstücke gibt<br />
es zum Teil in schriftlicher Form. Eike<br />
Maass und Günter Schmaler erläuterten<br />
sehr anschaulich die bisher diskutierten<br />
Ansätze zur Bearbeitung der<br />
beiden Fragenkomplexe. Der Ausschuss<br />
und die Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwaltsnotariat des DAV haben noch<br />
nicht definitiv Position bezogen, sondern<br />
in den Müdener Thesen und in einer<br />
ersten Stellungnahme aus 2004 nur<br />
Grundlinien aufgezeigt. Deshalb war<br />
es sehr hilfreich, mit den Teilnehmern<br />
lange diskutieren zu können.<br />
Baubeschreibung und Eheverträge<br />
Am Samstagvormittag sprach<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr. Detlef<br />
Schmidt, Berlin, sehr praxisnah und<br />
genau über „Tücken der Baubeschreibung.<br />
Vereinbarung und Veränderung“.<br />
Die Baubeschreibung ist ein widriges<br />
Instrument, das eben deshalb von den<br />
Notaren in der Bearbeitung höchste<br />
Sorgfalt verlangt. Volle Klarheit muss<br />
der Notar sich verschaffen über den<br />
Vertragstyp, die formelle und materielle<br />
Verzahnung der Verweisurkunde,<br />
die die Baubeschreibung häufig ist, mit<br />
der Vertragsurkunde, sowie eventuelle<br />
Abweichungen der Baubeschreibung<br />
von der vorvertraglichen Produktdarbietung.<br />
Auch mit den rechtlichen<br />
Problemen, die sich bei Änderung der<br />
Baubeschreibung stellen, muss der Notar<br />
vertraut sein. Zu den skizzierten<br />
Fragen gab der Referent exzellente Praxishilfen,<br />
die er in der lebhaften Diskussion<br />
noch weiter vertieft.<br />
Zum Abschluss der Veranstaltung<br />
stellte Rechtsanwältin und Notarin<br />
Anne Klein, Berlin, die neuesten Entwicklungen<br />
zur notariell (anwaltlichen)<br />
Beratung bei Eheverträgen dar.<br />
Dabei ging es ausführlich und für den<br />
Praktiker hilfreich auch um den Umfang<br />
und die Tiefe der Belehrung der<br />
Klienten und Haftungsprobleme.<br />
Mitgliederversammlung<br />
Die Mitgliederversammlung verzeichnete<br />
eine erfreulich verbesserte
AnwBl 12/2005 765<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Kassenlage, die weitere Aktivitäten,<br />
über die berichtet wurde, ermöglicht.<br />
Sie wählte die Mitglieder des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses, denen<br />
sie herzlich dankte, Rechtsanwälte und<br />
Notare sowie Rechtsanwältinnen und<br />
Notarinnen Günter Schmaler (Emden),<br />
Dr. Wolfgang Heeb (Stuttgart), Elke<br />
Holthausen-Dux (Berlin), Gudrun<br />
Schräder-Hockstetter (Bochum), Jan de<br />
Vries (Leer), für eine weitere Amtszeit,<br />
die im Jahr 2007 endet.<br />
Man kann sich nicht nur auf den<br />
Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwaltsnotariat exzellent fortbilden,<br />
sondern auch vergnügt und interessant<br />
mit den Kolleginnen und<br />
Kollegen besprechen. Das geschieht<br />
besonders am Freitagabend. Diesmal<br />
war die „Schöneberger Weltlaterne“<br />
der Ort, der die Teilnehmer aufnahm<br />
und sodann angenehm nach Hause (ins<br />
Hotel) leuchtete.<br />
Die nächste Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwaltsnotariat findet<br />
statt am 17. und 18. März 2006 in Köln.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />
Berlin<br />
Personalien<br />
Ehrendoktor für Brieske<br />
Rechtsanwalt und<br />
Notar Rembert<br />
Brieske (Bremen)<br />
wurde von der Fakultät<br />
für Rechtswissenschaften<br />
der Universität<br />
Bielefeld im<br />
November die Ehrendoktorwürde<br />
verliehen. Die Laudatio<br />
hielten Prof. Dr. Stephan Barton und<br />
Prof. Dr. Fritz Jost. Brieske – lange<br />
Jahre im Bremer Anwaltsverein aktiv<br />
– ist im Deutschen Anwaltverein u. a.<br />
seit 1993 im Vorstand und seit 1999<br />
dessen Vizepräsident.<br />
Maier-Reimer 65<br />
Das 65. Lebensjahr<br />
hat am 30. November<br />
2005 Rechtsanwalt Dr.<br />
Dr. h.c. Georg Maier-<br />
Reimer (Köln) vollendet.<br />
Er ist seit vielen<br />
Jahren Mitglied im Zivilrechtsausschuss<br />
des<br />
DAV und seit November<br />
1992 dessen Vorsitzender. Außerdem<br />
ist er unter anderem Mitglied des<br />
Handelsrechtsausschusses und war<br />
lange als Mitglied und Vorsitzender im<br />
DAV-Ausschuss Internationaler Rechtsverkehr<br />
aktiv.<br />
AG Sportrecht<br />
DAV-Sonderwertung<br />
beim Berlin-Marathon<br />
Der DAV hat in diesem Jahr das<br />
erste Mal im Rahmen des Berlin-Marathon<br />
Ende September 2005 eine<br />
Sonderwertung für DAV-Mitglieder<br />
angeboten. Dem Aufruf in der DAV-<br />
Depesche und dem <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
waren eine Läuferin, 17 Läufer und 2<br />
Inliner gefolgt. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
Sportrecht hatte die Preise für<br />
die Sonderwertung gestiftet. Am Tag<br />
nach dem Berlin-Marathon nahm im<br />
DAV-Haus in Berlin der Hauptgeschäftführer<br />
des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Dr. Dierk Mattik, die<br />
Siegerehrung vor.<br />
Er überreichte die Preise an<br />
Rechtsanwältin Anja Stöver/Itzehoe<br />
(03:57:51) sowie die Rechtsanwälte<br />
Jochen Böttcher/Berlin (02:55:14),<br />
Martin Schnell/Leipzig (02:55:25)<br />
und Markus Krammer/Sulzbach-Ro-<br />
Honorarprofessur<br />
Rechtsanwalt Dr. Holger Zuck,<br />
Stuttgart, Mitglied im DAV-Gesetzgebungsausschuss<br />
Informationsrecht,<br />
ist zum Honorarprofessor an der Hochschule<br />
Heilbronn Technik, Wirtschaft,<br />
Informatik ernannt worden.<br />
Auszeichnung von Anwälten<br />
Rechtsanwalt Dr. Bernd Luxemburger,<br />
Saarbrücken, ist vom saarländischen<br />
Justizminister Josef Hecken<br />
der Titel Justizrat verliehen worden.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Dr. Herbert Kempfler,<br />
Eggenfelden, das Verdienstkreuz<br />
1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Frau<br />
Rechtsanwältin Elisabeth Mach-Hour,<br />
München, das Verdienstkreuz am<br />
Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Hans Jürgen Manfred<br />
Paul Prinz, Köln, das Verdienstkreuz<br />
am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Dr. Karl-Heinz Thume,<br />
Nürnberg, das Verdienstkreuz am<br />
Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Den Siegern der DAV-Sonderwertung<br />
Rechtsanwalt Jochen Böttcher (Berlin,<br />
l.) und Rechtsanwältin Anja Stöver<br />
(Itzehoe) gratulierte Dr. Dierk Mattik<br />
(Hauptgeschäftsführer des DAV).<br />
senberg (03:09:36). Weitere Preisträger:<br />
Die Inliner Rechtsanwalt<br />
Thorsten P. Lind/Frankfurt (1:26:56)<br />
und Rechtsanwältin Verena Hagen/<br />
Iserlohn (1:37:12). An die Preisverleihung<br />
schloss sich ein Sektempfang<br />
an, bei dem der Wunsch<br />
geäußert wurde, der DAV möge<br />
diese Sonderwertungen beim Berlin-<br />
Marathon 2006 fortsetzen.<br />
Rechtsanwältin Heidemarie Haack-<br />
Schmahl, Berlin<br />
Neue Vereinsvorsitzende<br />
Schleswig-Holsteinischer Anwalts- und Notarverband:<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr.<br />
Wolfgang M. Weißleder, Kiel, wurde<br />
zum neuen Vereinsvorsitzenden gewählt.<br />
Sein Vorgänger Rechtsanwalt<br />
und Notar Manfred Goerke, Kronshagen,<br />
übergab den Verein an seinen<br />
Nachfolger nach 12jähriger Amtszeit.<br />
Coburger Anwaltverein:<br />
Rechtsanwalt<br />
Hellmut Ott, Coburg,<br />
gab nach 25jähriger<br />
Amtszeit den Vorsitz<br />
des Anwaltvereins an<br />
seinen Nachfolger<br />
Rechtsanwalt Wolfgang Hörnlein, Coburg,<br />
ab.<br />
Mecklenburg-VorpommerscherAnwaltsverein:Rechtsanwalt<br />
Rolf-Michael<br />
Eggert aus Trantow<br />
wurde zum neuen<br />
Vereinsvorsitzenden<br />
gewählt. Sein Vorgänger Dr. Reiner<br />
Stefanski, Demmin, stand dem Verein<br />
fünf Jahre vor.<br />
Nord-Brandenburgischer Anwaltverein:<br />
Neuer Vorsitzender des Anwaltvereins<br />
ist Rechtsanwalt Gerd<br />
Henning, Neuruppin. Er hat das Amt<br />
von seiner Vorgängerin Rechtsanwältin<br />
Juliane Böhm, Neuruppin, übernommen.
766<br />
MN<br />
u<br />
„Cicero“ –<br />
Pressefreiheit und<br />
Geheimnisverrat<br />
Claudia Venohr, NDR-Info<br />
Die Veröffentlichung eines offenbar<br />
vertraulichen Dossiers des Bundeskriminalamts<br />
(BKA) über den mutmaßlichen<br />
Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi<br />
im monatlich erscheinenden<br />
Magazin „Cicero“ rief die Staatsanwaltschaft<br />
auf den Plan. In Abwesenheit<br />
des Autors wurden sowohl die Redaktionsräume<br />
als auch das Privathaus<br />
des Journalisten durchsucht und kistenweise<br />
Akten beschlagnahmt. Der Vorwurf:<br />
Beihilfe zum Geheimnisverrat,<br />
§ 353 b Strafgesetzbuch. Der Artikel<br />
war bereits in der April-Ausgabe des<br />
Magazins zu lesen. Doch erst Monate<br />
später – im August – wurde vom BKA<br />
eine Ermächtigung für die Durchsuchungsaktion<br />
beantragt und noch ein<br />
paar Wochen später die Staatsanwaltschaft<br />
Potsdam in Marsch gesetzt.<br />
Merkwürdig! Aber wahrscheinlich<br />
gibt es dafür eine einfache Erklärung:<br />
im BKA wurde offenbar seit geraumer<br />
Zeit ein so genanntes „Leck“ vermutet.<br />
Interne Ermittlungen gegen Unbekannt<br />
blieben anscheinend ohne Erfolg. Bekannt<br />
hingegen ist der Journalist, Bruno<br />
Schirra, der den Artikel schrieb und darin<br />
auch das BKA als Quelle zitierte,<br />
freilich ohne konkrete Namensnennung.<br />
Nach dem Motto: „der Spatz in<br />
der Hand ist besser als die Taube auf<br />
dem Dach“ überzog man den Journalisten<br />
mit einem Ermittlungsverfahren<br />
wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat.<br />
Auf diese Art umgeht man gleich<br />
mehrfach verbrieftes Recht: Die verfassungsrechtlich<br />
verbürgte Pressefreiheit,<br />
inklusive Redaktionsgeheimnis,<br />
Vertraulichkeit zwischen Presse und<br />
Informanten sowie das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
von Journalisten, festgeschrieben<br />
in der Strafprozessordnung.<br />
Schöne Theorien, doch was sie<br />
in der Praxis taugen, verdeutlicht der<br />
Fall „Cicero“. Die Strafbarkeitsgrenze<br />
– insbesondere auf investigativem<br />
journalistischem Tätigkeitsfeld – ist<br />
mitunter schnell erreicht. Ein strafrechtlicher<br />
Vorwurf lässt sich problemlos<br />
konstruieren.<br />
Doch davon abgesehen wirft der<br />
Fall „Cicero“ vor allem ein Schlaglicht<br />
auf das offensichtlich völlig gestörte<br />
Verhältnis zwischen Politik und Presse.<br />
Es ist wie der berühmte Finger in der<br />
offenen Wunde, die sich immer wieder<br />
neu entzündet. Wie tief diese Wunde<br />
inzwischen klafft, wurde einer breiten<br />
Öffentlichkeit bereits in der so genannten<br />
„Elefantenrunde“ am Wahlabend<br />
Eine freie Presse ist<br />
unerlässlich für den<br />
demokratischen Rechtsstaat<br />
des 18. September vorgeführt. Ein gereizter<br />
Kanzler Gerhard Schröder, der<br />
nur noch Gift und Galle für die Art<br />
und Weise der Berichterstattung übrig<br />
hatte. Die Messer, so scheint es, sind<br />
gewetzt für das Hauen und Stechen<br />
um die Pressefreiheit und ihre Grenzen.<br />
Da kommt die Cicero-Geschichte<br />
gerade recht. Geheimnisverrat von<br />
Staatsschutzinteressen lautet der<br />
Schlachtruf auf der einen Seite, Polizeistaat<br />
und Verfassungsbruch auf der<br />
anderen. Beiden Seiten fehlt es an Besonnenheit<br />
und Augenmaß, von wohl<br />
tuenden Ausnahmen abgesehen, zu denen<br />
Otto Schily jedenfalls nicht zählt.<br />
Als Bundesinnenminister ist er inzwischen<br />
Geschichte. Mit diesem Vorfall,<br />
kurz vor seinem Abgang, bestätigte<br />
er jedoch einmal mehr sein<br />
gespaltenes Verhältnis zu Presse und<br />
Medien. Es misslang Schily schon<br />
häufiger, die Rechte von Journalisten<br />
zu beschränken, die möglicherweise<br />
von brisanten, geheimen Vorgängen erfahren<br />
könnten. Beispielsweise beim<br />
Versuch, auch die Redaktionsräume<br />
per großem Lauschangriff notfalls verwanzen<br />
zu können. Die Rechtfertigung<br />
durch Bedrohungsszenarien, wie internationalem<br />
Terrorismus oder „OK“<br />
– Organisierter Kriminalität – waren<br />
dabei immer wieder sozusagen das<br />
„Totschlagsargument“ für weitere Ein-<br />
AnwBl 12/2005<br />
schränkungen der grundgesetzlich garantierten<br />
Pressefreiheit. Kontrollverlust<br />
ist offenbar das, was Schily um<br />
jeden Preis vermeiden will. Die Tatsache,<br />
dass ein Journalist vertrauliche<br />
Akten des Bundeskriminalamts veröffentlichte,<br />
schien weniger wegen der<br />
Inhalte ein Problem zu sein. Das Geheimdossier<br />
aus dem Bundeskriminalamt<br />
bringt nicht viel Neues an den Tag,<br />
schon gar keine Sensationen, die Staatsschutzinteressen<br />
gefährden könnten.<br />
Ex-Minister Schily erzürnte wohl<br />
vor allem der unterschwellige Vorwurf,<br />
er habe sein Haus nicht im Griff.<br />
Da der vermeintliche Verräter in seinem<br />
Verantwortungsbereich nicht entdeckt<br />
werden konnte, wurde kurzerhand<br />
in Redaktionsstuben und<br />
Privaträumen nach brisanten Unterlagen<br />
gefahndet. Bei dieser Gelegenheit<br />
sind so genannte „Zufallsfunde“ nicht<br />
ausgeschlossen und, wie der Fall „Cicero“<br />
zeigte, auch herzlich willkommen.<br />
Die Durchsuchung war insofern<br />
offenbar eine lohnenswerte Angelegenheit,<br />
denn Materialien – beispielsweise<br />
zur „Leuna-Affäre“ – die ebenfalls<br />
als Verschlusssachen gelten,<br />
sollen sich darunter befunden haben.<br />
Nun werden noch andere Amtsträger<br />
in den Verdacht der Verletzung des<br />
Dienstgeheimnisses oder gar des Landesverrats<br />
geraten. Und der journalistische<br />
„Gehilfe“ hängt mitten drin, im<br />
Netz der Verdächtigungen.<br />
Wohin das führen kann, demonstrierte<br />
vor rund 40 Jahren die so genannte<br />
„SPIEGEL-Affäre“. Brisantes<br />
Bundeswehrmaterial wurde damals<br />
veröffentlicht und die gesamte Führungsetage<br />
der Redaktion kurzfristig<br />
inhaftiert. Ein rechtswidriger Vorgang,<br />
als dieser sich auch die aktuelle Beschlagnahme<br />
beim Autoren des „Cicero“<br />
herausstellen könnte. Dieser unverhältnismäßige<br />
Eingriff in die<br />
Pressefreiheit könnte fatale Folgen<br />
nach sich ziehen. Wer wird sich Presse<br />
und Medien noch anvertrauen, wenn<br />
er anschließend mit dem Staatsanwalt<br />
rechnen muss? Eine freie Presse ist<br />
aber unerlässlicher Bestandteil eines<br />
demokratischen Rechtsstaats. Wer die<br />
Verwirklichung der Pressefreiheit ins<br />
Ermessen von Behörden stellt, verlässt<br />
und verletzt diese Regeln. Wenn das<br />
Cicero wüsste! Der schrieb vor mehr<br />
als 2000 Jahren: „In Irrtum verfallen,<br />
beschieden ist’s allen. Im Irrtum verharren,<br />
ist Vorrecht der Narren ...“
AnwBl 12/2005 767<br />
EUROPA<br />
EU-Kommission<br />
Der Anwaltsberuf im Visier<br />
der EU-Wettbewerbshüter<br />
Folge-Bericht zum „Monti-Bericht“<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL.M., Berlin/Brüssel<br />
Deregulierung ist ein Zauberwort der Europäischen Kommission.<br />
Der Generaldirektion Wettbewerb sind die Berufsrechte<br />
der freien Berufe seit langem ein Dorn im Auge. Im<br />
Februar 2004 hatte sie den so genannten Monti-Bericht<br />
vorgestellt (dazu Ahlers, AnwBl 2004, 239 sowie Henssler/<br />
Kilian, AnwBl 2005, 1). Der Monti-Bericht stellte die Berufsrechte<br />
auf den Prüfstand. Jetzt gibt es den Folgebericht.<br />
Was bedeutet er für die Anwaltschaft?<br />
Die Kommission hat am 5. September 2005 einen Folge-<br />
Bericht (siehe http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUri<br />
Serv/site/de/com/2005/com2005_0405 de01.pdf) zum so<br />
genannten „Monti-Bericht“ und ein dazugehöriges Arbeitspapier<br />
(auf Englisch) herausgegeben. In dem Bericht wird<br />
dargestellt, welche Fortschritte die Mitgliedstaaten bei der<br />
Umsetzung der Forderungen der Kommission im Hinblick<br />
auf die Deregulierung freier Berufe, darunter auch der<br />
Rechtsanwälte, in den fünf Bereichen (i) verbindliche Festpreise,<br />
(ii) Preisempfehlungen, (iii) Werbung (iv) Zugangsvoraussetzungen<br />
und ausschließliche Rechte sowie (v) zulässige<br />
Unternehmensform und berufsübergreifende<br />
Zusammenarbeit gemacht haben. Die Kommission hatte im<br />
Monti-Bericht die mitgliedstaatlichen Behörden und Berufsverbände<br />
dazu aufgefordert, Regelungen der freien Berufe<br />
in den genannten Bereichen auf ihre Vereinbarkeit mit<br />
dem europäischen Wettbewerbsrecht zu durchforsten und<br />
nur noch wirklich notwendige, verhältnismäßige und gerechtfertigte<br />
Regeln aufrechtzuerhalten. Im nun vorliegenden<br />
Bericht wird den Mitgliedstaaten aufgetragen, weitere<br />
Reformanstrengungen zu unternehmen und bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />
auf den jeweiligen Empfänger abzustellen.<br />
Des weiteren kündigt die Kommission an, gegebenenfalls<br />
selbst Gesetzgebungsmaßnahmen nach Artikel 86<br />
Abs. 3 EG an die Mitgliedstaaten zu richten.<br />
Kritik an der Methode<br />
Wie schon bei der dem Monti-Bericht zugrunde liegenden<br />
Wiener Studie (siehe Henssler/Kilian, AnwBl 2005, 1),<br />
basiert die wirtschaftliche Analyse der Kommission auf<br />
Einzeluntersuchungen in verschiedenen Staaten, ohne damit<br />
verbundene Fragestellungen (z. B. Zusammenhang zwischen<br />
Vergütungssystem und Zugang zum Recht) zu untersuchen.<br />
Der Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne hat in<br />
einer Presseerklärung kritisiert, dass die Kommission dem<br />
Ziel, zugunsten des Verbrauchers mehr Wettbewerb zu<br />
schaffen, durch den reinen Liberalisierungsansatz nicht gerecht<br />
werde. Im Hinblick auf die Forderung der Kommission,<br />
Festpreise in Gebührenordnungen abzuschaffen, verweist<br />
er auf Großbritannien als ein Land, das vor Jahren<br />
zwar Gebührenordnungen abgeschafft habe, heute aber die<br />
mit Abstand höchsten Anwaltshonorare in der EU kenne.<br />
MN<br />
Die für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissarin Neelie<br />
Kroes wird nun voraussichtlich Ende November 2005 mit<br />
dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments diskutieren.<br />
Deregulierung in Deutschland<br />
Wo steht die deutsche Anwaltschaft der Kommission zufolge?<br />
Die Kommission bezeichnet die durch den DAV eingeforderte<br />
und auf den Weg gebrachte RVG-Reform als positiv:<br />
So entfallen ab dem 1. Juli 2006 die gesetzlichen<br />
Vergütungsvorschriften für den außergerichtlichen Bereich.<br />
Der DAV hat sich für diese und auch andere Reformen innerhalb<br />
des Anwaltsberufs stark gemacht, um den Gegebenheiten<br />
der Zeit gerecht zu werden, und hat dies bei seinen<br />
Gesprächen mit den Entscheidungsträgern in Brüssel<br />
immer wieder deutlich gemacht. So wirbt der DAV für Qualitätssicherung<br />
und Anreize für eine verstärkte Aus- und<br />
Fortbildung der Anwaltschaft. Auch bei der Reform des<br />
Rechtsberatungsgesetzes hat sich der DAV schon in einem<br />
sehr frühen Stadium durch die Vorlage eigener Vorschläge<br />
intensiv an der Diskussion beteiligt.<br />
Gespaltenes Berufsrecht denkbar?<br />
Gleichzeitig hat der DAV jedoch auch immer wieder betont,<br />
dass alle Reformen die anwaltlichen Grundwerte unangetastet<br />
lassen müssen. Aus dieser Forderung ergeben sich<br />
die Diskussionspunkte für die nun vorliegende Folgemitteilung.<br />
Die Kommission erkennt an, dass es grundsätzlich drei<br />
Gründe gibt, derartige Regelungen aufrecht zu erhalten (Informationsasymmetrien<br />
zwischen Experten und Kunden, externe<br />
Effekte der freiberuflichen Dienstleistungen auf andere<br />
Wirtschaftsbereiche und ihre Eigenschaft als<br />
öffentliches Gut, z. B. eine funktionierende Justizverwaltung).<br />
Allerdings seien diese Gründe nicht für alle Dienstleistungsempfänger<br />
in gleicher Weise relevant. Es müsse bei<br />
der Definition des öffentlichen Interesses nach unterschiedlichen<br />
Empfängern (zum einen einmalige/seltene Nutzer,<br />
d. h. Verbraucher und Privathaushalte; des weiteren der öffentliche<br />
Sektor; sowie Unternehmen, gegebenenfalls mit<br />
kleinern und mittleren Unternehmen als Extragruppe) und<br />
daraus folgender unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit differenziert<br />
werden.<br />
Diese Aufspaltung des Regelungsansatzes je nach<br />
Dienstleistungsempfänger würde dazu führen, dass z. B. bei<br />
den Berufszulassungsregeln im Zusammenhang mit Vorbehaltsaufgaben<br />
danach differenziert werden müsste, für<br />
wen eine bestimmte Dienstleistung erbracht werden soll.<br />
Der Deutsche Anwaltverein hat sich in seinen bisherigen<br />
Gesprächen mit der Generaldirektion Wettbewerb deutlich<br />
gegen eine solche Aufspaltung des öffentlichen Interesses<br />
je nach Dienstleistungsempfänger ausgesprochen. Ein solcher<br />
Ansatz ist nämlich aus mehreren Gründen bedenklich:<br />
Zum einen können Unternehmen in noch viel größerem<br />
Umfang als Private auf Einhaltung strenger Berufsregeln,<br />
z. B. der Vermeidung von Interessenkonflikten, angewiesen<br />
sein. Zum anderen verkennt dieser Ansatz, dass es neben<br />
den genannten Gruppen von Rechtsdienstleistungsempfängern<br />
einen weiteren „Nutzer“ gibt: den Rechtsstaat. Anwälte<br />
und der Gesetzgeber sind der Erhaltung des Letzteren<br />
verpflichtet. Der DAV wird sich weiter dafür einsetzen,<br />
dass dieser Gedanke nicht aus den Augen verloren wird.
768<br />
MN<br />
Europäischer Juristentag<br />
Gesellschaftsrecht, Zivilprozessrecht<br />
und Grundrechte<br />
600 Juristen diskutierten in Genf<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />
Nach Nürnberg 2001 und Athen 2003 fand in diesem Jahr<br />
der dritte Europäische Juristentag vom 7. bis 9. September<br />
2005 in Genf statt. Alle Eröffnungsredner, darunter auch<br />
Prof. Dr. Paul Kirchhof als Präsident des Deutschen Juristentages,<br />
wurden nicht müde zu betonen, dass mit der dritten<br />
Veranstaltung nunmehr von einer Tradition der Europäischen<br />
Juristentage gesprochen werden könne.<br />
Drei Tage lang wurde von den ca. 600 Teilnehmern am<br />
Europäischen Haus gebaut, nach dem Wunsch von Kirchhof<br />
„bemüht, den Aufbau zu fördern und gleichzeitig mit<br />
einer Kultur des Maßes, um die Stabilität des Hauses nicht<br />
in Gefahr zu bringen“. Bei der großen Zahl an herausragenden<br />
Wissenschaftlern, Rechtsanwälten, Richtern, Verfassungsrichtern<br />
und vor allem Ministerialbeamten aus dem<br />
deutschen Bundesjustizministerium war es bedauerlich, nur<br />
sehr wenige Beamte der Europäischen Kommission unter<br />
den Gästen zu sehen. Anwesend waren u. a. die Justizminister<br />
Österreichs, Rumäniens, Ungarns und der<br />
Schweiz; das Bundesjustizministerium wurde durch den<br />
Staatsminister Dr. Hansjörg Geiger vertreten.<br />
Deutsch dominierte als Sprache<br />
Neben einer großen Zahl deutschsprachiger Teilnehmer<br />
(ca. 200) kamen die Besucher hauptsächlich aus der<br />
deutschsprachigen Schweiz. Leider ist es also auch im französischsprachigen<br />
Genf somit nicht gelungen, in großer<br />
Zahl Teilnehmer aus dem romanischen Sprachkreis anzuziehen;<br />
die sehr starke Präsenz deutschsprachiger Teilnehmer<br />
bei gleichzeitiger fast völliger Abwesenheit von Gästen<br />
aus Südeuropa oder den britischen Inseln war schon in<br />
Nürnberg und Athen festzustellen. Dies ist bedauerlich, da<br />
die Fachbeiträge äußerst interessant und die Diskussionen<br />
auf einem konstant hohen Niveau geführt wurden.<br />
Diskussion in den Abteilungen<br />
Der 3. Europäische Juristentag widmete sich drei gleichsam<br />
interessanten Themen: Während sich Abteilung 1 mit<br />
der Verantwortlichkeit der Gesellschafts- und Aufsichtsorgane<br />
in der Europäischen Union beschäftigte, ging es in<br />
Abteilung 2 um die Entwicklung eines gemeinschaftlichen<br />
Zivilprozessrechts. Abteilung 3 diskutierte die Koordination<br />
des Grundrechtsschutzes in Europa.<br />
9 Abteilung 1 wurde eingeleitet durch den die weitere Diskussion<br />
bestimmenden Vortrag des Generalberichterstatters<br />
Prof. Dr. Marcus Lutter, der in einer viel beachteten<br />
Tour de Force über die Haftung des Managements, der<br />
Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden<br />
referierte und sich speziell mit dem Pflichtenprogramm<br />
des Managements beschäftigte. Die Vorträge in dieser<br />
Abteilung waren von sehr hohem fachlichen Niveau und<br />
überaus gut besucht.<br />
9 In Abteilung 2 setzten sich die Redner recht kritisch mit<br />
den Vorschlägen der Kommission zum Europäischen Zi-<br />
AnwBl 12/2005<br />
Europa<br />
vilprozessrecht, unter anderem zum Europäischen Mahnund<br />
Bagatellverfahren, auseinander. Prof. Dr. Christian<br />
Kohler, Abteilungsleiter beim Wissenschaftlichen Dienst<br />
des EuGH, sprach von dem Systemwechsel, der mit der<br />
Verordnung über den europäischen Vollstreckungstitel<br />
für unbestrittene Forderungen eingeläutet sei. Dies gelte<br />
weniger für die Abschaffung des Verfahrens der eigentlichen<br />
Vollstreckbarkeitserklärung, als vielmehr für das<br />
Verbot, die Anerkennung der bestätigten Entscheidung<br />
außerhalb des Ursprungsstaates in Frage zu stellen und<br />
die damit verbundene Verkürzung des Rechtsschutzes im<br />
Vollstreckungsstaat. Es werde ein Herkunftslandprinzip<br />
mit einer Selbstkontrolle des Ursprungsstaates (Staat des<br />
Erkenntnisverfahrens) eingeführt, an der man rechtstaatliche<br />
Zweifel haben müsse. Es war in diesem Zusammenhang<br />
interessant von den schweizerischen Kollegen zu erfahren,<br />
dass dort trotz einer bundesweiten Anerkennung<br />
der Urteile anderer Kantone Fehler im Erkenntnisverfahren<br />
auch im Vollstreckungsverfahren geltend gemacht<br />
werden können.<br />
9 Auf besonderes Interesse unter den Veranstaltungen in<br />
Abteilung 3 stießen die Vorträge und anschließende Diskussion<br />
der drei Gerichtspräsidenten Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Papier (Präsident des BVerfG), Prof. Dr. Vassilios<br />
Skouris (Präsident des EuGH) und Prof. Dr. Luzius Wildhaber<br />
(Präsident des EGMR). Papier musste sich unter<br />
anderem kritischen Fragen der Anwaltschaft, darunter<br />
des ehemaligen DAV-Präsidenten Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Rabe, des DAV-Vorstandsmitglieds Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Hellwig und Dr. Hartmut Lübbert aus Freiburg, Mitglied<br />
des DAV-Ausschusses Internationaler Rechtsverkehr, zum<br />
Verhältnis des BVerfG zum EuGH auf der einen und zum<br />
EGMR auf der anderen Seite stellen.<br />
4. Europäischer Juristentag 2007<br />
Der 4. Europäische Juristentag wird vom 3. bis 5. Mai<br />
2007 in Wien stattfinden und sich mit dem Themen Europäisches<br />
Vertragsrecht, Entstehung eines europäischen<br />
Strafrechts, sowie Migration in und nach Europa beschäftigen<br />
(Informationen dazu finden Sie auf der Internetseite:<br />
http://www.eujurist2007.at). Auch der Tagungsort für den<br />
übernächsten Europäischen Juristentag steht bereits fest. In<br />
seiner Begrüßungsrede lud der ungarische Justizminister<br />
bereits jetzt für das Jahr 2009 nach Budapest ein.<br />
Die europäischen Juristen werden also weiterbauen am<br />
Europäischen Haus. Es ist dem Europäischen Juristentag zu<br />
wünschen, dass er für die Juristen in der Europäischen<br />
Union zu einer festen und gut besuchten Diskussionsplattform<br />
wird, vergleichbar den Deutschen Juristentagen. Dazu<br />
wird es allerdings notwendig sein, auch die bisher schwach<br />
vertretenen europäischen Länder, insbesondere den romanischen<br />
Sprachkreis, in stärkerem Maße zur Teilnahme zu bewegen,<br />
damit während des Europäischen Juristentages tatsächlich<br />
die Stimmen der verschiedenen europäischen<br />
Rechtstraditionen und -kreise ausreichend Gehör finden.
AnwBl 12/2005 769<br />
9<br />
Freiheit für die<br />
Rechtsanwalts-AG!<br />
Rechtsanwalt Dr. Malte Passarge, Hamburg<br />
Wie soll die – vom BGH (AnwBl 2005, 424) nun akzeptierte<br />
– Anwalts-AG ausgestaltet werden? Prof. Dr. Martin<br />
Henssler hatte in AnwBl 2005, 374 an den Gesetzgeber appelliert,<br />
die offenen Fragen zu regeln. Der Autor dieses<br />
Kommentars widerspricht. Aktienrecht und die Berufsrechte<br />
der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater halten Lösungen<br />
bereit. Kritisch mit der Entscheidung des BGH<br />
hatte sich auch bereits Rechtsanwältin Dr. Sorika Pluskat<br />
in AnwBl 2005, 609 auseinandergesetzt.<br />
Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt<br />
in Hamburg.<br />
I. Das wahre Problem<br />
Mit Beschluss vom 10.1.2004 hat der BGH die Zulässigkeit<br />
der Rechtsanwalts-AG bejaht. Auf den ersten Blick<br />
mag dies als Durchbruch erscheinen, bei genauerer Betrachtung<br />
erweist sich die Entscheidung jedoch als Rückschlag.<br />
Den größten Teil des Beschlusses nimmt die mittlerweile<br />
– unstrittige – Frage der Zulässigkeit der<br />
Rechtsanwalts-AG ein. Zur Frage der Ausgestaltung verweist<br />
das Gericht auf die §§ 59 c ff. BRAO, dies nicht ohne<br />
zuvor eine entsprechende Analogie abgelehnt zu haben.<br />
In seiner Entscheidung hat der BGH weder die umfangreiche<br />
und sehr deutliche Kritik der berufsrechtlichen<br />
Literatur an den §§ 59 c ff. BRAO berücksichtigt, noch hat<br />
er sich mit den Vorschlägen zur Ausgestaltung der Rechtsanwalts-AG<br />
auseinandergesetzt. Die aus dem Beschluss<br />
folgenden Beschränkungen der Satzungsfreiheit der<br />
Rechtsanwalts-AG lassen sich im Vergleich zu den anwaltlichen<br />
Personengesellschaften und der Rechtsanwalts-<br />
GmbH nicht rechtfertigten. Allerdings ist dem BGH zu<br />
Gute zu halten, dass ihm nun gelingt, was einige zu verhindern<br />
suchten – ein Schritt in Richtung der Befreiung<br />
der Anwaltschaft aus jahrhundertealten standesrechtlichen<br />
Vorstellungen.<br />
Wie andere Branchen auch, befindet sich die Anwaltschaft<br />
gegenwärtig in einem Prozess grundlegender Umwälzungen.<br />
Die Rechtsanwalt-AG kann hier neue Chancen bieten,<br />
da sie eine effektive Organisation und Marketingvorteile<br />
bietet. Im Vergleich zu anderen anwaltlichen Gesellschaften<br />
kann der unabhängige Vorstand einer Rechtsanwalts-AG<br />
sehr viel flexibler und entscheidungsfreudiger handeln. Die<br />
aktienrechtliche Firmierung mit Namens-, Sach- oder Phan-<br />
MN<br />
tasiefirma ermöglicht es, eine einprägsamere Marke zu<br />
etablieren. Darüber hinaus können in einer Rechtsanwalts-<br />
AG Mitarbeiter auf unkomplizierte Art und Weise und in<br />
beliebiger Höhe an der Gesellschaft beteiligt werden.<br />
Von kaum zu unterschätzender Brisanz ist die Problematik<br />
der Konkurrenz aus anderen Beratungsberufen. Banken,<br />
Versicherungen, Finanzdienstleister, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater,<br />
Steuerberater, Aktionärsschutzvereinigungen,<br />
Architekten, Inkassounternehmen, Verbraucherschutzverbände,<br />
Gewerkschafte, Personalberatungen und<br />
vielen andere wollen den Anwälten lukrative Beratungsfelder<br />
entziehen. Diesen Berufsgruppen stehen nahezu uneingeschränkte<br />
Marketinginstrumente zur Verfügung – und der<br />
Wille diese auch zu nutzen.<br />
Dagegen scheinen sich Teile der Anwaltschaft und<br />
viele Kammern damit zu begnügen, gegen den Verfall der<br />
standesrechtlichen Grundsätze zu wettern, sich an das<br />
Rechtsberatungsgesetz zu klammern und ansonsten seelenruhig<br />
zuzuschauen, wie der Anwaltschaft grundlegende<br />
Beratungsfelder abhanden kommen. Das Berufsrecht der<br />
Anwälte stellt in seiner jetzigen Ausgestaltung eine Beschränkung<br />
der Anwaltschaft dar, die einzig den nichtanwaltlichen<br />
Beratungsberufen nutzt. Das gegenwärtige<br />
Berufsrecht stellt eine Beschränkung der Anwalschaft bei<br />
der notwendigen Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten<br />
dar.<br />
Was brauchen wir also? – Das, was Anwälte schon immer<br />
gebraucht haben – Freiheit! Also auch die Freiheit,<br />
sich mit anderen Anwälten in einer frei gewählten Rechtsform<br />
zusammenzuschließen. Und auch die Freiheit, sich<br />
mit anderen Beratungsberufen zusammenzuschließen. Was<br />
spricht gegen multiprofessionelle Zusammenschlüsse mit<br />
Unternehmensberatern, Ingenieuren, Pharmazeuten o. ä. unter<br />
einer Dienstleistungsmarke?<br />
Denkbar ist auch der Aufbau einer Beratungsholding,<br />
mit den verschiedensten spezialisierten Dienstleistungsbereichen,<br />
beispielsweise die komplette Beratung rund um<br />
den Bau durch Baurechtler, Projektfinanzierer, Architekten,<br />
und Ingenieuren. Dies stellt nur die logische Fortentwicklung<br />
der gegenwärtigen Tendenz zur Spezialisierung dar.<br />
Für Beratungsgesellschaften – aber auch für Anwaltsgesellschaften<br />
– bietet sich die Rechtsanwalts-AG, bzw. die<br />
Beratungs-AG als optimale Rechtsform an, da sie über eine<br />
klare Organisationsstruktur und ein zentrales Managements<br />
verfügt. Maßnahmen der Geschäftsführung können durch<br />
den Vorstand autonom und flexibel getroffen werden, aufwendige<br />
Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafter sind nicht<br />
erforderlich.<br />
Aufgrund der einfachen Beteiligungsmöglichkeiten<br />
durch die Ausgabe von Aktien können Mitarbeiter an die<br />
Gesellschaft gebunden und an den Gewinnen beteiligt werden,<br />
ein nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor.<br />
Würde das rechtsuchende Publikum eine Rechtsanwalts-<br />
AG als unseriös empfinden, so müsste diese bald ihre Tore<br />
schließen. Der „Schutz“ durch ein entsprechendes Verbot<br />
ist weder erforderlich, noch entspricht es dem an sich unserer<br />
Verfassung zu Grunde liegendem Bild des mündigen<br />
Bürgers.
