Krise des Kapitalismus und Neuorientierung der Wirtschaftspolitik

enormen Anreize zum Rechtsbruch vor Augen, die in
reichen Ländern entstehen können. Vielmehr zeigt sich
hier in erheblichem Ausmaß Staatsversagen. In einem
Land wie der Bundesrepublik, wo noch jeder ausländische
Abschluss zum Führen des Doktortitels heute geprüft
werden muss („Oxford? Nie gehört!“) und das Anmelden
eines PKW ohne Meldebestätigung des Einwohnermeldeamtes
nicht zu machen ist, gibt es keine staatliche
Kontrolle der Bilanzprüfung; die Prüfung durch den
Berufsstand selbst ist rein formal und ohne jeden Biss.
Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Dabei
muss Staat zuerst für Transparenz und Ehrlichkeit in den
Bilanzen sorgen. Der Markt selbst produziert keine vertrauenswürdigen
Jahresabschlüsse. Deshalb sollte die
Rolle der Wirtschaftsprüfer direkt der staatlichen Kontrolle
unterstellt werden, durch stichprobenartige Prüfungen,
Strafen mit Abschreckungscharakter und eine Auftragsvergabe,
die nicht mehr dem Management die Wahl der
eigenen Kontrolleure überlässt.
Eine faire Beurteilung der Fehlentwicklungen in den letzten
Jahren muss aber auch das Unverständnis und die
Leichtgläubigkeit vieler Anleger in Betracht ziehen. Mehr
Eigenverantwortung kann man nicht verordnen, doch
der Staat kann – durch Erziehungskampagnen etwa oder
durch die Schaffung neuer, geschützter Berufe – dafür
sorgen, dass Investoren in Zukunft bessere Entscheidungen
treffen. Damit würde insgesamt der Rahmen staatlicher
Intervention in Deutschland keineswegs erweitert –
der Staat würde lediglich an den Kapitalmärkten das tun,
was er selbstverständlich bei der Zulassung von Ärzten
oder der Verfolgung von Falschgeldherstellern, bei Urkundenfälschern
und Heiratsschwindlern tut. Mehr Staat,
weniger Politik: So funktionieren nicht nur die Kapitalmärkte
insgesamt besser, sondern sie können dann ihre
wichtige Katalysatorwirkung für die Volkswirtschaft voll
entfalten.
Hinzu kommt die nicht unbeträchtliche Herausforderung,
für die richtigen Kontroll- und Strafinstanzen bei Betrug
und anderen kriminellen Machenschaften zu sorgen.
So kann der Staat dazu beitragen, dass sich die Kräfte
der Marktwirtschaft nutzbringend entfalten. Er kann die
Strafbestimmungen für Bilanzbetrug und Kursmanipulation
verschärfen sowie die Ermittlungsbehörden stärken,
sodass Insiderhandel mit größerer Wahrscheinlichkeit als
Falschparken bestraft wird. Millionenstrafen nach Vorbild
der SEC könnten dafür sorgen, dass sich die neuen
Ermittler selbst bezahlt machen. In Europa müssen vor
allem bessere Institutionen mit höher qualifizierten Mitarbeitern
geschaffen werden; weltweit müssen die Strafen
bei Vergehen so hoch sein, dass sich Betrug auch bei
nur geringer Aufdeckungswahrscheinlichkeit nicht lohnt.
Dazu passen die Bestimmungen des US-amerikanischen
Sarbanes-Oxley Gesetzes ganz gut, auch wenn die
extraterritoriale Anwendung viele Probleme bereitet.
Zusätzlich sollte die Aufdeckungswahrscheinlichkeit
selbst um ein Vielfaches erhöht werden, durch zusätzliche
Kontrollinstanzen und neue Regeln bei der Vergabe von
Bilanzprüfungsaufträgen. Auch hier sind die USA mit der
besseren finanziellen Ausstattung der SEC vorangegangen.
Europa sollte baldmöglichst gleichziehen.
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