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freigeist herbst 2013<br />
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was macht eigentlich ...<br />
saija crillovich<br />
Buchhaltung tätig war - und so konnte<br />
ich extern die Abschlussprüfung machen.<br />
Der Anstoß dazu kam vom Papa,<br />
der wohl der Meinung war, ein Abschluss<br />
könne nicht schaden. Heute bin ich ihm<br />
übrigens sehr dankbar dafür, da dies der<br />
Grundstein für meinen weiteren Ausbildungsweg<br />
war. Neben dem sehr wertvollen<br />
Vertrauen meiner Eltern, dass ich<br />
meinen richtigen Weg finde, habe ich<br />
auch solche kleinen Anstöße von Zeit<br />
zu Zeit als förderlich erlebt, wenn ich<br />
gerade nicht so recht wusste, was ich<br />
weiter machen soll bzw. mir der Antrieb<br />
fehlte. Ich besorgte mir also die entsprechenden<br />
Lernmaterialien und bereitete<br />
mich alleine zuhause und im Rahmen<br />
eines einmonatigen Kurses am BFI auf<br />
die Prüfung vor. Nach ein paar Monaten<br />
konnte ich die Abschlussprüfung erfolgreich<br />
ablegen, es war meine erste vor<br />
einer Kommission, ich war davor sehr<br />
aufgeregt.<br />
Mit dem Lehrabschluss eröffnete sich<br />
mir die Möglichkeit, die Matura in Form<br />
einer Berufsreifeprüfung zu machen.<br />
Mittlerweile war auch meine Motivation<br />
zu lernen wieder größer und außerdem<br />
hat mich ein gewisser Ehrgeiz gepackt,<br />
diese Hürde zu nehmen, die mir viele Türen<br />
öffnen würde. In Kursen (meist einmal<br />
wöchentlich etwa 4 Stunden lang )<br />
mit der jeweiligen Dauer von 1 bis 1 1/2<br />
Jahren bereitete ich mich in den Fächern<br />
Englisch, Deutsch, Mathematik und Betriebswirtschaftslehre/<br />
Rechnungswesen<br />
auf die jeweiligen Examen vor. Englisch<br />
konnte ich sogar in der Hälfte der<br />
vorgesehenen Zeit abschließen, da ich<br />
u.a. durch den Auslandsaufenthalt eine<br />
gute Sprechpraxis hatte.<br />
Nebenbei blieb mir genug Zeit, das theoretische<br />
Pauken mit praktischen Aktivitäten<br />
auszugleichen und etwas Geld zu<br />
verdienen. Ich habe eine Ausbildung zur<br />
Englisch-Lehrerin nach der „Helen- Doron-Methode“<br />
gemacht und anschließend<br />
für ein Jahr lang einige Gruppen<br />
von Kleinkindern nach dieser Methode<br />
geführt. Das Arbeiten mit den Kindern<br />
in Begleitung ihrer Eltern war eine sehr<br />
spannende Erfahrung. Auch wenn mir<br />
das Prinzip dieser Lernmethode zusagte<br />
(spielerisches Lernen, Spaß im Vordergrund),<br />
war es in der Praxis schwierig,<br />
meine Auffassung von Lernen mit den<br />
an mich gestellten Erwartungen von Seiten<br />
der Erwachsenen zu vereinen.<br />
Die Kunsttherapie hatte ich inzwischen<br />
nach zwei Jahren schweren Herzens<br />
abgebrochen, ein vorübergehendes gesundheitliches<br />
Problem (Gastritis) war<br />
ausschlaggebend dafür. Diese Krankheitsphase<br />
von einigen Monaten war<br />
auch gleichzeitig eine persönliche Krisenzeit<br />
für mich. Es war meine inoffizielle<br />
Reifeprüfung, die erste offizielle Maturaprüfung<br />
folgte im Herbst 2006. Ich habe<br />
dann aushilfsmäßig in der <strong>Lernwerkstatt</strong><br />
und im Waldkindergarten „Waldfexxx“<br />
gearbeitet, wo ich endlich wieder in<br />
einem Umfeld mit Kindern arbeitete,<br />
wo ich das Gefühl hatte, dass ich so sein<br />
Foto: Saija Crillovich<br />
kann, wie ich bin (nicht eine Rolle spielen<br />
muss) und auch die Kinder so sein<br />
lassen kann, wie sie sind (sie nicht zwingen<br />
muss etwas Bestimmtes zu tun, sich<br />
anders zu verhalten etc.). Spannend war<br />
es vor allem, die <strong>Lernwerkstatt</strong> jetzt von<br />
einer anderen Perspektive aus - nämlich<br />
jener der Betreuerin - neu zu erleben.<br />
Mittlerweile war ich schon eine Zeitlang<br />
mit meinem Freund Adrian zusammen,<br />
was mich immer wieder auch nach Wien<br />
führte, wo er lebt. Ich begann mich über<br />
Universitätsstudien zu informieren und<br />
fand die Vorstellung zu studieren zunehmend<br />
sympathisch. Ich entschloss mich<br />
für das Studium der Kultur- und Sozialanthropologie,<br />
das mich schon länger<br />
angesprochen hatte. Nach der letzten<br />
Matura-Teilprüfung ging ich im Sommer<br />
zunächst für zwei Monate wieder nach<br />
Südamerika. Einen Monat lang reiste ich<br />
gemeinsam mit meinem Freund in Peru<br />
und besuchte dort seine Familie, den<br />
zweiten Monat besuchte ich alte Freunde<br />
und arbeitete in einem Kindergarten für<br />
benachteiligte Kinder in Quito. Ich war<br />