770<br />
MN<br />
II. Aktienrecht vor Berufsrecht<br />
Bei der Auseinandersetzung mit der Rechtsanwalts-AG<br />
wird zumeist das anwaltliche Berufsrecht in den Vordergrund<br />
gestellt und das Aktienrecht fälschlicherweise übergangen.<br />
Dabei wird übersehen, dass das Aktienrecht keineswegs<br />
im Widerspruch zu den Grundsätzen des<br />
anwaltlichen Berufsrechtes steht, sondern weitgehend über<br />
vergleichbare Schutzmechanismen verfügt.<br />
Die nun vom BGH vorgenommene analoge Anwendung<br />
der §§ 59 c ff. BRAO ignoriert die grundlegenden gesellschaftsrechtlichen<br />
Strukturunterschiede zwischen GmbH<br />
und AG – beispielsweise umfassende Weisungs- und Informationsrechte<br />
der GmbH-Gesellschafter – und setzt sich<br />
über aktienrechtliche Grundsätze hinweg. Tatsächlich handelt<br />
es sich bei der „Rechtsanwalts-AG“ weder um eine eigene<br />
Rechtsform, noch um eine rein berufsrechtliche Problematik<br />
ohne Bezug zum Aktienrecht. Vielmehr handelt<br />
es sich um eine Aktiengesellschaft, die dem AktG unterliegt<br />
und gegebenenfalls anwaltliches Berufsrecht zu berücksichtigen<br />
hat.<br />
Demzufolge ist auf die Rechtsanwalts-AG zunächst<br />
das AktG anwendbar. Einschränkungen der Satzungsfreiheit<br />
und bei der Besetzung der Organe sind nur zulässig<br />
und erforderlich, soweit dies die Grundsätze des anwaltlichen<br />
Berufsrechtes zwingend fordern und um Nachteile<br />
für das rechtsuchende Publikum zu verhindern. Nur wenn<br />
unter Anwendung des AktG und der allgemeinen Grundsätze<br />
der BRAO keine sachgerechten Ergebnissen zu finden<br />
sind, stellt sich die Frage, wie diese Lücke aufzufüllen<br />
ist.<br />
Da die §§ 59 c BRAO eine spezialgesetzliche Regelung<br />
der Rechtsanwalts-GmbH darstellen und keineswegs unumstritten<br />
sind, eignen sie sich zur Anwendung auf die<br />
Rechtsanwalts-AG nicht. Für die Rechtsanwalts-AG ist<br />
nach solchen Vorschriften zu suchen, die einen der Rechtsanwalts-AG<br />
vergleichbaren Sachverhalt regeln und sich bereits<br />
als sach- und zweckmäßig bewährt haben. Der suchende<br />
Blick muss schließlich auf die Steuerberatungs-AG<br />
(§§ 49 ff. StBerG) und die Wirtschaftsprüfungs-AG<br />
(§§ 27 ff. WPO) fallen. Die Anwendung der für diese Gesellschaftsformen<br />
geltenden Vorschriften drängt sich aufgrund<br />
der gesellschaftsrechtlichen und der berufsrechtlichen<br />
Vergleichbarkeit von Rechtsanwalts-AG und<br />
Steuerberatungs-AG sowie Wirtschaftsprüfungs-AG geradezu<br />
auf. Deren Anwendungsbereich ist erst eröffnet, wenn<br />
und soweit sich aus AktG und den allgemeinen Regelungen<br />
der BRAO keine sachgerechte Regelung für die Rechtsanwalts-AG<br />
ergibt. Auch wenn die §§ 27 ff. WPO und<br />
§§ 49 ff. StBerG keine sachgerechte Regelung ermöglichen,<br />
ist auf die §§ 59 c–59 m BRAO zurückzugreifen, sofern<br />
dem nicht die strukturellen Unterschiede zwischen GmbH<br />
und AG entgegenstehen.<br />
Diesen Weg hat der BGH durchaus erkannt, verfolgt ihn<br />
aber ohne Begründung nicht weiter. Aus welchem Grund<br />
der BGH auf eine Aktiengesellschaft Normen anwendet,<br />
die für die grundverschiedene GmbH geschaffen wurden,<br />
und zudem heftig umstritten sind, lässt sich nicht nachvollziehen.<br />
Die entsprechende Anwendung der §§ 27 ff. WPO<br />
und §§ 49 ff. StBerG wäre nicht nur zweckmäßiger als die<br />
nun getroffene Regelung, sondern hätte auch die Idee eines<br />
einheitlichen Berufsrechtes für die Beratungsberufe ins<br />
Spiel gebracht.<br />
AnwBl 12/2005<br />
Meinung & Kritik<br />
III. Anwaltstrias-Trias auch bei der Anwalts-AG<br />
Dass die Beschränkungen der §§ 59 c ff. BRAO nicht erforderlich<br />
sind, zeigt die folgende kurze Übersicht (ausführlich<br />
hierzu der Verfasser: Die Aktiengesellschaft als neue<br />
Rechtsform für anwaltliche Zusammenschlüsse, Zulässigkeit<br />
und Ausgestaltung, Diss. 2002 sowie NJW 2005,<br />
1826 ff.)<br />
Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht wird bereits<br />
durch die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§§ 93<br />
Abs. 1 S. 2 AktG, 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG und § 203 Abs. 1<br />
Nr. 3 StGB), das Auskunftsverweigerungsrecht gegenüber<br />
Aktionären (§ 131 Abs. 3, 5 AktG) und die allgemeinen<br />
Vorschriften (§§ 383 Abs. 1 Nr. 6 , 384 Nr. 1, 3, 446 ZPO,<br />
§ 53 a StPO) gleichermaßen wie durch § 43 a Abs. 2 BRAO<br />
geschützt.<br />
Auch die anwaltliche Unabhängigkeit wird in der<br />
Rechtsanwalts-AG mindestens genauso effektiv wie in einer<br />
Rechtsanwalts-GmbH oder anwaltlichen Personengesellschaften<br />
gewährleistet. Anders als Gesellschafter dort,<br />
können Aktionäre auf das Tagesgeschäft einer Rechtsanwalts-AG<br />
– die Rechtsberatung – keine Einfluss nehmen.<br />
Die Hauptversammlung entscheidet unter anderem nur über<br />
Satzungsänderungen, die Verwendung des Bilanzgewinns<br />
sowie die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat.<br />
Zur Vermeidung von Interessenkollisionen durch außenstehendere<br />
Aktionäre ist – wie auch für die Wirtschaftsprüfungs-<br />
und Steuerberatungs-AG, § 28 Abs. 4 Nr. 3 WPO,<br />
§ 50 a Abs.1 Nr. 3 StBerG – der Aktionärskreis auf in der<br />
Gesellschaft beruflich aktive Aktionäre zu beschränken.<br />
Dies gilt unabhängig von der Zugehörigkeit zur Gruppe sozietätsfähiger<br />
Berufe. Den Mitgliedern von Vorstand und<br />
Aufsichtsrat ist es verboten, Doppelmandate in anderen<br />
Beratungsgesellschaften wahrzunehmen, soweit Interessenkollisionen<br />
durch antagonistische Mandate zu befürchten<br />
sind. In diesem Fall wäre die nach § 88 AktG erteilte Zustimmung<br />
gemäß § 88 Abs. 1 S. 2 AktG zu wiederrufen.<br />
Für die Mitglieder des Aufsichtsrates ist nach § 100 Abs. 4<br />
AktG in der Satzung festzulegen, dass sie keine Aufsichtsrats-<br />
oder Vorstandsmandate wahrnehmen dürfen, denen die<br />
Gefahr von Interessenkollisionen innewohnt und diese gegebenenfalls<br />
niedergelegt werden müssen.<br />
Um die Einhaltung der berufsrechtlichen Standards zu<br />
gewährleisten, muss die Rechtsanwalts-AG nach §§ 59 d,<br />
59 g, 59 h BRAO zugelassen werden. Da die §§ 59 d, 59 g<br />
und 59 h BRAO nicht gesellschaftsformspezifisch sind und<br />
nicht die Ausgestaltung der Rechtsanwalts-GmbH betreffen,<br />
können diese Vorschriften auf die Rechtsanwalts-AG<br />
angewandt werden. Ein Zulassungsverfahren ist zum<br />
Schutz des rechtsuchenden Publikums erforderlich, gerade<br />
weil es an einer gesetzlichen Regelung für die Rechtsanwalts-AG<br />
fehlt.
AnwBl 12/2005 771<br />
MITTEILUNGEN<br />
Anwaltsmarkt<br />
Zugang zum Recht – Ein<br />
internationaler Vergleich<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />
Die Leistungsfähigkeit eines Rechtssystems zeigt sich daran,<br />
ob es in angemessener Zeit und zu vertretbaren Kosten<br />
den Zugang zum Recht ermöglicht. Zugang zum Recht<br />
heißt in diesem Zusammenhang Durchsetzung von Einzelinteressen.<br />
Der Autor zeigt, dass das deutsche System sehr<br />
leistungsfähig ist und plädiert für eine Lockerung des Verbotes<br />
des Erfolgshonorars.<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno<br />
Heussen aus Berlin ist Mitglied<br />
im Vorstand des Deutschen<br />
Anwaltverein.<br />
1. Rechtsberatung und Rechtsdurchsetzung<br />
Rechtprobleme geraten in unser Bewusstsein nur durch<br />
Konflikte und im ersten Schritt müssen wir uns beraten lassen,<br />
wie wir damit umgehen sollen. Erst wenn man eine<br />
Vorstellung davon hat, wo man steht, entwickelt man Ideen<br />
zur Rechtsdurchsetzung, also zur Verhandlung, zum Prozess,<br />
zur Zwangsvollstreckung.<br />
Rechtsberatung ist eine Tätigkeit, für die man nur gute<br />
Fachkenntnisse braucht – je spezialisierter desto besser.<br />
Rechtsdurchsetzung hingegen bedeutet: Jemandem mit der<br />
richtigen Strategie und Durchsetzungsvermögen zu dem<br />
Recht zu verhelfen, das die Gesellschaft ihm anbietet. Das<br />
reine Fachwissen macht niemand zu dem Condottiere, der<br />
sich für fremde Interessen schlägt und dabei auch bereit ist,<br />
eigene Verletzungen wegzustecken. 1 Wie wichtig dabei die<br />
strikte Beschränkung auf die Interessen des Mandanten ist,<br />
erfährt man wahrscheinlich erst, wenn man selbst einen Anwalt<br />
gebraucht hat. Dann weiß man nämlich, dass Institutionen<br />
welcher Art auch immer niemals den persönlichen Einsatz<br />
bieten können, den ein Anwalt für sein oft bescheidenes<br />
Honorar erbringt. 2<br />
Wäre es anders, könnte kein Anwalt im Arbeitsrecht<br />
Geld verdienen, in dem neben ihm auch Gewerkschaften<br />
und Arbeitgeberverbände kostenlos die Vertretung im Prozess<br />
anbieten. Warum nimmt man sich seinen eigenen Anwalt,<br />
dessen Kosten nicht einmal erstattet werden? Die<br />
Antwort lautet: Weil Rechtsdurchsetzung nicht nur aus<br />
Wissen, sondern aus Erfahrung und dem Entschluss besteht,<br />
sich persönlich zu engagieren. Persönliches Engagement<br />
aber ist für Institutionen eine fremde Sache.<br />
MN<br />
2. Institutionelle Rechtsberatung<br />
Institutionen können aber sehr wohl an den Randzonen<br />
der Rechtsberatung ihre Dienste anbieten und tun dies<br />
auch. So z. B. Verbraucherschutzverbände, Gewerkschaften,<br />
Mietervereine, Sozialversicherungsträger, Arbeiterwohlfahrt<br />
und Sozialverbände.<br />
Sie erfüllen eine sinnvolle Aufgabe überall dort, wo man<br />
erst einmal feststellen muss, ob es einen rechtlichen Konflikt<br />
gibt. Konflikte gibt es viele. Man kann über die richtige<br />
Heizkostenabrechnung ebenso streiten wie über Rentenansprüche<br />
etc. Bei weitem nicht immer ist damit aber auch<br />
eine Rechtsfrage verbunden. Beide Parteien legen das Recht<br />
oft völlig gleichlautend aus, kommen aber bei Rechenmodellen,<br />
Zahlen, Bewertungsfragen und anderem in Schwierigkeiten.<br />
Natürlich kann man diese Vorarbeiten auch einem<br />
Anwalt übertragen. Aber wenn Institutionen das machen<br />
und einen Blick dafür entwickeln, wann z. B. eine Bewertungsfrage<br />
zur Rechtsfrage wird, leisten sie einen unverzichtbaren<br />
Beitrag im Vorfeld der Rechtsberatung.<br />
3. Schlichtung<br />
Viele solcher Fälle sind auch für Schlichtungsstellen geeignet,<br />
die überall existieren, so z. B.<br />
9 Schlichtungsstellen der Industrie- und Handelskammern<br />
und Handwerkskammern<br />
9 Schiedsgutachterverfahren zwischen Kaufleuten<br />
9 Schlichtungsstellen des KFZ-Gewerbes<br />
9 Ärztliche Schlichtungsstellen<br />
9 Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post<br />
bei Streitigkeiten um Abrechnungen<br />
9 Ombudsleute der Versicherungen, Banken<br />
9 Vermittlungen durch das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen<br />
Die Ombudsverfahren der Versicherungen 3 sind dann besonders<br />
erfolgreich, wenn sie bei kleineren Streitwerten (bis EUR<br />
5.000,00) die Versicherung einseitig binden, den Versicherten<br />
aber nicht: Dadurch wird der stets schwebende Verdacht ausgeräumt,<br />
der Ombudsmann fühle sich letztlich doch mehr dem<br />
Unternehmen verbunden und nicht dem Verbraucher.<br />
So nützlich und kostensparend ein Schlichtungsverfahren<br />
sein kann, so sehr kann es auch an der Sache vorbeigehen.<br />
Die Schlichtung kann und darf sich nur mit einem<br />
engen Segment von Problemen befassen. Das Umfeld, in<br />
dem die einzelne Konfliktfrage steht, kann nur jemand erkennen,<br />
der sich einseitig auf die Perspektive einer Seite<br />
einlässt – und das ist eben nur der Anwalt! Viele Leute<br />
glauben, ihr Recht werde durch den Notar besonders wirksam<br />
geschützt. Der Notar darf aber nicht einseitig aus der<br />
Perspektive einer Seite denken, denn täte er das für die<br />
eine Seite, würde die andere sich beschweren. Auch die<br />
Schlichter müssen diese Neutralität einhalten und das kann<br />
für die eine oder die andere Seite sehr problematisch werden.<br />
Man sieht das an Arzthaftungsfällen, die vielleicht den<br />
1 Benno Heussen: Anwalt und Mandant – Eine Insider-Report, Verlag Dr. Otto<br />
Schmidt, Köln 1999, Seite 4 ff.<br />
2 Die Mehrzahl der Anwälte verdient, wie uns die jüngste Statistik (2002) zeigt,<br />
netto nach Kosten und Steuern nicht mehr als 2.400,00 EUR pro Monat (Martin<br />
W. Huff: Große Unterschiede auf dem Deutschen Rechtsberatungsmarkt, NJW<br />
2005, Heft 21 Seite XVIII).<br />
3 Römer, Wolfgang: Der Ombudsmann für private Versicherungen, NJW 2005,<br />
1251.
772<br />
MN<br />
konkreten Schaden richtig anfassen, aber die möglichen<br />
Spätschäden nicht in den Blick nehmen.<br />
4. Rechtsantragsstellen<br />
Auch die Rechtsantragsstellen bei den Amtsgerichten<br />
oder bei einzelnen Verwaltungsbehörden sorgen für den Zugang<br />
zum Recht. Für manchen Standardfall wird das genügen,<br />
aber wenn es unterschiedliche Varianten gibt: Wer soll<br />
beurteilen, welche die Richtige ist? Dafür muss man Interessen<br />
definieren können. Für all das werden die Leute<br />
nicht bezahlt, die dort tätig sind.<br />
5. Pro-Bono-Tätigkeiten und Legal Clinics<br />
Unter diesem Oberbegriff fasst man in USA aber auch<br />
in den Niederlanden alle möglichen Rechtsberatungsstellen<br />
zusammen, darunter auch solche, die von den Universitäten<br />
organisiert sind. In Deutschland unterhalten viele örtliche<br />
Anwaltvereine kostenlose Rechtsberatungsstellen. Schon<br />
hier, aber auch bei anderen Pro Bono-Tätigkeiten haben die<br />
deutschen Rechtsanwälte unglaubliche Hemmungen, ihre<br />
guten Werke sichtbar werden zu lassen. Dabei ist die Sache<br />
so einfach: Jede Pro Bono-Tätigkeit von Anwälten senkt<br />
die Schwellenangst, die auch heute noch viele Leute daran<br />
hindert, sich ihrer Interessen zu vergewissern.<br />
6. Qualitätsmängel als Barriere vor dem Recht<br />
Wer eine Anwaltszulassung hat, darf über Recht beraten<br />
und Recht durchsetzen, so wie er das für richtig hält. Das<br />
offenkundige Geheimnis des Marktes ist aber: Wie man<br />
Recht wirksam durchsetzt, kann man nicht aus Büchern<br />
sondern nur aus der Erfahrung lernen – je nach Spezialisierungsgrad<br />
kann es bis zu 10 Jahre brauchen, bevor man<br />
richtig Boden unter des Füssen hat. Erst dann hat man genug<br />
Fälle gesehen, um den Mandanten fundierte Prognosen<br />
zu geben und genügend Argumente, um von einem bestimmten<br />
Vorgehen zu- oder abzuraten. Kein Chirurg wird<br />
Facharzt ohne einen entsprechend langen Operationskatalog<br />
und deshalb will ja auch jeder vom „Herrn Professor“<br />
höchstpersönlich aufgeschnitten werden, bis dem die Hand<br />
so sichtbar zittert, dass er das selber merkt.<br />
Jeder, dessen Gegner einen erfahrenen Spezialisten als<br />
Anwalt hat, will selbstverständlich, dass auch sein Anwalt<br />
über diese Erfahrung verfügt, weil er hofft, so sein Recht<br />
besser durchsetzen zu können. Die dahinter stehende Idee<br />
der Waffengleichheit im Prozess ist in einem, auf den ersten<br />
Blick absurd erscheinenden englischen Prozess behandelt<br />
worden, über den Christian Wolf uns berichtet 4 :Der<br />
nur durch einen „junior-counsel“ vertretene Kläger beantragte,<br />
dem Beklagten zu untersagen, sich durch einen „senior-counsel“<br />
vertreten zu lassen. Er wollte einen dümmeren<br />
Kollegen auf der anderen Seite haben. Das Gericht hat<br />
sich ernsthaft mit dem Antrag beschäftigt und ihn mit guten<br />
Gründen abgelehnt. Es erwog aber immerhin, unerfahrenen<br />
Anwälten längere Schriftsatzfristen zu geben. Die Entscheidung<br />
ist deshalb so interessant, weil sie die Behauptung,<br />
Anwälte verbürgten im Prinzip überall die gleiche<br />
Qualität völlig zu Recht nicht ernst nimmt.<br />
7. Rechtsdurchsetzung: Das Honorarproblem<br />
Wer sich entschließt, sein Recht durchzusetzen, braucht<br />
jemand, der sich für ihn persönlich engagiert, also einen Anwalt.<br />
Um dessen Kosten genau kalkulierbar zu machen,<br />
knüpft man in Deutschland seit jeher die Anwaltsgebühren<br />
an den Streitwert und erreicht damit auch einen sozialen<br />
Ausgleich: Das Honorar für die großen Fälle soll auch die<br />
AnwBl 12/2005<br />
kleinen Fälle subventionieren. 5 In den Standardfällen funktioniert<br />
dieser Ausgleich nicht zuletzt, weil in Deutschland<br />
derjenige, der den Prozess verliert dem Gewinner seine gesamten<br />
Kosten erstatten muss. Diese Kostenerstattungspflicht<br />
ist in den meisten Ländern außerhalb Deutschlands unbekannt:<br />
Zwar gibt es vielfach Kostenerstattungspflichten, die<br />
sich aber auf Gebührentabellen beschränken, die nicht annähernd<br />
den anwaltlichen Aufwand abbilden. Auch die Abkoppelung<br />
der Honorarhöhe vom tatsächlichen Aufwand, die betriebswirtschaftlich<br />
sinnlos ist, trifft man so im Ausland<br />
nicht. Selbst in Österreich werden die Anwälte teilweise für<br />
die Länge und Häufigkeit der Schriftsätze bezahlt. In letzten<br />
10 Jahren hat sich das Stundenhonorar im Bereich der außergerichtlichen<br />
Rechtsberatung aus unterschiedlichen Gründen<br />
durchgesetzt, in erster Linie deshalb, weil kein Mandant bei<br />
hohen Streitwerten bereit ist, die hohen Gebühren des RVG<br />
(früher: BRAGO) zu bezahlen. Ab Mitte 2006 werden die<br />
Gebühren für außergerichtliche Vertretung vom RVG abgekoppelt.<br />
Aber auch bei Prozessen, vor allem bei technisch<br />
schwierigen werden Honorarvereinbarungen über die gesetzlichen<br />
Gebühren hinaus immer häufiger.<br />
7.1 Rechtsschutzversicherer<br />
Das hohe Prämienaufkommen der Rechtsschutzversicherer<br />
(EUR 2,75 Milliarden im Jahr 2000) zeigt allzu deutlich,<br />
dass die Leute ihren eigenen Anwalt haben wollen –<br />
auch wenn sie sich, wie alle Deutschen, gegen dessen Kosten<br />
gern versichern. 6 Von diesem Prämienaufkommen wurden<br />
an die Rechtsanwälte EUR 1,28 Milliarden bezahlt.<br />
Von den ca. 16 Milliarden des gesamten Honoraraufkommens<br />
der Anwälte in Deutschland entfallen ca. 6 Milliarden<br />
auf den Markt der Standardfälle, die die Rechtschutzversicherer<br />
abdecken. Bezogen auf dieses Segment<br />
übernehmen sie also ca. 20 % aller bezahlten Honorare 7 .<br />
7.2 Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe<br />
Im Verhältnis zu den Rechtsschutzversichern hat der<br />
Staat für Prozesskostenhilfe im Jahr 2000 nur<br />
EUR 325 Millionen ausgegeben (also etwa nur ein Viertel),<br />
weitere EUR 64 Millionen für Pflichtverteidiger und EUR<br />
25 Millionen für die Beratungshilfe.<br />
Von diesen EUR 414 Millionen sind EUR 54 Millionen<br />
über Kostenerstattungen wieder an den Staat zurückgeflossen,<br />
so dass netto EUR 360 Millionen verblieben sind. Das<br />
sind nur 22,5 % der Aufwendungen, die man in England<br />
für den gleichen Zweck erbracht hat. Der Grund: Auch im<br />
Legal Aids-System von England und Wales werden die Anwälte<br />
im Stundenhonorar (wenn auch zu erheblich geminderten<br />
Sätzen) bezahlt und größere Büros nutzen das, um<br />
die jüngeren Leute an den „kleinen und hoffnungslosen<br />
Fällen“ ihr Metier lernen zu lassen. Die von Mathias Kilian<br />
8 erarbeitete Übersicht zeigt etwa folgendes Bild:<br />
4 Christian Wolf: Maltez v Lewis – Ein Lehrstück für den deutschen Anwaltsmarkt,<br />
in: Grenzüberschreitungen – Festschrift für Peter Schlosser zum 70. Geburtstag<br />
Seite 1121 ff.<br />
5 BVerfG NJW 2003, 737 (738).<br />
6 „Deutschland ist im weltweitem Vergleich mit über 25 Millionen Rechtsschutzversicherungsverträgen<br />
bei 83 Millionen Einwohnern mit Abstand das Land<br />
mit der größten Verbreitung von Rechtsschutzversicherungen (Alexy Buck/Mathias<br />
Kilian: Staatliche Kostenhilfe im Spannungsfeld von Ausgabenkontrolle,<br />
Zugang zum Recht und Qualitätsmanagement, Z/Vgl/RWiss 102 (2003) Seite<br />
425 – 446). Auch alle weiteren Zahlen stützen sich auf Veröffentlichungen von<br />
Mathias Kilian vom Anwaltsinstitut an der Universität Köln.<br />
7 Martin W. Huff, NJW 2005 Heft 21 Seite XVIII hat die neuesten Statistiken<br />
zum Jahr 2002 zusammengestellt (Gesamtumsatz damals: 14,87 Milliarden<br />
Euro), die Zahlen für 2005 beruhen auf einer Hochrechnung dieser Basis.<br />
8 Matthias Kilian: Legal Aids and Access to Justice in Germany, ILAG 2001 (International<br />
Legal Aid Group), Conference Papers, Melbourne, Australia.
AnwBl 12/2005 773<br />
Mitteilungen MN<br />
Land Gesamtaufwand Pro-Kopf-Aufwand/in<br />
Relation<br />
zur Bevölk.<br />
England/Wales 2.600.000,00 EUR 49,00 EUR<br />
Schottland 2.007.000,00 EUR 40,00 EUR<br />
Lichtenstein 1.050,00 EUR 32,00 EUR<br />
Norwegen 75.000,00 EUR 16,80 EUR<br />
Finnland 42.000,00 EUR 8,00 EUR<br />
Dänemark 34.800,00 EUR 6,60 EUR<br />
Deutschland 358.000,00 EUR 4,30 EUR<br />
Österreich 24.700,00 EUR 3,00 EUR<br />
Belgien 25.200,00 EUR 2,50 EUR<br />
Schweden 19.100,00 EUR 2,10 EUR<br />
Der große systematische Unterschied zwischen den angelsächsischen<br />
und den kerneuropäischen Rechtssystemen lässt<br />
keinen echten Vergleich zu. Trotzdem geben diese Zahlen gewisse<br />
Anhaltspunkte, vor allem dann, wenn man weiß, dass<br />
die ewige Klage unserer Justizminister über den Kostenaufwand<br />
im Justizwesen die reine Heuchelei ist: Das Justizwesen<br />
kostet die Deutschen ungefähr soviel wie eine Packung<br />
Zigaretten pro Monat und dies auch nur deshalb, weil man<br />
die hohen Einnahmen durch Gerichtskosten in der Ziviljustiz<br />
mit den hohen Aufwendungen für Gefängnisse saldiert und<br />
sich dann beschwert, dass dabei rote Zahlen herauskommen9 .<br />
7.3 Erfolgshonorar<br />
Jeder weiß, dass die Chancen sein Recht durchzusetzen<br />
steigen, wenn der Anwalt sich für seine Sache engagiert.<br />
Wie soll er das aber z. B. bei einem Streitwert von EUR<br />
5.000,00? Dort betragen 2,0 Gebühren EUR 602,00 10 .Bei<br />
einem Stundensatz von EUR 150,00 von dem ca. 50 % in<br />
die Kosten gehen, müsste der Anwalt diesen Fall in vier<br />
Stunden erledigt haben 11 . Während früher die kleinen Fälle<br />
von den großen subventioniert wurden, wird das bald nicht<br />
mehr möglich sein und das anwaltliche Stundenhonorar<br />
werden die Mandanten vor allem bei kleineren Fällen kaum<br />
aufbringen können. Wie soll sich da ein Anwalt engagieren,<br />
wenn er bei jedem Fall von vornherein weiß, dass er<br />
Geld mitbringen muss? Die Lösung kann nur beim Erfolgshonorar<br />
liegen. Außerhalb von Deutschland und Belgien<br />
gibt es kein Land auf der Welt mehr, in dem es völlig verboten<br />
ist. Man begründet das mit Gemeinwohlerwägungen<br />
12 , die aber auf sehr dünnem Boden stehen: In Restitutionssachen<br />
in der Nachkriegszeit hat man gar kein Problem<br />
darin gesehen, Erfolgshonorare zu gestatten, denn ein vom<br />
Nazi-Regime Verfolgter konnte nur unter diesen Bedingungen<br />
einen Spezialisten (!) finden , der seine Sache richtig in<br />
die Hand nahm. Man hat damals also das Qualitätsargument,<br />
das ich oben skizziert habe ernst genommen. Genauso<br />
ernst kann man es auch heute nehmen: Ein Spezialist<br />
kann besser als jeder andere erkennen, welche Chancen in<br />
dem Fall liegen und wenn er ihn übernimmt, wird er schon<br />
im eigenen Interesse genügend Engagement zeigen. Es ist<br />
mir ganz unerklärlich, wie die Behauptung zustande<br />
kommt, Erfolgshonorare zerstörten die Motivation der Anwälte.<br />
Das Gegenteil ist der Fall! 13 Einige Länder, wie die<br />
Schweiz, Österreich, England und sogar das konservative<br />
Frankreich lassen einzelne Erfolgshonorarabsprachen zu 14 .<br />
Die oft fragwürdig erscheinenden Praktiken der amerikanischen<br />
„Plaintiffs-Lawyers“ 15 dürfen uns den Blick nicht dafür<br />
vernebeln, dass wir in ganz anderen Rechtssystemen leben:<br />
In USA gibt es keine Prozesskostenhilfe etc. und auch<br />
ein mittleres Unternehmen, das z. B. $ 50.000,00 gegen einen<br />
Wettbewerber einklagen möchte, richtet sich darauf<br />
ein, für so einen Prozess $ 200.000,00 auszugeben. Warum<br />
wird das dort akzeptiert? Das angloamerikanische Rechtssystem<br />
lebt von der Erkenntnis, dass Recht nur durch<br />
Kampf entsteht, während wir Deutschen einen Konflikt als<br />
unverschuldete Krankheit interpretieren, die von der Versicherung<br />
gefälligst abgedeckt werden soll. Wir übersehen<br />
dabei, dass es keinen Rechtskonflikt gibt, an dem man<br />
selbst nicht seinen Anteil hat (ob schuldig oder unschuldig).<br />
Im Verhältnis zu den kämpferischen Angelsachsen<br />
sind wir einfach zu naiv.<br />
Es gäbe durchaus Modelle, erfolgsorientierte Honoraranteile<br />
zu definieren wie z. B. folgendes: Eine maßvolle Basisvergütung,<br />
die die Kosten des Anwalts deckt und einen<br />
ordentlichen Zuschlag, wenn er gewinnt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
ist das generelle Verbot aller solcher Modelle<br />
schon jetzt verfassungs- und europarechtswidrig 16 .<br />
8. Zusammenfassung<br />
Viele Wege führen zum Recht, wie der internationale<br />
Vergleich zeigt.<br />
Versteht man unter dem Zugang zum Recht die Durchsetzung<br />
der Einzelinteressen, dann gehört Deutschland mit Sicherheit<br />
zu jenen Ländern, in denen das in kürzester Zeit und<br />
zu sehr geringen genau planbaren Kosten erreichbar ist. Wer<br />
je in einem anderen Land prozessiert hat, wird das bestätigen.<br />
Aber auch im Bereich der Rechtsberatung liegen die Kosten<br />
in Deutschland im internationalen Vergleich sehr niedrig und<br />
die Qualität der Arbeit ist hoch: Wer das nicht glaubt, soll nur<br />
einen amerikanischen oder britischen Kollegen einmal fragen,<br />
welche Aussichten er in einem konkreten Konflikt hat: Er<br />
wird stets nur diffuse Auskünfte bekommen.<br />
Ich meine, wir könnten uns eine großzügerige Prozesskostenhilfe<br />
leisten, wir könnten Legal Clinics an den Universitäten<br />
einrichten um den Studierenden einen frühen<br />
Einblick in die Praxis zu geben und nicht zuletzt brauchen<br />
wir eine Rechtsanwaltausbildung, die so früh wie möglich<br />
auch Praxiserfahrungen ermöglicht und die Rechtsdurchsetzung<br />
in den Vordergrund stellt: Nur so werden die Anwälte<br />
eine höhere Qualität erreichen.<br />
9 Auch die stets behauptete Überlastung der Gericht ist eine Fiktion, wie der soeben<br />
erschienene Bericht des Deutschen Anwaltvereins zur geplanten „Großen<br />
Justizreform“ überdeutlich zeigt (Stellungnahme Nr. 29/2005 www.anwaltver<br />
ein.de).<br />
10 Christian Wolf hat aaO Seite 1130 errechnet, dass „die durchschnittliche Gebühr<br />
pro Vertretungsfall im normalen Anwaltsmarkt 280,23 Euro beträgt“. Unter<br />
Einbeziehung von PKH-Mandaten sind es nur noch 270,47 Euro.<br />
11 Eine Untersuchung von RAin Dr. Brigitte Borgmann (früher leitende Mitarbeiterin<br />
der Allianz-Versicherung für Anwaltshaftpflichtsachen) hat ergeben, dass<br />
bei sorgfältiger Mandatsführung vom Beginn des ersten Gesprächs bis zur endgültigen<br />
Ablage der Akte 100 einzelne Organisationsschritte erforderlich sind,<br />
die der Anwalt oder seine Mitarbeiter beachten müssen! Selbst wer sich optimal<br />
organisiert hat, braucht erheblich mehr Zeit.<br />
12 OLG Celle, Beschluss vom 2.11.2004 3 U 250/04 BRAK-Mitt. 2005, 94.<br />
13 Die herrschende Auffassung ist jedoch überwiegend anders. Siehe dazu die<br />
Berichte von Kilian: Anwaltliche Erfolgshonorare und die bevorstehende Reform<br />
des Vergütungsrechts, ZRP 2003, 90; Henssler, Aktuelle Praxisfragen aktueller<br />
Vergütungsvereinbarungen, NJW 2005, 137 (1539); Schepke: Das Erfolgshonorar<br />
des Rechtsanwalts. Gegenläufige Gesetzgebung in England und<br />
Deutschland, Tübingen 1998, besprochen von Zuck: ZRP 2000, 450; Stürner/<br />
Bormann, NJW 2004 1481 nehmen sogar die Deregulierungstendenzen auf europäischer<br />
nationaler Ebene insgesamt auseinander. Diese Kritik hat einen sehr<br />
richtigen Kern, zeigt aber keine Lösungen, die auch den Europäischen Richtlinien<br />
und der Berufsfreiheit des erforderlichen Raum lassen.<br />
14 Matthias Kilian, ILAG 2001 aaO Seite 26.<br />
15 Hirte: Spielt das amerikanische Rechtssystem verrückt?, NJW 2003, 345.<br />
16 Kilian Matthias: Der Erfolg und die Vergütung des Rechtsanwalts (Deutscher<br />
Anwaltverlag 2003) Seite 262; Kleine-Cosack, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung,<br />
4. Auflage 2003 RN 17 zu § 49 b; Henssler: Aktuelle Praxisfragen<br />
anwaltlicher Vergütungsvereinbarungen, NJW 2005, 1537 (1539).
