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Dr. Helmuth Figdor - SFBB

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Fachtagung - Umgang mit dem umgangsunwilligen Kind<br />

am 13.02.13 im Jagdschloss Glienicke<br />

Aufzeichnung des Vortrages von <strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong><br />

Mein Wunschgericht<br />

Recht schönen guten Tag wünsche ich Ihnen. Es ist wahnsinnig viel erzählt worden<br />

heute schon. Ich habe mich entschlossen, Ihnen ein paar Geschichten zu erzählen<br />

und jetzt nicht unbedingt ein durchgängiges theoretisches Referat zu halten. Im Großen<br />

und Ganzen ganz nette Geschichten. Ich hoffe, dass es Sie interessiert und was<br />

Sie auch hier zusammengebracht hat, zumindest berührt. Mit etwas besonders<br />

Schönem beginne ich. Es wurde heut schon gesagt, “Zusammenwirken im Familienkonflikt“<br />

feiert im März das 25-jährige Bestehen. Was vielleicht untergegangen ist, ich<br />

feiere auch ein Jubiläum, nämlich 20 Jahre Zusammenarbeit mit „Zusammenwirken<br />

im Familienkonflikt“. Es war nämlich am 21. Oktober 1993 als ich das erste Mal eingeladen<br />

worden bin. Das war einige Zeit nach dem damaligen Forschungsprojekt<br />

über die langfristigen Wirkungen der Trennung auf die betroffenen Kinder, das wir in<br />

Wien mit der Sigmund-Freud-Gesellschaft durchgeführt haben, wurde ich hier eingeladen,<br />

worüber ich mich sehr, sehr gefreut hab. Und zwar war das nicht nur 1993,<br />

also vor 20 Jahren, sondern der Veranstaltungsort war das Jagdschloss Glienicke,<br />

nämlich genau hier. Allerdings nicht in diesem mäßig schönen Raum, sondern nebenan,<br />

wobei in meiner Erinnerung war der viel größer. Vielleicht war das auch mal<br />

ein großer Raum. Jedenfalls viel Stuck und wunderschön und dieser Blick hinaus.<br />

Also das ist noch eine sehr, sehr schöne Erinnerung.<br />

Ich hab mir gedacht, das ist natürlich so eine nostalgische Reminiszenz an eine Zeit,<br />

die lange her ist und inzwischen hat sich irrsinnig viel verändert und ich habe so ein<br />

bisschen geschaut, worüber wir damals gesprochen haben und worüber wir miteinander<br />

diskutiert haben. Natürlich besonders spannend war das, was ich damals erzählt<br />

habe (allgemeines Gelächter). Und für mich ist das eigentlich ganz spannend,<br />

also ich hab das jetzt zurückerinnert in der Mittagspause gemacht nach dem heutigen<br />

Vormittag und eines der Themen, über die ich erzählt hatte, ist „Unter welchen<br />

Umständen kann denn überhaupt Beratung der Eltern in strittigen Fällen Erfolg haben?“<br />

und hatte darauf hingewiesen, dass es sicher nicht nur um ein Fehlverhalten<br />

von Eltern handelt, dass es sich nicht nur darum handelt, dass die halt irrsinnig egoistisch<br />

sind und miteinander streiten oder sonst was, sondern dass die eigenen Erfahrungen,<br />

Verletzungen und Kränkungen, die sie im Zuge der Trennung hinter sich<br />

haben, sehr, sehr häufig dahingehend sich auswirken, dass die gar nicht anders


2<br />

können als so zu tun, wie sie tun. Also sie sind also nicht schlicht und einfach böse,<br />

sondern die können im Augenblick gar nicht anders.<br />

Sie haben vielleicht diesen Folder gesehen, meine Einladung hier trifft sich damit,<br />

dass mein neues Buch auch gerade fertig geworden ist. Da steht eh das meiste, was<br />

man wissen muss auf der Welt, steht da drinnen (allgemeines Gelächter). Ich hab<br />

dort ein Kapitel über die Psychologie hochstrittiger Eltern und da ein bisschen versucht<br />

zu zeigen, dass es manchmal gar nicht möglich ist, psychisch zu überleben,<br />

wenn man nicht den anderen bekämpft. So furchtbar das für die Kinder sein mag.<br />

Und eine Konsequenz war – und ich möchte Ihnen das gerne vorlesen – das schließt<br />

so schön an Ihren heutigen Vortrag an:<br />

Solche Überlegungen haben ziemliche Konsequenzen für die Praxis, und zwar sowohl<br />

in Beratungs- als auch in Forschungsbereichen. Im Beratungsbereiche etwa in<br />

der Richtung, dass massive oder signifikante Veränderungen in familiendynamischen<br />

Konstellationen oder auch im Verhalten nur möglich sein werden, wenn es auch zu<br />

Veränderungen im Inneren der Eltern kommt, im Gefühlsbereich, im Hoffnungsbereich,<br />

im Bereich der Ängste und Befürchtungen und eine Konsequenz ist Einzelsettings<br />

mit dem Elternteil. Weil anders ist das gar nicht möglich.<br />

Ein Thema, das Sie heute angeschnitten haben, ist eines der drei E’s. Das zweite,<br />

was ich spannend gefunden hab, war – ich hab in meinem Vortrag damals ein einziges<br />

Fallbeispiel gebracht und das war ein ganz verbreitetes Thema. Ich lese Ihnen<br />

das auch ein bisschen vor. Moment, wo hab ich denn das, wo hab ich denn das. So.<br />

Ja. Ich mach das kurz:<br />

Das Kind hat den Kontakt zum Vater verweigert, Grundschulalter frühes, es ist begleiteter<br />

Umgang angeregt und angeordnet worden und dieses Kind hat diese Stunden<br />

mit dem Vater so verbracht, dass es sich in eine Ecke gesetzt hat, mit dem Rücken<br />

zum Zimmer und mit dem Rücken auch zum Vater mit einem Bilderbuch in der<br />

Hand und hatte so jeglichen Kontakt verweigert mit diesem Vater. Da gibt es eine<br />

Version der Mutter, die das dem Vater zuschreibt, er habe das mit seiner Unmöglichkeit<br />

selber provoziert und selbst verschuldet. Bei dem Vater war das auch ganz klar<br />

durch die Manipulation und durch den Einfluss der Mutter, die das Kind gegen ihn<br />

aufhetzt. Natürlich ist auch nicht dies die wahre Version, habe ich damals erzählt,<br />

diese liegt auch nicht einfach dazwischen. Die Geschichte ist immer etwas komplexer.<br />

Auch die Ablehnung des Kindes gegenüber dem Vater ist eine komplexe Geschichte<br />

und dann geht’s weiter. Um hier den Punkt zu finden, wo man den Hebel<br />

ansetzen kann und dieses System, das sich bereits wie eine Spirale entwickelt hat,<br />

aufzubrechen und um vielleicht eine gegenseitige Entwicklung einzuleiten. Dafür


3<br />

braucht man sehr viel Verständnis und Wissen über das, was eigentlich passiert ist.<br />

Die Frage ist also immer: „Was ist hier geschehen, womit haben wir es zu tun?“.<br />

Also genau die Frage, die Sie heute auch gestellt haben. Sie sehen, die Themen haben<br />

sich nicht verändert. Die Probleme haben sich nicht verändert. Trotzdem hat sich<br />

natürlich sehr viel verändert. Also die Probleme existieren, die Realität hat sich trotzdem<br />

ganz deutlich gewandelt und im Zentrum für mich steht, dass im Zuge der gesamten<br />

neuen Gesetzgebungen, die sich in den letzten 20 Jahren in Deutschland<br />

und auch in Österreich abgespielt haben, zumindest ein Punkt signifikant sich verändert<br />

hat. Die durchschnittliche Abbruchsrate so zwei bis drei Jahre nach der Trennung<br />

der Eltern ist unter den Bedingungen der Alleinsorge von ca. 40% - es gibt<br />

auch Untersuchungen, die noch höhere Ergebnisse haben, auf ca. 15% zurückgegangen.<br />

Und das ist schon eine ganz, ganz enorme Geschichte. Also die Studie von<br />

Proksch zum Kindschaftsrecht zeigt sehr, sehr deutlich, inwieweit es gerade auch<br />

tatsächlich die gemeinsame Sorge als Regelfall war, die diesen Effekt hat. Er kann<br />

das statistisch ganz schön nachweisen. Wir haben das in unserer Evolutionsstudie in<br />

