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Dezember - Anwaltsblatt

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AnwBl 12/2005 749<br />

THEMA<br />

Sag mir, wo die Millionen<br />

sind! Wo sind sie geblieben?<br />

Was „Opferanwälte“ in Großschadensfällen<br />

angekündigt und was sie erreicht haben<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Ronald Schmid, Frankfurt am Main<br />

Über die Amerikanisierung des Anspruchsdenkens hatte<br />

der Autor in AnwBl 2003, 672 geschrieben. In diesem Beitrag<br />

schildert er, was aus den häufig vollmundigen Ankündigungen<br />

der Rechtsanwälte geworden ist.<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt in<br />

Frankfurt am Main und Honorar-Professor<br />

für Luftverkehrsrecht<br />

und Reiserecht an den<br />

Technischen Universitäten<br />

Darmstadt und Dresden.<br />

I. Einleitung<br />

Was haben Djerba, Erfurt, Eschede, Ramstein und Kaprun<br />

gemeinsam? Sie stehen als Synonym für Anschläge<br />

auf menschliches Leben oder Unfälle, die viel Leid gebracht<br />

haben. Mit diesen Namen verbindet der Fachmann<br />

aber auch Versprechen von „Opferanwälten“, die in allen<br />

Fällen den Hinterbliebenen hohe Schadensersatz- und<br />

Schmerzensgeldansprüche („Forderungen in Millionenhöhe“)<br />

in Aussicht gestellt haben. Dabei wird – aus Unwissenheit<br />

oder bestimmten Kalkül heraus – auch mit abwegiger<br />

Begründung ein künstlicher Anknüpfungspunkt<br />

gesucht, um Zugang zur US-amerikanischen Justiz zu finden,<br />

obwohl dies bei sachkundiger Betrachtung häufig nicht<br />

möglich ist.<br />

Ich will hier nicht erneut1 zweifelhafte Aktionen bestimmter<br />

Anwälte kritisieren. Es scheint mir jedoch an der<br />

Zeit, einmal sachlich, aber kritisch zu beleuchten, was versprochen<br />

und was erreicht wurde. Zweck des Beitrages ist<br />

es, deutlich zu machen, dass es leicht ist, einen Prozess in<br />

den USA anzukündigen, es aber um ein Vielfaches schwerer<br />

ist, dieses auch erfolgreich zu tun. Und dass es nicht immer<br />

zum Vorteil der Geschädigten gereichen muss, mit der<br />

Klage in den USA zu drohen, wenn nicht ein klarer Anknüpfungspunkt<br />

an das US-Rechtssystem gegeben ist. 2<br />

Denn einen Rechtstreit erfolgreich vor einem US-Gericht<br />

zu führen, bedarf besonderer Kenntnisse. 3<br />

II. Sieben exemplarische Fälle<br />

1. Die Flugschau-Katastrophe von Ramstein am 28.8.1988<br />

Mehr als zehn Jahre nach der Flugschau-Katastrophe in<br />

Ramstein (Pfalz) haben im April 2001 zwei deutsche Anwälte,<br />

die nach ihren Angaben 84 der Verletzten und Hin-<br />

MN<br />

terbliebenen vertraten, in einem Interview verbreitet, dass<br />

sie die Vereinigten Staaten als für die Durchführung der<br />

Flugschau auf der US-amerikanischen Airbase Verantwortliche<br />

auf Schadensersatz in Höhe von 50 Mio. DM verklagen<br />

wollten – natürlich in den USA. 4 Nur ein halbes Jahr<br />

später war dann in der Presse5 zu lesen, dass (nur) Klagen<br />

gegen die Bundesregierung vor dem LG Koblenz eingereicht<br />

