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Dezember - Anwaltsblatt

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„Cicero“ –<br />

Pressefreiheit und<br />

Geheimnisverrat<br />

Claudia Venohr, NDR-Info<br />

Die Veröffentlichung eines offenbar<br />

vertraulichen Dossiers des Bundeskriminalamts<br />

(BKA) über den mutmaßlichen<br />

Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi<br />

im monatlich erscheinenden<br />

Magazin „Cicero“ rief die Staatsanwaltschaft<br />

auf den Plan. In Abwesenheit<br />

des Autors wurden sowohl die Redaktionsräume<br />

als auch das Privathaus<br />

des Journalisten durchsucht und kistenweise<br />

Akten beschlagnahmt. Der Vorwurf:<br />

Beihilfe zum Geheimnisverrat,<br />

§ 353 b Strafgesetzbuch. Der Artikel<br />

war bereits in der April-Ausgabe des<br />

Magazins zu lesen. Doch erst Monate<br />

später – im August – wurde vom BKA<br />

eine Ermächtigung für die Durchsuchungsaktion<br />

beantragt und noch ein<br />

paar Wochen später die Staatsanwaltschaft<br />

Potsdam in Marsch gesetzt.<br />

Merkwürdig! Aber wahrscheinlich<br />

gibt es dafür eine einfache Erklärung:<br />

im BKA wurde offenbar seit geraumer<br />

Zeit ein so genanntes „Leck“ vermutet.<br />

Interne Ermittlungen gegen Unbekannt<br />

blieben anscheinend ohne Erfolg. Bekannt<br />

hingegen ist der Journalist, Bruno<br />

Schirra, der den Artikel schrieb und darin<br />

auch das BKA als Quelle zitierte,<br />

freilich ohne konkrete Namensnennung.<br />

Nach dem Motto: „der Spatz in<br />

der Hand ist besser als die Taube auf<br />

dem Dach“ überzog man den Journalisten<br />

mit einem Ermittlungsverfahren<br />

wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat.<br />

Auf diese Art umgeht man gleich<br />

mehrfach verbrieftes Recht: Die verfassungsrechtlich<br />

verbürgte Pressefreiheit,<br />

inklusive Redaktionsgeheimnis,<br />

Vertraulichkeit zwischen Presse und<br />

Informanten sowie das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

von Journalisten, festgeschrieben<br />

in der Strafprozessordnung.<br />

Schöne Theorien, doch was sie<br />

in der Praxis taugen, verdeutlicht der<br />

Fall „Cicero“. Die Strafbarkeitsgrenze<br />

– insbesondere auf investigativem<br />

journalistischem Tätigkeitsfeld – ist<br />

mitunter schnell erreicht. Ein strafrechtlicher<br />

Vorwurf lässt sich problemlos<br />

konstruieren.<br />

Doch davon abgesehen wirft der<br />

Fall „Cicero“ vor allem ein Schlaglicht<br />

auf das offensichtlich völlig gestörte<br />

Verhältnis zwischen Politik und Presse.<br />

Es ist wie der berühmte Finger in der<br />

offenen Wunde, die sich immer wieder<br />

neu entzündet. Wie tief diese Wunde<br />

inzwischen klafft, wurde einer breiten<br />

Öffentlichkeit bereits in der so genannten<br />

„Elefantenrunde“ am Wahlabend<br />

Eine freie Presse ist<br />

unerlässlich für den<br />

demokratischen Rechtsstaat<br />

des 18. September vorgeführt. Ein gereizter<br />

Kanzler Gerhard Schröder, der<br />

nur noch Gift und Galle für die Art<br />

und Weise der Berichterstattung übrig<br />

hatte. Die Messer, so scheint es, sind<br />

gewetzt für das Hauen und Stechen<br />

um die Pressefreiheit und ihre Grenzen.<br />

Da kommt die Cicero-Geschichte<br />

gerade recht. Geheimnisverrat von<br />

Staatsschutzinteressen lautet der<br />

Schlachtruf auf der einen Seite, Polizeistaat<br />

und Verfassungsbruch auf der<br />

anderen. Beiden Seiten fehlt es an Besonnenheit<br />

