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Martin Ingenfeld - Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft

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Verfahren legitimer Rechtssetzung ausreicht, um den Legitimationsbedarf des<br />

liberalen Verfassungsstaats unabhängig von religiösen oder metaphysischen<br />

Begründungen bestreiten zu können. Es bestehe – in kognitiver Hinsicht – kein<br />

Legitimitäts- und Geltungsdefizit der Verfassungsordnung und des positiven Rechts,<br />

da sie prozedural durch demokratische, rechtmäßige Verfahren durch die<br />

Rechtsordnung selbst erzeugt werden. Das demokratische Verfahren bedarf keiner<br />

Absicherung durch eine ihr äußere Kraft, etwa die Religion oder die Sittlichkeit,<br />

sondern schöpfe die Verbindlichkeit der Rechtsnormen aus sich selbst; Legitimation<br />

gewinnt die Staatsgewalt letztendlich und wenigstens prinzipiell aus der vernünftigen<br />

Zustimmung jedes einzelnen Bürgers. 59<br />

Auch seine motivationalen Ressourcen, d.h. die „politische[n] Tugenden“ der Bürger,<br />

ihre Rechte nicht nur im eigenen Interesse, sondern in Orientierung auf das<br />

Gemeinwohl auszuüben, vermag der liberale Staat aus eigenen Quellen zu<br />

bestreiten, nämlich aus der spezifischen Eigendynamik demokratischer Praxis: „Das<br />

vermisste ‚einigende Band’ ist der demokratische Prozess selbst – eine nur<br />

gemeinsam auszuübende kommunikative Praxis, in der letztlich das richtige<br />

Verständnis der Verfassung zur Diskussion steht.“ 60 Dabei räumt Habermas zwar ein,<br />

dass die politischen Tugenden des Staatsbürgers wie die Wahrnehmung des<br />

Wahlrechts oder das Einstehen <strong>für</strong> andere Mitbürger und die Allgemeinheit durchaus<br />

auch „Sache der Sozialisation und der Eingewöhnung in die Praktiken und<br />

Denkweisen einer freiheitlichen politischen Kultur“ sind. „Der Staatsbürgerstatur ist<br />

gewissermaßen in eine Zivilgesellschaft eingebettet, die aus spontanen, wenn Sie<br />

wollen ‚vorpolitischen’ Quellen lebt.“ 61 Daraus allerdings folge nicht, dass er abhängig<br />

sei von ihm äußerlichen Quellen staatsbürgerlicher Loyalität.<br />

Das Böckenförde-Diktum ist zunächst und vor allem als Beschreibung eines<br />

Dilemmas zu verstehen. Böckenförde bestreitet die Neutralitätsverpflichtung<br />

keineswegs, dennoch geht er davon aus – „im Gegensatz zur Hauptrichtung der<br />

politischen Philosophie des Liberalismus“ 62 – , dass der liberale Staat auf die<br />

moralische Substanz der Bürger, auf die Homogenität der Gesellschaft und ihre<br />

59<br />

Vgl. Habermas 2007, S. 19-21.<br />

60<br />

Habermas 2007, S. 24.<br />

61<br />

Habermas 2007, S. 23.<br />

62<br />

Reiß 2008, S. 206.<br />

24

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