Glossen - Welcker-online.de
Glossen - Welcker-online.de
Glossen - Welcker-online.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Da ich <strong>de</strong>n Wunsch habe, zum fünfzigsten To<strong>de</strong>stag Nestroys <strong>de</strong>m größten<br />
satirischen Philosophen, <strong>de</strong>n die Deutsche je gehabt haben, durch <strong>de</strong>n<br />
Vortrag einiger seiner Monologe, Couplets und Sätze zu huldigen; da ich in<br />
<strong>de</strong>r Sichtung seines Geistreichtums erkenne, daß schon <strong>de</strong>r tausendste Teil<br />
dieser versunkenen Schätze genügt, um mich für das zu entschädigen, was<br />
diese armutprotzen<strong>de</strong> Gegenwart bevorzugt, so wächst auch meine Verachtung<br />
für die liberalen Tröpfe, die <strong>de</strong>n Versuch machen, seine Tiefe ihrer Gesinnung<br />
zu assimilieren und ihn zu einer Parteigenossenschaft zu verpflichten,<br />
<strong>de</strong>ren Gegenteil ihm eher zu Gesicht stand, als <strong>de</strong>r Liberalismus zum Gegenteil<br />
seines Gesichts. Schon jetzt kündige ich an, daß ich alle jene Herren,<br />
die am 25. Mai 1912 es wagen sollten, Nestroy nicht in Ruhe zu lassen, vielmehr<br />
mit ihm ihre Fortschritts—Petite zu machen, schonungslos insultieren<br />
wer<strong>de</strong>, genau so, als ob sie selbst schon fünfzig Jahre wehrlos wären. Nestroy<br />
hatte, wie aus seine wun<strong>de</strong>rvollen Testament hervorgeht, Angst vor <strong>de</strong>m Lebendigbegrabenwer<strong>de</strong>n;<br />
das Gräßlichere: liberal exhumiert zu wer<strong>de</strong>n, soll<br />
ihm erspart bleiben. Und da ich an seinem Grab stehe, schon bereit, drei<br />
Handvoll Er<strong>de</strong> auf die Herren zu werfen, die sich zum 25. Mai es nicht nehmen<br />
lassen wer<strong>de</strong>n, sich <strong>de</strong>n Nestroy nicht nehmen zu lassen, und da ich es<br />
nicht erwarten kann, erzählt er mir so viel vom Fortschritt und liefert mir Material<br />
gegen Herr Friedjung. Alle Stän<strong>de</strong> hat <strong>de</strong>r Monologist <strong>de</strong>r Menschheit,<br />
hat <strong>de</strong>r Coupletsänger <strong>de</strong>s Kosmos vorgeführt, von Schustern, Färbern Ziegeleibesitzern,<br />
Handlungsgehilfen, Diurnisten und Hausknechten Beziehungen<br />
aus ihrer Sphäre in unser aller Sphäre herstellen lassen: nur <strong>de</strong>n Historiker<br />
hat er vergessen. Jetzt grämt er sich lebendig, da ich ihm von Herrn Friedjung<br />
erzähle: und weiß doch um ihn Bescheid. ich zitiere ihm die Stelle:<br />
Übrigens war <strong>de</strong>n Wienern die wahre Gesinnung Nestroys <strong>de</strong>shalb<br />
nicht zweifelhaft, weil seine ganze Natur Opposition war ... Ebenso<br />
lehnte er sich nach <strong>de</strong>r Revolution gegen die Unterdrückung<br />
auf. In <strong>de</strong>m 1849 verfaßten Stück »Lady und Schnei<strong>de</strong>r« wen<strong>de</strong>t<br />
er sich zwar auch gegen die Übertreibungen <strong>de</strong>s Radikalismus,<br />
verhöhnt aber die Erbärmlichkeit <strong>de</strong>rjenigen, die 1848 das »Deutsche<br />
Vaterland« gesungen und <strong>de</strong>n Fe<strong>de</strong>rhut geschwungen haben,<br />
jetzt aber so charakterlos sind, zu schreien:<br />
»A Verfassung, freie Press',<br />
Zu was braucht das Volk dös ?<br />
Volksbewaffnung zu was?<br />
's Volk hat gelebt auch ohne das:<br />
Wenn ich könnt', so stürzt' ich<br />
's ganze Jahr Achtundvierzig.«<br />
Mit diesem Gelichter wollte er nichts zu tun haben. In diesem<br />
Stück hat er die Summe aus <strong>de</strong>r Revolution in <strong>de</strong>m geistreichen<br />
Satz gezogen: »Das Volk is ein Ries' in <strong>de</strong>r Wieg'n, <strong>de</strong>r aufwacht,<br />
aufsteht, herumtorkelt (herumtaumelt), alles z'sammtritt und am<br />
End' wo hinfallt, wo er noch schlechter liegt als in <strong>de</strong>r Wieg'n —«<br />
Völlig auf Seite <strong>de</strong>r Freiheit steht Nestroy in ....<br />
Nestroy freute sich unbändig und verwies mich auf seinen Beweis, daß<br />
<strong>de</strong>r Mensch ein Fe<strong>de</strong>rvieh sei. Was aber Herrn Friedjung im beson<strong>de</strong>rn anlangt,<br />
so klagte ich, daß ich die Strophe in »Lady und Schnei<strong>de</strong>r« nicht gefun<strong>de</strong>n<br />
habe. Also bleibe nur <strong>de</strong>r Satz vom Volk als Riesen in <strong>de</strong>r Wiege übrig für<br />
<strong>de</strong>n Beweis, daß Nestroy in diesem Stück sich für die Freiheit erklärt habe.<br />
Wo aber erklärt er, mit <strong>de</strong>m Gelichter nichts zu tun haben zu wollen zu dürfen<br />
zu können die Ehre gehabt zu haben? in »Lady und Schnei<strong>de</strong>r« also nicht.<br />
30