Österreich methodisch ein bisschen anders angegangen und konnten aber auch zeigen,<br />

dass es tatsächlich so ist, dass die gemeinsame Sorge einen Rahmen darstellt,<br />

auch ein Regulativ darstellt, auch ein System von Normen darstellt, das in der Lage<br />

ist, die Konflikte zwischen den Eltern allmählich zu deeskalieren. Also man kann davon<br />

ausgehen, dass, wenn man so ein gegebenes Konfliktniveau zwischen Eltern<br />

hat, und man hätte eine Alleinsorge, dass dann die Geschichte eskaliert, und unter<br />

den Bedingungen der gemeinsamen Sorge deeskaliert. Und das sind schon Dinge,<br />

die sich verändert haben. Dass natürlich das Gesetz nicht, auch das Recht nicht,<br />

auch das Gericht nicht in der Lage ist, sicherzustellen, dass für jedes Kind die Entwicklung<br />

so sich gestaltet, dass es optimal ist für seine Entwicklung, das ist selbstverständlich.<br />

Im Familienrecht können Gesetze nicht Entwicklungsabläufe definieren<br />

und bestimmen. Sie können einen Rahmen darstellen, Inhalt dessen die Wahrscheinlichkeit<br />

optimiert wird, dass es den Kindern gut geht. Die Verantwortung dafür, dass<br />

dieser Rahmen dann auch wirklich ausgefüllt wird im Sinne des Kindeswohls, im Sinne<br />

der Entwicklungsinteressen der Kinder, diese Verantwortung bleibt allemal bei<br />

den Eltern. Also die Probleme inhaltlich haben sich nicht verändert. Aber es hat sich<br />

schon enorm viel verändert. Ich glaube, auf das können wir hier alle miteinander irrsinnig<br />

stolz sein. Da hat sich also wirklich sehr, sehr, sehr viel getan.<br />

Das umgangsverweigernde Kind. Es ist ein ganz seltene Geschichte, oder vielleicht<br />

ist es überhaupt das allererste Mal in meiner gesamten Laufbahn als Eingeladener in<br />

Deutschland, dass ich Ihnen aus österreichischer Familiengerichtsrechtsgesetzgebung<br />

etwas Tolles erzählen kann (allgemeines Gelächter). Die Verfahrensbeistän-


4<br />

de unter Ihnen werden das wahrscheinlich wissen, das – denke ich – hat sich schon<br />

ein bisschen herumgesprochen. Wir haben seit etwas über zwei Jahren in Österreich<br />

ein Kinderbeistandsgesetz (siehe konkreten Gesetzestext des § 104a Außerstreitgesetzt<br />

im Anhang). Das geht ganz ähnlich wie der Verfahrensbeistand in Deutschland,<br />

ist aber etwas ziemlich anderes. Kinderbeistände bei uns ins Österreich haben keine<br />

rechtliche Position als, also keine Parteistellung vor Gericht, sie werden bestellt vom<br />

Richter, um Kindern, die von der Trennung, vom Verfahren besonders belastet sind,<br />

zu unterstützen. Es kommt zu einem persönlichen Kontakt zwischen Kind und Kinderbeistand<br />

nach einer Information der Eltern. Dieser Kontakt geht dann über die<br />

gesamte Dauer des Verfahrens. Das kann also drei Monate, sechs Monate, ein Jahr<br />

ausmachen in Abständen von einmal wöchentlich, 14-tägig, dann nach längerer Zeit<br />

dann vielleicht längere Intervalle. Aber das ist ein ganz, ganz intensiver Kontakt. Ein<br />

Kontakt, der gesetzlich vorgeschrieben unter absoluter Verschwiegenheit abläuft,<br />

d.h. der Kinderbeistand ist nur dem Kind gegenüber verpflichtet, darf nichts, was das<br />

Kind ihm erzählt, nach außen weitererzählen mit Ausnahme der Dinge, von denen<br />

das Kind will, dass der Kinderbeistand sie nach außen kommuniziert. Und dann gegen<br />

Ende dieser Tätigkeit, wenn es in Richtung Verfahren geht, dann wird zwischen<br />

dem Kinderbeistand und dem Kind eine Botschaft gemeinsam ausgearbeitet. Das ist<br />

dann das, was das Kind auch tatsächlich kommuniziert haben will an seine Mutter,<br />

an seinen Vater und an den Richter und die Richterin und diese Botschaft wird vom<br />

Kinderbeistand dann vorgelesen in der Gerichtsverhandlung. Das ist aus verschiedenen<br />

Gründen etwas ziemlich anderes als der Verfahrensbeistand. Das ist ein Beziehungsraum<br />

– und vor allem Verschwiegenheit ist natürlich da ganz besonders<br />

wichtig – ein Raum zur Verfügung gestellt, in dem die Wahrscheinlichkeit wirklich<br />

relativ hoch ist, dass die Kinder genau das sagen, was wir sie vorher gefragt haben:<br />

„Was wünschst du dir wirklich?“ Wobei es uns in dieser Kinderbeistandspraxis ganz,<br />

ganz wichtig ist, dass die Arbeit mit dem Kind sich möglichst von der Verfahrensfrage<br />

emanzipiert. Also wir gehen nicht mehr mit dem Begriff des Kindeswillens um. Also<br />

der Kindeswille wird zumindest in der Praxis meistens verwendet als das, was das<br />

Kind zu den Fragen zu sagen hat, die die Erwachsenen dem Gericht stellen. Also:<br />

„Wie oft soll das Kind Umgang haben und auf welche Art und Weise?“ In Österreich<br />

gibt’s ja immer noch die Frage: „Wo soll dann die Sorge sein – gemeinsame oder<br />

alleinige Sorge?“ Aber das sind die Fragen der Erwachsenen, das sind nicht unbedingt<br />

die Fragen der Kinder. Und es wird ganz, ganz ausdrücklich festgestellt die<br />

Funktion, sie besteht nicht darin, dass das Kind noch einmal ausführlicher die Fragen<br />

beantwortet, die es ohnehin schon dem Richter beantwortet hat, denn der muss ja<br />

das Kind hören. Das ist bei uns, glaube ich, noch ein bissel radikaler formuliert, also<br />

bei uns muss jedes Kind gehört werden auch schon im Schulalter, Grundschulalter.<br />

Dann war die Jugendwohlfahrt oft tätig, dann der Gutachter und das Kind hatte


5<br />

schon 25 Mal gesagt, ich möchte das oder ich möchte das. Weg von der Verfahrensfrage.<br />

Der Sinn und die Idee ist, dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich in seiner<br />

Ganzheit, also in seinen Emotionen, in dem, was es wirklich bewegt, in das Verfahren<br />

einzubringen und damit auch bei den Eltern so etwas wie ein Aufrütteln zu bewirken.<br />

Damit Sie sich das vielleicht vorstellen können aus der Supervision ein Ausschnitt<br />

aus so einer Botschaft, den der Kinderbeistand bei der Gerichtsverhandlung<br />

erzählt hat: „Ich habe mit Anna“ – so der Kinderbeistand – „viel geredet“. Es handelt<br />

sich um ein elfjähriges Mädchen. Es beginnt:<br />

„Liebe Mama, lieber Papa, lieber Frau Richterin, ich habe mit Anna sehr, sehr viel<br />

geredet. Das war damals, als ihr Euch getrennt habt und der Papa ausgezogen ist<br />

und wie schlimm das war und wie traurig für mich und dass wir überhaupt keine Familie<br />

mehr waren. Und jetzt stellen mir alle die Frage, wo ich sein möchte, ob ich lieber<br />

mehr beim Papa leben soll oder ob ich nicht lieber mehr bei der Mama leben will.<br />

Ich hab ein bisschen eine Bevorzugung, was mir von den beiden Möglichkeiten ein<br />

bisschen lieber wäre. Ich möchte das aber nicht sagen. Ich möchte keinen von euch<br />

beiden kränken, ich habe Euch beide lieb. Wichtig ist, dass ich möglichst viel Zeit mit<br />

Euch beiden zusammen bin und dass ich nicht sage, wo ich vielleicht ein bisschen<br />

lieber sein möchte, das ist auch gar nicht so schlimm. Weil das ist nicht das aller<br />

