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Martin Ingenfeld - Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft

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einer Angelegenheit wird, welche dieser aus eigener Kraft nicht vollständig<br />

sicherstellen kann. Vielmehr setzt die Ausübung der Volkssouveränität <strong>für</strong> Habermas<br />

die Anerkennung der Menschenrechte schon voraus, deren Substanz sich wiederum<br />

aus den formalen Bedingungen des Diskursprinzips ergibt. Aus Habermas'<br />

Perspektive vertritt Böckenförde in seiner Konstruktion eines<br />

Spannungsverhältnisses zwischen Volkssouveränität und Menschenrechten die<br />

liberale Tradition, in der die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit den Vorrang der<br />

Menschenrechte begründet. 65 Insofern Habermas' diskurstheoretischer Ansatz<br />

jedoch auf einen überpositiven Referenzrahmen des Rechts verzichtet und dieses<br />

gewissermaßen weiter säkularisiert, lassen sich die Menschenrechte nicht als<br />

äußere Schranke eines souveränen Gesetzgebers verstehen. Vielmehr sind es die<br />

demokratischen Verfahren selbst, die unter Voraussetzung der gleichmäßigen<br />

politischen Autonomie aller Bürger Legitimität erzeugen.<br />

Allerdings räumt auch Habermas ein, dass die Autarkie des demokratischen<br />

Rechtsstaates diesen, hinsichtlich sowohl seiner kognitiven wie seiner motivationalen<br />

Ressourcen, nicht davor bewahren kann, von außen in Gefahr zu geraten. Trotz der<br />

eigenständigen Rechtfertigungsfähigkeit der Demokratie bleiben Habermas Zweifel<br />

daran, ob es dem pluralistischen Gemeinwesen gelingen kann, sich jenseits von bloß<br />

formalen Verfahren und Prinzipien normativ selbst zu stabilisieren, d.h. einen<br />

motivationalen Konsens seiner Bürger zu schaffen. Von diesen werde als den<br />

Mitgliedern eines demokratischen Verfassungsstaates anspruchsvoll erwartet, sich<br />

als Autoren und Adressaten des Rechts zugleich zu verstehen und am Gemeinwohl<br />

zu orientieren. Das Wahlrecht im Interesse des Gemeinwesens wahrzunehmen oder<br />

<strong>für</strong> fremde Mitbürger und die Allgemeinheit einzustehen, erfordere jedoch eine<br />

Motivation, die sich nicht schon aus dem rationalen Eigeninteresse von Individuen<br />

innerhalb einer Gesellschaft ergibt. 66 Die Solidarität der Bürger untereinander und mit<br />

dem Gemeinwesen als Ganzem sieht Habermas jedoch durch die Entwicklungen<br />

einer entgleisenden Modernisierung und Säkularisierung der Gesellschaft<br />

gefährdet: 67<br />

Deshalb sind politische Tugenden, auch wenn sie nur in kleiner Münze<br />

‚erhoben’ werden, <strong>für</strong> den Bestand einer Demokratie wesentlich. Sie sind<br />

Sache der Sozialisation und der Eingewöhnung in die Praktiken und<br />

65<br />

Vgl. Habermas 1999a.<br />

66<br />

Vgl. Habermas 2007, S. 22-24.<br />

67<br />

Vgl. Habermas 2007, S. 16f.<br />

26

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