774<br />
MN<br />
Dokumentationszentrum für<br />
Europäisches Anwalts- und Notarrecht<br />
Die Haftung des Advokaten<br />
in Belgien<br />
Frank Groß, Göttingen<br />
Das Dokumentationszentrum für Europäisches Anwaltsund<br />
Notarrecht - 1996 als eigenständiges, dem Institut für<br />
Anwaltsrecht an der Universität zu Köln angegliederte<br />
Einrichtung gegründet – beoachtet die Entwickluung des<br />
Berufsrechts in anderen europäischen Ländern. Die Universität<br />
zu Köln, der DAV, die BRAK und die BNotK betreiben<br />
das von Prof. Dr. Martin Henssler geleitete und von<br />
der Hans-Soldan-Stiftung geförderte Dokumentationszentrum<br />
als gemeinsame Forschungseinrichtung.<br />
Zu den zentralen Themen des Haftungsrechts zählt seit<br />
langem die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Angehörigen<br />
in den freien Berufen. Einem besonderen Augenmerk<br />
gewidmet soll der nachfolgende Beitrag über die Haftung<br />
der Anwälte in Belgien sein. 1<br />
1. Berufsrechtlicher Status der Advokaten<br />
Der in Deutschland als Rechtberater tätige Rechtsanwalt<br />
(Organ der Rechtspflege, Art. 1 BRAO) trägt in Belgien die<br />
Bezeichnung Advocaat bzw. Avocat. Berufsrechtlich findet<br />
dies seinen Niederschlag in den Artt. 428 ff. des Gerechtelijk<br />
Wetboek/Code Judiciaire 2 , eines Gesetzeswerkes, welches<br />
die Organisation des Rechts regelt. 3 Art. 444 Ger.W.<br />
deklariert die Advocaten als frei in der Ausübung ihres Berufes<br />
zum Schutze der Wahrheit und des Rechts. Diese<br />
Freiheit ist von grundlegender Bedeutung. Sie erlaubt dem<br />
Anwalt nicht nur die Interessen seiner Klienten umfassend<br />
wahrzunehmen, sondern sie gewährt ihm auch das Plädierungsmonopol<br />
vor Gericht.<br />
2. Rechtliche Natur des Verhältnisses zwischen Advocaat<br />
und Mandant<br />
Dem belgischen Haftungsrecht ist in der Anwaltshaftung<br />
die Differenzierung zwischen vertraglicher und außervertraglicher<br />
Haftung nicht fremd. 4 Zu beleuchten ist zunächst,<br />
welche Art vertraglicher Beziehungen zwischen<br />
dem Advocaat und dem Mandanten vorliegen, denn in<br />
Rechtsprechung und Lehre besteht nunmehr Einigkeit, dass<br />
im Falle eines Fehlverhaltens des Anwalts – bei Vorliegen<br />
eines Vertrages zwischen den Parteien – eine vertragliche<br />
Haftung in Frage kommt. 5<br />
Schwierigkeiten bereitet allerdings eine eindeutige Einordnung<br />
der Rechtsnatur des Vertrages zwischen dem Ratgebenden<br />
und -suchenden. Grundlage für die Diskussion<br />
bilden nämlich die mannigfaltigen strikt persönlichen Arbeitsfelder<br />
des Anwaltes. So reicht das Meinungsspektrum<br />
von einer Übereinkunft sui generis bis zu einem gemischten<br />
Vertrag. 6 Letztere Ansicht differenziert nach dem Tätigkeitsbereich,<br />
ob also der Anwalt Kraft seines Mandates ad<br />
litem auftritt oder er dem Klienten nur durch Auskunft und<br />
Raterteilung beisteht. 7 Im Fall der Prozessvertretung handele<br />
der Anwalt als Bevollmächtigter des Klienten, weshalb<br />
die für die Mandatsführung eigenen Regeln der Artt.<br />
1984 ff. des Burgerlijk Wetboek/Code Civil8 Anwendung<br />
AnwBl 12/2005<br />
Mitteilungen<br />
finden sollen. Bei der Auskunftsgewährung hingegen äußere<br />
sich die Tätigkeit des Anwaltes in einer Art Beratungsunternehmen,<br />
vergleichbar mit dem Verkauf von<br />
Dienstleistungen oder intellektueller Arbeit. Dieser Ansicht<br />
sehr ähnlich kommt eine Dritte, die einen gemischten Vertrag<br />
aus einem Vertrauensverhältnis mit unternehmens-,<br />
mandatsführungs- oder verwahrungsbezogenen Elementen<br />
annimmt. 9 Die Haftung solle zunächst durch die im B.W.<br />
allgemein zu Grunde gelegten vertraglichen Haftungsregeln<br />
bestimmt werden, wenn nicht – in Abhängigkeit von der<br />
konkret verrichteten Tätigkeit des Anwalts – speziellere<br />
Vorschriften aus den eben aufgeführten Teilgebieten tangiert<br />
sind. Die Urteile belgischer Gerichte sprechen in diesem<br />
Zusammenhang eher weitläufig nur von einer vertraglichen<br />
Haftung des Anwalts, da das Rechtsverhältnis zwischen<br />
den Parteien vertraglichen Charakter habe und der Fehler<br />
auf der Verletzung einer vertraglichen Pflicht beruhe. 10<br />
3. Inhalt und Pflichtenkreis des Mandates – Aanneming<br />
und Lastgeving<br />
Die vielfältigen Arbeitsfelder des Anwaltes bedingen,<br />
dass, wie eben schon grob bei der Klassifizierung der vertraglichen<br />
Beziehungen, im belgischen Recht eine Differenzierung<br />
an Hand der anwaltlichen Tätigkeit vorgenommen<br />
wird. Zunächst wird hier (die Vertragsform)<br />
Aanneming von Lastgeving unterschieden, denn die verschiedenen<br />
Inhalte haben dann im zweiten Schritt ein differenzierteres,<br />
aus dem jeweiligen Vertragsverhältnis erwachsendes<br />
und einzuhaltendes Pflichtenprogramm zur Folge:<br />
a) Aanneming<br />
aa) Inhalt<br />
Allgemein ist Aanneming ein spezieller Vertragstyp, in<br />
welcher eine Partei (der Opdrachtgever11 ) eine andere Partei<br />
(den Aannemer) mit der Ausführung einer Aufgabe12 betraut.<br />
Der Opdrachtgever verleiht dem Aannemer aller-<br />
1 Dieser Aufsatz ist in leicht geänderter Form ein Teil der im Studiengang<br />
„Rechtsintegration in Europa“ an der Georg-August-Universität Göttingen vorgelegten<br />
Magisterarbeit eines Rechtsvergleiches zwischen der Anwaltshaftung<br />
in Deutschland und Belgien. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang<br />
Frau Caroline Wouters sowie Herrn Advocaat Paul Depuydt. Der Autor<br />
ist studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Medizinrecht,<br />
Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung bei Prof. Dr. Christiane<br />
Wendehorst, LL.M.<br />
2 Nachfolgend Ger.W. genannt. Die Wahl der niederländischen Abkürzung ist<br />
nur vereinfachungshalber. Eine Online-Version der Normen in Französisch und<br />
Niederländisch findet sich online abrufbar unter: http://www.staatsblad.be/<br />
index_fr.htm (über Sources du Droit; Législation consolidée)<br />
3 Konkret zu den Regeln der Zuständigkeiten der Gerichtsbarkeit, prozessualen<br />
Bestimmungen, sowie Berufs- und Ausbildungsregelungen der juristischen Berufe:<br />
Dassen, K.; Van der Heyden, M.; De positie van de advocaat in en rond<br />
het gerechtelijk wetboek, Antwerpen 1978.<br />
4 Die disziplinarrechtliche Ahndung von Fehlverhalten soll auf Grund des berufsrechtlichen<br />
Charakters außer Betracht bleiben.<br />
5 Zur früheren Auffassung Depuydt, P.; De aansprakelijkheid van advokaten en<br />
gerechtsdeurwaarders. Civiel-, proces- en verzekeringsrechtelijke aspekten,<br />
een Handboek, Antwerpen 1983; Nr. 14, m.w.N. (nachfolgend Depuydt, Handbuch<br />
genannt).<br />
6 Siehe zur Übersicht Depuydt, Handbuch, Nr. 16.<br />
7 Depuydt, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (296);<br />
ders., Handbuch, Nr. 16.<br />
8 Nachfolgend B.W. genannt.<br />
9 Reich, (siehe Fn. 5), S. 28; in diese Richtung: Rogers; Trotter; van Hassel;<br />
Walsh; Kröner (Ed.), The Professional liability of Lawyers, S. 83.<br />
10 Weiter noch, sie lässt vielmals die Grenzen zwischen vertraglicher und nichtvertraglicher<br />
Haftung verschwimmen. Rechtbank Brussel, Journal des Tribunaux<br />
(J.T.) 1991, S. 661; Rechtbank Turnhout, Turnhouts Rechtsleven (Turnh.<br />
Rechtsl.) 1990, S. 18; Rechtbank Brussel, Rechtskundig Weekblad (R.W.)<br />
1991-92, S. 823.<br />
11 Opdrachtgever = die beauftragende Partei.<br />
12 Gemeint sind hiermit körperliche wie das Erscheinen vor Gericht, aber weitestgehend<br />
intellektuelle Arbeiten.
AnwBl 12/2005 775<br />
Mitteilungen MN<br />
dings keine Vertretungsbefugnis und letzterer steht nicht in<br />
einem untergeordneten Verhältnis gegenüber dem Betrauten.<br />
Konkret stellt also im Falle der Aaneming der Anwalt<br />
seine Aktivität in den Dienst des Klienten und verrichtet<br />
für ihn intellektuelle Arbeit gegen Vergütung; als typische<br />
Fallgruppen lassen sich somit inter alia die juristische Auskunft<br />
und Beratung oder kautelarjuristische Tätigkeiten<br />
klassifizieren. 13<br />
bb) korrespondierender Pflichtenkreis<br />
Der Anwalt hat zunächst die vornehmste Pflicht, die<br />
auszuführende Aufgabe gut und vor allem rechtzeitig zu erledigen.<br />
Gut auszuführen umfasst hierbei nicht nur die<br />
Pflicht zu gewissenhafter Beratung und Beistand, sondern<br />
auch – sobald sich der Anwalt einer Sache einmal angenommen<br />
hat – eine umfassende Berücksichtigung der Belange<br />
des Klienten. 14 Der Rat gebende Anwalt ist haftbar<br />
für Irrtümer hinsichtlich seiner Auskunft, die ein normaler,<br />
vernünftiger und gewissenhafter Anwalt15 in derselben Situation<br />
nicht begangen hätte. 16 Hier wird der Vergleich zu<br />
einem Ratgeber gezogen, der in Übereinstimmung mit der<br />
herrschenden Literaturansicht oder der Spruchpraxis der<br />
Gerichte Auskunft gibt. Natürlich kann im Gegenzug der<br />
Anwalt bei einem streitigen Sachverhalt nicht verantwortlich<br />
gemacht werden, wenn seine Sichtweise von den Gerichten<br />
nicht geteilt wird, zumindest auch dann nicht, wenn<br />
seine Rechtsauffassung hierzu nicht a priori falsch war. 17<br />
Zu einem Fehler führt freilich die unterbliebene Mitteilung<br />
an den Klienten, wenn für den Anwalt eine Divergenz in<br />
Rechtsprechung und Schrifttum zum beurteilenden Sachverhalt<br />
zu erkennen war. 18 Stellt der Anwalt überhaupt keine<br />
Untersuchung der Rechtslage an und gibt eine inkorrekte<br />
Auskunft, so ist er zweifelsohne haftbar.<br />
b) Lastgeving – Mandaat ad litem<br />
aa) Entstehung und Inhalt<br />
Soll der Anwalt die Belange des Klienten in einem Prozess<br />
wahrnehmen und erteilt der Klient ihm eine umfassende<br />
Vollmacht für die Prozessführung gem. Art. 1984<br />
B.W., so entsteht in Belgien Kraft Gesetzes ein Mandaat ad<br />
litem. Im Gegensatz zur Aanneming zeichnet sich die hier<br />
in Frage kommende Lastgeving durch ein Plus an Vertretungsbefugnis<br />
aus. 19 Wiederholtermaßen wurde unterstrichen,<br />
dass sich das Mandat ad litem darauf beschränkt, Prozesshandlungen<br />
vorzunehmen. 20 Wann und wie lange der<br />
Anwalt allerdings ein Mandat ad litem erhält, soll nach der<br />
Rechtsprechung dem „Gutdünken“ des Klienten überlassen<br />
sein. 21<br />
bb) Überschreitung des Mandat ad litem<br />
Das Mandat ad litem erstreckt sich nur auf jene Rechtzüge,<br />
für die der Anwalt eine Vollmacht erhalten hat. Niederschlag<br />
gefunden hat dies in Art. 1998 B.W. Abs. 2, wonach<br />
der Klient dann nicht gebunden ist, wenn er einer<br />
Überschreitung der Vollmacht nicht ausdrücklich oder konkludent<br />
zustimmt. Somit kann der Mandant anführen, dass<br />
der Anwalt für eine spezielle Prozessform nicht autorisiert<br />
war und erhält hiermit die Möglichkeit, das Verfahren zu<br />
revidieren. 22 Im Gegenzug muss der Anwalt aber die Annahme<br />
eines Mandates ablehnen, wenn er zur Wahrnehmung<br />
dessen nicht gewachsen ist. 23 So er den Mandanten<br />
dann nicht weiter verweist, begeht er einen Fehler und<br />
macht sich haftpflichtig.<br />
cc) Pflichtenkreis<br />
Sobald an den Anwalt ein Mandat ad litem gegeben<br />
wurde, hat der Anwalt die Pflicht, dieses auszuführen und<br />
seinem Mandanten Rechenschaft abzulegen. 24 Dogmatisch<br />
unterschieden werden die Verpflichtungen des Anwalts in<br />
Resultaats- und Middelenverbintenissen. 25 Während erstere<br />
die Verpflichtung zur Erzielung eines bestimmten Ergebnisses<br />
beinhaltet, verlangt letztere ein Maximum an Anstrengung<br />
bzw. Sorgfalt zur Erreichung eines bestimmten Resultats.<br />
26 Verpflichtet wird der Anwalt also zu zweierlei:<br />
Formell muss er bei Gericht erscheinen und dort die nötigen<br />
Prozesshandlungen vornehmen. 27 In diesem Zusammenhang<br />
hat er vor allem die Forderungen rechtzeitig geltend<br />
zu machen, den Eintritt von Verjährungen zu<br />
vermeiden und die notwendigen Rechtsmittel fristgerecht<br />
einzulegen. 28<br />
Inhaltlich trägt der Anwalt keine Obligation ein bestimmtes<br />
Ergebnis zu erzielen oder gar den Prozess zu gewinnen.<br />
Er muss freilich seine maximal möglichen Anstrengungen<br />
unternehmen, um den Mandanten vor Gericht<br />
zu vertreten respektive einen für den Klienten durchsetzbaren<br />
Titel zu erwirken. 29 Bei der Ausführung des ihm anvertrauten<br />
Mandats ist der Anwalt nach der Rechtsprechung<br />
zwar einerseits verpflichtet, sich an die durch den<br />
Mandanten vorgegebenen Richtungen und Hinweise zu halten.<br />
Andererseits hat er aber gleichermaßen zu berücksichtigen,<br />
dass er seine Freiheit zum Handeln und die Prozessleitung<br />
behält und die nach seiner Ansicht notwendigen<br />
Strategien und Initiativen trifft. Letzteres natürlich stets<br />
nach seinem besten Vermögen und Sachverstand, innerhalb<br />
der ihm berufsrechtlich gesetzten Grenzen, um den Belangen<br />
seines Klienten umfassend Rechnung zu tragen. 30<br />
13 Ohne allerdings für diese eine Prozessvertretung zu übernehmen. Merchiers,<br />
Y.; Bijzondere Overeenkomsten, Brüssel 2000; S. 220 ff.<br />
14 Unter Zuhilfenahme der bestmöglichen Anstrengungen. Mahieu M.; Baudrez,<br />
J.; De Belgische Advocatuur, Leieland 1980; S. 38.<br />
15 Zum Sorgfaltsmaßstab der culpa levis in abstracto sogleich unter 4.<br />
16 Reich, (siehe Fn. 5), S. 36.<br />
17 Reich, ebd.<br />
18 Der Anwalt kann sich mithin nicht entlasten aus Gründen von Interpretationsfehlern.<br />
19 Das Kriterium der Vertretungsbefugnis wird als wesentliches Unterscheidungskriterium<br />
zwischen aaneming und lastgeving angesehen. Zum Ganzen: Herbots,<br />
J.H.; Bijzondere overeenkomsten, Leuven 2000; S. 257 f.<br />
20 Kein mandaat ad litem liegt beispielsweise vor bei bloßer Unterzeichung von<br />
Verträgen für den Klienten, oder in der Empfangnahme von für den Klienten<br />
bestimmten Mahnungen. Weitere Ausnahmen siehe Depuydt, De aansprakelijkheid<br />
van Advokaten, Tien jaar rechtsspraak (1983 – 1992); Antwerpen<br />
1993, S. 52/53.<br />
21 Rad van Staate, Revue de jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles (J.L.M.B.)<br />
1990, S. 1406.<br />
22 Die Beweislast obliegt dann dem Klienten. Reich, (siehe Fn. 5), S. 29.<br />
23 Dies insbesondere bei Sachverhalten für einen Spezialisten. Hier sollte sich<br />
der Anwalt die Annahme reiflich überlegen, denn es wird angenommen, dass<br />
er dieses Mandat dann wie ein Fachmann übernimmt.<br />
Die Ablehnung oder eine andere Beendigung des Vertrages muss der Anwalt<br />
deutlich zum Ausdruck bringen. Depuydt, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk<br />
recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298); Lambert, P.; Règles et usages de la profession<br />
d’advocat du bureau de Bruxelles, Brüssel 1980, S. 359 f.<br />
24 Den Prozess muss er mindestens bis zum Urteil beobachten. Merchiers, (siehe<br />
Fn. 15), S. 269 f.<br />
25 Dies gilt freilich nicht nur in der Anwaltshaftung. Zeitgleich werden hier auch<br />
obligation de résultat bzw. obligation de moyens verwendet.<br />
26 Depuydt, (vgl. Fn. 28).<br />
27 Anderenfalls stellt das Nichterscheinen einen Fehler dar. Rechtbank Brussel,<br />
1988, A.R. nr 12. 502. Auch darf er sich nicht durch einen „stagair“ vertreten<br />
lassen. Rechtbank Brussel, 1990, A.R. 1783/88 (nicht veröffentlicht).<br />
28 Dies umfasst alle Berufungsmöglichkeiten und Instanzenwege. Zu weiteren<br />
Handlungen siehe Art. 751 Ger.W.; Zur Kasuistik Depuydt, (vgl. Fn. 28),<br />
S. 297; ausführlicher: ders. (vgl. Fn. 24), S. 63 ff.<br />
29 „Zijn uiterst best doen.., Merchiers, (vgl. Fn. 15) oder “[..] to use his best endeavours,<br />
when he gives advice or pleads before a court., so Reich, (Fn. 5),<br />
S. 31.
776<br />
MN<br />
4. Sorgfaltskriterium<br />
Die frühere Ansicht, welche den Anwalt nur für Vorsatz<br />
oder schwerwiegende Fehler haften ließ, gilt nun als überkommen.<br />
31 Die Verantwortlichkeit solle eher im Lichte des<br />
Art. 1992 B.W. beurteilt werden. Nach diesem ist der Mandatführer<br />
nicht allein für Vorsatz verantwortlich, sondern<br />
auch für Verschulden während der Ausführung des Mandates.<br />
Den Sorgfaltsmaßstab bildet die culpa levis in abstracto.<br />
Zurückgegriffen wird hier auf den bonus pater familias<br />
in absolut objektiver Betrachtungsweise: 32 – Konkret<br />
ist die Rechtsprechung gefestigter Meinung, dass der Anwalt<br />
beim Geben von Rat und Beistand gerade kein bestimmtes<br />
Resultat schulde (Middelenverbintenis). Die Haftung<br />
beurteile sich im Lichte des Verhaltens eines<br />
normalen, sorgfältigen, umsichtigen und fähigen Anwalts. 33<br />
Zu Grunde gelegt wird hier keine ex-post Beurteilung: Es<br />
wird geprüft, wie ein durchschnittlicher und gewissenhafter,<br />
vorausschauender Berater in der Rolle eines gerade in<br />
diesem Zeitpunkt und unter denselben Umständen tätigen<br />
Anwalts gehandelt hätte. 34 Persönliche Schwächen wie z. B.<br />
Alter, Spezialisierung oder Gesundheit sollen außerhalb der<br />
Betrachtung bleiben. 35<br />
5. Schaden<br />
a) Schade en Schadeloosstelling<br />
Sobald das Gericht einen Fehler (Pflichtverletzung) des<br />
Anwalts festgestellt hat, untersucht es, ob beim Klienten<br />
ein Schaden eingetreten ist. 36 Regelungen über den Schaden<br />
bei vertraglichen Pflichtverletzungen lassen sich den<br />
Artt. 1146 ff. B. W. entnehmen. Allgemein besteht gem.<br />
Art. 1149 B. W. der Ausgleich der beim Gläubiger eingetretenen<br />
Schadenspositionen in den tatsächlich dem Gläubiger<br />
erlittenen Verlusten und gleichsam im eventuell entgangenen<br />
Gewinn. Bei der vertraglichen Haftung muss der<br />
Schuldner, so die Nichterfüllung der Pflichten nicht vorsätzlich<br />
geschah, nur die Schäden ausgleichen, die redlicherweise<br />
vorhersehbar waren oder die der Schädigende<br />
hat vorhersehen können im Augenblick der Vertragseingehung,<br />
Art. 1150 B.W. Im Fall der vorsätzlichen Nichterfüllung<br />
werden allerdings gem. Art. 1151 B. W. alle direkten<br />
und unmittelbaren Schäden erfasst. 37<br />
b) Voorzienbaarheid Vorhersehbarkeit<br />
Aus dem eben Erwähnten lässt sich entnehmen, dass im<br />
Fall vertraglicher Haftung nicht jeder Schadensposten in<br />
Betracht kommt, sondern nur die voraussehbaren. Mithin<br />
alle Schäden, deren Eintritt bei Vertragsschluss für den<br />
schädigenden Handelnden vorherzusehen war. 38 Bei der Bestimmung<br />
der Vorhersehbarkeit wird in concreto das Handeln<br />
des Schadensverursachers geprüft an einem gewissen<br />
Vergleichsmaßstab, unter Berücksichtigung der Umstände<br />
des Handelnden. 39 Vergleichskriterium ist wiederum der bonus<br />
pater familias. Ein Berufskundiger muss demnach nicht<br />
nur die positiven, sondern auch die negativen Folgen seiner<br />
Handlungen erkennen und vorhersehen können. 40<br />
c) Kansverlies – Chancenverlust<br />
Bei der Tätigkeit des Anwalts im Rahmen des Mandaat<br />
ad litem liegt in den meisten Fällen ein möglicher Schaden<br />
im Verlust der Möglichkeit auf einen Prozess. So wenn der<br />
Anwalt den Klienten durch seine Tätigkeit in eine Situation<br />
bringt, in der ein Gerichtsverfahren unterbleibt41 :<br />
AnwBl 12/2005<br />
Mitteilungen<br />
Hier wird die Frage aufgeworfen, ob denn der hypothetische<br />
Prozess überhaupt zum Erfolg führen konnte. 42 Angeführt<br />
wird, dass der Klient als Schaden lediglich eine<br />
Chance auf einen Prozess bzw. Erfolg oder Verbesserung<br />
seiner Rechtsposition verloren hat. 43 Einig ist man sich insoweit,<br />
als der durch die entgangene Berufungsmöglichkeit<br />
entstandene Schaden nur ersetzt werde, wenn die Möglichkeit<br />
auf einen Prozesserfolg ohne den Fehler nicht rein hypothetisch<br />
war. 44 Bestand also eine genügend große Wahrscheinlichkeit<br />
auf den Eintritt eines Prozesserfolges? Bei<br />
der Evaluierung dieser Erfolgswahrscheinlichkeit, so die<br />
Rechtsprechung, darf sich der Richter nicht in die Rolle des<br />
im Anfangsprozess Beurteilenden begeben. 45 Hiernach ist<br />
der Schaden der Verlust der Möglichkeit als solcher. Mit<br />
anderen Worten: der Verlust des Rechts auf Berufung oder<br />
Klageerhebung.<br />
Die Lehre verlangt, dass der Richter sich in die hypothetische<br />
Lage des beurteilenden Richters versetzte. Dann sei<br />
die Wahrscheinlichkeit zu untersuchen, mit der ein Prozess<br />
zu einem anderen Urteil geführt hätte, wären die erforderlichen<br />
Handlungen vom Anwalt vorgenommen worden. 46<br />
30 Storme, M.; Aansprakelijkheid voor procesvoering, in: Recht Halen uit Aansprakelijkheid,<br />
Gent 1993; S. 187.<br />
31 Ausführlich und mit zahlreichen Belegen zu dieser weitgehenden Immunität:<br />
Depuydt, Handbuch, Nr. 22.<br />
32 Reich, (siehe Fn. 5), S. 31.<br />
33 Rechtbank Nivelles, 1985, Revue générale des assurances et des responsabilités<br />
(R.G.A.R.) 1986, nr. 11.091; Rechtbank Turnhout, 1989, Turnhouts Rechtsleven<br />
(Turnh. Rechtsl.) 1990, S. 18; Rechtbank Brussel, 1990, Rechtskundig<br />
weekblad (R.W.), 1991-92, S. 823; ebd, 1991, Tijdschrift voor verzekeringen<br />
(De Verz.) 1991, S. 703.<br />
34 Oder anders gewendet: Hat sich der Anwalt so verhalten, wie es von einem<br />
normalen und sorgfältigen Anwalt erwartet werden durfte. Exemplarisch: Hof<br />
van beroep te Gent, Rechtskundig Weekblad (R.W.) 1982-83, S. 440.<br />
35 Reich, (siehe Fn. 5), S. 31. Zur Frage der Spezialisierung beachte allerdings die<br />
vermeintliche Sonderansicht für die eingetragenen Fachanwälte von Braun,<br />
Tout savoir sur les avocats, Sommaire du Numero 1993, S. 94: „[..] la responsabilité<br />
de l’avocats spécialiste sera, en son domaine, évidemment accrue, puisque<br />
c’est en considération de sa compétance prétendue, sur la foi de sa seule<br />
affirmation, que le client se sera adressé à lui.“ Dagegen Depuydt, Handbuch,<br />
Nr. 23 und Schamps, Revue de jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles<br />
(J.L.M.B.) 1994, S. 47, 48.<br />
36 Reich, (vgl. Fn. 5), S. 35.<br />
37 Depuydt, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298).<br />
38 Zur Verdeutlichung lässt sich der Anwalt anführen, der vergisst den Mietvertrag<br />
über das Geschäft seines Klienten zu verlängern. Nicht nur, dass der<br />
Klient Gewinnausfälle durch die wegfallenden Kunden hat, sondern zu allem<br />
Überfluss lässt sich seine Frau von ihm scheiden und verlangt Unterhalt. Letzteres<br />
hat im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Anwalt der Anwalt<br />
selbst und niemand anders vorhersehen können.<br />
39 Rechtbank Gent 1998, Algemeen juridisch tijdschrift (A.J.T.) 1998-99, S. 85;<br />
Cousy, Wrongfulness in Belgian Tort Law, in: Unification of Tort Law-Wrongfulness,<br />
H. Koziol (Edit.), The Hague, London [u. a.] 1998; S. 33.<br />
40 Vandenberghe, van Quickenborne und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak<br />
(1994–1999), Aansprakelijkheid uit onrechtmatige daad.“, Tijdschrift voor privaatrecht<br />
(T.P.R.) 2000, S. 1594. Gegebenenfalls hat der Anwalt, so er den Eintritt<br />
eines Schadens erkennt, die nötigen Gegenmaßnahmen zur Verhinderung<br />
zu treffen.<br />
41 Erfasst werden Fallgruppen, in denen die Berufung unterbleibt, zu spät eingereicht<br />
wurde und gleichsam sämtliche Fristversäumnisfälle.<br />
42 Depuydt, Handbuch, Nr. 28; ders. (vgl. Fn. 24), S. 22 ff.<br />
43 Zum „kansverlies“; Ronse, De Wilde; Schade en Schadeloosstelling, deel 1,<br />
Gent 1988, S. 103f.<br />
44 Mit anderen Worten wird hier gefragt, ob es hinreichend wahrscheinlich war,<br />
dass der Schaden nicht geschehen wäre ohne den Fehler des Anwalts. Depuydt,<br />
Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298);<br />
Rechtbank Brussel, 1971, Journal des Tribunaux (J.T.) 1972, S. 192 ff.; Hof<br />
van Beroep Gent, 1981, Rechtskundig Weekblad (R.W.) 1982 – 83, S. 439 ff.<br />
45 Er untersucht lediglich, ob es in diesem nicht stattgefundenen Prozess Anzeichen<br />
gab, die mit einer genügenden Wahrscheinlichkeit zu einer rechtskräftigen<br />
für den Mandanten erfolgreicheren Urteil geführt hätten.<br />
46 Reich, (siehe Fn. 5), S. 35. Anders wiederum Depuydt, (siehe Fn. 24), S. 24,<br />
der in beide Richtungen abwägt: Der Richter dürfe sich nicht an die Stelle des<br />
Erstrichters begeben und eine fiktive Lösung vorstellen, die dann als vermeintlich<br />
einzig Richtige präsentiert wird. Andererseits solle er ebenso wenig jede<br />
Annäherung hinsichtlich der Fakten und Vorträge des erstbeurteilenden Falls<br />
außer Betracht lassen. Weiter zum delikaten Fall, wenn der Richter in einer unterbliebenen<br />
Berufung seine eigenen Fehler zu evaluieren hat: Depuydt, Tijdschrift<br />
voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.) 1993, 295 (298, 299), ders.<br />
Handbuch, Rn. 29.
AnwBl 12/2005 777<br />
Mitteilungen MN<br />
d) Schadenshöhe beim kansverlies<br />
Schließlich muss der Richter im Haftpflichtprozess noch<br />
die Höhe der verlorenen Chance und damit die zu kompensierenden<br />
Verluste festlegen. Dies erfolgt primär durch eine<br />
Schätzung des wirtschaftlichen Wertes der Möglichkeit.<br />
Die präzise Determinierung ist freilich differenzierter. 47<br />
Bei einer auf anwaltlichen Raterteilung nicht erfolgten<br />
Berufung hat eine doppelte Untersuchung zu erfolgen: Zum<br />
einen bezogen auf die Vertragsverletzung und zum anderen<br />
auf ein möglich besseres Urteil im hypothetischen Prozess.<br />
48 Die Höhe des Schadens wird dann nach freiem richterlichen<br />
Ermessen bestimmt. Es trägt allerdings die Erwägung,<br />
dass es kaum möglich sei, auf präzise Art und Weise<br />
einen derartigen Schaden zu determinieren. Daher spielen<br />
die Höhe der festgestellten Wahrscheinlichkeit der verlorenen<br />
Chance bzw. deren Wert sowie die Gesichtspunkte ex<br />
aequo et bono hierein. 49<br />
6. Kausalität<br />
Es muss zwischen dem Anwaltsfehler und dem Schaden<br />
ein notwendiger Zusammenhang von Ursache und Folge<br />
bestehen. 50 Die Gerichte greifen bei der Bestimmung der<br />
Kausalität weiterhin auf die conditio sine qua non Formel<br />
zurück. Man hält im Wesentlichen daran fest, dass dies ein<br />
einziges und ausreichendes Kriterium sei, stößt allerdings<br />
häufig auf Kritik aus dem Schrifttum. 51 Eine Begrenzung<br />
ist freilich die Methode der konkreten Schadensfeststellung.<br />
52 Das Gericht versucht nämlich den Schaden so präzise<br />
wie möglich zu bestimmen, denn je weiter und genereller<br />
der Schaden beschrieben wird, umso<br />
wahrscheinlicher ist auch, dass er auf irgendeine Weise eingetreten<br />
ist. Folgerichtig kann demnach, bei mehr Beachtung<br />
der aktuellen Umstände der Schadensentstehung, dieser<br />
sehr präzise festgestellte Schaden auch nur auf einem<br />
bestimmten schädigenden Verhalten beruhen. Versuchen<br />
der Lehre, die Äquivalenzformel durch eigene Stellungnahmen<br />
zu kritisieren 53 , hat die Rechtsprechung fortwährend<br />
Absagen erteilt und ihre eigene Lösung vorgezogen. Dieses<br />
caselaw erscheint zwar undurchsichtig und wenig dogmatisch.<br />
Im Gegenzug wurden aber keine Illustrationen von<br />
potentiellen Extremanwendungen beobachtet. 54 Ferner werden<br />
von den Gerichten stillschweigend genügend Wertungen<br />
vorgenommen. Zudem hat der Kassationshof – cour<br />
des cassation – nach den Artt. 608 ff. Ger.W. keine Entscheidungsbefugnis<br />
über Tatsachenfragen, wie hier der Rekonstruktion<br />
der ursächlichen Ereignisse, angenommen das<br />
schädigende Ereignis wäre ausgeblieben. Nichtsdestoweniger<br />
wurden bezogen auf die Anwaltshaftung folgende Fallgruppen<br />
erwähnt: Der ursächliche Zusammenhang und damit<br />
die Haftung können entfallen, wenn eine<br />
schadensbegründende Ursache von außen gesetzt wurde. 55<br />
Dieses Ereignis muss allerdings ein absolutes Hindernis<br />
der Pflichterfüllung des Schuldners darstellen und nicht den<br />
Fehlern des Schuldners zuzurechnen sein. 56 Beispielsweise<br />
verneint wurde das ursächliche Band bei einem Prozess,<br />
der niemals zum Erfolg hätte führen können. 57<br />
7. Beweisfragen<br />
Die Beweislast bestimmt sich in der belgischen Anwaltshaftung<br />
nach den allgemeinen Regeln der Art. 870 ff. Ger.W.,<br />
d. h. der Klient hat grundsätzlich alle von ihm vorgetragenen<br />
Fakten, mithin die anspruchsbegründenden Merkmale zu beweisen.<br />
Mitunter kann sich die vom Klient zu tragende Beweislast<br />
schwierig gestalten, so z. B. beim Beweis des über-<br />
nommenen Mandats 58 oder im Fall der Middelenverbintenis,<br />
wenn der Mandant zu beweisen hat, dass der Anwalt nicht<br />
wie ein verständiger und normaler Ratgeber gehandelt hat. 59<br />
Abgesehen von der Vorhersehbarkeit trägt der Klient auch<br />
bei der Bestimmung des Schadens die Beweislast.<br />
8. Haftungsbeschränkung<br />
Prinzipiell genießt nach belgischem Recht jede Person<br />
die Freiheit, alles mit jedem zu vereinbaren, was nicht gegen<br />
die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder gegen<br />
mandatory law verstößt.<br />
Grundsätzlich kann daher der Anwalt seine Haftung vertraglich<br />
beschränken. Nur Bestimmungen, die eine vorsätzliche<br />
Haftung ausschließen oder den Vertragszweck außer<br />
Kraft setzen, sind rechtlich nicht einklagbar. Letztlich wird<br />
aus Gründen des wirtschaftlich-existentiellen Schutzes darauf<br />
hingewiesen, dass sich die Advokatur eher berufshaftpflichtig<br />
absichern solle, statt durch Haftungsbeschränkungen<br />
die Risiken über Gebühr auf den Klienten zu<br />
verlagern. 60 Solch eine Beschränkung hebe sonst die Haftung<br />
zum Nachteil der Kunden auf, wohingegen die Versicherung<br />
einen Teil der finanziellen Risiken trage.<br />
9.Verjährung<br />
Berufshaftungsrechtliche Ansprüche gegen den Anwalt<br />
verjähren nach der Spezialnorm des Art. 2276bis B.W. in 5<br />
Jahren. Ihr Lauf beginnt nicht mit Begehung des Fehlers,<br />
sondern regelmäßig mit Beendigung des Mandats. 61 Eben-<br />
47 So werden in Urteilen teilweise Bruchteils- oder prozentuale Wahrscheinlichkeiten<br />
angenommen, oder aber Formulierungen wie „außerordentlich gering“,<br />
„sehr groß“ oder „eine Chance, deren Wahrscheinlichkeit an das sicher Eintretende<br />
grenzt“ verwendet. Hierzu Depuydt, ebd. mit weiteren Nachweisen und<br />
Anmerkungen zu den Urteilen.<br />
48 Ebd.<br />
49 Rechtbank Brussel, 1986, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.)<br />
1987, S. 186; Rechtbank Liége, 1991, Revue de jurisprudence de Liège, Mons<br />
et Bruxelles (J.L.M.B.) 1992, S. 1457.<br />
50 Depuydt, (vgl. Fn. 24), S. 40/41.<br />
51 Es wird keine Unterscheidung gemacht, ob die ursächlichen Ereignisse adäquat,<br />
direkt oder „normale“ Ursachen sind. Alles wird als äquivalent angesehen.<br />
Zum case law Adams, „Law is as I’ve told you before“. Over de zwaartekrachtwerking<br />
van rechterlijke uitspraken in Belgie., Tijdschrift voor<br />
Privaatrecht, 1997, S. 1373f.<br />
52 Cour d. Cass. 1956, Pasicrisie I, 1094: „Attendu qu’il y a relation de cause à<br />
effet (si), sans la faute, le dommage tel qu’ il se présente in concreto, ne se serait<br />
pas réalisé. Qu’en décidant qu’il ný a pas de relation de cause à effet. ..en<br />
se fondant uniquement sur ce que le dommage eût pu se produire sans la faute,<br />
mais en s’abstenant de prendre en considération le dommage in concreto, tel<br />
qu’il est produit, à telle date et dans telles circonstances déterminées, le juge<br />
du fond a violé l’article 1382 du Code Civil ».<br />
53 Siehe zu den verschiedenen Theorien. Cousy, Vanderspikken, Causation under<br />
Belgian Law, in: Unification of Tort Law- Causation, H. Koziol (Edit.), The<br />
Hague, London [u.a.] 2000., S. 24.<br />
54 Dies mag daran liegen, dass die Kläger davon absehen, gegen „fern liegende“<br />
Schädigende vorzugehen. Oder schlichtweg daran, dass es in einem kleinen<br />
Land wie Belgien nicht genug veröffentliche Rechtsprechung gibt, die solche<br />
eventuellen Fehlschläge illustriert.<br />
55 Solche „external causes“ können sein: Force majeure, „acts of government“<br />
oder Dazwischentreten Dritter.<br />
56 Sofern der Anwalt dies beweisen kann, wird der Fehler nicht ihm zugeordnet<br />
und er ist nicht haftbar. Reich, (siehe Fn. 5), S. 41, der hier die Aussprachen<br />
der Rspr. verwendet, aber nicht mit weiteren Angaben belegt.<br />
57 Weitere Fallgruppen bei Depuydt, (vgl. Fn. 24), S. 40/41; ders. Handbuch, Rn.<br />
49 – 51.<br />
58 So hat er hier nicht nur den Umfang, sondern ggf. auch zu beweisen, dass das<br />
Mandat rechtzeitig erteilt wurde, vorausgesetzt, der Anwalt hatte die Verjährung<br />
zu vermeiden. Siehe nur Depuydt, (vgl. Fn. 24), S. 66.<br />
59 Reich, (siehe Fn. 5), S. 42.<br />
60 Zwar können schon kleine Fehler zu einem Haftpflichtfall (culpa levis in abstracto)<br />
und somit bei größeren zum Ruin des Anwalts führen. Doch dann soll<br />
bei einem high-value-case eher eine zusätzliche Versicherung abgeschlossen<br />
werden, anstatt Misstrauen beim Kunden zu erwecken. Zum Ganzen: Reich,<br />
(siehe Fn. 5), S. 42, 43.<br />
61 Konkret soll dieser Zeitpunkt durch die Gerichte bestimmt werden. Anhaltspunkte<br />
können aber z. B. der Tod des Anwalts, Widerruf durch den Klient, Beendigung<br />
des Prozesses durch vollstreckbares Urteil oder Zurücksenden der
778<br />
MN<br />
falls nach 5 Jahren verjähren die Vergütungsforderungen<br />
des Anwalts gegen den Mandanten, Art. 2276 bis §2B.W.<br />
10. Haftung gegenüber Dritten<br />
a) Haftung für „onrechtmatige daad“<br />
Der Advocaat ist hinsichtlich der außervertraglichen<br />
Haftung gegenüber Dritten 62 der deliktischen Generalklausel<br />
(Haftung für onrechtmatige daad 63 in den Artt. 1382 ff.<br />
B.W.) unterworfen. Vergleichbar mit dem französischen<br />
Recht greift diese nur ein, wenn zwischen Schädigenden<br />
und Geschädigten keine vertraglichen Beziehungen vorliegen.<br />
64<br />
Rechtsprechung und Lehre entnehmen den Artt. 1382<br />
und 1383 B.W. die drei Voraussetzungen der Existenz einer<br />
unerlaubten Handlung (fout – la faute), eines Schadens und<br />
der Ursächlichkeit zwischen fout und schade 65 .<br />
Das Konzept der fout besteht aus einem objektiven und<br />
subjektiven Element. 66 Letztere Komponente der fout besitzt<br />
lediglich den Charakter einer Zurechenbarkeit. 67 Die<br />
objektive unerlaubte Handlung 68 erfährt wiederum eine<br />
zweispurige Differenzierung:<br />
Entweder kann die onrechtmatige daad im Verfehlen<br />
oder Überschreiten einer spezifischen, ein bestimmtes Verhalten<br />
anordnenden oder den Einzelnen schützenden Norm<br />
liegen 69 , oder im Verstoß gegen die allgemeine Sorgfalt. 70<br />
Die Verletzung und Übertretung dieser allgemeinen Pflicht<br />
auf Rücksicht, Vorausschau und Sorgfalt begründet zusammen<br />
mit dem Kriterium des bonus pater familias die außervertragliche<br />
Haftung. 71<br />
b) Haftung gegenüber der Gegenpartei<br />
Die im Rahmen der Dritthaftung am häufigsten untersuchte<br />
Fallgruppe stellt die Haftung des Anwalts gegenüber<br />
der Gegenpartei dar. 72 Als außervertragliche Fehler im<br />
Sinne des Art. 1382 B.W. wurden gegenüber der Gegenpartei<br />
ein berufsrechtliches Zurückbleiben der Standards in der<br />
Prozessführung oder aber – nur vereinzelt – ein „Bruch der<br />
beruflichen Spielregeln unter Kollegen“ 73 gesehen. Insbesondere<br />
wenn der Anwalt leichtfertig einen herausfordernden<br />
Prozess gegen die andere Partei unternimmt, von<br />
welchem ein besonnener und vorausblickender Anwalt abgeraten<br />
hätte. 74 Hier wird deutlich, dass die Gerichte eher<br />
die Kategorie der allgemeinen Pflicht zur Sorgfalt und Vorsicht<br />
anwenden, welche der Anwalt beim Umgang mit<br />
Dritten einzuhalten habe. Diese Pflicht des Umgangs mit<br />
der Gegenpartei ist jedenfalls dann noch nicht berührt,<br />
wenn der Anwalt lediglich mit seiner Pflichterfüllung gegenüber<br />
dem Mandanten im Rückstand geblieben ist oder<br />
aber eine offensivere Strategie gegen die Gegenpartei führt.<br />
Sie darf gleichsam aber nicht weniger als schädliche Initiativen<br />
gegen die Gegenpartei umfassen, denn wie solle mit<br />
einem Übermaß an Sorgfalt mit der Gegenpartei den Gedanken<br />
einer umfassenden Interessenwahrnehmung für den<br />
eigenen Mandanten Rechnung getragen werden? Letztlich<br />
könnte sich der Anwalt dann Haftpflichtforderungen seines<br />
Mandanten entgegengesellt sehen, ihn zu lax verteidigt zu<br />
haben.<br />
11. Zusammenschau<br />
Die Haftung der Advokaten basiert in Belgien weitestgehend<br />
auf einer vertraglichen Grundlage. Hierbei wird<br />
strikt tätigkeitsbezogen zwischen den Verträgen für das Geben<br />
von Rat und Auskunft sowie dem Mandat für die Prozessführung<br />
getrennt. Einhergehend damit korrespondiert<br />
AnwBl 12/2005<br />
Mitteilungen<br />
dann das vom Anwalt einzuhaltende Pflichtenprogramm.<br />
Letzteres ist zum Nachteil der Ratgebenden eher weitläufig,<br />
wenn als Maxime die umfassende Wahrnehmung der Mandanteninteressen<br />
gilt. Subjektives Korrektiv dieser mitunter<br />
hohen Anforderungen an die Advokaten bildet der Sorgfaltsmaßstab,<br />
welcher sich an einem mit mittlerer Kompetenz<br />
und gewöhnlicher Nachsicht tätigen Anwalt orientiert.<br />
Die auf den ersten Blick weite Kausalität wird durch die<br />
Methode der konkreten Schadensbestimmung und das konstitutive<br />
Element der Vorhersehbarkeit des Schadens begrenzt.<br />
Damit sollen nach dem Ausgleichsgedanken die<br />
beim Mandanten durch die Pflichtverletzung eingetretenen<br />
finanziellen Defizite kompensiert werden. Hinsichtlich des<br />
Verlustes der Möglichkeit auf einen Prozess bedeutet dies<br />
allerdings lediglich den Ersatz des Wertes einer verloren<br />
gegangenen materiellrechtlich zustehenden Position. Bei<br />
den anzutretenden Beweisfragen kann es mitunter für den<br />
Mandanten schwierig werden, jedoch greifen auch hier Erleichterungen.<br />
Eine relativ lange Verjährungsfrist von fünf<br />
Jahren lässt insofern die belgische Mandantschaft wieder<br />
profitieren.<br />
Nach diesem existiert in Belgien ein multiples (Pflichten-)System<br />
der Haftung, welches im Falle eines Fehlverhaltens<br />
den Ausgleich des Spannungsfeldes zwischen dem<br />
fachwissentlich überlegenen Rechtsberater und dem Ratund<br />
Auskunftssuchenden findet.<br />
Prozessakte sein. Sterckx, Journal des Tribunaux (J.T.) 1985, S. 533ff.; van Oevelen,<br />
Tijdschrift voor privaatrecht (T.P.R.) 1987, S. 1795-1796.<br />
62 Dritte in diesem verstandenen Sinne sind zunächst alle, die nicht vertraglich<br />
mit dem Anwalt verbunden sind.<br />
63 Teils ist synonym von “Aquiliaanse aansprakelijkheid die Rede.<br />
64 Zum Ganzen siehe die beiden Übersichten der „onrechtmatigen daad“ von<br />
Vandenberghe, van Quickenborne und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak<br />
(1985-1993). Aansprakelijkheid uit onrechtmatige daad.“, Tijdschrift voor privaatrecht<br />
(T.P.R.) 1995, S. 1115-1534; dies., „Overzicht van Rechtsspraak<br />
(1994-1999), T.P.R. 2000, S. 1558ff.<br />
65 Cousy, (vgl. Fn. 39), S. 31; ders., Vanderspikken (vgl. Fn. 64), S. 23.<br />
66 Cousy, (vgl. Fn. 39), S. 31.<br />
67 So entfällt die Haftung der Kinder, Geistesgestörter oder jener, die zeitweise<br />
außerhalb ihrer Willensfähigkeit sind. Allgemein: Vandenberghe, van Quickenborne<br />
und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak (1994-1999), Aansprake-<br />
68 So als „Onrechtmatige daad“ oder „unlawful behaviour“ bezeichnet.<br />
69 In diesem Fall ist der bloße Verstoß bereits aus sich selbst heraus illegal. Diesem<br />
gleich kommt ein vorsätzliches Handeln des Schädigenden.<br />
70 Vandenberghe, van Quickenborne und Wyant, „Overzicht van Rechtsspraak<br />
(1985-1993), Tijdschrift voor privaatrecht (T.P.R.) 1995, S. 1115.<br />
71 Rechtbank Luik, 1999, Tijdschrift voor Belgisch burgerlijk recht (T.B.B.R.)<br />
2000, S. 564; Arresten van het Hof van Cassatie (Arr.Cass.) 1994, Revue de<br />
jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles (J.L.M.B.) 1995, S. 387.<br />
72 Neben diesem wurden nur sporadisch Fälle der Haftung gegenüber den Mitarbeitern<br />
(confrater) aus Loyalitätspflichten, oder anderen Dritten wie z. B. der<br />
Mitvertragspartner oder Versicherer des Klienten untersucht. Eingehender Depuydt,<br />
