Report Claude Debussy: »Warum soll ich modulieren, wenn ich mich in dieser Tonart so wohl fühle?«
Jörg Abbing »… modulez!« Untersuchungen zum Verhältnis zwischen César Franck (zum 190. Geburtstag) und Claude Debussy (zum 150. Geburtstag) »Französische Musik, das heißt Klarheit, Eleganz, einfache und natürliche Deklamation.« Claude Debussy 1 1 Claude Debussy: Monsieur Croche. Stuttgart: 1 982, S. 277 2 Jean Barraqué: Debussy. Reinbek b. Hamburg: 1964, S. 39 3 Jean-Jacques Velly: Die vokale Kirchenmusik César Francks. Überlegungen zu einer unerfüllten Begegnung. In: Peter Jost (Hrsg.): César Franck – Werk und Rezeption. Stuttgart: 2004 4 Claude Debussy: Monsieur Croche. Stuttgart: 1982, S. 150 ff 5 Léon V<strong>alla</strong>s: Claude Debussy. München: 1961, S. 70 Man sollte sich die folgende Szene, die sich etwa um das Jahr 1880 im alten Conservatoire de Pa ris abgespielt hat, ruhig bild lich vorstellen: Da sitzt der junge, sich damals noch in der Ausbildung befindende Claude Debussy im Unterricht bei César Franck am Klavier und versucht sich in der Kunst der »freien Improvisation«, die – nach der Franckschen Pädagogik und entgegen der Idee des jungen Studenten – durchaus einem Regelwerk unterworfen war. Er zeigt im Spiel die Tendenz, in einer bestimmten Harmonie zu verweilen. Franck, ungeduldig werdend – und sich seiner Verteidigungsposition in einer Konfrontation mit den Werten der Vergangenheit durchaus bewusst – weist seinen Studenten zurecht: »Modulieren Sie!« Debussy antwortet aufrührerisch (mit Seitenblick auf die versammelten Kommilitonen): »Aber warum soll ich modulieren, wenn ich mich in dieser Tonart so wohl fühle?« 2 Diese (vor allem vom Freundeskreis Debussys literarisierte) Anekdote kann durchaus einen ho hen historischen Wahrheitsgehalt beanspruchen und verleitet dazu, beide Komponisten als Antipoden zweier unterschiedlicher und unvereinbarer Musikphilosophien zu sehen. »Modulieren Sie!« Diese Aufforderung verweist den begabten jungen Komponisten auf eine der Kernkom petenzen in der Harmonielehre. Und sie setzt einen Trennstrich zwischen beide Künstler, denn Debussy gilt – ganz im Gegensatz zu Franck – als einer derjenigen Komponisten, die sich in geradezu anarchistischer Weise der Modulationslehre zu entledigen wussten. Debussys Unterricht bei Franck wird mit Recht von der Musikforschung als eine für beide Seiten eher bedeutungslose Lehrer-Schüler-Beziehung ge wertet, dazu waren die Temperamente beider Musikerpersönlichkeiten zu unterschiedlich – eben so ihre Musik- und Weltanschauungen. Es ist jedoch möglich, anhand vorhandener Dokumente und Kompositionen die Beziehung zwischen beiden Komponisten etwas subtiler herauszuformen. Ich will dies anhand zweier wichtiger Gegenpositionen versuchen zu skizzieren, die aus völlig verschiedenen Bereichen stammen. Ideologie und Identität Franck war Zeit seines Lebens der geistlichen Mu sik verbunden, als organiste titulaire der Pariser Pfarrkirche Ste. Clotilde und ihrer berühmten Orgel von Cavaillé-Coll vor allem der Orgelmusik. Sieht man einmal vom großen Oratorium Les Béatitudes ab, erreichen seine geistlichen Vokalwerke lange nicht das Niveau seiner Orgelkompositionen – eine These, die zuerst von Vincent D’Indy eröffnet und dann in der späteren Musikkritik bestätigt wurde. 3 Selbst Debussy findet als sein Alter Ego Gil Blas in einer Konzertkritik eine durchaus lobende Erwähnung dieses Oratoriums, 4 obwohl er der Religion, Kirche und der musique sacrée ebenso fern, wie Franck ihr nahe steht. Maurice Emmanuel gegenüber äußert er sich etwa abfällig über den plain-chant, den Gregorianischen Choral: »[…] Das ist die Droge der Priester, […] ein Chor gesang für fromme Weiblein und junge Mädchen in Blau!« 5 Dieser Zwiespalt war imstan de, einen ideologischen Keil zwischen beide Komponisten zu treiben, obwohl er sicherlich zwischen ihnen nicht verbalisiert wurde. Franck wurde im conservatoire von seinen Schü lern liebevoll Père Franck genannt; dieser scheinbare Euphemismus suggeriert ein eher vä ter lich-naives Psychogramm des Hochschullehrers. Debussys Einschätzung der Persönlichkeit Report <strong>alla</strong> <strong>breve</strong> <strong>Wintersemester</strong> <strong>2012</strong> / 13 7