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Krise des Kapitalismus und Neuorientierung der Wirtschaftspolitik

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keynesianischem Rezept konnten das Wachstum leicht<br />

erhöhen. Gleichzeitig aber schnellten Inflation <strong>und</strong> Zinsen<br />

so stark nach oben, dass er den zweifelhaften Ruhm hat,<br />

<strong>der</strong> wirtschaftlich am wenigsten erfolgreiche Kanzler<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit zu sein. Seinem Nachfolger Helmut<br />

Schmidt hingegen gelang es, die Inflation unter Kontrolle<br />

zu bringen; die Zinsen sanken wie<strong>der</strong>. Gleichzeitig aber<br />

brach das Wachstum ein – mit hochgradig negativen<br />

Folgen für die Beschäftigungslage.<br />

Unter Schrö<strong>der</strong> ist Wachstum das Problem Nummer eins<br />

– eine Abweichung vom langfristigen Wachstumspfad um<br />

2,3 Prozentpunkte ist dramatisch. Bei <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit<br />

hingegen weist <strong>der</strong> Barro Index für Schrö<strong>der</strong> sogar eine<br />

Verbesserung auf – 1997 ist wegen hoher Arbeitslosigkeit<br />

als Vergleichsjahr beson<strong>der</strong>s günstig, <strong>und</strong> die Reduktion<br />

<strong>der</strong> Erwerbslosigkeit in den Jahren 2000 <strong>und</strong> 2001 hilft<br />

dem Durchschnitt. Bei Inflation <strong>und</strong> Zinsen hingegen sind<br />

kaum Verän<strong>der</strong>ungen festzustellen.<br />

Ist Schrö<strong>der</strong> also besser als sein Ruf? Interessant ist, wie<br />

sich in den letzten Jahrzehnten die als wesentlich wahrgenommenen<br />

Probleme verschoben haben. Während in<br />

den Siebzigerjahren die Inflation zum Sorgenkind Nummer<br />

eins wurde, ist es heute die Arbeitslosigkeit <strong>und</strong>, in<br />

geringerem Umfang, das Wachstum. Unser Index gewichtet<br />

diese Faktoren gleich <strong>und</strong> damit fairer als die Wahrnehmung<br />

<strong>der</strong> Zeitgenossen, die stets auf die als beson<strong>der</strong>s<br />

drückend empf<strong>und</strong>enen Problemfel<strong>der</strong> zusätzliches<br />

Gewicht legt. Bei <strong>der</strong> ins Stocken geratenen Steigerung<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftsleistung ist die Kritik an Schrö<strong>der</strong> berechtigt.<br />

Hier schneidet er ähnlich schlecht wie Kohl ab,<br />

ohne dass die Inflationsbekämpfung dafür eine gute Entschuldigung<br />

böte. Bei <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit scheint Kritik<br />

weniger berechtigt zu sein. Schrö<strong>der</strong> startete mit einer<br />

extrem hohen Erwerbslosenquote <strong>und</strong> hat diese relativ<br />

erfolgreich in den ersten Jahren <strong>der</strong> Amtszeit reduziert. Im<br />

Durchschnitt ergibt sich eine Abnahme <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit,<br />

so schlecht die Zahlen <strong>des</strong> Jahres 2002 auch wie<strong>der</strong><br />

geworden sind. Bei <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Arbeitslosenzahlen<br />

schlägt ihn unter den deutschen Kanzlern nur<br />

Adenauer. Allerdings zeigen sich hier die Grenzen <strong>des</strong><br />

Indikators. Schwer zu berücksichtigen sind Faktoren wie<br />

<strong>der</strong> demografische Rückenwind, <strong>der</strong> eine Reduktion <strong>der</strong><br />

Arbeitslosenzahlen deutlich erleichtert hat – je<strong>des</strong> Jahr<br />

war die Anzahl <strong>der</strong> frisch gebackenen Rentner höher als<br />

die Zahl <strong>der</strong> neu in den Arbeitsmarkt eintretenden jungen<br />

Menschen. Für die Wahrnehmung <strong>und</strong> das Urteil sind<br />

nicht nur Verän<strong>der</strong>ungen ausschlaggebend – auch die<br />

absolute Höhe <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit, die allgemein als unakzeptabel<br />

angesehen wird, zählt. Die Enttäuschung ist<br />

hier umso erklärlicher, als Schrö<strong>der</strong> sein selbst gestecktes<br />