(vgl. Fn. 24), S. 96f, 99f.<br />
73 So ist von deontologische tekortkomingen und inbreuk op deze spelregels die<br />
Rede, Depuydt, Handbuch, Rn. 177.<br />
74 Storme, (vgl. Fn. 36), S. 175.
AnwBl 12/2005 779<br />
Mitteilungen MN<br />
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Aija Jahreskongress 2005 in Mexico City<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL. M., Berlin<br />
Die 1962 gegründete Aija (Association Internationale des<br />
Jeunes Avocats) veranstaltete ihren 43. Jahreskongress<br />
vom Ende August 2005 in Mexico City. An dem Kongress<br />
nahmen rund 330 Teilnehmer teil, von denen etwa 180 aus<br />
EU-Staaten kamen. Aus Deutschland waren ca. 20 Anwälte<br />
und Anwältinnen vertreten. Die größte Delegation<br />
stellten die Schweizer. Die Autorin berichtet nicht nur über<br />
den Kongress, sondern auch über aktuelle Entwicklungen<br />
in der Aija.<br />
Arbeitsprogramm<br />
Rund 18 Standing Commissions organisierten Vorträge<br />
und Seminare zu verschiedenen rechtlichen Themenbereichen.<br />
Einzelne Landesvertreter beantworteten im Vorfeld<br />
der Veranstaltung anhand eines Fragebogen des Vorsitzenden<br />
ein Thema aus der Sichtweise ihres Landes. Beim Kongress<br />
wurde dann rechtsvergleichend auf das Thema näher<br />
eingegangen, indem idealer Weise an einem Fallbeispiel<br />
praktische Lösungen erarbeitet wurden.<br />
Schwerpunkte aus berufsrechtlicher Sicht lagen beim<br />
Seminar „Do I really need a lawyer: Understanding and<br />
communicating our services in a competitive environment“.<br />
Diese von der Future of the Profession Commission organisierte<br />
Veranstaltung machte deutlich, dass viele Kollegen<br />
und Kolleginnen ähnliche Probleme haben. Viele teilten<br />
beispielsweise die Auffassung, dass die Entwicklungen bei<br />
der geplanten 3. EU-Geldswäscherichtlinie zu weit gingen.<br />
Aber auch Unterschiede wurden deutlich. Umstritten war,<br />
inwieweit der Anwalt von seiner Möglichkeit des „tipping<br />
off“ bei der Feststellung von Geldwäschedelikten durch<br />
den Mandanten Gebrauch machen sollte.<br />
Vor allem kulturellen Unterschiede wurden deutlich bei<br />
der Veranstaltung „Should Cartel Enforcment be treated as<br />
crime in the 21st. Century?“ Dieses von der Antitrust Commission<br />
organisierte Seminar stellte lebhaft die Unterschiede<br />
der einzelnen Länder dar. Insbesondere die Referenten<br />
aus Kanada, Mexiko und Brasilien sprachen sich<br />
vehement für eine strafbewehrte Sanktionierung der Unternehmensgeschäftsführer<br />
bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht<br />
aus. Dem gegenüber waren die Vertreter aus<br />
den EU-Ländern eher der Auffassung, dass das Strafrecht<br />
als ultima ratio angesehen werden müsse und zunächst die<br />
„competition authority“ selbst klarer machen müsse, welche<br />
Ziele sie wie verfolge.<br />
Aktiver Konferenzstil<br />
Der aktive Konferenzstil wurde auch aufgenommen in<br />
anderen Working Sessions. Beispielsweise war die Veranstaltung<br />
„Survival Training for EU Law Freshmen“ der<br />
European and Environmental Commissions sehr lebhaft<br />
und interessant. Hier referierte unter anderem ein mexikanischer<br />
Vertreter der Federal Commission of Regulatory<br />
Improvement darüber sehr eindrücklich, wie sich die wirt-<br />
schaftliche Situation Mexikos durch die Teilnahme an<br />
NAFTA verbessert hat.<br />
Gerade diese wirtschaftlichen Daten spielten auch eine<br />
große Rolle bei der Veranstaltung „Do’s and don’ts in cross<br />
border transactions“ der M&A Commission. Hier sprachen<br />
Investment Banker neben Unternehmensvertretern aus Mexiko<br />
City. Prozessrechtliche Fragen kamen aber ebenfalls<br />
nicht zu kurz, wie beispielsweise das Seminar „Position of<br />
a shareholder – from agreement to dispute“ der IBLC und<br />
Civil Procedure Commission. Dabei spielten schiedsrichterliche<br />
Aspekte eine Rolle, die wiederum ihrerseits aufgenommen<br />
wurden in der Veranstaltung „Arbitration under<br />
investment treaties“ der Arbitration Commission.<br />
Die Aufzählung könnte hier noch weiter geführt werden;<br />
es soll aber nur der Eindruck vermittelt werden, dass für<br />
die Teilnehmer zahlreiche Möglichkeiten bestanden, an unterschiedlichen<br />
Veranstaltungen im beeindruckenden Konferenzhotel<br />
Camino Real teilzunehmen.<br />
Aija-Internes<br />
Am Samstag stand bei der Veranstaltung wie üblich die<br />
General Assembly an. Die General Assembly findet mindestens<br />
einmal im Jahr, in der Regel während des Jahreskongresses,<br />
statt. Dabei ist zu beachten, dass die General<br />
Assembly nur eines der drei Organe der Aija ist. Daneben<br />
fungiert das Präsidium (Bureau) und der Geschäftsführende<br />
Ausschuss (Executive Committee). Das Executive Committee<br />
besteht aus 48 Mitgliedern, die von der General Assembly<br />
gewählt werden. Jedes Jahr scheiden 16 Mitglieder aus<br />
dem Executive Committtee aus. Sie werden für insgesamt<br />
drei Jahre gewählt. Daneben besteht das Büro aus dem Präsidenten,<br />
dem 1. Vizepräsidenten, dem Generalsekretär,<br />
dem Schatzmeister und den vorherigen Präsidenten.<br />
In Mexiko wurde zum neuen Präsident der Däne Christian<br />
Lundgren gewählt, zur 1. Vizepräsidentin Nicole van<br />
Ranst aus Belgien, neuer Generalsekretär wurde Duarte De<br />
Athayde aus Portugal und Schatzmeister Jan Swinnen aus<br />
den Niederlanden.<br />
Rahmenprogramm: Aija-spirit<br />
Wie immer bei aija war das Abend- und Rahmenprogramm<br />
wichtig und sehr gelungen. Der Aija-Spirit breitet<br />
sich gerade dadurch aus, dass so viele junge kompetente<br />
Kollegen und Kolleginnen zusammen ausgehen und feiern.<br />
Das von den Organisatoren erdachte umfangreiche Rahmenprogramm<br />
lud geradezu dazu ein.<br />
Wie jedes Jahr startete der Kongress am ersten Abend<br />
mit einem Get Together. Die beeindruckende Eröffnungsfeier<br />
fand am zweiten Tag im Castillo de Chapultepec statt.<br />
Bedauerlich war einzig das schlechte Wetter. Am dritten<br />
Nachmittag, der üblicherweise als „Day out“ gestaltet wird,<br />
konnten die Kolleginnen und Kollegen an einem „Rodeoprogramm“<br />
teilnehmen. Abschluss war das Gala Dinner am<br />
letzten Abend im Palacio de Mineria.<br />
Gelungene Akquise<br />
Der aija-Jahreskongress war wie gewohnt eine gelungene<br />
Veranstaltung um Akquise zu betreiben und sich unter<br />
Gleichgesinnten in Mexico City zusammenzutun. Dabei<br />
half es gerade den neuen Mitgliedern, dass sie am sogenannten<br />
„First Timers Breakfeast“ teilnehmen oder durch<br />
die Unterstützung der aija wichtige Kontakte zu den einzel-
780<br />
MN<br />
RVG-Frage des Monats<br />
Wird von der Verfahrensgebühr<br />
die teilweise<br />
anzurechnende Geschäftsgebühr<br />
abgezogen?<br />
Schon die BRAGO sah in § 118 Abs. 2 S. 1 eine Anrechnung<br />
der Geschäftsgebühr aus § 118 Abs. 1 S. 1 auf<br />
eine nachfolgend entstehende Prozessgebühr aus § 31<br />
Abs. 1 Nr. 1 vor, soweit es sich um den selben Gegenstand<br />
handelt. Das RVG behält diese Anrechnung prinzipiell<br />
bei (Anrechnung Geschäftsgebühr aus VV Nr. 2400<br />
bis 2403 auf Verfahrensgebühr aus VV Nr. 3100 bis<br />
3103), wenn auch der Höhe nach begrenzt auf 50 % der<br />
Geschäftsgebühr und maximal für einen Anteil von 0,75<br />
(Vorbem. 3 Abs. 4 im Vergütungsverzeichnis des RVG).<br />
Für beide Anrechnungsregelungen stellt sich im Hinblick<br />
auf die Kostenfestsetzung von prozessual entstandenen<br />
Anwaltsgebühren (Prozess-/Verhandlungs-/Beweisgebühr<br />
nach BRAGO bzw.<br />
Verfahrens-/Terminsgebühr nach RVG) die Frage, ob sich<br />
die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die festsetzbare<br />
Höhe der bisherigen Prozess- bzw. der heutigen Verfahrensgebühr<br />
auswirkt.<br />
Beschluss des Kammergerichts<br />
Klarheit bringt eine neue Entscheidung des Kammergerichts<br />
(KG, Beschl. v. 20.7.2005 – 1 W 285/05, veröffentlicht<br />
in diesem Heft auf S. 792). Auf der Grundlage<br />
des Gesetzeswortlauts stellt das Gericht fest, dass sowohl<br />
nach geltendem wie auch schon nach bisherigem Gebührenrecht<br />
die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr<br />
in der nachfolgenden Verfahrensgebühr im vorgegebenen<br />
Umfang aufgeht. Die Verfahrensgebühr<br />
entsteht also ungeschmälert und ist vollständig festsetzbar.<br />
An dieser Konstruktion hat auch der Wechsel von<br />
der BRAGO zum RVG dem Grunde nach nichts geändert.<br />
Bemerkenswert ist das zusätzliche Argument des<br />
Kammergerichts: Eine die Verfahrensgebühr reduzierende<br />
Wirkung der Anrechnung von Geschäftsgebühren<br />
ist auch aus prozessökonomischen Gründen abzulehnen.<br />
Das Kostenfestsetzungsverfahren bietet nämlich der obsiegenden<br />
Partei die Möglichkeit, auf einfache Weise einen<br />
vollstreckbaren Titel gegen die unterlegene Partei<br />
auf Ersatz der ihr durch den Rechtsstreit entstandenen<br />
Kosten zu erlangen. Bei Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr<br />
von der festzusetzenden Verfahrensgebühr wäre<br />
nen Arbeitsgruppen knüpfen konnten. Auch die deutschen<br />
Mitglieder haben sich in Mexiko getroffen: Zwischen ihnen<br />
besteht ein funktionierendes Netzwerk, welches über<br />
Dr. Mario Krogmann (krogmann@delaw.de) zusammengeführt<br />
wird.<br />
Auch dieses Jahr wird es für Einige wieder der letzte<br />
aija-Kongress gewesen sein, da sie die Altersgrenze von<br />
AnwBl 12/2005<br />
Mitteilungen<br />
die obsiegende Partei darauf angewiesen, außergerichtlich<br />
die volle Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei<br />
geltend zu machen und diese evtl. erneut einzuklagen.<br />
Diese Auffassung des Kammergerichts verdient Zustimmung<br />
(a. A. aber N. Schneider, Anm. zu dem KG-<br />
Beschl., AGS 11/05, 515). Sie steht auch nicht im Widerspruch<br />
zu dem gebührenrechtlichen Grundsatz, dass<br />
einmal entstandene Gebühren nicht mehr nachträglich<br />
entfallen oder gekürzt werden. Die anzurechnende Hälfte<br />
bzw. max. 0,75 der Geschäftsgebühr aus RVG-VV<br />
Nr. 2400 entfällt nicht nachträglich durch das Entstehen<br />
der Verfahrensgebühr, sondern geht in dieser Gebühr auf,<br />
wird auf die Verfahrensgebühr verschmolzen. Mit anderen<br />
Worten: die einmal entstandene Geschäftsgebühr fällt<br />
durch die Anrechnung nicht nachträglich weg, sondern<br />
wird aufgrund der Anrechnung von der Verfahrensgebühr<br />
überlagert und in einen Bestandteil der Verfahrensgebühr<br />
„verwandelt“. Soweit der Mandant bereits<br />
die volle Geschäftsgebühr an den Anwalt bezahlt haben<br />
sollte, deckt diese Zahlung in Höhe des Anrechnungsbetrages<br />
nun auch die Vergütungsforderung auf eine Verfahrensgebühr<br />
ab.<br />
Die Zahlung auf die volle Geschäftsgebühr enthält<br />
damit potenziell bereits einen Vorschuss auf eine eventuell<br />
entstehende, anrechnungsrelevante Verfahrensgebühr.<br />
Das ändert nichts daran, dass gegen eine unterliegende<br />
Gegenpartei in der Kostenfestsetzung die Verfahrensgebühr<br />
ungeschmälert, also nicht um die Hälfte der Geschäftsgebühr<br />
gekürzt, anzusetzen ist (so auch Madert in<br />
Gerold/Schmidt, RVG Komm., 16. Aufl. 2004, VV 2400<br />
Rn. 205 sowie OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v.<br />
12.07.1996 – 9 W 114/96 AnwBl 1997, 125). Es wäre ja<br />
auch widersinnig, wenn allein der Umstand, dass eine<br />
Partei zusätzliche außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten<br />
(Geschäftsgebühr) aufgewendet hat, dazu führen<br />
würde, die Gegenpartei in der Kostenfestsetzung günstiger<br />
zu stellen als ohne diesen Zusatzaufwand.<br />
Im Übrigen würde ein eventueller Streit über die<br />
Höhe der anzurechnenden Geschäftsgebühr in das der<br />
vereinfachten Titulierung dienende Festsetzungsverfahren<br />
hineingetragen. Der Kostenbeamte müsste dann – zumindest<br />
kursorisch – alle für die Höhe der Geschäftsgebühr<br />
relevanten Kriterien des § 14 RVG überprüfen.<br />
Ein solcher Streit über die Angemessenheit der Gebührenhöhe<br />
sollte aus prozessökonomischen Gründen auf<br />
den anrechnungsfreien Teil der Geschäftsgebühr beschränkt<br />
werden.<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
RVG-Fragen können DAV-Mitglieder im Internet-Forum<br />
unter www.anwaltsforum.de diskutieren. Dort haben<br />
sich seit August 2004 bereits über 3.000 Benutzer registrieren<br />
lassen und etwa 3.200 Beiträge verfasst.<br />
45 Jahren erreichen werden. „Overaged“ zu sein ist für<br />
viele eine Bestrafung, ihr Bedauern ist offensichtlich.<br />
Die nächste Aija-Tagung findet statt vom 22. bis 26.<br />
August 2006 in Genf (Schweiz). Weitere Informationen finden<br />
Sie im Internet unter www.aija.org.
AnwBl 12/2005 781<br />
Mitteilungen MN<br />
Kostenrecht<br />
Prozessverlust und Kostentragung<br />
– ein zeitgemäßes<br />
Abhängigkeitsverhältnis?<br />
Ein rechtshistorisches Exempel<br />
Rechtsanwältin Dr. Annette Rieck, Kiel<br />
Es gibt juristische Fragen, an denen sich schon Generationen<br />
abgearbeitet haben. Manche Lösung erscheint uns<br />
heute selbstverständlich, ist es aber keineswegs. Der<br />
rechtsgeschichtliche Essay wirft ein Blick auf das Prinzip<br />
der Kostenerstattung bei Prozessverlust.<br />
„The opera ain’t over, ’til the fat lady sings“, sagt in<br />
Amerika ein populäres Wort. Für Juristen: Ein gerichtliches<br />
Verfahren geht nicht zu Ende,<br />
bevor eine richterliche Entscheidung<br />
über die Kosten ergangen<br />
ist. Denn der allgemein in den<br />
§§ 91 ff. ZPO geregelte prozessuale<br />
Kostenerstattungsanspruch<br />
entsteht – nur und immer – mit<br />
Erlass des Urteils und wird mit<br />
dessen Rechtskraft fällig. Das<br />
Prinzip des „No fee, no law“ und<br />
die Tatsache, dass dem Richter<br />
auch die Entscheidung über die<br />
Kosten des Verfahrens obliegt,<br />
ist für die meisten Praktiker derart<br />
selbstverständlich, dass sie an<br />
die „Akzessorietät“ von Sach<br />
und Kostenentscheidung keinen<br />
Gedanken verwenden.<br />
Soweit, so gut: Infrage gestellt<br />
wird indes der Grundsatz<br />
des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass<br />
die unterliegende Partei die Kosten<br />
des Rechtsstreits zu tragen<br />
habe. Er basiert auf der Vermutung,<br />
der Unterlegene habe<br />
grundsätzlich widerrechtlich gestritten.<br />
Das starr anmutende Junktim<br />
von Prozessverlust und Kostentragung<br />
ist ohne einen Blick auf<br />
seine Entstehung nicht angemessen<br />
zu beurteilen. Es findet sich<br />
in der abendländischen Rechtsgeschichte<br />
erstmals im Corpus<br />
iuris civilis des römischen Kaisers<br />
Justinian I., dort im ersten<br />
Teil „Institutionen“ aus dem Jahr<br />
533. Sein fast anderthalb Jahrtausende<br />
langer Weg in unsere ZPO<br />
begann mit einer beinahe 500jährigen<br />
Vergessenheit. Das Werk<br />
Justinians war in der Rechtspraxis<br />
des westlichen Europa niemals<br />
beachtet worden, der Text<br />
dementsprechend unbekannt.<br />
Mittelalter: Buße statt Prozesskosten<br />
Die praktische Rechtsfindung verlief vielmehr in den archaischen<br />
Bahnen des bis ins 12. Jahrhundert weitgehend<br />
unveränderten mittelalterlichen Zivilprozesses: Der Richter<br />
führte die Verhandlung unter der Dorflinde, die Schöffen<br />
sprachen das Urteil. Die „dingpflichtigen“ freien Männer<br />
bildeten den „Umstand“, der das Urteil undiskutiert bekräftigte<br />
oder schalt. Das Verfahren selbst war durch altertümliche<br />
Formalismen verkompliziert. Kläger und Beklagter<br />
mussten bestimmte Worte sprechen und diese mit vorgeschriebenen<br />
Gesten und symbolischen Handlungen begleiten.<br />
Ein einziger Fehler hierbei konnte den Prozessverlust<br />
bedeuten. Das Beweisverfahren mit Eidesleistung,<br />
Gottesurteilen und gerichtlichem Zweikampf war schwerfällig.<br />
Was im Urteilsspruch ohne Gründe als Recht festgestellt<br />
worden war, zweifelte man nicht an. Fragen nach Sinn und<br />
Zweck, Geltungsgrund oder Nutzen einer überlieferten<br />
Norm wurden nicht gestellt, denn das Recht war nicht Gegenstand<br />
rationaler Betrachtung, es wurde geglaubt und<br />
Die Abbildung stammt aus der Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, die zwischen<br />
1295 und 1363 im Raum Meißen entstanden ist. Die Bilder dienen nicht der Illustration des<br />
vorstehenden Textes, sondern zeigen für den Fall des Lehens, welch komplizierte Gesten und<br />
Handlungen im Mittelalter Voraussetzung für die formelle Wirksamkeit von Rechtsakten waren.
782<br />
MN<br />
durch Gewohnheit bewahrt. Dementsprechend gab es auch<br />
keine echten Rechtsmittel, kein Mehrinstanzensystem. Juristen<br />
als Prozessvertretung brauchte man nicht, ein „Vorsprecher“<br />
allerdings war vorgeschrieben.<br />
Eine allgemeine Regelung über die Tragung der Prozesskosten<br />
fehlte ebenfalls. Man unterschied noch nicht zwischen<br />
Strafe und Schadenersatz, erlittene Schäden und Kosten<br />
des Prozessgegners waren mit der Buße an den<br />
Verletzten abgegolten. Wegen des überwiegend pönalen<br />
Charakters vorgeschriebener Zahlungen auch an Richter<br />
und Schöffen ist überhaupt fraglich, ob diese als Prozesskosten<br />
zu qualifizieren sind. Man erblickt hier also ein<br />
grundlegend anderes Rechtssystem und -denken als das uns<br />
geläufige.<br />
Kostenrecht im Kirchenrecht<br />
Allerdings waren schon Ende des 12. Jahrhunderts die<br />
Menschen nicht ausschließlich auf das Gericht unter der<br />
Dorflinde verwiesen. Neben der weltlichen gab es eine<br />
kirchliche Gerichtsbarkeit, die zu dieser Zeit einen erheblichen<br />
Anstieg an Rechtssachen zu verzeichnen hatte. Gemeint<br />
ist hier das bischöfliche Gericht, das sog. Offizialat,<br />
das sich zuerst im 12. Jahrhundert in Frankreich entwickelte<br />
und von dort seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts<br />
in das Heilige Römische Reich ausbreitete. Die<br />
Zuständigkeit der Kirchengerichtshöfe war personell auf<br />
den Klerus sowie auf besonders schutzbedürftige Personengruppen<br />
wie Arme, Witwen und Waisen beschränkt. Sachlich<br />
hatten sie über Fälle zu entscheiden, in denen schwere<br />
Sünden zu beurteilen waren, vor allem über Ehe- und Familiensachen<br />
und Betrug. Alle übrigen Tatbestände, Vertragsverletzungen<br />
etwa, gehörten vor die weltlichen Gerichte.<br />
Allerdings bestand die Möglichkeit der Zuständigkeitsbegründung<br />
durch Schiedsvereinbarung, von der reger Gebrauch<br />
gemacht wurde.<br />
Dabei war Gerechtigkeit vor kirchlichen Gerichten keineswegs<br />
„billiger“ zu haben als vor weltlichen und die<br />
Rechtsverfolgung auch nicht weniger risikobehaftet. Auch<br />
hier waren die Verfahrenskosten keine Nebensache, sondern<br />
konnten über Sieg oder Niederlage entscheiden. Grund für<br />
die Beliebtheit der Kirchengerichte war ihre sachliche<br />
Überlegenheit: Es gab hier keinen „Umstand“, das Verfahren<br />
fand in geschlossenen Räumen und vor einem rechtswissenschaftlich<br />
ausgebildeten Richter statt. Der Prozess<br />
war ein Aktenprozess, in dem der Verhandlungsgrundsatz<br />
galt. Der mündliche Parteivortrag wurde von öffentlichen<br />
Notaren zur Akte protokolliert. Rechtsausführungen trugen<br />
die Anwälte in Schriftsätzen vor, die verlesen und diskutiert<br />
wurden. Transparenz und Berechenbarkeit erhielt das Verfahren<br />
insbesondere auch durch die klare Regelung, dass<br />
der Unterlegene die Verfahrenskosten zu tragen habe. Die<br />
Kostenentscheidung wurde von dem Richter zusammen mit<br />
der Sachentscheidung gefällt.<br />
Renaissance des Corpus iuris civilis<br />
Die Kirche kannte also das römische Recht und wandte<br />
es bereits an, als es im weltlichen Rechtskreis noch vergessen<br />
war. Kirchenjuristen von europäischem Rang wie Ivo<br />
von Chartres (1014 – 1116) hatten schon lange, bevor das<br />
weltliche Recht wissenschaftlich zu denken anfing, eine<br />
moderne Kirchenrechtsdogmatik entworfen, in der die spätantiken<br />
römisch-rechtlichen Traditionen zu neuem Leben<br />
erweckt waren. Der Einfluss dieser römisch-kanonischen<br />
Rechtstexte auf die Verwissenschaftlichung des weltlichen<br />
AnwBl 12/2005<br />
Mitteilungen<br />
Rechtsdenkens und der Rechtspraxis ging in seiner Bedeutung<br />
über die direkte Rezeption des römischen Rechts hinaus,<br />
die Ende des 11. Jahrhunderts erst allmählich begann.<br />
Es sollte allerdings noch lange dauern, bis Justinians klares<br />
Kostentragungsprinzip außerhalb des Kirchenrechts wieder<br />
in Geltung trat.<br />
Deutschlands Sonderweg: Einzelfallgerechtigkeit<br />
In Deutschland ging man trotz des frühen und eindeutigen<br />
Votums der Rechtsuchenden für die römisch-kanonische<br />
Regelung zunächst andere Wege. Das Reichskammergericht<br />
in Wetzlar wandte in seiner Gerichtspraxis des<br />
16. und 17. Jahrhunderts überwiegend die sogenannte Kostenkompensation<br />
an, die unserer Kostenaufhebung entspricht.<br />
Dahinter stand die Wertung, dass diejenige Partei,<br />
die eine gerechte Sache verfolgt und nicht böswillig oder<br />
verzögerlich prozessiert, auch dann nicht die Kosten des<br />
Gegners tragen solle, wenn sie den Prozess verliert. Die<br />
zeitgenössische Wissenschaft entwickelte mangels einer gesetzlichen<br />
Regelung eine weitverzweigte Kasuistik zur Anwendung<br />
des Prinzips, die für den einzelnen nicht überschaubar<br />
war. Da die Kostenkompensation im Ermessen<br />
des Gerichts stand, waren Missbrauch und Willkür Tür und<br />
Tor geöffnet.<br />
Im 18. und 19. Jahrhundert versuchte man, dem entgegenzusteuern<br />
und die Kostenkompensation begrifflich<br />
und inhaltlich klarer zu bestimmen. Zu ihrer Untermauerung<br />
wurden Argumente angeführt, die uns auch heute<br />
noch in der Diskussion um unsere Kostenregelung begegnen:<br />
Man verwies beispielsweise auf den aleatorischen<br />
Charakter des Obsiegens oder Unterliegens und meinte, der<br />
Erfolg im Prozess erlaube nicht den Rückschluss, der Verlierer<br />
habe ex mala fide gehandelt. Jeder Rechtsstreit diene<br />
neben der Durchsetzung subjektiver Rechte im ausschließlichen<br />
Interesse der Parteien auch der Lösung sozialer Konflikte<br />
und damit der Allgemeinheit.<br />
Wer verliert, der zahlt<br />
Das Misstrauen gegen die Kostenkompensation, die als<br />
„Gefühlssache“ und ausgeklügelte Erfindung der Juristen<br />
abgetan wurde, gewann jedoch schließlich die Oberhand.<br />
Für den römisch-kanonischen Grundsatz sprach seine bestechende<br />
Einfachheit, die von der Gerichtspraxis wie von den<br />
Rechtsuchenden geschätzt wurde. Nachdem er Eingang in<br />
die Gesetzescorpora des 19. Jahrhunderts gefunden hatte,<br />
wurde er schließlich in § 87 der „Civilprozessordnung“ von<br />
1877 übernommen. Von dort gelangte er fast unverändert in<br />
unsere ZPO.<br />
Wer nun heute Einwendungen gegen unser Kostentragungsprinzip<br />
erhebt, sollte sich zuvor vergewissern, dass<br />
diese nicht schon historisch obsolet sind. Sämtliche Argumente<br />
dürften gedacht und gewechselt sein, und die Qualität<br />
des Grundsatzes ist zudem durch eine jahrhundertelange<br />
praktische Anwendung verbürgt. Der Blick in die Zukunft<br />
muss in diesem Fall in der Vergangenheit ansetzen, oder:<br />
Die juristische Moderne begann in der Spätantike.