Wichtigste. Das aller, aller Wichtigste und das aller Furchtbarste für mich ist, dass Ihr<br />

ununterbrochen miteinander streitet. Dass der Papa und die Oma dauernd etwas<br />

gegen die Mama sagen, dass die Mama mich dauernd ausfragt. Ich glaube auch<br />

nicht, dass Papa an allem schuld ist. Ganz bestimmt nicht daran, liebe Mama, dass<br />

ich die letzten zwei Mathematikschularbeiten verhauen hab. Und wenn irgendjemand<br />

daran schuld sein sollte, dass ich sie verhauen hab außer mir selber, dann seid Ihr<br />

das beide. Wahrscheinlich wisst Ihr gar nicht, was Ihr mir antut. Hört genau zu, hört<br />

mir ganz genau zu, hört mir ganz, ganz, ganz genau zu: Mir macht das Leben so keinen<br />

Spaß mehr und wenn sich nicht bald etwas ändert, dann pfeife ich auch auf die<br />

ganze Schule. Bitte, bitte setzt Euch zusammen. Ich brauche Euch beide. Bitte, bitte<br />

liebe Richterin, mach, dass sich die beiden zusammensetzen. Eure sehr unglücklich<br />

Conny.“<br />

Während des Briefes haben beide Eltern zu heulen begonnen. Die haben seit Monaten<br />

nicht mehr miteinander geredet. Es ist in der Verhandlung zu einer Vereinbarung<br />

gekommen. Wir haben in einer internen Befragung herausgefunden, dass in ca. 40<br />

bis 50 % der Fälle, wo ein Kinderbeistand bestellt wurde, die Botschaft des Kindes<br />

vor Gericht eine Einigung der Eltern produziert hat. Es ist wirklich so eine Art emotionaler<br />

psychologischer Elektroschock. Mit Elektroschock bringt man Psychotiker dazu,<br />

natürlich auch in einer Art und Weise, sozusagen wieder in Ordnung zu kommen.<br />

Diese ganz, ganz hochstrittigen Eltern befinden sich in einer quasi pathologischen


6<br />

Situation, die einer Borderline-Symptomatik ausgesprochen ähnlich ist. Allerdings<br />

wirklich nur auf diesen innerfamiliären Beziehungskomplex bezogen. Also, die sind<br />

natürlich nicht verrückt, die sind ganz, ganz normal. Die ganzen Abwehrmechanismen<br />

von Abwehrmechanismen von Projektion, von Spaltung, paranoide Tendenzen,<br />

sich selbst nur reinzuwaschen und gut zu sehen und alles Böse nur im anderen zu<br />

sehen, diese extremen infantil Abwehrmechanismen – das sind typische Borderline-<br />

Mechanismen und die haben wir bei diesen Eltern viel, die sonst völlig normal sind.<br />

Man kann diese Quasi-Borderline-Krankheit auch als eine ganz, ganz massive Regression<br />

betrachten. Eine Regression des Ich’s und des Überichs der ganzen Gefühle<br />

von Verantwortung. Da zählen nur meine eigenen egoistischen Wünsche, meine<br />

Gefühle, mein Hass, meine Wut, meine Verletzungen des eigenen narzisstischen<br />

Gleichgewichts. Und alles andere spielt keine Rolle mehr. Wenn das Ich sich noch<br />

ein bisschen einschaltet, dann in der Form, dass die eigenen Bedürfnisse und die<br />

eigenen Tendenzen dann rationalisiert werden mit dem Kindeswohl. Sozusagen was<br />

mich – das haben Sie heute auch schon gesagt – was für mich gut ist, dann behaupte<br />

ich, das ist auch das, was für die Kinder gut ist.<br />

Dieser Kinderbeistand ist natürlich auch ganz gut geeignet, um der Frage der Umgangsverweigerung<br />

auf den Grund zu kommen. Ich lese Ihnen den Brief eines 12-<br />

jährigen umgangsverweigernden Mädchens vor, den der Kinderbeistand dann bei<br />

der Gerichtsverhandlung erzählt hat. Lassen wir heute mal die Kinder zu Wort kommen.<br />

Ist auch nicht so schlecht. Gerade wenn es darum geht, warum verweigern die,<br />

was ist denn eigentlich los. Ich glaube, dass der Kinderbeistand eine der wenigen<br />

Möglichkeiten ist, wirklich drauf zu kommen, was los ist. Ist ein günstiger Raum? Das<br />

könnte man jetzt methodisch diskutieren oder erläutern. Ich halte es für günstiger, ich<br />

halte eine Psychotherapie bei weitem nicht so gut geeignet, auf alle diese Dinge, die<br />

mit der Trennung zusammenhängen, darauf zu kommen gemeinsam mit dem Kind<br />

wie dieses ganz spezifisches Setting des Kinderbeistandes. Also ein 12-jähriges<br />

Mädchen:<br />

„Sehr geehrte Richterin, liebe Mama und lieber Papa, immer wenn ich an die ganzen<br />

Konflikte zwischen meinen Eltern erinnert werde und sehe, wie sehr meine Mutter<br />

darunter leidet, geht es mir ganz, ganz furchtbar und das ist oft der Fall, weil immer<br />

wieder etwas vorfällt, was wir Kinder mitbekommen. Wie Ihr zwei Euch am Telefon<br />

anschreit. Wie Du, Papa, immer etwas gegen die Mama suchst und wegen jeder<br />

Kleinigkeit zu Gericht läufst. Das hört nie auf. Das ist fast nicht auszuhalten und dann<br />

werde ich sehr traurig. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich nicht zu Papa gehe,<br />

weil ich befürchte, dass der Lukas und ich weiterhin regelmäßig zu Dir Papa haben,<br />

dass Du nie aufhörst, gegen die Mama etwas zu suchen oder zu unternehmen. Ich


7<br />

befürchte, dass Du damit erst aufhörst, wenn wir gar keinen Kontakt mehr mit Dir<br />

haben.“<br />

Das ist eine bemerkenswerte Geschichte Umgangsverweigerung als Strafe. Ja? Das<br />

ist eine sehr, sehr häufige Geschichte. Wir können auch noch darüber diskutieren.<br />

Ich bin auch dafür, man muss den Wunsch des Kindes respektieren. Da gehe ich<br />

ganz mit Ihnen einher. Man muss aber sehr, sehr drauf aufpassen, dass das Respektieren<br />

des Wunsches des Kindes nicht heißt, dass man ihm doch die Verantwortung<br />

für das, was für es gut, delegiert. Es ist eine Gratwanderung. Das ist eine wahnsinnig<br />

schwere Geschichte. Aber die Geschichten, die die Kinder dem Kinderbeistand erzählen,<br />

helfen. Ja ich denke, die helfen auch den Richtern und Richterinnen ein bisschen<br />

zu verstehen, was eigentlich zu tun ist. Und oft ist dann gar nicht mehr die Frage,<br />

soll man dem nachgehen oder nicht nachgehen. Ich komme darauf noch zu<br />

sprechen:<br />

„Der Mama geht es sehr oft schlecht und wenn ich die Mama dann sehe, wie es ihr<br />

schlecht geht, mache ich mir große Sorgen um sie, dass sie ganz krank wird und<br />

dann fühle ich mich wie gelähmt und habe selbst gar keine Freude mehr. Wenn Du<br />

Papa einen Termin mit uns hast, dann warte bitte darauf und frage dazwischen nur<br />

nach, wie es uns geht, aber bitte laufe nicht wegen jeder Kleinigkeit zu Gericht und<br />

bitte glaube nicht immer, dass die Mama an allem schuld ist. Du sollst auch nicht<br />

immer eine böse Absicht von der Mama vermuten, z.B. wenn der Lukas bei Dir schlafen<br />

möchte. Manchmal habe ich das Gefühl, es geht Dir eigentlich gar nicht um den<br />

Lukas und um mich. Als würdest Du uns nur dazu benützen, um der Mama etwas<br />

anzutun. Ich wünsche mir so sehr, dass Du aufhörst, gegen die Mama etwas zu suchen<br />

oder zu unternehmen. Wenn Du damit aufhörst, wäre das ein Zeichen für mich,<br />

dass Du dich wirklich bemühst und es ernst mit uns meinst. Es würde dann nicht nur<br />

der Mama besser gehen, sondern auch uns. Ich habe mir überlegt, ob ich Dir das<br />

alles so offen sagen soll, weil ich weiß, dass Du Dich schnell sehr ärgerst und Du<br />

dann Dinge sagst und tust, die unnötig sind. Ich habe mich trotzdem entschieden,<br />

ehrlich zu sein, und bitte denke nicht, dass ich Dir damit etwas Böses will. Ich habe<br />

