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Hugo von Hofmannsthal, Der Schwierige

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Hans Karl schweigt.<br />

Helene Au fond können wir Frauen tun was wir wollen, meinetwegen Solfèges singen oder politisieren, wir<br />

meinen immer noch was andres damit. – Solfèges singen ist indiskreter, Artigsein ist diskreter, es drückt die<br />

bestimmte Absicht aus, keine Indiskretionen zu begehen. Weder gegen sich, noch gegen einen andern.<br />

Hans Karl Alles an Ihnen ist besonders und schön. Ihnen kann ja gar nichts geschehen. Heiraten Sie wen<br />

immer, heiraten Sie den Neuhoff, nein den Neuhoff, wenn sich's vermeiden laßt, lieber nicht, aber den ersten<br />

besten frischen Menschen, einen Menschen wie meinen Neffen Stani, ja, wirklich Helene, heiraten Sie den<br />

Stani, er möchte so gern, und Ihnen kann ja gar nichts passieren. Sie sind ja unzerstörbar, das steht ja<br />

deutlich in Ihrem Gesicht geschrieben. Ich bin immer fasziniert <strong>von</strong> einem wirklich schönen Gesicht – aber<br />

das Ihre –<br />

Helene Ich möchte nicht, daß Sie so mit mir reden, Graf Bühl.<br />

Hans Karl Aber nein, an Ihnen ist ja nicht die Schönheit das Entscheidende, sondern ganz etwas anderes: in<br />

Ihnen liegt das Notwendige. Sie können mich natürlich nicht verstehen, ich versteh' mich selbst viel<br />

schlechter, wenn ich red', als wenn ich still bin. Ich kann gar nicht versuchen, Ihnen das zu explizieren, es ist<br />

halt etwas, was ich draußen begreifen gelernt habe: daß in den Gesichtern der Menschen etwas geschrieben<br />

steht. Sehen Sie, auch in einem Gesicht wie dem <strong>von</strong> der Antoinette kann ich lesen –<br />

Helenemit einem flüchtigen Lächeln Aber da<strong>von</strong> bin ich überzeugt.<br />

Hans Karlernst Ja, es ist ein scharmantes, liebes Gesicht, aber es steht immer ein und derselbe stumme<br />

Vorwurf in ihm eingegraben: Warum habt's ihr mich alle dem fürchterlichen Zufall überlassen? Und das gibt<br />

ihrer kleinen Maske etwas so Hilfloses, Verzweifeltes, daß man Angst um sie haben könnte.<br />

Helene Aber die Antoinette ist doch da. Sie existiert doch so ganz für den Moment. So müssen doch Frauen<br />

sein, der Moment ist ja alles. Was soll denn die Welt mit einer Person anfangen, wie ich bin? Für mich ist ja<br />

der Moment gar nicht da, ich stehe da und sehe die Lampen dort brennen, und in mir sehe ich sie schon<br />

ausgelöscht. Und ich spreche mit Ihnen, wir sind ganz allein in einem Zimmer, aber in mir ist das jetzt schon<br />

vorbei: wie wenn irgendein gleichgültiger Mensch hereingekommen wäre und uns gestört hätte, die Huberta<br />

oder der Theophil Neuhoff oder wer immer, und das schon vorüber wäre, daß ich mit Ihnen allein dagesessen<br />

bin, bei dieser Musik, die zu allem auf der Welt besser paßt, als zu uns beiden – und Sie schon wieder<br />

irgendwo dort zwischen den Leuten. Und ich auch irgendwo zwischen den Leuten.<br />

Hans Karlleise Jeder muß glücklich sein, der mit Ihnen leben darf, und muß Gott danken bis an sein<br />

Lebensende, Helen, bis an sein Lebensende, sei's, wer's sei. Nehmen Sie nicht den Neuhoff, Helen, – eher<br />

einen Menschen wie den Stani, oder auch nicht den Stani, einen ganz andern, der ein braver, nobler Mensch<br />

ist und ein Mann: das ist alles, was ich nicht bin. Er steht auf.<br />

Helenesteht auch auf, sie spürt, daß er gehen will Sie sagen mir ja Adieu!<br />

Hans Karl gibt keine Antwort.<br />

Helene Auch das hab' ich voraus gewußt. Daß einmal ein Moment kommen wird, wo Sie mir so plötzlich<br />

Adieu sagen werden und ein Ende machen – wo gar nichts war. Aber denen, wo wirklich was war, denen<br />

können Sie nie Adieu sagen.<br />

Hans Karl Helen, es sind gewisse Gründe.<br />

Helene Ich glaube, ich habe alles in der Welt, was sich auf uns zwei bezieht, schon einmal gedacht. So sind<br />

wir schon einmal gestanden, so hat eine fade Musik gespielt, und so haben Sie Adieu gesagt, einmal für<br />

allemal.<br />

Hans Karl Es ist nicht nur so aus diesem Augenblick heraus, Helen, daß ich Ihnen Adieu sage. Oh nein, das<br />

dürfen Sie nicht glauben. Denn daß man jemandem Adieu sagen muß, dahinter versteckt sich ja was.<br />

Helene Was denn?<br />

Hans Karl Da muß man ja sehr zu jemandem gehören und doch nicht ganz zu ihm gehören dürfen.<br />

Helenezuckt Was wollen Sie damit sagen?<br />

Hans Karl Da draußen, da war manchmal was – mein Gott, ja, wer könnte denn das erzählen!<br />

Helene Ja, mir. Jetzt.<br />

Hans Karl Da waren solche Stunden, gegen Abend oder in der Nacht, der frühe Morgen mit dem<br />

Morgenstern – Helen, Sie waren da sehr nahe <strong>von</strong> mir. Dann war dieses Verschüttetwerden, Sie haben da<strong>von</strong><br />

gehört –<br />

Helene Ja, ich hab' da<strong>von</strong> gehört –<br />

Hans Karl Das war nur ein Moment, dreißig Sekunden sollen es gewesen sein, aber nach innen hat das ein<br />

anderes Maß. Für mich war's eine ganze Lebenszeit, die ich gelebt hab', und in diesem Stück Leben, da<br />

waren Sie meine Frau. Ist das nicht spaßig?<br />

Helene Da war ich Ihre Frau?

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