Kunst, Kultur, Erwachsenen- bildung
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Rezensionen<br />
Edward O. Wilson:<br />
Letters To A Young Scientist<br />
Liveright Publishing Cooperation, New York 2013.<br />
Wilhelm Baier<br />
In seiner kleinen Schrift „Briefe an einen<br />
jungen Wissenschaftler“ versucht der Harvard-Professor<br />
Edward O. Wilson – untergliedert<br />
in fünf thematische Abschnitte<br />
– mit kurzen und unabhängig zu lesenden<br />
Aufsätzen (Briefen) einen Leitfaden für<br />
eine wissenschaftliche Karriere zu geben.<br />
Seine fünf Generalthemen, unter die er seine<br />
Briefe einordnet, lauten : Der Weg, dem<br />
man folgen muss – Der kreative Prozess –<br />
Ein Leben für die Wissenschaft – Theorie<br />
und großes Bild – Wahrheit und Ethik.<br />
Im ersten thematischen Abschnitt, der<br />
den Werdegang eines Wissenschaftlers beleuchtet,<br />
geht es ihm vor allem um die persönliche<br />
Leidenschaft, die für den Erfolg in<br />
einer Wissenschaftsdisziplin unerlässlich<br />
ist. Leidenschaftliche Arbeit ist wichtiger<br />
als das wissenschaftliche Training für den<br />
Erfolg. Auch mathematisches Talent ist in<br />
vielen Bereichen entbehrlich. Pioniere der<br />
Wissenschaft haben selten ihre Erkenntnisse<br />
aus der Mathematik bezogen. Falls man<br />
für seine Forschungen auch Mathematik<br />
braucht, soll man sich eben an Fachleute<br />
wenden. Speziell in den Biowissenschaften<br />
ist die Mathematik wenig fruchtbringend,<br />
weil die relevanten Faktoren des wirklichen<br />
Lebens häufig entweder missverstanden<br />
oder nicht erkannt bzw. übersehen werden.<br />
Außerdem gibt es fast in jeder wissenschaftlichen<br />
Disziplin mindestens einen Bereich,<br />
in denen man auch ohne Mathematik exzellente<br />
Leistungen erbringen kann. Wichtiger<br />
ist es, eine Nische zu finden, in der<br />
man zum Spezialisten aufsteigen kann. Jedes<br />
wissenschaftliche Problem bietet eine<br />
Chance. Je größer das Problem, umso besser!<br />
Jedenfalls ist es immer besser, sich abseits<br />
vom Mainstream zu bewegen.<br />
Im Abschnitt, der den kreativen Prozess<br />
behandelt, geht Wilson zuerst der Frage<br />
nach, was Wissenschaft eigentlich ist. Für<br />
ihn ist es das organisierte und testbare Wissen<br />
von der Welt im Gegensatz zu den unzähligen<br />
Meinungen, die sich von Mythen<br />
und Aberglauben nähren. Für ihn übertrifft<br />
die wissenschaftliche Methode in der Erklärungskraft<br />
jedenfalls jeden religiösen Glauben<br />
in Bezug auf Ursprung und Sinn des<br />
menschlichen Lebens. Daher ist es für jeden<br />
Wissenschaftler essenziell, sich darauf zu<br />
besinnen, dass es um die Erforschung der<br />
realen Welt geht, und nicht um die Bestätigung<br />
von vorgegebenen Meinungen oder<br />
Trugbildern. Nur nachprüfbare Ergebnisse<br />
zählen in der Wissenschaft. Wenn die Forschungsresultate<br />
korrekt und stimmig sind,<br />
werden sie auf Dauer jede Ideologie und<br />
jeden politischen Widerstand überwinden.<br />
Ein idealer Wissenschaftler denkt wie ein<br />
Poet und arbeitet wie ein Buchhalter. Das<br />
garantiert nachhaltige Ergebnisse. Die äußersten<br />
Grenzen der Wissenschaft kann<br />
man aber nur erreichen, wenn man auch<br />
die Landkarten kennt, die die früheren Forscher<br />
