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Loccumer Pelikan 3_2004 - Religionspädagogisches Institut Loccum

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nach-gedacht<br />

Rolf Wernstedt<br />

Was nützt die Erinnerung an den Tod? *<br />

Es ist ein sonderbarer Titel, zu dem<br />

ich heute im Rahmen des Projektes<br />

„sospeso – abgebrochen“ sprechen<br />

soll. Luigi Nono hat aus letzten Briefen,<br />

Abschiedsbriefen, von zum Tode<br />

Verurteilten einige Sätze vertont. Die<br />

Musik werden wir hören und dazu<br />

musikalische Erläuterungen, zu denen<br />

ich gar nicht in der Lage wäre zu sprechen.<br />

Es sind Sätze aus abgebrochenem Leben,<br />

von 14-, 19-, 22-, 26-, 32-Jährigen.<br />

Der Älteste ist 40 Jahre, also von<br />

meist jungen Leuten.<br />

Ist es eigentlich etwas Besonderes,<br />

wenn vom Tode junger Menschen die<br />

Rede ist?<br />

Es ist immer das Gleiche: Großes Erschrecken,<br />

Fassungslosigkeit, ja Entsetzen.<br />

Ältere als die Toten wundern<br />

sich, dass auch mit ihnen schon alles<br />

zu Ende hätte sein können, Gleichaltrige<br />

und Jüngere fangen manchmal<br />

erstmals an, darüber nachzudenken,<br />

dass ihr noch so unendlich langes Leben<br />

vielleicht kürzer sein könnte als<br />

bisher gefühlt.<br />

Aber wir machen die Beobachtung,<br />

dass dieses lebhafte bedauernde Gefühl,<br />

ja Mitgefühl, nicht sehr lange<br />

andauert, außer bei Eltern, die ihre<br />

Kinder begraben mussten, oder Geschwistern,<br />

die je nach Alter die unmittelbare<br />

Nähe des Todes als Verlust<br />

dauerhaft spüren. Bei den Straßenkreuzen,<br />

die den Tod junger Auto- und<br />

Motorradfahrer – meistens männlicher<br />

– anzeigen, prangen zunächst die<br />

Blumen, nach einigen Wochen nicht<br />

mehr so viel frische, nach einem Jahr<br />

beginnt das Holzkreuz zu verrotten,<br />

dann verschwindet es.<br />

Auch wir selbst haben in den letzten<br />

vier Wochen mehrfach von abgebrochenem<br />

Leben gehört, und wir merken,<br />

wie die Erinnerung verblasst:<br />

Genau vor einem Monat, in der Nacht<br />

vom 26. auf den 27. Dezember 2003<br />

starben auf einen Schlag mehr als<br />

35.000 Menschen beim Erdbeben in<br />

der iranischen Stadt Bam und Umgebung,<br />

abrupt abgebrochenes Leben aller<br />

Generationen; vor drei Wochen<br />

stürzte ein Flugzeug mit 148 Menschen<br />

ins Rote Meer, jäh beendete<br />

Freudenzeit eines Urlaubs von meist<br />

jungen Familien und Verliebten; vor<br />

gut zwei Wochen verbrannten viele<br />

junge Menschen in einem Reisebus an<br />

der französischen Grenze, sie sahen<br />

die Lichter von Paris nicht mehr, auf<br />

die sie sich so freuten; vor einer Woche<br />

erfroren und ertranken 20 junge<br />

Matrosen in einem vor Norwegens<br />

Küste umgekippten Frachtschiff, sie<br />

hatten bestimmt noch viel vor.<br />

Die nicht beantwortbare Frage nach<br />

dem Warum dieses frühen Todes hält<br />

die Angehörigen und Freunde noch<br />

einige Zeit gefangen. Öffentlich, und<br />

damit auch für uns, ist nur von Interesse,<br />

ob sich der Tod zu diesem Zeit-<br />

* Vortrag im Rahmen des Projekts „ sospeso – abgebrochen“ der Hochschule für Musik und Theater Hannover in Zusammenarbeit mit der Ev.- luth. Kirche Sprengel<br />

Hannover am 26. Januar <strong>2004</strong> in der Neustädter Hof- und Stadtkirche Hannover.<br />

160 <strong><strong>Loccum</strong>er</strong> <strong>Pelikan</strong> 3/04

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