Zehn14 - Das Evangelische Elternmagazin (Pilotausgabe)
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<strong>Zehn14</strong> sommer 2013 Familie<br />
Ruhe nach<br />
dem Sturm<br />
Stress im Beruf, wenig Schlaf, Geldsorgen – Ayhan Demirel<br />
konnte nicht mehr. Vier Jahre nach seinem Burnout<br />
hat der junge Vater gelernt, auf seine Grenzen zu achten.<br />
Text: Jutta Oster<br />
Fotos: Rudolf Wichert<br />
Ayhan Demirel nimmt sich jetzt Zeit für sich und seine Familie. Seit seinem Zusammenbruch vor vier Jahren geht der 37-Jährige anders mit Stress um.<br />
Es war der Moment, in dem Ayhan Demirel<br />
(37) klar wurde, dass er nicht mehr<br />
kann. Sein Geselle sprach ihn an, weil er<br />
eine Leiter brauchte. Als Chef hätte Ayhan<br />
Demirel ihm sagen können, dass er<br />
sich die Leiter selbst aus dem Lager holen<br />
soll. Tat er aber nicht. In dem Moment<br />
brach alles aus ihm heraus – die Dreifachbelastung<br />
aus 14-Stunden-Arbeitstagen,<br />
dem anstrengenden Alltag mit einem<br />
Neugeborenen und Geldsorgen wegen<br />
seiner Firma. Ayhan Demirel brüllte den<br />
Gesellen an, warf sein Handy gegen die<br />
Wand und brach anschließend in Tränen<br />
aus. Vier Jahre ist das jetzt her und<br />
Ayhan Demirel aus Neuss-Weckhoven<br />
denkt ungern an diese Zeit zurück.<br />
Wenige Monate nach seinem Zusammenbruch<br />
musste die Malerfirma, die<br />
der türkische Vater zusammen mit einem<br />
Partner führte, Insolvenz anmelden. Und<br />
obwohl Ayhan Demirel jetzt plötzlich<br />
viel Zeit hatte, fühlte er sich komplett<br />
ausgebrannt. Sein Baby schrie viel und<br />
es gelang dem jungen Vater in den ersten<br />
sechs Monaten nicht, eine Beziehung<br />
zu seinem Kind aufzubauen. Es<br />
blieb ihm sonderbar fremd. Dazu kamen<br />
materielle Sorgen; die Familie<br />
musste von Arbeitslosengeld leben.<br />
Ayhan Demirel hatte nicht mehr die<br />
Kraft, aufzustehen und sich einen Job<br />
zu suchen, er saß oft nur teilnahmslos<br />
im Wohnzimmer, ihm war alles egal.<br />
Gleichzeitig fühlte er sich ständig unter<br />
Strom, war gereizt und aggressiv, brüllte<br />
seine Frau an. In der Nacht schlief er<br />
unruhig.<br />
Er ging zum Arzt, der ihm eine Psychotherapie<br />
empfahl. Noch immer ist Ayhan<br />
Demirel in Behandlung. Hier hat er gelernt,<br />
auch mal „Nein“ zu sagen. Seine<br />
Grenzen aufzuzeigen. Bei der Arbeit einen<br />
zweiten Mann einzufordern, wenn<br />
ihm die Arbeit zu viel wird. Nicht so ungeduldig<br />
und impulsiv zu sein. Sich Zeit<br />
für sich selbst und seine Frau Emel zu<br />
nehmen. Nach einem Jahr ging es dem<br />
Vater, der in Deutschland aufgewach-<br />
sen ist, allmählich wieder besser. Er fand<br />
Arbeit als Maler und Lackierer, allerdings<br />
immer nur bei Leiharbeitsfirmen – bis heute.<br />
Zu seinem Kind<br />
konnte er langsam<br />
eine Beziehung aufbauen.<br />
„Deniz hat<br />
mir in dieser Zeit<br />
viel Kraft gegeben“,<br />
sagt Ayhan Demirel<br />
heute. Der Junge<br />
geht in Neuss<br />
in die Kita „Friederike<br />
Fliedner“. In<br />
der Einrichtung haben<br />
auch die Eltern<br />
vieles gelernt,<br />
das sie zu Hause weiterführen: „Liebe,<br />
Gelassenheit und die richtige Form von<br />
Konsequenz“, sagt der Vater. Deniz hat<br />
Ihm war alles egal.<br />
Gleichzeitig fühlte<br />
er sich ständig<br />
unter Strom,<br />
war gereizt und<br />
aggressiv.<br />
Fünf Tipps<br />
gegen Überlastung<br />
auch viele Rituale aus der Kita mit<br />
nach Hause gebracht. Zum Beispiel, vor<br />
dem Essen zu beten. Damit hat er seine<br />
Familie erst dazu<br />
gebracht, gemeinsam<br />
am Tisch<br />
zu sitzen und zu<br />
essen. „Vorher lief<br />
bei uns dauernd der<br />
Fernseher“, so Demirel.<br />
Seit elf Monaten ist<br />
die Zeit bei den Eltern<br />
wieder etwas<br />
knapper geworden:<br />
Devrim, der zweite<br />
Sohn, ist zur Welt gekommen. Dieses Mal<br />
war Ayhan Demirel von Anfang an als<br />
Vater dabei. ✲<br />
1 Ein gutes Netzwerk aufbauen – innerhalb der eigenen Verwandtschaft,<br />
aber auch zu anderen Familien. In Notfällen kann man sich so gegenseitig<br />
unterstützen. Kontakte lassen sich zum Beispiel über Familienzentren oder<br />
Elterncafés in vielen Einrichtungen knüpfen.<br />
2 Sich darauf verlassen, dass das Kind in der Kita oder im Kindergarten verlässlich<br />
aufgehoben ist – das nimmt Druck von den Eltern.<br />
3 Hilfe annehmen, wenn es in der Familie mal nicht rundläuft, etwa über die<br />
Erziehungsberatungsstellen. Die Erziehenden frühzeitig einbinden, wenn<br />
es Probleme in der Familie gibt.<br />
4 Sich Pausen gönnen und auf sich selbst achten – auch Eltern brauchen ab<br />
und an Auszeiten. Bei der Arbeit, wenn nötig, Grenzen aufzeigen.<br />
5 Nicht zu perfektionistisch sein: Bei der Doppelbelastung Beruf – Familie<br />
müssen Eltern auch mal ein Auge zudrücken können, zum Beispiel im<br />
Haushalt.<br />
Gudrun Erlinghagen ist Sozialpädagogin, Fachberaterin<br />
für Tageseinrich tungen und Geschäftsführerin der Jugendhilfe<br />
Neuss-Süd, zu der auch die Kita „Friederike<br />
Fliedner“ gehört. Fachberaterinnen und Fachberater unterstützen<br />
die Einrichtungsträger, um die Qualität der<br />
Arbeit weiterzuentwickeln und um das evangelische<br />
Profil der Einrichtungen zu stärken.<br />
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