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Diese Auffassung von Naturwissenscha schlage sich nicht nur in den naturwissenschalichen Lehrbüchern nie<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n, so Höttecke weiter, auch in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> im Unterricht durchgeführten Experimente. Diese seien so <strong>an</strong>gelegt, dass sie quasi zwingend von einer Forschungsfrage zu einer richtigen Antwort führen sollen. Es entstehe dadurch <strong>der</strong> Eindruck, als sei naturwissenschaliche Praxis ein blosses Ablesen von eindeutigen Naturgesetzen aus <strong>der</strong> Natur ohne jegliche kreativen Interpretationsprozesse.24 Um dieses mythische Wissenschasverständnis und die wissenschaliche Unmündigkeit <strong>der</strong> Lernenden zu überwinden, müsse eine Reflexionsebene in den naturwissenschalichen Unterricht eingezogen, d.h. sowohl historische, soziale, gesellschaspolitische, ökonomische und kulturelle Entstehungsbedingungen und Verwertungszusammenhänge von Naturwissenschaen als auch die durch interne und externe Faktoren bedingte Prozesshaigkeit naturwissenschalichen Wissensgewinns thematisiert werden. Naturwissenschaliche Wissensbildung sei letztlich als ein komplexer Prozess zu vermitteln, <strong>der</strong> nicht nur durch Logik und Rationalität, son<strong>der</strong>n vor allem auch Ph<strong>an</strong>tasie, Intuition, h<strong>an</strong>dwerkliche Fähigkeiten, Kreativität, Mut, Neugier und kommunikatives Geschick <strong>an</strong>getrieben würde, <strong>der</strong> aber zugleich auch begrenzt und gelenkt ist durch ökonomische und soziale Zwänge sowie industrielle Interessen und nicht zuletzt Weltbil<strong>der</strong> und kollektive Überzeugungen.25 Diese auf Physik bezogenen Einschätzungen zur positivistischen Naturwissenschasauffassung und die daraus entwickelten Konsequenzen lassen sich meines Erachtens gut auf die Biologie und ihre Didaktik übertragen. An<strong>der</strong>s als für das Fach Physik, das mit seiner gen<strong>der</strong>theoretisch informierten Fachdidaktik auf die asymmetrische geschlechtsspezifische Interessenlage <strong>der</strong> Lernenden reagiert und das Image von Physik als ‹Jungsfach› durch neue Vermittlungsweisen und neue positivismuskritische Fachverständnisse überwinden will, müsste es einer gen<strong>der</strong>theoretisch informierten Biologiedidaktik auf <strong>der</strong> Grundlage dieses aufgeklärten, reflexiven Wissenschasbegriffs vor allem um verän<strong>der</strong>te nichtsexistische und nichtrassistische Fachinhalte gehen. Vorschläge für eine gen<strong>der</strong>informierte Fachdidaktik <strong>der</strong> Biologie Vor dem Hintergrund des dargestellten Forschungsst<strong>an</strong>des <strong>der</strong> <strong>Gen<strong>der</strong></strong>forschung <strong>der</strong> Naturwissenschaen und <strong>der</strong> epistemologischen Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>an</strong> ein neues reflexives Biologieverständnis können verschiedene Konsequenzen für eine gen<strong>der</strong>theoretisch informierte Biologiedidaktik formuliert werden, die gut <strong>an</strong> die in vielen Biologiedidaktiken <strong>an</strong>gegebenen Ziele des Biologieunterrichtes wie Problembewusstsein, Werteverbundenheit, Toler<strong>an</strong>z, gesellschaliches Ver<strong>an</strong>twortungsbewusstsein, Demokratiefähigkeit und schliesslich Befähigung zu interdisziplinärem Denken <strong>an</strong>schliessen. Es ist dabei hervorzuheben, dass die Entwicklung eines kritischen Bewusstseins über Forschungsziele, -heuristiken und -prozesse und den epistemologischen Status <strong>der</strong> Forschungsergebnisse sowie die historische und soziale Kontingenz auch naturwissenschalichen Wissens in keinem Wi<strong>der</strong>spruch zum effektiven Lehren und Lernen aktueller naturwissenschalicher Begriffe und Konzepte steht. Wie inzwischen die Evaluation verschiedener Modellprojekte (in Physik und Chemie) gezeigt haben, entwickeln die Lernenden durch die Einsicht in die Entstehungsprozesse und gesellschalichen Bedingtheiten naturwissenschalichen Wissens einen intensiveren