Dich sehr lieb, obwohl ich nicht zu Dir komme. Dass ich nicht mehr zu Dir komme,<br />

hat aber auch persönliche Gründe zwischen Dir und mir. Die will ich Dir auch noch<br />

sagen, obwohl es mir nicht leicht fällt. Bitte sei nicht böse, dass ich das sage, sondern<br />

höre es Dir einfach einmal an. Dass Du einmal gesagt hast, wenn ich jetzt nicht<br />

zu Dir komme, brauche ich gar nicht mehr kommen und das hat mich sehr, sehr getroffen.<br />

Das hat sich für mich so angehört, als wäre es Dir eh egal, ob ich komme,<br />

Hauptsache der Lukas [das ist der ältere Bruder] kommt. Ich wollte beim nächsten<br />

Mal mit Dir darüber reden, da hast Du abgestritten, dass Du das gesagt hast. Du hast<br />

gesagt: ‚Du bist meine Tochter und ich hab dich lieb’. Ich glaube schon, dass Du


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mich lieb hast, aber warum streitest Du immer alles ab. Hättest Du gesagt: ‚Entschuldigung,<br />

ich hab das gesagt, weil ich mich so geärgert hab, ich sage oft Dinge, ohne<br />

nachzudenken, aber das meine ich nicht so’, wäre es für mich in Ordnung gewesen,<br />

aber bitte sag nicht einfach ohne nachzudenken etwas Kränkendes und vor allem<br />

streite es nachher nicht ab. Dann ist mein Vertrauen verschwunden. Manchmal,<br />

wenn der Lukas und ich bei Dir waren, hatte ich sowieso schon das Gefühl, dass ich<br />

für Dich gar nicht so wichtig bin, sondern nur der Lukas. Ein dritter Grund ist, dass<br />

mir immer, wenn ich Dich Papa sehe, schlechte Erinnerungen hochkommen, dann<br />

das, was ich selbst in der Zeit miterlebt habe, als Ihr, die Mama und Du, Euch getrennt<br />

habt und auch, was mir die Mama sonst noch erzählt hat. Bevor Ihr Euch getrennt<br />

habt, habe ich ein gutes normales Verhältnis zu Dir gehabt. Die erste Trennung<br />

war für mich sehr schwer und als Ihr wieder zusammengekommen seid, war ich<br />

...“<br />

Der geht noch zwei Seiten weiter der Brief. Aber Sie sehen, wenn der Raum da ist,<br />

wie viel die Kinder aktivieren an Dingen, worum es ihnen immer geht und in den aller<br />

meisten Fällen wird die Umgangsverweigerung auch ausgesprochen transparent.<br />

Wissen Sie, was das Wesentliche ist? Ich glaube, das ist auch ein großer Fehler, in<br />

dem, was wir in der Praxis, auch in der Gerichtspraxis häufig tun, wenn es um den<br />

Kindeswillen geht – wir fragen das Kind, was es sich wünscht und was es sich vorstellt,<br />

was es gerne hätte, dann sagt das Kind etwas, dann sind wir, wie wir heute<br />

gehört haben, mit dieser schwierigen Situation - ist das jetzt authentisch, ist das ein<br />

Teil seiner Selbstbestimmung oder ist es eingesagt, ist es vorgesagt oder beeinflusst.<br />

Mit dieser Frage beschäftigen wir uns, aber es gibt eigentlich eine andere, viel wichtigere<br />

Frage: Wie ist es, wie es jetzt ist, gekommen? Was die Kinderbeistände ganz<br />

wesentlich versuchen, ist aus einem Ist-Zustand, der natürlich beeinflusst ist, das ist<br />

ganz, ganz klar, von allen möglichen Faktoren, das brauche ich Ihnen nicht aufzählen,<br />

aus diesem Ist-Zustand wieder eine Geschichte zu machen. Und in dieser Geschichte<br />

wird klar, wie es denn gekommen ist. Welches Leid, welche Erlebnisse, welche<br />

Dinge, die der Vater gemacht, die Mutter gemacht hat, was sich ergeben hat, wo<br />

Enttäuschung gewesen ist, wo Wut entstanden ist, wo Zorn ist und wo der Punkt war,<br />

wo Vertrauen vielleicht verloren gegangen ist, wo Angst entstanden ist und ähnliches<br />

mehr. Und das ist nicht nur für das Kind eine ganz bedeutsame Geschichte, wenn<br />

das Kind selber seine Geschichte dadurch sich auch wieder herholt. Erst daraus entstehen<br />

eigentlich Lösungsperspektiven für die Zukunft. Wenn ein Vater plötzlich damit<br />

konfrontiert ist, dass das Kind seinen Vater nicht mehr will, sondern den Vater so,<br />

wie es ihn jetzt erlebt, während es ja eigentlich den Vater, den es gehabt hat, sehr<br />

liebt und den im Grunde genommen wieder herwünscht. Was das Wesentliche ist,<br />

dass die Kinder den Eltern sagen können, das ist dann in diesem üblichen Fall: „Mut-


9<br />

ter, glaube nicht, nur deshalb, weil ich Schwierigkeiten mit dem Umgang mache,<br />

dass mein Vater mir egal ist oder ich den nicht will. Und Vater, glaube nicht, wenn ich<br />

nicht zu Dir will, dass das nur die Manipulation von der Mutter ist. Das bist schon du<br />

und ihr beide.“ Und dann ist etwas, was mir ganz, ganz wichtig ist, was auch meine<br />

Hauptkritik an Gardner und PAS ist, dass in diesen Argumentationen – beim Gardner<br />

ist es besonders eingeschränkt – ich will es mal vorsichtig sagen – da wird das Kind<br />

wirklich zu einem Objekt der Sozialisationsmaßnahmen der Eltern gemacht. Das<br />

Kind, das Subjekt, kommt überhaupt nicht vor. Also das Kind wird manipuliert, so<br />

dass es einen Kontakt ablehnt. Interessanterweise – drum sage ich besonders reduziert<br />

– es wird nur von einem manipuliert. Also der kommt gar nicht drauf, dass das<br />

Problem vielleicht bei beiden liegen könnte. Das Kind in seinen Absichten und in seinen<br />

Enttäuschungen kommt nicht vor. Ich hab – das ist paar Jahre her, ich glaube<br />

2005, eine riesige PAS-Konferenz, da ist der Gardner mit seinen ganzen Themen<br />

nach Frankfurt gekommen und das war eine zweitägige fundamentalistische religiöse<br />

Veranstaltung (allgemeines Gelächter). Ich war wirklich entsetzt, ich war in hohem<br />

Maße entsetzt, wie dort Propaganda gemacht worden ist gegen Mütter. Die Hauptsächlichsten<br />

Gruppen waren Mütter und Therapeuten. Mütter und Therapeuten waren<br />

also die ganz, ganz Bösen. Ich hab die Erfahrung gemacht, ich hab dort einen<br />

Vortrag gehalten, ja ich hab den einzig kritischen Vortrag gehalten und das war nicht<br />

ganz einfach. Sie können das in meinem Buch auch nachlesen. Worum es mir gegangen<br />

ist, ist zu zeigen, dass es wahnsinnig viele Gründe gibt, warum Kinder den<br />

Kontakt zu einem Elternteil ablehnen, dass es wirklich sehr, sehr viele Gründe gibt.<br />

Es gibt z.B. einen Grund, der überhaupt nicht vorkommt, das ist schlicht – ich sag<br />

eine Anekdote: Ein Zehnjähriger, der bei mir zwei Jahre in Therapie war nach der<br />

