natur und mensch - Rheinaubund
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Aus dem Rheinaub<strong>und</strong><br />
Bandagen ausgetragen. FDP-Nationalrat Urs<br />
Dietsch bezeichnete den zur Auseinandersetzung<br />
zwischen Materialismus <strong>und</strong> Idealismus<br />
hochstilisierten Konflikt als «Kulturkampf<br />
zwischen Technik <strong>und</strong> Natur».<br />
(Kupper 1999: 23).<br />
Die Befürworter des Bauprojekts nahmen<br />
insbesondere die in der Rheinau-Initiative<br />
enthaltene Übergangsbestimmung ins Visier:<br />
«Zur ungeschmälerten Erhaltung des<br />
Rheinfalles sowie zum Schutz der Schönheit<br />
der Stromlandschaft Rheinfall-Rheinau wird<br />
die […] erteilte Konzession für den Bau<br />
des Kraftwerkes Rheinau aufgehoben. Eine<br />
solche Konzession darf nicht wieder erteilt<br />
werden.» Damit standen, so die Initiativgegner,<br />
wesentliche Gr<strong>und</strong>sätze der Verfassung<br />
<strong>und</strong> der Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel.<br />
Einmal bewilligte Vertragskonzessionen<br />
dürfen nicht einseitig rückgängig gemacht<br />
werden. Henri Zurbrügg, Sektionschef des<br />
Eidgenössischen Amtes für Wasserwirtschaft<br />
in Bern, brachte seinen Unmut wie<br />
folgt auf den Punkt: «Die Rheinauinitiative<br />
mit ihrer Übergangsbestimmung ist nicht<br />
nur eine Ungeheuerlichkeit <strong>und</strong> ein offenbarer<br />
Missbrauch des Initiativrechtes,<br />
sondern sie bedeutet einen Rechts- <strong>und</strong><br />
Wortbruch gegenüber dem eigenen Staat,<br />
gegenüber dem Nachbarstaat <strong>und</strong> nicht<br />
zuletzt gegenüber dem Konzessionär.»<br />
(Zit. in: Schweizerische Bauzeitung 1954.<br />
Vol. 72: 557f.).<br />
Aber auch die Befürworter stellten den<br />
Demokratiebegriff zur Diskussion. In einem<br />
Professorenappell lesen wir: «Es geht um die<br />
gr<strong>und</strong>sätzliche Frage, ob in der ältesten<br />
Demokratie wirklich noch das Volk das letzte<br />
Wort zu sagen habe.» (Zit. in: Graf 1972: 182).<br />
Die Rheinauinitiative warf aber nicht nur<br />
gr<strong>und</strong>sätzliche Fragen nach den Schranken<br />
des Initiativ- <strong>und</strong> Verfassungsrevisionsrechts<br />
auf. 1972 wies Christoph Graf darüber hinaus<br />
nach, dass im Falle Rheinau eine besonders<br />
starke personelle <strong>und</strong> institutionelle Verflechtung<br />
zwischen den Kraftwerkgesellschaften<br />
<strong>und</strong> den Behörden bestanden habe.<br />
Während des Abstimmungskampfes ruhten<br />
die Arbeiten in Rheinau keineswegs. Im Gegenteil,<br />
mit deren Fortführung sollten Fakten<br />
geschaffen werden. Denn so konnten<br />
die Initiativgegner ein weiteres Argument<br />
ins Feld führen. Bei einer Annahme der Initiative<br />
seien, so die Promotoren der Elektrizitätswirtschaft,<br />
nicht nur Stromengpässe zu<br />
befürchten, sondern die Steuerzahler hätten<br />
mit hohen Schadenersatzforderungen<br />
zu rechnen (Ewald. In: <strong>natur</strong>+<strong>mensch</strong><br />
1/2005: 3).<br />
