31.12.2013 Aufrufe

Krise des Kapitalismus und Neuorientierung der Wirtschaftspolitik

Krise des Kapitalismus und Neuorientierung der Wirtschaftspolitik

Krise des Kapitalismus und Neuorientierung der Wirtschaftspolitik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der Gier eine Gasse – Ein Bonus für die Politik<br />

Sehr verehrter, lieber Herr Bun<strong>des</strong>kanzler,<br />

Quelle: Briefe an den Bun<strong>des</strong>kanzler; veröffentlicht in „Welt am Sonntag“ im Frühjahr 2000.<br />

Politiker gelten als geldgieriger Menschenschlag. Von <strong>der</strong> Amigo-Affäre über die Flick-Spenden zu den jüngsten<br />

Skandalen <strong>der</strong> CDU – kaum ein Jahr scheint zu vergehen, ohne dass die grenzenlosen Geldbedürfnisse <strong>der</strong><br />

Parteien <strong>und</strong> Politiker für Schlagzeilen sorgen. Diätenerhöhungen <strong>und</strong> Staatsgel<strong>der</strong> für die Parteien verstärken<br />

den Eindruck noch. Zugegeben – glaubt man gewissen Bestsellern <strong>der</strong> Managementliteratur, so sieht es in <strong>der</strong><br />

Wirtschaft nicht viel an<strong>der</strong>s aus.<br />

Deshalb heute ein bescheidener Vorschlag: <strong>der</strong> Gier eine Gasse. Dass in Marktwirtschaften Geld ein wichtiger<br />

Motivationsfaktor ist, sollte niemanden stören. Moralischer Eifer taugt nur begrenzt als Anreiz für wünschenswertes<br />

Handeln. Nicht nur viele Manager, auch je<strong>der</strong> Arbeiter bei VW <strong>und</strong> je<strong>der</strong> 22-jährige Börsenhändler<br />

erhalten heute einen Teil ihrer Bezüge leistungsabhängig, in Form von Bonuszahlungen am Jahresende.<br />

Warum nicht auch Politiker?<br />

Derzeit gibt es nur einen Preis, den ein erfolgreicher Politiker nach vollendeter Amtszeit gewinnen kann –<br />

die Wie<strong>der</strong>wahl. Ansonsten droht die Rückkehr auf die harten Oppositionsbänke, mit Abgeordnetensalär <strong>und</strong><br />

so weiter. Nicht existenzbedrohend, aber eben doch ein deutlicher Schritt zurück.<br />

Was ist das für ein Leistungsanreiz? Auch wer gut wirtschaftet o<strong>der</strong> kluge Politik macht – er steht <strong>und</strong> fällt mit<br />

<strong>der</strong> Performance <strong>der</strong> eigenen Partei bei den nächsten Wahlen o<strong>der</strong> mit dem möglichen Wankelmut <strong>des</strong> Koalitionspartners.<br />

Der Zusammenhang von Entlohnung <strong>und</strong> Leistung ist wohl nirgendwo so indirekt <strong>und</strong> flüchtig wie bei<br />

den Gehältern <strong>der</strong> Politiker.<br />

Natürlich kann man nicht einfach Bonuszahlungen am Jahresende nach dem Vorbild von Banken <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Wirtschaftsunternehmen ausschütten. Kurzfristiger Aktionismus ist gewiss nicht das richtige Rezept, <strong>und</strong><br />

Deutschland leidet kaum Mangel an dieser Art von politischem Einsatz. Was aber, wenn zum Ende <strong>der</strong> Amtszeit<br />

eine unabhängige Expertenr<strong>und</strong>e entscheiden würde – aufgr<strong>und</strong> vorab festgelegter Kennziffern –, welche Boni<br />

an Minister <strong>und</strong> Kanzler auszuzahlen sind?<br />

Die Details einer solchen Lösung kann ich hier nicht ausbreiten. Aber wie wäre es beispielsweise mit einer<br />

Kopplung <strong>der</strong> Zahlungen an die Position im Barro-Misery-Index (Summe aus Verän<strong>der</strong>ungen bei Inflation, Arbeitslosigkeit,<br />

