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Martin Ingenfeld - Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft

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deshalb, weil er der Religion gewissermaßen intrinsischen Wert beimessen würde –<br />

das kann er allein auf Grund seiner Neutralität nicht. Seine Aufgabe ist es, freie und<br />

gerechte Rahmenbedingungen <strong>für</strong> das autonome Wirken der verschiedenen<br />

Religionsgemeinschaften sicherzustellen. Er kann aber beispielsweise nicht<br />

eingreifen, wenn eine bestimmte Religion nicht mehr in der Lage sein sollte, ihren<br />

Fortbestand aus eigener Kraft zu gewährleisten. Der Staat verbindet mit seinem<br />

Willen zur Kooperation mit den Religionsgemeinschaften stets eigenes Interesse,<br />

nämlich das der Stabilisierung seiner eigenen, vorpolitischen Grundlagen.<br />

Religiöse Bürger be<strong>für</strong>worten keineswegs natürlicherweise einen großen Einfluss der<br />

Religion auf die Politik. Oft tun sie das. Aber es ist möglich und auch sehr<br />

wahrscheinlich, dass gerade die Anhänger der beiden christlichen Großkirchen die<br />

religionspolitische Ordnung unseres Landes nicht aus religiösen, sondern in erster<br />

Linie aus politischen Gründen be<strong>für</strong>worten. Der Staat sollte sich nicht darauf<br />

verlassen, dass seine religiösen Bürger stets danach streben, auf die politische<br />

Ordnung in irgendeiner Weise – ob nun stabilisierend oder destruktiv – Einfluss zu<br />

nehmen. Die politische Instrumentalisierung der Religion wird an dem Punkt<br />

scheitern, wo sich die Religion der Politik bewusst entzieht. Im eigenen Interesse des<br />

freiheitlich-demokratischen Staates ist daher zu hoffen, dass ihm seine vitale<br />

Angewiesenheit auf vorpolitische Kräfte nicht erst dann schmerzlich bewusst wird,<br />

wenn diese sich von ihm ablösen. Dass gerade der demokratische Staat aus den<br />

vorgenannten Gründen ein vernünftiges Interesse daran hat, ein kooperatives<br />

Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften, welchen seine Bürger anhängen, zu<br />

etablieren oder zu erhalten, bedeutet umgekehrt nicht, dass diese stets ein eigenes<br />

Interesse daran haben, mit dem Staat zu kooperieren. Aus der Perspektive der<br />

demokratischen politischen Ordnung gilt daher die Aufforderung Böckenfördes an die<br />

Christen innerhalb der säkularisierten Gesellschaft Europas unverändert fort: Sie<br />

sollen sich mit ihm anfreunden und sich <strong>für</strong> ihn einsetzen,<br />

nicht in der Weise, daß er zum ‚christlichen’ Staat rückgebildet wird,<br />

sondern in der Weise, daß die Christen diesen Staat in seiner Wirklichkeit<br />

nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen,<br />

sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und zu realisieren<br />

auch ihre Aufgabe ist. 78<br />

78<br />

Böckenförde 1967, S. 94.<br />

32

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