Dezember - Anwaltsblatt
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MN<br />
II. Aktienrecht vor Berufsrecht<br />
Bei der Auseinandersetzung mit der Rechtsanwalts-AG<br />
wird zumeist das anwaltliche Berufsrecht in den Vordergrund<br />
gestellt und das Aktienrecht fälschlicherweise übergangen.<br />
Dabei wird übersehen, dass das Aktienrecht keineswegs<br />
im Widerspruch zu den Grundsätzen des<br />
anwaltlichen Berufsrechtes steht, sondern weitgehend über<br />
vergleichbare Schutzmechanismen verfügt.<br />
Die nun vom BGH vorgenommene analoge Anwendung<br />
der §§ 59 c ff. BRAO ignoriert die grundlegenden gesellschaftsrechtlichen<br />
Strukturunterschiede zwischen GmbH<br />
und AG – beispielsweise umfassende Weisungs- und Informationsrechte<br />
der GmbH-Gesellschafter – und setzt sich<br />
über aktienrechtliche Grundsätze hinweg. Tatsächlich handelt<br />
es sich bei der „Rechtsanwalts-AG“ weder um eine eigene<br />
Rechtsform, noch um eine rein berufsrechtliche Problematik<br />
ohne Bezug zum Aktienrecht. Vielmehr handelt<br />
es sich um eine Aktiengesellschaft, die dem AktG unterliegt<br />
und gegebenenfalls anwaltliches Berufsrecht zu berücksichtigen<br />
hat.<br />
Demzufolge ist auf die Rechtsanwalts-AG zunächst<br />
das AktG anwendbar. Einschränkungen der Satzungsfreiheit<br />
und bei der Besetzung der Organe sind nur zulässig<br />
und erforderlich, soweit dies die Grundsätze des anwaltlichen<br />
Berufsrechtes zwingend fordern und um Nachteile<br />
für das rechtsuchende Publikum zu verhindern. Nur wenn<br />
unter Anwendung des AktG und der allgemeinen Grundsätze<br />
der BRAO keine sachgerechten Ergebnissen zu finden<br />
sind, stellt sich die Frage, wie diese Lücke aufzufüllen<br />
ist.<br />
Da die §§ 59 c BRAO eine spezialgesetzliche Regelung<br />
der Rechtsanwalts-GmbH darstellen und keineswegs unumstritten<br />
sind, eignen sie sich zur Anwendung auf die<br />
Rechtsanwalts-AG nicht. Für die Rechtsanwalts-AG ist<br />
nach solchen Vorschriften zu suchen, die einen der Rechtsanwalts-AG<br />
vergleichbaren Sachverhalt regeln und sich bereits<br />
als sach- und zweckmäßig bewährt haben. Der suchende<br />
Blick muss schließlich auf die Steuerberatungs-AG<br />
(§§ 49 ff. StBerG) und die Wirtschaftsprüfungs-AG<br />
(§§ 27 ff. WPO) fallen. Die Anwendung der für diese Gesellschaftsformen<br />
geltenden Vorschriften drängt sich aufgrund<br />
der gesellschaftsrechtlichen und der berufsrechtlichen<br />
Vergleichbarkeit von Rechtsanwalts-AG und<br />
Steuerberatungs-AG sowie Wirtschaftsprüfungs-AG geradezu<br />
auf. Deren Anwendungsbereich ist erst eröffnet, wenn<br />
und soweit sich aus AktG und den allgemeinen Regelungen<br />
der BRAO keine sachgerechte Regelung für die Rechtsanwalts-AG<br />
ergibt. Auch wenn die §§ 27 ff. WPO und<br />
§§ 49 ff. StBerG keine sachgerechte Regelung ermöglichen,<br />
ist auf die §§ 59 c–59 m BRAO zurückzugreifen, sofern<br />
dem nicht die strukturellen Unterschiede zwischen GmbH<br />
und AG entgegenstehen.<br />
Diesen Weg hat der BGH durchaus erkannt, verfolgt ihn<br />
aber ohne Begründung nicht weiter. Aus welchem Grund<br />
der BGH auf eine Aktiengesellschaft Normen anwendet,<br />
die für die grundverschiedene GmbH geschaffen wurden,<br />
und zudem heftig umstritten sind, lässt sich nicht nachvollziehen.<br />