Zinsen <strong>und</strong> Wachstumslücke). Auch da mag, über den kurzen Zeitraum von nur vier Jahren, Glück eine<br />

Rolle spielen, aber die Gefahr ist doch deutlich kleiner als bei einer jährlichen Beurteilung. Würde so verfahren,<br />

so wäre Manipulation schwierig. Eine Senkung <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit, beispielsweise, durch kräfiges Deficit Spending,<br />

steigende Haushaltsdefizite also, wäre nicht attraktiv, weil sie im Misery-Index durch in die Höhe getriebene<br />

Zinsen konterkariert würde. Wie weit die Inflationsrate einzubeziehen wäre, kann man diskutieren, da hier dank<br />

<strong>der</strong> Unabhängigkeit <strong>der</strong> Europäischen Zentralbank die Verantwortung <strong>der</strong> Politik stark eingeschränkt ist.<br />

Auch über weitere Verfeinerungen ließe sich nachdenken. So könnte man die für <strong>Wirtschaftspolitik</strong> maßgeblichen<br />

Politiker – Bun<strong>des</strong>kanzler, Finanz- <strong>und</strong> Wirtschaftsminister – mittels <strong>der</strong> Barro-Indikatoren entschädigen; für den<br />

Ges<strong>und</strong>heitsminister hingegen wäre eine Mischung aus Lebenserwartung, Kin<strong>der</strong>sterblichkeit <strong>und</strong> dem Anteil<br />

<strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsausgaben am BSP als Messlatte zu erwägen <strong>und</strong> für den Bildungsminister das Abschneiden<br />

deutscher Schul- <strong>und</strong> Universitätsabgänger bei standardisierten, internationalen Tests.<br />

Der Bonus soll natürlich nicht zur Bereicherung auf Kosten <strong>des</strong> Steuerzahlers führen. So ließe sich die Gesamtentlohnung<br />

in eine feste <strong>und</strong> eine erfolgsabhängige Komponente aufspalten. Die Höhe <strong>der</strong> Zahlungen könnte so<br />

gewählt werden, dass im Durchschnitt keine zusätzlichen Kosten entstehen – gute Politiker verdienen mehr als<br />

heute, schlechtere eben deutlich weniger.<br />

Zwei Folgen wären zu erwarten. Erstens wäre Leistung in einer Form messbar, die über die letzten Popularitätsumfragen<br />

<strong>und</strong> die Überschriften <strong>der</strong> Boulevardpresse hinausgeht. Im Mittelpunkt <strong>des</strong> Interesses stünden die<br />

Höhe <strong>des</strong> zu erwartenden Bonus <strong>und</strong> damit zwangsläufig auch die erbrachten Leistungen.<br />

Zweitens würde eine öffentliche Debatte über die zu verwendenden Erfolgskennziffern dazu führen, dass mehr<br />

gesellschaftlicher Konsens über die Hauptziele <strong>der</strong> Politik entsteht. Soll <strong>der</strong> Bonus <strong>des</strong> Sozialministers allein<br />

danach ermittelt werden, welcher Prozentsatz <strong>der</strong> Bevölkerung unter <strong>der</strong> Armutsgrenze lebt? O<strong>der</strong> sollte man die<br />

durchschnittliche Rentenhöhe, aber auch die implizite Staatsverschuldung durch ungedeckte Rentenzusagen<br />

ebenfalls integrieren? Schwierige Fragen, <strong>und</strong> gerade <strong>des</strong>halb würde die öffentliche Auseinan<strong>der</strong>setzung über<br />

Bonuszahlungen einen Schritt nach vorn auch für die politische Kultur bedeuten. Wird über Prioritäten dieser Art<br />

erst einmal gestritten, werden vielleicht auch wie<strong>der</strong> mehr Menschen anfangen zu glauben, dass Politik kein<br />

Selbstbedienungsladen für „die da oben“ ist – <strong>und</strong> zwar gerade dank Bonuszahlungen.<br />

Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen<br />

Werner G. Seifert<br />

32

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!