Ziel einer Reduktion <strong>der</strong> Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen<br />

weit verfehlt hat.<br />

Die Politik <strong>der</strong> Ausreden <strong>und</strong> die hausgemachte <strong>Krise</strong><br />

Schrö<strong>der</strong> wurde zu einem guten Teil auch wegen <strong>der</strong><br />

Enttäuschung <strong>und</strong> wachsenden Frustration <strong>der</strong> Menschen<br />

nach <strong>der</strong> jahrelangen wirtschaftlichen Stagnation <strong>und</strong> Reformunfähigkeit<br />

unter Kohl gewählt. Nach katastrophalem<br />

Start mit Finanzminister Lafontaine sah es zunächst so<br />

aus, als ob die Regierung ihre ideologischen Scheuklappen<br />

ablegen <strong>und</strong> pragmatisch neue Wege beschreiten<br />

würde. Im Jahr 2000 schienen sich Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Regierung in ihren Auffassungen näher zu kommen.<br />

Die Steuerreform <strong>und</strong> die Freistellung von Veräußerungserlösen<br />

aus Firmenverkäufen waren Schritte in die richtige<br />

Richtung. Gleichzeitig aber wurden diese Erfolge durch<br />

Rücknahme <strong>der</strong> Minireformen unter Kohl bei <strong>der</strong> Rente,<br />

<strong>der</strong> Lohnfortzahlung <strong>und</strong> beim Kündigungsschutz diese<br />

Leistungen sofort wie<strong>der</strong> relativiert. Hektischer Aktivismus<br />

bei <strong>der</strong> „Rettung“ <strong>der</strong> Holzmann AG ging Hand in Hand<br />

mit <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> „ruhigen Hand“ Schrö<strong>der</strong>s, die immer<br />

mehr an das Aussitzen unter Kohl erinnert. Die mangelnde<br />

Kohärenz in <strong>der</strong> <strong>Wirtschaftspolitik</strong> wirkt gerade so, als<br />

hätten die Sozialdemokraten Karl Marx als ideologisches<br />

Vorbild gegen die tolpatschigen Marx Brothers eingetauscht.<br />

An wirtschaftspolitischen Fehlern herrscht also kein<br />

Mangel. Doch die Regierung versucht, die Misere durch<br />

Verweis auf den „Gegenwind <strong>der</strong> Weltwirtschaft“ zu entschuldigen.<br />

Der Barro Index berücksichtigt Verän<strong>der</strong>ungen<br />

im gesamtwirtschaftlichen Umfeld wie die weltweite<br />

Wachstumsschwäche seit 2001 nicht direkt. Es stellt sich<br />

<strong>des</strong>halb die Frage, ob diese von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung immer<br />

wie<strong>der</strong> vorgebrachte Erklärung für das schlechte Abschneiden<br />

tatsächlich sinnvoll ist. Trotz diverser Mängel<br />

haben wir nicht den Barro Index selbst verän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n<br />

ihn auf eine Reihe an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> angewandt. Durch<br />

den Vergleich wird damit deutlich, ob es tatsächlich<br />

einen weltweit wirksamen Trend gibt, <strong>der</strong> die höchst<br />

mittelmäßige Platzierung <strong>der</strong> Regierung Schrö<strong>der</strong> entschuldigen<br />

könnte.<br />

In den USA finden wir auf den letzten Plätzen, ähnlich<br />

wie in Deutschland, die Präsidenten aus den Siebzigerjahren,<br />

denen die Ölschocks die Bilanz verhagelten –<br />

Carter, Nixon <strong>und</strong> Ford. Clinton liegt hinter Reagan of<br />

Platz zwei, während sich Bush Jr. nur knapp vor seinem<br />

Vater auf Rang fünf behauptet. Die beiden US-Präsidenten,<br />

die zeitgleich mit Schrö<strong>der</strong> regiert haben, liegen in<br />

ihrer wirtschaftspolitischen Performance zwischen Mittel-<br />

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