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Istanbul im Kontext der Europäischen Stadt - TU Wien

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348 Katharina Sucker<br />

Da <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Turkifizierung die Wie<strong>der</strong>aneignung von in frem<strong>der</strong><br />

Hand befindlichem Eigentum mit einschloss, wurde <strong>der</strong> Nation die Basis für<br />

einen Übergang in eine auf zivilgesellschaftlichen Strukturen basierende Raumproduktion<br />

genommen. Gleichzeitig zu jenem augenscheinlichen strukturellen<br />

‘Rückschritt’ jedoch legte die verän<strong>der</strong>te Wirtschaftspolitik <strong>der</strong> Republik eine<br />

neue Grundlage für den Prozess <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aneignung durch das Volk, welcher<br />

gekoppelt war an den Übergang in eine industrielle liberale Klassengesellschaft<br />

ähnlich <strong>der</strong> West-Europas, jedoch in einem weitaus früheren Entwicklungsstadium.<br />

Nach <strong>der</strong> Wirtschaftskrise und <strong>im</strong> Vakuum <strong>der</strong> Übergangsperiode setzte ein<br />

durch Binnenmigration hervorgerufenes massives Bevölkerungswachstum ein,<br />

welches die leer stehenden innerstädtischen Viertel füllte und sich anschließend<br />

weiter entlang <strong>der</strong> entstehenden Kleinindustrieareale am Goldenen Horn fortsetzte.<br />

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die <strong>Stadt</strong> in einem Entwicklungsstadium, in<br />

welchem die einstmals in die osmanische <strong>im</strong>perialistische Kultur eingebetteten<br />

Strukturen sozialer Umverteilung bereits abgeschafft waren, es aber noch keine<br />

an<strong>der</strong>en sozialstaatlichen Werkzeuge <strong>der</strong> Integration gab. Aus diesem Grunde<br />

kam es zu einer Überlagerung <strong>der</strong> formellen bürgerlichen Strukturen des alten<br />

Handelszentrums durch informelle Strukturen.<br />

Dies führte dazu, dass <strong>Istanbul</strong> erstmals deutlich vom Bild <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><br />

<strong>Stadt</strong> abrückte. Ehemalige, gutbürgerliche Viertel verloren recht schnell ihr kosmopolitisches<br />

Flair und verkamen während <strong>der</strong> 50 Jahre zu heruntergekommenen<br />

Unterhaltungsmeilen für eine vornehmlich männliche Arbeiter-Kundschaft,<br />

die nach <strong>der</strong> Arbeit aus den Industrie-Arealen in die alt-bürgerlichen Quartiere<br />

heraufzog.<br />

Solange die Erschließung <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> für die kemalistische Elite nach Norden<br />

voranschreiten konnte, wurde die Informalisierung des ehemaligen Zentrums<br />

nicht zum Problem kultureller Konfrontation. Jedoch entstand dabei mangels<br />

einer einheitlichen Entwicklungsstrategie ein Nebeneinan<strong>der</strong> von Formalität und<br />

Informalität, das von einer starken Nord-Süd-Dichotomie geprägt war, die zur<br />

Grundlage für eine duale <strong>Stadt</strong>entwicklung werden sollte. (vgl. Esen 2005a: 126)<br />

2 Emanzipation <strong>im</strong> Schnelldurchlauf. Sozialstaatliche Regulierung als<br />

Selbstbedienungskonzept<br />

Die Zeit, die mit <strong>der</strong> Landflucht und Verstädterung einsetzte, ist eigentlich eine<br />

Phase gewesen, die an gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen das aufholen würde,<br />

was in <strong>Istanbul</strong> bereits mit den Tanz<strong>im</strong>at-Reformen begonnen hatte, sich aus<br />

zwei Gründen jedoch bislang nicht durchsetzen konnte. Erstens war die Etablie-

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