GL 1/2008 - der Lorber-Gesellschaft eV
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<strong>GL</strong> 1/<strong>2008</strong> Der Stille das Wort reden<br />
37<br />
Der Stille das Wort reden<br />
Nikolaus Brantschen<br />
Über Stille, Ruhe und Sammlung wird heute viel<br />
gesprochen und geschrieben. Stille o<strong>der</strong> das Fehlen <strong>der</strong><br />
Stille ist zum Thema geworden, und nicht selten werde ich<br />
gebeten, mich darüber zu äußern, wie im folgenden<br />
Radiogespräch.<br />
Herr Brantschen, wie viel Stille brauchen Sie pro Tag?<br />
Mindestens eine Stunde.<br />
Wie praktizieren Sie Stille? Was tun Sie, um zur Ruhe zu kommen?<br />
Ich sitze. Das heißt: Ich praktiziere Zen-Meditation.<br />
Sie sitzen einfach? Was bringt das?<br />
Nikolaus Brantschen<br />
Jesuit und Priester<br />
lebt in Zürich<br />
„Einfach sitzen“ ist gar nicht so einfach. Es braucht Entschiedenheit,<br />
sich aufrecht zu halten - gut gespannt, aber nicht verspannt. Und es<br />
braucht die Entschlossenheit, nicht umherzurutschen, sich zu kratzen o<strong>der</strong><br />
sonst wie abzulenken, son<strong>der</strong>n einfach nur da zu sein. Sie fragen, was das<br />
bringt. Es bringt Stille. Genauer gesagt: Wenn ich gesammelt sitze und auf<br />
den Atem achte, so erfahre ich, dass Stille im Grunde da ist. Es ist wie bei<br />
einem See: Wenn ich nicht darin wühle und keine Steine hineinwerfe,<br />
glättet er sich, und ich sehe bis auf den Grund. Stille schafft Klarheit.<br />
Wir haben ja immer eine Fülle von Gedanken und Bil<strong>der</strong>n<br />
im Kopf. Kann man diese einfach ausklinken und sagen: So, jetzt will ich<br />
nur Stille, keine Gedanken mehr, nur Ruhe. Kann man das befehlen?<br />
Natürlich nicht! Stille kann man nicht machen, die Flut <strong>der</strong> Gedanken<br />
nicht abschalten. Denn diese kommen, wie und wann sie wollen. Was ich<br />
tun kann ist, richtig damit umgehen, nämlich die Gedanken kommen<br />
lassen - und sie wie<strong>der</strong> gehen lassen. Ich bin ja mehr als meine Gedanken<br />
und mehr als meine Gefühle. In <strong>der</strong> Stille, im Präsent-Sein<br />
kann ich erfahren, dass die Gedanken eigentlich nicht mein Letztes sind.<br />
Im Idealfall kommen sie aus einer tieferen Schicht, aber diese tiefere<br />
Schicht hat eine noch tiefere. Und dort ist Stille. Um das Bild vom See<br />
nochmals aufzunehmen: Wenn ich in eine gewisse Tiefe hinabsteige, sind<br />
die Gedanken wohl noch da, aber sie sind wie das Kräuseln des Wassers<br />
an <strong>der</strong> Oberfläche. Sie wühlen nicht alles auf.<br />
Sie sind Jesuit. Dass Sie sich mit Stille befassen und meditieren, ist<br />
eigentlich nahe liegend. Es gibt aber immer mehr Leute, die in <strong>der</strong> Hektik<br />
und im Stress leben und sich nach Stille sehnen. Woher kommt das?