sehr glücklich, wieder in Südamerika reisen<br />
zu können.<br />
Wieder zurück in Österreich inskribierte<br />
ich an der Uni Wien und begab mich ins<br />
Studentenleben. Was mir anfangs als<br />
unübersehbares Chaos vorkam, erhielt<br />
zunehmend Struktur, und ich erkannte<br />
die Schulzeit in der <strong>Lernwerkstatt</strong> als<br />
großen Vorteil für das Studieren, da hier<br />
selbstständiges Arbeiten vorausgesetzt<br />
wird. Ich merkte bald, dass dies mein<br />
Studium war, weil mich die Themen sehr<br />
interessierten. Mir gefiel auch die Herangehensweise,<br />
alles zu hinterfragen und<br />
somit zu lernen, vorhandene Strukturen<br />
nicht als gegeben hinzunehmen. So viel<br />
lesen wie während des Studiums werde<br />
ich wohl auch sobald nicht mehr.<br />
Außerdem entdeckte ich die vielen Möglichkeiten,<br />
die das Studieren in der Großstadt<br />
birgt: All die Angebote und Veranstaltungen<br />
abseits des Vorlesungssaals.<br />
Das umfangreiche Programm des Sportinstitutes<br />
der Uni Wien (USI) hat mich<br />
dazu gebracht, mich auf vielfältige Weise<br />
mit meinem Körper zu beschäftigen<br />
und neue Bewegungsformen kennenzulernen<br />
(Inner Movement, Afro-Tanzen,<br />
Zumba, Latindance, Inkayoga, Shiatsu...).<br />
Die Semesterferien im Februar nutze<br />
ich meist, um mit meinem Freund nach<br />
Peru zu fahren. Meine Bachelorarbeiten<br />
schrieb ich dann über Transnationale<br />
Paarbeziehungen (inspiriert durch meine<br />
eigene Partnerschaft) und den Wandel in<br />
der Einstellung gegenüber dem Körper<br />
in Europa seit dem Ende des Mittelalters<br />
(Aufgrund der eigenen Beschäftigung<br />
mit Körperlichkeit und der Beobachtung,<br />
dass diese oft negativ besetzt ist bzw. der<br />
Umgang mit dem Körper ambivalent ist).<br />
Trotz vorhandenen Interesses und vieler<br />
weiterer Themengebiete, die mich noch<br />
zur Erforschung interessieren würden,<br />
habe ich nach Beenden des Bachelors im<br />
Wintersemester 2012 beschlossen, den<br />
Master nicht gleich folgen zu lassen. Der<br />
Grund war, dass mir durch das Studium<br />
hindurch immer wieder stark der Bezug<br />
zur Praxis gefehlt hat und ich nicht den<br />
Eindruck hatte, dass mich das rein theoretische<br />
Lernen dorthin bringt, wo ich<br />
hin möchte. So hat das studentische Leben<br />
vorerst einmal ein Ende genommen<br />
und ich habe die beruflichen Bereiche<br />
ausgeweitet, die mich auch schon während<br />
des Studiums geringfügig begleitet<br />
haben. Diese sind einerseits Lernnachhilfe<br />
für Roma Kinder über den Verein<br />
„Romano Centro“, und andererseits<br />
Buchhaltung und Betriebsorganisation<br />
für den „Intishop“, das Geschäft meines<br />
Freundes. Durch das Wegfallen der Prüfungen<br />
konnte ich im Herbst gemeinsam<br />
mit Adrian auf Geschäftsreise nach Asien<br />
gehen und ihm helfen, die Ware auszusuchen<br />
(Gewand und Schmuck). Ich<br />
habe es heuer sehr genossen, nach jahrelangem<br />
Vorsommer - Lernstress dieses<br />
Jahr einmal nicht für Prüfungen pauken<br />
zu müssen und trotzdem bin ich schon<br />
wieder am Überlegen, welche Ausbildung<br />
folgen könnte. Ich möchte gerne<br />
wieder an die Therapie-Ausbildung anschließen<br />
und bin gerade am Schauen,<br />
welche Möglichkeiten es da gibt.<br />
So wie es aussieht, werde ich im Herbst<br />
das psychotherapeutische Propädeutikum<br />
beginnen, wo man sich ja wie in<br />
der Anthropologie mit verschiedenen<br />
Aspekten des Menschseins auseinandersetzt,<br />
nur aus einem anderen Blickwinkel.<br />
Außerdem werde ich im Verein<br />
„NL 40“ beginnen, Lernbetreuung für<br />
Kinder mit Migrationshintergrund zu<br />
machen. Mein Lebensweg verläuft nicht<br />
so geradlinig wie so manch anderer und<br />
doch gibt es für mich eine gewisse Kontinuität<br />
und ich habe nicht das Gefühl, irgendetwas<br />
umsonst gemacht zu haben.<br />
Meine Herzensinteressen, das Arbeiten<br />
mit Menschen, die Begleitung von Kindern<br />
und kreativer Ausdruck abseits von<br />
Bewertung und Erfolgsdruck sind meine<br />
treuen Begleiter auf den unterschiedlichen<br />
Pfaden, auf denen ich wandle.<br />
Ich möchte meinen Eltern danken, die<br />
immer in mich und meinen Lebensweg<br />
vertraut und mich unterstützt haben.<br />
Außerdem auch allen Menschen, die<br />
mit ihrem Mut und Enthusiasmus dazu<br />
beigetragen haben, dass es eine Schule<br />
wie die <strong>Lernwerkstatt</strong> gibt wo ich tolle<br />
Lernerfahrungen machen konnte - und<br />
darüber hinaus eine schöne Kindheit<br />
verbracht habe.