natur und mensch - Rheinaubund
natur und mensch - Rheinaubund
natur und mensch - Rheinaubund
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Gewässer<br />
Nachhaltige Wasserkraft:<br />
Weniger ist mehr<br />
Im Namen einer vermeintlichen Nachhaltigkeit ist ein brutaler<br />
Wettlauf um die Wassernutzung entflammt, der erst<br />
bei der Verstromung des letzten Wassertropfens enden<br />
könnte, falls der längst fällige Ausgleich zwischen Schutz<br />
<strong>und</strong> Nutzung der Gewässer scheitern sollte. Dabei geht<br />
vielfach vergessen, dass sich die Nutzung keineswegs in<br />
der physikalischen Erneuerbarkeit der Ressource Wasser<br />
erschöpft, sondern auch noch eine biologische <strong>und</strong> eine<br />
seelische Nachhaltigkeit voraussetzt, die erst gegeben ist,<br />
wenn das Wasser in den Flüssen für das Leben der Fische<br />
<strong>und</strong> die Erholung der Menschen fliesst, <strong>und</strong> nicht nur Turbinenräder<br />
antreibt. Ein Umdenken ist erforderlich: weniger<br />
ist mehr!, denn eine in jeder Hinsicht nachhaltige Wassernutzung<br />
kann langfristig kaum noch so viel Strom<br />
gewinnen, wie heute produziert wird, selbst wenn die<br />
prognostizierte Abnahme der Niederschläge als Folge des<br />
Klimawandels ausbleiben sollte.<br />
Von Luca Vetterli <strong>und</strong> Roland Seiler<br />
Mit fragloser Selbstverständlichkeit wird<br />
heute das energiepolitische Ziel einer vollständigen<br />
oder möglichst weitgehenden<br />
Ausschöpfung des Potentials der Wasserkraft<br />
gesetzt. Dies ist in der Tat erstaunlich,<br />
denn keine andere Ressource scheint einem<br />
so f<strong>und</strong>amentalistischen Nutzungsanspruch<br />
ausgesetzt zu sein: Trotz weltweiter Nahrungskrise<br />
käme beispielsweise kein Ernährungspolitiker<br />
auf den Gedanken, den<br />
verfügbaren Boden vollständig für die<br />
Nahrungsproduktion in Anspruch zu nehmen<br />
<strong>und</strong> dadurch etwa auch die Wälder in<br />
Agrarland umzuwandeln. Dort besteht offenbar<br />
das Bewusstsein, dass die Nutzung<br />
Grenzen hat <strong>und</strong> man der Mutter Erde doch<br />
noch etwas übrig lassen sollte. Bei der Wasserkraft<br />
sind wir trotz gesetzlicher Restwasserpflicht<br />
noch nicht wirklich zu einer solchen<br />
Einsicht gelangt. Dieser Umstand ist<br />
auf verschiedene Gründe zurückzuführen:<br />
Aus der wirtschaftlichen Sicht der Werke erhöht<br />
Restwasser die Stromgestehungskosten<br />
<strong>und</strong> verursacht „Energieverluste“, aus<br />
der gesellschaftspolitischen Sicht der Gemeinwesen,<br />
welche die Nutzung verleihen,<br />
senkt es die Wasserzinsen; <strong>und</strong> aus der Sicht<br />
der Einstellung der Menschen stellt es im<br />
übertragenen Sinne einen Energieverzicht<br />
dar. Als Folge bleibt der Nutzungsdruck ungemein<br />
hoch.<br />
Schweres Erbe<br />
Aus diesen Gründen blieben die erste gesetzliche<br />
Restwasservorschrift, die 1973 ins<br />
Fischereigesetz aufgenommen worden war,<br />
<strong>und</strong> die 1975 in der B<strong>und</strong>esverfassung verankerte<br />
Pflicht zur Sicherung angemessener<br />
Restwassermengen unbeachtet. Erst die<br />
präziser gefassten Restwasservorgaben des<br />
Gewässerschutzgesetzes von 1991 wurden<br />
einigermassen umgesetzt. Dabei erwies sich<br />
die formelhaft festgelegte Mindestrestwasserpflicht<br />
als harter Sockel, währenddem die<br />
Restwassererhöhung zur Erfüllung qualitativer<br />
Vorgaben, etwa der Mindestwassertiefe<br />
von 20 cm für die Fischwanderung es schon<br />
schwerer hatte. Eine weitere Restwassererhöhung<br />
als Ergebnis der gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Interessenabwägung blieb hingegen<br />
regelmässig auf der Strecke. Heute<br />
sieht man beim verschleppten Vollzug der<br />
Gewässersanierungen, dass immer wieder<br />
dieselben Gründe geltend gemacht werden,<br />
die schon früher zur Übernutzung der Ge-<br />
wässer führten, nämlich dass wir uns den<br />
„Energieverlust“ gar nicht leisten können,<br />
erst recht nicht da, wo Strom sauber <strong>und</strong> klimaneutral<br />
produziert wird. Jede Abweichung<br />
von der Totalnutzung gilt aus diesem<br />
Blickwinkel als Verlust (!). So wurde etwa die<br />
Verfügung der Bündner Regierung vom Dezember<br />
2009 über die Pilotsanierung der<br />
von den Misoxer Werke übernutzen Gewässer<br />
von verschiedenen Seiten angefochten:<br />
Die Umwelt- <strong>und</strong> Fischereiorganisationen<br />
wollten nicht hinnehmen, dass die Calancasca<br />
(Hauptfluss des Calancatals) in Valbella<br />
ein erstes Mal vollständig trockengelegt<br />
wird, obschon sie ein w<strong>und</strong>erschönes<br />
Fischereigewässer ist; zwei Gemeinden<br />
konnten sich nicht damit abfinden, dass im<br />
gleichen Masse wie die Stromproduktion<br />
nun auch die Wasserzinsen sich zurückbilden<br />
sollen <strong>und</strong> forderten deshalb eine<br />
mildere (aus Umweltsicht noch nutzlosere)<br />
Sanierung. Sie beriefen sich dabei auf die<br />
so genannten wohlerworbenen Rechte,<br />
welche der Nutzung eine Vorzugsbehandlung<br />
gewähren, die Verfügungsgewalt über<br />
das öffentliche Gut Wasser einschränkten<br />
<strong>und</strong> es ungemein erschweren, Verbesserungen<br />
– etwa das nötige Restwasser – zu erzielen.<br />
Somit kann es nicht erstaunen, dass<br />
es den Fischen schlecht geht.<br />
Seite 20 <strong>natur</strong> <strong>und</strong> <strong>mensch</strong> 2 / 2010