wurden. Und für die posttraumatischen Verletzungen<br />

und seelischen Störungen wurden nunmehr in fünf exemplarischen<br />

Klagen (nur) 100.000 DM pro Opfer eingeklagt,<br />

obwohl ersichtlich war, dass die Ansprüche verjährt waren<br />

bzw. einige der Opfer schon Abfindungserklärungen unterschrieben<br />

hatten. Dem Hinweis der Richter, dass nach dem<br />

NATO-Truppenstatut Ansprüche auf Schadensersatz spätestens<br />

nach drei Jahren angemeldet werden mussten, begegnete<br />

der Klägeranwalt mit dem Argument, dass die psychischen<br />

Spätfolgen erst in den Jahren 1998 und 1999<br />

eingetreten seien. 6<br />

Noch am 28. August 2003 kündigte einer der beiden<br />

Opferanwälte an, „notfalls vor dem OLG Koblenz oder in<br />

den USA weiter zu klagen, wenn das Landgericht die Entschädigung<br />

versagt“. 7 Gefordert wurden laut diesem Pressebericht<br />

übrigens inzwischen fünf Mio. EUR für rund 100<br />

Betroffene.<br />

Am 4. September 2003 wurden dann die Klagen abgewiesen,<br />

weil die Forderungen bereits verjährt waren. 8 Am<br />

Tag der Urteilsverkündung wurde wiederum angekündigt,<br />

man werde „erneut eine Schadensersatzklage in den USA<br />

prüfen“. 9 Die dann beim OLG Koblenz zunächst eingelegte<br />

Berufung hat der Klägeranwalt zurückgezogen, weil sie<br />

„nur wenig Erfolgsaussichten“ habe. Auch die zunächst erwogene<br />

Klage in den Vereinigten Staaten von Amerika<br />

habe nur „geringe Aussichten auf Erfolg“. 10 Der Einschätzung<br />

kann nicht widersprochen werden. Man fragt sich allerdings,<br />

warum diese Erkenntnis erst jetzt gekommen ist.<br />

2. Der ICE-Unfall bei Eschede am 3.6.1998<br />

Auch nach dem Unfall des ICE 884 am 3. Juni 1998 bei<br />

Eschede, bei dem insgesamt 101 Menschen ums Leben gekommen<br />

und 105 weitere verletzt worden waren, hat ein<br />

deutscher Anwalt der Deutschen Bahn eine Klage in den<br />

USA in Aussicht gestellt. 11 Der von ihm zugezogene US-<br />

Anwalt drohte dann kurz darauf, „Schadensersatzzahlun-<br />

1 Siehe dazu z. B. Schmid, Anwalt 2001, 6 ff.; AnwBl. 2003, 672 ff.; Anwaltsrevue<br />

(Schweiz) 2004, 149 ff. Siehe auch Die Welt vom 14.3.2203 („Opferanwälte<br />

– eine neue Plage“).<br />

2 So z. B: im Fall Concorde durch Art. 28 WA.<br />

3 Allgemein dazu: Koch, in: Koch/Willingmann, Modernes Schadensmanagement<br />

bei Großschäden (Baden-Baden 2002), S. 23 ff.; Klicka, VersR 2001, 173<br />

= ZVR 2002, 182; Willingmann, in: Koch/Willingmann, Modernes Schadensmanagement<br />

bei Großschäden (Baden-Baden 2002), S. 15 ff.<br />

4 Rhein-Zeitung vom 15.4.2001; Tagesspiegel (Berlin) vom 15.4.2001.<br />

5 Berliner Zeitung vom 26.10.2001 (Rubrik Vermischtes).<br />

6 AP-Meldung vom 31.1.2002, 11:14 Uhr.<br />

7 Jutta Steinhoff, in: Frankfurter Neue Presse vom 28.8.2003.<br />

8 ZLW 2004, 277.<br />

9 AP-Meldung in: Stuttgarter Nachrichten vom 4.9.2003.<br />

10 Siehe FAZ vom 2.3.2004, S. 11.<br />

11 Mannheimer Morgen vom 21.2.2002; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom<br />

3.9.2002, S. 9.

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