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Gesamte Ausgabe runterladen - Zentralverband der Ärzte für ...

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Integrale Tonusregulation —<br />

das Wirkungsprinzip <strong>der</strong> Psychotaktilen Therapie nach Glaser-Veldman<br />

V. Gli<br />

Die Psychotaktile Therapie (PTT) ist eine <strong>der</strong> Methoden, die<br />

geeignet sind, die Selbstregulation <strong>der</strong> Körperfunktionen<br />

zu aktivieren.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Selbstregulation wird im allgemeinen nur<br />

auf die an sich schon unbewußt ablaufenden, vegetativ gesteuerten<br />

Regulationsformen angewandt, z. B. die kybernetische<br />

Regelung des cardio-pulmonalen Systems, des<br />

Kreislaufes, <strong>der</strong> Darm- und Nierentätigkeit, des intermediären<br />

Stoffwechsels, des Hormonhaushaltes, <strong>der</strong> Infektabwehr,<br />

<strong>der</strong> Wundheilung und auch sonstiger Rehabilitationen.<br />

Und doch sind all diese Regulationsformen in eine<br />

Regulierung <strong>der</strong> Gesamtperson integriert.<br />

Diese Integration kommt in <strong>der</strong> Verhaltensweise <strong>der</strong> Person<br />

mit zum Ausdruck, also im wahrsten Sinne des Wortes,<br />

in <strong>der</strong> Art sich zu halten und zu bewegen o<strong>der</strong> Stellung<br />

zu nehmen. Damit ist offensichtlich auch an den an sich<br />

unbewußt ablaufenden vegetativen Organfunktionen eine<br />

Funktion <strong>der</strong> willkürlichen Muskulatur gebunden — die<br />

Selbstregulation des Muskeltonus.<br />

Welche Rolle nun <strong>der</strong> Muskeltonus im Krankheitsgeschehen<br />

spielt, ist in neuerer Zeit gerade durch die relaxierenden<br />

Psychopharmaka, insbeson<strong>der</strong>e die Ataraktika (Librium und<br />

Valium) bekannt geworden. Da diese zur Beeinflussung <strong>der</strong><br />

seelischen Verhaltensweisen entwickelt worden sind, hat<br />

auch die Bedeutung <strong>der</strong> seelischen Verhaltensweisen <strong>für</strong><br />

den Heilungsprozeß im Bereich <strong>der</strong> Inneren Medizin stärkere<br />

Beachtung gefunden.<br />

Es liegt ja nun nahe, eine den Psychopharmaka ähnliche<br />

o<strong>der</strong> — wenn möglich — sogar bessere Tonusregulation<br />

auf natürlichem Wege anzubahnen. Ansätze dazu sehen wir<br />

von vielen Seiten.<br />

Ganz im Vor<strong>der</strong>grund steht dabei die Methode des autogenen<br />

Trainings nach /. H. Schulz. Sein Anliegen ist, über<br />

eine gezielte Entspannungspraxis die vegetativen Regulationen<br />

zur freien Entfaltung zu bringen. Als psychisches<br />

Äquivalent zu dieser Relaxierung gehört ein „Sich abschließen"<br />

von den Belangen <strong>der</strong> Umwelt, welches bis zur Unempfindlichkeit<br />

und Reflexlosigkeit entwickelt werden kann.<br />

Dieser Zustand ist während des Übens durch den Leiter<br />

taktil prüfbar.<br />

Es liegt in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Methode, daß die Praxis des<br />

autogenen Trainings eine Art Intervall-Training ist. Sie kann<br />

also nicht während einer Belastung o<strong>der</strong> Meisterung des<br />

Problemes durchgeführt werden.<br />

Für viele Gelegenheiten wäre es aber wünschenswert, eine<br />

autogene Einflußnahme auf die Art <strong>der</strong> Tonusregulation zu<br />

erlangen, während man sich in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

<strong>der</strong> Umwell befindet. Eine solche Einflußnahme würde z. B.<br />

beinhalten, daß man sich gelöster, freier, natürlicher, offener,<br />

abfang- und belastungsfähiger, angepaßter — aber<br />

auch sicherer, ruhiger und doch tatkräftiger <strong>der</strong> Umwelt gegenüber<br />

befindet und sich mit ihr auseinan<strong>der</strong> o<strong>der</strong> ins Einvernehmen<br />

setzt.<br />

Zur Erlangung dieser Fertigkeiten ist die Psychotaktile<br />

Therapie als ein Schulungsweg anzusehen. Er ist ohne weiteres<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Sprechstunde des Praktikers o<strong>der</strong><br />

Internisten durchführbar. Im Krankheitsfalle wäre eine bessere<br />

Ausgangslage <strong>für</strong> den Heilungsprozeß gegeben und<br />

<strong>der</strong> Einsatz an<strong>der</strong>er Heilmaßnahmen fände einen günstigeren<br />

Boden vor.<br />

Die PTT basiert im Wesentlichen auf folgenden, aus <strong>der</strong><br />

Praxis erwachsenen, erkenntnis-theoretisch und experimentell<br />

unterbauten Fakten:<br />

Tonusregulierung ist nicht das gleiche, was als „Entspannung"<br />

im autogenen Training zum Ausdruck kommt, denn<br />

dies beinhaltet lediglich vorübergehende Abschaltung zentral-nervöser<br />

Impulse, wie es auch sonst im Schlaf geschieht.<br />

Tonusregulierung bedingt eine Aktivierung des<br />

selbstregulierenden Systemes, das als Gammanervenfaser-<br />

System (GNS) bekannt ist. Es dient <strong>der</strong> Fascilation (Erleichterung)<br />

