Jahresbericht stiftung netzwerk 2012
Jahresbericht stiftung netzwerk 2012
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Was war <strong>2012</strong> eure grösste<br />
Sorge? Und was hat euch<br />
im Gegenzug zuversichtlich<br />
gestimmt?<br />
Catherine Bolliger: Im Bereich Arbeitsintegrationsprojekte<br />
(AIP) hatten wir <strong>2012</strong> ein sehr strenges<br />
Jahr. In den ersten Monaten waren wir total ausgelastet<br />
mit unseren AIP-Angeboten. Mein Team<br />
war gefordert, weil wir sehr unterschiedliche Jugendliche<br />
in den Programmen hatten. Mitte Jahr<br />
folgte nach einer kurzen Verschnaufpause der grosse<br />
Knall – nach der Sommerpause hatten wir viel<br />
weniger AIP-Lehrlinge. Angesichts des finanziellen<br />
Lochs, das sich auftat, mussten wir sofort reagieren.<br />
Zum Glück erklärte sich eine Mitarbeiterin spontan<br />
bereit, unbezahlten Urlaub zu nehmen. Zudem<br />
wurde die Sekretariatsstelle nicht wieder besetzt.<br />
Das Paradoxe an der Situation war: Wir hatten ein<br />
halbes Jahr lang alles gegeben, und kaum war ein<br />
bisschen Ruhe eingekehrt, hiess es plötzlich, dass<br />
bereits Stellen gefährdet seien. Das setzte allen zu.<br />
Trotz der Turbulenzen gab es aber auch Positives:<br />
Das Team zog immer mit, hielt zusammen, obwohl<br />
alle an ihre Grenzen kamen. Brigitte Tanner: Bei<br />
mir war die Situation ein bisschen anders, da die Jugendwohnungen<br />
mehrheitlich gut ausgelastet waren.<br />
Trotzdem ging das Ganze nicht spurlos an mir<br />
vorbei. Wie prekär die Lage war, konnte ich im ersten<br />
Moment aber kaum einschätzen. Klar, sah ich<br />
die schlechten AIP-Zahlen, doch was diese genau<br />
bedeuteten, war für mich nicht fassbar, weil die Stiftung<br />
Netzwerk so gross geworden ist. Die Vorstellung,<br />
dass unser Tanker – wie der Geschäftsleiter<br />
das Netzwerk zu nennen pflegt – im schlimmsten<br />
Fall untergeht, war schrecklich. Verschiedene MitarbeiterInnen<br />
verzichteten spontan auf Lohnprozente<br />
oder halfen gratis bei den Konzerten. Da war<br />
plötzlich auch eine positive Energie spürbar: Wir<br />
ziehen das zusammen durch. Wir wollen nicht, dass<br />
es bachab geht. Yvonne Krauer: Ich stand Anfang<br />
<strong>2012</strong> vor einem Berg Arbeit. Einiges war liegengeblieben<br />
oder musste in Angriff genommen werden:<br />
Konzepte, Eingaben, Evaluationen, Berichte. Die<br />
Lancierung neuer Projekte stand im Raum, Spender<br />
mussten gesucht werden. Dank der zusätzlichen<br />
Anstellung eines Mitarbeiters wurde ich wider Erwarten<br />
stark entlastet. Die Krise kam auch für mich<br />
unterwartet. Sie war heftig, heftiger als die Krisen,<br />
die ich bis dahin im Netzwerk erlebt hatte. Dennoch<br />
hatte ich immer das Gefühl: Das packen wir!<br />
Wie seid ihr mit der Belastung<br />
umgegangen?<br />
Hattet ihr schlaflose<br />
Nächte?<br />
Bolliger: Am Anfang war ich mit der Situation klar<br />
überfordert. Ich benötigte ein paar Tage, um gemeinsam<br />
mit der Geschäftsleitung eine Strategie<br />
zu entwickeln. Danach ging alles Schlag auf Schlag,<br />
kleinere und grössere Massnahmen wurden sofort<br />
ergriffen und umgesetzt. Das vorgängige Innehalten<br />
betrachte ich im Rückblick als wichtig. Intuitiv<br />
sagte ich mir: Auch wenn nun dringend Strategien<br />
gefragt sind, sind übereilte Entscheidungen nicht<br />
die Lösung. Krauer: Als unser Geschäftsleiter Kaspar<br />
plötzlich nicht mehr von neuen Projekten, sondern<br />
von so was wie «gesundschrumpfen» sprach,<br />
wusste ich, dass die Lage ernst ist. Ich spürte eine<br />
grosse Verunsicherung. Tatsache ist: Wenn all das<br />
bachab gegangen wäre, was wir über all die Jahre<br />
aufgebaut haben, hätte mir das sehr wehgetan. Vor<br />
allem auch wegen der Köpfe dahinter: der Kolleginnen<br />
und Kollegen, der Klientinnen und Klienten.<br />
Mir wurde auch bewusst, dass wir aufgrund unserer<br />
Grösse zwar weniger miteinander zu tun haben als<br />
früher, aber dennoch immer noch sehr verbunden<br />
sind. Das heisst: Wenn das AIP ein Problem hat, haben<br />
wir alle ein Problem. Tanner: Ja, mir ging es<br />
da ähnlich. Als Kaspar als Geschäftsleiter plötzlich<br />
die Strategie wechselte, war das schon ein Weckruf,<br />
ein klarer Bruch. Denn früher war die Strategie bei<br />
Krisen immer: Fokus öffnen, über den Tellerrand<br />
schauen, neue Nischen besetzen. Zum ersten Mal<br />
hiess die Devise nun: Schrumpfen, keine neuen<br />