Bezug zu diesem Wissen, d. h. ein nachhaltigeres und reflektierteres Verständnis von den naturwissenschalichen eorien und Konzepten sowie eine stärkere Eigenver<strong>an</strong>twortung als Wissensträgerinnen und -träger.26 Für die Biologiedidaktik sollen abschliessend folgende erste Massnahmen für eine gen<strong>der</strong>theoretisch informierte Reformierung vorgeschlagen werden: 1. Die Inhalte in den Lehrbüchern für den Biologieunterricht und auch <strong>der</strong> Biologiedidaktik sind auf Geschlechterideologien hin zu überprüfen und gemäss dem Forschungsst<strong>an</strong>d <strong>der</strong> <strong>Gen<strong>der</strong></strong> Studies umfassend zu überarbeiten. Da für diese Revision <strong>der</strong> Lehrmaterialien Wissensbestände <strong>der</strong> Biologie, <strong>der</strong> <strong>Gen<strong>der</strong></strong> Studies und <strong>der</strong> Biologiedidaktik vonnöten sind, k<strong>an</strong>n dieses Vorhaben nur durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Fachrepräsent<strong>an</strong>tinnen und -repräsent<strong>an</strong>ten dieser drei Bereiche gelingen (beispielsweise in Form umfassen<strong>der</strong> Revisionsprojekte). Ein erstes Beispiel für eine umfassende gen<strong>der</strong>theoretisch geleitete Revision von Biologielehrbüchern in Bezug auf die Darstellung von Hormonen liefern Nehm/ Young 2008, erste Hinweise auf kritische Verän<strong>der</strong>ungen von entwicklungsbiologischen Inhalten bietet Small 1998, eine egalitäre Repräsentation von sexueller Orientierung in Lehrbüchern entwickeln Sny<strong>der</strong>/ Broadway 2004 und Möglichkeiten für die Unterrichtung des Embodimentkonzeptes schlagen Forissier / Clément 2003 vor. 2. Die neuen Darstellungen biologischer Inhalte sind in einer gen<strong>der</strong>gerechten Sprache und Abbildungsgestaltung zu verfassen, bei <strong>der</strong> beide Geschlechter gleichermassen häufig und in nicht stereotyper Weise, d. h. also mit grosser physiognomischer Vari<strong>an</strong>z und vielfältigen Kompetenzen versehen repräsentiert werden. Diese Darstellungsweise ist nicht nur auf Lernende und Lehrende zu beziehen, son<strong>der</strong>n auch auf hum<strong>an</strong>biologische Repräsentationen des menschlichen Körpers. 3. Die geschlechtergerechte Repräsentation betri auch die <strong>an</strong>gemessene Erwähnung weiblicher Forscherinnen, die in <strong>der</strong> Biologiegeschichte und im aktuellen Forschungskontext bedeutende Beiträge zur biologischen eoriendynamik beigetragen haben und o verschwiegen wurden (beispielsweise <strong>der</strong> Beitrag Rosalind Fr<strong>an</strong>klins zur Formulierung des DNS-Doppelhelix- Modells u.v.a.m.). Im Sinne <strong>der</strong> kritischen Biographieforschung k<strong>an</strong>n es dabei nicht um neue Hagiographien mit eindrucksvollen Heldinnenverklärungen gehen. Vielmehr sind auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> umf<strong>an</strong>greichen Ergebnisse <strong>der</strong> gen<strong>der</strong>theoretisch informierten Biographieforschung Biologinnen und Biologen mit ihren Beiträgen in ihren gesellschalichen Kontexten darzustellen, so dass die geschlechtsspezifisch wirkenden strukturellen Möglichkeiten und Grenzen wissenschalicher Laufbahnen ebenso sichtbar werden wie kulturelle und soziale Einflüsse auf die eoriebildung. Damit können nicht nur Vorbil<strong>der</strong> für alle geschaffen und ein realistisches Bild von den naturwissenschalichen Arbeitsbedingungen vermittelt, son<strong>der</strong>n auch die idealisierte Vorstellung von einem übermenschlichen (männlichen) Forscher bzw. <strong>der</strong> Figur des weltfremden ‹mad scientist› überwunden werden. 4. Insgesamt sollte eine gen<strong>der</strong>theoretisch informierte Biologiedidaktik profitieren von den Diskussionen und Vorschlägen <strong>der</strong> im <strong>an</strong>glophonen Raum schon etablierten Curriculumsreformbewegung STS sowie den dort entwickelten und teilweise schon erprobten NOS- und HPS-Programmen. Ziel des seit den 1960er Jahren diskutierten STS-Curriculums 27 ist eine ‹scientific literacy›, also eine naturwissenschali- 31