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alla breve - Wintersemester 2012-2013

Magazin der Hochschule für Musik Saar

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Jörg Abbing<br />

»… modulez!«<br />

Untersuchungen zum Verhältnis zwischen<br />

César Franck (zum 190. Geburtstag) und<br />

Claude Debussy (zum 150. Geburtstag)<br />

»Französische Musik, das heißt Klarheit,<br />

Eleganz, einfache und natürliche Deklamation.«<br />

Claude Debussy 1<br />

1<br />

Claude Debussy:<br />

Monsieur Croche.<br />

Stuttgart: 1 982, S. 277<br />

2<br />

Jean Barraqué:<br />

Debussy. Reinbek b.<br />

Hamburg: 1964, S. 39<br />

3<br />

Jean-Jacques Velly:<br />

Die vokale Kirchenmusik<br />

César Francks. Überlegungen<br />

zu einer unerfüllten<br />

Begegnung. In: Peter Jost<br />

(Hrsg.): César Franck –<br />

Werk und Rezeption.<br />

Stuttgart: 2004<br />

4<br />

Claude Debussy:<br />

Monsieur Croche.<br />

Stuttgart: 1982, S. 150 ff<br />

5<br />

Léon V<strong>alla</strong>s:<br />

Claude Debussy.<br />

München: 1961, S. 70<br />

Man sollte sich die folgende Szene,<br />

die sich etwa um das Jahr<br />

1880 im alten Conservatoire de<br />

Pa ris abgespielt hat, ruhig<br />

bild lich vorstellen: Da sitzt<br />

der junge, sich damals noch in der Ausbildung<br />

befindende Claude Debussy im Unterricht bei César<br />

Franck am Klavier und versucht sich in der Kunst<br />

der »freien Improvisation«, die – nach der Franckschen<br />

Pädagogik und entgegen der Idee des jungen<br />

Studenten – durchaus einem Regelwerk unterworfen<br />

war. Er zeigt im Spiel die Tendenz, in einer<br />

bestimmten Harmonie zu verweilen. Franck, ungeduldig<br />

werdend – und sich seiner Verteidigungsposition<br />

in einer Konfrontation mit den Werten<br />

der Vergangenheit durchaus bewusst – weist seinen<br />

Studenten zurecht: »Modulieren Sie!« Debussy<br />

antwortet aufrührerisch (mit Seitenblick auf die<br />

versammelten Kommilitonen): »Aber warum soll<br />

ich modulieren, wenn ich mich in dieser Tonart<br />

so wohl fühle?« 2<br />

Diese (vor allem vom Freundeskreis Debussys<br />

literarisierte) Anekdote kann durchaus einen ho ­<br />

hen historischen Wahrheitsgehalt beanspruchen<br />

und verleitet dazu, beide Komponisten als Antipoden<br />

zweier unterschiedlicher und unvereinbarer<br />

Musikphilosophien zu sehen. »Modulieren<br />

Sie!« Diese Aufforderung verweist den begabten<br />

jungen Komponisten auf eine der Kernkom petenzen<br />

in der Harmonielehre. Und sie setzt einen<br />

Trennstrich zwischen beide Künstler, denn<br />

Debussy gilt – ganz im Gegensatz zu Franck – als<br />

einer derjenigen Komponisten, die sich in geradezu<br />

anarchistischer Weise der Modulationslehre<br />

zu entledigen wussten.<br />

Debussys Unterricht bei Franck wird mit Recht<br />

von der Musikforschung als eine für beide Seiten<br />

eher bedeutungslose Lehrer-Schüler-Beziehung<br />

ge wertet, dazu waren die Temperamente beider<br />

Musikerpersönlichkeiten zu unterschiedlich –<br />

eben so ihre Musik- und Weltanschauungen. Es ist<br />

jedoch möglich, anhand vorhandener Dokumente<br />

und Kompositionen die Beziehung zwischen beiden<br />

Komponisten etwas subtiler herauszuformen.<br />

Ich will dies anhand zweier wichtiger Gegenpositionen<br />

versuchen zu skizzieren, die aus völlig verschiedenen<br />

Bereichen stammen.<br />

Ideologie und Identität<br />

Franck war Zeit seines Lebens der geistlichen<br />

Mu sik verbunden, als organiste titulaire der Pariser<br />

Pfarrkirche Ste. Clotilde und ihrer berühmten<br />

Orgel von Cavaillé-Coll vor allem der Orgelmusik.<br />

Sieht man einmal vom großen Oratorium Les<br />

Béatitudes ab, erreichen seine geistlichen Vokalwerke<br />

lange nicht das Niveau seiner Orgelkompositionen<br />

– eine These, die zuerst von Vincent<br />

D’Indy eröffnet und dann in der späteren Musikkritik<br />

bestätigt wurde. 3 Selbst Debussy findet als<br />

sein Alter Ego Gil Blas in einer Konzertkritik eine<br />

durchaus lobende Erwähnung dieses Oratoriums, 4<br />

obwohl er der Religion, Kirche und der musique<br />

sacrée ebenso fern, wie Franck ihr nahe steht. Maurice<br />

Emmanuel gegenüber äußert er sich etwa<br />

abfällig über den plain-chant, den Gregorianischen<br />

Choral: »[…] Das ist die Droge der Priester, […] ein<br />

Chor gesang für fromme Weiblein und junge Mädchen<br />

in Blau!« 5 Dieser Zwiespalt war imstan de,<br />

einen ideologischen Keil zwischen beide Komponisten<br />

zu treiben, obwohl er sicherlich zwischen<br />

ihnen nicht verbalisiert wurde.<br />

Franck wurde im conservatoire von seinen<br />

Schü lern liebevoll Père Franck genannt; dieser<br />

scheinbare Euphemismus suggeriert ein eher<br />

vä ter lich-naives Psychogramm des Hochschullehrers.<br />

Debussys Einschätzung der Persönlichkeit<br />

Report<br />

<strong>alla</strong> <strong>breve</strong> <strong>Wintersemester</strong> <strong>2012</strong> / 13<br />

7

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