AnwBl 12/2005 783<br />
Mitteilungen MN<br />
Bücherschau<br />
Anwaltschaft und<br />
Geschichte<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
1. Bereits vor Jahresfrist sind im Rahmen der Bücherschau<br />
einige Werke vorgestellt worden, die das 125jährige<br />
Jubiläum der Einführung einer reichseinheitlichen Gerichtsverfassung<br />
und der hiermit verbundenen Schaffung der anwaltlichen<br />
Selbstverwaltung zum Anlass genommen haben,<br />
die Geschichte einzelner Rechtsanwaltskammern nachzuzeichnen.<br />
Drei weitere solche Werke sind in dieser Bücherschau<br />
anzuzeigen, die anschaulich belegen, in welch<br />
unterschiedlicher Form eine solche Geschichtsschreibung<br />
erfolgen kann.<br />
a) Die Rechtsanwaltskammer Hamm hat unter dem Titel<br />
„Die Rechtsanwaltschaft im Oberlandesgerichtsbezirk<br />
Hamm 1879–2004“ 1 eine veritable Festschrift vorgelegt.<br />
Sie enthält zunächst das, was man vor allem hinter dem Titel<br />
vermuten würde – Beiträge zur Geschichte der Kammer:<br />
Neben einer umfassenden, 70seitigen Darstellung der<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias<br />
Kilian, Köln, ist Vorstand des<br />
Soldan-Instituts für Anwaltmanagement<br />
e.V., Essen. Sie erreichen<br />
ihn per E-Mail:<br />
kilian@anwaltsrecht.org.<br />
125jährigen Kammergeschichte durch ihren Präsidenten<br />
Dieter Finzel finden sich Beiträge zu Einzelaspekten der<br />
Historie, so zum zwischenzeitlichen Ende der Kammer in<br />
der Nazi-Zeit in Folge des Kerll-Erlasses vom März 1933<br />
oder zur Justizgeschichte des Kammerstandorts Hamm.<br />
Diese kenntnisreich und flott geschriebenen Beiträge sind<br />
durch zahlreiche Illustrationen angereichert. Der umfangreichere<br />
Teil der Festschrift enthält eine Sammlung von 25<br />
Aufsätzen zu den unterschiedlichsten anwaltsrechtlichen<br />
Themen. Sie lassen sich in die Kategorien berufsständische<br />
Selbstverwaltung, Berufsrecht und Anwaltsnotariat untergliedern.<br />
Ihre Besonderheit liegt zum einen darin, dass die<br />
Verfasser allesamt aus dem Kammerbezirk stammen, zum<br />
anderen, dass viele der Autoren in ihren Fachbeitrag historische<br />
Bezüge einfließen lassen. Es kann nicht überraschen,<br />
dass in einer Kammerfestschrift insbesondere das<br />
Kammerwesen intensiv bearbeitet wird, zu nennen sind<br />
Beiträge etwa zum Zulassungsrecht, zur Anwaltsgerichtsbarkeit,<br />
zur Kammeraufsicht oder zum Versorgungswerk.<br />
Auch literarisch selten aufgegriffene Themen wie das gebührenrechtliche<br />
Kammergutachten (sehr lesenwert Bohnenkamp)<br />
oder die Fachanwaltsausschüsse finden Berücksichtigung.<br />
Einige der Beiträge sind überwiegend<br />
darstellend, andere setzen sich intensiv auch mit aktuellen<br />
Streitfragen auseinander. Der berufsrechtliche Teil der Festschrift<br />
enthält einen bunten Strauß hochinteressanter Themen,<br />
vom Problem der Fremdgeldbehandlung über die Verfassungskonformität<br />
des Zweigstellenverbots, der Zukunft<br />
der anwaltlichen Fortbildung, den Grenzen anwaltlicher<br />
Vergütungsvereinbarungen bis hin zur Rechtsmittelsystema-<br />
tik bei Aufsichtsmaßnahmen oder zur Anwaltskapitalgesellschaft.<br />
Abgerundet wird die Festschrift durch drei Beiträge<br />
zum Anwaltsnotariat. Hier werden neben einer historischen<br />
Rückschau ebenfalls heiße Eisen angepackt, so etwa das<br />
aktuelle Problem des Zugangs zum Anwaltsnotariat. Alles<br />
in allem ein überaus lohnendes Werk, das aufgrund seiner<br />
Inhalte eine umfassende Rezeption in der Kommentarliteratur<br />
finden wird.<br />
b) Die Rechtsanwaltskammer Braunschweig hat sich anlässlich<br />
ihres 125jährigen Jubiläums mit der Justiz zusammengespannt,<br />
um unter der Herausgeberschaft von OLG<br />
Präsident Edgar Isermann und Kammerpräsident Michael<br />
Schlüter den reich bebilderten, im DIN A4-Format gehaltenen<br />
Band „Justiz und Anwaltschaft in Braunschweig<br />
1879-2004“ 2 vorzulegen. Das Gemeinschaftswerk enthält<br />
naturgemäß nicht nur Ausführungen zur Anwaltschaft,<br />
auch die Geschichte der Gerichte im Herzogtum und OLG-<br />
Bezirk Braunschweig wird in mehreren Beiträgen anschaulich<br />
aufbereitet. Kammerpräsident Schlüter zeichnet sodann<br />
die Geschichte „seiner“ Kammer, die lange Zeit die kleinste<br />
Anwaltskammer Deutschlands war, auf rund 25 Seiten<br />
nach. Ein dritter Hauptteil enthält interessante Porträts einiger<br />
herausragender Persönlichkeiten des Bezirks, so etwa<br />
Ulrich Dedekinds, des einzigen Referendars im Kammerbezirk,<br />
der sich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung<br />
standhaft weigerte, SA und SS beizutreten und den<br />
diese Charakterfestigkeit die Zulassung zur Anwaltschaft<br />
kostete. Ein weiteres, sehr persönlich geschriebenes Porträt<br />
widmet sich dem jüdischen Anwalt Norbert Regensburger,<br />
der sich 1933 das Leben nahm, als seine nicht-jüdischen<br />
Sozien ohne sein Wissen über eine Anzeige in der Lokalzeitung<br />
sein Ausscheiden aus der Sozietät mitteilten. Ebenfalls<br />
gewürdigt werden der sozialdemokratisch gesinnte<br />
Rechtsanwalt Otto Bracke, dessen beruflicher Leidensweg<br />
sowohl zu Zeiten des Herzogtums als auch in der NS-Zeit<br />
illustriert wird, sowie die Anwaltspersönlichkeiten und<br />
Kammerpräsidenten Otto Häusler, Victor Heymann und<br />
Oskar Kahn. Kurzporträts aller Gerichts- und Kammerpräsidenten<br />
runden das schön aufgemachte Werk ab.<br />
c) Kurz angezeigt sei das von der Rechtsanwaltskammer<br />
Frankfurt am Main gemeinsam mit dem OLG Frankfurt begleitend<br />
zur Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ aufgelegte<br />
Bändchen „Rechtspflege“ 3 . Es ist, wohl weil die Kammer<br />
bereits 1998 zum 50. Jubiläum ihrer Neugründung eine interessante,<br />
umfassende Geschichte vorgelegt hat 4 , leider nur<br />
im Eigenverlag verlegt worden, verdient aber gleichwohl<br />
Erwähnung in der Bücherschau. Der nun vorliegende Titel<br />
enthält eine 40seitige, gleichwohl umfassende Darstellung<br />
der Historie aus der Feder des Kammerpräsidenten Knopp.<br />
Eine überaus lesenswerte Abhandlung von Rüthers, dem<br />
durch seine Studie zur „unbegrenzten Auslegung“ berühmt<br />
gewordenen Kritiker der politischen Vereinnahmung von<br />
Recht und der Ideologieanfälligkeit von Juristen, leitet über<br />
zum Hauptanliegen der Publikation, der Aufarbeitung der<br />
* Rechtsanwalt, Partner WKLP Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer<br />
Partnerschaftsgesellschaft am Standort Köln.<br />
1 RAK Hamm (Hrsg.), Die Rechtsanwaltschaft im Oberlandesgerichtsbezirk<br />
Hamm 1879-2004, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Rechtsanwaltskammer<br />
für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm, Verlag Wilke, Hamm 2004,<br />
736 S., ISBN 3-931283-51-8, 49,50 EUR.<br />
2 Edgar Isermann/Michael Schlüter (Hrsg), Justiz und Anwaltschaft in Braunschweig<br />
1879-2004, Verlag Meyer, Braunschweig 2004, 235 S., ISBN<br />
3-926701-62-5, 16,80 EUR.<br />
3 RAK Frankfurt (Hrsg.), Rechtspflege, Eigenverlag, Frankfurt 2004, 205 S.<br />
4 RAK Frankfurt (Hrsg.), Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1878 bis<br />
1998, Verlagsgruppe Deutscher Fachverlag, Frankfurt 1998, 300 S., ISBN<br />
3-87150-610-9.
784<br />
MN<br />
Geschichte der Anwaltschaft des Kammerbezirks in der nationalsozialistischen<br />
Zeit. Nach einer kurzen Einführung in<br />
die Entrechtung jüdischer Anwälte ab 1933 unternimmt es<br />
Barbara Dölemeyer gemeinsam mit Simone Ladwig-Winters,<br />
die Gleiches bereits für Berlin und Potsdam geleistet<br />
hat, Kurzporträts der meisten der 278 betroffenen Anwälte<br />
jüdischer Herkunft zusammenzutragen. Hier begegnen dem<br />
Leser so bekannte Namen wie Hugo Sinsheimer, Hugo Emmerich<br />
oder Albert Hahn.<br />
2. Andreas Wolfgang Wiedemann hat mit seiner Marburger<br />
Dissertation „Altpreußische Justizreformen und die<br />
Entwicklung des Anwaltsnotariats (1700–1849)“ 5 einen<br />
wichtigen Beitrag zur Erforschung der Geschichte des Anwaltsnotariats<br />
geleistet. Wiedemann zeichnet die Herausbildung<br />
der Sonderstellung des Anwaltsnotariats – im Gegensatz<br />
zum Nur-Notariat napoleonischen Rechts in der<br />
Rheinprovinz – durch eine sehr sorgfältige Auswertung zuvor<br />
kaum zugänglichen Quellenmaterials nach, das in einem<br />
fast 150seitigen Anhang wiedergegeben wird. Die<br />
Thematik bringt es mit sich, dass der Schwerpunkt der Ausführungen<br />
zwar auf der altpreußischen Notariatsgeschichte<br />
liegt. Gleichwohl finden sich immer wieder lange Kapitel<br />
zur Entwicklung der Prozessgesetzgebung und der Advokatur<br />
in Preußen, die dem Werk einen besonderen Reiz auch<br />
für ein breiteres Publikum geben – das etwa Interesse an<br />
den stets mit einem schauderhaften Vergnügen zu lesenden<br />
verbalen Abstrafungen der Anwaltschaft durch die Preußenkönige<br />
finden wird, die Wiedemann mit akribischer Detailtreue<br />
nachweist und einordnet.<br />
3. Zwei knappe Hinweise zu Neuerscheinungen, die bereits<br />
Veröffentlichtes neu aufbereiten: Bereits vor einigen<br />
Monaten hier vorgestellt worden sind die Handbücher des<br />
DAV zum Anwaltsreferendariat (AnwBl. 2005, 354). Drei<br />
der dort enthaltenen Studienbriefe sind zwischenzeitlich in<br />
dem Buch „Historische und gesellschaftliche Grundlagen<br />
des Anwaltsberufs“ 6 separat veröffentlicht worden. Es sei<br />
daher an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch über<br />
diese Neuerscheinung Zugang zu den lesenswerten Beiträgen<br />
von Streck zu Funktion und Berufsbild des Anwalts<br />
(24 Seiten), von Krach und Hagenkötter zur Geschichte<br />
der deutschen Anwaltschaft (72 Seiten) sowie von Hommerich<br />
zur Anwaltschaft aus soziologischer Sicht (33 Seiten)<br />
besteht. Reizvoll ist auch der Materialienband „Anwälte<br />
und ihre Geschichte“, in dem Hinrich Rüping 74 Dokumente<br />
zur Anwaltsgeschichte aus dem 18. bis 20. Jahrhundert<br />
zusammengetragen hat7 . Sie sind dem Leser möglicherweise<br />
bereits auf der gleichnamigen Ausstellung auf dem<br />
DAT 2004 in Dresden begegnet. Es finden sich interessante<br />
Reproduktionen historischer Dokumente zur Anwaltschaft<br />
aus der Zeit der Partikularrechte, der Weimarer Republik,<br />
des Nationalsozialismus sowie zur Vergangenheitsbewältigung<br />
nach 1945.<br />
4. Abschließend sei ein Werk vorgestellt, das nicht im<br />
strengen Sinne unter den Topos Anwaltsgeschichte fällt,<br />
gleichwohl so reizvoll ist, dass es hier vorgestellt werden<br />
soll: Unter der Herausgeberschaft von Sir Jack Beatson,<br />
Justice am High Court von England und Wales, und Reinhard<br />
Zimmermann, Direktor am Max-Planck-Institut für<br />
ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg,<br />
ist das beeindruckende englischsprachige Werk „Jurists<br />
Uprooted“ 8 entstanden, das sich mit der Emigration deutscher<br />
Rechtswissenschaftler während der NS-Diktatur nach<br />
Großbritannien beschäftigt. Autoren aus Deutschland und<br />
England haben den Lebensweg und die Wirkungsgeschichte<br />
von prominenten deutschsprachigen Juristen er-<br />
AnwBl 12/2005<br />
Mitteilungen<br />
forscht, die durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten<br />
entwurzelt wurden und sich eine neue berufliche und<br />
intellektuelle Heimat in Großbritannien suchten – einige<br />
von ihnen auch durch eine anwaltliche Tätigkeit. Anliegen<br />
des Werkes ist es, nicht nur die Biographie bekannter Emigranten<br />
nachzuzeichnen, sondern insbesondere auch ihren<br />
Einfluss auf Rechtspraxis und -wissenschaft in England und<br />
Deutschland zu untersuchen. Das Werk geht diesem Anliegen<br />
mit Beiträgen unterschiedlicher Ausrichtung nach: Es<br />
enthält zum einen Porträts von rund 20 Emigranten, zum<br />
anderen Beiträge zur Entwicklung einzelner Rechtsgebiete,<br />
die maßgeblich von Emigranten geprägt wurden. Die Herausgeber<br />
legen mit zwei überaus gehaltvollen einleitenden<br />
Beiträgen die Grundlagen zu diesen zwei großen Themenblöcken:<br />
Zimmermann beschreibt auf 70 Seiten zunächst<br />
die allgemein-historischen Hintergründe der Thematik, um<br />
sich sodann auf die Herausarbeitung der besonderen Stellung<br />
jüdischer Rechtsanwälte und Akademiker in Deutschland,<br />
die Konsequenzen der nationalsozialistischen Machtergreifung<br />
für die Rechtsfakultäten und die Anwaltschaft<br />
sowie die „Arisierung“ aller Elemente des deutschen<br />
Rechtslebens zu konzentrieren. Ausführungen zu den Problemen,<br />
denen sich jene Emigranten ausgesetzt sahen, die<br />
sich nach 1945 zu einer Rückkehr nach Deutschland entschlossen,<br />
runden diesen Abschnitt ab, der eine der dichtesten<br />
Darstellungen zur Thematik jüdischer Juristen in<br />
Deutschland ist, die der Rezensent bislang gelesen hat.<br />
Beatson unternimmt es in dem sich anschließenden kürzeren<br />
Kapitel, die Emigration von Juden nach Großbritannien<br />
seit 1800 nachzuzeichnen und insbesondere die Einstellung<br />
der Bevölkerung, die Berufssituation der Emigranten und<br />
die Schwierigkeiten der sachgerechten Behandlung der<br />
Emigranten durch staatliche Stellen aufzuzeigen. Auf diesem<br />
Fundament aufbauend, schließen sich Porträts der ausgewählten<br />
Emigranten an, die in der Länge von 12 bis 100<br />
Seiten variieren. Gewürdigt werden, zum Teil in Doppelporträts,<br />
so bekannte Persönlichkeiten wie Otto Kahn-<br />
Freund, Ernst Cohn, Fritz Schulz, Fritz Pringsheim, Martin<br />
Wolff oder Max Grünhut. Die Porträts legen faszinierendes<br />
Zeugnis darüber ab, welchen Einfluss die Emigranten trotz<br />
der schwierigen Lebensumstände, aber auch des beruflichen<br />
Wirkens in einem ungewohnten Rechtskreis, insbesondere<br />
in den international geprägten Rechtsgebieten des römischen<br />
Rechts, des Völkerrechts, des IPR und der Kriminologie<br />
nehmen konnten – wenngleich etwa Otto Kahn-<br />
Freund zum Nestor des modernen englischen Arbeitsrechts<br />
aufstieg. Gesamtdarstellungen greifen diese Erkenntnisse<br />
auf und schildern die Entwicklung der Rechtsvergleichung,<br />
des internationalen Privat- und öffentlichen Rechts sowie<br />
des römischen Rechts im Großbritannien des 20. Jahrhunderts.<br />
Eine sehr lohnenswerte Anschaffung für jeden<br />
rechtshistorisch interessierten Juristen.<br />
Vorschau: Die nächste Bücherschau wird sich mit Neuerscheinungen<br />
zum Auslandsrecht (Schweiz, Österreich,<br />
England, Russland) befassen.<br />
5 Andreas Wolfgang Wiedemann, Altpreußische Justizreformen und die Entwicklung<br />
des Anwaltsnotariats (1700 – 1849), Band 15 der Schriften der Deutschen<br />
Notarrechtlichen Vereinigung, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2003, 409 S.,<br />
ISBN 3-504-65118-0, 49,80 EUR.<br />
6 Michael Streck u. a., Historische und gesellschaftliche Grundlagen des Anwaltsberufs,<br />
Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2005, 140 S., ISBN<br />
3-8305-0955-3, 23 EUR.<br />
7 Hinrich Rüping, Anwälte und ihre Geschichte, Band 1 der Schriftenreihe des<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>s, Anwaltverlag, Bonn 2005, ISBN 3-8240-5317-9, 5 EUR (Schutzgebühr,<br />
zu beziehen über den DAV).<br />
8 Jack Beatson/Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted – German Speaking<br />
Émigré Lawyers in Twentieth-Century Britain, Oxford University Press<br />
2004, 850 S., ISBN 0-19-927058-9, 75,– GBP.
AnwBl 12/2005 785<br />
HAFTPFLICHTFRAGEN<br />
Der Schadensbegriff in der<br />
Anwaltshaftung<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk,<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
In vielen Anwaltshaftungsfällen ist eine Verletzung von<br />
Pflichten aus dem Mandatsvertrag offensichtlich, beispielsweise<br />
bei der Versäumung von Fristen. Das Verschulden<br />
ist regelmäßig indiziert. Dass sich daraus aber nicht<br />
automatisch ein kausaler Schaden ergibt, ist aus Sicht des<br />
betroffenen Mandanten manchmal schwer nachvollziehbar:<br />
Das subjektiv-laienhafte Gefühl „geschädigt“ zu sein<br />
steht nicht immer im Einklang mit dem Ergebnis der juristischen<br />
Betrachtungsweise.<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
aus München.<br />
I. Abgrenzung von Schaden und<br />
Schadenskausalität<br />
1. Der Schadensbegriff<br />
Wann kann man eigentlich von einem „Schaden“ sprechen?<br />
Eine gesetzliche Definition hierzu fehlt. Der objektive<br />
Zustand einer Sache oder eine bestimmte Vermögenssituation<br />
allein begründen noch keinen Schaden. Ein<br />
Schaden ergibt sich immer erst aus einem Zustandsvergleich<br />
einer Sache oder eines Vermögens zu zwei verschiedenen<br />
Zeitpunkten, nämlich vor und nach der schädigenden<br />
Handlung. Ein beschädigtes Fahrzeug führt nur dann zu einem<br />
Schaden des Eigentümers, wenn es vor der Schädigungshandlung<br />
nicht oder weniger beschädigt war. In Anwaltshaftungsfällen<br />
geht es in der Regel aber nicht um die<br />
Beschädigung einzelner Gegenstände, sondern um die<br />
Schädigung des Vermögens des Mandanten. Hier stellt sich<br />
der Vergleich zu zwei verschiedenen Zeitpunkten etwas<br />
komplexer dar. Auf den ersten Blick ist die Vermögenssituation<br />
vor und nach einem – durch Anwaltsverschulden<br />
– verlorenen Aktivprozess gleich (jedenfalls wenn die Kosten<br />
durch einen Rechtsschutzversicherer übernommen werden).<br />
Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass die noch<br />
nicht gerichtlich geltend gemachte Forderung vor Prozessbeginn<br />
schon ein Aktivum in der persönlichen Vermögensbilanz<br />
war, das nach verlorenem Prozess „auszubuchen“<br />
ist. Jedem Mandatsvertrag liegt ja ein potenzieller Anspruch<br />
zu Grunde, der dem Vermögen auf der Aktiv- oder<br />
Passivseite zuzurechnen ist. Ein begründeter Anspruch, der<br />
nicht durchgesetzt wird, stellt dann genauso einen Schaden<br />
dar wie die unbegründete Forderung gegen den Mandanten,<br />
die gleichwohl tituliert wird.<br />
MN<br />
2. Abgrenzung der Kausalitätsfrage<br />
Bereits an dieser Stelle zeigt sich, dass die Abgrenzung<br />
zwischen dem Schadensbegriff an sich und der Frage nach<br />
der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden<br />
schwierig ist. Nehmen wir den Fall, dass eine unzweifelhaft<br />
begründete Forderung des Mandanten durch Verschulden des<br />
Rechtsanwalts verjährt und demzufolge nicht mehr durchsetzbar<br />
ist. Es ist dann eine Voraussetzung des Schadens<br />
selbst, dass der Anspruch überhaupt materiell-rechtlich begründet<br />
war. Wenn der Schuldner aber bereits vor der Pflichtverletzung<br />
vermögenslos war, käme man bei dem Vermögensvergleich<br />
mangels Werthaltigkeit der Forderung<br />
dazu, dass gar kein Schaden entstanden ist. Ist die Vermögenslosigkeit<br />
hingegen erst nach der anwaltlichen Pflichtverletzung<br />
eingetreten, käme man zunächst zu einem Schaden.<br />
Ob der Schadenseintritt auch in Ansehung der<br />
Vermögenslosigkeit des Schuldners durch die Pflichtverletzung<br />
„verursacht“ wurde, gehört dann zur Kausalitätsprüfung.<br />
Ähnlich verhält es sich mit der versäumten Rechtsmittelfrist:<br />
Die Nichtdurchführbarkeit des Rechtsmittelverfahrens<br />
selbst ist an sich kein Schaden. Dieser ergibt sich erst aus<br />
dem Vergleich zwischen der Situation vor Fristversäumung<br />
(zwar klageabweisendes Urteil, aber die Chance, den Anspruch<br />
doch noch zugesprochen zu bekommen) und nachher<br />
(endgültige Klageabweisung). Um das Vermögen vor<br />
Ablauf der Berufungsfrist zu beziffern, müsste man die<br />
Werthaltigkeit des Anspruchs prüfen, also dessen objektive<br />
Begründetheit. Dennoch wird diese Frage regelmäßig unter<br />
dem Stichwort „hypothetischer Kausalverlauf“ bzw. „hypothetischer<br />
Vorprozess“ untersucht. Die Beispiele zeigen,<br />
dass eine strenge dogmatische Trennung von Schaden und<br />
Schadenskausalität kaum möglich ist.<br />
II. Die Schadensproblematik in der jüngeren<br />
Rechtsprechung<br />
Unbeschadet der eben aufgezeigten Abgrenzungsprobleme<br />
sind bestimmte Fallgruppen zumindest schwerpunktmäßig<br />
beim eigentlichen Schadensbegriff anzusiedeln. Die<br />
Differenzhypothese besagt, dass die jeweilige Vermögenssituation<br />
vor und nach der schädigenden Handlung gegenüber<br />
zu stellen sind. Im Einzelnen kann hier aber vieles<br />
zweifelhaft sein.<br />
1. Betroffene Vermögenspositionen<br />
Das Gesamtvermögen eines Mandanten kann mehr oder<br />
weniger umfangreich sein und der Bestand verändert sich<br />
praktisch täglich. Niemand würde wohl auf die Idee kommen,<br />
den Verlust eines Regenschirms in der U-Bahn als einen<br />
Schaden anzusehen, der durch einen vom Rechtsanwalt<br />
verschuldeten ungünstigen Unterhaltsvergleich verursacht<br />
wurde. Es muss also darum gehen, die potenziell von dem<br />
Anwaltsfehler betroffenen Vermögenspositionen zu bestimmen.<br />
Die Rechtsprechung stellt dabei auf den Schutzzweck<br />
des verletzten Beratungsvertrages ab. Bei fehlerhafter Beratung<br />
über die steuerlichen Vorteile einer gesellschaftsrechtlichen<br />
Beteiligung kommt demzufolge auch nur eine Haftung<br />
für ausgebliebene Steuervorteile, nicht für einen<br />
ausgebliebenen Unternehmenserfolg in Betracht (BGH<br />
NJW-RR 2003, 1035). Strafrechtliche Sanktionen können
786<br />
MN<br />
aber – obgleich sie an sich auf den Kenntnisstand des Steuerpflichtigen<br />
selbst abstellen – zumindest bei leichtfertiger<br />
Steuerverkürzung vom Schutzzweck des Steuerberatervertrages<br />
umfasst sein (BGH, NJW 1997, 518).<br />
2. Schaden im Rechtssinne<br />
Fraglich ist ein Schaden in Fällen, in denen das Vermögen<br />
selbst nicht dauerhaft beeinträchtigt ist, sondern<br />
dem Mandanten lediglich nicht konkret bezifferbare<br />
Unannehmlichkeiten entstanden sind. So ist der mit der<br />
Geltendmachung des Regressanspruchs verbundene eigene<br />
Zeitaufwand des Geschädigten, beispielsweise für die Zusammenstellung<br />
von Schadenspositionen, nach st. Rspr.<br />
kein erstattungsfähiger Schaden.<br />
Auch eine zeitliche Verzögerung bzw. ein entgangener Zeitgewinn<br />
(z. B. durch die vorläufige Vollstreckbarkeit eines durch Anwaltsverschulden<br />
ergangenen Versäumnisurteils) ist keine Schaden<br />
im Rechtssinne. Für den beschleunigten Misserfolg einer<br />
unbegründeten sozial-(verwaltungs-)gerichtlichen Anfechtungsklage<br />
haftet der Rechtsanwalt mangels Schadens im Rechtssinne<br />
nicht einmal dann, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage<br />
seinem Auftraggeber noch die einstweilige Fortsetzung gewinnbringender<br />
Berufsausübung ermöglicht, er also faktisch mehr<br />
Geld in der Tasche gehabt hätte (BGH, NJW 2005, 1935).<br />
3.Vermeidbarkeit des Schadens<br />
Interessant ist weiter die Frage, ab wann man überhaupt<br />
von einem Schaden sprechen kann, wenn durch die weitere<br />
Entwicklung ein endgültiger Schadenseintritt noch vermieden<br />
werden kann. Grundsätzlich ist ja der Geschädigte gehalten,<br />
gemäß § 254 Abs. 2 BGB den Schadenseintritt abzuwenden.<br />
Gibt es also noch Rettungsmöglichkeiten, z. B.<br />
durch Einlegung eines Rechtsmittels gegen eine negative<br />
Entscheidung, so ist der Schaden noch nicht endgültig.<br />
Auch bei fehlender Nachholung von der Behörde verlangter<br />
Angaben (BGH, NJW-RR 2003, 931) liegt ein Mitverschulden<br />
des Geschädigten vor. Interessanter Weise legt der<br />
BGH im Zusammenhang mit der Regressverjährung nach<br />
§ 51 b BRAO a. F. für die Schadensentstehung einen anderen<br />
Maßstab zugrunde: Früher reichte ihm sogar eine sog.<br />
„risikobehaftete Lage“, inzwischen aber beispielsweise<br />
noch nicht bestands- oder rechtskräftige Entscheidungen<br />
(BGH, NJW-RR 1998, 774). Maßgeblich soll sein, wann<br />
sich die Pflichtverletzung erstmals „niedergeschlagen“ hat.<br />
Kritisch zu betrachten ist in diesem Zusammenhang die<br />
Entscheidung des BGH (NJW 2000, 3560) mit folgendem<br />
Leitsatz: „Haftet der Rechtanwalt dem Mandanten für den<br />
durch Verlust eines Prozesses entstandenen Schaden, besteht<br />
jedoch berechtigte Aussicht, diesen durch die Führung eines<br />
weiteren Rechtsstreits zu beseitigen oder zu vermindern,<br />
muss der Anwalt, sofern er seinen Auftraggeber nicht anderweitig<br />
schadlos stellt, diesen Rechtsstreit auf eigene Kosten<br />
und eigenes Risiko führen“. Dies betrifft indes nur den Sonderfall,<br />
dass ein weiterer – unsicherer – Rechtsstreit zur<br />
Schadensminderung oder-beseitigung erforderlich wäre.<br />
Ähnlich OLG Köln, NJW-RR 2004, 1573: Gefährdet der<br />
Anwalt des Versicherten durch seine unzureichenden Informationen<br />
gegenüber dem Rechtsschutzversicherer die Erteilung<br />
der Deckungszusage, so muss er das Risiko des Deckungsprozesses<br />
tragen. Er haftet dem Mandanten aus<br />
Schlechterfüllung des Mandatsvertrages auf Freistellung<br />
von den Kostenansprüchen der Gegenseite und des Gerichts,<br />
allerdings nur Zug um Zug gegen Abtretung der<br />
möglichen Ansprüche gegen die Rechtsschutzversicherung<br />
auf Übernahme der Kosten.<br />
AnwBl 12/2005<br />
Haftpflichtfragen<br />
3. Objektivierter Schaden und Restitutionsinteresse<br />
Bei der Berechnung des Schadens muss in der Regel auf<br />
objektive Methoden zurückgegriffen werden, so beispielsweise<br />
durch Zugrundelegung des Verkehrswerts der streitgegenständlichen<br />
Sache. Im Einzelfall kann aber dennoch<br />
das Restitutionsinteresse ausschlaggebend sein: Erwirbt der<br />
Mandant nach einer Fehlberatung bei einer Teilungsversteigerung<br />
das Objekt erst nachträglich vom Ersteigerer zu einem<br />
höheren Preis als es der Verkehrswert rechtfertigen<br />
würde, kann auch dieser Aufwand dem Anwalt im Regressprozess<br />
als Schaden zugerechnet werden (OLG Celle, Urt.<br />
v. 26.5.2004 – 3 U 263/03).<br />
4. Die subjektive Komponente<br />
Bei dem Vermögensvergleich kann auch ansonsten das<br />
subjektive Ziel des Mandanten eine Rolle spielen. Selbst<br />
wenn aufgrund Anwaltsverschuldens eine materiell-rechtlich<br />
begründete Forderung verloren geht, nimmt der BGH<br />
(NJW 2004, 1521) einen Schaden im Rechtssinne nur an,<br />
wenn der Mandant bei sachgerechtem Vorgehen des<br />
Rechtsanwalts tatsächlich Leistungen erhalten hätte. Trifft<br />
dies nicht zu, ist die verlorene Forderung wertlos. Soll z. B.<br />
der Titel gegen Schuldner allein dazu dienen, gegen dessen<br />
Haftpflichtversicherer vorzugehen, so ist ein Schaden nur<br />
dann entstanden, wenn der Deckungsanspruch besteht.<br />
5. Schadenskompensation durch Hinzutreten anderer<br />
Umstände<br />
Es kommt vor, dass der an sich durch den Anwaltsfehler<br />
verursachte Schaden dadurch kompensiert wird, dass der<br />
Mandant aufgrund anderer Umstände keinen finanziellen<br />
Verlust erleidet. Hier wird immer wieder diskutiert, ob es<br />
gerecht sei, dass der Anwalt auf diese Weise aus der Haftung<br />
herauskommt. Man muss aber sehen, dass Schadenersatzansprüche<br />
keine Sanktionsfunktion haben. Andererseits<br />
wäre es ja auch nicht einzusehen, dass der<br />
Geschädigte doppelt entschädigt wird. Dennoch ist die<br />
Rechtsprechung hier nicht ganz konsequent in der Beurteilung.<br />
Das OLG Düsseldorf, MDR 2001, 1080, nahm keine<br />
Haftung des Rechtsanwalts für Beratungsverschulden bei<br />
der Zugewinnausgleichsberechnung an, weil der Beratungsfehler<br />
(Abraten von Berufung) durch einen Fehler im nicht<br />
angefochtenen Urteil kompensiert wurde, der auf Anschlussberufung<br />
des Gegners korrigiert worden wäre.<br />
Ein Vorteilsausgleich kann dann stattfinden, wenn der<br />
Geschädigte gerade durch das haftungsrelevante Verhalten<br />
finanzielle Vorteile erlangt. So ist auf den Regressschaden<br />
eines Arbeitgebers, der infolge unerkannter Versicherungspflicht<br />
eines Mitarbeiters keinen Arbeitnehmeranteil vom<br />
Lohn abzieht und diesen Abzug nicht mehr nachholen<br />
kann, der Vorteil anzurechnen, den die Verjährung von Beitragsansprüchen<br />
gegen den Arbeitgeber aus dem nämlichen<br />
Grund wegen des Arbeitgeberanteils bewirkt (BGH, NJW-<br />
RR 2005, 1223).<br />
Bei der Berechnung des Schadens muss natürlich ohnehin<br />
berücksichtigt werden, ob der Geschädigte Leistungen<br />
erhalten hat. Erhebt z. B. ein Anwalt eine Schadensersatzklage<br />
verspätet und wird deswegen im Schadensersatzprozess<br />
ein Vergleich geschlossen, so haftet er (nur) für die<br />
Differenz zwischen Vergleichsbetrag und Klageforderung,<br />
soweit diese bei rechtzeitiger Klageerhebung begründet gewesen<br />
wäre (OLG Hamm NJW-RR 2004, 213).
