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Dezember - Anwaltsblatt

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AnwBl 12/2005 785<br />

HAFTPFLICHTFRAGEN<br />

Der Schadensbegriff in der<br />

Anwaltshaftung<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk,<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

In vielen Anwaltshaftungsfällen ist eine Verletzung von<br />

Pflichten aus dem Mandatsvertrag offensichtlich, beispielsweise<br />

bei der Versäumung von Fristen. Das Verschulden<br />

ist regelmäßig indiziert. Dass sich daraus aber nicht<br />

automatisch ein kausaler Schaden ergibt, ist aus Sicht des<br />

betroffenen Mandanten manchmal schwer nachvollziehbar:<br />

Das subjektiv-laienhafte Gefühl „geschädigt“ zu sein<br />

steht nicht immer im Einklang mit dem Ergebnis der juristischen<br />

Betrachtungsweise.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

aus München.<br />

I. Abgrenzung von Schaden und<br />

Schadenskausalität<br />

1. Der Schadensbegriff<br />

Wann kann man eigentlich von einem „Schaden“ sprechen?<br />

Eine gesetzliche Definition hierzu fehlt. Der objektive<br />

Zustand einer Sache oder eine bestimmte Vermögenssituation<br />

allein begründen noch keinen Schaden. Ein<br />

Schaden ergibt sich immer erst aus einem Zustandsvergleich<br />

einer Sache oder eines Vermögens zu zwei verschiedenen<br />

Zeitpunkten, nämlich vor und nach der schädigenden<br />

Handlung. Ein beschädigtes Fahrzeug führt nur dann zu einem<br />

Schaden des Eigentümers, wenn es vor der Schädigungshandlung<br />

nicht oder weniger beschädigt war. In Anwaltshaftungsfällen<br />

geht es in der Regel aber nicht um die<br />

Beschädigung einzelner Gegenstände, sondern um die<br />

Schädigung des Vermögens des Mandanten. Hier stellt sich<br />

der Vergleich zu zwei verschiedenen Zeitpunkten etwas<br />

komplexer dar. Auf den ersten Blick ist die Vermögenssituation<br />

vor und nach einem – durch Anwaltsverschulden<br />

– verlorenen Aktivprozess gleich (jedenfalls wenn die Kosten<br />

durch einen Rechtsschutzversicherer übernommen werden).<br />

Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass die noch<br />

nicht gerichtlich geltend gemachte Forderung vor Prozessbeginn<br />

schon ein Aktivum in der persönlichen Vermögensbilanz<br />

war, das nach verlorenem Prozess „auszubuchen“<br />

ist. Jedem Mandatsvertrag liegt ja ein potenzieller Anspruch<br />

zu Grunde, der dem Vermögen auf der Aktiv- oder<br />

Passivseite zuzurechnen ist. Ein begründeter Anspruch, der<br />

nicht durchgesetzt wird, stellt dann genauso einen Schaden<br />

dar wie die unbegründete Forderung gegen den Mandanten,<br />

die gleichwohl tituliert wird.<br />

MN<br />

2. Abgrenzung der Kausalitätsfrage<br />

Bereits an dieser Stelle zeigt sich, dass die Abgrenzung<br />

zwischen dem Schadensbegriff an sich und der Frage nach<br />

der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden<br />

schwierig ist. Nehmen wir den Fall, dass eine unzweifelhaft<br />

begründete Forderung des Mandanten durch Verschulden des<br />

Rechtsanwalts verjährt und demzufolge nicht mehr durchsetzbar<br />

ist. Es ist dann eine Voraussetzung des Schadens<br />

selbst, dass der Anspruch überhaupt materiell-rechtlich begründet<br />

war. Wenn der Schuldner aber bereits vor der Pflichtverletzung<br />

vermögenslos war, käme man bei dem Vermögensvergleich<br />

mangels Werthaltigkeit der Forderung<br />

dazu, dass gar kein Schaden entstanden ist. Ist die Vermögenslosigkeit<br />

hingegen erst nach der anwaltlichen Pflichtverletzung<br />

eingetreten, käme man zunächst zu einem Schaden.<br />

Ob der Schadenseintritt auch in Ansehung der<br />

Vermögenslosigkeit des Schuldners durch die Pflichtverletzung<br />

„verursacht“ wurde, gehört dann zur Kausalitätsprüfung.<br />

Ähnlich verhält es sich mit der versäumten Rechtsmittelfrist:<br />

Die Nichtdurchführbarkeit des Rechtsmittelverfahrens<br />

selbst ist an sich kein Schaden. Dieser ergibt sich erst aus<br />

dem Vergleich zwischen der Situation vor Fristversäumung<br />

(zwar klageabweisendes Urteil, aber die Chance, den Anspruch<br />

doch noch zugesprochen zu bekommen) und nachher<br />

(endgültige Klageabweisung). Um das Vermögen vor<br />

Ablauf der Berufungsfrist zu beziffern, müsste man die<br />

Werthaltigkeit des Anspruchs prüfen, also dessen objektive<br />

Begründetheit. Dennoch wird diese Frage regelmäßig unter<br />

dem Stichwort „hypothetischer Kausalverlauf“ bzw. „hypothetischer<br />

Vorprozess“ untersucht. Die Beispiele zeigen,<br />

dass eine strenge dogmatische Trennung von Schaden und<br />

Schadenskausalität kaum möglich ist.<br />

II. Die Schadensproblematik in der jüngeren<br />

Rechtsprechung<br />

Unbeschadet der eben aufgezeigten Abgrenzungsprobleme<br />

sind bestimmte Fallgruppen zumindest schwerpunktmäßig<br />

beim eigentlichen Schadensbegriff anzusiedeln. Die<br />

Differenzhypothese besagt, dass die jeweilige Vermögenssituation<br />

vor und nach der schädigenden Handlung gegenüber<br />

zu stellen sind. Im Einzelnen kann hier aber vieles<br />

zweifelhaft sein.<br />

1. Betroffene Vermögenspositionen<br />

Das Gesamtvermögen eines Mandanten kann mehr oder<br />

weniger umfangreich sein und der Bestand verändert sich<br />

praktisch täglich. Niemand würde wohl auf die Idee kommen,<br />

den Verlust eines Regenschirms in der U-Bahn als einen<br />

Schaden anzusehen, der durch einen vom Rechtsanwalt<br />

verschuldeten ungünstigen Unterhaltsvergleich verursacht<br />

wurde. Es muss also darum gehen, die potenziell von dem<br />

Anwaltsfehler betroffenen Vermögenspositionen zu bestimmen.<br />

Die Rechtsprechung stellt dabei auf den Schutzzweck<br />

des verletzten Beratungsvertrages ab. Bei fehlerhafter Beratung<br />

über die steuerlichen Vorteile einer gesellschaftsrechtlichen<br />

Beteiligung kommt demzufolge auch nur eine Haftung<br />

für ausgebliebene Steuervorteile, nicht für einen<br />

ausgebliebenen Unternehmenserfolg in Betracht (BGH<br />

NJW-RR 2003, 1035). Strafrechtliche Sanktionen können

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