Trennung seiner Eltern und wir – es war alles im Großen und Ganzen in Ordnung<br />

und wir verabschiedeten uns, wir arbeiteten die Therapie ein bisschen auf und er<br />

denkt so an diese Zeit der letzten Jahre zurück und sagt mir: „Begonnen hat es, als<br />

der Papa mir gesagt hat, du ich muss dir sagen, Mama und ich lassen uns scheiden,<br />

wir trennen uns. Wichtig ist, dass du weißt, du bleibst immer mein Sohn und immer<br />

der wichtigste Mensch auf der Welt und ich werde immer für dich als dein Vater da<br />

sein usw. usw. ...“ So erzählt er mir das, der Bub. Und ich sag, das klingt aber jetzt<br />

nicht so, als hätte dich das sehr beeindruckt und er: „Ich hab kein Wort geglaubt.“<br />

„Warum nicht?“ „Ich würde doch nie, den Menschen, der mir der allerliebste auf der<br />

Welt ist, verlassen“. Das ist bis in die Pubertät hinein, bis in die Pubertät hinein erleben<br />

die Kinder die Trennung der Eltern nicht nur als Trennung der Eltern, sondern<br />

als die Bereitschaft eines Elternteils, sich einfach von mir zu trennen, nur weil er mit<br />

dem anderen streitet. Das scheint ihm wichtiger zu sein als die Beziehung zu mir.<br />

Oder die Mutter nimmt mich einfach dem Vater weg, nur weil sie mit ihm nicht mehr<br />

zusammenleben möchte. Ein fast 10-jähriges sehr intelligentes Mädchen hat mir ge-


10<br />

sagt: “Ich verstehe, dass sich die scheiden haben lassen, es gab ja nur den Krieg,<br />

aber warum um alles in der Welt ist er ausgezogen, er hätte zu mir ins Kinderzimmer<br />

ziehen können, ich hab so ein großes“ (allgemeines Gelächter). Aber das ist klar,<br />

wenn ich die Erfahrung der Sexualität noch nicht gemacht habe, wenn ich nicht weiß,<br />

was erotische Anziehung und Abstoßung bedeuten, wenn ich nicht weiß, dass es<br />

nicht möglich ist, mit einem Menschen, mit dem ich in einer erotischen begehrlichen<br />

Beziehung gelebt habe und diese Beziehung zu Ende geht, dass man mit diesem<br />

Menschen nicht mehr zusammenleben kann, dass das nicht geht, das sind alles Erlebnisse,<br />

emotionale Erlebnisse, die die Kinder nicht kennen. Liebe ist mal gerade<br />

das, was sie selber auch als Liebe kennen. Dann sagen noch die meisten Eltern diese<br />

fatale Erklärung, warum sie sich trennen, weil wir uns so viel gestritten haben. Erst<br />

einmal stimmt’s nicht. Also in jeder Beziehung streitet man sich. Wenn schon was<br />

dran stimmt, dann dass wir, wenn wir uns gestritten haben, nicht mehr versöhnen<br />

konnten. Und versöhnen kann man sich dann nicht, wenn man sich nicht mehr liebt.<br />

Also Streit ist natürlich kein Grund für eine Trennung. Und vor allem aber streiten alle<br />

psychisch gesunden Kinder mit ihren Eltern und wenn Streit dazu führt, dass man<br />

irgendwann einmal sich trennt, dann ist natürlich Streit eine fatale, eine ganz, ganz<br />

fatale Erklärung. So, jetzt habe ich glücklicherweise den Faden verloren (allgemeines<br />

Gelächter).<br />

Ah ja, ich weiß schon. Ich war bei dieser Nora, ja genau. Insofern versteht sie überhaupt<br />

nicht, warum der Vater weg ist. Also d.h., wenn Kinder eine solche Erfahrung<br />

machen, dann müssen wir auch akzeptieren, dass sie dem einen oder dem anderen<br />

Elternteil wirklich furchtbar böse sind. Sie sind ihnen wirklich furchtbar böse. Die haben<br />

ihnen etwas angetan, die haben ihnen eine Erfahrung, eine schmerzliche Kränkung<br />

angetan. Ein von einem Elternteil verlassenes Kind ist ein gekränktes und verletztes<br />

Kind. Ich habe oft die Beobachtung gemacht, dass es gerade, und das ist ein<br />

bissel eine tragische Geschichte, dass es gerade die psychisch besonders gesunden<br />

Kinder sind, die dann auch wirklich aggressiv reagieren. Ein Kind, das mitkriegt, wie<br />

die Eltern sich trennen und streiten und dass sich grämt, dass der Vater weg ist und<br />

unglücklich ist und traurig und ängstlich ist, und dann geht es schön zum Papa alle<br />

14 Tage und ist doch wunderbar und angepasst und macht, was der Papa will, und<br />

kommt zurück und ist bei der Mama angepasst und macht alles, was sie will. Das<br />

sind nicht unbedingt die psychisch gesündesten Kinder. Aber das sind die, die wir im<br />

psychosozialen Bereich und in der Familiengerichtsbarkeit im Zusammenhang mit<br />

Trennung und Scheidung als die Unproblematischen erleben. Diejenigen, die keine<br />

Probleme machen, haben, denen es gut geht oder wie auch immer, und dort wo die<br />

Funken sprühen, das sind die Problematischen. Aber ich würde meinen, in den allermeisten<br />

Trennungs- und Scheidungsfällen haben die Kinder wirklich Grund, auf


11<br />

die Eltern zornig zu sein und diesen Zorn zu zeigen und diese Wut zu zeigen und<br />

dazu gehört unter Umständen auch: „Nein, ich besuch dich nicht“, oder: „Erklär mir<br />

warum“.<br />

Ich bin jetzt darauf gekommen, dass die Erklärung der Gründe für die Trennung etwas<br />

ist, was für die Kinder, um die Trennung verarbeiten zu können, wirklich substantiell<br />

ist. Im Grunde genommen, hat fast kein Kind, dessen Eltern sich getrennt<br />

und scheiden haben lassen, wirklich eine Ahnung, warum die sich getrennt haben<br />

und was da wirklich los ist. Und wenn sie Ahnungen haben, dann sind das oft ihre<br />

Fantasien und die sind häufig so belastet, weil sie sich selber auch Schuld und Verantwortung<br />

geben. Also das Kind macht sich über seine Eltern Vorstellungen und<br />

wird wütend und reagiert und straft auch einen Elternteil. Manche Kinder machen<br />

eine Art Versteckspiel, jetzt im symbolischen Sinne, nicht so wie die Großen, die sich<br />

verstecken, um nicht gefunden zu werden, sondern so wie die Zwei-, <strong>Dr</strong>eijährigen -<br />

das wissen Sie aus Ihrer eigenen Kinderstube oder aus ihrer eigenen Familie -, die<br />

sich verstecken, um gefunden zu werden. Also sie verstecken sich und wenn sie es<br />

sehr, sehr lange suchen und finden, dann … (allgemeines Gelächter). Also, die gehen<br />

nicht und sagen: „Nein ich will nicht“, und es gibt speziell Kleinere, so bis sieben/acht<br />

und sogar noch bis ins neunte Lebensjahr, die denken sich: „Dann wird er<br />

zurückkommen, der Papa“. Zum Kinderbeistand hat übrigens ein solches Kind gesagt:<br />

„Auf gar keinen Fall geh ich zum Papa“. „Wieso denn und so?“, hat es dann<br />

irgendwas gesagt, ob es den Papa nicht mehr lieb hat. Daraufhin hat das Kind ihn<br />

ganz fassungslos angeschaut und gesagt: „Natürlich hab ich ihn lieb“. „Warum willst<br />

du ihn dann nicht sehen?“ „Ich will ihn schon sehen, aber wenn ich ihn nicht besuchen<br />

komm, dann wird er sich so ärgern und so kränken, dass er wieder zurückkommt“.<br />

Und wir können davon ausgehen, dass das, was bei einzelnen Kindern immer<br />

gelingt als Eruierung ihrer Motivationssituation, dass das schon eine Allgemeingültigkeit<br />

hat für sehr, sehr viele Kinder. Es gibt ganz, ganz unterschiedliche, ganz,<br />

ganz unterschiedlich Motive.<br />

Dann wollte ich Ihnen mal was erzählen zur Anregung. Es ist nicht ganz so rosig, wie<br />

ich es Ihnen erzähle, weil es furchtbar schwierig ist, diesen Kinderbeistand bei der<br />

