80 Jahre Lateranverträge - Kirchenblatt
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<strong>80</strong> <strong>Jahre</strong><br />
Lateranverträge<br />
Thema<br />
RETO STAMPFLI<br />
Kaum jemand, der heute in Rom auf der Piazza Pia am<br />
Ende der Via della Conciliazione steht und in Richtung<br />
Petersdom schaut, ist sich bewusst, dass dieser eindrückliche<br />
Anblick bis vor 60 <strong>Jahre</strong>n noch durch Häuserfronten<br />
verunmöglicht worden war. Die prachtvolle «Strasse der<br />
Versöhnung», welcher ganze Häuserreihen des alten<br />
Borgos zum Opfer fielen, ist eine der bis heute sichtbaren<br />
Folgen der Lateranverträge, doch auch immateriell haben<br />
die patti lateranensi einiges verändert.<br />
Seit dem erzwungenen Ende des Kirchenstaates<br />
(1870) bestand zwischen<br />
den Päpsten und dem italienischen Staat<br />
ein politisches Tiefdruckgebiet, welches<br />
sich wie ein roter Faden von Pius IX. als<br />
«Gefangener im Vatikan» bis zur ersten<br />
Bereitschaft unter Benedikt XV. und zu<br />
Gesprächen unter Pius XI. hinzog. Nach<br />
zähem Ringen und langen Verhandlungen<br />
war es dann am 11. Februar 1929<br />
endlich soweit: Kardinalstaatssekretär<br />
Pietro Gasparri und der faschistische<br />
Staatschef Benito Mussolini unterzeichneten<br />
im Lateranpalast die bilateral ausgearbeiteten<br />
Verträge.<br />
Sie umfassten den Vertrag über die Grün -<br />
dung eines souveränen Staates der Vatikanstadt,<br />
ein Finanzabkommen, das den<br />
Papst mit Staatspapieren und monetär<br />
mit beachtlichen 1,75 Milliarden Lire damaligen<br />
Wertes abfand und ein Konkordat<br />
zwischen Italien und dem Heiligen<br />
Stuhl. Der Papst wurde als souveräner<br />
Herrscher des Vatikanstaates anerkannt;<br />
umgekehrt akzeptierte die römische Kirche<br />
das Königreich Italien mit seiner<br />
Hauptstadt Rom. Die sogenannte «Römische<br />
Frage» schien nach 60 <strong>Jahre</strong>n endlich<br />
eine Lösung gefunden zu haben,<br />
hatte jedoch 1931 und 1938 noch einmal<br />
schwere Krisen zu überstehen.<br />
4 KIRCHENBLATT 19 09 schuf.<br />
über 100 000 Gläubigen über das grosse<br />
Auch für die Päpstliche Schweizergarde<br />
hatte die Geburtsstunde des mit 44 Hektaren<br />
flächenmässig kleinsten Staates der<br />
Welt Konsequenzen. Von nun an sollten<br />
sie, als Bürger des neuen Vatikanstaates,<br />
während ihrer aktiven Dienstzeit vatikanisch-schweizerische<br />
Doppelbürger werden.<br />
In Art. 2 des Grundgesetzes des Vatikanstaates<br />
(7. Juni 1929, Nr. 1) wurde<br />
die direkte Subordination der Garde unter<br />
den Papst bestätigt, der diese Gewalt<br />
Reto Stampfli<br />
geboren am 22. Juli 1969, wuchs in Etziken SO<br />
auf. Er besuchte die Kantonsschule in Solothurn<br />
und studierte Philosophie, Germanistik und<br />
Theologie in Bern, St. Andrews und Fribourg.<br />
2001 dissertierte er über den französischen<br />
Philosophen Maurice Merleau-Ponty.<br />
Er arbeitet als Kantonsschullehrer und Autor.<br />
Zudem ist er stellvertretender Chef redaktor<br />
unseres <strong>Kirchenblatt</strong>s.<br />
Der Duce war zweifellos an einer Aussöhnung<br />
mit der katholischen Kirche aus<br />
taktischen Gründen interessiert, um der<br />
neuen Staats- und Gesellschaftsform des<br />
Faschismus Legitimität zu verschaffen.<br />
Der Jurist Francesco Pacelli, der Bruder<br />
des späteren Papstes Pius XII., führte in<br />
der Schlussphase drei Monate lang direkte<br />
Verhandlungen mit Mussolini, in<br />
deren Verlauf alle Details der späteren<br />
Endfassung festgelegt wurden. Bis zur<br />
formalen Revision der Verträge – im <strong>Jahre</strong><br />
1984 – blieb die römisch-katholische Kirche<br />
in Italien Staatsreligion. Im Gegenzug<br />
hatte die Kirche dem Klerus politische Aktivitäten<br />
untersagt. Quasi als äusseres Zeichen<br />
dieses Bundes entstand in den <strong>Jahre</strong>n<br />
1936 bis 1950 die Via della Conciliazione,<br />
welche einen prachtvollen und direkten<br />
Weg vom Tiber zum Petersplatz<br />
jedoch weiterhin durch den Staatssekretär<br />
ausüben sollte. Während eines Interregnums<br />
hingegen ist die Garde dem<br />
Kardinalskollegium unterstellt und steht<br />
zur Verfügung des Gouverneurs des Vatikanstaates<br />
oder der päpstlichen Kommission<br />
für den Vatikanstaat. Die durch die<br />
Lateranverträge entfachte Bautätigkeit,<br />
in und rund um den Vatikan, kam auch<br />
der Schweizergarde zugut. So wurde<br />
z. B. im Jahr 1930 mit der längst fälligen<br />
Renovation der Kaserne begonnen.<br />
Ein Jahr nach der Unterzeichnung der<br />
Lateranverträge betrat zum ersten Mal<br />
seit 1870 wieder ein Papst den Petersplatz.<br />
Pius XI. zog in Gefolge des ganzen<br />
Hofstaates und sämtlicher militärischer<br />
Einheiten, in einer triumphalen Fronleichnamsprozession,<br />
durch ein Spalier von