AnwBl 12/2005 787<br />
7<br />
Anwaltsrecht<br />
Aufrechnung mit Vergütungsanspruch<br />
BGB §§ 675, 396, 242; BRAO § 43 a Abs. 5; BORA § 4; CCBE-<br />
Regeln Ziff. 3.8.1.5 b<br />
1. Der Rechtsanwalt kann seinen Vergütungsanspruch nicht gegen<br />
den Anspruch des Mandanten auf Auszahlung einer Abfindung<br />
aus einem Scheidungsverfahren aufrechnen, wenn das<br />
Fremdgeld auch dem künftigen Lebensunterhalt des Mandanten<br />
dienen soll.<br />
2. Der Mandant hat einen Schadensersatzanspruch auf Freistellung<br />
von Vergütungsansprüchen gegen seinen Anwalt, wenn die<br />
Bewilligung der Prozesskostenhilfe (PKH) vom Gericht zu Unrecht<br />
aufgehoben wird und der Anwalt nicht zur Einlegung eines<br />
Rechtsmittels rät.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.7.2005 – I-24 U 45/05<br />
Sachverhalt: Der Beklagte Rechtsanwalt hatte die Klägerin in<br />
einer Scheidungssache vertreten. Der Klägerin war zunächst Prozesskostenhilfe<br />
(PKH) gewährt worden. Aufgrund eines Vergleichs<br />
zwischen den Eheleuten erhielt die Klägerin einen Betrag von<br />
35.000 Euro, der auf das Konto des Rechtsanwalts gezahlt wurde.<br />
Die Zahlung führte dazu, dass die PKH aufgehoben wurde. Der<br />
Rechtsanwalt machte darauf seine Vergütung gegenüber der Klägerin<br />
geltend und rechnete seinen Vergütungsanspruch gegen den<br />
Auszahlungsanspruch der Klägerin auf. Die Klägerin klagte auf<br />
Auskehr des gesamten Fremdgelds und gewann vor dem Landgericht.<br />
Im Berufungsverfahren wurde noch um einen Betrag in<br />
Höhe der geltend gemachten Anwaltsvergütung gestritten. Das<br />
OLG kündigte in dem folgenden Hinweisbeschluss an, die Berufung<br />
gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Berufung ist<br />
daraufhin zurückgenommen worden.<br />
Aus den Gründen: Die Berufung des Beklagten hat keine Aussicht<br />
auf Erfolg. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden<br />
Gründe des angefochtenen Urteils. Die hiergegen in der Berufungsbegründung<br />
erhobenen Angriffe bieten keinen Anlass zu<br />
einer anderen Beurteilung.<br />
1. Ein Erfolg ist der Berufung schon deshalb verwehrt, weil die<br />
Aufrechnung des Beklagten gegen den Anspruch der Klägerin auf<br />
Auszahlung des aufgrund des Vergleichs der Eheleute zu ihren<br />
Gunsten auf ein Konto des Beklagten überwiesenen Abfindungsbetrages<br />
mit eigenen Gebührenansprüchen unzulässig ist.<br />
a) Die Aufrechnung ist nach § 242 BGB ausgeschlossen, wenn<br />
die Eigenart des Schuldverhältnisses oder der Zweck der geschuldeten<br />
Leistung die Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar<br />
erscheinen lässt (BGH NJW 1994, 2885; Palandt/Heinrichs,<br />
BGB, 64. Aufl., § 387 Rdnr. 15 m. w. N. Hausler/Prüting, BRAO<br />
2. Aufl., § 43 a Rdnr, 177, Hartung/Holl BORA, 2 Aufl., § 4<br />
Rdnr. 28). Hier hindert die zweckgebundene Leistung die Aufrechnung;<br />
denn der Beklagte hat nach eigenem Vortrag (Berufungsbegründung<br />
Seite 3) aus einem Vergleich in einem Scheidungsverbundverfahren<br />
35.000 Euro erlangt, die der frühere Ehemann der<br />
Klägerin dieser als Abfindung zu zahlen hatte. Da die finanziellen<br />
Verhältnisse der Klägerin beengt waren, wie die frühere Bewilligung<br />
von Prozesskostenhilfe belegt, musste die Summe auch dem<br />
künftigen Lebensunterhalt der Klägerin dienen. In diesem Falle<br />
würde ein Zweck der Leistung, die Sicherung des künftigen Unterhalts,<br />
nicht nur erschwert; sondern geradezu vereitelt und es bestünde<br />
die Gefahr, dass die Klägerin bei zulässiger Aufrechnung<br />
alsbald wieder unterhaltsbedürftigwürde, und zwar zu Lasten öffentlicher<br />
Kassen oder – je nach Ausgestaltung desVergleichs –<br />
wiederum ihres damaligen Ehemannes.<br />
Bei einer solchen Sachlage bedarf es deshalb nicht der Feststellung,<br />
ob der Beklagte die Abfindungssumme nicht auch als Treuhänder<br />
entgegengenommen hat und die Aufrechnung aus diesem<br />
MN<br />
Grunde unzulässig wäre (vgl. Palandt aaO § 387 Rdnr. 15 f und<br />
BGH WM 2003, 92, jeweils m. w. N.).<br />
b) Im Übrigen hat die neuere Fassung von § 43 a Abs. 5 Satz 2<br />
BRAO in Verbindung mit § 4 Abs. 5 der Berufsordnung für Rechtsanwalte<br />
(BORA) in der Fassung vom 1. November 2001 sowie Ziffer<br />
3.8.1.5 b der Anlage 1 hierzu (Berufsregeln der Rechtsanwälte<br />
der Europäischen Union, zuletzt geändert am 28. November 1998)<br />
zu einer deutlichen Einschränkung der Befugnisse eines Rechtsanwalts<br />
geführt, mit Fremdgeldern eines Mandanten zu verfahren.<br />
Nach Ziffer 3.8.1.5 b ist nämlich vorbehaltlich entgegenstehender<br />
gesetzlicher Vorschriften oder gerichtlicher Anordnung und vorbehaltlich<br />
der ausdrücklichen oder stillschweigenden Einwilligung<br />
des Mandanten, für den die Zahlung vorgenommen wird, die Auszahlung<br />
von Mandantengeldern an dritte Personen unzulässig, und<br />
dies gilt ausdrücklich auch für den Ausgleich der Honorarforderungen<br />
des Rechtsanwaltes (vgl. hierzu auch Zugehör, Handbuch der<br />
Anwaltshaftung, Rdnr. 823), was die Aufrechnung insoweit ausschließt.<br />
2. Selbst wenn dies anders zu beurteilen wäre, würde der Berufung<br />
der Erfolg zu versagen sein; denn auch das Vorbringen des<br />
Beklagten zu den materiell-rechtlichenVoraussetzungen seiner Aufrechnungs(gebühren-)forderungen<br />
ist nicht schlüssig.<br />
a) Anders als noch in erster Instanz ist inzwischen unstreitig,<br />
dass die Parteien seinerzeit durch mehrere Mandatsverhältnisse<br />
miteinander verbunden waren, und jedenfalls mit der Berufungsbegründung<br />
hat die Klägerin auch die zuvor von ihr vermissten<br />
ordnungsgemäßen Honorarabrechnungen erhalten. Ferner ist zugrunde<br />
zu legen, dass der Klägerin im Oktober 2001 ratenfreie<br />
Prozesskostenhilfe bewilligt worden war in einem Verfahren auf<br />
einstweilige Anordnung betreffend die Herausgabe persönlicher<br />
Gegenstände, ferner dass die PKH-Bewilligung sich auch auf das<br />
Scheidungsverfahren und die Folgesachen Zugewinnausgleich und<br />
Unterhalt erstreckte (Beschluss vom 28. März 2002), und schließlich<br />
dass die PKH-Bewilligung durch Beschluss vom 18. September<br />
2003 aufgehoben wurde, und zwar aufgrund der Verbesserung<br />
der wirtschaftlichen Verhältnisse nach Zufluss von 35.000 Euro.<br />
Dies ist aber entgegen einer früher in der Rechtsprechung vertretenen<br />
Tendenz kein ausreichender Grund für eine Aufhebung der<br />
PKH-Bewilligung, wenn nicht weitere Bedingungen, etwa die Vortäuschung<br />
der Voraussetzungen oder absichtlich oder aus grober<br />
Fahrlässigkeit von einem Antragsteller unrichtig gemachte Angaben<br />
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben<br />
waren (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 124 Rdnr. 17).<br />
Folglich hätte der Beklagte die von der Staatskasse aufgrund bewilligter<br />
PKH gezahlten Beträge nicht zurückzahlen, sondern vielmehr<br />
nach entsprechender Beratung der Klägerin ein – nach den<br />
obigen Erwägungen begründetes – Rechtsmittel gegen den Aufhebungsbeschluss<br />
einlegen müssen. Die aufgrund fehlerhaften Verhaltens<br />
nunmehr gegen die Klägerin geltend gemachten Ansprüche<br />
wegen der Rückzahlung an die Staatskasse kann der Beklagte folglich<br />
nicht durchsetzen, weil der Klägerin ein entsprechender Schadensersatzanspruch<br />
auf Freistellung von entsprechenden Honoraransprüchen<br />
erwachsen ist.<br />
Auch im Arrestverfahren war der Klägerin am 26. Oktober<br />
2001 PKH bewilligt worden. Für die auch insoweit vom Beklagten<br />
vorgenommene Rückzahlung von PKH-Gebühren hat sich der Beklagte<br />
auf ein Schreiben des Amtsgerichts Viersen vom 27. Februar<br />
2002 bezogen, dieses aber nicht vorgelegt und auch nicht<br />
Anzeige
788<br />
MN<br />
mitgeteilt, wieso zu jener Zeit ein Wegfall der Voraussetzungen für<br />
die Bewilligung von PKH, und das mit Rückwirkung, hätte gegeben<br />
sein sollen, und dies, obwohl sich die Klägerin bereite in erster<br />
Instanz auf die zutreffende Bewilligung von PKH bezogen hatte.<br />
Auch wenn es sich nicht um eine Aufhebung der PKH-Bewilligung<br />
nach § 124 ZPO, sondern um eine Entscheidung des Gerichts<br />
nach § 120 Abs. 4 ZPO gehandelt haben sollte, wie der Kläger<br />
anscheinend geltend machen will, ändert sich im Ergebnis<br />
nichts: in diesem Falle scheitern die gegen die Mandantin gerichteten<br />
Gebührenansprüche des Klägers an der sich aus den §§ 122<br />
Abs. 1 Nr. 3 und 1 b ZPO, 130 Abs. 1 BRAGO ergebenden Rechtslage:<br />
infolge der PKH-Bewilllgung ist für den beigeordneten Anwalt<br />
eine Forderungssperre entstanden, die mit einer Anordnung<br />
nach § 120 Abs. 4 ZPO noch nicht endet (vgl. Zöller/Philippi,<br />
ZPO, 25. Aufl., § 122 Rdnr. 12 und 14). Diese Rechtslage ist auch<br />
durch Vereinbarung mit der Partei selbst nicht abänderbar. Im Übrigen<br />
hat der Kläger weder detailliert mitgeteilt, wann und wie<br />
eine solche Absprache stattgefunden haben soll, noch eine solche<br />
unter Beweis gestellt.<br />
b) Soweit dem Beklagten danach überhaupt noch Gebührenansprüche<br />
gegen die Klägerin zustehen, gilt folgendes: Zu der Angelegenheit<br />
Hausratsteilung hat der Beklagte weder die Notwendigkeit<br />
einer Besprechung mit dem gegnerischen Anwalt, noch –<br />
trotz generellen Bestreitens der Klägerin – Zeitpunkt und Ort der<br />
Besprechung noch das nach § 118 Abs. 1 Ziffer 2 BRAGO erforderliche<br />
Einverständnis der Klägerin behauptet oder gar unter Beweis<br />
gestellt. Aus der Rechnung über 864,50 Euro sind folglich<br />
708,80 DM + 16 % Mehrwertsteuer = 822,21 DM = 420,39 Euro<br />
herauszurechnen, so dass der geforderte Restbetrag von 364,50<br />
Euro nicht gerechtfertigt ist. Überdies hat der Beklagte den Geschäftswert<br />
von 10.000 Euro nicht ausreichend dargelegt und auch<br />
keinen Beweis hierfür angeboten.<br />
3. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung<br />
nach § 522 Abs. 2 ZPO (Ziff. 2 und 3) liegen vor.<br />
4. Der Senat weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung<br />
vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO kostenrechtlich<br />
privilegiert ist.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Achim Steins, Mönchengladbach<br />
Anmerkung der Redaktion: Der Umgang mit Fremdgeldern gehört<br />
zu den heiklen Aufgaben eines Anwalts. Fehler und Schlampereien<br />
können schwerwiegende straf- und berufsrechtliche Konsequenzen<br />
haben. Fremdgelder sind unverzüglich an den<br />
Berechtigten weiterzuleiten (§ 4 Abs. 2 S. 1 BORA). Nicht ohne<br />
Hintergedanken ordnet § 4 Abs. 1 BORA an, dass zur Verwaltung<br />
von Fremdgeldern Anderkonten zu führen sind. Ein häufiges Problem<br />
in der Praxis ist – wie der hier abgedruckte Beschluss zeigt –<br />
das Zurückhalten von Fremdgeldern, um mit eigenen Vergütungsansprüchen<br />
(oder mit Ansprüchen auf Erstattung verauslagter Gerichtskosten)<br />
aufzurechnen. Der Anwalt sollte stets sehr genau prüfen,<br />
ob tatsächlich eine Aufrechnungslage besteht. Das OLG zeigte<br />
wenig Verständnis für den Anwalt, der zunächst sogar Fremdgeldern<br />
nicht ausgezahlt hatte, die seine behaupteten Vergütungsansprüche<br />
überstiegen.<br />
Das OLG kam zu einem Aufrechnungsverbot. Grundsätzlich ist<br />
die Aufrechnung zulässig, auch wenn die Forderungen aus früheren<br />
Mandaten stammen (Eylmann, in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Auflage<br />
2004, § 43 a Rn. 176). Eine Aufrechnung ist aber nicht möglich,<br />
wenn es sich um zweckgebundene Gelder handelt oder dem Anwalt<br />
Gelder treuhänderisch übergeben wurden. Zweckgebundene Gelder<br />
sind vor allem Fremdgelder, die der Mandant dem Anwalt zur Auszahlung<br />
an Dritte anvertraut (§ 4 Abs. 3 BORA, dazu Nerlich, in:<br />
Hartung/Holl, BORA, 2. Auflage 2001, § 4 BORA Rn. 28). Zweckbindungen<br />
sind aber auch Gelder für Gerichtskosten sowie Unterhaltsgelder<br />
unterworfen (Eylmann, in: Henssler/Prütting, aaO § 43 a<br />
Rn. 177). Die Zahlung aus dem Vergleich wertete das OLG (auch)<br />
als Unterhaltszahlung. Zu dem fand das Gericht ein Aufrechnungverbot<br />
in den Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäische<br />
Union (CCBE-Regeln). Das überzeugt nicht, weil die CCBE-Regeln<br />
– über § 29 BORA in das deutsche Recht eingeführt – nur den<br />
grenzüberschreitenden Verkehr regeln. Eine unmittelbare Anwendung<br />
scheidet damit in diesem Fall aus.<br />
AnwBl 12/2005<br />
Rechtsprechung<br />
Das Gericht half der früheren, vermutlich enttäuschten Mandantin<br />
des Anwalts aber nicht nur mit dem Aufrechnungsverbot.<br />
Im zweiten Teil der Entscheidung kommt das OLG zu dem Ergebnis,<br />
dass dem Anwalt auf jeden Fall kein Vergütungsanspruch zustehe,<br />
weil die Mandantin ihrerseits einen Schadensersatzanspruch<br />
geltend machen könne. Die ursprünglich bewilligte PKH sei zu<br />
Unrecht vom Gericht aufgehoben worden, was der Anwalt hätte<br />
bemerken und verhindern müssen. Fazit: Der Anwalt hat umsonst<br />
gearbeitet – und wegen der verspäteten Freigabe der Fremdgelder<br />
möglicherweise noch einigen Ärger.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
Fortführung der Firma bei Rechtsanwalts-GmbH<br />
BGB § 12; HGB § 24<br />
Eine Rechtsanwalts-GmbH ist im Zweifel zur Fortführung ihrer<br />
Firma berechtigt, auch wenn ein namensgebender Gesellschafter<br />
ausscheidet.<br />
(nicht rechtskräftig)<br />
LG Köln, Urt. v. 20.9.2005 – 33 O 87/05<br />
Sachverhalt: Der Kläger ist Rechtsanwalt. Ab Juli 1997 führte<br />
der Kläger Gespräche mit den Gesellschaftern der Dr. W. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
über den Aufbau einer Anwaltsgesellschaft<br />
mit dem Ziel, dass die neu zu gründende Anwalts-GmbH<br />
ihre Tätigkeit zum 1.1.1998 aufnehmen sollte. In diesem Zusammenhang<br />
erzielte man Übereinstimmung, dass die Gesellschaft<br />
eine Firma erhalten sollte, in der der Nachname des Klägers vorangestellt<br />
werden sollte, und dass der Kläger zum 30.6.2003, frühestens<br />
zum 30.5.2002 aus der Gesellschaft ausscheiden und seine<br />
Anteile an einen oder mehrere Gesellschafter abtreten sollte.<br />
Im Zuge der Verhandlungen wandte sich der Kläger mit Schreiben<br />
vom 18.11.1997 an seine Verhandlungspartner. Darin führte<br />
der Kläger unter Ziffer 3 aus:<br />
„Kaufpreis für die Abtretung meiner GmbH-Anteile bei Ausscheiden:<br />
Dabei handelt es sich um eine Abfindung für die Überführung<br />
und im Ausscheidenszeitpunkt noch bestehender Mandate,<br />
für die Fortführung meines Namens in der Anwalts-GmbH sowie<br />
um eine Vergütung für das vorgesehene Wettbewerbsverbot (§ 21<br />
Abs. 4). In unserer Besprechung vom 20. Oktober 1997 hatten Sie<br />
mir mitgeteilt, „angedacht seien 1,5 Punkte“; die Frage blieb<br />
aber offen. Ich verstehe die vorgesehene Regelung nach Studium<br />
der Verträge dahingehend, dass 1,5 Zählerpunkte der Gewinnquote<br />
gemeint sind, also nach derzeitiger Situation ca. DM<br />
300.000,00. Wenn ich von einem eingebrachten Jahresumsatz von<br />
ca. DM 2,0 Mio. ausgehe, sehe ich keinen rechten Zusammenhang<br />
mit dem Betrag von 1,5 Zählerpunkten, vor allem, wenn man die<br />
für mich vorgesehene Konkurrenzklausel (Ergänzung zu § 21<br />
Abs. 4) berücksichtigt, vor allem fehlt ein Bezug zu der Situation<br />
der Anwalts-GmbH.<br />
In der Folgezeit einigte sich der Kläger mit seinen Verhandlungspartnern,<br />
dass es zu keiner höheren Kaufpreiszahlung kommen<br />
sollte, im Gegenzug aber der Umfang der von dem Kläger zu<br />
erbringenden Gegenleistungen reduziert werden sollte.<br />
Mit Gesellschaftsvertrag vom 11.12.1997 wurde zunächst die<br />
W. Rechtsanwaltsgesellschaft mbh gegründet. Mit Kauf- und Abtretungsvertrag<br />
vom 30.12.1997 veräußerte einer der Gesellschafter<br />
dieser GmbH einen Teilgeschäftsanteil an den Kläger. In der im<br />
Anschluss an die Übertragung der Geschäftsanteile an den Kläger<br />
abgehaltenen Gesellschafterversammlung wurde die Änderung der<br />
Firma der Beklagten in R. & W. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH<br />
(unter Berücksichtigung des Nachnamens R. des Klägers) beschlossen<br />
und der Kläger neben weiteren Personen zum Geschäftsführer<br />
bestellt.<br />
Mit Wirkung vom 1.1.1998 wurde der Kläger ferner als Kommanditist<br />
in die Dr. W. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aufgenommen,<br />
wobei die den Kläger betreffenden Änderungen des<br />
Gesellschaftsvertrages in der Ergänzung XV. festgehalten wurden.<br />
Am 21.12.2001 übertrugen die Gesellschafter der Beklagten<br />
ihre Geschäftsanteile an die R. & W. Beteiligungsgesellschaft bür-
AnwBl 12/2005 789<br />
Rechtsprechung MN<br />
gerlichen Rechts, deren Zweck das Halten und Verwalten der Beteiligung<br />
an der Beklagten war.<br />
Der Kläger schied mit Wirkung zum 30.6.2003 aus der die Anteile<br />
an der Beklagten haltenden Beteiligungs-GbR aus. In der Folgezeit<br />
war er auf der Grundlage eines Beratervertrages noch bis<br />
zum 30.6.2004 für die Beklagte tätig.<br />
Der Kläger meint, ihm stünden namensrechtliche Ansprüche<br />
auf Unterlassung der weiteren Verwendung seines Namens als Bestandteil<br />
der Firma der Beklagten zu. Er habe der Beklagten nicht<br />
die Nutzung seines Namens für die Zeit nach Beendigung seiner<br />
Tätigkeit gestattet.<br />
Aus den Gründen: Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann<br />
von der Beklagten nicht Unterlassung der Verwendung des Namens<br />
R. in ihrer Unternehmensbezeichnung bzw. ihrer Domain verlangen.<br />
Ein solcher Anspruch steht dem Kläger aus § 12 BGB nicht<br />
zu.<br />
Spätestens mit seiner Zustimmung zur Änderung der Firma der<br />
Beklagten in „R. & W. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH“, in der Gesellschafterversammlung<br />
vom 30.12.1997 hat der Kläger nach dem<br />
übereinstimmenden Willen aller Beteiligten sein Einverständnis<br />
mit einer dauerhaften Führung dieser Firma unabhängig von seiner<br />
Stelluns als Gesellschafter erteilt.<br />
Dies ergibt sich daraus, dass eine ausdrückliche Regelung über<br />
die Begrenzung der Nutzungsdauer unstreitig nicht getroffen worden<br />
ist. Gerade im Hinblick auf die Ausführungen des Beklagten<br />
im Schreiben vom 18.11.1997 wäre dies aber geboten gewesen.<br />
Danach ging der Beklagte seinerzeit davon aus, dass der vorgesehene<br />
Kaufpreis für die Abtretung der GmbH-Anteile bei Ausscheiden,<br />
eine Abfindung für die Überführung bestehender Mandate, die<br />
Fortführung des Namens und eine Vergütung für das Wettbewerbsverbot<br />
sein sollte. Unstreitig ist man in der Folge zu einer Änderung<br />
der bereits vorgesehenen vertraglichen Regelungen gelangt,<br />
da dem Beklagten die vorgesehene Summen angesichts seiner „Gegenleistung“<br />
zu gering erschien. Eine solche Abänderung ist aber<br />
nur in Bezug auf die Überführung der Mandate und das Wettbewerbsverbot<br />
erfolgt. Eine ausdrückliche Beschränkung der Namensfortführung<br />
ist hingegen nicht vereinbart worden. Diese – und<br />
nicht eine Festschreibung des Rechts zur Namensfortführung –<br />
wäre aber auch nach dem Vertrag des Klägers aus der Sicht der<br />
Parteien erforderlich gewesen. Unstreitig ist über die Namensfortführung<br />
zwischen den damaligen Verhandlungspartnern nicht ausdrücklich<br />
gesprochen worden. Dementsprechend hat der Kläger<br />
auch keinen Vertragsentwurf vorgelegt, in dem eine solches Recht<br />
zunächst einmal ausdrücklich geregelt war. Wenn er gleichwohl im<br />
Schreiben vom 18.11.1997 unter Bezugnahme auf das „Studium<br />
der Verträge“ von einer Abfindung für die Namensfortfuhrung<br />
sprechen konnte, dann nur deshalb, weil alle Beteiligten übereinstimmend<br />
von diesem Recht der Beklagten ausgingen.<br />
Dies entsprach im Übrigen der damaligen und bis heute fortgeltenden<br />
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 24 Abs. 2<br />
HGB und der Firmenfortführung bei der GmbH. Dass die Beteiligten<br />
davon ausgegangen sein könnten, dass diese Rechtsprechung<br />
auf die nach „junge“ Rechtsform der Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
mbH keine Anwendung finden könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere<br />
ist nicht dargetan, dass man sich an den Entwürfen zur<br />
Änderung der BRAO orientiert hätte. Gerade wenn dies der Fall<br />
gewesen wäre, hätte angesichts der unsicheren Gesetzeslage erst<br />
recht aller Anlass zu einer ausdrückliche Regelung bestanden. Unstreitig<br />
ist indessen, dass noch nicht einmal ausdrücklich über die<br />
Firmenfortführung gesprochen worden ist.<br />
Schließlich machte die in der Folgezeit beibehaltene Regelung<br />
der vom Kläger zunächst monierten Berechnung der Abfindung<br />
über 1,5 Zählerpunkte wirtschaftlich nur Sinn, wenn die Beklagte –<br />
nach Wegfall der Pflicht zur Übertragung bestehender Mandate<br />
und des Wettbewerbsverbotes – damit das Recht zur Namensfortführung<br />
abgelten sollte. Dem kann auch nicht entgegengehalten<br />
werden, dass auch ohne Namensfortführung diese Regelung den<br />
Wert der abzutretenden GmbH-Anteile entgelten sollte. Zum einen<br />
dürften diese Anteile durch Mandatsfortführung und Wettbewerbsmöglichkeit<br />
nachhaltig entwertet worden sein, zum anderen ist der<br />
Kläger selber nicht davon ausgegangen, dass dieser Wert ausgeglichen<br />
werden sollte. Im Schreiben vom 18.11.1997 ist an keiner<br />
Stelle die Rede davon, dass neben der Abfindung für – Mandats-<br />
überführung, Wettbewerbsverbot und Namensfortführung auch der<br />
Wert der Gesellschaftsanteile ausglichen werden sollte. Vielmehr<br />
waren danach allein diese drei angedachten „Gegenleistungen“ der<br />
Bestimmungsfaktor für den Wert der abzutretenden Anteile.<br />
Der übereinstimmende Wille zur Namensfortführung durch die<br />
zu gründende GmbH entsprach auch der Interessenlage der Parteien<br />
bei Vertragsschluss. Denn danach sollte eine Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
mbH unter Hervorhebung des bekannten Namens des<br />
Klägers neu gegründet und am Markt plaziert werden, obwohl das<br />
Ausscheiden des Klägers frühestens in 5 1/2 spätestens in 6 1/2 Jahren<br />
fest vereinbart war.<br />
Wirtschaftlich sinnvoll konnte dies nur sein, wenn dabei eine<br />
Namensfortführung vorausgesetzt wurde. Dementsprechend ist die<br />
Firma auch nach Ausscheiden des Klägers aus der die Anteile an<br />
der Beklagten haltenden GbR unverändert fortgeführt worden,<br />
ohne dass einer der Beteiligten einen Regelungsbedarf gesehen<br />
hätte. Gerade wenn der Kläger davon ausgegangen wäre, dass die<br />
Namensfortführung von seiner Gesellschafterstellung abhängen<br />
sollte, hatte aus seiner Sicht zu diesem Zeitpunkt Klärungsbedarf<br />
bestehen müssen. Jedenfalls erscheint für einen solchen Fall der<br />
bloße Abschluss eines Beratervertrages ohne Regelung der Firmenforfführung<br />
durch die Beklagte nicht nachvollziehbar.<br />
Die Gestattung zur zeitlich unbegrenzten Namensfortführung<br />
ist auch nicht durch die außerordentliche Kündigung des Klägers<br />
wirksam beendet worden. Der Kläger hat nicht dargetan, dass ein<br />
wichtiger Grund für die Kündigung (vgl. dazu BGH GRUR 2002,<br />
2093, 2095 – „Vossius & Partner“) vorlag. Allein der Umstand,<br />
dass sich die personelle Besetzung auf seiten der Beklagten und<br />
deren fachliche Ausrichtung nicht so entwickelt haben sollen, wie<br />
es den Vorstellungen des Klägers entsprach, begründet noch keine<br />
Unzumutbarkeit der Namensfortführung.<br />
Dass schließlich in Fällen der vorliegenden Art wettbewerbsrechtliche<br />
Unterlassungsansprüche gegen die Fortführung des Namens<br />
in der Firma nicht gegeben sind, wenn sich der aus der Gesellschaft<br />
ausscheidende Anwalt entschließt, seine berufliche<br />
Tätigkeit anderweitig fortzusetzen, ist bereits höchstrichterlich entscheiden<br />
worden (vgl. BGH aaO). Die dortigen Erwägungen gelten<br />
auch im vorliegenden Fall.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />
Freiburg i. Br.<br />
Anwaltshaftung<br />
Ursächlichkeit des Beratungsfehlers bei<br />
gleichwertigen Alternativen zum Handeln<br />
ZPO § 287<br />
Zu den Anforderungen an die Begründung der freien tatrichterlichen<br />
Überzeugung, der Mandant hätte einen Abfindungsvergleich<br />
trotz der damit verbundenen Vorteile nicht geschlossen,<br />
wenn er vom Anwalt zutreffend über dessen rechtliche Risiken<br />
belehrt worden wäre.<br />
BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 49/02<br />
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die beklagte Anwalts-Partnerschaftsgesellschaft<br />
wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages<br />
auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger war seit dem 1.<br />
Anzeige
790<br />
MN<br />
Januar 1990 Mitglied des Vorstandes der F. AG (fortan: AG) gewesen.<br />
Sein Anstellungsvertrag war bis zum 31. <strong>Dezember</strong> 1999 befristet.<br />
Im Jahr 1998 gab es Überlegungen, den Vertrag vorzeitig zu<br />
beenden. Der Kläger beauftragte die Beklagte, ihn dazu umfassend<br />
zu beraten. Am 25. November 1998 schlossen der Kläger und die<br />
AG eine Aufhebungsvereinbarung, die den Vertrag des Klägers<br />
zum 30. November 1998 beendete. Der Kläger erhielt eine Abfindung<br />
in Höhe von 1.150.000 DM brutto, welche der Höhe nach<br />
seinem garantierten Jahreseinkommen für das Jahr 1999 entsprach.<br />
Er erhielt außerdem vom 1. Januar 2000 an einen unverfallbaren<br />
Anspruch auf betriebliche Altersversorgung in Höhe von 48 % aus<br />
900.000 DM.<br />
Der Kläger wirft der Beklagten vor, ihn nicht darauf hingewiesen<br />
zu haben, dass seine Pensionsansprüche infolge der vorzeitigen<br />
Beendigung des Vertrages nicht gemäß §§ 1, 7 Abs. 1 BetrAVG insolvenzgesichert<br />
sind. Er hat behauptet, bei vollständiger Unterrichtung<br />
über die Rechtslage hätte er den Anstellungsvertrag nicht<br />
aufgehoben, sondern auf dessen Erfüllung bestanden, und beantragt<br />
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für sämtliche finanziellen<br />
Nachteile – begrenzt auf eine Haftungssumme von<br />
2.000.000 DM - einzustehen, die ihm im Falle einer Insolvenz der<br />
AG dadurch entstehen, dass der Pensionssicherungsverein die Pensionsansprüche<br />
wegen mangelnder Unverfallbarkeit seiner Anwartschaften<br />
ablehnt. Die Beklagte hat behauptet, den Kläger ausdrücklich<br />
auf den fehlenden Insolvenzschutz hingewiesen zu haben. Der<br />
Kläger habe die Aufhebungsvereinbarung im Hinblick auf das nur<br />
noch bis zum 31. <strong>Dezember</strong> 1998 geltende Steuerprivileg des § 34<br />
EStG in der damals geltenden Fassung unbedingt noch im Jahr<br />
1998 schließen wollen.<br />
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht<br />
hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Revision<br />
erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen<br />
Urteils.<br />
Aus den Gründen: Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung<br />
des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der<br />
Sache an das Berufungsgericht.<br />
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei als Feststellungsklage<br />
zulässig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme<br />
stehe fest, dass der für die Beklagte handelnde Rechtsanwalt Dr.<br />
K. seine Beratungspflicht verletzt habe. Dieser habe den Kläger<br />
nicht ausreichend darüber belehrt, dass bei vorzeitiger Vertragsauflösung<br />
und einer dadurch bedingten Vertragslaufzeit von nur 9 Jahren<br />
im Falle einer Insolvenz der AG keine Ansprüche gegen den<br />
Pensionssicherungsverein bestünden. Die Pflichtverletzung sei kausal<br />
für den Schaden, der dem Kläger drohe; denn ohne die Zustimmung<br />
des Klägers hätte der Vertrag nicht vorzeitig beendet werden<br />
können. Ob der Kläger sich im Wege des Vorteilsausgleichs Steuervorteile<br />
anrechnen lassen müsse, sei gegebenenfalls im Betragsverfahren<br />
zu entscheiden.<br />
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung<br />
nicht stand.<br />
1. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Ein Feststellungsinteresse<br />
(§ 256 Abs. 1 ZPO) für einen künftigen Anspruch<br />
auf Ersatz eines allgemeinen Vermögensschadens besteht zwar regelmäßig<br />
nicht, solange der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss<br />
ist (BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92, WM<br />
1993, 251, 259 f). Das gilt jedoch dann nicht, wenn die für den<br />
Anspruch geltende Verjährungsfrist unabhängig von dessen Entstehung<br />
zu laufen beginnt. Im vorliegenden Fall richtet sich die Verjährung<br />
des geltend gemachten Anspruchs nach § 51 b Fall 2<br />
BRAO. Die Verjährung etwaiger Ansprüche des Klägers wegen<br />
fehlerhafter Beratung hat mit der Beendigung des Auftrags der Beklagten<br />
im Jahre 1998 begonnen. Daraus folgt ohne weiteres ein<br />
rechtliches Interesse des Klägers an der alsbaldigen Klärung der<br />
Haftungsfrage (§ 256 Abs. 1 ZPO).<br />
2. Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zur umfassenden Beratung<br />
des Klägers beim Abschluss des Aufhebungsvertrages verletzt,<br />
indem sie ihn nicht umfassend und verständlich über die<br />
Frage der Insolvenzsicherheit seiner Versorgungsansprüche aufgeklärt<br />
hat. Die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts<br />
werden von der Revision zu Recht nicht angegriffen.<br />
3. Das Berufungsgericht hat jedoch keine ausreichenden Feststellungen<br />
zu der Frage getroffen, ob der Beratungsfehler der Be-<br />
AnwBl 12/2005<br />
Rechtsprechung<br />
klagten für den Vermögensnachteil, den der Kläger im Falle einer<br />
Insolvenz der AG befürchtet, ursächlich geworden ist. Es hat dafür<br />
ausreichen lassen, dass die AG den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung<br />
nicht gegen den Willen des Klägers hätte erzwingen<br />
können, also unterstellt, der Kläger hätte die Vereinbarung bei vollständiger<br />
Aufklärung nicht geschlossen. Damit hat es das Vorbringen<br />
der Parteien – wie die Revision zu Recht rügt – nicht ausgeschöpft.<br />
a) Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Beratung<br />
des Rechtsanwalts verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden<br />
Kausalität, die der Mandant nach § 287 ZPO zu beweisen<br />
hat (BGHZ 129, 386, 399; BGH, Urt. v. 13. Januar 2005 – IX ZR<br />
455/00, BGH-Report 2005, 787, 788). Der Beweis kann durch die<br />
Vermutung beratungsgerechten Verhaltens erleichtert werden.<br />
Diese Vermutung gilt jedoch nur, wenn nach der Lebenserfahrung<br />
bei vertragsgemäßer Leistung des Beraters lediglich ein bestimmtes<br />
Verhalten nahegelegen hätte (BGHZ 123, 311, 314 ff.; 126, 217,<br />
224; BGH, Urt. v. 13. Januar 2005, aaO). Eine derartige Feststellung<br />
hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Sie läge auch fern.<br />
b) Um beurteilen zu können, wie ein Mandant sich nach<br />
pflichtgemäßer anwaltlicher Beratung verhalten hätte, müssen die<br />
Handlungsalternativen geprüft werden, die sich ihm stellten; deren<br />
Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie miteinander und mit den<br />
Handlungszielen des Mandanten verglichen werden (BGH, Urt. v.<br />
13. Januar 2005, aaO). Der Kläger hätte nach vollständiger Aufklärung<br />
über die Folgen der Aufhebungsvereinbarung – wie er behauptet<br />
– von deren Abschluss absehen können; er hätte sie jedoch<br />
auch – wie die Beklagte behauptet – gleichwohl unterzeichnen<br />
können.<br />
Beide Parteien haben umfänglich dazu vorgetragen, welche Gesichtspunkte<br />
für und gegen die eine oder die andere Entscheidung<br />
gesprochen hätten. Wäre der Anstellungsvertrag nicht vorzeitig beendet<br />
worden, wären die Versorgungsansprüche des Klägers teilweise<br />
für den Fall einer späteren Insolvenz der AG gesichert gewesen.<br />
Diese Sicherung hätte jedoch nicht für die gesamten<br />
Versorgungsansprüche des Klägers von 432.000 DM (48 % von<br />
900.000 DM) gegolten. Gemäß § 3 Abs. 3 BetrAVG war die Versicherungsleistung<br />
des Pensionssicherungsvereins auf den dreifachen<br />
Betrag der Bezugsgröße des § 18 SGB IV begrenzt. Im Insolvenzfalle<br />
hätte der Kläger daher nur Anspruch auf jährliche<br />
Leistungen in Höhe von 158.760 DM (4.410 DM x 3 x 12) gehabt.<br />
Die im Anstellungsvertrag des Klägers versprochenen Anwartschaften<br />
für zusätzliche 10 Jahre wären gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1<br />
BetrAVG ebenfalls nicht abgesichert gewesen. Die vorzeitige Auflösung<br />
des Vertrages brachte dem Kläger demgegenüber einen<br />
Steuervorteil von 287.387 DM (§ 34 EStG a. F.). Die Abfindung in<br />
Höhe von 1,15 Mio. DM wurde bereits am 31. <strong>Dezember</strong> 1998<br />
ausgezahlt. Das Jahresgehalt für 1999 in Höhe von 600.000 DM<br />
wäre im Verlauf des Jahres 1999 ausgezahlt worden, der Festbetrag<br />
von 300.000 DM erst am 31. <strong>Dezember</strong> 1999 und die Tantieme<br />
von mindestens 200.000 DM am Tag nach der Hauptversammlung,<br />
in der der Bericht über das Geschäftsjahr 1999 vorgelegt worden<br />
wäre. Weitere 50.000 DM wären nicht an den Kläger ausgezahlt,<br />
sondern für Prämienleistungen für eine private Versicherung zur<br />
Altersversorgung verwandt worden. Der Kläger hätte der AG außerdem<br />
noch im Jahre 1999 seine volle Arbeitskraft zur Verfügung<br />
stellen müssen. Wie hoch das Risiko einer Insolvenz der AG einzuschätzen<br />
war, konnte der Kläger als ehemaliges Mitglied des<br />
Vorstandes am besten beurteilen; im vorliegenden Rechtsstreit haben<br />
beide Parteien den wirtschaftlichen Zustand der AG als „gut“<br />
bezeichnet.<br />
Alle diese Umstände hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt.<br />
Die Würdigung des Tatsachenstoffs obliegt grundsätzlich<br />
dem Tatrichter (BGH, Urt. v. 13. Januar 2005, aaO). Sie kann in der<br />
Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden. Das angefochtene Urteil<br />
ist daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a. F.).<br />
4. Das Berufungsurteil kann außerdem aus einem weiteren<br />
Grund keinen Bestand haben. Selbst dann, wenn alle Voraussetzungen<br />
eines Schadensersatzanspruchs aus positiver Vertragsverletzung<br />
des Anwaltsvertrages festgestellt werden, kann der Kläger<br />
nicht Ersatz des aus der fehlenden Unverfallbarkeit seiner Pensionsansprüche<br />
resultierenden Schadens verlangen. Er behauptet, bei<br />
ordnungsgemäßer Aufklärung über die Rechtslage hätte er die Aufhebungsvereinbarung<br />
nicht geschlossen. Dann besteht sein Schaden
AnwBl 12/2005 791<br />
Rechtsprechung MN<br />
darin, die Vereinbarung geschlossen zu haben; er kann – das Vorliegen<br />
der übrigen Anspruchsvoraussetzungen unterstellt - verlangen,<br />
so gestellt zu werden, als hätte er die Vereinbarung nicht geschlossen.<br />
Im Rahmen eines späteren Betragsverfahrens müssten<br />
die Vor- und die Nachteile, welche die Vereinbarung mit sich gebracht<br />