Richterschaft durchzubringen. Also die Richter haben die Möglichkeit, Kinderbeistände<br />

zu bestellen oder nicht zu bestellen. Und der richtige Geist dieses Kinderbeistandsgesetzes,<br />

der hat sich ja sogar bei den österreichischen Familienrichtern noch<br />

nicht durchgesetzt, aber es fangt an, besser zu werden. Es gibt so eine Gruppe von<br />

Familienrichtern, die Kinderbeistandsfeind sind, die also keine Kinderbeistände bestellen,<br />

weil sie sagen, das ist das beste Mittel, die Akten klein zu halten und Einigungen<br />

herbeizuführen. Und jetzt wird es langsam ein bisschen besser. Ich komme


12<br />

zum Schluss – Sie werden sich vielleicht gewundert haben, warum dieser Vortrag<br />

„Mein Wunschgericht“ heißt, das war ein bissel eine Verlegenheit, ich habe nicht<br />

ganz genau gewusst, was ich Ihnen heute erzählen werde. „Mein Wunschgericht“<br />

das war ein Titel, unter dem ich jetzt in den letzten Jahren häufig Vorträge gehalten<br />

habe (allgemeines Gelächter).<br />

Aber es gibt einen Punkt, der mit der heutigen Veranstaltung ganz eng zusammenhängt.<br />

Es gibt noch was aus Österreich zu berichten. Seit 12 Tagen haben wir ein<br />

neues Kindschaftsrecht. Da hat sich also so einiges verändert. Das will ich Ihnen jetzt<br />

nicht alles erzählen. Aber ein Punkt, der trifft auch etwas, was heute Vormittag schon<br />

erwähnt worden ist. Ich hab unter diesem Titel „Mein Wunschgericht“ in den vergangenen<br />

Jahren, was ich ganz gern gemacht hab, ein Scheidungspaar hergenommen,<br />

ich hab sie meistens Klaus und Angelika genannt, und hab sie sich scheiden lassen<br />

im Jahre 2017. Ich habe sozusagen der Gesellschaft noch fünf Jahre oder sechs<br />

Jahre Zeit gegeben, um die Verhältnisse dann so hinzukriegen. Da gibt es eine Sequenz<br />

drinnen, also ganz am Anfang, der Klaus und die Angelika die gehen zum<br />

Gericht und die Scheidung einreichen. Da gibt es eine nette Dame. Der Klaus ist alleine<br />

und will also die Scheidung einreichen und sie sagt: „Wenn Sie noch so nett<br />

sind, mir das Abschlussprotokoll der Schlichtungsstelle und die Schulungsbestätigung<br />

zu geben.“ Und der sagt: „Was bitte?“. Daraufhin sagt diese nette Dame:<br />

„Wussten Sie nicht - also es spielt 2017, dass Sie jetzt nicht durcheinander kommen<br />

– wussten Sie nicht, dass es inzwischen nicht mehr möglich ist, sich scheiden zu lassen,<br />

wenn man sich nicht vorher informiert hat, wie es den Kindern geht, was das mit<br />

den Kindern tut und was die Kinder brauchen usw.?“ „Nein, wussten wir nicht“. Daraufhin<br />

hat sie im Internet eine Seite runtergeholt und gesagt: „Dort und dort gibt es<br />

so Termine, Abendveranstaltungen, Halbtagesseminare oder sonstiges, da könne<br />

Sie wählen“.<br />

Diesen Vortrag hab ich also ein paar Mal gehalten so in dieser ähnlichen Form und<br />

irgendwann war da auch einer der wirklich sehr, sehr engagierten Beamten des österreichischen<br />

Justizministeriums drinnen und der hat dann in den Entwurf zum neuen<br />

Kindschaftsrecht hat er an einer ausgesprochen verborgenen Stelle im Außerstreitgesetz<br />

einen Paragrafen eingefügt, das ist der § 95 Abs. 1a (siehe konkreten<br />

Gesetzestext im Anhang). Da steht: Hinzufügen ist der Absatz 1a – Bei Vorlage der<br />

Vereinbarungen ist eine Bescheinigung abzulegen, dass man sich in einer geeigneten<br />

Institution über die psychische Belastung und sonstigen Bedürfnisse der Kinder<br />

beraten hat lassen. Dieses Gesetz ist diskutiert worden in die Richtung, in die Richtung<br />

und in der österreichischen Sozialdemokratie herrscht eine sehr, sehr feministische<br />

Stimmung gegen die gemeinsame Obsorge, die gemeinsame Sorge und da hat


13<br />

es sehr viel Diskussion gegeben. Das hat niemand bemerkt (allgemeines Gelächter).<br />

Ich auch nicht. Also ich hab meine Stellungnahme zum Entwurf abgegeben und<br />

sonst hab ich mich ziemlich aufgeregt, weil einige Dinge, die ich für wichtig gehalten<br />

habe in dem neuen Gesetz wieder nicht drinnen sind. Und da sagt mir dann ein Bekannter<br />

von mir im Ministerium: „Na ja diese Schulungsgeschichte ist wenigsten drinnen“.<br />

Ich sag: „Was ist drinnen?“ Das Ganze war kurz vor Weihnachten, da ist das<br />

Gesetz erst durch den Nationalrat durchgegangen, also das hängt mit einer Verfassungsklage<br />

zusammen. Also der österreichische Gesetzgeber musste eine ganz bestimmte<br />

Stelle bis 1. Februar reparieren und da haben die gleich das ganze Gesetz<br />

gemacht. Wo es so nach den Weihnachtsfeiertagen, Mitte Januar einigen Leuten klar<br />

geworden ist, dass man sich in Österreich ab dem 1. Februar nicht mehr scheiden<br />

lassen kann, wenn man sich nicht schult (allgemeines Gelächter). Aber es gab ja<br />

niemanden, der geschult hat. Es gab kein Angebot. Das ist momentan so ziemlich<br />

aufregend, da gab es so eine hektische Aktivität und in ganz Österreich ist binnen 14<br />

Tagen ist plötzlich ein intensives Angebot von Vorträgen, Seminaren oder ähnliches<br />

auf die Beine gestellt worden, also das Gesetz dürfte vollzogen werden können. Das<br />

war die Gefahr, also wenn es nicht funktioniert, dann haben wir innerhalb von zwei<br />

Monaten eine Novelle und der Paragraf wird abgeschafft wegen Nichtrealisierbarkeit,<br />

Nichtvollziehbarkeit. Aber es schaut ganz gut aus. Und Sie sehen, manchmal können<br />

Wünsche wahr werden. Wenn ich an Ihre drei E’s denke – das erste war „Einzelberatung“<br />

– das glaube ich, ist wirklich eine wichtige Sache, dass diejenigen, die in diesem<br />

Bereich tätig sind, sich klar machen, man muss in hochstrittigen Fällen und<br />

wenn das Ganze im Kontext eines Familiengerichtsverfahrens ist und speziell wenn<br />

es angeordnet ist und es ist Pflicht einer Zwangsberatung, muss man anders arbeiten<br />

als in der normalen Erziehungs- und Familienberatung. Man muss dann auch im<br />

Setting pendeln und Einzelberatung ist eine ganz, ganz wichtige Geschichte. Aber<br />

darüber rede ich heute jetzt nicht wieder. Das zweite war „Einbezug der Kinder“. Dort<br />

bin, sonst schrei ich immer ganz neidisch nach Deutschland, freue ich mich wirklich,<br />

wenn ich sagen kann, der Kinderbeistand ist eine gute Möglichkeit. Der Kinderbeistand<br />

ist wirklich eine gute Möglichkeit, Kinder einzubeziehen, und zwar jetzt nicht<br />

nur äußerlich, dass sie so einen weiteren Ort haben, an dem sie eine Äußerung zur<br />

Verhandlungsfrage machen, sondern wo wirklich etwas ganz, ganz anderes geschieht.<br />

Wo die Kinder das Glück haben, da ist jemand, der hört ihnen auch wirklich<br />

zu. Da gibt es einen Platz, den die Gesellschaft mir gibt, um dort das hinzutragen,<br />

was mir ein Anliegen ist. Und das dritte war die „Elternschulung“. Das ist so eine –<br />

verstehen Sie mich nicht falsch – nicht, dass ich glaube, dass wir einen Abendvortrag<br />

von zwei oder drei Stunden haben und die Eltern ihre gesamte Erziehungskompetenz<br />

gewonnen oder zurückgewonnen haben. Aber es gibt doch die Möglichkeit, ohne<br />

auf den Einzelfall jetzt eingehen zu müssen, wo natürlich wieder diese ganzen


14<br />

Spaltungs- und Projektionsmittel ans Tageslicht geholt werden, ihnen zu sagen, wie<br />

es Kindern geht und vor allem und das scheint mir der wichtigste Punkt zu sein, so<br />

geht es den Kindern und ihnen geht es so und so. Und dafür haben wir auch Verständnis.<br />

