1 Sigrid Weigel: «Von <strong>der</strong> ‹<strong>an</strong><strong>der</strong>en Rede› zur Rede des An<strong>der</strong>en», in: Sigrid Schade, Monika Wagner, Sigrid Weigel (Hg.): Allegorien und Geschlechterdifferenz, Köln 1994, S.159 – 169, hier S. 161. 2 vgl. Craig Owens: «The Allegorical Impulse: Toward a Theory of Postmo<strong>der</strong>nism, Parts 1 <strong>an</strong>d 2», Erstpublikation in: October 12 <strong>an</strong>d 13 (Spring <strong>an</strong>d Summer, 1980), Neuabdruck in: Craig Owens: Beyond Recognition: Representation, Power, <strong>an</strong>d Culture, Berkeley 1992, S. 52 – 87. Siehe dazu auch die Diskussion und gen<strong>der</strong>spezifische Weiterführung dieses Textes durch H<strong>an</strong>ne Loreck: «Körper, die ich nicht gewesen sein werde», in: Marie-Luise Angerer, Kathrin Peters, Zoe Sofoulis (Hg.): Future Bodies, Wien/New York 2002. Abb. Sabina Baum<strong>an</strong>n Ohne Titel (aus <strong>der</strong> Steineserie), 2008 Bleistift auf Papier 120 × 120 cm
Die Gleichzeitigkeit des An<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> Normalität als zeitlich und örtlich begrenzter Ausnahmezust<strong>an</strong>d ¬ Yvonne Volkart […] Die Kulturwissenschalerin Sigrid Weigel vertrat für die Literatur die ese, dass seit <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne die ‹<strong>an</strong><strong>der</strong>e Rede› <strong>der</strong> Allegorie ‹zur Rede des An<strong>der</strong>en› wird.1 Das An<strong>der</strong>e wäre in dieser eorie das vom domin<strong>an</strong>ten Diskurs Ausgeschlossene, das als min<strong>der</strong>wertig Abtaxierte und als bedrohliches Material ins Unbewusste Abgedrängte, das Anormale und Monströse, das ‹Queere›. […] Tatsächlich haben wir in den Künsten, in einer so noch nie dagewesenen Weise, heute ein Interesse am Sozialen, Globalen, Politischen, Sexuellen, Körperlichen, Gemeinsinnigen und so weiter, das nicht nur jegliche mo<strong>der</strong>nistische Selbstbezüglichkeit, son<strong>der</strong>n auch die teilweise noch etwas dist<strong>an</strong>ziert und kalkuliert erscheinenden künstlerischen Verfahren <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne sprengt und mit ungleich unmittelbarer wirkenden Verfahren spielt. So können wir heute von entschieden <strong>an</strong><strong>der</strong>en Strategien <strong>der</strong> Einmischung und Teilhabe <strong>an</strong> <strong>der</strong> Welt sprechen – einer Welt des An<strong>der</strong>en, die unmittelbar zu vertreten sich diese Kunst <strong>an</strong>heischig macht. Kurzum, Sabina Baum<strong>an</strong>ns Zeichnung, die sowohl über das Nicht-Sprechen spricht als auch uns, das Publikum, zum Mitsprechen <strong>an</strong>spricht, erhebt den Anspruch, selbst ein Stück <strong>der</strong> Welt zu sein und in die Politik <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> einzugreifen. Gleichzeitig ist sie jedoch immer nur Bild, Text, Skript für die Subjekte, <strong>an</strong> die sie appelliert. Ein Konglomerat <strong>an</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchen, die nicht aufgelöst sind. Ein gebrochenes Weltding, das den perm<strong>an</strong>enten Ausnahmezust<strong>an</strong>d signalisiert. Die Konzentrierung auf die Zeichnung bestätigt […] den Versuch, das Ephemere <strong>an</strong>zuhalten beziehungsweise adäquat darzustellen. Owens verweist diesbezüglich auf die Fotografie, mir erscheint aber die Zeichnung geeigneter, den Charakter des Flüchtigen auszuloten; nämlich weniger, um es zu fixieren, wie die Fotografie, als vielmehr es in seiner Momenthaigkeit und Vergänglichkeit, in seiner