Dezember - Anwaltsblatt
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AnwBl 12/2005 I<br />
EDITORIAL<br />
Anwaltsgeschichte –<br />
Spiegelbild unserer<br />
Gesellschaft<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Herausgeber<br />
des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />
Dass Anwälte zu fast allen Zeiten<br />
eine wichtige Rolle in unserer und für<br />
unsere Gesellschaft spielten, hat mindestens<br />
zwei tragende Gründe: Anwälte<br />
übersetzen und besorgen Recht<br />
für den Bürger. Dieser konnte zu keiner<br />
Zeit aus eigener Kraft den Umfang<br />
seiner Rechte erkennen und diese ausschöpfen.<br />
Ebenso wenig konnte er zutreffend<br />
einschätzen, ob ihm Unrecht<br />
getan wird und was dagegen zu tun<br />
ist. Das gilt heute mehr denn je.<br />
Anwälte stehen insofern überall da<br />
mitten drin, wo es Konflikte gibt, solche<br />
zu befürchten sind bzw. es sie zu<br />
vermeiden gilt. Anwälte arbeiten also<br />
hart am Puls der Gesellschaft. Andererseits<br />
tragen Anwälte durch ihre Tätigkeit<br />
zum Funktionieren der Rechtsordnung<br />
bei, die als Ordnungsprinzip<br />
eine wichtige Voraussetzung für ein<br />
gedeihliches Zusammenleben und einen<br />
funktionierenden Staat ist. Insofern<br />
ist der Staat gewissermaßen auf<br />
die Anwaltschaft angewiesen und in<br />
seinem Machtstreben von ihrer Tätigkeit<br />
betroffen.<br />
Grund genug, die Anwälte zu allen<br />
Zeiten mit lebhaftem Interesse, aber<br />
auch mit Argwohn in den Blick zu<br />
nehmen. Die Geschichte des Kampfes<br />
um eine freie Advokatur spricht davon<br />
Bände. Die Rolle führender Anwälte<br />
für das Zurückdrängen absoluter<br />
Strukturen zu Gunsten einer freiheitlichen<br />
Ordnung ebenso. Umso schlimmer,<br />
dass ein großer Teil der Anwaltschaft<br />
dem antidemokratischen,<br />
Menschen verachtenden und rassistischen<br />
Zeitgeist der Nationalsozialisten<br />
ebenso wie ihr gesellschaftliches Umfeld,<br />
insbesondere auch die Justiz, erlegen<br />
ist. Dies ist bereits Gegenstand<br />
verschiedener Untersuchungen gewesen<br />
und wird in diesem Heft (S. 725)<br />
nunmehr von Professor Dr. Hinrich<br />
Rüping auf der Grundlage neuerlicher<br />
Untersuchungen über die Verhältnisse<br />
im Bereich der Rechtsanwaltskammer<br />
Celle weiter vertieft. Dass die Anwaltschaft<br />
auch in der Zeit nach 1945 in<br />
Ost und West in vieler Hinsicht dem<br />
Zeitgeist gefolgt und zunächst der Opportunität,<br />
dann aber in mancher Hinsicht<br />
dem Opportunismus erlegen ist,<br />
MN<br />
will ich in den nächsten Jahren näher<br />
belegen.<br />
Weitere Beiträge in diesem Heft<br />
zeigen auf eine andere Facette anwaltlichen<br />
Zeitgeistes. Dr. Joachim Jahn<br />
(FAZ) beleuchtet in diesem Heft<br />
(S. 744) den Umgang zwischen Anwälten<br />
und Journalisten. Von ihm erfährt<br />
der Leser mit Schmunzeln von<br />
dem emsigen Bemühen vieler Kollegen<br />
um Erwähnung in den Medien<br />
und den dabei alltäglichen Ungeschicklichkeiten.<br />
Man mag nach dieser<br />
Lektüre kaum glauben, dass die Zeiten<br />
des anwaltlichen Werbeverbotes und<br />
seiner drakonischen Anwendung durch<br />
die Kammern erst 18 Jahre zurückliegen.<br />
Umgekehrt macht Jahn deutlich,<br />
wie sehr die Berichterstattung der Medien<br />
auf eine fruchtbare Zusammenarbeit<br />
mit Anwälten angewiesen ist. Die<br />
Anwaltschaft liefert ihnen illustratives<br />
Fallmaterial, an dem deutlich wird,<br />
was funktioniert und wo es warum<br />
hakt. Durch Hintergrundgespräche<br />
wecken Anwälte Verständnis und treten<br />
Missverständnissen entgegen.<br />
Rechtsanwalt Professor Dr. Ronald<br />
Schmid beschreibt eine weniger<br />
schöne Art, wie sich Anwälte ihre Erwähnung<br />
in den Medien sichern. Es<br />
geht um die Gruppe von Kollegen, die<br />
Tragödien und Großschadensfälle ausnutzen,<br />
um mit daran geknüpften abstrusen<br />
Schadenersatzforderungen<br />
amerikanischer Lesart und der Drohung<br />
der Anrufung amerikanischer<br />
Gerichte Aufsehen zu erregen (S.<br />
749). Dass sich hinter diesen Forderungen<br />
oft überwiegend heiße Luft<br />
und wenig Substanz befindet, zeigt<br />
Schmid an einer Reihe eindrucksvoller<br />
Beispielsfälle auf.