hat, darunter auch die von der Beklagten behaupteten Steuervorteile,<br />
in den erforderlichen „Gesamtvermögensvergleich“ (vgl.<br />
BGH, Urt. v. 20. November 1997 – IX ZR 286/96, WM 1998,<br />
142 f.; Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 1087)<br />
eingestellt werden.<br />
Der jetzige Feststellungsausspruch stellt den Kläger demgegenüber<br />
so, dass ihm sämtliche Vorteile der Aufhebungsvereinbarung<br />
zufließen, der Nachteil der fehlenden Insolvenzsicherung dagegen<br />
nicht eintritt. Da dies aber selbst nach dem Vorbringen des Klägers<br />
nicht erreichbar war, dieser vielmehr behauptet, er hätte bei vertragsgerechter<br />
Beratung die Abfindungsvereinbarung nicht geschlossen,<br />
entspricht das angefochtene Urteil in diesem Punkt nicht<br />
der allgemein anerkannten Regel, dass auch dem Grunde nach der<br />
Schaden durch einen Vergleich der gegenwärtigen Vermögenslage<br />
mit derjenigen, die ohne das pflichtwidrige Verhalten des Anwalts<br />
eingetreten wäre, bestimmt werden muss. Der Kläger kann daher<br />
schon seiner eigenen Darstellung nach nur den Schaden ersetzt verlangen,<br />
der ihm daraus entsteht, dass er infolge unzureichender anwaltlicher<br />
Beratung über die Voraussetzungen der Insolvenzsicherung<br />
die Abfindungsvereinbarung vom 25. November 1998<br />
geschlossen hat. Nur ein entsprechend eingeschränkter Feststellungsausspruch<br />
ermöglicht es, im Falle einer zukünftigen Insolvenz<br />
der AG die dem Kläger günstigen Rechtsfolgen der Abfindungsvereinbarung<br />
nach den Regeln über den Vorteilsausgleich zu berücksichtigen.<br />
III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist an das<br />
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO<br />
a. F.). Nach der Zurückverweisung hat der Kläger Gelegenheit, den<br />
Feststellungsantrag neu zu formulieren (§ 139 ZPO). Das Berufungsgericht<br />
wird den Vortrag der Parteien zur Kausalität der<br />
Pflichtverletzung für den Schaden sowie eventuelle Beweisanträge<br />
umfassend auszuwerten haben, um feststellen zu können, welche<br />
Entscheidung der Kläger bei vollständiger Belehrung über die Folgen<br />
der Aufhebungsvereinbarung getroffen hätte. Dabei wird es<br />
die Beweiserleichterungen zu beachten haben, die dem Geschädigten<br />
nach § 287 ZPO zugute kommen. Grundsätzlich reicht eine<br />
deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit,<br />
dass ein Schaden entstanden ist, für die richterliche<br />
Überzeugungsbildung aus (BGH, Urt. v. 18. März 2004 – IX ZR<br />
255/00, WM 2004, 2217, 2219). Geht es darum, welche hypothetische<br />
Entscheidung der Mandant bei vertragsgerechtem Verhalten<br />
des rechtlichen Beraters getroffen hätte, liegt es nahe, ihn dazu gemäß<br />
§ 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu vernehmen, weil es um eine innere,<br />
in seiner Person liegende Tatsache geht. Da die Feststellung,<br />
ob ein Schaden entstanden ist, nach den Beweisregeln des § 287<br />
ZPO getroffen wird, gehört die Frage, wie sich der Mandant bei<br />
ordnungsgemäßer Beratung verhalten hätte, zu dem von § 287<br />
Abs. 1 Satz 3 ZPO erfassten Bereich (BGH, Urt. v. 16. Oktober<br />
2003 – IX ZR 167/02, WM 2004, 472, 474).<br />
Übermittlung per Telefax<br />
ZPO § 233<br />
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn<br />
ein per Telefax übermittelter Schriftsatz zwar verspätet eingeht,<br />
der Anwalt aber durch Vorlage eines von seinem Fax-Gerät ausgedruckten<br />
Einzelnachweises mit „OK-Vermerk“ die rechtzeitige<br />
Übermittlung des Schriftsatzes vor Fristablauf belegen kann.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
OLG Brandenburg, Urt. v. 29.9.2005 – 12 U 47/05<br />
Aus den Gründen: Die zulässige Berufung hat in der Sache insoweit<br />
Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache<br />
an das Landgericht gem. § 538 Abs. 2 S. l Nr. 2 ZPO zurückzuverweisen<br />
ist. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der<br />
Einspruch gegen das Vcrsäumnisurteil vom 18.10.2004 zulässig,<br />
wobei das Landgericht zutreffend den Einspruch als nicht mehr<br />
rechtzeitig eingegangen erachtet hat, jedoch zu Unrecht den Be-<br />
klagten auf ihren Antrag hin keine Wiedereinsetzung in den vorigen<br />
Stand gewährt hat.<br />
Die den Zeitpunkt des Eingangs ausweisende Kopfzeile des<br />
Einspruchsschriftsatzcs vom 10.11.2004 gibt zu erkennen, dass der<br />
Schriftsatz erst am 12.11.2004 um 9:53 Uhr, mithin einen Tag nach<br />
Ablauf der Einspruchsfrist beim Landgericht eingegangen ist. Etwas<br />
anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Wachtmeisterei<br />
des Landgerichts erstellten Fax-Journal.<br />
Mithin ergeben sich aus einem Vergleich zwischen dem auf<br />
dem Schriftsatz befindlichen Eingangszeitpunkt und den Angaben<br />
im Fax-Journal keine Unregelmäßigkeiten, die Zweifel an der<br />
Richtigkeit des auf dem Schriftsatz angebrachten Eingangszeitpunktes<br />
begründen könnten. Entsprechend verhält es sich mit dem<br />
von dem Beklagten vorgelegten Sendebericht vom 11.11.2004 mit<br />
sog. „OK-Vermerk“, da er lediglich ein Indiz darstellt, welches<br />
aber allein nicht geeignet ist, die Richtigkeit der sich auf dem Einspruchsschriftsatz<br />
befindlichen Eingangsdaten ernsthaft in Frage zu<br />
stellen (vgl. auch BGH NJW-RR 2002, 999, 1000).<br />
Von Bedeutung ist der Sendebericht jedoch für den rechtzeitig<br />
gestellten Wiedereinsetzungsantrag, der begründet ist, weil die Beklagten<br />
ohne Verschulden verhindert waren, die Einspruchsfrist<br />
einzuhalten (§ 333 ZPO). Die Ausführungen des Landgerichts<br />
hierzu überzeugen nicht. Insbesondere wird seitens des Landgerichts<br />
die Frage des tatsächlichen Eingangs der Einspruchsschrift<br />
mit der Frage der Absendung in einer in dieser Form nicht zulässigen<br />
Weise miteinander vermengt. Das Landgericht führt lediglich<br />
aus, dass der Schriftsatz vom 10.11.2004 nicht rechtzeitig abgesandt<br />
worden sei, sei bereits im Einzelnen dargelegt worden.<br />
Dies trifft jedoch nicht zu, denn es wurde lediglich ausgeführt,<br />
dass der Schriftsatz erst am 12.11.2004 eingegangen ist. woraus<br />
sich jedoch nicht zwingend ergibt, dass er nicht bereits einen Tag<br />
zuvor per Fax abgesandt worden sein kann. Obwohl die Beklagten<br />
sich zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages insbesondere<br />
auf den Sendebericht mit dem darin enthaltenen „OK-Vermerk“<br />
berufen haben, geht das Landgericht hierauf nicht näher ein,<br />
sondern hält kurzerhand die Angaben der Büroangestelhen der Prozessbevollmächtigten<br />
der Beklagten in ihrer eidesstattlichen Versicherung<br />
für unglaubhaft, verkennt dabei jedoch die Rechtslage in<br />
Bezug auf die Bedeutung eines Sendeberichts. Macht ein Anwalt<br />
von der Möglichkeit der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze<br />
durch Telefax Gebrauch, hat er mit der ordnungsgemäßen Nutzung<br />
eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Angabe der<br />
Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung<br />
getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass er<br />
unter gewöhnlichen Umständen mit ihrem Abschluss bis zum Ablauf<br />
des Tages rechnen kann (Stein/Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl.,<br />
2005, § 233, Rn. 52 m. w. N.). Belegt ein vom Fax-Gerät des Absenders<br />
ausgedruckter Einzelnachweis die ordnungsgemäße Übermittlung,<br />
kann darüber hinaus im Anschluss daran auch die Berufungsfrist<br />
im Fristenkalender gelöscht werden (BGH NJW-RR<br />
2002, 999). Entgegen der Ansicht des Klägers besteht also eine<br />
Verpflichtung zur Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes<br />
vor Dienstschluss und zur Vornahme einer telefonischen Nachfrage<br />
zur Bestätigung des Eingangs des Schriftsatzes bei Gericht nicht.<br />
Die Beklagten haben sich als Mittel der Glaubhaftmachung für die<br />
rechtzeitige Absendung auf den Sendebericht sowie auf die eidesstattliche<br />
Erklärung der bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />
angestellten Mitarbeiterin K. berufen. Letztgenannte schildert<br />
in der eidesstattlichen Erklärung, auf welche Weise es zu der<br />
Übersendung per Fax gekommen sein soll. Sie will, nachdem zunächst<br />
eine Übersendung an das Landgericht daran gescheitert sei,<br />
dass der Anschluss besetzt gewesen sei, zunächst dem Mandanten<br />
Anzeige
792<br />
MN<br />
eine Abschrift gefaxt haben, was ausweislich des Fax-Protokolls<br />
um 16:46 Uhr der Fall gewesen sein soll. Ein zweiter Versuch zur<br />
Übermittlung des Einspruchsschriftsatzes an das Landgericht sei<br />
dann erfolgreich gewesen, wovon sie sich nach Ausdruck des Sendeberichts<br />
vergewissert habe. Durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit<br />
dieser in sich stimmigen Angaben bestehen nicht. Die extrem<br />
lange Übermittlungsdauer ist zwar ungewöhnlich; gleichwohl<br />
kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass aufgrund<br />
einer wie auch immer gearteten technischen Störung die Übermittlungszeit<br />
derart lange gedauert hat. Allein die ungewöhnlich lange<br />
Übermittlungszeit rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Mitarbeiterin<br />
der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine falsche<br />
eidesstattliche Erklärung abgegeben hat und überdies sie oder auch<br />
die Prozessbevollmächtigten selbst das Fax-Gerät manipuliert haben,<br />
indem, sie, um ein etwaiges Versäumnis hinsichtlich der rechtzeitigen<br />
Absendung des Schriftsatzes zu vertuschen, Datum und<br />
Uhrzeit am Fax-Gerät verstellt haben. Derart ungeheuerliche Vorgänge<br />
vermag der Senat den Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />
ohne konkrete Anhaltspunkte nicht zu unterstellen.<br />
Da sich das Landgericht bisher mit der Sache selbst noch nicht<br />
befasst hat, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht<br />
zurückzuverweisen.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dieter Kubach, Rüdersdorf bei Berlin<br />
Anwaltvergütung<br />
Kosten des auswärtigen Anwalts<br />
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1<br />
Die erstattungsfähigen Reisekosten des nicht am Gerichtsort ansässigen<br />
Rechtsanwalts sind der Höhe nach nicht notwendig auf<br />
diejenigen Kosten beschränkt, die durch die Beauftragung eines<br />
Terminsvertreters entstanden wären.<br />
BGH, Beschl. v. 13.9.2005 – X ZB 30/04<br />
Aus den Gründen: I. Die in Bonn ansässige Klägerin, die für<br />
ihre Gesellschafter Ansprüche wegen des Nachbaus geschützter<br />
Sorten geltend macht, hat den Beklagten durch einen in Hamburg<br />
geschäftsansässigen Rechtsanwalt vor dem Landgericht München I<br />
auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Nachbau<br />
in Anspruch genommen. Das Landgericht hat antragsgemäß erkannt<br />
und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.<br />
Der Rechtspfleger hat es abgelehnt, die von der Klägerin geltend<br />
gemachten Reisekosten ihres Hamburger Prozessbevollmächtigten<br />
in Höhe von 214,19 E gegen den Beklagten festzusetzen.<br />
Das Beschwerdegericht hat Reisekosten in Höhe von 30,63 E festgesetzt<br />
und im Übrigen die sofortige Beschwerde zurückgewiesen<br />
(OLG München OLG-Rep. 2005, 261).<br />
Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin<br />
ihren Kostenfestsetzungsantrag in dem Umfang weiter, in dem ihre<br />
sofortige Beschwerde erfolglos geblieben ist.<br />
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde<br />
ist zulässig und begründet. Sie führt im Umfang der<br />
Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur<br />
Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.<br />
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die von der Klägerin<br />
geltend gemachten Terminsreisekosten seien dem Grunde nach<br />
erstattungsfähig. Die Zuziehung eines am Geschäftssitz der Klägerin<br />
ansässigen Rechtsanwalts sei als zur zweckentsprechenden<br />
Rechtsverfolgung notwendig anzuerkennen. Bis zur Höhe der fiktiven<br />
Reisekosten eines solchen Rechtsanwalts seien auch die Reisekosten<br />
eines andernorts (hier: in Hamburg) ansässigen Rechtsanwalts<br />
erstattungsfähig. Das steht mit der ständigen<br />
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang (BGH,<br />
Beschl. v. 16.9.2002 – VIII ZB 30/02, NJW 2003, 898; Beschl. v.<br />
18.12.2003 – I ZB 21/03, MDR 2004, 839 = GRUR 2004, 447 –<br />
Auswärtiger Rechtsanwalt III; Sen.Beschl. v. 13.7.2004 – X ZB<br />
40/03, NJW 2004, 3187; BGH, Beschl. v. 14.9.2004 – VI ZB<br />
37/04, BB 2004, 2548; Beschl. v. 2.12.2004 – I ZB 4/04, BB 2005,<br />
294 = GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III) und lässt keinen<br />
Rechtsfehler erkennen.<br />
AnwBl 12/2005<br />
Rechtsprechung<br />
2. Das Berufungsgericht hat weiterhin die Auffassung vertreten,<br />
die Erstattung der Reisekosten sei jedoch der Höhe nach auf diejenigen<br />
Mehrkosten beschränkt, die bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten<br />
für die Vertretung der Klägerin in der mündlichen<br />
Verhandlung entstanden wären (hier: 30,63 E). Unter mehreren<br />
gleichartigen Maßnahmen habe die Partei die kostengünstigste auszuwählen;<br />
Terminskosten eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten<br />
seien daher nur erstattungsfähig, soweit sie die Mehrkosten der<br />
Einschaltung eines Terminsvertreters nicht wesentlich überstiegen.<br />
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.<br />
Reisekosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines auswärtigen<br />
Rechtsanwalts entstanden sind, sind zu erstatten, wenn sie<br />
im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendig waren. Dabei<br />
kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige<br />
Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt<br />
ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die<br />
Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung<br />
ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich<br />
– was das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt richtig gesehen<br />
hat – gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die<br />
kostengünstigste auszuwählen (BGH NJW 2003, 898; Beschl. v.<br />
11.11.2003 – VI ZB 41/03, MDR 2004, 539; Beschl. v. 9.9.2004 –<br />
I ZB 5/04, GRUR 2005, 84 – Unterbevollmächtigter II). Bei der<br />
Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungsoder<br />
Rechtsverteidigungsmaßnahme ist zudem eine typisierende<br />
Betrachtungsweise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der<br />
bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall<br />
zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden<br />
Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten<br />
werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs-<br />
oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder<br />
nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – I ZB 29/02, NJW 2003,<br />
901, 902 = WRP 2003, 391 – Auswärtiger Rechtsanwalt I).<br />
Hiernach hat das Beschwerdegericht die Beauftragung eines<br />
Terminsvertreters zu unrecht als gleichartige, jedoch kostengünstigere<br />
Maßnahme angesehen. Die Anerkennung der Erstattungsfähigkeit<br />
der Kosten eines Unterbevollmächtigten in der Rechtsprechung<br />
des Bundesgerichtshofs beruht gerade auf der Erwägung,<br />
dass die Terminsreisekosten des nicht am Gerichtsort ansässigen<br />
Rechtsanwalts, dessen Hinzuziehung als notwendig anzuerkennen<br />
ist, ihrerseits grundsätzlich erstattungsfähig wären (BGH NJW<br />
2003, 898; BB 2004, 2548; BB 2005, 294). Der Bundesgerichtshof<br />
hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die Erweiterung<br />
der Postulationsfähigkeit vor den Landgerichten auf alle bei<br />
einem Amts- oder Landgericht zugelassenen Anwälte wesentlich<br />
auch damit begründet worden sei, dass das Interesse der Mandanten<br />
dahingehe, von einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor<br />
auswärtigen Zivilgerichten vertreten werden zu können (BGH<br />
NJW 2003, 898, 901). Wird die Beauftragung eines nicht am Gerichtsort<br />
ansässigen Rechtsanwalts als aus der Sicht einer verständigen<br />
Partei notwendig anerkannt, ist der Partei regelmäßig das<br />
Recht zuzubilligen, sich durch diesen mit der Sache vertrauten<br />
Rechtsanwalt auch in der mündlichen Verhandlung vertreten zu<br />
lassen, zumal die hierdurch entstehenden Kosten im Allgemeinen<br />
geringer sein werden als die zusätzliche Beauftragung eines Terminsvertreters.<br />
3. Die Sache ist daher zur Prüfung der entstandenen Reisekosten<br />
an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.<br />
Keine Kürzung der Verfahrens- durch<br />
die Geschäftsgebühr<br />
RVG–VV Nr. 2400, 3100,Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1<br />
Bei der Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr ist kein Abzug<br />
für die hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnende Geschäftsgebühr<br />
vorzunehmen, da die Geschäftsgebühr, soweit es<br />
sich um denselben Gegenstand handelt, im vorgesehenen Umfang<br />
in der nachfolgend entstehenden Verfahrensgebühr – in<br />
gleicher Weise wie schon nach altem Recht – gemäß § 118 Abs. 2<br />
S. 1 BRAGO aufgeht.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
KG, Beschl. v. 20.7.2005 – 1 W 285/05
AnwBl 12/2005 793<br />
Rechtsprechung MN<br />
Aus den Gründen: Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 11<br />
Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie ist<br />
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 Abs.<br />
1 und 2 ZPO.<br />
Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht<br />
hat zu Recht in der angefochtenen Entscheidung die beantragte<br />
1,3 Verfahrensgebühr festgesetzt. Die Höhe der dem Rechtsanwalt<br />
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zustehenden Gebühren<br />
bestimmt sich nach § 2 Abs. 2 RVG in Verbindung mit Nr. 3100<br />
des Vergütungsverzeichnisses. Danach verdient der Rechtsanwalt<br />
im ersten Rechtszug eine 1,3 Verfahrensgebühr. Zutreffend hat das<br />
Landgericht hiervon keinen Abzug vorgenommen.<br />
Nr. 3 Abs. 4 der amtlichen Vorbemerkung zu Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses<br />
ist vorliegend nicht einschlägig. Danach<br />
wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr<br />
nach Nummern 2400 bis 2403 entstanden ist, diese Gebühr zur<br />
Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die<br />
Verfahrensgebühr des gerichtlichenVerfahrens angerechnet. Diese<br />
Regelung entspricht derjenigen in § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO, wonach<br />
die nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO für eine Tätigkeit außerhalb<br />
eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens entstandene<br />
Geschäftsgebühr für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches<br />
Verfahren anzurechnen war. Die außergerichtlich entstandene<br />
Geschäftsgebühr ging, soweit es sich um denselben Gegenstand<br />
handelte, nach altem Recht also in den nachfolgend<br />
entstandenen Verfahrensgebühren auf, die Geschäftsgebühr konnte<br />
daher nicht mehr gesondert geltend gemacht werden. Durch das<br />
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl I,<br />
S. 718) hat sich hieran dem Grunde nach nichts geändert. Die nun<br />
vorzunehmende hälftige Anrechnung beruht auf dem Umstand,<br />
dass die Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und die<br />
Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO zu einer Gebühr<br />
mit einem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 zusammengefasst<br />
wurden (BT-Drs. 15/1971, S. 148). Für die Besprechungsgebühr<br />
nach altem Recht galt aber die Anrechungsvorschrift des § 110<br />
Abs. 2 S. 1 BRAGO nicht.<br />
Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Auslegung von<br />
Nr. 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 RVG ist<br />
auch aus prozessökonomischen Gründen abzulehnen. Das Kostenfestsetzungsverfahren<br />
bietet der obsiegenden Partei die Möglichkeit,<br />
auf einfache Weise einen vollstreckbaren Titel gegen die unterlegene<br />
Partei auf Ersatz der ihr durch den Rechtsstreit<br />
entstandenen Kosten zu erlangen. Bei Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr<br />
von der festzusetzenden Verfahrensgebühr, wäre die<br />
obsiegende Partei darauf angewiesen, außergerichtlich die volle<br />
Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei geltend zu machen<br />
und diese eventuell erneut einzuklagen, weil die auf der Grundlage<br />
von Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses entstandene Geschäftsgebühr<br />
nicht im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden<br />
kann (vgl. OLG Koblenz, MDR 2005, 838).<br />
Anmerkung der Redaktion: Dazu siehe auch die RVG – Frage<br />
des Monats von Henke in diesem Heft auf Seite 780.<br />
Terminsgebühr bei gerichtlicher Protokollierung<br />
eines außergerichtlichen Vergleichs<br />
ZPO § 278 Abs. 6, 91; RVG–VV Abs. 3 der Vorbemerkung 3 zu<br />
3100 ff VV<br />
1. Handeln die Prozessvertreter in außergerichtlichen Gesprächen<br />
einen Vergleich aus, der anschließend vom Gericht lediglich<br />
nach § 278 Abs. 6 ZPO protokolliert wird, fällt neben der<br />
Verfahrens- und Einigungsgebühr auch eine Terminsgebühr an.<br />
2. Soweit der BGH in der Entscheidung vom 30. März 2004 (VI<br />
ZB 81/03, abgedruckt in AnwBl 2004, 593) auch für das neue<br />
RVG eine andere Ansicht geäußert hat, ist das nicht mit Absatz<br />
3 der Vorbemerkung 3 zu 3100 VV – zum RVG zu vereinbaren.<br />
(nicht rechtskräftig)<br />
OLG Koblenz, Beschl. v. 20.9.2005 – 14 W 537/05<br />
Aus den Gründen: I. Die Parteien des Rechtsstreits sowie die<br />
Nebenintervenientin haben vor mündlicher Verhandlung einen um-<br />
fangreichen Vergleich ausgehandelt, dessen Zustandekommen das<br />
Landgericht – nach redaktionellen Korrekturen – durch Beschluss<br />
vom 18. Januar 2005 festgestellt hat. Die Kostenregelung sieht vor,<br />
dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.<br />
Mit Beschluss vom 10. Mai 2005 hat der Rechtspfleger antragsgemäß<br />
die von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 3.920,80<br />
E festgesetzt. In dem Betrag enthalten ist eine Einigungsgebühr in<br />
Höhe von 1.800 E zuzüglich MWSt. Mit Beschluss vom 20. Juni<br />
2005 hat der Rechtspfleger auf den Antrag der Klägerin eine Terminsgebühr<br />
in Höhe von 1.670,40 E festgesetzt.<br />
Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde<br />
der Beklagten, die der Auffassung ist, eine Terminsgebühr<br />
sei nicht angefallen.<br />
Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.<br />
II. Die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. Juni<br />
2005 gerichtete sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie hat in der<br />
Sache aber keinen Erfolg.<br />
Der Rechtspfleger hat im vorliegenden Fall zu Recht eine 1,2<br />
Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG angesetzt.<br />
Eine Terminsgebühr fällt bei dem Abschluss eines Vergleichs<br />
gem. § 278 Abs. 6 ZPO im Prozessverfahren nach § 128 Abs. 1<br />
ZPO und außerhalb eines gerichtlichen Termins jedenfalls dann an,<br />
wenn die Sach- und Rechtslage von den Rechtsanwälten der Parteien<br />
ohne Beteiligung des Gerichts zur Erzielung einer gütlichen<br />
Einigung erörtert wird und dies zu einer vergleichsweisen Einigung<br />
nach § 278 Abs. 6 S. 1 1. Alt. ZPO führt.<br />
Ob dies dann auch gilt, wenn (nur) eine Besprechung mit dem<br />
Gericht vorausgeht und auf gerichtlichen Vorschlag ein Vergleich<br />
geschlossen wird (2. Alt.), bedarf hier keiner Entscheidung (bejahend<br />
Goebel, RVG-B 2005, 8 ff. in Anmerkung zu BGH NJW<br />
2004, 2311 sowie BGH NJOZ 2004, 4083).<br />
1) Die Frage, ob der Abschluss eines Vergleiches nach § 278<br />
Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr für den Anwalt entstehen lässt,<br />
wird uneinheitlich beantwortet.<br />
Die ablehnende Meinung orientiert sich primär am Wortlaut der<br />
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV, der sich in seiner ersten Alternative auf<br />
das Verfahren § 128 Abs. 2 ZPO beziehe und nicht auf – § 278<br />
Abs. 6 ZPO (vgl. z. B. Hartmann, GKG, 35. A., VV 3104 – Rn.:<br />
§ 278 ZPO erfasst nicht die mündliche Verhandlung; umfangreiche<br />
Nachweise bei LG Bonn, ASG 2005, 288/289 mit Anm. Schneider).<br />
Der Bundesgerichtshof (aaO) hat im Zusammenhang mit der<br />
Anwendung der BRAGO obiter dictum entschieden, neben der Einigungsgebühr<br />
und der Verfahrensgebühr falle bei Abschluss eines<br />
Vergleiches nicht zusätzlich die Terminsgebühr an. Die Bezugnahme<br />
auf § 307 Abs. 2 und § 495 a ZPO lege es nahe, dass in der<br />
ersten Alternative das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht<br />
§ 278 Abs. 6 ZPO gemeint sei (vgl. die Entscheidung auf Gegenvorstellung<br />
vom 30. Juni 2005 NOJZ 2004, 4083; vgl. auch OLG<br />
Nürnberg AnwBl 2005, 222 mit Anm. Henke im Anschluss an den<br />
BGH bei einem Vorschlag des Beklagten, Unterbreitung des Vergleichsvorschlags<br />
durch das Gericht und Feststellung des Zustandekommens<br />
nach § 278 Abs. 6 S. 1 2. Alt. ZPO).<br />
Die wohl ganz h. M. in der Literatur vertritt hingegen den<br />
Standpunkt, dass auch der schriftliche Vergleich nach § 278 Abs. 6<br />
ZPO die Terminsgebühr zur Entstehung bringen kann (vgl. die<br />
Nachw. bei LG Bonn aaO), wobei nur fraglich ist, ob auch eine Besprechung<br />
mit dem Gericht (vgl. Goebel aaO) – oder Dritten (vgl.<br />
Enders in Anm. zu BGH JurBüro 2004, 481/482; vgl. auch Enders<br />
in Anm. zu OLG Nürnberg, JurBüro 2005, 249/250) ausreicht.<br />
Bei Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts ist auf jeden<br />
Fall eine auf die Erledigung des gerichtlichen Verfahrens gerichtete<br />
Besprechung, die nicht auf den Auftraggeber beschränkt sein darf,<br />
erforderlich.<br />
2) Der Senat ist der Auffassung, dass bei einem Vergleichsabschluss<br />
gem. § 278 Abs. 6 ZPO nach den erörterten „Besprechungen“<br />
die Terminsgebühr anfällt unabhängig davon, ob eine<br />
mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist oder nicht (vgl. dazu<br />
auch Schneider AGS 2005, 291/292).<br />
Dies folgt aus der Vorbem. 3 Abs. 3 zu Nr. 3100 VV zum<br />
RVG, die die Terminsgebühr entstehen lässt für „die Mitwirkung
794<br />
MN<br />
an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten<br />
Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts“ (vgl. auch Senat<br />
JurBüro 2005, 416/417 – Besprechung und Klagerücknahme).<br />
Sinn und Zweck der Regelung ist es, die zusätzlichen Bemühungen<br />
des Anwalts zu vergüten. Auch soll, soweit mündlich zu<br />
verhandeln ist, eine Entlastung der Gerichte angestrebt werden, damit<br />
außerhalb eines gerichtlichen Termins die Sache verglichen<br />
werden kann.<br />
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.<br />
IV. Im Hinblick auf divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte<br />
und die genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs<br />
wird die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3<br />
S. 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO zugelassen.<br />
Mitgeteilt vom 14. Zivilsenat des OLG Koblenz<br />
Festsetzung einer Terminsgebühr für<br />
vorprozessuale Besprechung<br />
ZPO § 278 Abs. 6, 91, 104; RVG–VVAbs. 3 der Vorbemerkung 3<br />
zu 3100 ff VV<br />
1. Führen Anwälte mit Prozessauftrag vorprozessual ein auf<br />
Vermeidung des Rechtsstreits zielendes Gespräch, entsteht eine<br />
Terminsgebühr. Diese Gebühr kann jedoch später nicht im vereinfachten<br />
Verfahren nach § 104 ZPO festgesetzt werden.<br />
2. Veranlasst ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag mit späterer<br />
Protokollierung nach § 278 Abs. 6 ZPO lediglich eine Besprechung<br />
des Anwalts mit dem eigenen Mandanten oder dem Gericht,<br />
entsteht keine Terminsgebühr.<br />
(nicht rechtskräftig)<br />
OLG Koblenz, Beschl. v. 12.10.2005 – 14 W 620/05<br />
Aus den Gründen: Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.<br />
I. Im Vorfeld des Verfahrens fanden zwischen den späteren<br />
Prozessbevollmächtigten Gespräche im Hinblick auf eine vergleichsweise<br />
Erledigung statt, die zu keinem Ergebnis führten (48<br />
GA). Im Verlauf des Prozesses gab es keine mündlichen oder telefonischen<br />
Besprechungen. Auf schriftliche Anfrage des Gerichts<br />
und entsprechende Stellungnahmen der Anwälte hat das Landgericht<br />
mit Beschluss vom 21. Februar 2005 das Zustandekommen<br />
eines Vergleichs nach § 278 Abs.6 ZPO festgestellt mit einer Kostenquote<br />
von 3/10 zu 7/10 zu Lasten des Beklagten.<br />
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger eine Terminsgebühr<br />
in Höhe von 631,20 EUR zuzüglich Umsatzsteuer angemeldet.<br />
Der Beklagte hat hiervon trotz eines Hinweises der Rechtspflegerin<br />
ausdrücklich Abstand genommen.<br />
Mit dem vom Beklagten mit der Beschwerde angefochtenen<br />
Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Rechtspflegerin die Terminsgebühr<br />
zu Gunsten des Klägers berücksichtigt.<br />
II. 1. Nach der Entscheidung des Senats vom 20. September<br />
2005 (14 W 537/05, Rechtsbeschwerde zugelassen [abgedruckt in<br />
diesem Heft auf Seite 793]) fällt beim Abschluss eines Vergleichs<br />
gemäß § 278 Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr an, wenn die Angelegenheit<br />
zwischen den Rechtsanwälten der Parteien ohne Beteiligung<br />
des Gerichts zur Erzielung einer gütlichen Einigung erörtert<br />
wurde und dies zur vergleichsweisen Einigung führte (so auch der<br />
1. Senat des OLG Nürnberg in AnwBl. 2005, 653). Ob dies auch<br />
gilt, wenn nur Schriftsätze ausgetauscht werden oder (nur) eine<br />
einseitige Besprechung mit dem Gericht vorausgeht, hat der Senat<br />
bisher noch offen gelassen.<br />
Er entscheidet dies nunmehr mit der ablehnenden Meinung, die<br />
sich vorwiegend am Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 RVG-VV<br />
orientiert. Danach fällt bei einem Vergleich gemäß § 278 Abs. 6<br />
ZPO, der ohne mündliche Verhandlung und ohne Besprechung der<br />
Prozessbevollmächtigten untereinander zustande gekommen ist,<br />
eine Terminsgebühr nicht an (Hartmann, Kostengesetze, 35.Aufl.,<br />
VV 3104 Rn. 30; umfangreiche Nachweise bei LG Bonn ASG<br />
2005, 288/289). Für diesen Fall schließt sich der Senat der Auffassung<br />
des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürn„erg an (Jur-<br />
Büro 2005, 249) an.<br />
Dafür spricht – neben dem Wortlaut – die „historische Nähe“<br />
der Terminsgebühr zur früheren Erörterungs- und Verhandlungs-<br />
gebühr. Kommt der Vergleich allein durch einen Vorschlag des Gerichts<br />
zustande, den der Anwalt einseitig mit seiner Partei bespricht,<br />
erscheint es gerechtfertigt, nur die Einigungsgebühr<br />
anfallen zu lassen. Erst das weitere, zusätzliche Tätigwerden, das<br />
auf einen Kompromis mit dem Gegener hinwirkende Gespräch mit<br />
diesem, löst zusätzlich die Terminsgebühr aus. Derartiges hat hier<br />
im Prozessverlauf unstreitig nicht stattgefunden.<br />
2. Vorliegend könnte die Terminsgebühr allerdings dadurch angefallen<br />
sein, dass die Anwälte vorgerichtlich Gespräche zur Meidung<br />
einer gerichtlichen Auseinandersetzung geführt hatten. Dies<br />
setzte zusätzlich voraus, dass zu diesem Zeitpunkt auf beiden Seiten<br />
ein unbedingter Auftrag zur Vertretung im gerichtlichen Verfahren<br />
vorlag (Bonnen, Terminsgebühr nach dem RVG, Gebührenanspruch<br />
auch im außergerichtlichen Verfahren in MDR 2005,<br />
1084/1085).<br />
Ob dies der Fall war, kann offen bleiben. Der Streit darüber<br />
könnte in Zweifelsfällen das einfach zu haltende Kostenfestsetzungsverfahren<br />
mit zusätzlichem Ermittlungsaufwand belasten.<br />
Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass eine gebenenfalls vorprozessual<br />
angefallene Terminsgebühr, ebenso wie die anwaltliche<br />
Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 RVG-VV, nicht im Rahmen des<br />
Verfahrens der §§ 103, 104 ZPO zu berücksichtigen ist (Senat vom<br />
23. März 2005 in 14 W 181/05 mit zahlreichen Nachweisen).<br />
Denn hier geht es nicht um Kosten des Rechtsstreits, die sich unter<br />
die Bestimmung des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO einordnen ließen. An<br />
der Situation, dass Kosten die im Vorfeld eines Prozesses für das<br />
Betreiben eines Geschäfts einer Partei anfallen nicht festsetzbar<br />
sind, hat sich nichts geändert. Dies muss auch für eine etwa nur<br />
vorprozessual angefallene Terminsgebühr gelten.<br />
Da hier nach Erhebung der Klage mit dem Abschluss des Vergleichs<br />
gemäß § 278 Abs.6 ZPO – ohne Besprechungen der Anwälte<br />
untereinander – eine Terminsgebühr nicht angefallen ist, ist<br />
auf die Beschwerde des Beklagten hin, der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss<br />
um 512,53 EUR (Terminsgebühr 631,20<br />
EUR zuzüglich Umsatzsteuer 100,99 EUR = 732,19 EUR x 7/10 =<br />
512,53 EUR) zu reduzieren und der Erstattungsbetrag auf<br />
723,93 EUR festzusetzen.<br />
Der Kostenausspruch beruht auf § 91 Abs.1 ZPO.<br />
Mitgteilt vom 14. Zivilsenat des OLG Koblenz<br />
Anmerkung der Redaktion: Die Rechtsbeschwerde ist zugelassen<br />
worden.<br />
Kosten des Anwalts aus Amtshaftung<br />
AnwBl 12/2005<br />
Rechtsprechung<br />
GG Art. 34; BGB §§ 839, 675<br />
1. Bei einer auf mangelnder personeller Besetzung oder Säumigkeit<br />
des Sachbearbeiters beruhenden Untätigkeit der Behörde<br />
(14. Monate) liegt kein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren<br />
vor, sondern eine Amtspflichtverletzung, die zum<br />
Schadensersatz führt. Die Regelung über die Kostenerstattung<br />
im Verwaltungsverfahren oder die Möglichkeit der Untätigkeitsklage<br />
steht dem nicht entgegen.<br />
2. Beauftragen Eltern einen Rechtsanwalt, mit der Vertretung<br />
Ihres Kindes, dann ist der Vergütungsschuldner das Kind.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
LG Aachen, Urt. v. 5.10.2005 – 4 O 38/04<br />
Sachverhalt: Die minderjährige Klägerin macht einen Anspruch<br />
auf Erstattung von Anwaltsgebühren für ihre Vertretung im<br />
behördlichen Einbürgerungsverfahren geltend. Im März 2002<br />
stellte sie, vertreten durch ihre Eltern, einen Einbürgerungsantrag,<br />
der trotz mehrfacher Vorsprache ihres Vaters beinahe 14. Monate<br />
nicht beschieden wurde. Im Mai 2003 beauftragte die Klägerin einen<br />
Rechtsanwalt, der der Beklagten eine Erklärungsfrist setzte.<br />
Die angefallenen Anwaltskosten erstattete die Beklagte nicht.<br />
Aus den Gründen: II. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz<br />
der ihr entstandenen Kosten der anwaltlichen Betreuung im<br />
Einbürgerungsverfahren aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung<br />
nach § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG zu.
