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alla breve - Wintersemester 2012-2013

Magazin der Hochschule für Musik Saar

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Francks scheint das noch zu bestätigen: »César<br />

Franck war ein Mensch ohne Arg, dem es genügte,<br />

eine schöne Harmonie gefunden zu haben, um<br />

einen ganzen Tag glücklich zu sein. […] Dieser<br />

unglückliche und verkannte Mann besaß ein Kindergemüt,<br />

so unbeirrbar gut, dass er ohne Bitternis<br />

die Bosheit der Menschen und den Widersinn<br />

allen Geschehens mitansehen konnte.« 6<br />

Erweitert wird die Faktenlage der Divergenz<br />

beider Komponisten noch durch die Tatsache, dass<br />

Debussy Franck nicht zu den eigentlich fran zösischen<br />

Komponisten zählen wollte. Der Streit um<br />

Francks nationale Identität war bereits lange vorher<br />

aufgebrochen: Er zeichnete (unter anderem<br />

zusammen mit Camille Saint-Saëns) im Jahre<br />

1871 als Gründungsmitglied der Societé nationale<br />

de Musique (s.n.m.), die sich der Pflege der französischen<br />

Musik verschrieben hatte und unter an derem<br />

die französische Musik vor deutschen Ein flüssen<br />

sichern sollte. In der Folge jedoch kam Franck,<br />

der es ermöglichte, dass die Musik Richard Wagners<br />

(deren Verfechter er war) in den Konzerten<br />

der s.n.m. erklingen durfte, in die Kritik und spaltete<br />

mit geringer Mehrheit die Vereinigung in zwei<br />

Lager.<br />

Wir berühren damit das Phänomen des sprichwörtlich<br />

gewordenen Wagnerismus in Frankreich,<br />

einem ideologischen Streit, der sich an der Musik<br />

des Bayreuther Komponisten entzündete. Neben<br />

allen musikalischen Disputen saß tief im französischen<br />

Nationalbewusstsein noch immer die De ­<br />

mütigung Frankreichs durch die deutsche Kaiser ­<br />

krönung nach dem Krieg von 1870/71. Hieraus<br />

resultierte eine präventive Ablehnung deutscher<br />

Kultur – zumal, wenn sie von so ur deu tschen<br />

Werten geprägt war wie die Musik Richard Wagners.<br />

Allerdings: Um 1880 war der achtzehn jährige<br />

Debussy nur kurz zu Gast in der Klasse von Franck<br />

und man kann konstituieren, dass sich die musikalische<br />

Ästhetik des jungen Künstlers noch in der<br />

Transformation befand. Zudem hielt die Musik<br />

Wagners erst relativ spät Einzug in das musikalische<br />

Bewusstsein des westlichen Nachbarlandes.<br />

Nach dem Skandal um die Tannhäuser-Uraufführung<br />

im Jahre 1861 drohte der Wagner-Rezeption<br />

in Frankreich bereits ein vorschnelles Ende; erst<br />

zehn Jahre nach dem Tod des Komponisten, im<br />

Jahre 1893, wurde zunächst Die Walküre in Paris<br />

gegeben, später folgten die anderen Opern. Claude<br />

Debussy, der »bekehrte« Wagnerianer, war aus diesen<br />

Gründen bereits 1887 und 1889 zweimal nach<br />

Bayreuth gepilgert, um den Parsifal, Tristan und<br />

die Meistersinger von Nürnberg zu hören. Ein Jahr<br />

zuvor lernte er die Partitur des Tristan kennen<br />

und schrieb an den Maler Ernest Hébert 7 nach<br />

dem Eindruck eines Konzerts mit dem Orchester<br />

Lamoureux, bei welchem der erste Akt des Tristan<br />

konzertant aufgeführt wurde: »[…] Endlich! Erster<br />

Akt von Tristan und Isolde: Das ist ganz sicher das<br />

schönste, was ich hinsichtlich der emotionalen<br />

Tiefe kenne, es berührt Sie wie eine Liebkosung<br />

[…]«. Später wendet sich Debussy von Wagner<br />

entschieden ab – ganz im Gegensatz zum 40 Jahre<br />

älteren César Franck, der sich zeitlebens dem Bayreuther<br />

Meister verpflichtet fühlt und mit seiner<br />

Attitüde eben jene Majorität in der s.n.m. besaß.<br />

Saint-Saëns verriet noch dreißig Jahre später,<br />

dass »[…] von nun an […] die Clique der Wagnerianer<br />

und Césarianer das Sagen hatte […]«. 8<br />

Etwas später antwortete Debussy auf eine Rundfrage<br />

von Paul Landormy im Jahre 1904 nach der<br />

Identität der französischen Musik: »César Franck<br />

ist kein Franzose, er ist Belgier. […] Die Wirkung<br />

César Francks auf die französischen Komponisten<br />

ist gering; er hat sie bestimmte satztechnische Verfahren<br />

gelehrt, aber ihre Empfindungswelt steht<br />

in keiner Beziehung zu der seinen.« 9 Damit wäre<br />

klar, welchem ideologischen Lager Debussy im<br />

Konflikt innerhalb der s.n.m. zugerechnet werden<br />

kann. Ob sich in der frankophonen Ty po lo gi sierung,<br />

die Debussy mit dem unseren Artikel voran<br />

gestellten Zitat angeregt hat, eine »typisch französische«<br />

Mu sikrichtung ausschält, der der Wallone<br />

César Franck nicht zugerechnet werden kann,<br />

bleibt dahingestellt und bedarf einer Beweisführung<br />

mit den analytischen Werkzeugen der Mu sik ­<br />

theorie.<br />

Harmonik<br />

In der dritten Nummer des ersten Bandes der<br />

Pré ludes mit dem programmatischen (und von<br />

Baudelaire entliehenen) Titel Les sons et les parfums<br />

tour nent dans l’air du soir begegnen wir einer Akkordsequenz,<br />

die typisch für den harmonischen Stil<br />

Claude Debussy ist. Bereits im dritten Takt deutet<br />

der Komponist eine kompromisslose Sicht der harmonischen<br />

Verbindungen an: In der linken Hand<br />

werden Dominantseptakkorde ohne Verbindung<br />

»gerückt«, die eigentlich ein »Davor« und ein »Danach«<br />

haben sollten, hier aber als Klang mixturen<br />

erscheinen. Später wird diese Tendenz fortgesetzt:<br />

(Debussy: Prélude, 1ère cahier: Nr. 4, T. 33 —35)<br />

Die Akkorde im dritten Takt des Beispiels verstehen<br />

sich als »Sesquialter-Klänge«, der Gedanke an<br />

tonale Bezüge ist obsolet geworden. Hier emanzipiert<br />

sich Klang von Klangkombination, gleich<br />

wie sich die Dissonanz in Schönbergs Zwölftontheorie<br />

als Tonverbindung ohne Auflösungszwang<br />

emanzipiert. Im gleichen Band der Préludes findet<br />

sich in der Satztechnik der bekannten Cathédrale<br />

engloutie ähnliche Struktur.<br />

Eine solch kompromisslose harmonische Ar ­<br />

chi tektur wird man bei Franck vergebens suchen;<br />

bei ihm besteht Klangkombination aus Klangverwandtschaft:<br />

Jeder Klang resultiert aus dem vorher<br />

gegangenen und definiert den nachfolgenden. Im<br />

Deuxième Chorale für Orgel beispielsweise, den<br />

Franck kurz vor seinem Tode komponierte (1890),<br />

8 Report<br />

<strong>alla</strong> <strong>breve</strong> <strong>Wintersemester</strong> <strong>2012</strong> / 13

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