GL 1/2008 - der Lorber-Gesellschaft eV
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50 Weisheitsgeschichten<br />
<strong>GL</strong> 1/<strong>2008</strong><br />
Die Geschichte vom Totenschädel<br />
Ein Weiser fand unterwegs einen leeren Totenschädel, <strong>der</strong> zwar<br />
gebleicht war, aber seine Form bewahrt hatte. Er berührte den Schädel mit<br />
einer Gerte und fragte im stillen:<br />
„Wer bist du wohl gewesen? Warst du vielleicht ein Ehrgeizling, <strong>der</strong> in<br />
<strong>der</strong> Gier nach Dasein und Macht vom rechten Wege abwich und in Elend<br />
und Verlassenheit endete? O<strong>der</strong> warst du ein Fürst, <strong>der</strong> sein Volk ins<br />
Ver<strong>der</strong>ben führte und dafür hingerichtet wurde? O<strong>der</strong> hast du deinen<br />
Eltern Schande gebracht, so dass man dich verstieß? O<strong>der</strong> warst du nur ein<br />
hungriger Bettler, <strong>der</strong> in Elend und Kälte am Wege starb? O<strong>der</strong> hast du<br />
vielleicht recht gelebt, dein natürliches Alter erreicht und bist du in<br />
Frieden heimgegangen?“<br />
Nach diesen Worten nahm er den Schädel auf und legte ihn, als er<br />
schlafen ging, unter sein Kopfkissen.<br />
Um Mitternacht erschien ihm <strong>der</strong> einstige Träger des Schädels im<br />
Traum und beantwortete seine Fragen:<br />
„Fragen, wie du sie stelltest, sind Sorgen <strong>der</strong> Lebenden, nicht <strong>der</strong><br />
Heimgegangenen. Für uns Entkörperte gibt es we<strong>der</strong> Ehrgeiz noch falsches<br />
Denken und Tun, we<strong>der</strong> Fürsten noch Bettler, we<strong>der</strong> Obrigkeit noch<br />
Untergebene, we<strong>der</strong> Wechsel <strong>der</strong> Lebensalter noch Sorgen um das<br />
Vergängliche. Selbst <strong>der</strong> glücklichste Erdenmensch kann nicht so gelassen<br />
und selig sein wie wir vermeintlich Toten.“<br />
Der Weise dankte für die Belehrung und fragte: „Wenn ich das<br />
Schicksal veranlassen könnte, dass du wie<strong>der</strong>geboren würdest und zu den<br />
Deinen zurückkehren könntest, zu den Freunden und den Freuden des<br />
Daseins - wäre dir das recht ?“<br />
Die Antwort war: „Warum sollte ich meine ruhevolle Seligkeit<br />
aufgeben, um die Mühen des Erdendaseins aufs neue auf mich zu<br />
nehmen?“<br />
<br />
Schicksal<br />
Einer Frau, die ihr Schicksal beklagte, sagte <strong>der</strong> Meister: „Du machst<br />
dir selbst dein Schicksal.“<br />
„Aber ich bin doch wohl nicht verantwortlich dafür, als Frau geboren<br />
zu sein?“<br />
„Als Frau geboren zu sein, ist nicht Schicksal. Das ist Bestimmung.<br />
Schicksal ist, wie du dein Frausein akzeptierst, und was du daraus<br />
machst.“