Projekte, Abgänge nicht ersetzen.<br />
Die Schnelllebigkeit in<br />
Beruf und Alltag spürt<br />
ihr auch beim Netzwerk.<br />
Eure Konzepte und Projekte<br />
werden kopiert.<br />
Wie frustrierend ist das?<br />
Tanner: Mich frustriert das nicht. Mir ist es gleichgültig,<br />
wenn andere Institutionen unser Konzept<br />
kopieren. Meiner Meinung nach kann man ein<br />
Konzept problemlos übernehmen, aber das sagt<br />
noch nichts über die Qualität des Angebots aus. Ein<br />
Konzept ist ein Raster, gefüllt werden muss dieses<br />
aber vom Team bei der alltäglichen Umsetzung.<br />
Krauer: Ich glaube nicht, dass wir im Netzwerk die<br />
Welt neu erfinden. Und doch sehe ich klare Stärken.<br />
Wenn wir eine Nische sehen, die wir besetzen<br />
wollen, reagieren wir sehr schnell. Wir haben einen<br />
mutigen Stiftungsrat, der uns den Rücken stärkt.<br />
Auch in schwierigen Zeiten. Wir verfügen über<br />
Geldgeber, die das, was wir machen, seit vielen Jahren<br />
schätzen und neue Projekte weiter unterstützen.<br />
Ein Konzept – da bin ich ganz deiner Meinung,<br />
Brigitte – ist Theorie. Am Ende zeigt sich in der Praxis,<br />
ob es taugt. Oder anders gesagt: Die Umsetzung<br />
kann man nicht kopieren, die wird geprägt von den<br />
Personen, von uns. Beim Netzwerk merkt man zudem<br />
schnell, dass die meisten mit Überzeugung<br />
und Freude bei der Sache sind, das strahlt nach<br />
aussen. Bolliger: Ich sehe das auch so. Die Konkurrenz<br />
im AIP-Bereich ist sehr gewachsen, Gastrobetriebe<br />
mit geschützten Arbeitsplätzen schiessen<br />
wie Pilze aus dem Boden. Doch in zwei, drei Jahren<br />
wird sich zeigen, welche Angebote überleben und<br />
überzeugen. Preis und Qualität werden zählen. Unsere<br />
Stärke ist der unkomplizierte Auftritt und die<br />
Topqualität. Im AIP- und Wohnbereich gehen wir<br />
auf die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen<br />
ein, was auch von den Jugendlichen sehr geschätzt<br />
wird. Wir können die Jugendlichen dort abholen,<br />
wo sie stehen. Diese Qualität erfordert von uns im<br />
Gegenzug viel Flexibilität.<br />
Ihr sitzt in der erweiterten<br />
Geschäftsleitung des<br />
Netzwerks. Welche Herausforderung<br />
steht für<br />
euch im Mittelpunkt?<br />
Bolliger: Alles unter einen Hut zu bringen. Das<br />
Tagesgeschäft nimmt bereits sehr viel Zeit in Anspruch,<br />
somit bleibt wenig Zeit für strategische<br />
Überlegungen. In der erweiterten Geschäftsleitung<br />
sind strategische Lösungen aber gefragt. Im Alltag<br />
ist dieser Spagat schwierig. Krauer: Wir haben<br />
in den vergangenen Jahren infolge des stetigen<br />
Wachstums stark in neue Projekte investiert. Dieses<br />
Jahr werden wir weniger Energie für Neues aufwenden,<br />
sondern – so hoffe ich – mehr Zeit finden fürs<br />
Optimieren und Konsolidieren. Tanner: In unserer<br />
Position müssen wir viele Qualitäten in einer Person<br />
vereinen. Wir müssen fachlich und betriebswirtschaftlich<br />
stark sein, gute Strategien und innovative<br />
Ideen für neue Angebote entwickeln. Wenn<br />
Catherine und ich zum Beispiel eine Person wären,<br />
käme das ziemlich gut: Sie ist mutig, reisst gerne<br />
Neues an; ich bin eher die, die Angebote auf Kurs<br />
bringen und etablieren will.<br />
Wie wichtig ist eurer<br />
Meinung nach die Rollenverteilung<br />
Mann/Frau<br />
im Netzwerk?<br />
Krauer: Ich nehme das nicht so wahr: hier die Frauen,<br />
dort die Männer. Natürlich sind wir verschieden,<br />
aber unsere Männer besetzen auch Domänen,<br />
die man eher uns Frauen zuschreiben würde, zum<br />
Beispiel reden einige sehr gerne… Bolliger: Für<br />
mich persönlich spielt die Geschlechterverteilung<br />
keine grosse Rolle. Wir müssen Leute überzeugen.<br />
Und im Sozialbereich haben wir ja eher das Problem,<br />
dass männliche Bezugspersonen für Jugendliche<br />
fehlen. Tanner: Ich finde schon, dass sich<br />
gewisse Geschlechterstereotypen zeigen. Einige<br />
EGL-Männer führen Debatten, reden viel. Ich hingegen<br />
sage nur etwas, wenn ich wirklich etwas zu<br />
sagen habe. Männer und Frauen haben auch verschiedene<br />
Führungsstile.<br />
Verantwortungsbewusstsein,<br />
Vernunft, innere<br />
Gelassenheit, Solidarität<br />
sind Tugenden, die für<br />
den Zusammenhalt der<br />
Gesellschaft unerlässlich<br />
sind. Verlieren diese<br />
Tugenden an Bedeutung?<br />
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