AnwBl 12/2005 795<br />
Rechtsprechung MN<br />
Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Beauftragen Eltern eines Kindes<br />
einen Rechtsanwalt mit der Vertretung des Kindes, dann ist der<br />
Vergütungsschuldner das Kind. Es besteht nämlich keine Haftung<br />
des Inhabers der elterlichen Sorge für die Anwaltskosten, nach<br />
dem § 1654 SGB durch das Gleichberechtigungsgesetz aufgehoben<br />
worden ist (Schumann-Geißinger, BRAGO-Kommentar, 2. Aufl.,<br />
§ 17 Rdnr. 12; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO-Kommentar,<br />
15. Aufl., § 1 Rdnr. 50). Will der Anwalt erreichen, dass<br />
die Eltern für den Vergütungsanspruch gerade stehen, so muss er<br />
mit ihnen eine ausdrückliche Vereinbarung dahin abschließen.<br />
Hierfür ist vorliegend nichts vorgetragen.<br />
Vorliegend ist auch in der über ein Jahr dauernden Tätigkeit der<br />
Beklagten eine Amtspflichtverletzung zu sehen. Der Bürger hat einen<br />
Anspruch darauf, dass seine Anträge von den Behörden in<br />
zeitlich vertretbarem Rahmen bearbeitet werden. Als Maßstab für<br />
den zeitlich vertretbaren Rahmen kann hier die 3-Monats-Frist des<br />
§ 75 VwVGO angenommen werden, mit der Maßgabe, dass keine<br />
besonderen Gründe für das Nichtentscheiden der Behörde innerhalb<br />
der 3-Monats-Frist vorliegen. Hierzu ist aber nichts hinreichendes<br />
vorgetragen. Der Vortrag der Beklagten, auf die Vielzahl<br />
der vorliegenden Anträge und die dadurch bedingte längere Bearbeitungsdauer,<br />
kann nicht zur Annahme eines zureichenden Grundes<br />
im Sinne des § 75 VwVGO führen. Anhaltspunkte für das Vorliegen<br />
einer außergewöhnlichen Belastung der Behörde sind nicht<br />
vorhanden. Soweit die beklagte Stadt einzelne Abteilungen auf<br />
Dauer unzureichend mit Personal ausgestattet hat, liegt ein Organisationsverschulden<br />
vor.<br />
Die Einschaltung eines Rechtsanwaltes war, nachdem der Einbürgerungsantrag<br />
14 Monate unbearbeitet liegen geblieben war und<br />
die 4-maligen Vorsprachen des Vaters der Klägerin nicht zu einer<br />
Beschleunigung des Verfahrens führten, auch erforderlich, wie<br />
schon der prompte zeitliche Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit<br />
zeigt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn dem Vater der<br />
Klägerin bei seiner letzten Vorsprache kurz vor der Beauftragung<br />
des Anwalts bedeutet worden wäre, die Bescheidung stehe unmittelbar<br />
bevor und es müsse nur noch eine gebührenrechtliche Frage<br />
geprüft werden. Dann wäre die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern,<br />
durchaus zumutbar gewesen, noch eine gewisse Frist abzuwarten.<br />
Dies ist aber nicht bewiesen.<br />
Letztlich kann die Beklagte auch mit dem Argument, eine Einschaltung<br />
des Anwaltes sei nicht erforderlich gewesen, weil die Eltern<br />
der Klägerin selbst ein entsprechendes Schreiben an die Behörden<br />
hätten richten können kein Gehör finden. Nach dem der<br />
Vater der Klägerin selbst 4 Mal fruchtlos vorgesprochen hatte,<br />
muss als extrem unwahrscheinlich angesehen werden, dass eine<br />
schriftliche Mahnung von seiner Seite zum Erfolg geführt hätte.<br />
Vielmehr spricht alles dafür, dass die Einschaltung des Anwalts<br />
und dessen recht knapp bemessene Fristsetzung unter Androhung<br />
der verwaltungsgerichtlichen Untätigkeitsklage zum raschen Abschluss<br />
des Einbürgerungsverfahrens führte.<br />
Ein Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtsverletzung scheidet<br />
auch nicht deshalb aus, weil in § 80 VwVfG die Erstattungsfähigkeit<br />
von Anwaltskosten in behördlichen Verfahren abschließend<br />
geregelt wäre. Diese Vorschrift regelt die<br />
Erstattungsfähigkeit bzw. Nichterstattungsfähigkeit von Anwaltskosten<br />
für ein ordnungsgemäß durchgeführtes Verwaltungsverfahren.<br />
Bei einer auf mangelnder personeller Besetzung oder auf Säumigkeit<br />
des Sachbearbeiters beruhenden Untätigkeit der Behörde<br />
liegt aber kein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren vor, sondern<br />
eine Amtspflichtsverletzung die zu einem Schadensersatzanspruch<br />
führt.<br />
Auch dem Argument der Beklagten die Klägerin sei auf die<br />
verwaltungsrechtliche Untätigkeitsklage zu verweisen und soweit<br />
sie auf diese verzichtet habe, liege eine Verletzung der Schadensminderungspflicht<br />
im Sinne von § 254 BGB vor, muss der Erfolg<br />
versagt bleiben. Bei Durchführung der Untätigkeitsklage wären<br />
nämlich höhere anwaltliche Gebühren, eine 10/10 Gebühr statt einer<br />
7,5/10 Gebühr angefallen, so dass das konkrete Vorgehen der<br />
Klägerin letztlich schadensmindernd ist.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Rainer M. Hofmann, Aachen<br />
Verfahrensgebühr bei Kostenwiderspruch im<br />
Verfügungsverfahren<br />
RVG-VV Nr. 3100,Vorbem. 3 Abs. 2<br />
Legt der Gegner einer einstweiligen Verfügung lediglich Kostenwiderspruch<br />
ein und hat der Anwalt des Gegners eine 0,8 Verfahrensgebühr<br />
aus dem Hauptsachewert verdient, so ist diese<br />
auch neben der 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert zu erstatten.<br />
OLG München, Beschl. v. 31.8.2005 – 11 W 1883/05<br />
Aus den Gründen: I. Die Beklagte wendet sich dagegen, dass<br />
eine Verfahrensgebühr lediglich aus dem Kostenwert und nicht zusätzlich<br />
eine 0,8 Verfahrensgebühr aus dem Hauptsachewert anerkannt<br />
wurde. Gegen die Beklagte erging eine einstweilige Verfügung<br />
vom 20.1.2005. Der Beklagtenvertreter wurde beauftragt,<br />
gegen die einstweilige Verfügung vorzugehen. Nach Entgegennahme<br />
der Informationen und Prüfung der Sach- und Rechtslage<br />
wurde einer Empfehlung des Beklagtenvertreters folgend lediglich<br />
Kostenwiderspruch eingelegt. Die Rechtspflegerin hat lediglich<br />
eine 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert anerkannt.<br />
II. Die sofortige Beschwerde ist begründet.<br />
Unzweifelhaft ist, dass der Beklagtenvertreter eine 0,8 Verfahrensgebühr<br />
aus dem Hauptsachewert verdient hat. Er hatte einen<br />
umfassenden Verfahrensauftrag. Die Verfahrensgebühr entsteht<br />
dann gemäß VVRVG-Vorbemerkung 3 Abs. 2 bereits mit der Entgegennahme<br />
der Information.<br />
Allerdings vertritt die herrschende Meinung die Auffassung,<br />
dass bei einer Beschränkung auf einen Kostenwiderspruch lediglich<br />
eine 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert anfällt. Dies wird<br />
damit begründet, dass die Kosten einer anwaltlichen Beratung, die<br />
nicht dem Führen, sondern der Vermeidung eines Rechtstreits dienen,<br />
nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig<br />
im Sinne von § 91 ZPO sind (BGH NJW-RR 03, 1293 = <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
03, 592 = JurBüro 02, 466). Es müsse dasselbe gelten wie in<br />
dem Fall, in dem der Mandant dem Rechtsanwalt den Auftrag erteilt,<br />
ein erstinstanzliches Urteil im vollen Umfang mit der Berufung<br />
anzugreifen, in dem letztlich aber hur hinsichtlich eines Teils<br />
Rechtsmittel eingelegt wird. Hier bestehe kein Erstattungsanspruch<br />
hinsichtlich der Mehrkosten, die sich auf den Teil beziehen, für den<br />
kein Rechtsmittel eingelegt wurde (Hamburg JurBüro 85, 283).<br />
Demgegenüber sind nach Auffassung des Senats die Grundsätze<br />
heranzuziehen, die beim Anerkenntnis gelten. Ein erfolgreicher<br />
Kostenwiderspruch steht einem sofortigen Anerkenntnis i.<br />
S. v. § 93 ZPO nahe. In beiden Fällen wird der Gegner in unberechtigter<br />
Weise mit einer prozessualen Maßnahme überzogen (Gerold/Schmidt-Müller-Rabe<br />
16. Auflage. Anhang RdNr. 150; N.<br />
Schneider AGS 03, 447). Das ist nicht vergleichbar mit dem Fall,<br />
dass eine Partei nach anwaltlicher Beratung von einer weitergehenden<br />
Berufung absieht, weil sie einsehen muss, dass diese nicht erfolgversprechend<br />
ist. Bei einem Anerkenntnis erhält der Anerkennende<br />
eine 1,3 Verfahrensgebühr und eine 1,2 Terminsgebühr<br />
erstattet. Die Tatsache, dass beim Kostenwiderspruch. nach der<br />
herrschenden Meinung durch die inzident vorliegende Verzichtserklärung<br />
keine Gebühr aus dem Hauptsachewert anfällt, kann<br />
nicht dazu führen, dass auch die 0,8 Verfahrensgebühr nicht erstattet<br />
wird, die zweifellos angefallen ist, wenn der Rechtsanwalt zunächst<br />
einen umfassenden und nicht auf die Kostenfrage beschränkten<br />
Auftrag hatte (Gerold/Schmid-Müller-Rabe 16. Auflage<br />
Anhang RdNr. 150 ff).<br />
Der Beklagten stehen somit folgende Erstattungsansprüche zu.<br />
1,3 Verfahrensgebühr aus Kostenwert 4.000,– E = 318,50 E<br />
0,8 Verfahrensgebühr aus Hauptsachewert<br />
100.000,– E = 1,083,20 E<br />
Kontrollrechung gemäß § 15 Abs. 3 RVG<br />
1,3 Verfahrensgebühr aus 100,000,– E =<br />
1.760,20 E Kommunikationspauschale 20,– E<br />
Endbetrag 1.421,70 E<br />
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1<br />
ZPO.<br />
IV. Im Hinblick darauf, dass der Senat von der herrschenden<br />
Meinung abweicht, wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.<br />
Mitgeteilt vom 11. Zivilsenat des OLG München
796<br />
MN<br />
Gebühren in Bußgeldsachen<br />
RVG § 14 Abs. 1,VV Nr. 5100 ff<br />
In Bußgeldsachen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist der<br />
Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt, wenn ein Fahrverbot im<br />
Raum steht oder Eintragungen in die Verkehrsünderkartei bedeutsam<br />
werden.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
AG Saarlouis, Urt. v. 7.10.2005 – 30 C 861/05<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt JR Hans-Jürgen Gebhardt,<br />
Homburg/Saar<br />
Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />
Internet abrufbar unter www.anwaltsblatt.de<br />
Kostenrecht<br />
Streitwert bei E-Mail-Werbung<br />
ZPO § 3; GKG § 48 Abs. 1<br />
Der Streitwert einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage,<br />
welche das unerwünschte Zusenden von E-Mail-Werbung im<br />
Geschäftsverkehr zum Gegenstand hat, beträgt ohne Hinzutreten<br />
besonderer Umstände 6.000 E.<br />
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.6.2005 – 4 W 52/05<br />
Sachverhalt: I. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet<br />
der Vermittlung von Versicherungsdienstleistungen. Am 31. Mai<br />
2005 übersandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ohne dessen<br />
Einwilligung ein Werbeschreiben per E-Mail. Hierauf forderte<br />
der Antragsteller die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10. Juni<br />
2005 auf, eine Kontaktaufnahme zu Werbezwecken ohne ausdrückliche<br />
Einwilligung künftig zu unterlassen und sich für den Fall der<br />
schuldhaften Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe<br />
von 5.100,– E zu verpflichten. Den Gegenstandswert gab der Antragsteller<br />
in diesem Schreiben mit 7.500,– E an. Nachdem die Antragsgegnerin<br />
die gewünschte Erklärung nicht abgab, beantragte<br />
der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Verfügung und bezifferte<br />
den Streitwert auf 15.000,– E. Mit Erlass der begehrten<br />
Verfügung wurde der Streitwert auf 6.000,– E festgesetzt.<br />
Hiergegen wenden sich die Verfahrensbevollmächtigten des<br />
Antragstellers mit ihrem ausdrücklich eigenen Namens eingelegten<br />
Rechtsmittel, mit dem sie eine Festsetzung des Streitwerts „auf<br />
15.000,– E, besser noch 25.000,– E“ begehren.<br />
Aus den Gründen: II. Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten<br />
des Antragstellers ist gemäß §§ 32 Abs. 2, Satz 1 RVG, 68<br />
Abs. 1 GKG zulässig, führt in der Sache jedoch nicht zu dem mit<br />
ihr erstrebten Erfolg.<br />
1. Der Unterlassungsanspruch des durch unerwünschte Zusendung<br />
von E-Mails Beworbenen ist nach überwiegender Ansicht in<br />
Rechtsprechung und Literatur mit einem Betrag in einer Größenordnung<br />
von 2.000 – 3.000,– E regelmäßig angemessen bewertet<br />
(vgl. BGH, B. v. 30. November 2004 – VI ZR 65/04, veröffentlicht<br />
in juris; LG Hamburg, Urt. v. 9. Juli 2004 – 327 O 155/04, veröffentlicht<br />
in juris [Rdnr. 19]; Schmittmann, JurBüro 2003, 398,<br />
400). Danach wurde der Streitwert in der angefochtenen Entscheidung<br />
jedenfalls nicht zu niedrig veranschlagt.<br />
2. Allerdings kann die Festsetzung eines höheren Streitwertes in<br />
solchen Fällen angezeigt sein, in denen es sich beim Beworbenen<br />
gleichzeitig um einen Mitbewerber des Werbenden handelt und der<br />
Unterlassungsanspruch demnach außer auf §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB<br />
auch auf § 8 UWG gestützt werden kann (vgl. Schmittmann aaO).<br />
Der Streitwert eines solchen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs<br />
bemisst sich allein nach dem gemäß §§ 48 Abs. 1<br />
GKG, 3 ZPO nach freiem Ermessen zu schätzenden Interesse des<br />
Antragstellers. Dass das Erstgericht, das den wettbewerbsrechtlichen<br />
Charakter der Streitigkeit erkannt und in seine Überlegungen<br />
mit einbezogen hat, den Streitwert unter diesem Aspekt ermessensfehlerhaft<br />
zu niedrig angesetzt hat, ist jedoch nicht ersichtlich<br />
und wird auch von den Beschwerdeführern nicht aufgezeigt. Das<br />
maßgebliche Interesse des Antragstellers richtet sich wesentlich<br />
nach dem bereits entstandenen Schaden und den Vorteilen, die er<br />
ohne die Rechtsverletzung des Antragsgegners erlangt hätte, wobei<br />
die auf Grund des Verstoßes zu befürchtende Umsatzeinbuße einen<br />
möglichen Anhaltspunkt darstellt (vgl. Hillach/Rohs, Hdb. d.<br />
Streitwerts in Zivilsachen 9. Aufl. § 90 A.II.1.; Zöller/Herget,<br />
ZPO 25. Aufl. § 3 Rdnr. 16 „Gewerblicher Rechtsschutz“). Weitere<br />
wertbestimmende Umstände sind u. a. die Intensität, Aggressivität,<br />
Gefährlichkeit, Dauer und Art der Verletzungshandlung sowie deren<br />
räumliche Auswirkungen (vgl. etwa Pastor/Ahrens-Ulrich, Der<br />
Wettbewerbsprozess 4. Aufl. Kap. 44 Rdnr. 32 m. w. N.). Danach<br />
ist hier nicht von einer zu niedrigen Wertfestsetzung auszugehen.<br />
Zu einem bereits entstandenen Schaden bzw. zu erwartenden Umsatzeinbußen<br />
beim Antragsteller haben weder dieser noch die Beschwerdeführer<br />
etwas Konkretes vorgetragen. Zudem ist zu berücksichtigen,<br />
dass Gegenstand des Verfahrens lediglich eine, am<br />
31. Mai 2005 einmalig übermittelte E-Mail-Werbung war. Von einer<br />
„massenhaften“ Werbung seitens der Antragsgegnerin oder einem<br />
besonders aggressiven und gefährlichen Wettbewerbsverstoß<br />
kann daher entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer nicht ausgegangen<br />
werden. Schließlich hat der Antragsteller selbst in seinem<br />
ersten Schreiben an die Antragsgegnerin den Gegenstandswert<br />
noch mit lediglich 7.500,– E beziffert und eine Vertragsstrafe<br />
von rund 5.000,– E für den Fall eines künftigen Verstoßes für ausreichend<br />
erachtet. – All dies spricht, ebenso wie der in der Nichtabhilfeentscheidung<br />
hervorgehobene Umstand, dass es sich um einen<br />
rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Sachverhalt<br />
handelt, gegen die begehrte Heraufsetzung des mit 6.000,— E im<br />
Rahmen des freien Ermessens nach § 3 ZPO vertretbar geschätzten<br />
Streitwerts für die Klage.<br />
Mitgeteilt vom 4. Zivilsenat des OLG Zweibrücken<br />
Fotonachweis<br />
Seiten I, IV, XXIV, XXVIII, 748, 749, 754, 758, 760, 761, 762,<br />
763, 764, 765, 766, 769, 783, 785: alle privat; Seiten 754, 756,<br />
757, 765, 771: alle Burkhardt/Berlin; Seiten 762, 763: Schneider/<br />
Homburg; Seite 759: dictum-productions, Bonn; Seite 781: Deutsche<br />
Fotothek, SLUB, Dresden.<br />
Impressum<br />
AnwBl 12/2005<br />
Rechtsprechung<br />
Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179<br />
Berlin (Mitte), Tel. 030 /72 6152 -0, Fax: 030/7261 52-191,<br />
anwaltsblatt@anwaltverein.de. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig<br />
(Leitung, v. i. S. d. P.), Dr. Peter Hamacher und Udo Henke, Rechtsanwälte,<br />
Anschrift des Herausgebers.Verlag: Deutscher Anwaltverlag<br />
und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, 53111<br />
Bonn, Tel. 02 28 / 919 11-0, Fax: 0228/919 1123; kontakt@<br />
anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17532 458,<br />
BLZ 380500 00. Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich<br />
(v. i. S. d. P.), Pikartenkamp 14, 22587 Hamburg, Tel. 0 40/<br />
866 28-467, Fax: 0 40/86628 -468, info@ad-in.de. Technische<br />
Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356<br />
Essen, Tel. 02 01/8612281, Fax: 0201 /86 12241; mitterbauer<br />
@soldan-druck.de. Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang,<br />
bei einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis:<br />
Jährlich 126,– E (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis<br />
11,50 E (inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins<br />
ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen:<br />
Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen<br />
müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag<br />
vorliegen. Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften<br />
sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare<br />
werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright:<br />
Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das<br />
gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und<br />
Leitsätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken<br />
oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich<br />
der Einwilligung des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />
w
XXVI<br />
MN<br />
BÜCHER & INTERNET<br />
Schaefer/Göbel, Das neue Kostenrecht<br />
in Arbeitssachen, Verlag C. H.<br />
Beck, München, 2004, brosch., 142 S.<br />
Bereits 2004 erschien die Spezialmonographie<br />
für Kostenrecht in Arbeitssachen<br />
von den Autoren Rechtsanwalt<br />
und Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />
Rolf Schaefer und Assessorin Dagmar<br />
Göbel aus Hannover. Der Informationsanspruch<br />
der Verfasser geht über<br />
das Anwaltsvergütungsrecht hinaus<br />
und richtet seinen Blick auf das gesamte<br />
Kostenrecht in Arbeitssachen,<br />
insbesondere auch auf die Feststellung<br />
der Gerichtskosten und ihrer Geltendmachung<br />
und auch die Vergütung von<br />
Sachverständigen, Dolmetschern und<br />
Übersetzern. Das jeweils 5-seitige Inhaltsverzeichnis<br />
und Sachregister reichen<br />
zur Erschließung des Buches aus.<br />
Für eine vertiefende Problemlösung ist<br />
das Werk nicht sehr geeignet.<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Madert, Rechtsanwaltsvergütung in<br />
Straf- und Bußgeldsachen, C. F. Müller<br />
Verlag, Heidelberg, 5. völlig neu<br />
überarbeitete Aufl., 2004, brosch.,<br />
352 S., 45 E.<br />
Die Neuauflage des bereits zu<br />
BRAGO-Zeiten in vier Auflagen erschienenen<br />
Werkes erschien im Juli<br />
2004. Der wissenschaftliche Apparat<br />
Anzeige<br />
Microsoft<br />
des Werkes wie Inhaltsübersicht, Inhaltsverzeichnis,Abkürzungsverzeichnis,<br />
Literatur- und umfangreiches<br />
Stichwortverzeichnis macht einen hervorragenden<br />
Eindruck; ebenso das Format<br />
und die Verarbeitung des Buches.<br />
Der Autor geht konsequent auf die<br />
speziellen strafrechtlichen Sachverhalte<br />
und Tatbestände im RVG ein. Er vertritt<br />
selbstbewusst – z. B. beim Erfolgshonorar,<br />
S. 7 – eigene Standpunkte mit guter<br />
Begründung. Allerdings macht die nur<br />
auf neun Seiten beschränkte Darstellung<br />
zur Vergütung in Bußgeldsachen<br />
einen etwas lieblosen Eindruck. Hervorzuheben<br />
sind die außerordentlich gelungenen<br />
Darstellungen im Teil B zur<br />
Kostenerstattung und Kostenfestsetzung.<br />
Mit 90 Seiten Umfang erreicht<br />
der Autor hier einen erheblichen Tiefgang<br />
in der Darstellung. Ebenfalls sehr<br />
positiv zu vermerken ist der Teil C – Sicherung<br />
des Honorars. Im Teil D werden<br />
36 verschiedene Muster, z. B. für<br />
Honorarvereinbarungen, Stundenhonorare,<br />
Schriftsätze und Anträge und auch<br />
für Kostenrechnungen wiedergegeben.<br />
Diese Sammlung dürfte einmalig sein<br />
und rechtfertigt bereits allein die Anschaffung<br />
des Buches für einen in Strafund<br />
/ oder Bußgeldsachen häufig tätigen<br />
Anwalt.<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
AnwBl 12/2005<br />
Dr. Peter A. Doetsch/ Arne E. Lenz/<br />
Michael Jung: AnwaltsVorsorge, Verlag<br />
C.H. Beck, München, 2004, ISBN<br />
3-406-51294-1, 350 S., 58,00<br />
„Pflichtlektüre des Anwalts/jeder<br />
Anwältin“ könnte das im Jahr 2004<br />
unter Mitarbeit von Rechtsanwalt Michael<br />
Prossliner erschiene umfangreiche<br />
Werk zur anwaltlichen Vorsorge<br />
heißen. Rechtsanwälte verdienen während<br />
ihrer Berufsausübung im Regelfall<br />
recht gut. Doch was ist, fragen die<br />
Autoren, wenn die Anwältin oder der<br />
Anwalt mit 65 aus Altersgründen oder<br />
bereits vorher wegen Krankheit oder<br />
Unfall aus dem Berufsleben ausscheidet?<br />
Das Buch bietet eine umfassende<br />
Hilfe um sich mit der eigenen Versorgungssituation<br />
kritisch auseinander zu<br />
setzen.<br />
Im ersten Kapitel stellt Rechtsanwalt<br />
Dr. Peter Doetsch die Möglichkeiten<br />
der Vorsorgeplanung unter<br />
Berücksichtigung des Absicherungsbedarfs<br />
verschiedener Lebenssituationen<br />
dar. Der Autor stellt Säulen der<br />
Alterssicherung, die berufsständische<br />
Versorgung, die betriebliche Altersvorsorge<br />
und die private Eigenvorsorge<br />
dar und vergleicht diese Säulen<br />
hinsichtlich ihrer Kosten- und Leistungsfähigkeit.<br />
Das folgende Kapitel zur Berufsständischen<br />
Altersversorgung von Michael<br />
Jung unter Mitarbeit von Prossliner<br />
behandelt die Grundlagen der<br />
Rechtsanwaltsversorgungswerke und<br />
deren Leistungen Alters-, Hinterbliebenen-<br />
und Berufsunfähigkeitsrente.<br />
Wegen des Abschnitts zur Befreiung<br />
von der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
ist das Buch auch jeden Syndikusanwalt<br />
zur Lektüre zu empfehlen.<br />
Die letzten Kapitel von Dr. Peter<br />
Doetsch und Arne Lenz zur betrieblichen<br />
Altersvorsorge für Angestellte<br />
Anwälte und Partner einer Anwaltsgesellschaft<br />
sowie zur privaten Vorsorge<br />
geben einen hervorragenden<br />
Überblicke sämtliche Formen der betrieblichen<br />
Altersvorsorge wie z. B.<br />
die Unterstützungskasse, Direktversicherung,<br />
Pensionskasse und andere,<br />
sowie sämtliche in Frage kommenden<br />
Anlageformeln der Privatvorsorge,<br />
die mit Ihren jeweiligen Vor- und<br />
Nachteilen dargestellt werden.<br />
Rechtsanwalt Philipp Wendt, Berlin
AnwBl 12/2005 XXVII<br />
Felix Hey: Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen<br />
und Ihre Schranken,<br />
Münchner Universitätsschriften<br />
Band 190,Verlag C.H. Beck, 385 Seiten,<br />
50,00 E.<br />
Gesellschaftsverträge unterscheiden<br />
sich von Austauschverträgen durch einen<br />
wesentlichen Gesichtspunkt: Beim<br />
Austauschvertrag sind die Parteien<br />
zwar durch das Seil der synallagmatischen<br />
Verbindung aneinandergekettet,<br />
ziehen aber jeweils in die andere Richtung.<br />
Deshalb müssen schwächere Vertragspartner<br />
wie Verbraucher und unerfahrene<br />
Kaufleute geschützt werden,<br />
damit die andere Seite sie nicht über<br />
den Tisch zieht. Beim Gesellschaftsvertrag<br />
hingegen sitzen die Gesellschafter<br />
in einem Boot und müssen gemeinsam<br />
in Richtung auf das<br />
definierte Ziel rudern. Deshalb gibt es<br />
im allgemeinen Gesellschaftsrecht nur<br />
allgemeine Schutzbestimmungen, wie<br />
den Verstoß gegen die guten Sitten,<br />
den Wegfall der Geschäftsgrundlage<br />
oder ähnliche. Sie sind bisher kaum<br />
systematisch aufgearbeitet worden.<br />
Felix Hey hat in seiner Münchener<br />
Habilitationsschrift diese Lücke geschlossen.<br />
Sie ist auf hohem und teilweise<br />
sehr abstraktem wissenschaftlichen<br />
Niveau geschrieben, aufgrund<br />
ihrer klaren Gliederung und ebenso<br />
klaren Sprache aber auch für den Anwalt<br />
unmittelbar verwendbar.<br />
Die moderne Kapitalmarktentwicklung<br />
und die Bildung von Eigentum<br />
auf breiter Front hat Publikumsgesellschaften,<br />
Kleinaktionäre, Genossen<br />
und viele andere „Gesellschafter“ entstehen<br />
lassen, die in Wirklichkeit Verbraucher<br />
von Finanzprodukten sind.<br />
Hey zeigt, wie sie geschützt werden<br />
können und gliedert die Schutzformen<br />
überzeugend in: Zwingendes Recht,<br />
Schutz der Entscheidungsfreiheit, Inhaltskontrolle<br />
und Ausübungskontrolle.<br />
Seine Studie geht den einzelnen<br />
Schutzformen detailliert nach, zeigt<br />
ihre theoretischen Grundlagen und immer<br />
wieder beispielhaft auch die praktischen<br />
Auswirkungen. Seine Lösungsvorschläge<br />
sind durchweg<br />
überzeugend. Dies gilt auch für jene<br />
Bereiche, in denen das Gesellschaftsrecht<br />
gleichstarke Partner miteinander<br />
verbindet, wie etwa in einer Anwaltssozietät.<br />
Den Ansatz der Rechtsprechung,<br />
das Kündigungsrecht gegen einen<br />
Gesellschafter nur an der<br />
Sittenwidrigkeitsschranke festzumachen,<br />
kritisiert Hey und fordert eine<br />
Gesamtschau der gesellschaftsrechtlichen<br />
Struktur, die sich schon weit un-<br />
terhalb der Sittenwidrigkeitsschwelle<br />
zum Beispiel am Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
orientieren muss. Ein Olympiaachter,<br />
in dem nur Leistungssportler<br />
sitzen, hat eine andere Struktur als<br />
eine privat genutzte Zwei-Mann-Jolle.<br />
Erst wenn man diese Unterschiede gedanklich<br />
erfasst hat, kann man die<br />
Frage nach der Sittenwidrigkeit einzelner<br />
Regelungen sinnvoll stellen. So<br />
gibt es zum Beispiel in eine echten<br />
Anwaltspartnerschaft keinen vernünftigen<br />
Grund dafür, einem Gesellschafter<br />
der seinen Gesellschaftsanteil ohne<br />
Vergütung erhalten hat, wie dies bei<br />
Anwaltssozietäten durchaus üblich ist,<br />
einen Abfindungsanspruch zuzubilligen,<br />
wenn der Gesellschaftsvertrag<br />
dies ausdrücklich ausschließt. Die<br />
Rechtsprechung hat bisher keinen vernünftigen<br />
Ansatz zur Lösung solcher<br />
Themen gefunden und Heys Arbeit<br />
zeigt, wo man sie suchen muss. Dass<br />
er dabei auch auf die verfassungsrechtlichen<br />
Wurzeln der Vertragsfreiheit<br />
hinweist, ist ein besonderer Verdienst.<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen,<br />
Berlin<br />
Stackmann, Nikolaus, Rechtsbehelfe<br />
im Zivilprozess, C.H. Beck, 1. Aufl.<br />
2004, München, kartoniert, 455 S.,<br />
32,00 E<br />
Der Titel des Buches zeigt bereits,<br />
worum es geht: Wie kann im Zivilprozess<br />
gegen gerichtliche Entscheidungen<br />
vorgegangen werden? Der Autor,<br />
Vorsitzender Richter einer Berufungsund<br />
Beschwerdekammer am LG München<br />
I und Autor wissenschaftlicher<br />
Aufsätze, gibt eine Übersicht über<br />
Rechtsbehelfe gegen Urteile der ersten<br />
Instanz, im Rechtsmittelverfahren und<br />
gegen andere gerichtliche Anordnungen.<br />
Dabei wird Wert auf das materielle<br />
Vorgehen, aber auch auf das Betrachten<br />
der Kostenseite gelegt.<br />
Stackmann beschreibt im ersten<br />
Teil die Möglichkeiten nach verschiedenen<br />
Entscheidungen. Schwerpunkt<br />
ist das Vorgehen gegen Urteile der ersten<br />
Instanz. Dazu gehört vor allem<br />
die Berufung. Die Voraussetzungen<br />
und Besonderheiten der Berufung werden<br />
dargestellt. Fristen sind dabei genauso<br />
zu beachten, wie die verschiedenen<br />
Rügemöglichkeiten für die<br />
Berufungsbegründung.<br />
Der zweite Teil befasst sich schwerpunktmäßig<br />
mit dem Vorgehen gegen<br />
Berufungsurteile. Dabei stehen die<br />
Grundlagen und Begründungen der<br />
Nichtzulassungsbeschwerde und der<br />
Revision im Mittelpunkt.<br />
MN<br />
Da Entscheidungen nicht nur durch<br />
Urteile ergehen, folgt ein dritter Teil,<br />
in dem Stackmann auch das Vorgehen<br />
gegen diese Entscheidungen, wiederum<br />
unter Berücksichtigung der Formalien<br />
und Kosten, dar. Dazu gehören<br />
z. B. Beschwerden oder Erinnerungen.<br />
Stackmann wendet sich mit seinem<br />
Aufbau an Praktiker, womit vor allem<br />
Richter und Rechtsanwälte gemeint<br />
sind. Gerade für Rechtsanwälte ist das<br />
Buch hilfreich, da sich am Ende der<br />
einzelnen Kapitel kostenrelevante<br />
Überlegungen nach RVG und BRAGO<br />
sowie die Bezifferung der Gerichtsund<br />
Parteikosten finden. Dies ist für<br />
die wirtschaftliche Abschätzung der<br />
Folgen der einzelnen Handlungen<br />
wertvoll. Der Rechtsanwalt kann so<br />
entscheiden, ob ein Angriff gegen Gerichtsentscheidungen<br />
wirtschaftlich<br />
sinnvoll ist. Darüber hinaus wird mit<br />
diesem Werk ein insgesamt kompakter<br />
und guter Überblick über die Verfahrensabläufe<br />
und -schritte gegeben.<br />
Rechtsanwalt Marc-André Delp,<br />
M.L.E., Hannover
XXVIII<br />
MN<br />
BÜCHER & INTERNET<br />
9 ibanet.org<br />
Die International Bar Association<br />
IBA stellt sich mit umfangreichen<br />
Informationen vor und unterhält<br />
neben der Präsentation der<br />
Vereinigung weitere Internetseiten,<br />
teils mit Foren, zu juristischen Themen.<br />
Es gibt also nicht nur die üblichen<br />
und zweifellos nützlichen Vereinsnachrichten,<br />
Termine und<br />
Ansprechpartner. So lassen sich<br />
über den Link zum www.globalcompetitionfo<br />
rum.org binnen weniger<br />
Für das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
im Internet:<br />
Rechtsanwältin<br />
Isa von Koeller,<br />
Online-Redakteurin<br />
von Marktplatz-Recht.de.<br />
Klicks die nationalen Wettbewerbsregelungen<br />
von zurzeit 166 Staaten<br />
aufrufen. Und bei www.anti-moneylaundering.org<br />
sind die nationalen<br />
Gesetze und weitere Informationen,<br />
vor allem die Anforderungen an den<br />
Anwalt, zur Geldwäsche nachzulesen.<br />
9 aija.org<br />
Auch die AIJA, die Association<br />
internationale des jeunes avocats,<br />
die sich selbst als einzige globale<br />
Vereinigung von Junganwälten präsentieren,<br />
stellt sich im Internet vor.<br />
Auf Englisch und Französisch gibt<br />
es Informationen zu den zahlreichen<br />
Veranstaltungen, von Seminaren bis<br />
zu den Jahreskongressen. Viele<br />
Links zu nationalen und internationalen<br />
Anwaltsverbänden und internationalen<br />
Organisationen sind auch<br />
aufgelistet.<br />
9 ccbe.org<br />
Die Internetseiten des Council of<br />
the Bars and Law Societies of Europe<br />
(CCBE) sind auf Englisch,<br />
Spanisch oder Französisch abrufbar.<br />
Hier sind die Organisationen nach<br />
Ländern sortiert aufgelistet, die Mitglied<br />
im CCBE sind oder Beobachterstatus<br />
haben, inklusive der Ansprechpartner<br />
und Links zu den<br />
jeweiligen Internetadressen. Auch<br />
die Zusammensetzungen der Komitees<br />
und Arbeitsgruppen werden na-<br />
mentlich genannt. Vor allem werden<br />
die Stellungnahmen und Dokumente<br />
der Ausschüsse veröffentlicht. Das<br />
Arbeitsspektrum auf europäischer<br />
Ebene ist breit – von C wie Company<br />
Law über F wie Free Movement<br />
of Lawyers bis T wie Training<br />
arbeiten die Komitees. Bei den Dokumenten<br />
zur Ausbildung ist eine<br />
interessante Tabelle eingestellt, die<br />
die Dimension des Vorhabens illustriert,<br />
die Juristenausbildung zu vereinheitlichen:<br />
Auf 200 Seiten sind<br />
die bisherigen Ausbildungswege der<br />
Juristen dargestellt, für jeden Mitgliedsstaat<br />
sind Fragen über die<br />
Ausbildung beantwortet, was ein<br />
sehr buntes Bild abgibt. Zum<br />
Download bereit stehen weitere Dokumente,<br />
die von der Startseite aus<br />
zu erreichen sind. So steht der Code<br />
of Conduct, die Berufsregeln der<br />
Rechtsanwälte der Europäischen<br />
Union, zur Verfügung, ausnahmsweise<br />
unter anderem auch in deutscher<br />
Fassung. Außerdem sind die<br />
nationalen Berufsordnungen der<br />
Mitgliedsstaaten zu finden, meist allerdings<br />
nur in der Landessprache.<br />
Auch einige Publikationen und<br />
Pressemitteilungen sind online verfügbar.<br />
Interessant sind auch die<br />
Statistiken der Anzahl der Rechtsanwälte<br />
in den Mitgliedsstaaten und<br />
Informationen zur CCBE Identity<br />
Card.<br />
9 abanet.org<br />
Die American Bar Association<br />
bietet Informationen für verschiedene<br />
Zielgruppen, für Anwälte, Studenten<br />
und für juristische Laien. In<br />
den „Lawyer Resources“ ist das<br />
ABA Journal zu finden, das tagesaktuelle<br />
Beiträge zur Rechtspolitik<br />
liefert. Es wird sogar eine spezielle<br />
Version für Blackberry-Nutzer angeboten.<br />
Eine eigene Rubrik befasst<br />
sich mit „Services for Your Practice“,<br />
in der unter anderem Artikel<br />
zu „Risk Management & Professional<br />
Liability“ eingestellt sind, die<br />
sich mit vielen Aspekten rund um<br />
die Berufshaftpflichtversicherung<br />
beschäftigt, Interessenskonflikte,<br />
Umgang mit E-Mails und Tipps zur<br />
Vermeidung von Haftpflichtfallen.<br />
Grundlegende Einführungen in das<br />
US-amerikanische Rechtssystem<br />
bietet die Rubrik „Fact Books“ in<br />
den „Public Resources“.<br />
AnwBl 12/2005<br />
Grandes plaidoiries & Grands procès<br />
du XV e au XX e siècle. Hrsg.von Nicolas<br />
Corato in Zusammenarbeit mit<br />
der Anwaltskammer Paris, Prat éditions<br />
– Reed Business Information,<br />
Paris 2004, 672 Seiten, 29,90 E, ISBN<br />
285890-814-1.<br />
Dieses Buch über bedeutende französische<br />
Prozesse und Plädoyers des<br />
15. bis 20. Jahrhunderts gibt nicht nur<br />
einen Einblick in die Kunst der Argumentation,<br />
sondern spiegelt zugleich<br />
die Literatur- und politische Geschichte<br />
Frankreichs wieder. Die Herausgeber<br />
haben 34 Gerichtsverfahren<br />
ausgewählt, wobei der Schwerpunkt<br />
auf dem 19. Jahrhundert liegt. Die<br />
Darstellung folgt einem einheitlichen<br />
Schema: In einer kurzen Einführung<br />
werden die historischen Hintergründe<br />
und die Fakten der Prozesse erläutert.<br />
Dann wird die Vita der Verfasser der<br />
Plädoyers skizziert, deren Ausführungen<br />
anschließend im Wortlaut – wenn<br />
auch oft mit Auslassungen – abgedruckt<br />
sind. Die Beiträge enden mit<br />
Auszügen aus dem Urteil oder aus literarischen<br />
Werken, die sich mit den beschriebenen<br />
Ereignissen befassen. Auf<br />
einen wissenschaftlichen Apparat haben<br />
die Herausgeber verzichtet.<br />
Unter anderem werden die Strafverfahren<br />
gegen Flaubert wegen des Romans<br />
„Madame Bovary“ und gegen<br />
Baudelaire wegen seiner Gedichtsammlung<br />
„Die Blumen des Bösen“<br />
geschildert. Beide wurden angeklagt,<br />
mit ihrem Werk gegen die guten Sitten<br />
verstoßen zu haben. Für Flaubert endete<br />
der Prozess mit einem Freispruch,<br />
während Baudelaire zu einer Geldstrafe<br />
verurteilt wurde.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt sind die<br />
politischen Prozesse, wie z. B. gegen<br />
den letzten französischen König Louis<br />
XVI und seine Ehefrau Marte-Antoinette,<br />
die beide in der französischen<br />
Revolution zum Tode verurteilt wurden.<br />
Auch der Prozess gegen den jüdischen<br />
Hauptmann Dreyfus wegen<br />
Hochverrats und der Prozess gegen<br />
seinen Unterstützer Emile Zola wegen<br />
Verunglimpfung der Armee werden<br />
dargestellt.<br />
Das Buch ist hübsch ausgestaltet und<br />
enthält viele Bilder. Es eignet sich daher<br />
bestens als Geschenk, und zwar nicht<br />
nur für Frankreichliebhaber, sondern<br />
auch für (französischsprachige) Juristen,<br />
die sich für Rhetorik interessieren.<br />
Prof. Dr. Joachim Gruber D.E.A.<br />
(Paris I), Zwickau
XXXII<br />
MN<br />
SCHLUSSPLÄDOYER<br />
Stellt sich den Fragen des <strong>Anwaltsblatt</strong>s:<br />
Rechtsanwältin Dr. Ute Döpfer<br />
aus Oberursel (Taunus) ist Mitglied<br />
des Vorstands des Deutschen Anwaltvereins.<br />
Sie ist seit zwölf Jahren<br />
Rechtsanwältin und arbeitet in einer<br />
Einzelkanzlei. Ihre Schwerpunkte liegen<br />
auf dem Gebiet des Strafrechts<br />
und des Steuerstrafrechts sowie des<br />
Pferde-Sportrechts. Sie ist Mitglied im<br />
DAV, weil Kommunikation und Fortbildung<br />
für sie zum Kernbereich und Wesen<br />
des anwaltlichen Berufs gehören.<br />
Warum sind Sie Anwältin geworden?<br />
Weil ich Dinge selten widerspruchslos<br />
hinnehmen kann.<br />
Schon einmal überlegt, die Zulassung<br />
zurückzugeben?<br />
Nein! – Gemäß meinem Motto: Und<br />
jetzt gerade ...<br />
Ihr größter Erfolg als Anwältin?<br />
Der Freispruch für einen Mandanten,<br />
von dessen Schuld und Strafbarkeit<br />
alle – außer mir natürlich – überzeugt<br />
waren.<br />
Ihr Stundensatz?<br />
So viel, dass ich – wie es meine Arbeit<br />
erfordert – zu jeder Tages- und<br />
Nachtzeit noch etwas Essbares einkaufen<br />
kann.<br />
Ihr Traummandat?<br />
Jeder Fall, in dem es mir gelingt, mit<br />
juristischer Argumentation (und gegebenenfalls<br />
gutachterlicher Hilfe) neue<br />
Perspektiven zu Gunsten des Mandanten<br />
zu eröffnen.<br />
Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal<br />
nicht nachsagen?<br />
Sie geht mit dem Kopf durch die<br />
Wand.<br />
Welches Lob wünschen Sie sich von<br />
einem Mandanten?<br />
Mit dem Verfahrensausgang kann ich<br />
leben.<br />
AnwBl 12/2005<br />
DAV-Haus (Littenstr. 11, 10179 Berlin)<br />
Deutscher Anwaltverein<br />
Fon: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90<br />
dav@anwaltverein.de, www.anwaltverein.de<br />
Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
Fon: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91<br />
anwaltsblatt@anwaltverein.de<br />
www.anwaltsblatt.de<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Fon: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11,<br />
daa@anwaltakademie.de<br />
www.anwaltakademie.de<br />
Deutsche Anwaltadresse<br />
Fon: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77<br />
adresse@anwaltverein.de<br />
DAV-Anwaltausbildung<br />
Fon: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63<br />
anwaltausbildung@anwaltverein.de<br />
www.dav-anwaltausbildung.de<br />
Arbeitsgemeinschaften im DAV<br />
Infos unter Fon: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190<br />
DAV Büro Brüssel<br />
Avenue de la Joyeuse Entrée, 1<br />
Blijde Inkomstlaan, B-1040 Bruxelles / Brussel<br />
Fon: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13<br />
bruessel@anwaltverein.de,<br />
www.anwaltverein.de/bruessel<br />
Deutscher Anwaltverlag<br />
Wachsbleiche 7, 53111 Bonn<br />
Fon: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23<br />
kontakt@anwaltverlag.de, www.anwaltverlag.de<br />
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Der DAV begrüßt grundsätzlich die Verwendung<br />
seines Logos durch die Mitglieder der örtlichen<br />
Anwaltvereine. Der DAV gestattet daher als Inhaber<br />
der Rechte an diesem Logo, ausschließlich<br />
den Mitgliedern der örtlichen Anwaltvereine,<br />
dieses – ohne Schriftzug „Deutscher Anwaltverein“<br />
– zu verwenden. Das Logo und die exakten<br />
Verwendungsbedingungen finden Sie im Internet<br />
unter www.anwaltverein.de/08/index.html.