24.04.2014 Aufrufe

Ausgabe Dezember 2009 - Sarah Weckert

Ausgabe Dezember 2009 - Sarah Weckert

Ausgabe Dezember 2009 - Sarah Weckert

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

tivität, der Künstler. Die Kunst wird demokratisiert. Was<br />

mit der Malerei passierte (das fotografische Paradigma),<br />

passiert nun mit der Kunst: Das Netz ist das neue Paradigma.<br />

3. Netzkunst und Kreativität<br />

Seit 200 Jahren wird Öffentlichkeit vor allem über das<br />

Massenmedium Zeitung erzeugt. Im 20. Jahrhundert<br />

kamen Radio und Fernsehen als Medien der Öffentlichkeit<br />

hinzu. Es war aber vor allem die Presse, die über<br />

die Konstruktion von öffentlicher Meinung Einfluss auf<br />

die Politik nehmen konnte. Die im 19. Jahrhundert vom<br />

Parlament ausgeschlossene wohlhabende Bourgeoisie finanzierte<br />

Zeitungen, um über die öffentliche Meinung<br />

Druck auf das Parlament auszuüben. Der Aufstieg des<br />

Bürgertums und der Aufstieg der Presse als Hauptfaktor<br />

der öffentlichen Meinung bedingten sich wechselseitig.<br />

In seiner epochalen Studie Strukturwandel der Öffentlichkeit.<br />

Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen<br />

Gesellschaft (1962) untersucht Jürgen Habermas diese<br />

bürgerliche Sphäre. Wegen ihrer politischen Macht<br />

wurde die Presse auch die vierte Macht im Staate genannt.<br />

Nachdem sich eine proletarische Öffentlichkeit<br />

nicht herauszubilden vermochte, entstand offensichtlich<br />

eine immer größer werdende Menge von Menschen, deren<br />

Anliegen und Interessen in der Öffentlichkeit, wie<br />

sie von den Massenmedien konstruiert wurde, nicht<br />

vertreten wurden. Sie bildeten keine Macht im Staate<br />

und waren vom politischen Leben mehr oder weniger<br />

ausgeschlossen. Diese Menschen finden nun im Netz<br />

erstmals die historische Chance, in der Öffentlichkeit,<br />

die das Netz darstellt, ihre Interessen und Meinungen<br />

zu artikulieren. Jedes Subjekt wird zum Sender – das<br />

ist die Idee des Nutzers. Wenn Aristoteles gefordert hat:<br />

„Dass alle über alles sprechen dürfen, danach strebt die<br />

Gerechtigkeit der Demokratie“, dann schlägt die Stunde<br />

der Demokratie im Medium Netz, denn dort bestünde<br />

zumindest technisch die Möglichkeit, dass alle über alles<br />

sprechen dürfen. Das Netz wird also zur fünften Macht<br />

im Staate.<br />

3. Web Art and Creativity<br />

For 200 years the public was generated by the mass<br />

media of the newspaper. In the twentieth century radio<br />

and television were added. But it was the press above all<br />

that was able to influence politics by constructing public<br />

opinion. Having no access to parliament, the wealthy<br />

bourgeoisie of the nineteenth century financed newspapers<br />

in order to put pressure upon the parliament via<br />

public opinion. The rise of the bourgeoisie and the rise of<br />

the press as major factors in public opinion were reciprocally<br />

determined. In his landmark study of The Structural<br />

Transformation of the Public Sphere (1962), Jürgen<br />

Habermas investigated this bourgeois sphere. Due to its<br />

political clout the press became the forth power within<br />

the state. After a proletarian public sphere had failed<br />

to develop, there was an obviously increasing mass of<br />

people whose needs and interests were not represented<br />

in the public sphere as it was then shaped by the mass<br />

media of the times. These people had no power within<br />

the state and were more or less excluded from political<br />

life. In the web they have now found their first historical<br />

opportunity to articulate their interests and opinions in<br />

the public sphere the web represents. Every individual<br />

subject of the state becomes a broadcaster – that is the<br />

user’s idea. Aristotle claimed that “everyone is allowed<br />

to speak about everything, for that is what the justice<br />

of democracy is struggling for”; the age of democracy is<br />

dawning in the medium of the web, for here there is at<br />

least technically the opportunity for everyone to speak<br />

about everything. The web has thus become the fifth<br />

power in the state.<br />

Peter Weibel, 1944 in Odessa geboren, in Österreich<br />

aufgewachsen, studierte Literaturwissenschaft, Film,<br />

Mathematik, Medizin und Philosophie in Wien und Paris.<br />

Sein künstlerisches Werk erstreckt sich auf Bereiche der<br />

Konzeptkunst, Performance und Medienkunst. Von 1989<br />

bis 1994 leitete er das Institut für Neue Medien an der<br />

Städelschule in Frankfurt, war als künstlerischer Berater<br />

und später Leiter der Ars Electronica in Linz tätig. Er ist<br />

Professor für visuelle Mediengestaltung an der Hochschule<br />

für angewandte Kunst in Wien. Seit 1999 ist<br />

Peter Weibel Vorstand des ZKM in Karlsruhe.<br />

Peter Weibel was born in Odessa in 1944. He grew<br />

up in Austria and studied literature, film, mathematics,<br />

medicine and philosophy in Vienna and Paris. His artistic<br />

work spans the fields of concept art, performance and<br />

media art. From 1989 to 1994 he directed the Institute<br />

for New Media at the Städelschule (State Art Academy)<br />

in Frankfurt. He was artistic consultant and later director<br />

of the Ars Electronic in Linz. He is currently professor<br />

of visual media design at the University of Applied Arts<br />

in Vienna. In 1999 Peter Weibel joined the board of the<br />

Centre for Art and Media Technology in Karlsruhe.<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!