Die entsprechende Anwendung der §§ 27 ff. WPO<br />
und §§ 49 ff. StBerG wäre nicht nur zweckmäßiger als die<br />
nun getroffene Regelung, sondern hätte auch die Idee eines<br />
einheitlichen Berufsrechtes für die Beratungsberufe ins<br />
Spiel gebracht.<br />
AnwBl 12/2005<br />
Meinung & Kritik<br />
III. Anwaltstrias-Trias auch bei der Anwalts-AG<br />
Dass die Beschränkungen der §§ 59 c ff. BRAO nicht erforderlich<br />
sind, zeigt die folgende kurze Übersicht (ausführlich<br />
hierzu der Verfasser: Die Aktiengesellschaft als neue<br />
Rechtsform für anwaltliche Zusammenschlüsse, Zulässigkeit<br />
und Ausgestaltung, Diss. 2002 sowie NJW 2005,<br />
1826 ff.)<br />
Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht wird bereits<br />
durch die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§§ 93<br />
Abs. 1 S. 2 AktG, 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG und § 203 Abs. 1<br />
Nr. 3 StGB), das Auskunftsverweigerungsrecht gegenüber<br />
Aktionären (§ 131 Abs. 3, 5 AktG) und die allgemeinen<br />
Vorschriften (§§ 383 Abs. 1 Nr. 6 , 384 Nr. 1, 3, 446 ZPO,<br />
§ 53 a StPO) gleichermaßen wie durch § 43 a Abs. 2 BRAO<br />
geschützt.<br />
Auch die anwaltliche Unabhängigkeit wird in der<br />
Rechtsanwalts-AG mindestens genauso effektiv wie in einer<br />
Rechtsanwalts-GmbH oder anwaltlichen Personengesellschaften<br />
gewährleistet. Anders als Gesellschafter dort,<br />
können Aktionäre auf das Tagesgeschäft einer Rechtsanwalts-AG<br />
– die Rechtsberatung – keine Einfluss nehmen.<br />
Die Hauptversammlung entscheidet unter anderem nur über<br />
Satzungsänderungen, die Verwendung des Bilanzgewinns<br />
sowie die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat.<br />
Zur Vermeidung von Interessenkollisionen durch außenstehendere<br />
Aktionäre ist – wie auch für die Wirtschaftsprüfungs-<br />
und Steuerberatungs-AG, § 28 Abs. 4 Nr. 3 WPO,<br />
§ 50 a Abs.1 Nr. 3 StBerG – der Aktionärskreis auf in der<br />
Gesellschaft beruflich aktive Aktionäre zu beschränken.<br />
Dies gilt unabhängig von der Zugehörigkeit zur Gruppe sozietätsfähiger<br />
Berufe. Den Mitgliedern von Vorstand und<br />
Aufsichtsrat ist es verboten, Doppelmandate in anderen<br />
Beratungsgesellschaften wahrzunehmen, soweit Interessenkollisionen<br />
durch antagonistische Mandate zu befürchten<br />
sind. In diesem Fall wäre die nach § 88 AktG erteilte Zustimmung<br />
gemäß § 88 Abs. 1 S. 2 AktG zu wiederrufen.<br />
Für die Mitglieder des Aufsichtsrates ist nach § 100 Abs. 4<br />
AktG in der Satzung festzulegen, dass sie keine Aufsichtsrats-<br />
oder Vorstandsmandate wahrnehmen dürfen, denen die<br />
Gefahr von Interessenkollisionen innewohnt und diese gegebenenfalls<br />
niedergelegt werden müssen.<br />
Um die Einhaltung der berufsrechtlichen Standards zu<br />
gewährleisten, muss die Rechtsanwalts-AG nach §§ 59 d,<br />
59 g, 59 h BRAO zugelassen werden. Da die §§ 59 d, 59 g<br />
und 59 h BRAO nicht gesellschaftsformspezifisch sind und<br />
nicht die Ausgestaltung der Rechtsanwalts-GmbH betreffen,<br />
können diese Vorschriften auf die Rechtsanwalts-AG<br />
angewandt werden. Ein Zulassungsverfahren ist zum<br />
Schutz des rechtsuchenden Publikums erforderlich, gerade<br />
weil es an einer gesetzlichen Regelung für die Rechtsanwalts-AG<br />
fehlt.