Gender an der Mittelschule - PHBern
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bias, <strong>der</strong> unbemerkt auch und gerade in den empirischen Forschungsvorg<strong>an</strong>g<br />
eines naturwissenschalichen Faches einflösse.7<br />
Diese und viele weitere Studien haben akribische Untersuchungen<br />
darüber <strong>an</strong>gestellt, in welcher Weise und auf welchen<br />
Ebenen des naturwissenschalichen Forschungsprozesses<br />
Geschlechterideologien in naturwissenschaliche eorien<br />
eingearbeitet worden sind. Dies geschehe beispielsweise schon<br />
durch eine inadäquate Gegenst<strong>an</strong>dswahl bzw. fehlerhae Stichprobenauswahl<br />
o<strong>der</strong> auch eine einseitige Formulierung des Erkenntnisinteresses,<br />
des Weiteren durch eine m<strong>an</strong>gelhae Datenerhebung<br />
und -auereitung und schliesslich vor allem<br />
durch un<strong>an</strong>gemessene bzw. unbegründete Schlussfolgerungen<br />
und Hypothesenbildungen bzw. falsche Universalisierungen<br />
und voreilige Ableitungen.<br />
[…] Allein die Bezeichnung Sexualhormone und <strong>der</strong>en<br />
Aufspaltung in weibliche und männliche Hormone (Östrogene<br />
und Androgene) sei schon, so ergänzend Bonnie Sp<strong>an</strong>ier, problematisch,<br />
da sie verdecken würde, dass beide Hormongruppen<br />
in beiden Geschlechtern aufgefunden worden seien, inein<strong>an</strong><strong>der</strong><br />
umw<strong>an</strong>delbar seien und viele weitere Funktionen jenseits<br />
von Sexualität und Reproduktion ausübten.8 Durch die inkorrekte<br />
Terminologie entstehe <strong>der</strong> falsche Eindruck einer<br />
scharf geschiedenen molekularbiologisch fundierten Geschlechterdifferenz.9<br />
[…]<br />
Eine Fülle von Studien bezieht sich des Weiteren auf Projektionen<br />
von Aktiv-Passiv- und Superioritäts-Inferioritäts- bzw.<br />
Positiv-Negativschemata auf geschlechterbezogene Beschreibungen<br />
verschiedener biologischer Prozesse. Die Primatologin<br />
Linda Fedig<strong>an</strong> bemerkt beispielsweise, dass die sexuelle physische<br />
Differenzierung omals als ein passiver Prozess bei <strong>der</strong><br />
Entwicklung eines weiblichen Org<strong>an</strong>ismus beschrieben werde,<br />
<strong>der</strong> quasi automatisch ablaufe, aber als ein aktiver Prozess bei<br />
<strong>der</strong> Entwicklung eines männlichen Org<strong>an</strong>ismus aufgrund des<br />
zusätzlich nötigen Einflusses von <strong>an</strong>drogenen Hormonen, ‹giving<br />
the unwary rea<strong>der</strong> the impression that «passive» <strong>an</strong>d<br />
«active» are empirical categories instead of metaphors of personal<br />
<strong>an</strong>d social stereotype›.10 Die Entwicklungsbiologinnen Eva<br />
Eicher und Linda Washburn können zusätzlich durch eigene<br />
Arbeiten die Vorstellung von einer automatisch ablaufenden<br />
weiblichen Entwicklung in Frage stellen, indem sie zeigen, dass<br />
auch diese aktiv gestalten<strong>der</strong> Faktoren bedürfe und nicht ‹einfach<br />
so› stattfinde.11 Geschlechtsspezifische Aktiv-Passiv-Zuschreibungen<br />
fänden sich aber vor allem auch, so Fedig<strong>an</strong> weiter,<br />
in den Beschreibungen von Verhaltensweisen, bei denen die<br />
Männchen beispielsweise als ‹responsive to something›, die<br />
Weibchen jedoch als ‹dependent of something› dargestellt würden.<br />
Die Molekularbiologin Bonnie Sp<strong>an</strong>ier stellt in ihrer Metastudie<br />
zu Geschlechterideologien im mikro-, zell- und molekularbiologischen<br />
Bereich dar, dass sich diese Projektionen auch<br />
auf vergeschlechtlichende Beschreibungen von Zellen, Makromolekülen<br />
und genetischen Prozessen erstrecken.12<br />
Solche Naturalisierungen von gesellschalichen Ordnungen<br />
haben aufgrund <strong>der</strong> historisch entst<strong>an</strong>denen grossen Wissensautorität<br />
und Glaubwürdigkeit <strong>der</strong> Naturwissenschaen<br />
beson<strong>der</strong>s tief greifende beschränkende Auswirkungen auf die<br />
Geschlechteridentitäten und damit verbundene soziale Strukturierungen<br />
und gesellschaliche Partizipationen. Diese Konsequenzen<br />
stehen einer offenen Entwicklung und Ermöglichung<br />
vielfältiger Geschlechteridentitäten ebenso entgegen wie<br />
einer geschlechteregalitären demokratischen Partizipation <strong>an</strong><br />
verschiedenen gesellschalichen Gestaltungsbereichen.<br />
Wie ein neuer wissenschalich fundierter und nicht sexistischer<br />
