Ausgabe Dezember 2009 - Sarah Weckert
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tivität, der Künstler. Die Kunst wird demokratisiert. Was<br />
mit der Malerei passierte (das fotografische Paradigma),<br />
passiert nun mit der Kunst: Das Netz ist das neue Paradigma.<br />
3. Netzkunst und Kreativität<br />
Seit 200 Jahren wird Öffentlichkeit vor allem über das<br />
Massenmedium Zeitung erzeugt. Im 20. Jahrhundert<br />
kamen Radio und Fernsehen als Medien der Öffentlichkeit<br />
hinzu. Es war aber vor allem die Presse, die über<br />
die Konstruktion von öffentlicher Meinung Einfluss auf<br />
die Politik nehmen konnte. Die im 19. Jahrhundert vom<br />
Parlament ausgeschlossene wohlhabende Bourgeoisie finanzierte<br />
Zeitungen, um über die öffentliche Meinung<br />
Druck auf das Parlament auszuüben. Der Aufstieg des<br />
Bürgertums und der Aufstieg der Presse als Hauptfaktor<br />
der öffentlichen Meinung bedingten sich wechselseitig.<br />
In seiner epochalen Studie Strukturwandel der Öffentlichkeit.<br />
Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen<br />
Gesellschaft (1962) untersucht Jürgen Habermas diese<br />
bürgerliche Sphäre. Wegen ihrer politischen Macht<br />
wurde die Presse auch die vierte Macht im Staate genannt.<br />
Nachdem sich eine proletarische Öffentlichkeit<br />
nicht herauszubilden vermochte, entstand offensichtlich<br />
eine immer größer werdende Menge von Menschen, deren<br />
Anliegen und Interessen in der Öffentlichkeit, wie<br />
sie von den Massenmedien konstruiert wurde, nicht<br />
vertreten wurden. Sie bildeten keine Macht im Staate<br />
und waren vom politischen Leben mehr oder weniger<br />
ausgeschlossen. Diese Menschen finden nun im Netz<br />
erstmals die historische Chance, in der Öffentlichkeit,<br />
die das Netz darstellt, ihre Interessen und Meinungen<br />
zu artikulieren. Jedes Subjekt wird zum Sender – das<br />
ist die Idee des Nutzers. Wenn Aristoteles gefordert hat:<br />
„Dass alle über alles sprechen dürfen, danach strebt die<br />
Gerechtigkeit der Demokratie“, dann schlägt die Stunde<br />
der Demokratie im Medium Netz, denn dort bestünde<br />
zumindest technisch die Möglichkeit, dass alle über alles<br />
sprechen dürfen. Das Netz wird also zur fünften Macht<br />
im Staate.<br />
3. Web Art and Creativity<br />
For 200 years the public was generated by the mass<br />
media of the newspaper. In the twentieth century radio<br />
and television were added. But it was the press above all<br />
that was able to influence politics by constructing public<br />
opinion. Having no access to parliament, the wealthy<br />
bourgeoisie of the nineteenth century financed newspapers<br />
in order to put pressure upon the parliament via<br />
public opinion. The rise of the bourgeoisie and the rise of<br />
the press as major factors in public opinion were reciprocally<br />
determined. In his landmark study of The Structural<br />
Transformation of the Public Sphere (1962), Jürgen<br />
Habermas investigated this bourgeois sphere. Due to its<br />
political clout the press became the forth power within<br />
the state. After a proletarian public sphere had failed<br />
to develop, there was an obviously increasing mass of<br />
people whose needs and interests were not represented<br />
in the public sphere as it was then shaped by the mass<br />
media of the times. These people had no power within<br />
the state and were more or less excluded from political<br />
life. In the web they have now found their first historical<br />
opportunity to articulate their interests and opinions in<br />
the public sphere the web represents. Every individual<br />
subject of the state becomes a broadcaster – that is the<br />
user’s idea. Aristotle claimed that “everyone is allowed<br />
to speak about everything, for that is what the justice<br />
of democracy is struggling for”; the age of democracy is<br />
dawning in the medium of the web, for here there is at<br />
least technically the opportunity for everyone to speak<br />
about everything. The web has thus become the fifth<br />
power in the state.<br />
Peter Weibel, 1944 in Odessa geboren, in Österreich<br />
aufgewachsen, studierte Literaturwissenschaft, Film,<br />
Mathematik, Medizin und Philosophie in Wien und Paris.<br />
Sein künstlerisches Werk erstreckt sich auf Bereiche der<br />
Konzeptkunst, Performance und Medienkunst. Von 1989<br />
bis 1994 leitete er das Institut für Neue Medien an der<br />
Städelschule in Frankfurt, war als künstlerischer Berater<br />
und später Leiter der Ars Electronica in Linz tätig. Er ist<br />
Professor für visuelle Mediengestaltung an der Hochschule<br />
für angewandte Kunst in Wien. Seit 1999 ist<br />
Peter Weibel Vorstand des ZKM in Karlsruhe.<br />
Peter Weibel was born in Odessa in 1944. He grew<br />
up in Austria and studied literature, film, mathematics,<br />
medicine and philosophy in Vienna and Paris. His artistic<br />
work spans the fields of concept art, performance and<br />
media art. From 1989 to 1994 he directed the Institute<br />
for New Media at the Städelschule (State Art Academy)<br />
in Frankfurt. He was artistic consultant and later director<br />
of the Ars Electronic in Linz. He is currently professor<br />
of visual media design at the University of Applied Arts<br />
in Vienna. In 1999 Peter Weibel joined the board of the<br />
Centre for Art and Media Technology in Karlsruhe.<br />
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