Vor- und Nachläufigkeit medial zu wie<strong>der</strong>holen.2 Damit verh<strong>an</strong>delt die Zeichnung nicht nur eine <strong>an</strong><strong>der</strong>e Geste des Entwerfens, son<strong>der</strong>n auch eine <strong>an</strong><strong>der</strong>e Weise des Lebensentwurfs. Ein Entwurf, <strong>der</strong>, obwohl er sich aus <strong>der</strong> Appropriation, dem Zitat und <strong>der</strong> Populärkultur nährt, gleichzeitig <strong>der</strong> ideologisch damit verbundenen seriellen Massenproduktion und Wegwerfmentalität abschwört. ‹«Unplugged», nur mit einem Bleisti, ohne Angestellte, in H<strong>an</strong>darbeit ein Unikat herstellen, sagt auch etwas über Lebensweisen/Konzepte aus›, schreibt Sabina Baum<strong>an</strong>n. Diese Unikate sind bei ihr immer Kopien, ein Verarbeiten von Informationen, die auf uns eindröhnen, die unseren ‹Ich-Behälter›, wie sie sagt, ‹mit wi<strong>der</strong>sprüchlicher Information <strong>an</strong>füllen›, mit ‹genetischer, körperpraktischer, intellektueller›. ‹Authentisch ist, wer das «Gelernte» 100-prozentig integriert hat.› Diese Aussagen machen deutlich, dass es bei Sabina Baum<strong>an</strong>ns zeichnerischer Spurensuche nicht um die Rekuperation von etwas Entfremdetem son<strong>der</strong>n um <strong>der</strong>en Gegenteil geht: um das körperlich gesteuerte Zusammensetzen <strong>der</strong> verstreuten Teile und das Umschreiben <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en Rede in die Rede des An<strong>der</strong>en. Es geht darum, es <strong>an</strong><strong>der</strong>s zu machen, als es das Maschinen- und Informationszeitalter für seine Subjekte vorgesehen hat. Die Zeichnung als Medium und Spur des Stockens und Verwerfens macht deutlich, dass Sabina Baum<strong>an</strong>ns allegorische Praxis eine Ästhetik <strong>der</strong> Brüche und Paradoxien etabliert, die jegliche Monumentalität und jegliches Pathos sprengt. Ihr Zusammenschlagen <strong>der</strong> Dinge und <strong>der</strong> Syntax lässt sich auf dreifache Weise lesen: 1. Sie wie<strong>der</strong>holt die Heillosigkeit <strong>der</strong> Welt(en) und schliesst das Scheitern und den Tod mit ein. 2. Sie versucht, die Hierarchien <strong>der</strong> Welt zu zerschlagen und im Nebenein<strong>an</strong><strong>der</strong>stellen des Verschiedenen ein wertfreies Wahrnehmen <strong>der</strong> Dinge zu ermöglichen. Es geht um den Einschluss statt Ausschluss des Verworfenen, des von <strong>der</strong> Gesellscha Verdrängten und Abgewerteten, es geht um das Befreien <strong>der</strong> ‹Rede des An<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en Rede›. 3. Die Brüche öffnen Denkräume, sie sind Medium <strong>der</strong> Kritik <strong>an</strong> jeglicher Form von totalisieren<strong>der</strong> Kunst und Vereinnahmung schlechthin. Sabina Baum<strong>an</strong>ns Werk oszilliert zwischen einer abgrundtiefen Mel<strong>an</strong>cholie des Verlusts und einer steten Übung im Gemeinsinn, im Einschluss des ausgeschlossenen An<strong>der</strong>en. Jenseits des naiven Plädoyers für <strong>an</strong><strong>der</strong>e Bil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Gegenbil<strong>der</strong> sind es gerade dieser ästhetische Wi<strong>der</strong>spruch, dieses ständige Hin und Her, diese völlige Unfixiertheit und Unmöglichkeit, die die Dinge – die Gleichzeitigkeit des An<strong>der</strong>en – möglich machen. Textauszug aus dem monographischen Katalog von Sabina Baum<strong>an</strong>n, Edition Fink, 2009 Abb. Ich, Du, Es sein (aus <strong>der</strong> Steineserie), 2008 Bleistift auf Papier 110 × 150 41