Wissensbest<strong>an</strong>d einer Biologie <strong>der</strong> Geschlechter entwickelt<br />
werden könnte, haben inzwischen ebenfalls zahlreiche Forschungsprojekte<br />
gezeigt. Beispielsweise ist die evolutionstheoretische<br />
Kognitionstheorie umfassend überarbeitet worden, die<br />
besagt, dass durch unterschiedliche Tätigkeitsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Urfrauen<br />
und -männer als Sammlerinnen und Jäger geschlechtsspezifische<br />
Fähigkeiten selektiv begünstigt wurden, die bis<br />
heute im genetischen Programm <strong>der</strong> Geschlechter ver<strong>an</strong>kert<br />
seien. Die Archäologin Linda Owen wie auch verschiedene <strong>an</strong><strong>der</strong>e<br />
Studien haben ausführlich dargelegt, dass es keinesfalls geklärt<br />
sei, ob und welche geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen<br />
es im Pleistozän gegeben habe.13 Die seit den 1960er Jahren<br />
geläufige M<strong>an</strong>-the-Hunter-eorie,14 <strong>der</strong>zufolge die Männer<br />
auf die Jagd gingen und die Frauen ‹zu Hause› blieben und sich<br />
um die Kin<strong>der</strong> und das Beerensammeln in Höhlennähe kümmerten,<br />
sei wohl eher eine Projektion des männlichen Ernährermodells<br />
auf urzeitliche Bedingungen und entbehre wissenschalicher<br />
Beweise. Die bisherigen archäologischen Fundstücke<br />
legten eher nahe, dass Frauen und Männer gemeinsam auf<br />
die Jagd gingen, sowohl Frauen als auch Männer die Kin<strong>der</strong> versorgten<br />
und das von allen betriebene Sammeln von pfl<strong>an</strong>zlicher<br />
Nahrung bzw. das Erlegen von Kleintieren die Hauptgrundlage<br />
<strong>der</strong> Ernährung darstellte.<br />
Ausserdem sei völlig unklar, ob überhaupt und welche kognitiven<br />
Fähigkeiten vererbt werden und wieso solche Fähigkeiten<br />
d<strong>an</strong>n geschlechtergebunden und nicht vielmehr geschlechterübergreifend<br />
weitergegeben werden sollten. Als plausibler,<br />
da besser kausal belegbar als die ese von <strong>der</strong> Vererbung kognitiver<br />
Geschlechterrollen, wird inzwischen die Hirnplastizitätstheorie<br />
gewertet. Diese besagt, dass das menschliche Gehirn bei<br />
<strong>der</strong> Geburt nicht schon festgelegt ist, son<strong>der</strong>n sich vielmehr<br />
durch Erfahrung erst funktional und auch <strong>an</strong>atomisch entwickelt.<br />
Jede Messung <strong>der</strong> <strong>an</strong>atomischen und funktionalen Unterschiede<br />
von Gehirnen stelle somit eine blosse Momentaufnahme<br />
dar, dokumentiere also das temporäre Ergebnis bisheriger<br />
biologischer und erfahrungsabhängiger Entwicklungen und<br />
sei keine Beschreibung eines dauerhaen Status.15 Ob kognitive<br />
Fähigkeiten aufgrund von gesellschalichen Möglichkeiten<br />
o<strong>der</strong> Beschränkungen geför<strong>der</strong>t wurden o<strong>der</strong> eher verkümmerten,<br />
stellen in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g wichtige Faktoren dar,<br />
um gemeinsam mit physiologischen und <strong>an</strong>atomischen Dispositionen<br />
die Gehirnentwicklung <strong>an</strong>gemessen zu erklären.<br />
Nicht nur für die Gehirnentwicklung, son<strong>der</strong>n auch für <strong>an</strong><strong>der</strong>e<br />
Entwicklungsbereiche liegen inzwischen solche multidisziplinären<br />
Betrachtungsweisen geschlechtlicher Körper vor, in<br />
denen soziale und biologische Prozesse wechselseitig aufein<strong>an</strong><strong>der</strong><br />
bezogen sind. Insbeson<strong>der</strong>e die amerik<strong>an</strong>ische Biologin<br />
Anne Fausto-Sterling hat in umf<strong>an</strong>greichen Metastudien komplexe<br />
geschlechterbezogene Beschreibungen verschiedener<br />
körperlicher Entwicklungsvorgänge geliefert, aus denen deutlich<br />
wird, in welcher Weise ein biologischer Körper durch sozial<br />
zugewiesene Körperpraktiken seine Eigenschaen gewinnt und<br />
damit soziale Strukturen gewissermassen physiologisch und<br />
<strong>an</strong>atomisch verkörpert.16 In neueren Studien betrachtet sie die<br />
Entwicklung menschlicher Knochen, <strong>der</strong>en sehr unterschiedliche<br />
Konstitutionen sie auf individuelle und gruppenspezifische<br />
Lebensläufe bezieht, so dass sie ein komplexes <strong>Gen<strong>der</strong></strong>-, Raceund<br />
Classstrukturiertes Muster verkörperter Sozialitäten in<br />
Bezug auf biographische und historische Entstehungskontexte<br />
rekonstruieren k<strong>an</strong>n.17