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schwärmerische Innigkeit dieser Stelle, für ein männliches Organ<br />

schier nicht zu bewältigen, strömte aus <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s Vorlesers<br />

auf, zum Zuhörer über .... Als er aber sich selber zu lesen<br />

begann ... da hörte man nicht mehr <strong>de</strong>n Vorleser, da hatte man<br />

<strong>de</strong>n Eindruck, Tatzeuge eines Ereignisses zu sein. Das war nicht<br />

Wie<strong>de</strong>rgabe mehr, das war Neuproduktion. Und als er unter <strong>de</strong>m<br />

atemanhalten<strong>de</strong>n Schweigen <strong>de</strong>s Publikums sich hinter <strong>de</strong>m Tische<br />

aufreckte und seine ganze Persönlichkeit in die Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

warf, die <strong>de</strong>r Schluß <strong>de</strong>r »Faschingsunterhaltung« an die<br />

Bauernfeldpreisverteiler richtet, da hatte man das Gefühl, einem<br />

Spiele beizuwohnen, in <strong>de</strong>m es auf Tod und Leben geht ....<br />

P. Th.<br />

*<br />

In Prag am 22. März, veranstaltet von <strong>de</strong>n Schriftstellern Willy Haas<br />

und Franz Janowitz, mit <strong>de</strong>m folgen<strong>de</strong>n Programm:<br />

I. Shakespeare: aus »Timon«. — Jean Paul: aus <strong>de</strong>m »Kampaner<br />

Tal«. — Osten<strong>de</strong>, erster Morgen / Ein Gedanke und sieben Kreuzer<br />

/ Die Vision vom Wiener Leben. II. Aus <strong>de</strong>m »Prozeß Veith«. —<br />

Die <strong>Glossen</strong>: Schlichte Worte / Riedau und Lido / Zur Erleichterung<br />

<strong>de</strong>s Lebens / Der Deutlichkeit halber / Gefährlich / Hinaus! /<br />

Angesichts. — Als Zugaben: Blutiger Ausgang einer Faschingsunterhaltung<br />

/ ich rufe die Rettungsgesellschaft / Teilnehmer an <strong>de</strong>r<br />

Tafel / Zweiunddreißig Minuten / Wie? / Wahrung berechtigter Interessen.<br />

'Prager Tagblatt' (24. März):<br />

Karl Kraus ist Freitag zum dritten mal als Vorleser nach Prag gekommen<br />

und von einem Kreise ausgewählter Intellektueller mit<br />

Begeisterung empfangen wor<strong>de</strong>n. Diesmal setzte er die Vorlesung<br />

aus eigenen Werken an <strong>de</strong>n Schluß <strong>de</strong>s Abends und begann mit<br />

Shakespeares »Timon von Athen«. Die Kunst <strong>de</strong>s Wortes, die hier<br />

scheinbar losgelöst von <strong>de</strong>r eigenen Produktion <strong>de</strong>s Rezitators<br />

und im Dienste eines Frem<strong>de</strong>n sich zu entfalten hatte, diente im<br />

Wesen doch Kraus' eigener Persönlichkeit. Denn im Mittelpunkt<br />

stan<strong>de</strong>n die Wutausbrüche <strong>de</strong>s unter <strong>de</strong>m Pöbel lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Timon;<br />

und zu diesem Ziel seines Vortrags aus Shakespeare bahnte sich<br />

Kraus <strong>de</strong>n Weg durch eine Reihe von Dialogen mit seiner geistigen,<br />

ins Gedankliche bohren<strong>de</strong>n Rhetorik, die er mit überlegen<strong>de</strong>n,<br />

erläutern<strong>de</strong>n Handbewegungen unterstützt. Timons Verzweiflung<br />

und Wut aber schrie er mit einer rücksichtslosen, fortreißen<strong>de</strong>n<br />

Lei<strong>de</strong>nschaft in die Zuhörer hinein. Das Pathos <strong>de</strong>s<br />

Hasses kennt man an Kraus; was man aber nicht wußte und was<br />

selbst für gute Leser <strong>de</strong>s Wiener Schriftstellers etwas ganz Überraschen<strong>de</strong>s<br />

und Neues war, brachte die folgen<strong>de</strong> Vorlesung aus<br />

Jean Pauls »Kampanertal«: die Erkenntnis, daß Kraus auch lyrischer<br />

Gestaltung fähig ist. Dieser Zerstörer und Verneiner las die<br />

Jean Paulsche Prosa mit einer Hingebung, mit einer melodischen<br />

Zartheit, mit einer tönen<strong>de</strong>n Anmut, daß im Hörer Visionen von<br />

Farben und Klängen aufstiegen. Man hatte das Gefühl, daß dies<br />

die vollen<strong>de</strong>te Wie<strong>de</strong>rgabe lyrischer Prosa sei.<br />

Dann folgte die Vorlesung eigener <strong>Glossen</strong> und Satiren. Auch hier<br />

holte <strong>de</strong>s Autors Wort Wirkungen hervor, die <strong>de</strong>m Leser verborgen<br />

geblieben waren. Vor allem ist es merkwürdig, um wieviel<br />

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