<strong>der</strong> Eigenreflexe sowie <strong>der</strong> Koordination, also dem<br />

inneren Aus- und Angleich <strong>der</strong> Tonusverteilung bei Haltung<br />

und Bewegung. Es bewirkt also das Fließende, Harmonisierende<br />

im Bewegungsablauf, die Balance während <strong>der</strong><br />

Haltung und eine Elastizität bei mechanischer Belastung.<br />

Das System gehört zum extrapyramidalen Anteil des motorischen<br />

Nervensystemes. Es ist also nicht <strong>der</strong> willkürlichen<br />

Leitung unterstellt, son<strong>der</strong>n wird im Gegenteil durch Selbstbeobachtung<br />

und Willensdirektive irritiert. (Je<strong>der</strong> weiß z.B.,<br />

daß Anmut und Grazie durch Selbstbeobachtung verloren<br />

gehen.)<br />

Experimentell ist erwiesen, daß dieses System durch Hautreize<br />

und Muskeldehnung aktiviert werden kann, und daß<br />

mit seiner Aktivierung Wachheit und Munterkeit verbunden<br />

sind.<br />

(Diese Erkenntnisse lassen sich auf vielen Gebieten<br />

praktisch bestätigen und erweitern, wenn man die<br />

Phänomene des verän<strong>der</strong>ten Tonus erfaßt hat und zu<br />

deuten versteht. So sind auch eine ganze Reihe als<br />

kutaneo-viszerale Reflexe gedeutete Einwirkungen von<br />

Massagen o<strong>der</strong> hydrotherapeutischen Maßnahmen primär<br />

als Verän<strong>der</strong>ungen im muskeltonusregulierenden<br />

System erkennbar.)<br />

Aus praktischer Erfahrung läßt sich ergänzen, daß grundsätzlich<br />

das Gefühl <strong>für</strong> die Ausweitung des persönlichen<br />

Lebensraumes über die Hautbegrenzung hinaus gleichbedeutend<br />

mit einem Ansprechen <strong>der</strong> Tonusregulation ist.<br />

Fachlich heißt das: Eine Ausweitung des sogenannten Körperschemas<br />

in den haplischen Raum.<br />

Aus <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Beispiele nur eines:<br />

Ein Lehrer, <strong>der</strong> mit dem Zeigestab auf Einzelheiten <strong>der</strong><br />

großen Tafel hinweist, führt nicht etwa mit seiner Hand den<br />

Stock an die entsprechende Stelle, son<strong>der</strong>n er zeigt unmittelbar<br />

an diesen Ort. Der Stock ist also die selbstverständliche<br />

Verlängerung o<strong>der</strong> Fortsetzung seines Armes.<br />

Er inkorporiert diesen in sein Bewegungsempfinden o<strong>der</strong><br />

er weitet das Empfinden auf den Stock aus. Er lebt empfindungsgemäß<br />

unmitieibar an <strong>der</strong> Tafel. Ja er lebt bereits<br />

im Zeigen dort, bevor <strong>der</strong> Stock die Tafel berührte. So wird<br />

erzielsicherer mit natürlich fließenden Bewegungen.<br />

Solche Raumbezüge werden in Sport und Gymnastik zur<br />

Verbesserung des Bewegungsspieles allenthalben bewußt<br />

o<strong>der</strong> unbewußt eingebaut. Die Möglichkeiten werden gesteigert<br />

durch den Umgang mit Werkzeugen wie Ball, Keule,<br />

Reifen, Speer u. a. und gipfeln in bezug auf lebendige<br />

Objekte im Partnerbezug wie z. B. beim Reiten und Mannschaftsspiel.<br />

Auch in Therapieformen wird diese Gesetzmäßigkeit genutzt.<br />

So verwendet Gerda Alexan<strong>der</strong> den Raumbezug in<br />

ihrer Eutoniearbeit, Alice Schaarschuch in <strong>der</strong> Lösungs- und<br />

Atemtherapie. Und in den organismischen Verfahren <strong>der</strong><br />

Psychotherapie wird Partner- und Umweltbezug immer stärker<br />

herausgestellt. („Konzentrative Bewegungstherapie"<br />

nach Stolze, „Ausdrucksgymnastik" nach Knauth)<br />

In den Rahmen solcher organismischer Verfahren <strong>der</strong> Psychotherapie<br />

wäre auch die Psychotaktile Therapie einzuglie<strong>der</strong>n,<br />

insoweit als bei ihr „auch" die psychische Verhaltensweise<br />

mit berücksichtigt wird.<br />

Ihr Ziel ist, eine spielfähige Tonusregulation im Patienten<br />

aufzubauen, durch die er in die Lage versetzt wird, das<br />

Muskelsystem als Ausgleichs- und Abfuhrmechanismus vegetativer<br />

Aktivitäten zu benutzen und es zugleich als Abfang<br />

und Schutzmechanismus gegen äußere Belastungen<br />

einzusetzen. Dieses Muskelsystem dient also insgesamt als<br />

Vermittlungs- und Pufferinstanz zwischen den leibeigenen<br />

Belangen und den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Umwelt.<br />

1Q2<br />

Phys.<br />

Heft 5

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