Die Argumente der Kraftwerksbefürworter<br />
überzeugten eine Mehrheit der Stimmbürger.<br />
Am 5. Dezember 1954 wurde die Rheinau-Initiative<br />
mit r<strong>und</strong> 504 000 Nein- gegen<br />
229 000 Ja-Stimmen abgelehnt. Nur im Kanton<br />
Schaffhausen wurde sie angenommen.<br />
Am 13. Mai 1956 wurde ausserdem die Wasserrechts-Initiative<br />
mit 454 000 Nein – gegen<br />
266 000 Ja-Stimmen verworfen.<br />
Fast zeitgleich stritten sich Naturschützer<br />
<strong>und</strong> Kraftwerksbauer über ein anderes Bauprojekt.<br />
Im Schweizerischen Nationalpark<br />
sollte der Spöl, der Hauptfluss des Parks, in<br />
das auf italienischem Boden gelegene Livignostauwerk<br />
abgeleitet werden. Unter der<br />
Federführung Arthur Uehlingers wurde ein<br />
Referendum gegen den Staatsvertrag mit<br />
Italien beschlossen. Doch, so Kurt Bächtold,<br />
traten «im Hunger nach elektrischer Energie<br />
[…] Industrie, Banken <strong>und</strong> Politiker für<br />
Kraftwerk <strong>und</strong> Staatsvertrag ein <strong>und</strong> überfuhren<br />
in der Abstimmungskampagne die<br />
Gegner mit übermächtiger Propagandawalze.»<br />
(Bächtold 1991: 196). 1958 ging auch<br />
dieser Kampf verloren.<br />
Die Gründung<br />
des Rheinaub<strong>und</strong>es<br />
Trotz dieser Niederlagen waren die Auseinandersetzungen<br />
r<strong>und</strong> um die Kraftwerksbauten<br />
bei Rheinau, aber auch der Kampf<br />
um den Nationalpark, nicht vergeblich. Der<br />
Widerstand gegen diese Projekte wurde, so<br />
Ewald <strong>und</strong> Klaus, zum «Fanal» (Ewald/Klaus<br />
2009: 551) <strong>und</strong> stellte für die Natur- <strong>und</strong> Heimatschutzbewegung<br />
prägende Erlebnisse<br />
dar (Kupper 1998: 23). Die hart geführten<br />
Abstimmungskämpfe rüttelten die Politik<br />
wach. Rückblickend ist von einem umweltpolitischen<br />
Wendepunkt zu sprechen.<br />
Direkt aus der Rheinaubewegung hervorgegangen<br />
sind 1962 die deutliche Annahme<br />
des Artikels 24 der B<strong>und</strong>esverfassung sexies<br />
(Natur- <strong>und</strong> Heimatschutzartikel) sowie<br />
1966 das B<strong>und</strong>esgesetz für einen wirksameren<br />
Natur- <strong>und</strong> Heimatschutz<br />
in der Schweiz (Eawald/Klaus<br />
2009: 551f.).<br />
Die Umweltbewegung avant<br />
la lettre argumentierte noch<br />
hauptsächlich im Stil des<br />
traditionellen Natur- <strong>und</strong><br />
Heimatschutzes, das heisst<br />
vorwiegend patriotisch <strong>und</strong><br />
ästhetisch. Dazu der Umwelthistoriker<br />
Chris tian Pfister:<br />
Die Rheinauinitiative<br />
von 1954, die sich gegen<br />
den Bau eines Kraftwerkes<br />
im symbolträchtigen Umfeld<br />
des Rheinfalls richtete,<br />
«war die erste eidgenössische<br />
Volksabstimmung, die<br />
sich um den Schutz einer<br />
Landschaft drehte. ‚Schönheit‘<br />
<strong>und</strong> ‚Kindheit‘ waren<br />
Leitmotive der Werkgegner.<br />
Quelle: Stadtarchiv<br />
Schaffhausen<br />
Seite 24 <strong>natur</strong> <strong>und</strong> <strong>mensch</strong> 2 / 2010