Es ist nur leider so, dass das, was für sie im Moment wirklich gut ist und<br />

was sie gerne möchten und was für sie wichtig wäre, auch wirklich wichtig ist – ich<br />

kann das verstehen, dass das für ihr Kind nicht gut ist und dass es hier einen Konflikt<br />

gibt. Also der wichtigste Punkt dieser Aufklärung, dieser Schulung ist, den Rationalisierungsmechanismus,<br />

dass die Eltern das, was für sie gut ist, glauben, dass das<br />

auch für ihre Kinder gut ist. Das glauben die auch vor sich selbst, das behaupten die<br />

ja nicht nur – aus dem einen Konflikt zu machen, ihnen klar zu machen, dass sich die<br />

Eltern – sagen wir so: Wenn sich Eltern eingestehen können, dass das, wonach mir<br />

ist, dass das menschlich ist, dass das verständlich ist, dass das nicht zu verurteilen<br />

ist, also ich bin ein Gegner von Überich-Beratung, also du musst dich zusammennehmen,<br />

um dein Kind…, sondern ich verstehe völlig, wie es dir geht und wenn ich in<br />

deiner Situation wäre, würde ich vielleicht mein Kind diesem Mann oder dieser Frau<br />

auch nicht ausliefern und ich würde sie bekämpfen und ich könnte sie nicht anschauen<br />

oder es wäre für mich unerträglich, mir vorzustellen, dass mein Kind bei<br />

dem jetzt ist ein ganzes Wochenende und überhaupt nicht aushaltbar, dass er ihn<br />

noch lieben soll auch. Also, dass das alles wirklich verstehbar ist. Nur leider, leider,<br />

leider, leider – das Kind braucht wirklich beide Eltern. Das braucht diesen kontinuierlichen<br />

Kontakt. Das Kind braucht diese Kontinuität und das ist das Riesenproblem,<br />

dass die Eltern haben. Ich glaube, das ist der Hauptinhalt einer solchen Schulung, zu<br />

verstehen, wir Eltern befinden uns in einer ausgesprochen blöden schlechten<br />

schwierigen Situation. Und wir sind eigentlich in uns gespalten - als Männer und<br />

Frauen wollen wir das und als Mütter und Väter wollen wir eigentlich etwas Gutes für<br />

unsere Kinder tun und das steht miteinander in einer Spannung und in einem Widerspruch.<br />

Aber wenn die Eltern es erreicht haben, diesen Konflikt zu spüren, dann haben<br />

wir schon gewonnen. Dann haben wir schon gewonnen, weil diesen Konflikt spüren,<br />

ist die Öffnung dieser Tür, dass das reife Ich wieder hereinkommen kann, das<br />

durch diese Regressionsprozesse hinausgedrängt worden ist (Beifall).<br />

Moderatorin:<br />

Ich denke, das war ein Wunschgericht. Ich glaube, das haben wir uns gewünscht,<br />

dass wir eben das Kind emotional noch mal hier hereinholen und das rundet die Reihe<br />

von Vorträgen, die so hervorragend waren, völlig prima ab. Sind jetzt noch Fragen?


15<br />

Frage:<br />

Wer übernimmt die Kinderbeistandsschaft und gab es früher, also davor, in Österreich<br />

so was wie eine Verfahrensbeistandsschaft oder gab es gar nichts?<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong>:<br />

Es gab gar nichts und dann haben wir – das war so eine glückliche Situation, dass<br />

sich da eine größere Gruppe von Leuten, die sich gut verstanden haben, die sich<br />

auch fachlich gut verstanden haben, zusammengetan haben und wirklich angefangen<br />

haben, systematisch gut zu arbeiten. Wir haben dann einen Kongress gemacht<br />

in Salzburg, wo wir mit deutschen Verfahrenshelfern – damals haben die noch Verfahrenspfleger<br />

geheißen -, dann diese ganz spezielle Situation, wie sie in Großbritannien<br />

ist und in der Schweiz – wir haben uns davon ein paar Leute eingeladen,<br />

solche Modelle, haben uns die angeschaut, ihre Vorteile und Nachteile und ein bisschen<br />

Forschung angeschaut und dann sind wir zu diesem Konzept gekommen, der<br />

Kinderbeistand, der nicht im Sinne des Kindeswohls arbeiten, sondern etwas ganz,<br />

ganz anderes versucht – eine Kommunikation herzustellen mit den Kindern über das,<br />

was sie zurzeit bewegt. Die ganze Geschichte wird zentral gemacht insofern, es gibt<br />

eine Ausschreibung dafür. Die Trägerorganisation ist so eine Außenstelle des Justizministeriums,<br />

heißt Justizbetreuungsagentur und die schreibt das aus, dann melden<br />

sich so die Leute, die das gerne machen wollen. Da gibt es formale Kriterien,<br />

Erfahrung mit Scheidung/Trennung, Arbeit mit Familie, Erfahrung im verbalen Umgang<br />

mit Kindern über emotional wichtige Angelegenheiten. Das ist eine wichtige<br />

Voraussetzung und dann gibt’s es so von paar 100 Bewerbern werden dann so 40<br />

bis 50 genommen. Das gibt’s auch ein Casting. Das ist ein richtiger Bewerbungsprozess,<br />

die u.a. auch mit Kindern reden müssen. Das ist so in diesem Bewerbungsverfahren<br />

drinnen und dann gibt’s eine Schulung über zwei oder drei Wochenenden und<br />

dann eine recht intensive Superisionsbetreuung im ersten Jahr.<br />

Ist das eine Beantwortung Ihrer Frage? Wollten Sie das so wissen, ja?<br />

Frage:<br />

Ich hab gemerkt, dass diese Berichte der Verfahrensbeistände, die Sie vorgelesen<br />

haben, einfach so emotional berührend sind und ich glaube, dass Sie, wenn Sie ein<br />

Projekt anleiern würden und diese Berichte mal veröffentlichen, also beispielhafte,<br />

dass die für unsere Praxis hier in Deutschland deswegen unglaublich nützlich wären,<br />

weil das den Fokus dann ernsthaft mal auf die Kinder lenkt und ich glaube, unsere<br />

Verfahren sind einfach unglaublich erwachsenenlastig – um das mal so zu sagen -<br />

also dieses ganze Setting, was wir haben, ist unglaublich darauf ausgelegt, weil alle<br />

möglichen Erwachsenen auf die Kinder losstürzen und angeblich versuchen, zu erforschen,<br />

was dieser Wille und das Kindeswohl ist und ich fände es unglaublich be-


16<br />

reichernd und lehrreich, wenn Sie so ein Projekt machen könnten und veröffentlichen.<br />

Daran fehlt’s hier (Beifall).<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong>:<br />

Ich glaube, ein oder zwei Briefe sind auch in meinem neuen Buch drinnen. Ich gebe<br />

Ihnen recht, es ist beeindruckend, wenn man die Kinder zu Wort kommen lässt. Nicht<br />

umsonst habe ich dem ja auch hier jetzt einen breiten Raum gegeben, weil ich glaube,<br />

das bringt uns – ich werde das sicher machen.<br />

Moderatorin:<br />

Das wäre toll, wenn Sie es machen würden. Wir haben hier auch ein bisschen was<br />

aufgezeichnet, aber da müssen wir später dann drüber sprechen, wie wir damit umgehen.<br />

Also die Idee war schon, vielleicht ein bisschen was zu verschriftlichen.<br />

Frage:<br />

Ich selber bin auch sehr beeindruckt von der Subjektstellung, die auf diesem Wege<br />

wahrgenommen wird. Meine Frage ist, wie verfahren Sie in Österreich bei Kindern,<br />

die noch nicht so elaboriert ihre familiäre Situation reflektieren können?<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong>:<br />

Ja, da ist der Kinderbeistand einfach nicht indiziert. Also, wir haben als eine ca.<br />

