Jahresbericht stiftung netzwerk 2012
Jahresbericht stiftung netzwerk 2012
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Wobei ich nicht von Karriereschritt sprechen möchte.<br />
Snowboarden ist auch keine Karriere, sondern<br />
Leben, Stil. Beim Fotografieren ist das genauso,<br />
eine klassische Karriere gibt es eigentlich nicht.<br />
Wie gehst du vor Ort mit<br />
dem Risiko, der Gefahr um?<br />
Bangert: Das ist schwer zu erklären. Die normalen<br />
Leute, die noch nie einen Krieg erlebt haben – und<br />
das sind hierzulande die meisten –, können sich<br />
Krieg nicht vorstellen. Sie sehen Bilder von mir, die<br />
hochgefährlich aussehen, obwohl in der Realität<br />
alles völlig sicher war. Andere Bilder wirken daneben<br />
harmlos, da liegt jemand einfach im Krankenhausbett.<br />
Auf dem Weg zum Krankenhaus aber<br />
wurde das Auto, in dem ich sass, beschossen, und<br />
ich geriet in eine hochgradig gefährliche Situation.<br />
Allgemein knallt es viel weniger, als man sich das<br />
vorstellt, und es gibt unheimlich viele Phasen, in<br />
denen gar nichts passiert. Nicolas, du kannst den<br />
Leuten auch nicht erklären, was das für ein Gefühl<br />
ist, einen Felsen runterzuspringen? Die Leute<br />
können sich dein Video ansehen, meine Fotos anschauen,<br />
aber wie das ist, kann man nicht beschreiben.<br />
Ich muss nicht ein besonders grosses Risiko<br />
eingehen, um ein gutes Bild zu machen. Etwas zu<br />
machen, was die anderen nicht können, ist die Herausforderung.<br />
Ich denke, das ist bei uns ähnlich.<br />
Zweifelsohne gibt es eine Gefahr, aber gleichzeitig<br />
gibt es diesen Mythos Gefahr. Dagegen muss man<br />
als Kriegsfotograf ankämpfen. Und ein bisschen<br />
leben wir auch davon.<br />
Ein Fotograf, der in ein<br />
Kriegsgebiet reist, trägt<br />
viel Verantwortung. Denn<br />
die Bilder zeigen nur immer<br />
das, was im Vordergrund<br />
ist, also das Äusserste,<br />
nicht das Hintergründige.<br />
Wie gehst du mit dieser<br />
Verantwortung um?<br />
Bangert: Bis jetzt hatte ich da sehr Glück. Keines<br />
meiner Bilder ist in einem Zusammenhang publiziert<br />
worden, der für mich nicht mehr gepasst hätte.<br />
Ich arbeite mit einer Agentur zusammen; die<br />
schauen genau hin und verkaufen die Bilder nicht<br />
an eine «Bild»-Zeitung. Als die «Weltwoche» ein<br />
Roma-Bild in einem total anderen Kontext publizierte,<br />
war das der Fehler einer Agentur. Das darf<br />
nicht passieren.<br />
Nicolas, du bist ein gebürtiger<br />
Unterländer. War deine<br />
Herkunft ein Nachteil?<br />
Müller: Der Unterländer-Stempel wurde mir eigentlich<br />
nie aufgedrückt. Ich kam aus Aarau, hatte<br />
vielleicht einen etwas anderen Style, aber ich war<br />
wie die anderen auch nonstop auf dem Berg. Ich<br />
hatte mein WG-Zimmer, stand jeden Tag auf dem<br />
Board.<br />
Wo setzt ihr die Grenzen?<br />
Sagt ihr euch: Bis dahin<br />
und nicht weiter?<br />
Müller: Wenn ich merke, dass es nicht passt,<br />
sage ich das. Ich entscheide für mich und lasse<br />
mich von der Crew nicht beeinflussen.<br />
Bangert: Das ist ein ständiger Prozess; ich bewege<br />
mich immer an der Grenze, muss konstant Entscheidungen<br />
treffen, wenn ich unterwegs bin.<br />
Ständig überlegen: Ist das okay oder zu gefährlich?<br />
Es braucht Selbstvertrauen. Wenn dir dein Gefühl<br />
sagt, dass das nicht gut ist, musst du Kerl genug<br />
sein, um zu sagen: Ich will da nicht weiterfahren.<br />
Seid ihr noch nie in<br />
brenzlige Situationen<br />
geraten?<br />
Bangert: Es gab in meinem Fall brenzlige Momente,<br />
und es waren immer unberechenbare Situationen.<br />
Müller: Richtig schlimm verletzt habe ich mich<br />
noch nie. Auf dem Weg auf den Berg mache ich<br />
mir sehr viele Gedanken: Passt das? Auch ich muss<br />
nonstop Entscheidungen treffen. Das Resultat<br />
sieht mega spontan aus, ist manchmal aber sehr<br />
kalkuliert. Bangert: Diese Nachhaltigkeit brauchts<br />
schon in unserem Beruf, denke ich. Wenn etwas<br />
beinahe schiefgelaufen wäre, bin ich eher der, der<br />
sich hinsetzt und überlegt, was ich falsch gemacht<br />
habe. Müller: Ein gewisses Urvertrauen ist wichtig.<br />
Ich will ja nicht immer in Angst leben. Bangert: Für<br />
mich ist die Gefahr bei der Arbeit auch nicht das<br />
zentrale Thema. Ich versuche, ein gutes Bild zu machen.<br />
Für meine Verwandten ist es schwieriger, mit<br />
ihrer Angst um mich umzugehen. Je weiter du vom<br />
Ort des Geschehens entfernt bist, desto grösser ist<br />
die Angst. Und wenn sich die anderen um dich sorgen,<br />
beginnt es, kompliziert zu werden.<br />
Kennt ihr schlaflose<br />
Nächte?<br />
Müller: Nein. Bangert: Wenn, dann eher wegen<br />
finanzieller Probleme.<br />
Wie funktioniert Wandel<br />
in eurem Alltag, was<br />
bedeutet er für euch?<br />
Bangert: Der Wandel fängt für mich im Kleinen<br />
an, im Bioladen und so. Ich gehe zwar nicht in den<br />
Bioladen, aber zum Türken um die Ecke. Man muss<br />
sich grundsätzlich immer an die eigene Nase fassen.<br />
Nicht nur nach oben gucken und sagen, da oben<br />
funktioniert es nicht. Ich bin auch Teil der Gesellschaft.<br />
Was kann ich anders machen? Müller: Ich<br />
denke auch, du kannst dein Ding nur im Hier und<br />
Jetzt durchziehen. Darum gehe ich in den Bioladen,<br />
habe meinen Kompost, trenne fleissig Plastik. Ich<br />
baue mir in meinem Haus in Laax meine eigene kleine<br />
Welt auf. Ich lebe im Moment, möchte später aber<br />
auch einmal eine Familie. Ansonsten hoffe ich, dass<br />
ich in 20 Jahren immer noch Powder-Turns mache.<br />
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