bereits gezeichnet haben. Um aber ein<br />
neues Terrain „abzuklopfen“, können kleine<br />
unkontrollierte Experimente sehr hilfreich<br />
sein, nur um zu sehen, ob sich etwas Interessantes<br />
auftut. Neue Technologien können<br />
dabei nützlich sein, sollten aber nicht zum<br />
Selbstzweck werden – liebe sie also nicht!.<br />
Wichtig ist aber vor allem, sich selbst treu<br />
zu bleiben.<br />
Ein Leben in der und für die Wissenschaft<br />
sieht für Wilson folgendermaßen<br />
aus: Es ist immer gut, einen Mentor zu<br />
findet, also gehe man auf die Suche. Von<br />
daher ist es schon angebracht, nicht unbedingt<br />
„mit dem Strom“ zu schwimmen.<br />
Außerdem sollte man sich in seinem gewählten<br />
Gebiet gut auskennen. In der modernen<br />
Biologie sind dabei gute Kenntnisse<br />
in Taxonomie und Systematik des Faches<br />
unerlässlich. Dann versuche man das Unmögliche,<br />
um etwas Außergewöhnliches<br />
zustande zu bringen.<br />
Im Abschnitt „Theorie und das große<br />
Bild“ stellt Wilson fest, dass das Leben auf<br />
der Erde noch weitgehend unbekannt ist, sodass<br />
es ein Leichtes ist, ein Forscher zu sein,<br />
ohne seine Umgebung unbedingt verlassen<br />
zu müssen. Wir suchen nach Mustern, die<br />
erkennbar werden, wenn sich die Puzzle-<br />
Teile zusammenfügen. Wenn so ein Muster<br />
entdeckt wird, nutzen wir es als Arbeitshilfe,<br />
um neue Untersuchungsansätze zu kreieren.<br />
Wenn die neuen Methoden nicht gut<br />
greifen, müssen sie besser adaptiert werden.<br />
Greifen sie gar nicht oder ergeben sich Widersprüche,<br />
so muss man eben nach neuen<br />
Mustern Ausschau halten. In jedem Fall<br />
erzeugt eine wissenschaftliche Antwort immer<br />
auch wieder neue Fragen. Hier zitiert<br />
der Autor Newton: „If you see further than<br />
others, it is by standing on the shoulders of<br />
giants.“ Jedenfalls können Ambition und<br />
unternehmerischer Geist häufig fehlende<br />
Brillanz ersetzen.<br />
Wahrheit und Ethik gehören für Wilson<br />
offensichtlich zusammen. Im letzten Abschnitt<br />
beleuchtet er das wissenschaftliche<br />
Ethos. Die oberste Maxime für jeden Wissenschaftler<br />
ist für ihn die Verfolgung der<br />
Wahrheit. Wissen an sich ist niemals negativ<br />
zu sehen, aber was man damit anfängt –<br />
die Anwendung von Wissen – kann durchaus<br />
verderblich sein, insbesondere wenn sie<br />
für ideologische Zwecke missbraucht wird.<br />
Daher gibt es für ihn keinen großen Wissenschaftler,<br />
der ganz allein für sich in einer<br />
verborgenen Kammer arbeitet. Austausch<br />
und voneinander Lernen gehören für ihn<br />
stets dazu.<br />
Mit seiner Anleitung für eine wissenschaftliche<br />
Karriere will Wilson jungen<br />
Wissenschaftlern etwas aus seinem reichen<br />
Erfahrungsschatz als Starthilfe mit auf den<br />
Weg geben. Das ist ihm mit diesem Büchlein<br />
sicher gelungen. Man kann nur hoffen,<br />
dass es auch von jungen Menschen gelesen<br />
wird, um ihnen den Einstieg in die Wissenschaft<br />
zu erleichtern und Anregungen für<br />
die persönliche Karriereplanung zu geben.<br />
Im Studium hört man solche Dinge kaum<br />
– ich wäre froh gewesen, hätte es so ein<br />
Handbuch schon zu meiner Zeit gegeben. //<br />
52 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 03-2013 · NR. 249