Grenze die Grundschule, das Grundschulalter und operationalisiert ausgesprochen<br />

heißt das, es muss die Fähigkeit da sein, Gefühle und Stimmungen verbal auszudrücken<br />

und man muss davon ausgehen können, dass die Stimmungen, die ein Kind<br />

ausdrückt, auch tatsächlich Stimmungen sind, die mit seinen Lebensverhältnissen<br />

zusammenhängen und nicht nur damit zusammenhängen, ob es jetzt ein Eis oder<br />

eine Wurstsemmel bekommen hat oder eine Schokolade oder grad die Mama oder<br />

der Papa etwas verboten haben. Natürlich ist es schwer prognostizierbar und auch<br />

nicht an einem nominellen Alter festmachbar, weil, es gibt 5-Jährige, die sind reif wie<br />

8-Jährige und es gibt 8-Jährige, die sind eigentlich in dieser Hinsicht wie 5-Jährige.<br />

Also in diesem Zweifelsalter übernehmen die Kinderbeistände bei uns den Auftrag<br />

des Richters mit Vorbehalt und man schaut dann, ob innerhalb von ein paar Stunden<br />

trotzdem etwas in der Arbeit mit dem Kind entsteht, dass, wenn man es ins Gerichtsverfahren<br />

einbringt, dem Kind gut tun würde. Aber es kommt schon des Öfteren vor,<br />

dass man sagt, das hat keinen Sinn. Dann müssen die bisherigen Wege herhalten -<br />

also ob es ein Gutachter ist oder Familiengerichtshilfe oder was auch immer.<br />

Frage:


17<br />

Wie ist denn die Regelung in Bezug auf Elterngespräche? Müssen die geführt werden,<br />

dürfen die, dürften nicht?<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong>:<br />

Nein, diese methodischen Regeln sind prinzipielle Regeln, die sind also gut überlegt<br />

und gelten prinzipiell, d.h. in Einzelfällen können sie auch, wenn es begründbar ist,<br />

kann man auch ein bisschen anders damit umgehen. Grundsätzlich ist es so, dass es<br />

ein Gespräch mit der Mutter und ein Gespräch mit dem Vater, respektive ein Gespräch<br />

mit jeder Partei in dem Verfahren gibt. Der Hauptinhalt ist nicht so sehr, miteinander<br />

in Kontakt zu kommen und deren Meinung oder was auch immer kennen zu<br />

lernen, sondern zu vermitteln diesem Vater und dieser Mutter, was der Kinderbeistand<br />

ist, wofür er vorhanden ist.<br />

Frage:<br />

Ich meine der Kinderbeistand – dass der mit den Eltern?<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong>:<br />

Ja, ja. Der Kinderbeistand erklärt sich dem Vater und erklärt sich der Mutter und damit<br />

reduziert sich eigentlich der Kontakt auf die Terminvereinbarung.<br />

Frage:<br />

Gibt’s eine Einigung, ist das Verfahren dann beendet, haben Sie gesagt und der Kinderbeistand<br />

wäre dann raus. Habe ich das richtig verstanden?<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong>:<br />

Ja, der Kinderbeistand ist, wenn das Verfahren beendet ist, ist auch die Funktion des<br />

Kinderbeistandes beendet, d.h., wenn das Verfahren in einen Beschluss mündet, gibt<br />

es Abschlussgespräche. Also mindestens ein Abschlussgespräch, d.h. das Kind wird<br />

dann vom Kinderbeistand informiert, wie das gelaufen ist und was da herausgekommen<br />

ist, wie das für das Kind ist und wenn noch Bedarf besteht, dann auch noch ein<br />

zweites oder drittes Gespräch anzuschließen, weil das Kind noch dran kaut, weil<br />

nicht das rausgekommen ist, was es sich vielleicht selber wünscht und man dann<br />

vielleicht da noch irgendwelche Dinge besprechen muss, wie der Kinderbeistand<br />

dem Kind das nach dem Verfahren noch behilflich sein kann. Das ist auf jeden Fall<br />

vorgesehen.<br />

Moderatorin:


18<br />

Okay. Herzlichen Dank noch mal Herr <strong>Dr</strong>. <strong>Helmuth</strong> <strong>Figdor</strong>. Wir haben hier ganz viele<br />

Anregungen bekommen im Laufe des Tages und jetzt geht’s darum, so ein bisschen<br />

in die Zukunft auch zu gucken.<br />

Anhang:<br />

Außerstreitgesetz (Bundesrepublik Österreich, Fassung vom 12.04.13)<br />

§ 95 Abs. 1a (Regelung der Scheidungsfolgen)<br />

Vor Abschluss oder Vorlage einer Regelung der Scheidungsfolgen bei Gericht haben<br />

die Parteien zu bescheinigen, dass sie sich über die spezifischen aus der Scheidung<br />

resultierenden Bedürfnisse ihrer minderjährigen Kinder bei einer geeigneten Person<br />

oder Einrichtung haben beraten lassen.<br />

§ 104 a ( Kinderbeistand)<br />

(1) In Verfahren über die Obsorge oder über die persönlichen Kontakte ist Minderjährigen<br />

unter 14 Jahren, bei besonderem Bedarf mit deren Zustimmung auch Minderjährigen<br />

unter 16 Jahren, ein Kinderbeistand zu bestellen, wenn es im Hinblick auf<br />

die Intensität der Auseinandersetzung zwischen den übrigen Parteien zur Unterstützung<br />

des Minderjährigen geboten ist und dem Gericht geeignete Personen zur Verfügung<br />

stehen. Das Gericht kann zum Kinderbeistand nur vom Bundesministerium<br />

für Justiz oder in dessen Auftrag von der Justizbetreuungsagentur namhaft gemachte<br />

Personen bestellen. Namhaft gemacht werden können nur Personen, die insbesondere<br />

nach ihrem Beruf, ihrer beruflichen Erfahrung im Umgang mit Kindern und Jugendlichen<br />

und ihrer Ausbildung für diese Tätigkeit geeignet sind.<br />

(2) Der Kinderbeistand hat mit dem Minderjährigen den erforderlichen Kontakt zu<br />

pflegen und ihn über den Gang des Verfahrens zu informieren. Er ist zur Verschwiegenheit<br />

über die ihm in Ausübung seiner Funktion anvertrauten oder bekannt gewordenen<br />

Tatsachen verpflichtet. Im Einvernehmen mit dem Minderjährigen hat er dessen<br />

Meinung dem Gericht gegenüber zu äußern.<br />

(3) Der Kinderbeistand hat das Recht auf Akteneinsicht. Er ist von allen Terminen zu<br />

verständigen. Er darf an allen mündlichen Verhandlungen teilnehmen und den Minderjährigen<br />

zu Beweisaufnahmen außerhalb der mündlichen Verhandlung auf dessen<br />

Wunsch begleiten. Alle Anträge der Parteien sind ihm zu übersenden; von weiteren<br />

Personensorgeverfahren ist er durch Übersendung des verfahrenseinleitenden<br />

Antrags zu informieren.<br />

(4) Für die Ablehnung des Kinderbeistands gelten die Bestimmungen über die Ablehnung<br />

eines Sachverständigen sinngemäß.


19<br />

(5) Die Bestellung endet mit der rechtskräftigen Erledigung der Sache. Das Gericht<br />

kann den Kinderbeistand vorher entheben, wenn dies das Wohl des Minderjährigen<br />

erfordert. Im zeitlichen Zusammenhang mit der rechtskräftigen Erledigung der Sache<br />

hat der Kinderbeistand mit dem Minderjährigen das Verfahren und dessen Ergebnisse<br />

abschließend zu besprechen. Wird während der Bestellung eines Kinderbeistands<br />

ein weiteres in Abs. 1 erster Satz genanntes Verfahren dieselben Minderjährigen betreffend<br />

anhängig, so verlängert sich die Bestellung des Kinderbeistands längstens<br />

bis zum Abschluss dieses weiteren Verfahrens.<br />

(6) Das Bundesministerium für Justiz und die Stelle, die den Kinderbeistand namhaft<br />

gemacht hat, können die Namhaftmachung eines Kinderbeistands aus wichtigen<br />

Gründen widerrufen. Liegt ein solcher Grund vor, hat ihn das Gericht zu entheben<br />

und unter den Voraussetzungen des Abs. 1 einen anderen zu bestellen.

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