und Augenmaß, von wohl<br />

tuenden Ausnahmen abgesehen, zu denen<br />

Otto Schily jedenfalls nicht zählt.<br />

Als Bundesinnenminister ist er inzwischen<br />

Geschichte. Mit diesem Vorfall,<br />

kurz vor seinem Abgang, bestätigte<br />

er jedoch einmal mehr sein<br />

gespaltenes Verhältnis zu Presse und<br />

Medien. Es misslang Schily schon<br />

häufiger, die Rechte von Journalisten<br />

zu beschränken, die möglicherweise<br />

von brisanten, geheimen Vorgängen erfahren<br />

könnten. Beispielsweise beim<br />

Versuch, auch die Redaktionsräume<br />

per großem Lauschangriff notfalls verwanzen<br />

zu können. Die Rechtfertigung<br />

durch Bedrohungsszenarien, wie internationalem<br />

Terrorismus oder „OK“<br />

– Organisierter Kriminalität – waren<br />

dabei immer wieder sozusagen das<br />

„Totschlagsargument“ für weitere Ein-<br />

AnwBl 12/2005<br />

schränkungen der grundgesetzlich garantierten<br />

Pressefreiheit. Kontrollverlust<br />

ist offenbar das, was Schily um<br />

jeden Preis vermeiden will. Die Tatsache,<br />

dass ein Journalist vertrauliche<br />

Akten des Bundeskriminalamts veröffentlichte,<br />

schien weniger wegen der<br />

Inhalte ein Problem zu sein. Das Geheimdossier<br />

aus dem Bundeskriminalamt<br />

bringt nicht viel Neues an den Tag,<br />

schon gar keine Sensationen, die Staatsschutzinteressen<br />

gefährden könnten.<br />

Ex-Minister Schily erzürnte wohl<br />

vor allem der unterschwellige Vorwurf,<br />

er habe sein Haus nicht im Griff.<br />

Da der vermeintliche Verräter in seinem<br />

Verantwortungsbereich nicht entdeckt<br />

werden konnte, wurde kurzerhand<br />

in Redaktionsstuben und<br />

Privaträumen nach brisanten Unterlagen<br />

gefahndet. Bei dieser Gelegenheit<br />

sind so genannte „Zufallsfunde“ nicht<br />

ausgeschlossen und, wie der Fall „Cicero“<br />

zeigte, auch herzlich willkommen.<br />

Die Durchsuchung war insofern<br />

offenbar eine lohnenswerte Angelegenheit,<br />

denn Materialien – beispielsweise<br />

zur „Leuna-Affäre“ – die ebenfalls<br />

als Verschlusssachen gelten,<br />

sollen sich darunter befunden haben.<br />

Nun werden noch andere Amtsträger<br />

in den Verdacht der Verletzung des<br />

Dienstgeheimnisses oder gar des Landesverrats<br />

geraten. Und der journalistische<br />

„Gehilfe“ hängt mitten drin, im<br />

Netz der Verdächtigungen.<br />

Wohin das führen kann, demonstrierte<br />

vor rund 40 Jahren die so genannte<br />

„SPIEGEL-Affäre“. Brisantes<br />

Bundeswehrmaterial wurde damals<br />

veröffentlicht und die gesamte Führungsetage<br />

der Redaktion kurzfristig<br />

inhaftiert. Ein rechtswidriger Vorgang,<br />

als dieser sich auch die aktuelle Beschlagnahme<br />

beim Autoren des „Cicero“<br />

herausstellen könnte. Dieser unverhältnismäßige<br />

Eingriff in die<br />

Pressefreiheit könnte fatale Folgen<br />

nach sich ziehen. Wer wird sich Presse<br />

und Medien noch anvertrauen, wenn<br />

er anschließend mit dem Staatsanwalt<br />

rechnen muss? Eine freie Presse ist<br />

aber unerlässlicher Bestandteil eines<br />

demokratischen Rechtsstaats. Wer die<br />

Verwirklichung der Pressefreiheit ins<br />

Ermessen von Behörden stellt, verlässt<br />

und verletzt diese Regeln. Wenn das<br />

Cicero wüsste! Der schrieb vor mehr<br />

als 2000 Jahren: „In Irrtum verfallen,<br />

beschieden ist’s allen. Im Irrtum verharren,<br />

ist Vorrecht der Narren ...“

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